Uebersetzung altdeutscher Minnelieder

1. Nach Steimar

Eingefaßt von dichten Hecken
Weiß ich einen grünen Saal,
Hochgewölbt mit Azurdecken,
Drinnen wohnt Frau Nachtigall.
Ihr zu Diensten stehn
Jungfraun wunderschön,
Zarte bunte Blumen ohne Zahl.
Wann der Lenz zu Lieb' und Freude
Jedes junge Herz entzückt,
Kommt Herr Mai im neuen Kleide,
Findet alles schön geschmückt.
Zierlich klopft er an,
Wie ein Freiersmann,
Jede Blüt' aus ihrer Knospe blickt.
Bunte Schmetterlinge kosen,
Vöglein treiben frohen Scherz,
Und die Brust der jungen Rosen
Oeffnet sich dem süßen Schmerz.
[258]
Da beginnt solch Spiel,
Wer nicht minnen will,
Muß die Augen schließen und das Herz.
Komm' ich dann mit meiner Lauten,
Wo der Schatten sich vereint,
Denk' ich meiner holden Trauten;
Was mein Mund zu singen scheint,
Nachtigall und Mai,
Blumen allerlei,
Immer ist die Schönste nur gemeint.

2. Nach Ulrich von Lichtenstein

Ich bin hohen Muthes!
Hoher Muth so wohl mir thut,
Nichts gibt es so Gutes
Als mit Züchten hoher Muth.
Hochgebornes schönes Weib
Mag sich wohl erwerben
Hochgemuthen Rittersleib.
Mit dem süßen Munde
Sprach die Liebliche ein Wort,
Das seit jener Stunde
Allen Kummer bannte fort.
Leise sie das Wörtlein sprach –
Doch die lichten, hellen
Augen sprachen's nach.
Ihre Weibesgüte
Nahm's aus ihres Herzens Grund,
Freude, Hochgemüthe
Blüht' mir auf zur selben Stund',
Da sie sprach das süße Wort,
Das nun immer bleibet
Meiner Freuden Hort.
Von ihr hab' ich Ehre,
Von ihr hab' ich hohen Muth,
Noch gibt mir die Hehre
Manches andre süße Gut.
[259]
Freude, Wonne, Ritterleben
Hat sie mir zum Lohn
Meinem Dienst gegeben.
Habe von der Guten
Leib und Gut und graden Sinn.
Der viel Wohlgemuthen
Ritter ich mit Treuen bin.
Was sie will, das will auch ich.
Herrscherin und Fürstin
Ist sie über mich.

3. Nach Hugo von Werbenwag (Huk von Werbenwak)

Freudenreicher süßer Mai,
Du sollst uns willkommen sein,
Schöne Blumen mancherlei
Bringet uns dein lichter Schein.
Ja, du hast die Welt verschönet;
Frei gefröhnet
Vögelein.
Nun hört man das süße Singen
Der geliebten Nachtigall,
In dem Walde laut erklingen
Ihren wonniglichen Schall.
Wo sie wol im Sommer hauset;
Verklauset
Steht ihr Saal.
Wenn wir hierbei traurig wären,
Wie geziemt uns Jungen das?
Bei so wonniglichen Mären
Ziemt uns große Freude baß.
Laßt uns Allen Freude machen
Und verlachen
Argen Haß.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schenkendorf, Max von. Uebersetzung altdeutscher Minnelieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C520-6