[30] Reiselieder

Große Wanderschaft

Wandern, wandern!
Gestern dort und heute hier;
Morgen, wohin ziehen wir?
Wandern, wandern!
Wißt ihr wohl das Losungswort,
Das die Welt treibt fort und fort?
Wandern, wandern!
Sehet Sonne, Mond und Sterne,
Wie die wandern all' so gerne!
Wandern, wandern!
Auch die Erde macht sich auf
Alle Jahr' zum frischen Lauf.
Wandern, wandern!
Ei, so laß das Sitzen sein,
Mensch, du mußt doch hinterdrein!
Wandern, wandern!
Kind und Jüngling, Mann und Greis,
Also heißt die Lebensreis'.
Wandern, wandern!
Ei, wie schöne Kompanei!
Fürstengunst und Frauentreu'!
Wandern, wandern!
Frau Fortuna führt uns an,
Amor ist der zweite Mann.
Wandern, wandern!
Auch die Musen könnt ihr sehn
All' in Reiseschuhen gehn.
[31]
Wandern, wandern!
Mars fährt auf Aprillenwetter,
Laune heißt des Ruhmes Vetter.
Wandern, wandern!
Liebes Herz, so zieh' nur mit,
Halte wacker Schritt und Tritt!
Wandern, wandern!
Heute hier und morgen dort,
Und zu Haus an jedem Ort.
Wandern, wandern!
Regen, Sturm und Sonnenschein,
Rebensaft und Gerstenwein.
Wandern, wandern!
Heute blond und morgen braun
Ist mein Schätzchen anzuschaun.
Wandern, wandern!
Kalt und warm und schlicht und kraus,
Bienenschwarm und Schneckenhaus.
Wandern, wandern!
Heut' hab' ich dies Lied erdacht,
Morgen wird es ausgelacht.
Wandern, wandern!

Wanderlieder eines rheinischen Handwerksburschen

1. Auszug

Ich ziehe so lustig zum Thore hinaus,
Als ob's ein Spaß nur wär':
Das macht, es wallt Feinliebchens Bild
Gar helle vor mir her.
Da merk' ich dann im Herzen bald:
Ich sei dort, oder hier,
Ich gehe fort, ich kehre heim,
Ich ziehe doch immer zu ihr.
Und wer zu seinem Liebchen reist,
Dem wird kein Weg zu schwer,
Der läuft bei Tag und läuft bei Nacht,
Und ruht sich nimmermehr.
[32]
Und ob es regnet, ob es stürmt,
Mir thut kein Wetter weh:
Es hat mein Liebchen mir gesagt
Ein freundliches Ade!

2. Auf der Landstraße

Was suchen doch die Menschen all'
Zu Roß und auch zu Fuß?
Das wandert hin und wandert her
Zeitlebens ohn' Verdruß.
Die haben wohl kein Liebchen heim,
Und auch ihr Herz dabei:
Sie sehn mich an und wundern sich,
Daß ich so langsam sei.
Ach, wer mit jedem, jedem Fuß,
Den er setzt in die Welt hinein,
Einen Schritt von seiner Liebsten thut,
Der macht ihn gerne klein.
Wer hat das Wandern doch erdacht?
Der hatt' ein Herz von Stein;
Und wär' es heut' noch nicht bekannt,
Ich ließ' es wahrlich sein.

3. Einsamkeit

Der Mai ist auf dem Wege,
Der Mai ist vor der Thür:
Im Garten, auf der Wiesen,
Ihr Blümlein kommt herfür!
Da hab' ich den Stab genommen,
Da hab' ich das Bündel geschnürt,
Zieh' weiter und immer weiter,
Wohin die Straße mich führt.
Und über mir ziehen die Vögel,
Sie ziehen in lustigem Reihn,
Sie zwitschern und trillern und flöten,
Als ging's in den Himmel hinein.
[33]
Der Wandrer geht alleine,
Geht schweigend seinen Gang;
Das Bündel will ihn drücken,
Der Weg wird ihm zu lang.
Ja, wenn wir allzusammen
So zögen in's Land hinein!
Und wenn auch das nicht wäre,
Könnt' Eine nur mit mir sein!

