[179] [181]Der Buchstabe Lam.

1.

Wird es einst mir möglich werden
Zu betreten deinen Gau,
Wird das Glück bei dir zu weilen
Erst begründen meinen Bau.
Die zwei schönen Hyacinthen
Trugen meine Ruhe fort,
Die geschminkten zwei Narcissen
Stahlen mir des Gleichmuth's Hort.
Da der Wetzstein deiner Liebe
Mir das Herz geglättet hat,
Lässt der Rost der Unglücksfälle
Es gewiss auch rein und glatt.
Ich, der elende Gebroch'ne
Leb' in dem Momente auf.
Wo du mit des Grames Schwerte
Endest meinen Lebenslauf.
Was verbrach, o Herz und Seele,
Ich von deiner Majestät,
Dass du dieses Herzberaubten
Huldigungen hast verschmäht?
Da an deinem Thor mir Armem,
Der so gold- als kraftlos ist,
Sich kein Ausgangsweg eröffnet
Und kein Eingangsweg erschliesst,
Sprich, wo soll ich hin mich wenden,
Helfen mir auf welche Art,
Da die Leiden des Geschickes
Mich verfolgen grausam hart?
[181][183]
Keinen Ort, der wüster wäre
Als mein Inn'res, fand der Gram,
Drum er auch zum Absteigsorte
Mein beklomm'nes Herz sich nahm.
Füge dich in Liebesleiden;
Dann verstumme, o Hafis,
Und verberge dem Verstande
Was verhüllt die Liebe liess.

[183] [185]2.

Ich schäme mich, dass ich dem Weine
Zur Zeit der Rosen hab' entsagt;
Mög' Niemand sich zu schämen haben
Weil Unrecht er zu thun gewagt!
Als Fallstrick auf der Bahn der Liebe
Erweiset meine Tugend sich,
Drum schäm' ich vor dem holden Schenken
In keinem Anbetrachte mich.
Des Blut's, das gestern Nachts geflossen
Aus meines Auges kleinem Haus,
Muss ich mich vor den Träumen schämen,
Die wandeln durch der Nächte Graus.
Weit schöner als die Sonne bist du.
Und Dank sei Gott gezollt dafür
Dass ich im Angesicht der Sonne
Mich nimmer schämen darf vor dir.
Es wird vielleicht der Freund aus Milde
Nicht fragen ob gesündigt ich:
Denn es betrübte mich die Frage,
Und einer Antwort schämt' ich mich.
Nie wandte ich im ganzen Leben
Von deiner Schwelle mein Gesicht.
Und schäme mich, durch Gottes Gnade.
Vor dieser Schwelle' sicher nicht.
Warum wohl unter deiner Lippe
So gifterfüllt der Becher lacht?
Weil deine Lippe, gleich Rubinen,
Den Rebensaft sich schämen macht.
Wohl hält die trunkene Narcisse
Mit vollem Grund gesenkt das Haupt:
Vor jenem vorwurfsvollen Auge
Ist sich zu schämen ihr erlaubt.
[185][187]
Es hüllet in des Dunkels Schleier
Sich stets nur desshalb Chiser's Quell,
Weil er sich vor Hafisen schämet,
Und diesem Lied, wie Wasser hell.
Es birgt im Schleier einer Muschel
Die Perle desshalb ihr Gesicht,
Weil sie sich vor den Perlen schämet
Die mir erglänzen im Gedicht.

[187] [189]3.

O du, mit Wangen, schön wie Eden,
Und Lippen gleich dem Sēlsěbīl!
Der Sēlsěbīl setzt dir zu Liebe
So Herz als Seele auf das Spiel.
Der junge Flaum um deine Lippe,
Gehüllt in grünliches Gewand,
Ist einer Schaar von Ämsen ähnlich
Rings um des Sēlsěbīles Rand.
O kühle, Herr, das helle Feuer
Das stets die Seele mir durchwühlt,
Auf gleiche Art wie du für Jenen
Den Freund du nanntest, es gekühlt!
Ich finde nicht in mir, o Freunde,
Die Kraft um Ihm zu widersteh'n,
Denn Er ist im Besitz von Reizen
Die reizender man nie geseh'n.
Lahm ist mein Fuss und von dem Ziele
Trennt mich ein himmelweiter Raum;
Kurz ist mein Arm und lockend winket
Die Dattel auf dem Dattelbaum.
Die Pfeile deines Auges haben
Bereits in jedem Winkel dir
Wohl hundert Leichen schon geopfert,
Die alle fielen, ähnlich mir.
Hafis der, durch die Macht der Liebe
Zum holden Liebling, ward besiegt,
Gleicht einer Ämse die zu Füssen
Des mächt'gen Elephanten liegt.
Dem Könige der Welt sei Dauer,
Glück und Zufriedenheit beschert:
Sammt allen Gütern dieser Gattung,
Die er sich wünschet und begehrt!

[189] [191]4.

