Heimatklänge

Frühling

Zu meinen Füßen im welken Laub
und mir zu Häupten singt der Wind
in den knospenden Buchenkronen.
blühen die Anemonen,
[147]
Ist das ein strahlender Sonnenschein –
ist das ein wonniges Wetter!
Es rauschen unter meinem Fuß
die abgestorbenen Blätter . . .
Das ist der lachende Frühlingswind,
der kommt aus dem sonnigen Süden
und grüßt von der blauen Adria
die Wellen, die wintermüden.
Das ist der lachende Frühlingswind,
der wandert weiter am Strande
und küßt noch heute ein einsam Grab
im nordischen Nebellande.
Auch in den düstern Tannenwald
zieht singend König Frühling ein:
die jungen Knospen lockt er bald,
die glühn wie Blut im Sonnenschein.
Durch die wogende Brust des Waldes geht
ein Atemholen tief und stark –
ein Baum nur trauernd seitwärts steht,
den traf der Frost bis tief ins Mark . . .

Mainacht

So geh ich einsam wieder meine Bahnen
im gleichen Schritt im kalten Dämmerlicht,
und selten treibt ein stummes Liebesahnen
das Blut mir noch ins bleiche Angesicht.
[148]
Das ist, wenn traumesselig in der holden
Frühsommerzeit das Herz der Erde klopft,
wenn langsam durch die blauen Fliederdolden
auf meine Stirn der Nachttau niedertropft.
Dann geht ein Raunen in den Dornenhagen,
um die das Mondlicht goldne Schleier webt,
daß, süß erschreckt von ahnungsbangen Fragen,
ihr junges Haupt die Rosenknospe hebt –
Dann schwillt empor aus dunklen Rätseltiefen
der Nacht ein Hauch und löst den Zauberbann
und rührt, die lange, lange klanglos schliefen,
die Saiten meiner Seele tönend an . . .

Fruchthauch

Ich liebe dich, du weicher Wind,
der schmeichelnd meine Stirn umfängt,
der mir erstorbenen Sommerglücks
Fruchtkeime in die Seele senkt . . .

Herbst

Ueber den brennenden Meeressand
sind wir beide geschritten,
als mir dein trotziger Mund gestand,
was du erlebt und erlitten.
Weithin lachender Sonnenschein,
duftverschleierte Fluren . . .
sahen denn unsere Augen allein
rings des Verderbens Spuren?
[149]
Welk am Stengel, duftlos und matt,
hing die Rose, die süße;
ein vertrocknetes Lindenblatt
warf uns der Wind vor die Füße.
Glanzumflossen und ohne Schmerz
nahte des Sommers Scheiden –
du nur, zuckendes Menschenherz,
du mußt leiden, mußt leiden! –
Seine Blüte hat jeder Strauch,
Früchte der Baum getragen –
du nur, ringender Menschengeist,
mußt entsagen – entsagen!
Ueber den brennenden Meeressand
sind wir beide geschritten,
als mir dein trotziger Mund gestand,
wie du geliebt und gelitten.

Träume nur, Seele ...

In den verdämmernden Herbsttag hinein
zauberst du lachenden Sonnenschein,
und aus der Blätter vergilbendem Flor
blühen dir duftige Veilchen empor,
träumende Seele –
Tönt denn der Glocken dumpfhallender Klang
dir wie ein schmetternder Lerchengesang?
Siehst du der Erde verweintes Gesicht,
fühlst du die eisigen Nebel denn nicht,
träumende Seele? –
[150]
Träume nur, träume . . . der Frühling ist weit;
Rosen hat's nimmer im Winter geschneit –
dumpf nur und klagend, verweht vom Nordwest,
läuten die Glocken zum Totenfest.
Träume nur, Seele . . .

Frost

Vom Meer heran braust schwirrend
ein schneidender Nordnordost,
durch öde Straßen klirrend
schreitet der scharfe Frost.
Im Schnee verloren die Pfade
und Tür und Tor verweht –
nur daß der Stern der Gnade
noch leuchtend am Himmel steht!

Eisnacht

Wie in Seide ein Königskind
schläft die Erde in lauter Schnee,
blauer Mondscheinzauber spinnt
schimmernd über der See.
Aus den Wassern der Rauhreif steigt,
Büsche und Bäume atmen kaum:
durch die Nacht, die erschauernd schweigt,
schreitet ein glitzernder Traum.

[151] Heimweh

1.

Ich fliege mit euch, ihr Winde,
weit in die Welt hinaus
bis unter die grüne Linde
vor meines Vaters Haus.
Ich eile durch Himmelshallen
euch, wandernde Wolken, nach
und höre die Tropfen fallen
auf meines Vaters Dach.
Heimkehrend von langer Reise,
voll Sehnsucht für und für,
klopfe ich bang und leise
an meines Vaters Tür.
Mir ist, als müßte von innen
ertönen ein traut »Herein« –
als blühte noch immer da drinnen
die liebe Heimat mein!
Als träte mir grüßend entgegen
manch lächelnde Gestalt,
die lang schon auf den Wegen
des ewigen Friedens wallt, –
als dürfte ich wieder lauschen
dem Knistern des Feuerherds –
und die Regentropfen rauschen
eintönig niederwärts.
[152]
Der Sturm singt vor den Toren,
die See grollt dumpf und schwer,
meine Heimat ist verloren,
ich finde sie nimmermehr . . .

2.