4. Brüderschaft

Im Krug zum grünen Kranzea
Da kehrt' ich durstig ein:
Da saß ein Wandrer drinnen
Am Tisch bei kühlem Wein.
Ein Glas war eingegossen,
Das wurde nimmer leer;
Sein Haupt ruht' auf dem Bündel,
Als wär's ihm viel zu schwer.
Ich thät mich zu ihm setzen,
Ich sah ihm in's Gesicht,
Das schien mir gar befreundet,
Und dennoch kannt' ich's nicht.
Da sah auch mir in's Auge
Der fremde Wandersmann,
Und füllte meinen Becher,
Und sah mich wieder an.
Hei, was die Becher klangen,
Wie brannte Hand in Hand:
»Es lebe die Liebste deine,
Herzbruder, im Vaterland!«

5. Abendreihn

Guten Abend, lieber Mondenschein!
Wie blickst mir so traulich in's Herz herein?
Nun sprich, und laß dich nicht lange fragen,
Du hast mir gewiß einen Gruß zu sagen,
Einen Gruß von meinem Schatz.
[34]
»Wie sollt' ich bringen den Gruß zu dir?
Du hast ja keinen Schatz bei mir.
Und was mir da unten die Bursche sagen,
Und was mir die Frauen und Mädchen klagen,
Ei, das versteh' ich nicht.«
Hast Recht, mein lieber Mondenschein,
Du darfst auch Schätzchens Bote nicht sein,
Denn thätst du zu tief ihr in's Auge sehn,
Du könntest ja nimmermehr untergehn,
Schienst ewig nur für sie.
Dies Liedchen ist ein Abendreihn,
Ein Wandrer sang's im Vollmondschein;
Und die es lesen bei Kerzenlicht,
Die Leute verstehn das Liedchen nicht,
Und ist doch kinderleicht.

6. Morgen

In die grüne Welt hinein
Zieh' ich mit dem Morgenschein,
Abendlust und Abendleid
Hinter mir so weit, so weit!
Ei, wie roth deine Wangen sind,
Morgen, Morgen, süßes Kind!
Blümlein weinten die ganze Nacht,
Weil man dich zu Bett gebracht;
Mittag kam, der stolze Ritter,
Abend kam, der müde Schnitter,
Keinen haben sie angeschaut,
Haben still auf dich vertraut.
Und nun bist du wieder da,
Bist so freundlich, bist so nah!
Und sie richten sich empor,
Schütteln ab der Träume Flor.
Wie sie wanken, wie sie beben,
Scheu die trunknen Blicke heben!
War's dein Kuß, der sie erweckte?
War's ein Zephyr, der sie neckte?
Welcher Schrecken, welche Lust!
Mund an Mund, und Brust an Brust!
[35]
Guten Morgen, guten Morgen!
In die Winde alle Sorgen,
Alle Thränen von den Wangen,
Aus dem Herzen alles Bangen,
Alles froh und Alles frei,
Ob's der erste Welttag sei!
Auch die kleinen Waldvögelein
Wollen bei dem Feste sein,
Lassen ihre Stimmlein klingen,
Einen Gruß hinaufzusingen.
Wißt ihr, wer's am besten meint
Mit dem jungen Himmelsfreund?
Lerche sich zum Höchsten schwingt,
Und ihm grad' an's Herze sinkt.
Lerche, Lerche, einen Gruß,
Lerche, Lerche, Gruß und Kuß,
Nimm sie mit dir von uns Allen,
Und laß deine Stimme schallen,
Wenn wir dich nicht mehr ersehn,
Aus den lieben blauen Höhn!
Fischlein, Fischlein in dem See,
Wird's da unten euch zu weh?
Drang sein helles Rosenlicht
Noch in eure Tiefe nicht?
Ei, so springt einmal heraus
Aus dem düstern Wogenhaus,
Schnappt von seinen Äugelein
Einen Blick zu euch hinein,
Und die Lampen von Krystall
Zündet an mit seinem Strahl!
Morgenstund' hat Gold im Mund!
Arme Wandrer, rings und rund,
Auf und fort im Morgenschein,
Wollt ihr reiche Leute sein!

