Arthur Schnitzler
Anatol

[28] Einleitung

Hohe Gitter, Taxushecken,

Wappen, nimmermehr vergoldet,

Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd

... Knarrend öffnen sich die Tore. –

Mit verschlafenen Kaskaden

Und verschlafenen Tritonen,

Rokoko, verstaubt und lieblich

Seht ... das Wien des Canaletto,

Wien von Siebzehnhundertsechzig

... Grüne, braune, stille Teiche,

Glatt und marmorweiß umrandet,

In dem Spiegelbild der Nixen

Spielen Gold- und Silberfische ...

Auf dem glattgeschornen Rasen

Liegen zierlich gleiche Schatten

Schlanker Oleanderstämme;

Zweige wölben sich zur Kuppel,

Zweige neigen sich zur Nische

Für die steifen Liebespaare

Heroinen und Heroen ...

Drei Delphine gießen murmelnd

Fluten in ein Muschelbecken ...

Duftige Kastanienblüten

Gleiten, schwirren leuchtend nieder

Und ertrinken in dem Becken ...

... Hinter einer Taxusmauer

Tönen Geigen, Klarinetten ...

Und sie scheinen den graziösen

Amoretten zu entströmen,

Die rings auf der Rampe sitzen

Fiedelnd oder Blumen windend,

Selbst von Blumen bunt umgeben,

Die aus Marmorvasen strömen:

Goldlack und Jasmin und Flieder

... Auf der Rampe, zwischen ihnen

Sitzen auch kokette Frauen,

Violette Monsignori ...

Und im Gras, zu ihren Füßen,

Und auf Polstern, auf den Stufen:

[28] Kavaliere und Abbati ...

Andre heben andre Frauen

Aus den parfümierten Sänften

... Durch die Zweige brechen Lichter,

Flimmernd auf den blonden Köpfchen;

Scheinen auf den bunten Polstern,

Gleiten über Kies und Rasen,

Gleiten über das Gerüste,

Das wir flüchtig aufgeschlagen.

Wein und Winde klettert aufwärts

Und umhüllt die lichten Balken.

Und dazwischen, farbenüppig

Flattert Teppich und Tapete,

Schäferszenen, keck gewoben,

Zierlich von Watteau entworfen ...

Eine Laube statt der Bühne,

Sommersonne statt der Lampen,

Also spielen wir Theater,

Spielen unsre eignen Stücke,

Frühgereift und zart und traurig,

Die Komödie unsrer Seele,

Unsres Fühlens Heut und Gestern,

Böser Dinge hübsche Formel,

Glatte Worte, bunte Bilder,

Halbes, heimliches Empfinden,

Agonien, Episoden ...

Manche hören zu, nicht alle ...

Manche träumen, manche lachen,

Manche essen Eis ... und manche

Sprechen sehr galante Dinge ...

... Nelken wiegen sich im Winde,

Hochgestielte, weiße Nelken,

Wie ein Schwarm von weißen Faltern ...

Und ein Bologneserhündchen

Bellt verwundert einen Pfau an ...


[29]

Die Frage an das Schicksal

Anatol, Max, Cora.
Anatols Zimmer.

MAX.
Wahrhaftig, Anatol, ich beneide dich ...
ANATOL
lächelt.
MAX.

Nun, ich muß dir sagen, ich war erstarrt. Ich habe ja doch bisher das Ganze für ein Märchen gehalten. Wie ich das nun aber sah, ... wie sie vor meinen Augen einschlief ... wie sie tanzte, als du ihr sagtest, sie sei eine Ballerine, und wie sie weinte, als du ihr sagtest, ihr Geliebter sei gestorben, und wie sie einen Verbrecher begnadigte, als du sie zur Königin machtest ...

ANATOL.
Ja, ja.
MAX.
Ich sehe, es steckt ein Zauberer in dir!
ANATOL.
In uns allen.
MAX.
Unheimlich.
ANATOL.

Das kann ich nicht finden ... Nicht unheimlicher als das Leben selbst. Nicht unheimlicher als vieles, auf das man erst im Laufe der Jahrhunderte gekommen. Wie, glaubst du wohl, war unseren Voreltern zumute, als sie plötzlich hörten, die Erde drehe sich? Sie müssen alle schwindlig geworden sein!

MAX.
Ja ... aber es bezog sich auf alle!
ANATOL.

Und wenn man den Frühling neu entdeckte! ... Man würde auch an ihn nicht glauben! Trotz der grünen Bäume, trotz der blühenden Blumen und trotz der Liebe.

MAX.
Du verirrst dich; all das ist Gefasel. Mit dem Magnetismus ...
ANATOL.
Hypnotismus ...
MAX.
Nein, mit dem ist's ein ander Ding. Nie und nimmer würde ich mich hypnotisieren lassen.
ANATOL.
Kindisch! Was ist daran, wenn ich dich einschlafen heiße, und du legst dich ruhig hin.
MAX.

Ja, und dann sagst du mir: »Sie sind ein Rauchfangkehrer«, und ich steige in den Kamin und werde rußig! ...

ANATOL.

Nun, das sind ja Scherze ... Das Große an der Sache ist [30] die wissenschaftliche Verwertung. – Aber ach, allzuweit sind wir ja doch nicht.

MAX.
Wieso ...?
ANATOL.

Nun, ich, der jenes Mädchen heute in hundert andere Welten versetzen konnte, wie bring' ich mich selbst in eine andere?

MAX.
Ist das nicht möglich?
ANATOL.

Ich hab' es schon versucht, um die Wahrheit zu sagen. Ich habe diesen Brillantring minutenlang angestarrt und habe mir selbst die Idee eingegeben: Anatol! schlafe ein! Wenn du aufwachst, wird der Gedanke an jenes Weib, das dich wahnsinnig macht, aus deinem Herzen geschwunden sein.

MAX.
Nun, als du aufwachtest?
ANATOL.
O, ich schlief gar nicht ein.
MAX.
Jenes Weib ... jenes Weib? ... Also noch immer!
ANATOL.
Ja, mein Freund! ... noch immer! Ich bin unglücklich, bin toll.
MAX.
Noch immer also ... im Zweifel?
ANATOL.

Nein ... nicht im Zweifel. Ich weiß, daß sie mich betrügt! Während sie an meinen Lippen hängt, während sie mir die Haare streichelt ... während wir selig sind ... weiß ich, daß sie mich betrügt.

MAX.
Wahn!
ANATOL.
Nein!
MAX.
Und deine Beweise?
ANATOL.
Ich ahne es ... ich fühle es ... darum weiß ich es!
MAX.
Sonderbare Logik!
ANATOL.

Immer sind diese Frauenzimmer uns untreu. Es ist ihnen ganz natürlich ... sie wissen es gar nicht ... So wie ich zwei oder drei Bücher zugleich lesen muß, müssen diese Weiber zwei oder drei Liebschaften haben.

MAX.
Sie liebt dich doch?
ANATOL.
Unendlich ... Aber das ist gleichgültig. Sie ist mir untreu.
MAX.
Und mit wem?
ANATOL.

Weiß ich's? Vielleicht mit einem Fürsten, der ihr auf der Straße nachgegangen, vielleicht mit einem Poeten aus einem Vorstadthause, der ihr vom Fenster aus zugelächelt hat, als sie in der Früh' vorbeiging!

MAX.
Du bist ein Narr!
ANATOL.

Und was für einen Grund hätte sie, mir nicht untreu zu [31] sein? Sie ist wie jede, liebt das Leben, und denkt nicht nach. Wenn ich sie frage: Liebst du mich? – so sagt sie ja – und spricht die Wahrheit; und wenn ich sie frage, bist du mir treu? – so sagt sie wieder ja – und wieder spricht sie die Wahrheit, weil sie sich gar nicht an die andern erinnert – in dem Augenblick wenigstens. Und dann, hat dir je eine geantwortet: Mein lieber Freund, ich bin dir untreu? Woher soll man also die Gewißheit nehmen? Und wenn sie mir treu ist –

MAX.
Also doch! –
ANATOL.

So ist es der reine Zufall ... Keineswegs denkt sie: O, ich muß ihm die Treue halten meinem lieben Anatol ... keineswegs ...

MAX.
Aber wenn sie dich liebt?
ANATOL.
O, mein naiver Freund! Wenn das ein Grund wäre!
MAX.
Nun?
ANATOL.
Warum bin ich ihr nicht treu? ... Ich liebe sie doch gewiß!
MAX.
Nun ja! Ein Mann!
ANATOL.

Die alte dumme Phrase! Immer wollen wir uns einreden, die Weiber seien darin anders als wir! Ja, manche ... die, welche die Mutter einsperrt, oder die, welche kein Temperament haben ... Ganz gleich sind wir. Wenn ich einer sage: Ich liebe dich, nur dich, – so fühle ich nicht, daß ich sie belüge, auch wenn ich in der Nacht vorher am Busen einer andern geruht.

MAX.
Ja ... du!
ANATOL.

Ich ... ja! Und du vielleicht nicht? Und sie, meine angebetete Cora vielleicht nicht? Oh! Und es bringt mich zur Raserei. Wenn ich auf den Knieen vor ihr läge und ihr sagte: Mein Schatz, mein Kind – alles ist dir im Vorhin verziehen – aber sag' mir die Wahrheit – was hülfe es mir? Sie würde lügen wie vorher – und ich wäre soweit als vorher. Hat mich noch keine angefleht: »Um Himmels willen! Sag' mir ... bist du mir wirklich treu? Kein Wort des Vorwurfs, wenn du's nicht bist; aber die Wahrheit! Ich muß sie wissen« – Was hab' ich drauf getan? Gelogen ... ruhig, mit einem seligen Lächeln ... mit dem reinsten Gewissen. Warum soll ich dich betrüben, hab' ich mir gedacht? Und ich sagte: Ja, mein Engel! Treu bis in den Tod. Und sie glaubte mir und war glücklich!

MAX.
Nun also!
ANATOL.

Aber ich glaube nicht und bin nicht glücklich! Ich wär' [32] es, wenn es irgend ein untrügliches Mittel gäbe, diese dummen, süßen, hassenswerten Geschöpfe zum Sprechen zu bringen oder auf irgend eine andere Weise die Wahrheit zu erfahren ... Aber es gibt keines außer dem Zufall.

MAX.
Und die Hypnose?
ANATOL.
Wie?
MAX.

Nun ... die Hypnose ... Ich meine das so: Du schläferst sie ein und sprichst: Du mußt mir die Wahrheit sagen.

ANATOL.
Hm.
MAX.
Du mußt Hörst du ...
ANATOL.
Sonderbar! ...
MAX.

Es müßte doch gehen ... Und nun fragst du sie weiter ... Liebst du mich? ... Einen anderen? ... Woher kommst du? ... Wohin gehst du? ... Wie heißt jener andere? ... Und so weiter.

ANATOL.
Max! Max!
MAX.
Nun ...
ANATOL.

Du hast recht! ... Man könnte ein Zauberer sein! Man könnte sich ein wahres Wort aus einem Weibermund hervorhexen ...

MAX.

Nun also? Ich sehe dich gerettet! Cora ist ja gewiß ein geeignetes Medium ... heute abend noch kannst du wissen, ob du ein Betrogener bist ... oder ein ...

ANATOL.

Oder ein Gott! ... Max! ... Ich umarme dich! ... Ich fühle mich wie befreit ... ich bin ein ganz anderer. Ich habe sie in meiner Macht ...

MAX.
Ich bin wahrhaftig neugierig ...
ANATOL.
Wieso? Zweifelst du etwa?
MAX.
Ach so, die andern dürfen nicht zweifeln, nur du ...
ANATOL.

Gewiß! ... Wenn ein Ehemann aus dem Hause tritt, wo er eben seine Frau mit ihrem Liebhaber entdeckt hat, und ein Freund tritt ihm entgegen mit den Worten: Ich glaube, deine Gattin betrügt dich, so wird er nicht antworten: Ich habe soeben die Überzeugung gewonnen ... sondern: Du bist ein Schurke ...

MAX.

Ja, ich hatte fast vergessen, daß es die erste Freundespflicht ist – dem Freund seine Illusionen zu lassen.

ANATOL.
Still doch ...
MAX.
Was ist's?
ANATOL.
Hörst du sie nicht? Ich kenne die Schritte, auch wenn sie noch in der Hausflur hallen.
[33]
MAX.
Ich höre nichts.
ANATOL.
Wie nahe schon! ... Auf dem Gange ...Öffnet die Tür. Cora!
CORA
draußen.
Guten Abend! O du bist nicht allein ...
ANATOL.
Freund Max!
CORA
hereintretend.
Guten Abend! Ei, im Dunklen? ...
ANATOL.
Ach, es dämmert ja noch. Du weißt, das liebe ich.
CORA
ihm die Haare streichelnd.
Mein kleiner Dichter!
ANATOL.
Meine liebste Cora!
CORA.
Aber ich werde immerhin Licht machen ... Du erlaubst. Sie zündet die Kerzen in den Leuchtern an.
ANATOL
zu Max.
Ist sie nicht reizend?
MAX.
Oh!
CORA.
Nun, wie geht's? Dir Anatol – Ihnen, Max? – Plaudert ihr schon lange?
ANATOL.
Eine halbe Stunde.
CORA.
So. Sie legt Hut und Mantel ab. Und worüber?
ANATOL.
Über dies und jenes.
MAX.
Über die Hypnose.
CORA.
O schon wieder die Hypnose! Man wird ja schon ganz dumm davon.
ANATOL.
Nun ...
CORA.
Du, Anatol, ich möchte, daß du einmal mich hypnotisierst.
ANATOL.
Ich ... Dich ...?
CORA.
Ja, ich stelle mir das sehr hübsch vor. Das heißt, – von dir.
ANATOL.
Danke.
CORA.
Von einem Fremden ... nein, nein, das wollt' ich nicht.
ANATOL.
Nun, mein Schatz ... wenn du willst, hypnotisiere ich dich.
CORA.
Wann?
ANATOL.
Jetzt! Sofort, auf der Stelle.
CORA.
Ja! Gut! Was muß ich tun?
ANATOL.

Nichts anderes, mein Kind, als ruhig auf dem Fauteuil; sitzen zu bleiben und den guten Willen haben, einzuschlafen.

CORA.
O ich habe den guten Willen!
ANATOL.

Ich stelle mich vor dich hin, du siehst mich an ... nun ... sieh mich doch an ... ich streiche dir über Stirne und Augen. So ...

CORA.
Nun ja, und was dann ...
ANATOL.
Nichts ... Du mußt nur einschlafen wollen.
CORA.
Du, wenn du mir so über die Augen streichst, wird mir [34] ganz sonderbar ...
ANATOL.
Ruhig ... nicht reden ... Schlafen. Du bist schon recht müde.
CORA.
Nein.
ANATOL.
Ja! ... ein wenig müde.
CORA.
Ein wenig, ja ...
ANATOL.
... Deine Augenlider werden dir schwer ... sehr schwer, deine Hände kannst du kaum mehr erheben ...
CORA
leise.
Wirklich.
ANATOL
ihr weiter über Stirne und Augen streichelnd, eintönig.

Müd' ... ganz müd' bist du ... nun schlafe ein, mein Kind ... Schlafe .... ganz müd' bist du ... nun schlafe ein, mein Kind ... Schlafe. Er wendet sich zu Max, der bewundernd zusieht, macht eine siegesbewußte Miene. Schlafen ... Nun sind die Augen fest geschlossen ... Du kannst sie nicht mehr öffnen ...

CORA
will die Augen öffnen.
ANATOL.
Es geht nicht ... Du schläfst ... Nur ruhig weiter schlafen ... So ...
MAX
will etwas fragen.
Du ...
ANATOL.

Ruhig. Zu Cora. ... Schlafen ... fest, tief schlafen. Er steht eine Weile vor Cora, die ruhig atmet und schläft. So ... nun kannst du fragen.

MAX.
Ich wollte nur fragen, ob sie wirklich schläft.
ANATOL.

Du siehst doch ... Nun wollen wir ein paar Augenblicke warten. Er steht vor ihr, sieht sie ruhig an. Große Pause. Cora! ... Du wirst mir nun antworten ... Antworten. Wie heißt du?

CORA.
Cora.
ANATOL.
Cora, wir sind im Wald.
CORA.
O ... im Wald ... wie schön! Die grünen Bäume ... und die Nachtigallen.
ANATOL.
Cora ... Du wirst mir nun in allem die Wahrheit sagen ... Was wirst du tun, Cora?
CORA.
Ich werde die Wahrheit sagen.
ANATOL.

Du wirst mir alle Fragen wahrheitsgetreu beantworten, und wenn du aufwachst, wirst du wieder alles vergessen haben! Hast du mich verstanden?

