Der Aufstand in Northumberland

1. Percy und die Nortons

Graf Percy ging in den Garten sein,
Sein junges Gemahl geleitet ihn,
Er spricht: »Mir singt ein Vogel ins Ohr,
Du mußt fechten, Percy, oder fliehn.«
Lady Percy spricht: »Verhüte das Gott!
O sei nicht so stolz, o sei nicht so scheu:
Nach London geh, an der Königin Hof,
Und beug' ihr dein Knie und leist' ihr die Treu.«
»Zu spät, zu spät, liebe Lady mein,
Es ist nicht mehr, wie sonst es war,
Meine Feinde gelten bei Hofe jetzt,
Ich kann nicht gehn, mir droht Gefahr.«
»Und doch, und doch – sonst reut es dich noch!
Leg ab deine Scheu, leg ab deinen Trutz,
Nimm all deine besten Mannen mit,
So hast du Schirm, und so hast du Schutz.«
»Zu spät, zu spät, liebe Lady mein,
Der Hof ist klug, ist fein-verstrickt,
Und wenn ich morgen zu Hofe ging',
So hätt' ich dich heute zuletzt erblickt.«
»Und doch, und doch – sonst reut es dich noch!
Laß satteln! ich will ja mit dir gehn
Und will bei Hofe, so Tag wie Nacht,
Meinem lieben Herrn zur Seite stehn.«
»Halt ein, halt ein, liebe Lady mein,
Es ist zu spät, ich bin nicht blind,
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Der Vogel hat Recht, und mein Herz hat Recht,
Und fechten muß ich für Weib und Kind – –
Tritt her, tritt her, mein Knappe jung,
Und schaue mich an und horche wohl auf,
Zu Richard Norton muß dieser Brief,
Noch eh' vorüber des Tages Lauf.
Empfiehl mich dem Squire und sag' ihm das Wort:
Die Stunde sei da, und wir seien bereit,
Und wenn er noch Richard Norton wär',
So müss' er kommen zu dieser Zeit.«
Der Percy sprach's, der Knappe brach auf,
Eine Weile er ging, eine Weile er lief,
Und eh' die Sonne hernieder war,
Da hatte der Squire des Grafen Brief.
Er las voll Ernst, er las zweimal,
Seine Söhne sahen ihn fragend an,
Und als er las zum dritten Mal,
Eine Trän' ihm über das Antlitz rann.
»Sag' an, sag' an, Christopher, mein Sohn,
Dein junges Herz hat braven Mut,
Graf Percy ziehet in bösen Streit,
Was sollen wir tun, welch Rat ist gut?«
»Und soll ich raten, so rat' ich frei:
Graf Percy ist ein edler Lord,
Und was es immer uns bringen mag,
Wir müssen ihm halten unser Wort.«
»Hab' Dank, hab' Dank, Christopher, mein Sohn.
Dein Rat ist gut, Gott schenk' ihm Gedeihn,
Und kommen wir mit dem Leben davon,
So soll dir's nicht vergessen sein.
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Was aber sprecht ihr, ihr andern acht?
Sagt ja, sagt nein, ich laß es geschehn.«
Da sprachen sieben: »Wie's kommen mag,
Wir wollen zu unserm Vater stehn.«
»Habt Dank, habt Dank, meine Kinder brav,
Unser sächsisch Blut, ihr haltet es rein,
Und ob ich leben, ob sterben mag,
Eures Vaters Segen soll mit euch sein.
Doch was sagst du, Franz Norton, mein Sohn,
Mein Ältester du und mein Erbe dazu!
Ich seh' was brüten in deiner Brust;
Deine Brüder sprachen, so sprich auch du.«
»Und soll ich sprechen, lieb Vater mein:
Dein Bart ist grau, dein Haupt ist weiß;
Setz' nicht an faulen, schimpflichen Kampf
Deiner siebzig Jahre ehrlichen Preis.«
»Halt ein, Franz Norton! der Schimpf ist dein!
Mein Sohn, mein Sohn, wer hat dich betört?
Als Kind auf deines Vaters Knien,
Da hab' ich dich andre Sprache gelehrt.« –
Der Alte rief's. – Vor Tagesschein
Brachen sie auf mit Mann und Roß,
Und ehe die Sonne in Mittag stand,
Hielten sie schon vor des Percy Schloß.
Bald auch die Nevils kamen heran,
Die stolzen Grafen von Westmorland,
Und – eh' die Sonne zu Rüste ging,
Sie dreizehntausend beisammen fand.
Das Nevil-Banner, zum ersten dann
Im Morgenwinde ward es entrollt;
[319]
Sein Zeichen war ein silberner Stier,
Der trug eine blinkende Kette von Gold.
Die Percys ließen zum zweiten dann
Ihren schimmernden Halbmond flattern und wehn;
Die Nortons aber führten ein Kreuz,
Dran waren die Wunden des Heilands zu sehn.
Sie zogen ins Feld, und sie jagten wie Spreu
Der Königin Volk übers Clifford-Moor;
Siebenhundert retteten sich aufs Schloß –
Bald aber lagen die Grafen davor.
Sie griffen an am kommenden Tag,
Und am dritten Tage da glückte der Sturm:
Die Percys nahmen den Felsenwall,
Die Nortons nahmen den Backsteinturm.
Ihre Banner wehten von Schloß zu Schloß,
Bleicher Schrecken lief gen London hin,
Da aber ward der Schrecken zu Wut
Im Herzen unsrer Königin.
Sie rief: »Wohlan denn, Blut um Blut!
Sie sollen ernten, was sie gesät,
Und das Beil mag beugen ihren Kopf,
Der so trotzig auf ihren Hälsen steht.«
Sie musterte dreißigtausend Mann,
Die führte der höfische Warwick-Graf,
Und am elften Tag, am Humber-Strom,
Da war es, wo er die Grafen traf.
Er rief hinüber, voll Spott und Hohn:
»Nun Nevil-Stier, stürm' an in Wut,
Nun Percy-Mond, geh' auf, geh' auf,
Nun Norton, sieh, was dein Heiland tut.«
[320]
Der Nevil-Stier und das Norton-Kreuz,
Wohl täten sie hoch in Lüften wehn,
Der Percy-Mond, wohl ging er auf,
Doch er ging nur auf, um unterzugehn.
Graf Percy floh gen Schottland hin,
Graf Nevil floh weit über die See,
Die Nortons aber wollten nicht fliehn,
Sprach jeder: »Ich falle, wo ich steh'.«
Sie fielen nicht, nicht Vater, nicht Sohn,
Und litten doch alle blutigen Tod;
Vergebens war seine Locke so weiß,
Vergebens war ihre Wange so rot.
Sie fielen nicht auf ehrlichem Feld,
Sie fielen, wo der Drei-Baum stand;
Der Würger ging von Tür zu Tür,
Und ein Schrei ging über Northumberland.

