[174] Scheidelieder

(Zu Melodien.)

1.

Im Winde kommt ein scharfer Ton,
Die wilden Schwäne wandern schon,
Die schöne Zeit geht scheiden;
Du hast mich sommerlang geküßt,
Nun steht nach anderm dein Gelüst,
Wie sollt' ich's dir verleiden!
Am Berge liegt ein weißer Streif,
So fiel auf deine Lieb' ein Reif,
Heißt: Überdruß und Reue;
In Windeswirbeln fliegt der Staub,
Es bricht der Ast, es stiebt das Laub,
Warum nicht deine Treue?
Fahr hin, ich weiß nun, wie du liebst;
Ein Herz, das du nur halb vergibst,
Das gönn' ich jedem andern.
Fahr hin! Dein Weinen dünkt mich Hohn.
Die wilden Schwäne wandern schon,
Und ich, auch ich will wandern.

2.

Durch die wüste, weite Heide
Trägt mein Roß mit meinem Leide
Matt mich fort, der Abend graut.
Über mir die Wolken schweifen,
Und der Wind mit hohlem Pfeifen
Wandert durch das Heidekraut.
Wo ich nur zu gern geblieben,
Hat mein Dämon mich vertrieben,
Ach, vom Glücke war ich blind;
Und nun muß ich wieder fliehen
Rastlos, wie die Wolken ziehen,
Heimatlos, ach, wie der Wind.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Scheidelieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B9B5-C