Festlieder

1.

Zur Schinkelsfeier.


Wenn beim Wein die Herzen klopfen
Und das Fest zum Liede drängt,
Ziemt sich's, daß die ersten Tropfen
Man den großen Toten sprengt.
Leuchtend waltet ihr Gedächtnis
Über uns, Gestirnen gleich;
Und in ihrer Kraft Vermächtnis
Fühlen wir uns froh und reich.
Und so soll in unsern Weisen
Heut gerühmt der Meister sein,
Den die Steine müßten preisen,
Würden Menschenzungen Stein;
Der, vom hundertjähr'gen Drucke
Welscher Mißkunst unberührt,
Siegreich aus erlerntem Schmucke
Uns zum ew'gen Maß geführt.
Denn zur Schönheit ging sein Sehnen
Wie mit Flügelschlag empor,
Und die Schwäne der Hellenen
Sangen um sein junges Ohr,
Bis er, ganz dahingegeben
Seiner Heimat heil'gem Ruf,
Deutscher Kunst und deutschem Leben
Neuer Formen Fülle schuf.
[325]
Was vollendet und beschlossen
Reich in seinem Geist schon lag,
Ach, nicht alles durft' es sprossen
Unter seiner Hand zu Tag;
Ach, vom Feuerhauch der Musen
Ward er allzufrüh entrafft;
Doch in seiner Jünger Busen
Webt ein Odem seiner Kraft.
Klingt denn an und nennt den Namen
Und bei ihm beschwört es heut,
Treu zu pflegen jenen Samen,
Den er segnend ausgestreut,
Bis zur wundervollen Blume
Ihr den Keim entfaltet schaut,
Bis ihr, eurem Volk zum Ruhme,
Deutschem Geist das Haus erbaut.

2.

Zur Eröffnungsfeier der Universität Straßburg.


Stimmet an den Preisgesang,
Unser Fest zu krönen!
Hell, wie Gottfrieds Harfe klang,
Laßt ihn heut ertönen;
Denn die Stund' ist hochgeweiht,
Da sich alt' und neue Zeit
Wundervoll versöhnen.
Der mit heil'gem Brausen zieht
Ob des Rheines Gründen,
Was sich lang entfremdet mied,
Will der Geist verbünden;
Aus der Vorzeit Mark genährt,
Will er auf dem alten Herd
Junge Flammen zünden.
[326]
Preis dem großen Vaterland,
Dessen Hauch wir spüren,
Dem wir schwören Hand in Hand,
Diese Glut zu schüren!
Preis der Schwester deutscher Kraft,
Preis der freien Wissenschaft,
Deren Bau wir führen!
Gleich dem Münster dort am Strom
Wolkenwärts gewendet,
Steigt ins Blau ihr Riesendom
Ewig unvollendet.
Jeder soll willkommen sein,
Der nur einen Quaderstein
Uns zum Werke spendet.
Wenn sich dumpfen Sinns die Welt
Abmüht am Erwerbe,
Sind zu Hütern wir bestellt
Für der Menschheit Erbe,
Daß, was geistgeboren ist,
Nicht verkomm' in dieser Frist,
Noch das Schöne sterbe;
Daß sich Glaub' entfalt' und Recht
Frei von dumpfer Schranke,
Von Geschlecht sich zu Geschlecht
Überliefrung ranke,
Daß Natur ihr ernst Gesicht
Uns enthüll' und kühn ins Licht
Steure der Gedanke.
Aber wo sein freies Reich
Man umstellt mit Netzen,
Ihn verfemtem Wilde gleich
In den Tod zu hetzen:
Da wohlauf, Studentenmut,
Für der Wahrheit heilig Gut
Alles einzusetzen!
[327]
Schlag im Flug denn sonnenan,
Deutscher Geist, die Schwinge!
Wider Stumpfsinn, Lug und Wahn
Blitzgewaffnet ringe,
Daß in solchem Rittertum
Dein und Straßburgs alter Ruhm
Glorreich sich verjünge!

3.

Zur Begrüßung der aus Frankreich heimkehrenden Truppen.


Heil euch im Siegerkranz
Streiter des Vaterlands!
Gott war mit euch.
Glorreich in Wacht und Schlacht
Bracht ihr des Erbfeinds Macht,
Halft in verjüngter Pracht
Bauen das Reich.
Einig in Süd und Nord
Stehn wir getrost hinfort
Jeder Gefahr;
Schirmende Flügel spannt
Wieder vom Ordensland
Bis an der Mosel Strand,
Kaiser, dein Aar.
Blühe, du deutsches Reich,
Wachse der Eiche gleich
Markig und hehr!
Friede beglücke dich,
Freiheit erquicke dich,
Herrlichkeit schmücke dich
Vom Fels zum Meer.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Festlieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C116-8