[212] Neue Lieder der Griechen
Drittes Heft

1823.

Crucifigite eum!

Welch ein Pharisäertroß tobet durch die vollen Gassen?
Wollt ihr Christum noch einmal an das Kreuzholz schlagen lassen?
Kreuzigt ihn! so hör' ich sie alle triumphirend rufen,
Und sie stürmen, wild gedrängt, des Palastes hohe Stufen.
Kreuzigt ihn! so rufen sie, und ich seh' sie Kreuze schlagen,
Über ihre Brust, auf der sie viel bunte Kreuze tragen.
»Was ihr dem Geringsten thut aus der Zahl der lieben Meinen,
Dieses thut ihr mir und ihm, der mich hieß der Welt erscheinen.«
Also sprach der Heiland einst, und die Pharisäer wissen,
Wo der Spruch geschrieben steht, denn sie sind auf's Wort beflissen.
Pharisäer, haltet ein! Habt ihr nicht den Spruch gefunden?
Seht, es brechen blutend auf Jesu Christi tiefe Wunden!
Seht, es rinnt der rothe Schweiß kalt von seinen Schläfen nieder,
Und er ruft: Erbarme dich, Vater über meine Brüder!
Meine Brüder, die für mich werden an das Kreuz geschlagen,
Die der Heiden Joch für mich nach der Schädelstätte tragen!
Wie viel Augen, die auf dich blickten, sind hier ausgestochen!
Wie viel Herzen, die auf dich hofften, sind Qual gebrochen!
Wie viel Zungen, die dein Lob sangen, sind hier ausgeschnitten!
Wie viel Hände abgehaun, die für deine Kirche stritten!
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Wie viel Lämmer deiner Flur raubt' der Wolf in seinem Grimme,
Ehe noch ihr Herz erkannt ihres treuen Hirten Stimme!
Pharisäer, habt ihr noch Stimme, »Kreuzigt ihn!« zu rufen?
Zittern eure Füße nicht nieder von den hohen Stufen?
O so mög' ein Donnerschlag euch des Odems Hauch benehmen,
Und ein Blitz vom Höllenpfuhl eure starren Kniee lähmen!

Pontii Pilati Händewaschen

O bringet doch Weihwasser her! Vom besten muß es sein;
Holt es aus Rom! Das römische, das wäscht ja Alles rein.
Pilatus, wasche deine Hand und wasche deinen Mund!
Die Hand, sie ist von Tinte schwarz, der Mund vom Gifte wund.
Nun wasch' und sprich: Ich habe nicht gestochen und gehaun,
An meinen beiden Händen ist kein Tropfen Blut zu schaun;
Nur Tint' und Geifer klebt mir an, damit hab' ich befleckt
Was heilig, hoch, rein, stark und frei, was Männerseelen weckt
Zu Wort und That, zu Kampf und Sieg, aus Kerkerschlaf und Tod,
Was aus des Grabes Nächten ruft des Lebens Morgenroth.
Damit hab' ich gepriesen auch, bejubelt und belacht,
Was wohl aus Heidenaugen selbst die Thränen fließen macht,
Was jedes Christenherz zerdrückt, zerbrennet und zerreißt,
Was zarte Lämmer brüllen lehrt und Löwen wimmern heißt.
O bringet doch Weihwasser her! Vom besten muß es sein.
Hab' nicht gestochen und gehaun – Weihwasser wäscht mich rein.

Der Minister

Hört! Von Geschäften wurde toll ein christlicher Minister! –
So wollen wir einmal beschaun doch sein Geschäfts-Register.
Ei, gab es denn in diesem Jahr so schrecklich viel zu schaffen?
Was ist geschaffen und geschafft? – Wir dürfen's auch begaffen.
Die Segel auf! Gen Osten hin! Da giebt es was zu sehen.
Schon leuchten uns von Chios Strand entgegen die Trophäen,
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Trophäen, prächtig aufgethürmt, Trophäen ohne Gleichen,
Trophäen, weiß und schwarz und roth, von Schädeln, Blut und Leichen.
Und Kreuze liegen oben auf, bespieen und zerschlagen –
Was ist geschaffen und geschafft? – Hier laßt einmal uns fragen.
Und um das hohe Leichenmahl sieht man die Wölf' und Tiger
In festlich wildem Pompe ziehn, als ehrenwerthe Sieger.
Viel Sklaven ziehn im Joch voraus, viel Greise, Kinder, Weiber;
In Schweiß und Blut und Thränen sind gebadet ihre Leiber.
So schleppen sie ihr eignes Fleisch zum Klotz der Schlächterhöhlen:
Man sagt, es sollen Christen sein: ich will es nicht verhehlen.
Die Segel auf! Gen Osten hin! Da giebt es was zu sehen,
Daß Herz und Gall' und Aug' und Mund vom Sehen übergehen.
Der muß auf hoher Höhe stehn, der ruhig hier mag gaffen:
Wir wollen's ohne Streit gestehn: das Jahr gab viel zu schaffen.