CORA.
Ja.
ANATOL.
Nun schlafe ... ruhig schlafen. Zu Max. Jetzt also werde ich sie fragen ...
MAX.
Du, wie alt ist sie denn?
[35]
ANATOL.
Neunzehn ... Cora, wie alt bist du?
CORA.
Einundzwanzig Jahre.
MAX.
Haha.
ANATOL.
Pst ... das ist ja außerordentlich ... Du siehst daraus ...
MAX.
O, wenn sie gewußt hätte, daß sie ein so gutes Medium ist!
ANATOL.

Die Suggestion hat gewirkt. Ich werde sie weiter fragen. – Cora, liebst du mich ...? Cora ... liebst du mich?

CORA.
Ja!
ANATOL
triumphierend.
Hörst du's?
MAX.
Nun also, die Hauptfrage, ob sie treu ist.
ANATOL.
Cora! Sich umwendend. Die Frage ist dumm.
MAX.
Warum?
ANATOL.
So kann man nicht fragen!
MAX.
...?
ANATOL.
Ich muß die Frage anders fassen.
MAX.
Ich denke doch, sie ist präzis genug.
ANATOL.
Nein, das ist eben der Fehler, sie ist nicht präzis genug.
MAX.
Wieso?
ANATOL.
Wenn ich sie frage: Bist du treu, so meint sie dies vielleicht im allerweitesten Sinne.
MAX.
Nun?
ANATOL.

Sie umfaßt vielleicht die ganze ... Vergangenheit ... Sie denkt möglicherweise an eine Zeit, wo sie einen anderen liebte ... und wird antworten: Nein.

MAX.
Das wäre ja auch ganz interessant.
ANATOL.

Ich danke ... Ich weiß, Cora ist andern begegnet vor mir ... Sie hat mir selbst einmal gesagt: Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich dich einmal treffe ... dann ...

MAX.
Aber sie hat es nicht gewußt.
ANATOL.
Nein ...
MAX.
Und was deine Frage anbelangt ...
ANATOL.
Ja ... Diese Frage ... Ich finde sie plump, in der Fassung wenigstens.
MAX.
Nun so stelle sie etwa so: Cora, warst du mir treu, seit du mich kennst?
ANATOL.
Hm ... Das wäre etwas. Vor Cora. Cora! Warst du ... Auch das ist ein Unsinn!
MAX.
Ein Unsinn!?
ANATOL.

Ich bitte ... man muß sich nur vorstellen, wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja selbst nicht, daß wir uns einmal so wahnsinnig lieben würden. Die ersten Tage betrachteten [36] wir beide die ganze Geschichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß ...

MAX.
Wer weiß ...?
ANATOL.

Wer weiß, ob sie nicht mich erst zu lieben anfing, – als sie einen andern zu lieben aufhörte? Was erlebte dieses Mädchen einen Tag, bevor ich sie traf, bevor wir das erste Wort miteinander sprachen? War es ihr möglich, sich da so ohne weiteres loszureißen? Hat sie nicht vielleicht tage- und wochenlang noch eine alte Kette nachschleppen müssen, müssen, sag' ich.

MAX.
Hm.
ANATOL.

Ich will sogar noch weiter gehen ... Die erste Zeit war es ja nur eine Laune von ihr – wie von mir. Wir haben es beide nicht anders angesehen, wir haben nichts anderes voneinander verlangt, als ein flüchtiges, süßes Glück. Wenn sie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts – gar nichts.

MAX.
Du bist eigentümlich mild.
ANATOL.

Nein, durchaus nicht, ich finde es nur unedel, die Vorteile einer augenblicklichen Situation in dieser Weise auszunützen.

MAX.
Nun, das ist sicher vornehm gedacht. Aber ich will dir aus der Verlegenheit helfen.
ANATOL.
–?
MAX.
Du fragst sie, wie folgt: Cora, seit du mich liebst ... bist du mir treu?
ANATOL.
Das klingt zwar sehr klar.
MAX.
... Nun?
ANATOL.
Ist es aber durchaus nicht.
MAX.
Oh!
ANATOL.

Treu! Wie heißt das eigentlich: Treu? Denke dir ... sie ist gestern in einem Eisenbahnwaggon gefahren, und ein gegenübersitzender Herr berührte mit seinem Fuße die Spitze des ihren. Jetzt mit diesem eigentümlichen, durch den Schlafzustand ins Unendliche gesteigerten Auffassungsvermögen, in dieser verfeinerten Empfindungsfähigkeit, wie sie ein Medium zweifellos in der Hypnose besitzt, ist es gar nicht ausgeschlossen, daß sie auch das schon als einen Treubruch ansieht.

MAX.
Na höre!
ANATOL.

Um so mehr, als sie in unseren Gesprächen über dieses [37] Thema, wie wir sie manchmal zu führen pflegten, meine vielleicht etwas übertriebenen Ansichten kennen lernte. Ich selbst habe ihr gesagt: Cora, auch wenn du einen andern Mann einfach anschaust, ist es schon eine Untreue gegen mich!

MAX.
Und sie?
ANATOL.
Und sie, sie lachte mich aus und sagte, wie ich nur glauben könne, daß sie einen andern anschaue.
MAX.
Und doch glaubst du –?
ANATOL.

Es gibt Zufälle – denke dir, ein Zudringlicher geht ihr abends nach und drückt ihr einen Kuß auf den Hals.

MAX.
Nun – das ...
ANATOL.
Nun – das ist doch nicht ganz unmöglich!
MAX.
Also du willst sie nicht fragen.
ANATOL.
Oh doch ... aber ...
MAX.

Alles, was du vorgebracht hast, ist ein Unsinn. Glaube mir, die Weiber mißverstehen uns nicht, wenn wir sie um ihre Treue fragen. Wenn du ihr jetzt zuflüsterst mit zärtlicher, verliebter Stimme: Bist du mir treu ... so wird sie an keines Herrn Fußspitzen und keines Zudringlichen Kuß auf den Nacken denken – sondern nur an das, was wir gemeiniglich unter Untreue verstehen, wobei du noch immer den Vorteil hast, bei ungenügenden Antworten weitere Fragen stellen zu können, die alles aufklären müssen. –

ANATOL.
Also du willst durchaus, daß ich sie fragen soll ...
MAX.
Ich? ... Du wolltest doch!
ANATOL.
Mir ist nämlich soeben noch etwas eingefallen.
MAX.
Und zwar ...?
ANATOL.
Das Unbewußte!
MAX.
Das Unbewußte?
ANATOL.
Ich glaube nämlich an unbewußte Zustände.
MAX.
So.
ANATOL.

Solche Zustände können aus sich selbst heraus entstehen, sie können aber auch erzeugt werden, künstlich, ... durch betäubende, durch berauschende Mittel.

MAX.
Willst du dich nicht näher erklären ...?
ANATOL.
Vergegenwärtige dir ein dämmeriges, stimmungsvolles Zimmer.
MAX.
Dämmerig ... stimmungsvoll ... ich vergegenwärtige mir.
ANATOL.
In diesem Zimmer sie ... und irgend ein anderer.
MAX.
Ja, wie sollte sie da hineingekommen sein?
[38]
ANATOL.

Ich will das vorläufig offen lassen. Es gibt ja Vorwände ... Genug! So etwas kann vorkommen. Nun – ein paar Gläser Rheinwein ... eine eigentümlich schwüle Luft, die über dem Ganzen lastet, ein Duft von Zigaretten, parfümierten Tapeten, ein Lichtschein von einem matten Glaslüster und rote Vorhänge – Einsamkeit – Stille – nur Flüstern von süßen Worten ...

MAX.
...!
ANATOL.
Auch andere sind da schon erlegen! Bessere, ruhigere als sie!
MAX.

Nun ja, nur kann ich es mit dem Begriffe der Treue noch immer nicht vereinbar finden, daß man sich mit einem andern in solch ein Gemach begibt.

ANATOL.
Es gibt so rätselhafte Dinge ...
MAX.

Nun, mein Freund, du hast die Lösung eines jener Rätsel, über das sich die geistreichsten Männer den Kopf zerbrochen, vor dir; du brauchst nur zu sprechen, und du weißt alles, was du wissen willst. Eine Frage – und du erfährst, ob du einer von den wenigen bist, die allein geliebt werden, kannst erfahren, wo dein Nebenbuhler ist, erfahren, wodurch ihm der Sieg über dich gelungen – und du sprichst dieses Wort nicht aus! – Du hast eine Frage frei an das Schicksal! Du stellst sie nicht! Tage- und nächtelang quälst du dich, dein halbes Leben gäbst du hin für die Wahrheit, nun liegt sie vor dir, du bückst dich nicht, um sie aufzuheben! Und warum? Weil es sich vielleicht fügen kann, daß eine Frau, die du liebst, wirklich so ist, wie sie alle deiner Idee nach sein sollen – und weil dir deine Illusion doch tausendmal lieber ist als die Wahrheit. Genug also des Spiels, wecke dieses Mädchen auf und lasse dir an dem stolzen Bewußtsein genügen, daß du ein Wunder – hättest vollbringen können.

ANATOL.
Max!
MAX.

Nun, habe ich vielleicht unrecht? Weißt du nicht selbst, daß alles, was du mir früher sagtest, Ausflüchte waren, leere Phrasen, mit denen du weder mich noch dich täuschen konntest?

ANATOL
rasch.
Max ... Laß dir nur sagen, ich will; ja, ich will sie fragen!
MAX.
Ah!
ANATOL.
Aber sei mir nicht böse – nicht vor dir!
MAX.
Nicht vor mir?
[39]
ANATOL.

Wenn ich es hören muß, das Furchtbare, wenn sie mir antwortet: Nein, ich war dir nicht treu – so soll ich allein es sein, der es hört. Unglücklichsein – ist erst das halbe Unglück, bedauert werden: Das ist das ganze! – Das will ich nicht. Du bist ja mein bester Freund, aber darum gerade will ich nicht, daß deine Augen mit jenem Ausdruck von Mitleid auf mir ruhen, der dem Unglücklichen erst sagt, wie elend er ist. Vielleicht ist's auch noch etwas anderes – vielleicht schäme ich mich vor dir. Die Wahrheit wirst du ja doch erfahren, du hast dieses Mädchen heute zum letzten Mal bei mir gesehen, wenn sie mich betrogen hat! Aber du sollst es nicht mit mir zugleich hören; das ist's, was ich nicht ertragen könnte. Begreifst du das ...?

MAX.
Ja, mein Freund, Rückt ihm die Hand. und ich lasse dich auch mit ihr allein.
ANATOL.
Mein Freund! Ihn zur Tür begleitend. In weniger als einer Minute ruf' ich dich herein! –Max ab.
ANATOL
steht vor Cora .

.. sieht sie lange an. Cora! ...! Schüttelt den Kopf, geht herum. Cora! –Vor Cora auf den Knien. Cora! Meine süße Cora! – Cora! Steht auf. Entschlossen. Wach' auf ... und küsse mich!

CORA
steht auf, reibt sich die Augen, fällt Anatol um den Hals.
Anatol! Hab' ich lang geschlafen? ... Wo ist denn Max?
ANATOL.
Max!
MAX
kommt aus dem Nebenzimmer.
Da bin ich!
ANATOL.
Ja ... ziemlich lang hast du geschlafen – du hast auch im Schlafe gesprochen.
CORA.
Um Gottes willen! Doch nichts Unrechtes? –
MAX.
Sie haben nur auf seine Fragen geantwortet!
CORA.
Was hat er denn gefragt?
ANATOL.
Tausenderlei! ...
CORA.
Und ich habe immer geantwortet? Immer?
ANATOL.
Immer.
CORA.
Und was du gefragt hast, das darf man nicht wissen? –
ANATOL.
Nein, das darf man nicht! Und morgen hypnotisiere ich dich wieder!
CORA.

O nein! Nie wieder! Das ist ja Hexerei. Da wird man gefragt und weiß nach dem Erwachen nichts davon. – Gewiß hab' ich lauter Unsinn geplauscht.

ANATOL.
Ja ... zum Beispiel, daß du mich liebst ...
CORA.
Wirklich.
[40]
MAX.
Sie glaubt es nicht! Das ist sehr gut!
CORA.
Aber schau ... das hätte ich dir ja auch im Wachen sagen können!
ANATOL.
Mein Engel! Umarmung.
MAX.
Meine Herrschaften ... adieu! –
ANATOL.
Du gehst schon?
MAX.
Ich muß.
ANATOL.
Sei nicht böse, wenn ich dich nicht begleite. –
CORA.
Auf Wiedersehen!
MAX.

Durchaus nicht. Bei der Tür. Eines ist mir klar: Daß die Weiber auch in der Hypnose lügen ... Aber sie sind glücklich – und das ist die Hauptsache. Adieu, Kinder. Sie hören ihn nicht, da sie sich in einer leidenschaftlichen Umarmung umschlungen halten.


Vorhang.

Weihnachtseinkäufe

Anatol, Gabriele.
Weihnachtsabend 6 Uhr. Leichter Schneefall. In den Straßen Wiens.

ANATOL.
Gnädige Frau, gnädige Frau ...!
GABRIELE.
Wie? ... Ah, Sie sind's!
ANATOL.

Ja! ... Ich verfolge Sie! – Ich kann das nicht mit ansehen, wie Sie all diese Dinge schleppen! – Geben Sie mir doch Ihre Pakete!

GABRIELE.
Nein, nein, ich danke! – Ich trage das schon selber!
ANATOL.

Aber ich bitte Sie, gnädige Frau, machen Sie mir's doch nicht gar so schwer, wenn ich einmal galant sein will –

GABRIELE.
Na – das eine da ...
ANATOL.
Aber das ist ja gar nichts ... Geben Sie nur ... So ... das ... und das ...
GABRIELE.
Genug, genug – Sie sind zu liebenswürdig!
ANATOL.
Wenn man's nur einmal sein darf – das tut ja so wohl!
[41]
GABRIELE.
Das beweisen Sie aber nur auf der Straße und – wenn's schneit.
ANATOL.
... Und wenn es spät abends – und wenn es zufällig Weihnachten ist – wie?
GABRIELE.
Es ist ja das reine Wunder, daß man Sie einmal zu Gesicht bekommt!
ANATOL.
Ja, ja ... Sie meinen, daß ich heuer noch nicht einmal meinen Besuch bei Ihnen gemacht habe –
GABRIELE.
Ja, so etwas Ähnliches meine ich!
ANATOL.

Gnädige Frau – ich mache heuer gar keine Besuche – gar keine! Und – wie geht's denn dem Herrn Gemahl? – Und was machen die lieben Kleinen? –

GABRIELE.
Diese Frage können Sie sich schenken! – Ich weiß ja, daß Sie das alles sehr wenig interessiert!
ANATOL.
Es ist unheimlich, wenn man auf so eine Menschenkennerin trifft!
GABRIELE.
Sie – kenne ich!
ANATOL.
Nicht so gut, als ich es wünschte!
GABRIELE.
Lassen Sie Ihre Bemerkungen! Ja –?
ANATOL.
Gnädige Frau – das kann ich nicht!
GABRIELE.
Geben Sie mir meine Päckchen wieder!
ANATOL.
Nicht bös' sein – nicht bös' sein!! – Ich bin schon wieder brav ...

Sie gehen schweigend nebeneinander her.
GABRIELE.
Irgend etwas dürfen Sie schon reden!
ANATOL.
Irgend etwas – ja – aber Ihre Zensur ist so strenge ...
GABRIELE.

Erzählen Sie mir doch was. Wir haben uns ja schon so lange nicht gesehen ... Was machen Sie denn eigentlich? –

ANATOL.
Ich mache nichts, wie gewöhnlich!
GABRIELE.
Nichts?
ANATOL.
Gar nichts!
GABRIELE.
Es ist wirklich schad' um Sie!
ANATOL.
Na ... Ihnen ist das sehr gleichgültig!
GABRIELE.
Wie können Sie das behaupten? –
ANATOL.
Warum verbummle ich mein Leben? – Wer ist schuld? – Wer?!
GABRIELE.
Geben Sie mir die Pakete! –
ANATOL.
Ich habe ja niemandem die Schuld gegeben ... Ich fragte nur so ins Blaue ...
GABRIELE.
Sie gehen wohl immerfort spazieren?
ANATOL.

Spazieren! Da legen Sie so einen verächtlichen Ton hinein! [42] Als wenn es was Schöneres gäbe! – Es liegt so was herrlich Planloses in dem Wort! – Heut paßt es übrigens gar nicht auf mich – heut bin ich beschäftigt, gnädige Frau – genau so wie Sie! –

GABRIELE.
Wieso?!
ANATOL.
Ich mache auch Weihnachtseinkäufe! –
GABRIELE.
Sie!?
ANATOL.

Ich finde nur nichts Rechtes! – Dabei stehe ich seit Wochen jeden Abend vor allen Auslagefenstern in allen Straßen! – Aber die Kaufleute haben keinen Geschmack und keinen Erfindungsgeist.

GABRIELE.