[36] 7. Frühlingsgruß

Du heller linder Abendwind,
Flieg' hin zu meinem Schatz geschwind,
Es wird dich nicht verdrießen,
Und fächl' ihr sanft um Wang' und Kinn,
Treib' deine jüngsten Düfte hin,
Und sprich: Der Lenz läßt grüßen!
Die Laute nehm' ich von der Wand,
Und schlinge drum ein grünes Band,
Ein Vöglein hört' ich schlagen;
Es schlug: Wer bindet an mit mir
Zu Lieb' und Sang ein Festturnier
In grünen Rosenhagen?
Wohl auf im hellen Mondenschein,
Durch alle Gassen aus und ein,
Mit Fiedeln und Schalmeien!
Thut auf, thut auf die Fensterlein,
Ihr Mägdlein, laßt den Frühling ein!
Dürft euch vor ihm nicht scheuen.
Er ist ein wohlgezogner Gast,
Ein Knäblein jung und blöde fast,
Auch etwas unerfahren:
Nehmt Amorn ihm als Lehrer an,
So wird er bald ein kluger Mann,
Noch eh' er kommt zu Jahren.
Du heller linder Abendwind,
Was meint zu dir das liebe Kind,
Gefällt ihr deine Kunde?
Gut' Nacht, gut' Nacht, die Fenster zu!
Der neue Gast verlangt nach Ruh',
Der Wächter bläst die Stunde.

8. Entschuldigung

Wenn wir durch die Straßen ziehen,
Recht wie Bursch' in Saus und Braus,
Schauen Augen, blau' und graue,
Schwarz' und braun' aus manchem Haus.
[37]
Und ich lass' die Blicke schweifen
Durch die Fenster hin und her,
Fast als wollt' ich Eine suchen,
Die mir die Allerliebste wär'.
Und doch weiß ich, daß die Eine
Wohnt viel Meilen weit von mir,
Und doch muß ich immer gucken
Nach den schmucken Jungfern hier.
Liebchen, woll' dich nicht betrüben,
Wenn dir Eins die Kunde bringt,
Und daß dich's nicht überrasche,
Dieses Lied der Wandrer singt.

9. Hier und dort

Mein Liebchen hat g'sagt:
Dein Sang mir behagt!
Ach, wenn ich doch selber
Ein Lied gleich wär',
Meinem Schätzchen zu Ehr'!
Da wollt' ich mich schreiben
Auf seidnes Papier,
Und wollte mich schicken
Per Post zu ihr.
Flugs thät' sie erbrechen
Das Briefchen so sein,
Und schaute schnurgrade
In's Herz mir hinein.
Und sähe und hörte,
Wie gut ich ihr bin,
Und wie ich ihr diene
Mit stetigem Sinn.
Und Liebchen thät' sagen:
Du thust mir behagen!
Und sagte und sänge
Und spielte nur mich,
Und trüge im Mund und im Kopf und im Herzen
Mich ewiglich.
[38]
Hätt' Gott mich gefragt,
Als die Welt er gemacht,
So hätt' ich ein Liebchen,
Das wäre fein hier,
Und wär sie wo anders,
So wär' ich bei ihr.
Dies Lied hat gesungen
Ein Wandrer vom Rhein.
Hier trinkt er das Wasser,
Dort trank er den Wein.

Des Postillions Morgenlied vor der Bergschenke

Vivat, und in's Horn ich stoße!
Vivat, wie so hell es klingt,
Wenn es in der Morgenstunde
Meinem Schatz ein Vivat bringt!
Und die Peitsche knallt dazwischen,
Und die Räder rasseln drein,
Und die Funken und die Flammen
Fliegen über Stock und Stein.
Bravo, bravo, braver Schwager!
Ruft mir zu der Passagier:
Mag er's loben und bezahlen,
Liebste, aber's gilt nur dir.
Kann ich's mit dem Schwert nicht zeigen,
Mit dem blanken Rittersporn,
Hat mein Herz für seine Liebe
Doch dies kleine runde Horn.
Wer's versteht, es klingt nicht übel,
Frisch und scharf wie Morgenwind,
Und die Liebste, die ich meine,
Ist kein schwächlich städtisch Kind.
In dem Wald ist sie geboren,
Ist des Schenken Töchterlein;
Klang der Becher, Zank der Zecher
Mußt' ihr Wiegenliedchen sein.
[39]
In dem Walde steht die Schenke
Einsam auf dem höchsten Berg,
Durch den Schornstein bläst die Hexe,
Und im Keller wühlt der Zwerg.
Aber sie, die flinke Dirne,
Weiß mit Geistern umzugehn,
Wenn ihr Schlüsselbund nur klappert,
Läßt kein Spuk sich weiter sehn.
Und wie trefflich kann sie bannen
Geister auch von Fleisch und Bein,
Die Berauschten, sei's von Liebe,
Sei's von Bier und Branntewein.
Keiner wagt sich ihr zu nahe,
Weil den Zauberkreis er kennt,
Der dem kecken Überspringer
Zung' und Finger gleich verbrennt.
Aber freundlich und gesprächig
Ist sie dem bescheidnen Gast,
Und an ihrem Thor vorüber
Rollt kein Wagen ohne Rast.
Bravo, bravo, braver Schwager!
Ruft mir zu der Passagier:
Gut gefahren, gut gehalten
Bei der schmucken Dirne hier.
Mag er's loben und bezahlen,
Liebste, aber's gilt nur dir.
Schöne Schenkin, ach, ich dürste,
Schenke, schenke Liebe mir!
Vivat, und in's Horn ich stoße,
Und es muß abschieden sein!
Vivat, und wie soll es schmettern,
Kehr' ich hier auf ewig ein!

