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Da liegt vor mir dein unglücksel'ger Brief,
Und weder Rat noch Hilfe seh ich winken;
Schwer ist das Aufstehn wohl nach solchem Sinken,
Du aber, Freund, du sankest fast zu tief!
Der Lenz, der dich von Blum' zu Blume rief,
Erloschen ist jetzt seiner Sonne Blinken;
Den du so sinnlos hastig mußtest trinken,
Siehst du, was auf des Bechers Grunde schlief?
Ich aber steh in Ohnmacht, in der Ferne,
Und fluch der Kraft, die dich von mir getrieben,
Die nur zu wirren weiß und nie zu lösen.
Am Ende preis ich meine dürft'gen Sterne:
Im Guten träge und zu blöd im Bösen,
Bin ich ein stilles Kind im Land geblieben!

Notizen
Entstanden wahrscheinlich 1846 unter dem Titel »An einen Dritten«. Für die Sammlung »Gedichte« (1846) ausgeschieden.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. 3. [Da liegt vor mir dein unglücksel'ger Brief]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9EB3-E