Den muß eben der Käufer haben! Wenn man so wenig zu tun hat wie Sie, denkt man nach, erfindet selbst – und bestellt seine Geschenke schon im Herbst. –

ANATOL.

Ach, dazu bin ich nicht der Mensch! – Weiß man denn überhaupt im Herbst, wem man zu Weihnachten etwas schenken wird? – Und jetzt ist's wieder zwei Stunden vor Christbaum – und ich habe noch keine Ahnung, keine Ahnung –!

GABRIELE.
Soll ich Ihnen helfen?
ANATOL.
Gnädige Frau ... Sie sind ein Engel – aber nehmen Sie mir die Päckchen nicht weg ...
GABRIELE.
Nein, nein ...
ANATOL.
Also Engel! darf man sagen. – das ist schön – Engel! –
GABRIELE.
Wollen Sie gefälligst schweigen?
ANATOL.
Ich bin schon wieder ganz ruhig!
GABRIELE.
Also – geben Sie mir irgend einen Anhaltspunkt ... Für wen soll Ihr Geschenk gehören?
ANATOL.
... Das ist ... eigentlich schwer zu sagen ...
GABRIELE.
Für eine Dame natürlich?!
ANATOL.
Na, ja – daß Sie eine Menschenkennerin sind, hab' ich Ihnen heut schon einmal gesagt!
GABRIELE.
Aber was ... für eine Dame? – Eine wirkliche Dame?!
ANATOL.

... Da müssen wir uns erst über den Begriff einigen! Wenn Sie meinen, eine Dame der großen Welt, – da stimmt es nicht vollkommen ...

GABRIELE.
Also ... der kleinen Welt? ...
ANATOL.
Gut – sagen wir der kleinen Welt. –
GABRIELE.
Das hätt' ich mir eigentlich denken können ...!
ANATOL.
Nur nicht sarkastisch werden!
GABRIELE.
Ich kenne ja Ihren Geschmack ... Wird wohl wieder irgend was vor der Linie sein – dünn und blond!
[43]
ANATOL.
Blond – gebe ich zu ...!
GABRIELE.

... Ja, ja ... blond ... es ist merkwürdig, daß Sie immer mit solchen Vorstadtdamen zu tun haben – aber immer!

ANATOL.
Gnädige Frau – meine Schuld ist es nicht.
GABRIELE.

Lassen Sie das – mein Herr! – Oh, es ist auch ganz gut, daß Sie bei Ihrem Genre bleiben ... es wäre ein großes Unrecht, wenn Sie die Stätte Ihrer Triumphe verließen ...

ANATOL.
Aber was soll ich denn tun – man liebt mich nur da draußen ...
GABRIELE.
Versteht man Sie denn ... da draußen?
ANATOL.

Keine Idee! – Aber, sehen Sie ... in der kleinen Welt werd' ich nur geliebt; in der großen – nur verstanden – Sie wissen ja ...

GABRIELE.

Ich weiß gar nichts ... und will weiter nichts wissen! – Kommen Sie ... hier ist gerade das richtige Geschäft ... da wollen wir Ihrer Kleinen was kaufen ...

ANATOL.
Gnädige Frau! –
GABRIELE.

Nun ja ... sehen Sie einmal ... da ... so eine kleine Schatulle mit drei verschiedenen Parfüms ... oder diese hier mit den sechs Seifen ... Patschuli ... Chypre ... Jockey-Club – das müßte doch was sein – nicht?!

ANATOL.
Gnädige Frau – schön ist das nicht von Ihnen!
GABRIELE.

Oder warten Sie, hier ...! – Sehen Sie doch ... Diese kleine Brosche mit sechs falschen Brillanten – denken Sie – sechs! – Wie das nur glitzert! – Oder dieses reizende, kleine Armband mit den himmlischen Berloques ... ach, – eins stellt gar einen veritablen Mohrenkopf vor! – Das muß doch riesig wirken ... in der Vorstadt! ...

ANATOL.

Gnädige Frau – Sie irren sich! Sie kennen diese Mädchen nicht – die sind anders, als Sie sich vorstellen ...

GABRIELE.

Und da ... ach, wie reizend! – Kommen Sie doch näher – nun – was sagen Sie zu dem Hut!? – Die Form war vor zwei Jahren höchst modern! Und die Federn – wie die wallen – nicht!? Das müßte ein kolossales Aufsehen machen – in Hernals?!

ANATOL.

Gnädige Frau ... von Hernals war nie die Rede ... und übrigens unterschätzen Sie wahrscheinlich auch den Hernalser Geschmack ...

GABRIELE.

Ja ... es ist wirklich schwer mit Ihnen – so kommen Sie mir doch zu Hilfe – geben Sie mir eine Andeutung –

[44]
ANATOL.
Wie soll ich das ...?! Sie würden ja doch überlegen lächeln – jedenfalls!
GABRIELE.

Oh nein, o nein! – Belehren Sie mich nur ...! Ist sie eitel – oder bescheiden? – Ist sie groß oder klein? – Schwärmt sie für bunte Farben ...?

ANATOL.
Ich hätte Ihre Freundlichkeit nicht annehmen sollen! – Sie spotten nur!
GABRIELE.
Oh nein, ich höre schon zu! – Erzählen Sie mir doch was von ihr!
ANATOL.
Ich wage es nicht –
GABRIELE.
Wagen Sie's nur! ... Seit wann ...?
ANATOL.
Lassen wir das!
GABRIELE.
Ich bestehe darauf! – Seit wann kennen Sie sie?
ANATOL.
Seit – längerer Zeit!
GABRIELE.

Lassen Sie sich doch nicht in dieser Weise ausfragen ...! Erzählen Sie mir einmal die ganze Geschichte ....!

ANATOL.
Es ist gar keine Geschichte!
GABRIELE.

Aber, wo Sie sie kennen gelernt haben, und wie und wann, und was das überhaupt für eine Person ist – das möcht' ich wissen!

ANATOL.
Gut – aber es ist langweilig – ich mache Sie darauf aufmerksam!
GABRIELE.

Mich wird es schon interessieren. Ich möchte wirklich einmal was aus dieser Welt erfahren! – Was ist das überhaupt für eine Welt? – Ich kenne sie ja gar nicht!

ANATOL.
Sie würden sie auch gar nicht verstehen!
GABRIELE.
Oh, mein Herr!
ANATOL.
Sie haben eine so summarische Verachtung für alles, was nicht Ihr Kreis ist! – Sehr mit Unrecht.
GABRIELE.
Aber ich bin ja so gelehrig! – Man erzählt mir ja nichts aus dieser Welt! – Wie soll ich sie kennen?
ANATOL.

Aber ... Sie haben so eine unklare Empfindung, daß – man dort Ihnen etwas wegnimmt. Stille Feindschaft!

GABRIELE.
Ich bitte – mir nimmt man nichts weg – wenn ich etwas behalten will.
ANATOL.

Ja ... aber, wenn Sie selber irgend was nicht wollen ... es ärgert Sie doch, wenn's ein anderer kriegt? –

GABRIELE.
Oh –!
ANATOL.

Gnädige Frau ... Das ist nur echt weiblich! Und da es echt weiblich ist – ist es ja wahrscheinlich auch höchst vornehm und schön und tief ...!

[45]
GABRIELE.
Wo Sie nur die Ironie herhaben!!
ANATOL.

Wo ich sie herhabe? – Ich will es Ihnen sagen. Auch ich war einmal gut – und voll Vertrauen – und es gab keinen Hohn in meinen Worten ... Und ich habe manche Wunde still ertragen –

GABRIELE.
Nur nicht romantisch werden!
ANATOL.

Die ehrlichen Wunden – ja! – Ein »Nein« zur rechten Zeit, selbst von den geliebtesten Lippen – ich konnte es verwinden. – Aber ein »Nein«, wenn die Augen hundermal »Vielleicht« gesagt – wenn die Lippen hundertmal »Mag sein!« gelächelt, – wenn der Ton der Stimme hundertmal nach »Gewiß« geklungen – so ein »Nein« macht einen –

GABRIELE.
Wir wollen ja was kaufen!
ANATOL.
So ein Nein macht einen zum Narren ... oder zum Spötter!
GABRIELE.
... Sie wollten mir ja ... erzählen –
ANATOL.
Gut – wenn Sie durchaus etwas erzählt haben wollen ...
GABRIELE.
Gewiß will ich es! ... Wie lernten Sie sie kennen ...?
ANATOL.

Gott – wie man eben jemand kennen lernt! – Auf der Straße – beim Tanz – in einem Omnibus – unter einem Regenschirm –

GABRIELE.

Aber – Sie wissen ja – der spezielle Fall interessiert mich. Wir wollen ja dem speziellen, Fall etwas kaufen!

ANATOL.

Dort in der ... »kleinen Welt« gibt's ja keine speziellen Fälle – eigentlich auch in der großen nicht ... Ihr seid ja alle so typisch!

GABRIELE.
Mein Herr! Nun fangen Sie an –
ANATOL.
Es ist ja nichts Beleidigendes – durchaus nicht! – Ich bin ja auch ein Typus!
GABRIELE.
Und was für einer denn?
ANATOL.
... Leichtsinniger Melancholiker!
GABRIELE.
... Und ... und ich?
ANATOL.
Sie? – ganz einfach: Mondaine!
GABRIELE.
So ...! ... Und sie!?
ANATOL.
Sie ...? Sie ..., das süße Mädl!
GABRIELE.
Süß? Gleich »süß«? – Und ich – die »Mondaine« schlechtweg –
ANATOL.
Böse Mondaine – wenn Sie durchaus wollen ...
GABRIELE.
Also ... erzählen Sie mir endlich von dem ... süßen Mädl!
ANATOL.

Sie ist nicht faszinierend schön – sie ist nicht besonders [46] elegant – und sie ist durchaus nicht geistreich ...

GABRIELE.
Ich will ja nicht wissen, was sie nicht ist –
ANATOL.

Aber sie hat die weiche Anmut eines Frühlingsabends ... und die Grazie einer verzauberten Prinzessin ... und den Geist eines Mädchens, das zu lieben weiß!

GABRIELE.
Diese Art von Geist soll ja sehr verbreitet sein ... in Ihrer kleinen Welt! –
ANATOL.

Sie können sich da nicht hineindenken! ... Man hat Ihnen zu viel verschwiegen, als Sie junges Mädchen waren – und hat Ihnen zu viel gesagt, seit Sie junge Frau sind! ... Darunter leidet die Naivität Ihrer Betrachtungen –

GABRIELE.

Aber Sie hören doch – ich will mich belehren lassen ... Ich glaube Ihnen ja schon die »verzauberte Prinzessin«! – Erzählen Sie mir nur, wie der Zaubergarten ausschaut, in dem sie ruht –

ANATOL.

Da dürfen Sie sich freilich nicht einen glänzenden Salon vorstellen, wo die schweren Portieren niederfallen – mit Makartbuketts in den Ecken, Bibelots, Leuchttürmen, mattem Samt ... und dem affektierten Halbdunkel eines sterbenden Nachmittags.

GABRIELE.
Ich will ja nicht wissen, was ich mir nicht vorstellen soll ...
ANATOL.

Also – denken Sie sich – ein kleines dämmeriges Zimmer – so klein – mit gemalten Wänden – und noch dazu etwas zu licht – ein paar alte, schlechte Kupferstiche mit verblaßten Aufschriften hängen da und dort. – Eine Hängelampe mit einem Schirm. – Vom Fenster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden Dächer und Rauchfänge! ... Und – wenn der Frühling kommt, da wird der Garten gegenüber blühn und duften ...

GABRIELE.
Wie glücklich müssen Sie sein, daß Sie schon zu Weihnachten an den Mai denken!
ANATOL.
Ja – dort bin ich auch zuweilen glücklich!
GABRIELE.

Genug, genug! – Es wird spät ... wir wollten ihr was kaufen! ... Vielleicht etwas für das Zimmer mit den gemalten Wänden ...

ANATOL.
Es fehlt nichts darin!
GABRIELE.

Ja ... ihr! – das glaub' ich wohl! – Aber ich möchte Ihnen – ja Ihnen! das Zimmer so recht nach Ihrer Weise schmücken!

ANATOL.
Mir? –
[47]
GABRIELE.
Mit persischen Teppichen ...
ANATOL.
Aber ich bitte Sie – da hinaus!
GABRIELE.
Mit einer Ampel von gebrochenem, rotgrünem Glas ...?
ANATOL.
Hm!
GABRIELE.
Ein paar Vasen mit frischen Blumen?
ANATOL.
Ja ... aber ich will ja ihr was bringen –
GABRIELE.
Ach ja ... es ist wahr – wir müssen uns entscheiden – sie wartet wohl schon auf Sie?
ANATOL.
Gewiß!
GABRIELE.
Sie wartet? – Sagen Sie ... wie empfängt sie Sie denn? –
ANATOL.
Ach – wie man eben empfängt. –
GABRIELE.
Sie hört Ihre Schritte schon auf der Treppe ... nicht wahr?
ANATOL.
Ja ... zuweilen ...
GABRIELE.
Und steht bei der Türe?
ANATOL.
Ja!
GABRIELE.
Und fällt Ihnen um den Hals – und küßt Sie – und sagt ... Was sagt sie denn ...?
ANATOL.
Was man eben in solchen Fällen sagt ...
GABRIELE.
Nun ... zum Beispiel!
ANATOL.
Ich weiß kein Beispiel!
GABRIELE.
Was sagte sie gestern?
ANATOL.

Ach – nichts Besonderes ... das klingt so einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme dazu hört ...!

GABRIELE.
Ich will ihn mir schon dazu denken: Nun – was sagte sie?
ANATOL.
... »Ich bin so froh, daß ich dich wieder hab'!«
GABRIELE.
»Ich bin so froh« – wie?!
ANATOL.
»Daß ich dich wieder hab'!« ...
GABRIELE.
... Das ist eigentlich hübsch – sehr hübsch! –
ANATOL.
Ja ... es ist herzlich und wahr!
GABRIELE.
Und sie ist ... immer allein? – Ihr könnt Euch so ungestört sehen!? –
ANATOL.

Nun ja – sie lebt so für sich – sie steht ganz allein – keinen Vater, keine Mutter ... nicht einmal eine Tante!

GABRIELE.
Und Sie ... sind ihr alles ...?
ANATOL.
... Möglich! ... Heute ... Schweigen.
GABRIELE.
... Es wird so spät – sehen Sie, wie leer es schon in den Straßen ist ...
ANATOL.
Oh – ich hielt Sie auf! – Sie müssen ja nach Hause. –
[48]
GABRIELE.
Freilich – freilich! Man wird mich schon erwarten! – Wie machen wir das nur mit dem Geschenk ...?
ANATOL.
Oh – ich finde schon noch irgend eine Kleinigkeit ...!
GABRIELE.

Wer weiß, wer weiß! – Und ich habe mir schon einmal in den Kopf gesetzt, daß ich Ihrer ... daß ich dem ... Mädl – was aussuchen will ...!

ANATOL.
Aber, ich bitte Sie, gnädige Frau!
GABRIELE.

... Ich möchte am liebsten dabei sein, wenn Sie ihr das Weihnachtsgeschenk bringen! ... Ich habe eine solche Lust bekommen, das kleine Zimmer und das süße Mädl zu sehen! – Die weiß ja gar nicht, wie gut sie's hat!

ANATOL.
...!
GABRIELE.
Nun aber, geben Sie mir die Päckchen! – Es wird so spät ...
ANATOL.
Ja, ja! Hier sind sie – aber ...
GABRIELE.
Bitte – winken Sie dem Wagen dort, der uns entgegenkommt ...
ANATOL.
Diese Eile, mit einem Mal?!
GABRIELE.
Bitte, bitte! Er winkt.
GABRIELE.
Ich danke Ihnen ...! Aber was machen wir nun mit dem Geschenk ...?

Der Wagen hat gehalten; er und sie sind stehen geblieben, er will die Wagentüre öffnen.
GABRIELE.
Warten Sie! – ... Ich möchte ihr selbst was schicken!
ANATOL.
Sie ...?! Gnädige Frau, Sie selbst ...
GABRIELE.

Was nur?! – Hier ... nehmen Sie ... diese Blumen ... ganz einfach, diese Blumen ...! Es soll nichts anderes sein als ein Gruß, gar nichts weiter ... Aber ... Sie müssen ihr was dazu ausrichten. –

ANATOL.
Gnädige Frau – Sie sind so lieb –
GABRIELE.
Versprechen Sie mir, ihr's zu bestellen ... und mit den Worten, die ich Ihnen mitgeben will –
ANATOL.
Gewiß.
GABRIELE.
Versprechen Sie's mir? –
ANATOL.
Ja ... mit Vergnügen! Warum denn nicht!
GABRIELE
hat die Wagentür geöffnet.
So sagen Sie ihr ...
ANATOL.
Nun ...?
GABRIELE.