[40] Der Prager Musikant

Mit der Fiedel auf dem Rücken,
Mit dem Kappel in der Hand,
Ziehn wir Prager Musikanten
Durch das weite Christenland.
Unser Schutzpatron im Himmel
Heißt der heil'ge Nepomuk,
Steht mit seinem Sternenkränzel
Mitten auf der Prager Bruck.
Als ich da hinausgewandert,
Hab' ich Reverenz gemacht,
Ein Gebet ihm aus dem Kopfe
Recht bedächtig hergesagt.
Steht also in keinem Büchel,
Wie man's auf dem Herzen hat:
Wanderschaft mit leerem Beutel,
Und ein Schätzel in der Stadt.
Wenn das Mädel singen könnte,
Wär's gezogen mit hinaus,
Doch es hat 'ne heisre Kehle,
Darum ließ ich es zu Haus.
Ei, da gab es nasse Augen,
'S war mir selbst nicht einerlei:
Sprach ich: 'S ist ja nicht für ewig,
Schönstes Nannerl, laß mich frei!
Und ich schlüpft' aus ihren Armen,
Aus der Kammer, aus dem Haus,
Konnt' nicht wieder rückwärts schauen,
Bis ich war zur Stadt hinaus.
Da hab' ich dies Lied gesungen,
Hab' die Fiedel zu gespielt,
Bis ich in den Morgenlüften
Auf der Brust mich leicht gefühlt.
[41]
Manches Vöglein hat's vernommen:
Flög' nur eins an Liebchens Ohr,
Säng' ihr, wenn sie weinen wollte,
Dieses frische Liedel vor!
Wenn ich aus der Fremde komme,
Spiel' ich auf aus anderm Ton,
Abends unter ihrem Fenster:
Schätzel, Schätzel, schläfst du schon?
Hoch geschwenkt den vollen Beutel,
Das giebt eine Musika!
'S Fenster klirrt, es rauscht der Laden,
Heilige Cäcilia!
All' ihr Prager Musikanten,
Auf, heraus mit Horn und Baß,
Spielt den schönsten Hochzeitreigen!
Morgen leeren wir ein Faß.

Ein Andrer

Wenn du wandelst auf der Prager Brücken,
Thut vor dir Sankt Nepomuk sich bücken,
Und die Arme hebt er auf zum Segen
Deiner schwarzen Schelmenaugen wegen.
Ach, wie soll man heut' ein Heil'ger werden,
Wo's ein solches Mädel giebt auf Erden?
Aus dem Himmel liefen Gottes Engel,
Um zu küssen deine Rosenwängel.
Und ich sollt' mit meiner armen Seelen
Fort von dir mich in den Himmel quälen,
Um von oben mit betrübten Blicken
Grüße dir hinunter zuzunicken?
Meiner Fiedel Saiten sind zersprungen,
Als ich dir das Abschiedslied gesungen.
Sag', wie soll mein Herz doch diese Plagen,
Ohne zu zerreißen, still ertragen?