Wanderern genügt die Liebe
Auf dem Pfad' als Führerin;
Nur das Wasser meines Auges
Leitete mich zu Ihm hin.
Kömmt die Welle meiner Thränen
Wohl bei Jenem in Betracht,
Der auf der Erschlag'nen Blute
Seine Schiffe segeln macht?
Nicht aus freier Wahl geschah es
Wenn mein guter Name litt:
Es verlockte mich zur Liebe
Wer als Führer vor mir schritt.
Wirf der Götzen Wangenfeuer
Doch nicht selber auf dich hin,
Oder schreite durch die Gluthen
Wie Chălīl, mit frohem Sinn.
Bau' entweder auf dich selber,
– Doch das Ziel verfehl'st du dann –
Oder wage ohne Führer
Keinen Schritt auf dieser Bahn.
Durch den Zeitraum vieler Jahre
Sinn ich jenem Verse nach
Den ein Elephantenwärter
Einst am Nilesufer sprach:
»Nimm des Elephantenwärters
Sitten und Gebräuche an,
Oder hole Elephanten
Nimmermehr aus Hindostan.«
Male dir das Blau der Liebe
Nimmer auf die Wange hin,
Oder lass das Kleid der Tugend
Mit dem Nile weiter zieh'n.
[191][193]
Lade ohne Wein und Sänger
In das Paradies mich nicht:
Nur im Wein find' ich die Wonne
Die dem Sēlsěbīl gebricht.
Wenn du Sinniges besitzest,
Schaff' es, o Hafis, herbei:
Was du sonst noch magst behaupten,
Ist nur eitle Schwätzerei.

[193] [195]5.

Ein Wind der frohen Kunde
Bist, kühler Nordhauch, du!
Du führest des Genusses
Erwünschte Zeit mir zu.
O Bote Ihres Hauses,
Gott sei dir Schutz und Wehr'!
Willkommen denn, willkommen,
O eile, eile her!
Wie lebt Sělmă und Jeder
Der Su Sělēm bewohnt?
Wie steht's um uns're Nachbarn,
Hat sie das Loos verschont?
Ganz leer von Zechgenossen
Blieb des Gelages Saal;
So blieb auch ausgeleeret
Der volle Weinpocal.
Es wurde zur Ruine
Das erst so feste Haus:
Befragt die wüste Stätte.
Wie jetzt es sehe aus?
Auch warf nun finst're Schatten
Der Trennung grause Nacht:
Was wohl die nächt'gen Wand'rer
Für Spiele ausgedacht?
Das Mährchen von der Liebe
Währt ohne Abschnitt fort,
Und die beredt'ste Zunge
Verstummt an diesem Ort.
Auf keinen Menschen blicket
Mein Türke; – und darum
Weh über solche Grösse
Und solchen Stolz und Ruhm!
[195][197]
In Schönheit der Vollendung
Erstrebtest du dein Glück:
Gott möge von dir wenden
Kjěmāl's verhassten Blick!
Liebst du, Hafis, noch länger
Mit so geduld'gem Sinn?
Doch schön sind Liebesklagen,
Drum klage immerhin!

[197] [199]6.

Der du durch Wuchs und Reize
Das Herz entwendet mir!
Du kümmerst dich um Keinen,
Und Alle huld'gen dir.
Bald deinen Pfeil, bald Seufzer
Zieh' aus dem Herzen ich:
Wie sag' ich dir, o Seele,
Was ich schon litt um dich?
Beschrieb' ich Nebenbuhlern
Die Lippen von Rubin?
Frommt nimmer doch den Thoren
Ein schön gefärbter Sinn.
Es mehrt sich deine Schönheit
So oft es wieder tagt,
Drum sich, dir gegenüber,
Der Mond hervor nicht wagt.
Du nahmst das Herz, ich gebe
Auch noch die Seele dir;
Hab' Gram's genug: was schick'st du
Den Gram als Zöllner mir?
Hăfīs, weil du betreten
Der Liebe Heiligthum,
So fasse Ihn beim Saume,
Entsagend Allem drum.

[199] [201]7.

Beim Zauber deines Aug's,
Du Püppchen, das entzückt,
Beim Räthsel deines Flaum's,
Du Wunder, das beglückt;
Bei deinem süssen Mund,
Du meines Lebens Quell,
Bei deinem Schmelz und Duft,
Du Frühling schön und hell;
Beim Staube deiner Bahn,
Der Hoffnung Schattendach,
Bei deiner Füsse Staub,
Beneidet selbst vom Bach;
Beim anmuthvollen Gang,
Der Repphuhnsschritten gleicht,
Beim Blicke, dem der Blick
Selbst der Gaselle weicht;
Bei deines Odems Hauch,
Beim süssen Morgenduft,
Bei deiner Locke Weh'n,
Bei kühler Abendluft;
Bei jenem Onix, der
Mein Augensiegel heisst,
Bei jener Perle, die
Dein Redekästchen weist;
Bei jenem Wangenblatt,
Des Geistes Rosenbeet,
Und jenes Blickes Flur
Wo sich mein Wahn ergeht
Schwört dir Hafis, er wird,
Willst du Gehör ihm leih'n,
Dir nicht nur Hab' und Gut,
Nein, selbst das Leben weih'n.

