376. Weiße Pferde.

1.

Einmal hatte ein Bauer in Lägerdorf ein wunderbares weißes Pferd. Es war sonst ein zahmes, ruhiges Tier, ein tüchtiger Arbeiter und der Bauer hielt viel darauf. Aber im Anfang konnte er doch gar nicht klug daraus werden. Jedesmal mittags um zwölf Uhr ließ es sich auf keine Weise vor dem Pfluge, dem Wagen oder im Stalle halten; es zerriß Stränge und Stricke und rumorte so lange, bis es frei kam, und sprengte[251] dann wiehernd davon, und zwar jedesmal der Lägerdorfer Tannenkoppel zu. Hier rannte es immer auf einer Stelle im Holze mit unglaublicher Schnelligkeit eine Stunde lang im Kreise rund herum, bis es endlich atemlos und schweißtriefend stille stand. Dann verschnaufte es sich und ging darnach ruhig wieder nach Hause, als wenn nichts vorgefallen. Man ließ das Tier gewähren, aber niemand wußte seine sonderbare Eigenschaft zu erklären. Ein Junge war endlich tollkühn genug, sich auf das Pferd zu setzen und den Ritt in der Tannenkoppel mitzumachen, wobei ihm Hören und Sehen verging. Er behauptete aber, daß sich ein altes häßliches Weib vor ihm auf den Hals des Pferdes gesetzt und immer Hopp! Hopp! gerufen und da durch das Pferd angetrieben hätte. Das alte Weib sei auch die ganze Zeit in der Tannenkoppel auf dem Pferde gewesen. Die meisten Leute leugneten das, aber einige andre wollen das Weib auch dort gesehen haben.


Durch Herrn Ketelsen auf Breitenburg. Vgl. Nr. 153. – In einem Hause in Malkwitz, wo früher ein Räuber gewohnt hatte, rumorte es jede Nacht, und oft ist ein Schimmel in der Bodenluke gesehen worden und andrer Hokuspokus mehr.

2.

Daß es beim Sulstorfer Galgenberg an der Landstraße von Oldenburg nach Heiligenhafen nicht immer ganz richtig ist, hat schon mancher bei Nacht erfahren müssen. In alten Zeiten ging einmal spät abends ein Mann von Heiligenhafen nach Oldenburg. Er dachte so bei sich selbst: »Wenn du nur ein Pferd zu fassen hättest, so wolltest du bald nach Oldenburg kommen.« Als er nun in der Gegend des Galgenbergs war, bemerkte er in der Dämmerung der Nacht einen alten Schimmel, der sich zu ihm gesellte und nicht von seiner Seite wich. »Du kommst mir eben recht«, dachte der Mann, faßte den Schimmel, der das auch schon erwartet zu haben schien, und schwang sich hinauf und trabte davon. Aber schon nach ein paar Schritten fing der Schimmel unter ihm an immer größer und größer zu werden, und wäre der Reiter nicht herabgesprungen, der Schimmel wäre mit ihm wer weiß wohin gegangen. Denn der Schimmel, das war der Teufel selber.


Aus Oldenburg durch Herrn Schullehrer Kruse in Eutin. – Vgl. Nr. 374.


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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. 376. Weiße Pferde. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4D77-A