Sagen Sie ihr: »Diese Blumen, mein ... süßes Mädl, schickt dir eine Frau, die vielleicht ebenso lieben kann wie du und die den Mut dazu nicht hatte ...«

ANATOL.
Gnädige ... Frau!?

[49] Sie ist in den Wagen gestiegen – – – Der Wagen rollt fort, die Straßen sind fast menschenleer geworden.
Er schaut dem Wagen lange nach, bis er um eine Ecke gebogen ist ... Er bleibt noch eine Weile stehen; dann sieht er auf die Uhr und eilt rasch fort.
Vorhang.

Episode

Anatol, Max, Bianca.
Maxens Zimmer, im ganzen dunkel gehalten, dunkelrote Tapeten, dunkelrote Portieren. Im Hintergrunde, Mitte, eine Tür. Eine zweite links vom Zuschauer. In der Mitte des Zimmers ein großer Schreibtisch; eine Lampe mit einem Schirm steht darauf; Bücher und Schriften liegen auf demselben. Rechts vorn ein hohes Fenster. Im Winkel rechts ein Kamin, in welchem ein Feuer lodert. Davor zwei niedere Lehnsessel. Zwanglos daneben gerückt ein dunkelroter Ofenschirm.

MAX
sitzt vor dem Schreibtisch und liest, seine Zigarre rauchend, einen Brief.

»Mein lieber Max! Ich bin wieder da. Unsere Gesellschaft bleibt drei Monate hier, wie Sie wohl in der Zeitung gelesen haben. Der erste Abend gehört der Freundschaft. Heute abend bin ich bei Ihnen. Bibi ...« Bibi ... also Bianca ... Nun, ich werde sie erwarten. Es klopft Sollte sie es schon sein ...? Herein!

ANATOL
tritt ein, ein großes Paket unter dem Arm tragend, düster.
Guten Abend!
MAX.
Ah – was bringst du?
ANATOL.
Ich suche ein Asyl für meine Vergangenheit.
MAX.
Wie soll ich das verstehen?
ANATOL
hält ihm das Paket entgegen.
MAX.
Nun?
ANATOL.
Hier bringe ich dir meine Vergangenheit, mein ganzes Jugendleben: Nimm es bei dir auf.
[50]
MAX.
Mit Vergnügen. Aber du wirst dich doch näher erklären?
ANATOL.
Darf ich mich setzen?
MAX.
Gewiß. Warum bist du übrigens so feierlich?
ANATOL
hat sich niedergesetzt.
Darf ich mir eine Zigarre anzünden?
MAX.
Da! Nimm, sie sind von der heurigen Ernte.
ANATOL
zündet sich eine der angebotenen Zigarren an.
Ah – ausgezeichnet!
MAX
auf das Paket deutend, welches Anatol auf den Schreibtisch gelegt.
ANATOL.
Dieses Jugendleben hat in meinem Haus kein Quartier mehr! Ich verlasse die Stadt.
MAX.
Ah!
ANATOL.

Ich beginne ein neues Leben auf unbestimmte Zeit. Dazu muß ich frei und allein sein, und darum löse ich mich von der Vergangenheit los.

MAX.
Du hast also eine neue Geliebte.
ANATOL.

Nein – ich habe nur vorläufig die alte nicht mehr ... Rasch abbrechend und auf das Paket deutend. – bei dir, mein lieber Freund, darf ich all diesen Tand ruhen lassen.

MAX.
Tand, sagst du –! Warum verbrennst du ihn nicht?
ANATOL.
Ich kann nicht.
MAX.
Das ist kindisch.
ANATOL.

Oh nein: Das ist so meine Art von Treue. Keine von allen, die ich liebte, kann ich vergessen. Wenn ich so in diesen Blättern, Blumen, Locken wühle – du mußt mir gestatten, manchmal zu dir zu kommen, nur um zu wühlen – dann bin ich wieder bei ihnen, dann leben sie wieder, und ich bete sie aufs neue an.

MAX.
Du willst dir also in meiner Behausung ein Stelldichein mit alten Geliebten geben ...?
ANATOL
kaum auf ihn hörend.

Ich habe manchmal so eine Idee ... Wenn es irgend ein Machtwort gäbe, daß alle wieder erscheinen müßten! Wenn ich sie hervorzaubern könnte aus dem Nichts!

MAX.
Dieses Nichts wäre etwas verschiedenartig.
ANATOL.
Ja, ja ... denke dir, ich spräche es aus, dieses Wort ...
MAX.
Vielleicht findest du ein wirksames ... zum Beispiel: Einzig Geliebte!
ANATOL.

Ich rufe also: Einzig Geliebte ...! Und nun kommen sie; die eine aus irgend einem kleinen Häuschen aus der Vorstadt, [51] die andere aus dem prunkenden Salon ihres Herrn Gemahls – Eine aus der Garderobe ihres Theaters –

MAX.
Mehrere!
ANATOL.
Mehrere – gut ... Eine aus dem Modistengeschäft –
MAX.
Eine aus den Armen eines neuen Geliebten –
ANATOL.
Eine aus dem Grabe ... Eine von da – eine von dort – und nun sind sie alle da ...
MAX.

Sprich das Wort lieber nicht aus. Diese Versammlung könnte ungemütlich werden. Denn sie haben vielleicht alle aufgehört, dich zu lieben – aber keine, eifersüchtig zu sein.

ANATOL.
Sehr weise ... Ruhet also in Frieden.
MAX.
Nun heißt es aber einen Platz für dieses stattliche Päckchen zu finden.
ANATOL.

Du wirst es verteilen müssen. Reißt das Paket auf; es liegen zierliche, durch Bänder zusammengehaltem Päckchen zutage.

MAX.
Ah!
ANATOL.
Es ist alles hübsch geordnet.
MAX.
Nach Namen?
ANATOL.

O nein. Jedes Päckchen trägt irgend eine Aufschrift: Einen Vers, ein Wort, eine Bemerkung, die mir das ganze Erlebnis in die Erinnerung zurückrufen. Niemands Namen – denn Marie oder Anna könnte schließlich jede heißen.

MAX.
Laß lesen.
ANATOL.

Werde ich euch alle wieder kennen? Manches liegt jahrelang da, ohne daß ich es wieder angesehen habe.

MAX
eines der Päckchen in die Hand nehmend, die Aufschrift lesend.

»Du reizend Schöne, Holde, Wilde,
Laß mich umschlingen deinen Leib;
Ich küsse deinen Hals, Mathilde,
Du wundersames süßes Weib!«

... Das ist ja doch ein Name –? Mathilde!
ANATOL.
Ja, Mathilde. – Sie hieß aber anders. Immerhin habe ich ihren Hals geküßt.
MAX.
Wer war sie?
ANATOL.
Frage das nicht. Sie hat in meinen Armen gelegen, das genügt.
MAX.
Also fort mit der Mathilde. – Übrigens ein sehr schmales Päckchen.
ANATOL.
Ja, es ist nur eine Locke darin.
MAX.
Gar keine Briefe?
ANATOL.

Oh – von der! Das hätte ihr die riesigste Mühe gemacht. [52] Wo kämen wir aber hin, wenn uns alle Weiber Briefe schrieben! Also weg mit der Mathilde.

MAX
wie oben.

»In einer Beziehung sind alle Weiber gleich: Sie werden impertinent, wenn man sie auf einer Lüge ertappt.«

ANATOL.
Ja, das ist wahr!
MAX.
Wer war die? Ein gewichtiges Päckchen!
ANATOL.
Lauter acht Seiten lange Lügen! Weg damit.
MAX.
Und impertinent war sie auch?
ANATOL.
Als ich ihr drauf kam. Weg mit ihr.
MAX.
Weg mit der impertinenten Lügnerin.
ANATOL.
Keine Beschimpfungen. Sie lag in meinen Armen; – sie ist heilig.
MAX.
Das ist wenigstens ein guter Grund. Also weiter. Wie oben.

»Um mir die böse Laune wegzufächeln,
Denk' ich an deinen Bräutigam, mein Kind.
Ja dann, mein süßer Schatz, dann muß ich lächeln,
Weil's Dinge gibt, die gar zu lustig sind.«
ANATOL
lächelnd.
Ach ja, das war sie.
MAX.
Ah, – was ist denn drin?
ANATOL.
Eine Photographie. Sie mit dem Bräutigam.
MAX.
Kanntest du ihn?
ANATOL.
Natürlich, sonst hätte ich ja nicht lächeln können. Er war ein Dummkopf.
MAX
ernst.
Er ist in ihren Armen gelegen; er ist heilig.
ANATOL.
Genug.
MAX.

Weg mit dem lustigen süßen Kind samt lächerlichem Bräutigam. Ein neues Päckchen nehmend. Was ist das? Nur ein Wort?

ANATOL.
Welches denn?
MAX.
»Ohrfeige«.
ANATOL.
Oh, ich erinnere mich schon.
MAX.
Das war wohl der Schluß?
ANATOL.
Oh nein, der Anfang.
MAX.

Ach so! Und hier ... »Es ist leichter, die Richtung einer Flamme zu verändern, als sie zu entzünden.« – Was bedeutet' das?

ANATOL.
Nun, ich habe die Richtung der Flamme verändert: Entzündet hat sie ein anderer.
MAX.
Fort mit der Flamme ... »Immer hat sie ihr Brenneisen mit«. Sieht Anatol fragend an.
ANATOL.

Nun ja; sie hatte eben immer ihr Brenneisen mit – für [53] alle Fälle. Aber sie war sehr hübsch. Übrigens hab' ich nur ein Stück Schleier von ihr.

MAX.

Ja, es fühlt sich so an ... Weiter lesend. »Wie hab' ich dich verloren?« ... Nun, wie hast du sie verloren?

ANATOL.

Das weiß ich eben nicht. Sie war fort – plötzlich aus meinem Leben. Ich versichere dir, das kommt manchmal vor. Es ist, wie wenn man irgendwo einen Regenschirm stehen läßt und sich erst viele Tage später erinnert ... Man weiß dann nicht mehr wann und wo.

MAX.
Ade Verlorene. Wie oben.
»Warst ein süßes, liebes Ding –«
ANATOL
träumerisch fortfahrend.
»Mädel mit den zerstochenen Fingern«.
MAX.
Das war Cora – nicht?
ANATOL.
Ja – du hast sie ja gekannt.
MAX.
Weißt du, was aus ihr geworden ist?
ANATOL.
Ich habe sie später wieder getroffen – als Gattin eines Tischlermeisters.
MAX.
Wahrhaftig!
ANATOL.

Ja, so enden diese Mädel mit den zerstochenen Fingern. In der Stadt werden sie geliebt und in der Vorstadt geheiratet ... 's war ein Schatz!

MAX.
Fahr wohl –! Und was ist das? ... »Episode« – da ist ja nichts darin? ... Staub!
ANATOL
das Kuvert in die Hand nehmend.
Staub –? Das war einmal eine Blume!
MAX.
Was bedeutet das: Episode?
ANATOL.

Ach nichts; so ein zufälliger Gedanke. Es war nur eine Episode, ein Roman von zwei Stunden ... nichts! ... Ja, Staub! – Daß von so viel Süßigkeit nichts anderes zurückbleibt, ist eigentlich traurig. – Nicht?

MAX.

Ja, gewiß ist das traurig ... Aber wie kamst du zu dem Worte? Du hättest es doch überall hinschreiben können?

ANATOL.

Jawohl; aber niemals kam es mir zu Bewußtsein wie damals. Häufig, wenn ich mit der oder jener zusammen war, besonders in früherer Zeit, wo ich noch sehr Großes von mir dachte, da lag es mir auf den Lippen: Du armes Kind – du armes Kind –!

MAX.
Wieso?
ANATOL.

Nun, ich kam mir so vor, wie einer von den Gewaltigen des Geistes. Diese Mädchen und Frauen – ich zermalmte sie [54] unter meinen ehernen Schritten, mit denen ich über die Erde wandelte. Weltgesetz, dachte ich, – ich muß über euch hinweg.

MAX.
Du warst der Sturmwind, der die Blüten wegfegte ... nicht?
ANATOL.

Ja! So brauste ich dahin. Darum dachte ich eben: Du armes, armes Kind. Ich habe mich eigentlich getäuscht. Ich weiß heute, daß ich nicht zu den Großen gehöre, und was gerade so traurig ist, – ich habe mich darein gefunden. Aber damals!

MAX.
Nun, und die Episode?
ANATOL.
Ja, das war eben auch so ... Das war so ein Wesen, das ich auf meinem Wege fand.
MAX.
Und zermalmte.
ANATOL.
Du, wenn ich mir's überlege, so scheint mir: Die habe ich wirklich zermalmt.
MAX.
Ah!
ANATOL.

Ja, höre nur. Es ist eigentlich das Schönste von allem, was ich erlebt habe ... Ich kann es dir gar nicht erzählen.

MAX.
Warum?
ANATOL.

Weil die Geschichte so gewöhnlich ist als nur möglich ... Es ist – nichts. Du kannst das Schöne gar nicht herausempfinden. Das Geheimnis der ganzen Sache ist, daß ich's erlebt habe.

MAX.
Nun –?
ANATOL.

Also da sitze ich vor meinem Klavier ... In dem kleinen Zimmer war es, das ich damals bewohnte ... Abend ... Ich kenne sie seit zwei Stunden ... Meine grünrote Ampel brennt – ich erwähne die grünrote Ampel; sie gehört auch dazu.

MAX.
Nun?
ANATOL.

Nun! Also ich am Klavier. Sie – zu meinen Füßen, so daß ich das Pedal nicht greifen konnte. Ihr Kopf liegt in meinem Schoß, und ihre verwirrten Haare funkeln grün und rot von der Ampel. Ich phantasiere auf dem Flügel, aber nur mit der linken Hand; meine rechte hat sie an ihre Lippen gedrückt ...

MAX.
Nun?
ANATOL.

Immer mit deinem erwartungsvollen »Nun« ... Es ist eigentlich nichts weiter ... Ich kenne sie also seit zwei Stunden, ich weiß auch, daß ich sie nach dem heutigen Abend wahrscheinlich niemals wiedersehen werde – das hat sie mir[55] gesagt – und dabei fühle ich, daß ich in diesem Augenblick wahnsinnig geliebt werde. Das hüllt mich so ganz ein – die ganze Luft war trunken und duftete von dieser Liebe ... Verstehst du mich? Max nickt. – Und ich hatte wieder diesen törichten göttlichen Gedanken: Du armes, – armes Kind! Das Episodenhafte der Geschichte kam mir so deutlich zum Bewußtsein. Während ich den warmen Hauch ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze schon in der Erinnerung. Es war eigentlich schon vorüber. Sie war wieder eine von denen gewesen, über die ich hinweg mußte. Das Wort selbst fiel mir ein, das dürre Wort: Episode. Und dabei war ich selber irgend etwas Ewiges ... Ich wußte auch, daß das »arme Kind« nimmer diese Stunde aus ihrem Sinn schaffen könnte – gerade bei der wußt' ich's. Oft fühlt man es ja: Morgen früh bin ich vergessen. Aber da war es etwas anderes. Für diese, die da zu meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es, mit welch einer heiligen unvergänglichen Liebe sie mich in diesem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich lasse es mir nicht nehmen. Gewiß konnte sie in diesem Augenblick nichts anderes denken, als mich – nur mich. Sie aber war für mich jetzt schon das Gewesene, Flüchtige, die Episode.

MAX.
Was war sie denn eigentlich?
ANATOL.

Was sie war –? Nun, du kanntest sie. – Wir haben sie eines Abends in einer lustigen Gesellschaft kennen gelernt, du kanntest sie sogar schon von früher her, wie du mir damals sagtest.

MAX.

Nun, wer war sie denn? Ich kenne sehr viele von früher her. Du schilderst sie ja in deinem Ampellicht wie eine Märchengestalt.

ANATOL.

Ja – im Leben war sie das nicht. Weißt du, was sie war –? Ich zerstöre jetzt eigentlich den ganzen Nimbus.

MAX.
Sie war also –?
ANATOL
lächelnd.
Sie war – vom – vom –
MAX.
Vom Theater –?
ANATOL.
Nein – vom Zirkus.
MAX.
Ist's möglich!
ANATOL.

Ja – Bianca war es. Ich hab' es dir bis heute nicht erzählt, daß ich sie wieder traf – nach jenem Abend, an dem ich mich um sie gar nicht gekümmert hatte.

MAX.
Und du glaubst wirklich, daß dich Bibi geliebt hat –?
ANATOL.

Ja, gerade die! Acht oder zehn Tage nach jenem Feste [56] begegneten wir uns auf der Straße ... Am Morgen darauf mußte sie mit der ganzen Gesellschaft nach Rußland.

MAX.
Es war also die höchste Zeit.
ANATOL.

Ich wußt' es ja; nun ist für dich das Ganze zerstört. Du bist eben noch nicht auf das wahre Geheimnis der Liebe gekommen.