[201] [203]8.

Du Weltmonarch, du Glaubenshilfe,
Du Fürst, vollendet ganz und gar,
Jăhjā Sohn Mūsăffēr's, du König,
Gerecht und thätig immerdar!
Du, dessen Thron der wahre Glaube
Zur Zufluchtsstätte sich erkohr,
Weil er der Welt das Seelenfenster
Erschlossen und das Herzensthor,
Es schulden dir Verstand und Seele
Der innigsten Verehrung Schuld,
Und über Zeit und über Räume
Ergiesst sich deine hohe Huld.
Ein schwarzer Tropfen deines Rohres
Fiel schon von aller Ewigkeit
Hin auf das Angesicht des Mondes
Und löste aller Fragen Streit;
Und als die Sonne dann erblickte
Das schwarze Maal, sprach sie zu sich:
»O fügte es doch Gott, und wäre
Der glückbetheilte Inder ich!«
Der Himmel hüpft und tanzt, o König,
Blickt er auf dein Gelage hin:
Drum wolle du die Hand der Freude
Dem Saum des Jubels nicht entzieh'n!
Verschenk beim Weingenuss die Erde,
Da deine Locke immerdar
Um jedes Übelwollers Nacken
Als Kette fest geschlungen war.
Es kreist der Himmel unablässig
Auf des gerechten Handelns Bahn;
Glückauf! Wer Ungerechtes übet
Kömmt nimmermehr am Ziele an.
Hafis, am Thor des Weltmonarchen
Ist's, wo die Nahrung man vertheilt:
Drum werde von der eitlen Sorge
Für deinen Unterhalt geheilt!

[203] [205]9.

Der Liebe Duft hab' ich gerochen,
Und des Genusses Blitz geseh'n:
Komm, kühler Nord, und lass vor Wonne
Bei deinem Wohlduft mich vergeh'n!
Du Führer von des Freund's Kamehlen
Halt' an und komm in's Standquartier,
Denn die Geduld, die schöne, mangelt
Aus Sehnsucht nach der Schönheit mir!
Lass, o mein Herz, die Klage fallen,
Die dir der Trennung Nacht erpresst,
Zum Dank', dass des Genusses Morgen
Den Vorhang wieder steigen lässt;
Und weil der Freund den Frieden wünschet
Und die Vergebung will erfleh'n,
Kann man die Pein des Nebenbuhlers
In jeder Lage überseh'n.
Komm, denn den Vorhang meines Auges,
Wie Rosen roth und siebenfach,
Benützte ich um auszuschmücken
Der Wahngebilde Werkgemach.
Mir wohnt in dem beengten Herzen
Das Wahnbild deines Mundes nur;
O folgte Niemand doch, mir ähnlich,
Der Wahngebilde eitler Spur!
Betrübt, und zwar aus gutem Grunde,
Bin ob des Seelenfreundes ich:
Betrübt ja sonst ob seiner Seele
Kein Sterblicher mit Vorsatz sich.
Ermordet liegt, durch deine Liebe,
Hafis, der Fremdling, hier; allein
Kömmst du vorbei an meinem Grabe,
So soll mein Blut gerecht dir sein!

[205] [207]10.

Auf alles, was ich Zartes sagte
Zu jener Reize Preise,
Erwiederte, wer es vernommen:
»Gott lohn's auf jede Weise!«
Ich sprach: »Wann wird die schwache Seele
Erbarmen bei dir finden?«
Er sprach: »Wann einst die Scheidewände
Der Seelen werden schwinden.«
Die Liebe und die Kunst des Zechens,
Die Anfangs leicht geschienen,
Verbrannten endlich meine Seele,
Die heiss gestrebt nach ihnen.
Man hört vom Dache eines Hauses
Den Wollekrämpler singen;
Erkundigt Euch beim Schafiiten
Doch nicht nach solchen Dingen!
Ein Freund, ein Schelm, ein holder, zarter
War's, dem das Herz ich weihte.
Und der gar schöner inn'rer Gaben
Und äuss'rer sich erfreute.
Ich war, wie dein berauschtes Auge,
In Winkeln nur zu schauen;
Nun neig' ich mich zu den Berauschten,
Gleich deinen eig'nen Brauen.
Die Sündfluth hab' ich hundert Male
Im Augennass gefunden,
Doch ohne dass vom Blatt des Busens
Dein Bildniss wär' verschwunden.
Mir wehret, ach, der Herzensräuber
Die Gunst zu ihm zu kommen,
So sehr dazu von allen Seiten
Ich Anlass auch genommen!
O Freund, es schützt die Hand Hafisens
Vor Blicken, die verwunden:
Wann wird sie, Herr, um deinen Nacken
Als Amulet gebunden?

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TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Lam. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-27FB-A