2. Percys Tod

»Mein Dach ist der Himmel seit manchem Tag,
Mein Lager zur Nacht des Waldes Streu:
Zu William Douglas will ich gehn,
Sein Schloß ist fest, sein Herz ist treu.
Als einst er floh, wie jetzt ich flieh',
Da fand er Schutz am Herde mein:
Die Douglas waren immer treu,
Auch William Douglas muß es sein.«
Graf Percy spricht's. Sein müdes Roß,
Er treibt es an mit Sporn und Schlag;
Er reitet gen Lochleven-Schloß
Und hält davor am dritten Tag.
[321]
Die Brücke rasselt niederwärts,
Graf Percy tritt zur Hall' hinein;
Graf Douglas spricht: »Willkomm, willkomm!«
Und reicht ihm Hand und reicht ihm Wein.
Es geht der Tag, die Monde gehn;
Am Fenster rüttelt Herbsteswind,
Des Percy Herz wird bang und schwer,
Er denkt an Weib und denkt an Kind.
Graf Douglas sitzt zu Seiten ihm
Und ruft ihm zu: »Was trübt dich so?
Wir fahren morgen über See,
Lord Murray jagt bei Linlithgow.
Und bist du krank, so heil' dein Herz
Durch grünen Wald und raschen Ritt;
Zudem, ich gab dem Lord mein Wort,
Du wärst dabei, du jagtest mit.«
Der Douglas spricht's. Graf Percy drauf:
»Du gabst dein Wort, – ich bin bereit!
Und ritt'st du bis zum heil'gen Grab,
Ich ritte mit an deiner Seit'.«
Er spricht's und reicht ihm rasch die Hand;
Rot wird des Douglas bleich Gesicht,
Er senkt sein Aug' und geht hinaus.
Maria Douglas aber spricht:
»Hab acht! mein Bruder spinnt Verrat;
Unstet seit lang' sein Auge rollt;
Das macht, er hat verkauft die Treu',
Verkauft um englisch Sündengold.
Er führt dich nicht nach Linlithgow,
Er führt dich, wo Schloß Berwick ragt;
[322]
Nach England geht's; wohl gibt es Jagd,
Du bist es selbst, auf den man jagt.
Bleib hier und sprich: ›du seiest krank!‹
So helf mit Gott ich dir hindurch
Und führ' dich, auf verborgnem Pfad,
Durch Wald und Nacht nach Edinburg.
Und bring' dich zu Lord Hamilton,
Das ist ein echter Schotten-Lord,
Der ließ wohl lieber Land und Leib,
Als daß er ließ von seinem Wort.«
Graf Percy hört's, sein Aug' wird feucht,
Er spricht: »Schwer trifft mich Gottes Hand,
So vielen Freunden bracht' ich Tod,
Dem letzten bring' ich Schimpf und Schand'.
Ich hab' gedacht: es sei vorbei,
Und hab' gedacht: das Maß sei voll;
Weh mir, daß Schlimmres nun als Tod
Auf Freundes Haupt ich laden soll.
Die Treue bring' ich in Verdacht,
Sie sei nicht treu, sei falsches Spiel;
Ich trage Fluch in jedes Haus –
Es ist zuviel, es ist zuviel.
Und sprichst du auch: Hab acht, hab acht!
Ich sprech' doch nur: Halt ein, halt ein!
Die Douglas waren immer treu,
Auch William Douglas muß es sein.«
Graf Percy spricht's. Die Lady drauf:
»Und schätzest du mein Wort gering,
Komm mit mir an den Leven-See,
Und schau hinein durch diesen Ring.
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Den Ring mir meine Mutter gab,
Die konnte Wind und Wald verstehn,
Und blickst du auf des Sees Grund,
So wirst du deine Zukunft sehn.
Komm mit, komm mit! und willst du nicht,