MAX.
Und worin löst sich für dich das Rätsel der Frau?
ANATOL.
In der Stimmung.
MAX.
Ah – du brauchst das Halbdunkel, deine grün- rote Ampel ... dein Klavierspiel.
ANATOL.

Ja, das ist's. Und das macht mir das Leben so vielfältig und wandlungsreich, daß mir eine Farbe die ganze Welt verändert. Was wäre für dich, für tausend andere dieses Mädchen gewesen mit den funkelnden Haaren; was für euch diese Ampel, über die du spottest! Eine Zirkusreiterin und ein rotgrünes Glas mit einem Licht dahinter! Dann ist freilich der Zauber weg; dann kann man wohl leben, aber man wird nimmer was erleben. Ihr tappt hinein in irgend ein Abenteuer, brutal, mit offenen Augen, aber mit verschlossenem Sinn, und es bleibt farblos für euch! Aus meiner Seele aber, ja, aus mir heraus blitzen tausend Lichter und Farben drüber hin, und ich kann empfinden, wo ihr nur – genießt!

MAX.

Ein wahrer Zauberborn, deine »Stimmung«. Alle, die du liebst, tauchen darin unter und bringen dir nun einen sonderbaren Duft von Abenteuern und Seltsamkeit mit, an dem du dich berauschest.

ANATOL.
Nimm es so, wenn du willst.
MAX.

Was nun aber deine Zirkusreiterin anbelangt, so wirst du mir schwerlich erklären können, daß sie unter der grün-roten Ampel dasselbe empfinden mußte wie du.

ANATOL.
Aber ich mußte empfinden, was sie in meinen Armen fühlte!
MAX.
Nun, ich habe sie ja auch gekannt, deine Bianca, und besser als du.
ANATOL.
Besser?
MAX.

Besser; weil wir einander nicht liebten. Für mich ist sie nicht die Märchengestalt; für mich ist sie eine von den tausend Gefallenen, denen die Phantasie eines Träumers neue Jungfräulichkeit borgt. Für mich ist sie nichts Besseres als hundert andere, die durch Reifen springen oder kurzgeschürzt in der letzten Quadrille stehen.

[57]
ANATOL.
So ... so ...
MAX.

Und sie war nichts anderes. Nicht ich habe etwas übersehen, was an ihr war; sondern du sahst, was nicht an ihr war. Aus dem reichen und schönen Leben deiner Seele hast du deine phantastische Jugend und Glut in ihr nichtiges Herz hineinempfunden, und was dir entgegenglänzte, war Licht von deinem Lichte.

ANATOL.

Nein. Auch das ist mir ja zuweilen geschehen. Aber damals nicht. Ich will sie ja nicht besser machen, als sie war. Ich war weder der erste, noch der letzte ... ich war –

MAX.

Nun, was warst du? ... Einer von vielen. Dasselbe war sie in deinen Armen wie in denen der anderen. Das Weib in seinem höchsten Augenblick!

ANATOL.
Warum hab' ich dich eingeweiht? Du hast mich nicht verstanden.
MAX.

O nein. Du hast mich mißverstanden. Ich wollte nur sagen, du magst den süßesten Zauber empfunden haben, während es ihr dasselbe bedeutete wie viele Male zuvor. Hatte denn für sie die Welt tausend Farben?

ANATOL.
Du kanntest sie sehr gut?
MAX.
Ja; wir begegneten uns häufig in der lustigen Gesellschaft, in welche du einmal mit mir kamst.
ANATOL.
Das war alles?
MAX.
Alles. Aber wir waren gute Freunde. Sie hatte Witz; wir plauderten gern miteinander.
ANATOL.
Das war alles?
MAX.
Alles ...
ANATOL.
... Und dennoch ... sie hat mich geliebt.
MAX.

Wollen wir nicht weiter lesen ... Ein Päckchen in die Hand nehmend. »Wüßt' ich doch, was dein Lächeln bedeutet, du grünäugige ...«

ANATOL.
... Weißt du übrigens, daß die ganze Gesellschaft wieder hier eingetroffen ist?
MAX.
Gewiß. Sie auch.
ANATOL.
Jedenfalls.
MAX.
Ganz bestimmt. Und ich werde sie sogar heute abend wiedersehen.
ANATOL.
Wie? Du? Weißt du, wo sie wohnt?
MAX.
Nein. Sie hat mir geschrieben; sie kommt zu mir.
ANATOL
vom Sessel auffahrend.
Wie? Und das sagst du mir erst jetzt?
[58]
MAX.
Was geht es dich an? Du willst ja – »frei und allein« sein!
ANATOL.
Ach was!
MAX.
Und dann ist nichts trauriger als ein aufgewärmter Zauber.
ANATOL.
Du meinst –?
MAX.
Ich meine, daß du dich in acht nehmen sollst, sie wieder zu sehen.
ANATOL.
Weil sie mir von neuem gefährlich werden könnte?
MAX.

Nein – weil es damals so schön war. Geh nach Hause mit deiner süßen Erinnerung. Man soll nichts wiedererleben wollen.

ANATOL.

Du kannst nicht im Ernst glauben, daß ich auf ein Wiedersehen verzichten soll, das mir so leicht gemacht wird.

MAX.

Sie ist klüger als du. Sie hat dir nicht geschrieben ... Vielleicht übrigens nur, weil sie dich vergessen hat.

ANATOL.
Unsinn.
MAX.
Du hältst es für unmöglich?
ANATOL.
Ich lache darüber.
MAX.

Nicht bei allen trinkt die Erinnerung von dem Lebenselixier Stimmung, das der deinen ihre ewige Frische verleiht.

ANATOL.
Oh – jene Stunde damals!
MAX.
Nun?
ANATOL.
Es war eine von den unsterblichen Stunden.
MAX.
Ich höre Schritte im Vorzimmer.
ANATOL.
Sie ist es am Ende.
MAX.
Gehe, entferne dich durch mein Schlafzimmer.
ANATOL.
Daß ich ein Narr wäre.
MAX.
Geh – was willst du dir denn den Zauber zerstören lassen.
ANATOL.
Ich bleibe. Es klopft.
MAX.
Geh! Gehe rasch!
ANATOL
schüttelt den Kopf.
MAX.

So stelle dich hierher, daß sie dich wenigstens nicht gleich sieht – hierher ... Er schiebt ihn zum Kamin hin, so daß er teilweise durch den Schirm gedeckt ist.

ANATOL
sich an den Kaminsims lehnend.
Meinetwegen. Es klopft.
MAX.
Herein!
BIANCA
eintretend, lebhaft.
Guten Abend, lieber Freund; da bin ich wieder.
MAX
ihr die Hände entgegenstreckend.
Guten Abend, liebe Bianca, das ist schön von Ihnen, wirklich schön!
BIANCA.
Meinen Brief haben Sie doch erhalten? Sie sind der allererste – der einzige überhaupt.
MAX.
Und Sie können sich denken, wie stolz ich bin.
[59]
BIANCA.

Und was machen die anderen? Unsere Sachergesellschaft? Existiert sie noch? Werden wir wieder jeden Abend nach der Vorstellung beisammen sein?

MAX
ist ihr beim Ablegen behilflich.
Es gab aber Abende, wo Sie nicht zu finden waren.
BIANCA.
Nach der Vorstellung?
MAX.
Ja, wo Sie gleich nach der Vorstellung verschwanden.
BIANCA
lächelnd.

Ach ja ... natürlich ... Wie schön das ist, wenn einem das so gesagt wird – ohne die geringste Eifersucht! Man muß auch solche Freunde haben wie Sie ...

MAX.
Ja, ja, das muß man.
BIANCA.
Die einen lieben, ohne einen zu quälen!
MAX.
Das ward Ihnen selten!
BIANCA
den Schatten Anatols gewahrend.
Sie sind ja nicht allein.
ANATOL
tritt hervor, verbeugt sich.
MAX.
Ein alter Bekannter.
BIANCA
das Lorgnon zum Auge führend.
Ah ...
ANATOL
näher tretend.
Fräulein ...
MAX.
Was sagen Sie zu der Überraschung, Bibi?
BIANCA
etwas verlegen, sucht augenscheinlich in ihren Erinnerungen.
Ah, wahrhaftig, wir kennen uns ja ...
ANATOL.
Gewiß – Bianca.
BIANCA.
Natürlich – wir kennen uns sehr gut ...
ANATOL
erregt mit beiden Händen ihre Rechte fassend.
Bianca ...
BIANCA.
Wo war es nur, wo wir uns trafen ... wo nur ... ach ja!
MAX.
Erinnern Sie sich ...
BIANCA.
Freilich ... Nicht wahr ... es war in St. Petersburg ...?
ANATOL
rasch ihre Hand fahren lassend.
Es war ... nicht in Petersburg, mein Fräulein ... Wendet sich zum Gehen.
BIANCA
ängstlich zu Max.
Was hat er denn? ... Hab' ich ihn beleidigt?
MAX.
Da schleicht er davon ... Anatol ist durch die Tür im Hintergrunde verschwunden.
BIANCA.
Ja, was bedeutet denn das?
MAX.
Ja, haben Sie ihn denn nicht erkannt?
BIANCA.
Erkannt ... ja, ja. Aber ich weiß nicht recht, wo und wann?
MAX.
Aber, Bibi, es war Anatol!
BIANCA.
Anatol –? ... Anatol ...?
MAX.
Anatol – Klavier – Ampel ... so eine rotgrüne ... hier in der Stadt – vor drei Jahren ...
[60]
BIANCA
sich an die Stirn greifend.

Wo hatte ich denn meine Augen? Anatol! Zur Tür hin. Ich muß ihn zurückrufen ... Die Tür öffnend. Anatol! Hinauslaufend, hinter der Szene, im Stiegenhaus. Anatol! Anatol!

MAX
steht lächelnd da, ist ihr bis zur Tür nachgegangen.
Nun?
BIANCA
eintretend.
Er muß schon auf der Straße sein. Erlauben Sie! Rasch das Fenster öffnend. Da unten geht er.
MAX
hinter ihr.
Ja, das ist er.
BIANCA
ruft.
Anatol!
MAX.
Er hört Sie nicht mehr.
BIANCA
leicht auf den Boden stampfend.

Wie schade ... Sie müssen mich bei ihm entschuldigen. Ich habe ihn verletzt, den guten, lieben Menschen.

MAX.
Also Sie erinnern sich doch seiner?
BIANCA.
Nun, gewiß. Aber ... er sieht irgend jemandem in Petersburg zum Verwechseln ähnlich.
MAX
beruhigend.
Ich werde es ihm sagen.
BIANCA.

Und dann: Wenn man drei Jahre an jemanden nicht denkt, und er steht plötzlich da – man kann sich doch nicht an alles erinnern.

MAX.
Ich werde das Fenster schließen. Eine kalte Luft kommt herein. Schließt das Fenster.
BIANCA.
Ich werde ihn doch noch sehen, während ich hier bin?
MAX.
Vielleicht. Aber etwas will ich Ihnen zeigen.Nimmt das Kuvert vom Schreibtisch und hält es ihr hin.
BIANCA.
Was ist das?
MAX.
Das ist die Blume, die Sie an jenem Abend – – an jenem Abend trugen.
BIANCA.
Er hat sie aufbewahrt?
MAX.
Wie Sie sehen.
BIANCA.
Er hat mich also geliebt?
MAX.
Heiß, unermeßlich, ewig – – wie alle diese.Deutet auf die Päckchen.
BIANCA.
Wie ... alle diese! ... Was heißt das? Sind das lauter Blumen?
MAX.
Blumen, Briefe, Locken, Photographien. Wir waren eben daran, sie zu ordnen.
BIANCA
in gereiztem Tone.
In verschiedene Rubriken.
MAX.
Ja, offenbar.
BIANCA.
Und in welche komme ich?
MAX.
Ich glaube ... in diese! Wirft das Kuvert in den Kamin.
[61]
BIANCA.
Oh!
MAX
für sich.

Ich räche dich, so gut ich kann, Freund Anatol ... Laut. So, und nun seien Sie nicht böse ... Setzen Sie sich zu mir her, und erzählen Sie mir etwas aus den letzten drei Jahren.

BIANCA.
Jetzt bin ich gerade aufgelegt! Wenn man so empfangen wird!
MAX.
Ich bin doch ihr Freund ... Kommen Sie, Bianca ... Erzählen Sie mir was!
BIANCA
läßt sich auf den Fauteuil neben dem Kamin niederziehen.
Was denn?
MAX
sich gegenüber von ihr niederlassend.
Zum Beispiel von dem »Ähnlichen« in Petersburg.
BIANCA.
Unausstehlich sind Sie!
MAX.
Also ...
BIANCA
ärgerlich.
Aber was soll ich denn erzählen.
MAX.
Beginnen Sie nur ... Es war einmal ... nun ... Es war einmal eine große, große Stadt ...
BIANCA
verdrießlich.
Da stand ein großer, großer Zirkus.
MAX.
Und da war ferner eine kleine, kleine Künstlerin.
BIANCA.
Die sprang durch einen großen, großen Reif. Lacht leise.
MAX.

Sehen Sie ... Es geht schon! Der Vorhang beginnt sich sehr langsam zu senken. In einer Loge ... nun ... in einer Loge saß jeden Abend ...

BIANCA.
In einer Loge saß jeden Abend ein schöner, schöner ... Ach!
MAX.
Nun ... Und ...?

Der Vorhang ist gefallen.

[62]

Denksteine

Anatol, Emilie.
Emiliens Zimmer, mit maßvoller Eleganz ausgestattet. Abenddämmerung. Das Fenster ist offen, Aussicht auf einen Park; der Gipfel eines Baumes, kaum noch belaubt, ragt in die Fensteröffnung.

EMILIE.

... Ah ... hier find' ich dich –! Und vor meinem Schreibtisch ...? Ja, was machst du denn? Du stöberst meine Laden durch? ... Anatol!

ANATOL.
Es war mein gutes Recht – und ich hatte recht, wie sich soeben zeigt.
EMILIE.
Nun – was hast du gefunden –? Deine eigenen Briefe ...!
ANATOL.
Wie? – Und das hier –?
EMILIE.
Das hier –?
ANATOL.

Diese zwei kleinen Steine ...? Der eine ein Rubin, und dieser andere, dunkle? – Ich kenne sie beide nicht, sie stammen nicht von mir ...!

EMILIE.
... Nein ... ich hatte ... vergessen ...
ANATOL.

Vergessen? ... So wohl verwahrt waren sie; da in dem Winkel dieser untersten Lade. Gesteh es doch lieber gleich, statt zu lügen wie alle ... So ... du schweigst? ... Oh, über die wohlfeile Entrüstung ... Es ist so leicht zu schweigen, wenn man schuldig und vernichtet ist ... Nun aber will ich weiter suchen. Wo hast du deinen anderen Schmuck verborgen?

EMILIE.
Ich habe keinen anderen.
ANATOL.
Nun – Er beginnt die Laden aufzureißen.
EMILIE.
Such' nicht ... ich schwöre dir, daß ich nichts habe.
ANATOL.
Und dieses hier ... warum dieses hier?
EMILIE.
Ich hatte unrecht ... vielleicht ...!
ANATOL.

Vielleicht! ... Emilie! Wir sind an dem Vorabend des Tages, wo ich dich zu meinem Weibe machen wollte. Ich glaubte wahrhaftig alles Vergangene getilgt ... Alles ... Mit dir zusammen hab' ich die Briefe, die Fächer, die tausend Nichtigkeiten, die mich an die Zeit erinnerten, in der wir uns noch nicht kannten ... mit dir zusammen habe ich all das in das Feuer des Kamins geworfen ... Die Armbänder, die [63] Ringe, die Ohrgehänge ... wir haben sie verschenkt, verschleudert, sie sind über die Brücke in den Fluß, durchs Fenster auf die Straße geflogen ... Hier lagst du vor mir und schwurst mir ... »Alles ist vorbei – und in deinen Armen erst hab' ich empfunden, was Liebe ist ...« Ich natürlich habe dir geglaubt ... weil wir alles glauben, was uns die Weiber sagen, von der ersten Lüge an, die uns beseligt ...

EMILIE.
Soll ich dir von neuem schwören?
ANATOL.

Was hilft es? ... Ich bin fertig ... fertig mit dir ... Oh, wie gut du das gespielt hast! Fieberisch, als ob du jeden Flecken abwaschen wolltest von deiner Vergangenheit, bist du hier vor den Flammen gestanden, als die Blätter und Bänder und Nippes verglühten ... Und wie du in meinen Armen schluchztest, damals, als wir am Ufer des Flusses lustwandelten und jenes kostbare Armband in das graue Wasser hinabwarfen, wo es alsbald versank ... wie du da weintest, Tränen der Läuterung, der Reue ... Dumme Komödie! Siehst du, daß alles vergebens war? Daß ich dir dennoch mißtraute? Und daß ich mit Recht da herumwühlte? ... Warum sprichst du nicht? ... Warum verteidigst du dich nicht? ...