Aus wallenden Herbstesnebeln
grüßt mich dein Angesicht,
mein lieber, trauter Bruder,
wie Maiensonnenlicht!
Rings blütenduftig Schweigen
am Sommernachmittag,
hoch über unsern Häuptern
das grüne Laubendach.
Du warest heimgekehret,
und ich hielt deine Hand
und lauschte deinen Worten
Vom schönen Feindesland,
von Schlachtengebraus und Siegen, –
dein Auge blitzte klar,
du strichst dir aus der Stirne
dein dunkellockig Haar – – –
Wie kommt's, daß grade heute
ich dein gedenken muß?
Der Herbst blickt in die Fenster
und grüßt mit rauhem Gruß.
[153]
Verödet liegt nun der Garten,
die Bäume sind längst geleert –
und du bist fortgezogen,
von dannen niemand wiederkehrt.

3.

Ich war ein Kind und er war schon groß,
und wir liebten uns recht wie Geschwister,
ich setzte mir auf seinen blanken Helm
und schnallte mir um den Tornister.
Dann schlich ich verstohlen, daß keiner es sah,
in die Ecke zu seinem Gewehr
und versucht es zu heben und prüft es wohl
und fand es für mich zu schwer . . .
Zu schwer! – O mein toter Liebling du,
o du blühende, selige Zeit!
ich wurde groß und ich trage Last,
und du bist längst befreit.

Ostara

1.

Klinge denn, klinge, mein Saitenspiel,
will mich nicht grämen noch schämen:
daß mir die Liebe vom Himmel fiel,
mag es die Welt vernehmen!
Küsse denn, küsse zum andern Mal,
leuchtende Frühlingssonne,
mir aus den Augen mit goldigem Strahl
selige Tränen der Wonne!
[154]
Rausche denn, rausche, mein blaues Meer,
flute aus allen Borden:
eisige Nebel drückten dich schwer –
nun ist es Lenz geworden!
Lachender Frühling, ich grüße dich,
sprudelnder Jugendbronnen:
all deine Schönheit erblüht für mich,
mein sind all deine Wonnen!

2.

Vom Himmel ist der Frühlingsregen
herabgerauscht die ganze Nacht, –
ich hör im Traum die Tropfen fallen
und habe lächelnd dein gedacht.
Und nun im lichten Frührotkleide
der Tag vor meiner Türe steht,
nun schließ ich unter Tränenströmen
dich in mein heiligstes Gebet.

3.

Komm du, wir wollen traulich schreiten
wie selige Kinder, Hand in Hand,
durch blütenschwangre Frühlingsweiten,
durch warmbesonnten Meeressand.
Die Luft erklingt, die Wipfel lauschen,
die Sonne grüßt uns trunknen Blicks, –
und über unsere Seelen rauschen
die Wogen des Ostaraglücks.
[155]
Das ist ein Wachsen und ein Werden,
wir wandeln wie voll süßen Weins:
Eins sind wir mit der Kraft der Erden,
und mit dem Himmel sind wir eins.
Wie rings die Ferne sich entschleiert
in Glut und Glanz und Windeswehn,
so – Aug in Auge! – leuchtend feiert
die Gottheit in uns Auferstehn!

4.

Blumen pflückt ich auf der Frühlingswiese,
blaue Blumen aus dem Paradiese,
Blumen mit den tiefen quellenfeuchten
Augen, die wie Menschenaugen leuchten.
Ach, aus diesen Kelchen laß mich nippen:
dürstend heb ich sie an heiße Lippen,
und ich trinke – und ein Sommersehnen
träumt in mir, ich trinke deine Tränen....

5.

Wir gingen schweigend Hand in Hand
über das reife Ackerland,
über die glühe Haide, –
im fernen Westen starb das Licht:
wir grauten uns im Dunkel nicht,
wir lachten im Leide.
[156]
Und rot erglomm der junge Tag,
und laut erscholl der Lerchenschlag, –
wir weinten vor Liebe
und wußten: hinter den Bergen lag
ein Märchenreich, ein Sonnentag,
der ewig bliebe.

6.

Gedanke du voll stiller Majestät,
der mir durchs Hirn an sonnigen Tagen geht,
wenn rings die Welt nach Frucht und Reife ringt,
du Lied der Sehnsucht, das in lauer Nacht,
wenn nur der Mond auf blauen Bergen wacht,
das rauschende Blut in meinen Adern singt –
Du Lebensflut, die aus den Tiefen quillt
begrabnen Seins und rastlos wächst und schwillt
und von Geschlecht sich zu Geschlecht ergießt,
verborgener Stern im tiefsten Weltenraum,
der schlummernd seine Strahlen keusch verschließt, –
du meiner Liebe rosiger Knospentraum:
ich fordre dich vom Himmel kraft der Kraft
die dieses Frühlings holde Wunder schafft,
die, Purpurblut, in schwellender Traube schäumt,
die im begrenzten Raum Unendlichkeiten träumt,
ich glühe nach dir, wie Frührot nach dem Tag!
[157]
Aufjauchzend steh ich vor der Zukunft Tor
und klopfe an mit starkem Herzensschlag:
die schweren Marmorflügel drehn sich schon
und klaffen weit – –
Auf beiden Händen heb ich dich empor,
hebe dich zu des Geisterkönigs Tron,
daß er mit Feuer deine Stirne weiht,
du meine Sehnsucht, meine Ewigkeit:
Mein ungeborener Sohn!
[158]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Heimatklänge. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-52A0-7