Und glaubst du nicht, Gefahr sei nah,
So gib mir deinen Diener mit,
Der mag dir sagen, was er sah.«
James Swinnard mit der Lady ging,
Sie kamen an den Leven-See;
James Swinnard spricht: »Das sind von York
Die Türme, die ich drunten seh'!
Doch, Lady, sprich, auf offnem Platz
Was soll von Brettern das Gerüst?«
»Das ist der Altar, drauf dein Herr
Zum letzten Mal den Heiland küßt.«
»Und, Lady, sprich, wer steht dabei,
Gehüllt in Mantel, schwarz und dicht?«
»Das ist von York der Lord-Wardein,
Der deinem Herrn das Stäbchen bricht.«
»Und, Lady, sprich, wer steht dabei,
Gehüllt in Mantel, rot wie Blut?«
»Das ist von York der Meister Hans,
Der deinem Herrn das Letzte tut.«
James Swinnard trat vor seinen Herrn,
Er sah ihn an und weinte laut;
Er sprach: »Bleib hier, mein teurer Lord,
Ich hab' nichts Gutes da geschaut.«
Er schwieg. Graf Percy aber schnell:
»Und kostet's Leben mir und Leib,
[324]
Ich bau' auf Mann und Manneswort
Und nicht auf Spuk und Zauberweib.
Und wär's kein Spuk und würd' es wahr,
Ich spräche doch: 's ist Trug und Schein,
Die Douglas waren immer treu,
Auch William Douglas muß es sein.«
Der Morgen kam, der Wind war gut,
Die Pfeife rief: an Bord, an Bord!
Man stieg zu Schiff – James Swinnard auch,
Der ließ kein Aug' von seinem Lord.
Und Douglas rief: »Setzt Segel bei,
Kein Handbreit Linnen sei gespart!«
Hell lag die Sonn' auf Land und Meer,
Und rasch gen Süden ging die Fahrt.
Sie fuhren fünfzig Meilen schon,
Der Percy aber ward's nicht froh,
Er sprach: »James Swinnard, frag' den Lord,
Wie weit es noch bis Linlithgow.«
James Swinnard vor Lord Douglas trat;
Der lacht und spricht: »Wir sind noch fern!
Ein Narr, wer schönen Worten traut,
Und nun empfiehl mich deinem Herrn.«
Und wieder fünfzig Meilen ging's,
Rings offne See, kein Land zu sehn,
Da trat Graf Percy selbst heran:
»Douglas, sag' an, was soll geschehn!«
Der lacht und spricht: »Setz' dich zu Roß
Und spring' ins Meer und such' dein Glück,
Und willst du noch nach Linlithgow,
So reit' den halben Weg zurück.«
[325]
Und wieder fünfzig Meilen ging's –
Da blinkt's wie Türme über See,
Graf Percy spricht: »Nun helf' mir Gott,
Das ist Stadt Berwick, was ich seh'!«
Sie legten an bei Abendschein,
Frühmorgens hat er fortgemüßt.
Und als der dritte Morgen kam,
Stand er in York am Blutgerüst.
Er stieg die Stufen fest hinan,
Das blanke Beil, er sah es nicht,
Sein Auge schweifte rings umher
Und traf des Douglas bleich Gesicht.
Noch einmal klang's ihm durch das Herz,
Und bitter lächelnd schaut' er drein:
»Die Douglas waren immer treu,
Auch William Douglas muß es sein.«
Dann ließ er nieder sich aufs Knie
Und gab das Zeichen mit der Hand;
Ab flog sein Haupt: – das war das End'
Des Percy von Northumberland.

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TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Der Aufstand in Northumberland. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AF77-7