EMILIE.
Da du mich doch verlassen willst.
ANATOL.
Aber wissen will ich, was diese zwei Steine bedeuten ... warum du gerade diese aufbewahrt hast?
EMILIE.
Du liebst mich nicht mehr ...?
ANATOL.
Die Wahrheit, Emilie ... die Wahrheit will ich wissen!
EMILIE.
Wozu, wenn du mich nicht mehr liebst.
ANATOL.
Vielleicht steckt in der Wahrheit irgend etwas.
EMILIE.
Nun was?
ANATOL.

Was mich die Sache ... begreifen macht ... Hörst du, Emilie, ich habe keine Lust, dich für eine Elende zu halten!

EMILIE.
Du verzeihst mir?
ANATOL.
Du sollst mir sagen, was diese Steine bedeuten!
EMILIE.
Und dann willst du mir verzeihen –?
ANATOL.
Dieser Rubin, was er bedeutet, warum du ihn aufbewahrst –
EMILIE.
– Und wirst mich ruhig anhören?
ANATOL.
... Ja! ... Aber sprich endlich ...
EMILIE.
... Dieser Rubin ... er stammt aus einem Medaillon ... er ist ... herausgefallen ...
ANATOL.
Von wem war dies Medaillon?
EMILIE.

Daran liegt es nicht ... Ich hatte es nur an einem ... [64] bestimmten Tage um – an einer einfachen Kette ... um den Hals.

ANATOL.
Von wem du es hattest –!
EMILIE.

Das ist gleichgültig ... ich glaube, von meiner Mutter ... Siehst du, wenn ich nun so elend wäre, als du glaubst, so könnte ich dir sagen: Darum, weil es von meiner Mutter stammt, hab' ich es aufbewahrt – und du würdest mir glauben ... Ich habe aber diesen Rubin aufbewahrt, weil er ... an einem Tage aus meinem Medaillon fiel, dessen Erinnerung ... mir teuer ist ...

ANATOL.
... Weiter!
EMILIE.

Ach, es wird mir so leicht, wenn ich dir's erzählen darf. – Sag', würdest du mich auslachen, wenn ich eifersüchtig wäre auf deine erste Liebe?

ANATOL.
Was soll das?
EMILIE.

Und doch, die Erinnerung daran ist etwas Süßes, einer von den Schmerzen, die uns zu liebkosen scheinen ... Und dann – für mich ist der Tag von Bedeutung, an welchem ich das Gefühl kennen lernte, welches mich – dir verbindet. Oh, man muß lieben gelernt haben, um zu lieben, wie ich dich liebe! ... Hätten wir uns beide zu einer Zeit gefunden, wo uns die Liebe etwas Neues war, wer weiß, ob wir aneinander nicht achtlos vorübergegangen wären? ... Oh, schüttle den Kopf nicht, Anatol; es ist so, und du selbst hast es einmal gesagt –

ANATOL.
Ich selbst –?
EMILIE.

Vielleicht ist es gut so, so sprachst du, und wir mußten beide erst reif werden für diese Höhe der Leidenschaft!

ANATOL.
Ja – wir haben immer irgend einen Trost solcher Art bereit, wenn wir eine Gefallene lieben.
EMILIE.
Dieser Rubin, ich bin ganz offen mit dir, bedeutet die Erinnerung an den Tag ...
ANATOL.
... So sag's ... sag's ...
EMLLIE.

– Du weißt es schon ... ja ... Anatol ... die Erinnerung an jenen Tag ... Ach ... ich war ein dummes Ding ... sechzehn Jahre!

ANATOL.
Und er zwanzig – und groß und schwarz! ...
EMILIE
unschuldig.

Ich weiß es nicht mehr, mein Geliebter ... Nur an den Wald erinnere ich mich, der uns umrauschte, an den Frühlingstag, der über den Bäumen lachte ... ach, an einen Sonnenstrahl erinnere ich mich, der zwischen dem Gesträuche[65] hervorkam und über einen Haufen gelber Blumen glitzerte –

ANATOL.
Und du verfluchst diesen Tag nicht, der dich mir nahm, bevor ich dich kannte?
EMILIE.

Vielleicht gab er mich dir ...! Nein, Anatol ... wie immer es sei, ich fluche jenem Tage nicht und verschmähe auch, dir vorzulügen, daß ich es jemals tat ... Anatol, daß ich dich liebe wie keinen je – und so wie du nie geliebt worden – du weißt es ja ... aber wenn auch jede Stunde, die ich je erlebte, durch deinen ersten Kuß bedeutungslos geworden, – jeder Mann, dem ich begegnete, aus meinem Gedächtnis schwand – kann ich deswegen die Minute vergessen, die mich zum Weibe machte?

ANATOL.
Und du gibst vor, mich zu lieben –?
EMILIE.

Ich kann mich der Gesichtszüge jenes Mannes kaum erinnern; ich weiß nicht mehr, wie seine Augen blickten –

ANATOL.

Aber daß du in seinen Armen die ersten Seufzer der Liebe gelacht hast ... daß von seinem Herzen zuerst jene Wärme in das deine überströmte, die das ahnungsvolle Mädchen zum wissenden Weibe machte, das kannst du ihm nicht vergessen, dankbare Seele! Und du siehst nicht ein, daß mich dies Geständnis toll machen muß, daß du mit einem Male diese ganze schlummernde Vergangenheit wieder aufgestört hast! ... Ja, nun weiß ich's wieder, daß du noch von anderen Küssen träumen kannst als von den meinen, und wenn du deine Augen in meinen Armen schließest, steht vielleicht ein anderes Bild vor ihnen als das meine!

EMILIE.

Wie falsch du mich verstehst! ... Da hast du freilich recht, wenn du meinst, wir sollten auseinandergehen ...

ANATOL.
Nun – wie denn soll ich dich verstehen ...?
EMILIE.

Wie gut haben es doch die Frauen, die lügen können. Nein ... ihr vertragt sie nicht, die Wahrheit ...! Sag' mir nur eines noch: Warum hast du mich immer darum angefleht? »Alles würde ich dir verzeihen, nur eine Lüge nicht!« ... Noch hör' ich es, wie du's mir sagtest ... Und ich ... ich, die dir alles gestand, die sich vor dir so niedrig, so elend machte, die es dir ins Angesicht schrie: »Anatol, ich bin eine Verlorene, aber ich liebe dich ...!« Keine von den dummen Ausflüchten, die die andern im Munde führen, kam über meine Lippen. – Nein, ich sprach es aus: Anatol, ich habe das Wohlleben geliebt, Anatol, ich war lüstern, heißblütig – ich habe [66] mich verkauft, verschenkt – ich bin deiner Liebe nicht wert ... Erinnerst du dich auch, daß ich dir das sagte, bevor du mir das erste Mal die Hand küßtest? ... Ja, ich wollte dich fliehen, weil ich dich liebte, und du verfolgtest mich ... du hast um meine Liebe gebettelt ... und ich wollte dich nicht, weil ich mich den Mann nicht zu beflecken getraute, den ich mehr, den ich anders – ach, den ersten Mann, den ich liebte ...! Und da hast du mich genommen, und ich war dein! ... Wie hab' ich geschauert ... gebebt ... geweint ... Und du hast mich so hoch gehoben, hast mir alles wieder zurückgegeben, Stück für Stück, was sie mir genommen hatten ... ich ward in deinen wilden Armen, was ich nie gewesen: rein ... und glücklich ... du warst so groß ... du konntest verzeihen ... Und jetzt ...

ANATOL.
... Und jetzt ...?
EMILIE.
Und jetzt jagst du mich eben wieder davon, weil ich doch nur bin wie die andern –
ANATOL.
Nein, ... nein, das bist du nicht.
EMILIE
mild.
Was willst du also ... Soll ich ihn wegwerfen ... den Rubin ...?
ANATOL.

Ich bin nicht groß, ach nein ... sehr, sehr kleinlich ... wirf ihn weg, diesen Rubin ... Er betrachtet ihn. Er ist aus dem Medaillon gefallen ... er lag im Grase – unter den gelben Blumen ... ein Sonnenstrahl fiel darauf ... da glitzerte er hervor ..... Langes Schweigen. – Komm, Emilie, ... es dunkelt draußen, wir wollen im Park spazieren gehen ...

EMILIE.
Wird es nicht zu kalt sein ...?
ANATOL.
Ach nein, es duftet schon vom erwachenden Frühling ...
EMILIE.
Wie du willst, mein Geliebter!
ANATOL.
Ja – und dieses Steinchen ...
EMILIE.
Ach dies ...
ANATOL.
Ja, dieses schwarze da – was ist's mit dem – was ist's ...?
EMILIE.
Weißt du, was das für ein Stein ist ...?
ANATOL.
Nun –
EMILIE
mit einem stolzen begehrlichen Blick.
Ein schwarzer Diamant!
ANATOL
erhebt sich.
Ah!
EMILIE
immer den Blick auf den Stern geheftet.
Selten!
ANATOL
mit unterdrückter Wut.
Warum ... hm ... warum hast du den ... aufbewahrt?
EMILIE
nur immer den Stein ansehend.
Den ... der ist eine Viertel Million wert! ...
[67]
ANATOL
schreit auf.
Ah! ... Er wirft den Stein in den Kamin.
EMILIE
schreit.

Was tust du!! ... Sie bückt sich und nimmt die Feuerzange, mit der sie in der Glut herumfährt, um den Stein hevorzusuchen.

ANATOL
sieht sie, während sie mit glühenden Wangen vor dem Kaminfeuer kniet, ein paar Sekunden an, dann ruhig.
Dirne! Er geht.

Vorhang.

Abschiedssouper

Anatol, Max, Annie, Ein Kellner.
Ein Cabinet particulier bei Sacher. Anatol, bei der Türe stehend, erteilt eben dem Kellner Befehle. Max lehnt in einem Fauteuil.

MAX.
Na – bist du nicht bald fertig –?
ANATOL.
... Gleich, gleich! – Also alles verstanden? – Kellner ab.
MAX
wie Anatol in die Mitte des Zimmers zurückkommt.
Und – wenn sie gar nicht kommt!?
ANATOL.

Warum denn »gar nicht«! – Jetzt – jetzt ist's zehn Uhr! – Sie kann ja überhaupt noch gar nicht da sein!

MAX.
Das Ballett ist schon lange aus!
ANATOL.

Ich bitte dich – bis sie sich abschminkt – und umkleidet! – Ich will übrigens hinüber – sie erwarten!

MAX.
Verwöhne sie nicht!
ANATOL.
Verwöhnen?! – Wenn du wüßtest ...
MAX.

Ich weiß, ich weiß, du behandelst sie brutal ... Als wenn das nicht auch eine Art von Verwöhnen wäre.

ANATOL.
Ich wollte was ganz anderes sagen! – Ja ... wenn du wüßtest ...
MAX.
So sag's endlich einmal ...
ANATOL.
Mir ist sehr feierlich zumute!
MAX.
Du willst dich am Ende mit ihr verloben –?
ANATOL.
Oh nein – viel feierlicher!
MAX.
Du heiratest sie morgen? –
[68]
ANATOL.

Nein, wie du äußerlich bist! – Als wenn es keine Feierlichkeiten der Seele gäbe, die mit all diesem Tand, der uns von dem Draußen kommt, gar nichts zu tun haben.

MAX.

Also – du hast einen bisher ungekannten Winkel deiner Gefühlswelt entdeckt – wie? Als wenn sie davon etwas verstände!

ANATOL.
Du rätst ungeschickt ... Ich feiere ganz einfach ... das Ende!
MAX.
Ah!
ANATOL.
Abschiedssouper!
MAX.
Na ... und was soll ich dabei –?
ANATOL.
Du sollst unserer Liebe die Augen zudrücken.
MAX.
Ich bitte dich, mach' keine geschmacklosen Vergleiche!
ANATOL.
Ich verschiebe dieses Souper schon seit acht Tagen –
MAX.
Da wirst du heute wenigstens guten Appetit haben ...
ANATOL.

... Das heißt ... wir soupierten jeden Abend miteinander ... in diesen acht Tagen – aber – ich fand das Wort nicht, das rechte! Ich wagte es nicht ... du hast keine Ahnung, wie nervös das macht!

MAX.
Wozu brauchst du mich eigentlich?! Soll ich dir das Wort soufflieren –
ANATOL.

Du sollst für alle Fälle da sein – du sollst mir beistehen, wenn es notwendig ist – du sollst mildern – beruhigen – begreiflich machen.

MAX.
Möchtest du mir nicht zuerst mitteilen, warum das alles geschehen soll –?
ANATOL.
Mit Vergnügen ... Weil sie mich langweilt!
MAX.
So amüsiert dich also eine andere –?
ANATOL.
Ja ...!
MAX.
So ... so ...!
ANATOL.
Und was für eine andere!
MAX.
Typus?!
ANATOL.
Gar keiner! ... Etwas Neues – etwas Einziges!
MAX.
Nun ja ... Auf den Typus kommt man ja immer erst gegen Schluß ...
ANATOL.
Stelle dir ein Mädchen vor – wie soll ich sagen ... dreiviertel Takt –
MAX.
Scheinst doch noch unter dem Einfluß des Balletts zu stehen!
ANATOL.

Ja ... ich kann dir nun einmal nicht helfen ... sie erinnert mich so an einen getragenen Wiener Walzer – sentimentale Heiterkeit ... lächelnde schalkhafte Wehmut ... das ist so ihr Wesen ... Ein kleines, süßes, blondes Köpferl, weißt [69] du ... so ... na, es ist schwer zu schildern! ... Es wird einem warm und zufrieden bei ihr ... Wenn ich ihr ein Veilchenbukett bringe, steht ihr eine Träne im Augenwinkel ...

MAX.
Versuch's einmal mit einem Bracelet!
ANATOL.

... O mein Lieber – das geht in dem Fall nicht – du irrst dich-glaub' mir ... Mit der möcht' ich auch hier nicht soupieren ... Für die ist das Vorstadtbeisel, das gemütliche – mit den geschmacklosen Tapeten und den kleinen Beamten am Nebentisch! – Ich war die letzten Abende immer in solchen Lokalen mit ihr!

MAX.
Wie? – Du sagtest doch eben, daß du mit Annie –
ANATOL.

Ja, so ist's auch. Ich mußte die letzte Woche jeden Abend zweimal soupieren: Mit der einen, die ich gewinnen – und mit der andern, die ich loswerden wollte ... Es ist mir leider noch keines von beiden gelungen ...

MAX.

Weißt du was? – Führe einmal die Annie in so ein Vorstadtbeisel – und die Neue mit dem blonden Köpferl zum Sacher ... dann wird's vielleicht gehen!

ANATOL.

Dein Verständnis für die Sache leidet dar unter, daß du die Neue noch nicht kennst. Die ist die Anspruchslosigkeit selbst! – Oh, ich sage dir – ein Mädel – du solltest sehen, wenn ich eine etwas bessere Sorte Wein bestellen will ... was die treibt!

MAX.
Träne im Augenwinkel – wie?
ANATOL.
Sie gibt es nicht zu – unter gar keiner Bedingung; unter gar keiner Bedingung! ...
MAX.
Also du trinkst Markersdorfer in der letzten Zeit –?
ANATOL.
Ja ... vor Zehn – dann natürlich Champagner ... So ist das Leben!
MAX.
Na ... entschuldige ... das Leben ist nicht so!
ANATOL.

Denke dir nur, der Kontrast! Ich hab' ihn jetzt aber zur Genüge ausgekostet! – das ist wieder einer jener Fälle, wo ich fühle, daß ich im Grunde eine enorm ehrliche Natur bin –

MAX.
So! ... Ah!
ANATOL.
Ich kann dieses Doppelspiel nicht länger durchführen ... Ich verliere alle Selbstachtung ...!
MAX.
Du! – Ich bin's, ich, ich ... mir mußt du ja keine Komödie vorspielen!
ANATOL.

Warum – nachdem du eben da bist ... Aber im Ernst ... ich kann nicht Liebe heucheln, wo ich nichts mehr empfinde!

MAX.
Du heuchelst nur dort, wo du noch etwas empfindest ...
[70]
ANATOL.

Ich habe es Annie aufrichtig gesagt, gleich – gleich, ganz zu Anfang ... wie wir uns ewige Liebe schwuren: Weißt du, liebe Annie – wer von uns eines schönen Tages spürt, daß es zu Ende geht – sagt es dem ändern rund heraus ...

MAX.
Ah, das habt ihr in dem Augenblick ausgemacht, wo ihr euch ewige Liebe schwurt ... sehr gut!
ANATOL.

Ich habe ihr das öfter wiederholt: – Wir haben nicht die geringsten Verpflichtungen gegen einander, wir sind frei! Wir gehen ruhig auseinander, wenn unsere Zeit um ist – nur keinen Betrug – das verabscheue ich! –

MAX.
Na, da wird's ja eigentlich sehr leicht gehen – heute!
ANATOL.