[42] Die Prager Musikantenbraut

Und wißt ihr, wer mein Schätzel ist?
Ein Prager Musikant,
Ein Musikant von feiner Kunst
In Baß und in Diskant.
Und wißt ihr, wo mein Schätzel ist,
So wißt ihr mehr als ich,
Denn weil er halt nicht schreiben kann,
So denkt er nur an mich.
Und 's Denken ist ein luftig Ding,
Summt leis' in's Herz hinein;
Woher es kommt, wohin es geht,
Das muß errathen sein.
Ei, kommst denn nimmermehr zu Ruh',
Du Musikantenblut?
Ei, lernst denn nimmermehr verstehn,
Wie lieb's in Böhmen thut?
So zieh' nur hin durch Stadt und Land,
Mit dir Sankt Nepomuk,
Der segne Fiedel dir und Baß
Mit gutem Strich und Druck!
Und wo in Gottes weiter Welt
Du klopfst an Thür und Thor,
Find' offne Beutel überall
Und ein geneigtes Ohr.
Die Mädel schaun dir in's Gesicht,
Die Männer nach der Hand,
Und Einer und die Andre spricht:
Ein braver Musikant!
Dann sing' ein Lied von deiner Braut,
Die an der Moldau ist:
Das klingt mir hell durch Mark und Bein,
Und sagt mir, wo du bist.
[43]
Und sagt mir noch so mancherlei,
Was schwer sich sagt im Reim,
Und sagt mir: Wann die Lerche kommt,
Kehr' ich nach Böhmen heim.

Seefahrers Abschied

Die du fliegst in hohen Lüften,
Kleine Schwalbe, komm herab,
Weil ich dir ein Wort im Stillen
Unten zu vertrauen hab'.
Sollst mir eine Feder schenken
Aus den schwarzen Flügeln dein,
Will an meine Liebe schreiben:
Herz, es muß geschieden sein!
Morgen fahr' ich auf dem Meere,
Wind und Woge weiß, wohin,
Und es fragen mich die Freunde,
Was ich doch so traurig bin.
Aber Wind und Woge sprechen
Viel von Unbeständigkeit,
Und der Sklave singt zum Ruder:
Mächtig, mächtig ist die Zeit!
Gott, und soll ich untergehen,
Sei es in dem tiefen Meer,
Nur nicht in der Liebsten Herzen,
Wo ich gern geborgen wär'.
In dem stillen klaren Spiegel
Male sich mein treues Bild,
Wann um mich in Ungewittern
Die empörte Woge schwillt.
Liebe, sieh, wie Well' auf Welle
Ringt nach dem ersehnten Strand:
Aber manche wird verschlungen,
Eh' sie küßt das grüne Land.
Wenn du an dem Ufer wandelst,
Hüpft die Fluth nach deinem Fuß:
Wogen hab' ich nur und Winde,
Dir zu schicken meinen Gruß.
[44]
Wann die fernen Höhen dämmern,
Jauchzet Alles nach dem Land:
Nur zwei müde Augen bleiben
Still dem Meere zugewandt.
Wann die Segel wieder glänzen,
Wann die Winde heimwärts wehn,
Laß mich auf dem Maste sitzen:
Liebe kann durch Wolken sehn.

Schiff und Vogel

Die Flüsse rauschen in das Meer,
Vorüber an Burgen und Städten,
Die Winde blasen hinterher
Mit lustigen Trompeten.
Die Wolken ziehen hoch voran,
Wir Vöglein mitten drinnen,
Und Alles, was fliegen und singen kann,
Nur nach, nur mit uns, nur von hinnen!
Ich grüße dich, Schifflein! Wohin, woher,
Mit dem flatternden goldenen Bande?
»Ich grüße dich, Vöglein! In's weite Meer
Fahr' ich hin aus dem engen Lande.
All' meine Segel sind geschwellt,
Kein Berg ist mehr zu sehen:
Ich hab' mein' Sach' auf den Wind gestellt,
Der Wind läßt mich nicht stehen.
Und willst du, Vöglein, mit hinaus,
Magst dich auf den Mastbaum stellen;
Denn voll zum Sinken ist mein Haus
Von glücklichen Gesellen.
Sie tanzen und springen den ganzen Tag,
Und klimpern und spielen und trinken,
Und wer nicht mehr tanzen und trinken mag,
Seiner Nachbarin muß er winken.«
[45]
Gesellen, die brauch' ich und such' ich nicht,
Lieb Schifflein, ich kann ja noch singen;
Dein Mastbaum wär' ich ein böses Gewicht,
Lieb Schifflein, ich habe ja Schwingen.
Hoch über dem Segel, hoch über dem Mast,
Wer will mir die Lust verwehren?
Und hält deine wilde Gesellschaft Rast,
So sollst du mich singen hören.
Und wer nicht ruhen und horchen mag,
Gott gesegn' ihm die bessere Freude!
So schwing' ich mich auf in den blauen Tag,
In die goldene Sonnenweide.
So sing' ich meinen Jubelgesang
Hinaus in alle vier Winde,
Daß ihn mein und sein Lebelang
Kein Schreiber und Drucker finde!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Reiselieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5756-7