Griechisches Feuer

Könnt' ich meine Feder doch jetzt in Griechisch Feuer tauchen,
Das kein Wasser löschen kann, das im Staub nicht darf verrauchen!
O und könnt' ich mit dem Kiel eure starren Busen spalten,
Und ein solches Feuer spein tief in eurer Herzen Falten,
Drinnen ihre Nester baun schillernde Chamäleone,
Und der Ottern bunt Gezücht spielt mit Christi Dornenkrone.
Dahin zielt der Muse Pfeil: diese übertünchten Grüfte
Möcht' er öffnen, daß ihr Dunst ungewürzt stieg' in die Lüfte.
Dahin zielt des Feuers Strahl; treiben möcht' er in die Höhe
Alle Brut der Schlangennester, daß die Welt sie kriechen sähe.
Pharisäer, kreuzt ihr euch, daß des glühen Pfeiles Spitze
Eurer blanken Kreuze ja keines auf der Brust euch ritze?
Kreuzt euch nur! Wer kann, wie ihr, kreuzen, biegen, drehn und wenden?
Nein, nie trifft euch ein Geschoß, welches fliegt ausgraden Händen.

[215] Die neuen Kreuzfahrer

Der Herr des halben Mondes hat gestiftet einen Orden,
Ein Kreuz für alle Christen, die ihm Christen helfen morden,
Für alle, die der Freiheit Haupt in's Joch ihm helfen beugen,
Und lehren, daß das heil'ge Kreuz soll vor dem Mond sich neigen.
Hervor, ihr Ritter allzumal! Hervor aus allen Ecken!
Mein Lied soll eurer Thaten Ruf mit hellem Klang erwecken.
Hervor, der du mit frechem Mund die Freiheit nennst Empörung,
Und der Hellenen Heldenkampf bejammerst als Bethörung!
Du, der mit feiner Politik du drechselst die Beweise,
Daß man die Menschheit würgen kann auf legitime Weise!
Du auch, der jeden Türkensieg verkündet mit Posaunen,
Und was der Griechen Schwert vollbracht, befleckt mit leisem Raunen!
Ihr alle, die durch Meer und Land die blinden Heiden leiten,
Und ihre Heere christlich klug mit Christen lehren streiten!
Ihr, die ihr öffnet euern Arm den flüchtigen Barbaren,
Und unter eurer Flagge Hut sie führt aus den Gefahren,
Und die ihr dann vorüberschifft, wo an der Mutter Brüsten
Der Islamit den Säugling würgt mit wilden Henkerlüsten!
Hervor, ihr Ritter allzumal! – Will denn die Schaar nicht enden?
Das wird einmal ein Kreuzzug sein, wenn die gen Oft sich wenden!

Meine Muse

»Und willst du, meine Muse, denn gar zur Megära werden?
Du sangst noch jüngst im stillen Hain den Hirten und den Heerden,
Und nun schwingst eine Geißel du laut durch die lauten Gassen,
Und sprühest Flammen um dich her – Ich weiß dich nicht zu fassen.«
Du fragst? Siehst du die Hirten nicht nach scharfen Eisen greifen?
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Siehst statt der Lämmer Wölfe nicht Arkadien durchstreifen?
Siehst in Epirus Felsen nicht die Weiber Schwerter wetzen? 1
Siehst du auf Sparta's Fluren 2 nicht die Kinder Tiger hetzen?
Da mußt' ich Hirtensängerin mein Haferrohr zerbrechen,
Und, wie's die scharfe Zeit gebeut, in scharfen Tönen sprechen.
Der Freiheit Tuba hab' ich hell durch Stadt und Land geblasen:
Laß meine Geißel nun um's Haupt der Pharisäer rasen!

Fußnoten

1 Die Suliotinnen (Gl).

2 Die Mainottenknaben (Gl).

Die verpestete Freiheit

Was schreit das Pharisäervolk so ängstlich durch die Länder,
Die Häupter dick mit Staub bestreut, zerrissen die Gewänder?
Sie schreien: Sperrt die Häfen zu, umzieht mit Quarantänen
Die Grenzen und die Ufer schnell vor Schiffen und vor Kähnen!
Die Pest ist unter ihrer Schaar. Da seht die Strafgerichte,
Damit des Herrn gerechte Hand Empörer macht zu nichte!
Die Freiheit selber, wie es heißt, ist von der Pest befallen,
Und flüchtet sich nach Westen nun mit ihren Jüngern allen.
O seht euch vor, daß in das Land die Freiheit euch nicht schleiche,
Und der gesunden Völker Herz mit ihrem Hauch erreiche!
Sie kleidet sich zu dieser Zeit in vielerlei Gestalten:
Bald Weib, bald Mann, bald nur ein Kind, bald hat sie greise Falten.
Drum lasset keinen Flüchtling ein, der kommt vom Griechenlande,
Daß nicht die Freiheit ihre Pest bring' in die guten Lande!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Neue Lieder der Griechen, drittes Heft. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-55B2-5