Leicht! ... Jetzt, wo ich es sagen soll, trau' ich mich nicht ... Es wird ihr ja doch weh tun ... Ich kann das Weinen nicht vertragen. – Ich verlieb' mich am Ende von neuem in sie, wenn sie weint – und da betrüg' ich dann wieder die andere!

MAX.
Nein, nein, – nur keinen Betrug – das verabscheue ich!
ANATOL.

Wenn du da bist, wird sich das alles viel ungezwungener machen! ... Von dir geht ein Hauch von kalter, gesunder Heiterkeit aus, in der die Sentimentalität des Abschiedes erstarren muß! ... Vor dir weint man nicht! ...

MAX.

Na, ich bin da für jeden Fall – das ist aber alles, was ich für dich tun kann ... Ihr zureden? – Nein, nein ... das nicht – es wäre gegen meine Überzeugung ... du bist ein zu lieber Mensch ...

ANATOL.

Schau', lieber Max – bis zu einem gewissen Grade könntest du das doch vielleicht auch ... Du könntest ihr sagen, daß sie an mir doch nicht so besonders viel verliert.

MAX.
Na – das ginge noch –
ANATOL.
Daß sie hundert andere findet – die schöner – reicher –
MAX.
Klüger –
ANATOL.

Nein, nein, – bitte – keine Übertreibungen – Der Kellner öffnet die Tür. Annie tritt ein, im Regenmantel, den sie umgeworfen hat, weißer Boa; die gelben Handschuhe trägt sie in der Hand, breiten auffallenden Hut nachlässig aufgestülpt.

ANNIE.
Oh – guten Abend!
ANATOL.
Guten Abend, Annie! ... Entschuldige –
ANNIE.

Auf dich kann man sich verlassen! Sie wirft den Regenmantel ab. – Ich schaue mich nach allen Seiten um – rechts – links – niemand da –

[71]
ANATOL.
– Du hast ja glücklicherweise nicht weit herüber!
ANNIE.

Man hält sein Wort! – Guten Abend, Max! – Zu Anatol. Na – auftragen lassen hättest du unterdessen schon können ...

ANATOL
umarmt sie.
Du hast kein Mieder?
ANNIE.
Na – soll ich vielleicht grande toilette machen – für dich? – Entschuldige –
ANATOL.
Mir kann's ja recht sein – du mußt Max um Entschuldigung bitten!
ANNIE.

Warum denn? – den geniert's sicher nicht – der ist nicht eifersüchtig! ... Also ... also ... essen –Der Kellner klopft. Herein! – Heut klopft er – Sonst fällt ihm das nicht ein! Der Kellner tritt ein.

ANATOL.
Servieren Sie! – Kellner ab.
ANNIE.
Du warst heut nicht drin –?
ANATOL.
Nein – ich mußte – –
ANNIE.
Du hast nicht viel versäumt! – Es war heut alles so schläfrig ...
MAX.
Was war denn für eine Oper vorher?
ANNIE.

Ich weiß nicht ... Man setzt sich zu Tische ... Ich kam in meine Garderobe – dann auf die Bühne – gekümmert hab' ich mich um nichts ... um nichts! ... Im übrigen hab' ich dir was zu sagen, Anatol!

ANATOL.
So, mein liebes Kind? – Was sehr Wichtiges –?
ANNIE.
Ja, ziemlich! ... Es wird dich vielleicht überraschen ... Der Kellner trägt auf.
ANATOL.
Da bin ich wirklich sehr neugierig! ... Auch ich ...
ANNIE.
Na ... warte nur ... für den da ist das nichts –
ANATOL
zum Kellner.
Gehen Sie ... wir werden klingeln! Kellner ab. ... Na, also ...
ANNIE.

– Ja ... mein Heber Anatol ... es wird dich überraschen ... Warum übrigens! Es wird dich gar nicht überraschen – es darf dich nicht einmal überraschen ...

MAX.
Gage-Erhöhung?
ANATOL.
Unterbrich sie doch nicht ...!
ANNIE.
Nicht wahr – lieber Anatol ... Du sag', sind das Ostender oder Whitestable?
ANATOL.
Jetzt redet sie wieder von den Austern! Ostender sind es!
ANNIE.

Ich dachte es ... Ach, ich schwärme für Austern ... Das ist doch eigentlich das einzige, was man täglich essen kann!

MAX.
Kann?! – Sollte! Muß!!
[72]
ANNIE.
Nicht wahr! Ich sag's ja!
ANATOL.
Du willst mir ja was sehr Wichtiges mitteilen –?
ANNIE.
Ja ... wichtig ist es allerdings – sogar sehr! – Erinnerst du dich an eine gewisse Bemerkung?
ANATOL.
Welche – welche? – Ich kann doch nicht wissen, welche Bemerkung du meinst!
MAX.
Da hat er recht!
ANNIE.

Nun, ich meine die folgende ... Warte ... wie war sie nur – Annie, sagtest du ... wir wollen uns nie betrügen ...

ANATOL.
Ja ... ja ... nun!
ANNIE.
Nie betrügen! ... Lieber gleich die ganze Wahrheit sagen ...
ANATOL.
Ja ... ich meinte ...
ANNIE.
Wenn es aber zu spät ist? –
ANATOL.
Was sagst du?
ANNIE.

Oh, – es ist nicht zu spät! – Ich sag's dir zur rechten Zeit – knapp zur rechten Zeit ... Morgen wäre es vielleicht schon zu spät!

ANATOL.
Bist du toll, Annie?!
MAX.
Wie?
ANNIE.
Anatol, du mußt deine Austern weiter essen ... sonst red' ich nichts ... gar nichts!
ANATOL.
Was heißt das? – »Du mußt« –!
ANNIE.
Essen!!
ANATOL.
Du sollst reden ... ich vertrage diese Art von Späßen nicht!
ANNIE.

Nun – es war ja abgemacht, daß wir's uns ganz ruhig sagen sollten, – wenn es einmal dazu kommt ... Und nun kommt es eben dazu –

ANATOL.
Das heißt?
ANNIE.
Das heißt: Daß ich heut leider das letzte Mal mit dir soupiere!
ANATOL.
Du wirst wohl die Güte haben, dich – näher zu erklären!
ANNIE.
Es ist aus zwischen uns – es muß aus sein ...
ANATOL.
Ja ... sag' –
MAX.
Das ist ausgezeichnet.
ANNIE.
Was finden Sie daran ausgezeichnet? – Ausgezeichnet – oder nicht – es ist nun einmal so!
ANATOL.

Mein liebes Kind – ich hab' noch immer nicht recht verstanden ... Du hast wohl einen Heiratsantrag erhalten ...?

[73]
ANNIE.
Ach wenn's das wäre! – Das wäre ja kein Grund, dir den Abschied zu geben.
ANATOL.
Abschied zu geben!?
ANNIE.
Na, es muß ja heraus. – Ich bin verliebt – Anatol – rasend verliebt!
ANATOL.
Und darf man fragen, in wen?
ANNIE.
... Sagen Sie, Max – was lachen Sie denn eigentlich?
MAX.
Es ist zu lustig!
ANATOL.

Laß ihn nur ... Wir zwei haben miteinander zu sprechen, Annie! – Eine Erklärung bist du mir wohl schuldig ...

ANNIE.

Nun – ich gebe sie dir ja ... Ich habe mich in einen andern verliebt – und sage es dir rund heraus, – weil das zwischen uns so ausgemacht war ...

ANATOL.
Ja, ... aber, zum Teufel – in wen?!
ANNIE.
Ja, liebes Kind – grob darfst du nicht werden!
ANATOL.
Ich verlange ... ich verlange ganz entschieden ...
ANNIE.
Bitte, Max – klingeln Sie – ich bin so hungrig!
ANATOL.
Das auch noch! – Appetit!! Appetit während einer solchen Unterredung!
MAX
zu Anatol.
Sie soupiert ja heute zum ersten Mal! Kellner tritt ein.
ANATOL.
Was wollen Sie?
KELLNER.
Es wurde geklingelt!
MAX.
Servieren Sie weiter! Während der Kellner abräumt.
ANNIE.
Ja ... die Catalini geht nach Deutschland ... das ist abgemacht ...
MAX.
So ... und man läßt sie ohne weiteres gehen?
ANNIE.
Na ... ohne weiteres – das kann man eigentlich nicht sagen.
ANATOL
steht auf und geht im Zimmer hin und her.
Wo ist denn der Wein?! – Sie! ... Jean!! – Sie schlafen heute, wie es scheint!
KELLNER.
Ich bitte sehr – der Wein ...
ANATOL.

Ich meine nicht den, der auf dem Tische steht – das können Sie sich wohl denken! – Den Champagner meine ich! – Sie wissen, daß ich ihn gleich zu Anfang der Tafel haben will! Kellner ab.

ANATOL.
... Ich bitte endlich um Aufklärung!
ANNIE.

Man soll euch Männern doch nichts glauben, gar nichts – rein gar nichts! – Wenn ich denke, wie schön du mir das auseinander gesetzt hast: Wenn wir fühlen, daß es zu Ende geht – so sagen wir es uns und scheiden in Frieden –

[74]
ANATOL.
Jetzt wirst du mir endlich einmal –
ANNIE.
Das ist nun – sein Frieden!
ANATOL.
Aber, liebes Kind – du wirst doch begreifen, daß es mich interessiert – wer –
ANNIE
schlürft langsam den Wein.
Ah ...
ANATOL.
Trink aus ... trink aus!
ANNIE.
Na, du wirst wohl noch so lange –
ANATOL.
Du trinkst sonst in einem Zug –
ANNIE.
Aber, lieber Anatol – ich nehme nun auch von dem Bordeaux Abschied – wer weiß, auf wie lange!
ANATOL.
Zum Kuckuck noch einmal! – Was erzählst du da für Geschichten! ...
ANNIE.

Nun wird's wohl keinen Bordeaux geben ... und keine Austern ... Und keinen Champagner! Der Kellner kommt mit dem nächsten Gang. – Und keine Filets aux truffes! – Das ist nun alles vorbei ...

MAX.

Herrgott- haben Sie einen sentimentalen Magen! Da der Kellner serviert. – Darf ich Ihnen herausgeben? –

ANNIE.
Ich danke Ihnen sehr! So ...
ANATOL
zündet sich eine Zigarette an.
MAX.
Ißt du nicht mehr?
ANATOL.
Vorläufig nicht! Kellner ab. ... Also, jetzt möcht' ich einmal wissen, wer der Glückliche ist!
ANNIE.
Und wenn ich dir schon den Namen sage – du weißt ja dann nicht mehr –
ANATOL.
Nun – was für eine Sorte Mensch ist er? – Wie hast du ihn kennen gelernt? – Wie sieht er aus –?
ANNIE.
Hübsch – bildhübsch! – Das ist freilich alles ...
ANATOL.
Nun – es scheint dir ja genug zu sein ...
ANNIE.
Ja – da wird's keine Austern mehr geben ...
ANATOL.
Das wissen wir schon ...
ANNIE.
... Und keinen Champagner!
ANATOL.

Aber, Donnerwetter – er wird doch noch andere Eigenschaften haben, als daß er dir keine Austern und keinen Champagner zahlen kann –

MAX.
Da hat er recht – das ist ja doch eigentlich kein Beruf ...
ANNIE.

Nun, was tut's – wenn ich ihn liebe? – Ich verzichte auf alles – es ist etwas Neues – etwas, was ich noch nie erlebt habe.

MAX.
Aber sehen Sie ... ein schlechtes Essen hätte Ihnen Anatol zur Not auch bieten können! –
[75]
ANATOL.
Was ist er? – Ein Kommis? – Ein Rauchfangkehrer –? – Ein Reisender in Petroleum –
ANNIE.
Ja, Kind – beleidigen lasse ich ihn nicht!
MAX.
So sagen Sie doch endlich, was er ist!
ANNIE.
Ein Künstler!
ANATOL.
Was für einer? – Wahrscheinlich Trapez? Das ist ja was für euch – Aus dem Zirkus – wie? Kunstreiter?
ANNIE.
Hör' auf zu schimpfen! – Es ist ein Kollege von mir ...
ANATOL.

Also – eine alte Bekanntschaft? ... Einer, mit dem du seit Jahren täglich zusammen bist – und mit dem du mich auch wahrscheinlich schon längere Zeit betrügst! –

ANNIE.

Da hätt ich dir nichts gesagt! – Ich habe mich auf dein Wort verlassen – drum gesteh' ich dir ja alles, bevor es zu spät ist!

ANATOL.

Aber – verliebt bist du schon in ihn – weiß Gott, wie lange? – Und im Geiste hast du mich längst betrogen! –

ANNIE.
Das läßt sich nicht verbieten!
ANATOL.
Du bist eine ...
MAX.
Anatol!!
ANATOL.
... Kenne ich ihn? –
ANNIE.

Na – aufgefallen wird er dir wohl nicht sein ... er tanzt nur im Chor mit ... Aber er wird avancieren –

ANATOL.
Seit wann ... gefällt er dir –?
ANNIE.
Seit heute abend!
ANATOL.
Lüge nicht!
ANNIE.
Es ist die Wahrheit! – Heut hab' ... ich gefühlt, daß es meine Bestimmung ist ...
ANATOL.
Ihre Bestimmung! ... Hörst du, Max – ihre Bestimmung!!
ANNIE.
Ja, so was ist auch Bestimmung!
ANATOL.

Hörst du – ich will aber alles wissen – ich habe ein Recht darauf! ... In diesem Augenblicke bist du noch meine Geliebte! ... Ich will wissen, seit wann diese Dinge schon vorgehen ... wie es begonnen ... wann er es gewagt –

MAX.
Ja ... das sollten Sie uns wirklich erzählen ...
ANNIE.

Das hat man nun von der Ehrlichkeit! ... Wahrhaftig – ich hätte es machen sollen, wie die Fritzel mit ihrem Baron – der weiß heut noch nichts – und dabei hat sie schon seit drei Monaten die Bandlerei mit dem Leutnant von den Fünferhusaren!

ANATOL.
Wird auch schon drauf kommen, der Baron!
[76]
ANNIE.

Schon möglich! Du aber wärst mir nie darauf gekommen, nie! – Dazu bin ich viel zu gescheit ... und du viel zu dumm! Schenkt steh ein Glas Wein ein.

ANATOL.
Wirst du aufhören zu trinken!
ANNIE.
Heut nicht! – Einen Schwips – will ich kriegen! – Es ist so wie so der letzte ...
MAX.
Auf acht Tage!
ANNIE.

Auf ewig! – Denn beim Karl werd' ich bleiben, weil ich ihn wirklich gern hab' – weil er lustig ist, wenn er auch kein Geld hat – weil er mich nicht sekieren wird – weil er ein süßer, süßer – lieber Kerl ist! –

ANATOL.

Du hast dein Wort nicht gehalten! – Schon längst bist du in ihn verliebt! – Das ist eine dumme Lüge, das von heute abend!

ANNIE.
So glaub's mir meinethalben nicht!
MAX.

Na, Annie ... erzählen Sie uns doch die Geschichte ... Wissen Sie – ganz – oder gar nicht! – Wenn Sie schon in Frieden auseinandergehen wollen – so müssen Sie ihm das doch noch zuliebe tun, dem Anatol ...

ANATOL.
Ich erzähle dir dann auch was ...
ANNIE.
Na ... angefangen hat's halt so ... Kellner tritt ein ...
ANATOL.
Erzähle nur – erzähle nur ... Setzt sich zu ihr.
ANNIE.

Das sind vielleicht jetzt vierzehn Tage ... oder länger, da hat er mir ein paar Rosen gegeben – beim Ausgangstürl ... Ich hab' lachen müssen! – Ganz schüchtern hat er dabei ausgeschaut –

ANATOL.
Warum hast du mir nichts davon erzählt –
ANNIE.
Davon? – Na, da hätt' ich viel zu erzählen gehabt! Kellner ab.
ANATOL.
Also weiter – weiter!
ANNIE.

... Dann ist er bei den Proben immer so merkwürdig um mich herum geschlichen – na – und das hab' ich bemerkt – und anfangs hat's mich geärgert – und dann hat's mich g'freut –

ANATOL.
Höchst einfach ...
ANNIE.
Na ... und dann haben wir gesprochen – und da hat mir alles so gut an ihm gefallen –
ANATOL.
Worüber habt ihr denn gesprochen? –
ANNIE.

Alles mögliche – wie s' ihn aus der Schul' hinausg'worfen haben – und wie er dann in eine Lehr' hätte kommen sollen – na – und wie das Theaterblut in ihm zu wurl'n ang'fangen hat ...

[77]
ANATOL.
So ... und von alledem hab' ich nie etwas gehört ...
ANNIE.

Na ... und dann is heraus 'kommen, daß wir zwei, wie wir Kinder waren, zwei Häuser weit voneinander g'wohnt haben, – Nachbarsleut' waren wir

ANATOL.
Ah!! Nachbarsleute! – Das ist rührend, rührend!
ANNIE.
Ja ... ja ... Trinkt.
ANATOL.
... Weiter!
ANNIE.

Was soll's denn weiter sein? – Ich hab' dir ja schon alles gesagt! Es ist meine Bestimmung – und gegen meine Bestimmung ... kann ich nichts tun ... und ... gegen ... meine Bestimmung ... kann ... ich ... nichts ... tun ...

ANATOL.
Vom heutigen Abend will ich was wissen –
ANNIE.
Na ... was denn – Ihr Kopf sinkt herab.
MAX.
Sie schläft ja ein –
ANATOL.

Weck' sie auf! – Stelle den Wein aus ihrer Nähe! ... Ich muß wissen, was es heute abend gegeben hat – Annie – Annie!

ANNIE.
Heut abend ... hat er mir g'sagt – daß er – mich – gern – hat!
ANATOL.
Und du –
ANNIE.

Ich hab' g'sagt – daß es mich freut – und weil ich ihn nicht betrügen will – so sag' ich dir: Adieu –

ANATOL.
Weil du ihn nicht betrügen willst!! – Also nicht meinetwegen –? ... Seinetwegen!?
ANNIE.
Na, was denn! – Dich hab' ich ja nimmer gern!
ANATOL.
Na, gut! – Glücklicherweise geniert mich das alles nicht mehr ...!
ANNIE.
So!?
ANATOL.
Auch ich bin in der angenehmen Lage – auf deine fernere Liebenswürdigkeit verzichten zu können!
ANNIE.
So ... so!
ANATOL.
Ja ... ja! – Schon längst liebe ich dich nicht mehr! ... Ich liebe eine andere!
ANNIE.
Haha ... haha ...
ANATOL.
Längst nicht mehr! – Frag' nur den Max! – Bevor du gekommen bist – hab' ich's ihm erzählt!
ANNIE.
... So ... so ...
ANATOL.
Längst nicht mehr! ... Und diese andere ist tausendmal besser und schöner ...
ANNIE.
So ... so ...
[78]
ANATOL.
... Das ist ein Mädel, für das ich tausend Weiber wie dich mit Vergnügen hergebe – verstehst du –?
ANNIE
lacht.
ANATOL.
Lache nicht! – Frage den Max –
ANNIE.
Es ist doch zu komisch! – Mir das jetzt einreden zu wollen –
ANATOL.

Es ist wahr, sag' ich dir – ich schwöre dir, daß es wahr ist! – Längst hab' ich dich nicht mehr lieb! ... Ich hab' nicht einmal an dich gedacht, während ich mit dir zusammen war – und wenn ich dich geküßt habe, so meinte ich die andere! – Die andere! – Die andere! –

ANNIE.
Na – so sind wir quitt!
ANATOL.
So! – Du glaubst?
ANNIE.
Ja – quitt! Das ist ja ganz schön!
ANATOL.

So? – Quitt sind wir nicht – oh nein – durchaus nicht! – Das ist nämlich nicht ein und dasselbe ... was du erlebt hast ... und ich! ... Meine Geschichte ist etwas weniger – unschuldig ...

ANNIE.
... Wie? – Ernster werdend.
ANATOL.
Ja ... meine Geschichte hört sich ein wenig anders an –
ANNIE.
Wieso ist deine Geschichte anders –?
ANATOL.
Nun – ich – ich habe dich betrogen –
ANNIE
steht auf.
Wie? – Wie?!
ANATOL.

Betrogen hab' ich dich – wie du's verdienst – Tag für Tag – Nacht für Nacht – Ich kam von ihr, wenn ich dich traf – und ging zu ihr, wenn ich dich verließ –

ANNIE.
... Infam ... Das ist ... infam!!

Gebt zum Kleiderständer, wirft Regenmantel und Boa um. –
ANATOL.

Man kann sich bei Euresgleichen nicht genug eilen – sonst kommt ihr einem zuvor! ... Na, zum Glück hab' ich keine Illusionen ...

ANNIE.
Da sieht man es wieder! – Ja!!
ANATOL.
Ja ... sieht man es, nicht wahr? Jetzt sieht man es!
ANNIE.
Daß so ein Mann hundertmal rücksichtsloser ist als ein Frauenzimmer –
ANATOL.
Ja, man sieht's! – So rücksichtslos war ich ... ja!
ANNIE
hat nun die Boa um den Hals geschlungen und nimmt Hut und Handschuhe in die Hand, stellt sich vor Anatol hin.
– Ja ... rücksichtslos! – Das... hab' ich dir doch nicht gesagt! Will gehen.
ANATOL.
Wie?! Ihr nach.
MAX.
So laß sie! – Du wirst sie doch nicht am Ende aufhalten! –
[79]
ANATOL.
»Das«! – hast du mir nicht gesagt? – Was!? – Daß du ... Daß du ... daß –
ANNIE
bei der Türe.
Nie hätte ich es dir gesagt ... nie! ... So rücksichtslos kann nur ein Mann sein –
KELLNER
kommt mit einer Creme.
– Oh –
ANATOL.
Geh'n Sie zum Teufel mit Ihrer Creme!
ANNIE.
... Wie!? Vanillecreme!! ... So! –
ANATOL.
Du wagst es noch! –
MAX.
Laß sie doch! – Sie muß ja von der Creme Abschied nehmen – für ewig –!
ANNIE.

Ja ... mit Freuden! – Vom Bordeaux, vom Champagner – von den Austern – und ganz besonders von dir, Anatol –! Plötzlich, von der Türe weg, mit einem ordinären Lächeln, geht sie zur Zigarettenschachtel, die auf dem Trumeau steht, und stopft sich eine Handvoll Zigaretten in die Tasche. Nicht für mich! – Die bring' ich ihm! Ab.

ANATOL
ihr nach, bleibt bei der Türe stehen .
..
MAX
ruhig.
Na ... siehst du ... es ist ganz leicht gegangen! ...

Vorhang.

Agonie

Anatol, Max, Else
Anatols Zimmer. Beginn der Abenddämmerung. Das Zimmer ist eine Weile leer, dann treten Anatol und Max ein.

MAX.
So ... nun bin ich richtig noch mit dir da heraufgegangen!
ANATOL.
Bleib noch ein wenig.
MAX.
Ich denke doch, daß ich dich störe?
ANATOL.

Ich bitte dich, bleibe! Ich habe gar keine Lust, allein zu sein – und wer weiß, ob sie überhaupt kommt!

MAX.
Ah!
ANATOL.
Siebenmal unter zehn warte ich vergebens!
MAX.
Das hielte ich nicht aus!
[80]
ANATOL.
Und manchmal muß man die Ausreden glauben – ach, sie sind sogar wahr.
MAX.
Alle siebenmal?
ANATOL.

Was weiß ich denn! ... Ich sage dir, es gibt nichts Entsetzlicheres, als der Liebhaber einer verheirateten Frau zu sein!

MAX.
Oh doch ... ihr Gatte wär' ich zum Beispiel weniger gern!
ANATOL.

Nun dauert das schon – wie lange nur –? – Zwei Jahre -ach was! – mehr! – Im Fasching waren es schon so viel – und das ist nun der dritte »Frühling unserer Liebe« ...

MAX.
Was hast du denn!
ANATOL
hat sich noch mit Überzieher und Stock in einen Fauteuil geworfen, der am Fenster steht.
– Ach, ich bin müde, – ich bin nervös, ich weiß nicht, was ich will ...
MAX.
Reise ab!
ANATOL.
Warum?
MAX.
Um das Ende abzukürzen!
ANATOL.
Was heißt das – das Ende!?
MAX.

Ich habe dich schon manchmal so gesehen – das letzte Mal, weißt du noch, wie du dich so lange nicht entschließen konntest, einem gewissen dummen Ding den Abschied zu geben, das deine Schmerzen wahrhaftig nicht wert war.

ANATOL.
Du meinst, ich liebe sie nicht mehr ...?
MAX.

Oh! Das wäre ja vortrefflich ... in dem Stadium leidet man nicht mehr! ... Jetzt machst du was viel Ärgeres durch als den Tod – das Tödliche.

ANATOL.
Du hast so eine Manier, einem angenehme Dinge zu sagen! – Aber du hast recht – es ist die Agonie!
MAX.

Sich darüber aussprechen, hat gewiß etwas Tröstliches. Und wir brauchen nicht einmal Philosophie dazu! – Wir brauchen gar nicht ins große Allgemeine zu gehen; – es genügt schon, das Besondere sehr tief bis in seine verborgensten Keime zu begreifen.

ANATOL.
Ein recht mäßiges Vergnügen, das du mir da vorschlägst.
MAX.

Ich meine nur so. – Aber ich habe dir's ja den ganzen Nachmittag angesehen, schon im Prater unten, wo du blaß und langweilig warst wie die Möglichkeit.

ANATOL.
Sie wollte heute hinunterfahren.
MAX.

Du warst aber froh, daß uns ihr Wagen nicht begegnete, weil du gewiß jenes Lächeln nicht mehr zur Verfügung hast, mit dem du sie vor zwei Jahren begrüßtest.

[81]
ANATOL
steht auf.

Wie kommt das nur! – Sag' mir, wie kommt das nur –? – Also steht mir das wieder einmal bevor – dieses allmähliche, langsame, unsagbare traurige Verglimmen? – Du ahnst nicht, wie ich davor schaudere –!

MAX.
Drum sage ich ja: Reise ab! – Oder habe den Mut, ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
ANATOL.
Was denn? Und wie?
MAX.
Nun, ganz einfach: Daß es aus ist.
ANATOL.

Auf diese Arten von Wahrheiten brauchen wir uns nicht viel zugute tun; das ist ja doch nur die brutale Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner.

MAX.

Natürlich! Lieber verbergt ihr es mit tausend Listen voreinander, daß ihr euch nicht mehr dieselben seid, die ihr wart, als mit einem raschen Entschluß auseinander zu gehen. Warum denn nur? –

ANATOL.

Weil wir es ja selbst nicht glauben. Weil es mitten in dieser unendlichen Ödigkeit der Agonie sonderbare täuschende Augenblicke gibt, in denen alles schöner ist als je zuvor ...! Nie haben wir eine größere Sehnsucht nach Glück als in diesen letzten Tagen einer Liebe – und wenn da irgend eine Laune, irgend ein Rausch, irgend ein Nichts kommt, das sich als Glück verkleidet, so wollen wir nicht hinter die Maske sehen ... Da kommen dann die Augenblicke, in denen man sich schämt, daß man alle die Süßigkeiten geendet glaubte – da bittet man einander so vieles ab, ohne es in Worten zu sagen. – Man ist so ermattet von der Angst des Sterbens – und nun ist plötzlich das Leben wieder da – heißer, glühender als je – und trügerischer als je! –

MAX.

Vergiß nur eines nicht: Dieses Ende beginnt oft früher, als wir ahnen! – Es gibt manches Glück, das mit dem ersten Kuß zu sterben begann. – Weißt du nichts von den schwer Kranken, die sich für gesund halten bis zum letzten Augenblick –?

ANATOL.

Zu diesen Glücklichen gehöre ich nicht! – Das steht fest! – Ich bin stets ein Hypochonder der Liebe gewesen ... Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal so krank, als ich sie glaubte – um so ärger! – Mir ist manchmal, als werde die Sage vom bösen Blick an mir wahr ... Nur ist der meine nach innen gewandt, und meine besten Empfindungen siechen vor ihm hin.

MAX.
Dann muß man eben den Stolz seines bösen Blickes haben.
[82]
ANATOL.

Ach nein, ich beneide ja doch die andern! Weißt du – die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein neuer Sieg ist! – Ich muß mir immer vornehmen, mit etwas fertig zu werden; ich mache Haltestellen, – ich überlege, ich raste, ich schleppe mit –! Jene andern überwinden spielend, im Erleben selbst; ... es ist für sie ein und dasselbe.

MAX.
Beneide sie nicht, Anatol – sie überwinden nicht, sie gehen nur vorbei!
ANATOL.

Ist nicht auch das ein Glück –? – Sie haben wenigstens nicht dieses seltsame Gefühl der Schuld, welches ja das Geheimnis unserer Trennungsschmerzen ist.

MAX.
Welcher Schuld denn? –
ANATOL.

Hatten wir nicht die Verpflichtung, die Ewigkeit, die wir ihnen versprachen, in die paar Jahre oder Stunden hineinzulegen, in denen wir sie liebten? Und wir konnten es nie! nie! – Mit diesem Schuldbewußtsein scheiden wir von jeder – und unsere Melancholie bedeutet nichts als ein stilles Eingeständnis. Das ist eben unsere letzte Ehrlichkeit! –

MAX.
Zuweilen auch unsere erste ...
ANATOL.
Und das tut alles so weh. –
MAX.

Mein Lieber, für dich sind diese lang dauernden Verhältnisse überhaupt nicht gut ... Du hast eine zu feine Nase –

ANATOL.
Wie soll ich das verstehen?
MAX.

Deine Gegenwart schleppt immer eine ganze schwere Last von unverarbeiteter Vergangenheit mit sich ... Und nun fangen die ersten Jahre deiner Liebe wieder einmal zu vermodern an, ohne daß deine Seele die wunderbare Kraft hätte, sie völlig auszustoßen. – Was ist nun die natürliche Folge –? – Daß auch um die gesundesten und blühendsten Stunden deines Jetzt ein Duft dieses Moders fließt – und die Atmosphäre deiner Gegenwart unrettbar vergiftet ist.

ANATOL.
Das mag wohl sein.
MAX.

Und darum ist ja ewig dieser Wirrwarr von Einst und Jetzt und Später in dir; es sind stete, unklare Übergänge! Das Gewesene wird für dich keine einfache starre Tatsache, indem es sich von den Stimmungen loslöst, in denen du es erfahren – nein, die Stimmungen bleiben schwer darüber liegen, sie werden nur blässer und welker – und sterben ab.

ANATOL.

Nun ja. Und aus diesem Dunstkreis kommen die schmerzlichen Düfte, die so oft über meine besten Augenblicke ziehen. – Vor denen möchte ich mich retten.

[83]
MAX.

Ich bemerke zu meinem größten Erstaunen, daß keiner davor sicher ist, einmal etwas Erstgradiges sagen zu müssen! ... So hab' ich jetzt etwas auf der Zunge: Sei stark, Anatol – werde gesund!

ANATOL.

Du lachst ja selbst, während du's aussprichst! ... Es ist ja möglich, daß ich die Fähigkeit dazu hätte! – Mir fehlt aber das weit Wichtigere – das Bedürfnis! – Ich fühle, wie viel mir verloren ginge, wenn ich mich eines schönen Tages »stark« fände! ... Es gibt so viele Krankheiten und nur eine Gesundheit –! ... Man muß immer genau so gesund wie die andern – man kann aber ganz anders krank sein wie jeder andere!

MAX.
Ist das nur Eitelkeit?
ANATOL.
Und wenn? – Du weißt schon wieder ganz genau, daß Eitelkeit ein Fehler ist, nicht –? ...
MAX.
Ich entnehme aus alledem einfach, daß du nicht abreisen willst.
ANATOL.

Vielleicht werde ich abreisen – ja, gut! – Aber ich muß mich damit überraschen –es darf kein Vorsatz dabei sein, – der Vorsatz verdirbt alles! – Das ist ja das Entsetzliche bei diesen Dingen, daß man – den Koffer packen, einen Wagen holen lassen – ihm sagen muß – zum Bahnhof!

MAX.

Das besorge ich dir alles! Da Anatol rasch zum Fenster gegangen und hinausgesehen hat. – Was hast du denn? –

ANATOL.
Nichts ...
MAX.
... Ach ja ... ich vergaß ganz. – Ich gehe schon.
ANATOL.
... Siehst du – in diesem Momente ist mir wieder –?
MAX.
...
ANATOL.
Als betete ich sie an!
MAX.

Dafür gibt es eine sehr einfache Erklärung, die nämlich: Daß du sie wirklich anbetest – in die sem Augenblick!

ANATOL.
Leb' wohl, also – den Wagen bestelle noch nicht!
MAX.

Sei nicht gar so übermütig! – Der Triester Schnellzug geht erst in vier Stunden ab – und das Gepäck läßt sich nachschicken –

ANATOL.
Danke bestens!
MAX
an der Türe.
Ich kann unmöglich ohne Aphorisma abgehen!
ANATOL.
Bitte?
MAX.
Das Weib ist ein Rätsel!
ANATOL.
Oh!!!
MAX.

Aber ausreden lassen! Das Weib ist ein Rätsel: – So sagt [84] man! Was für ein Rätsel wären wir erst für das Weib, wenn es vernünftig genug wäre, über uns nachzudenken?

ANATOL.
Bravo, bravo!
MAX
verbeugt sich und geht ab.
ANATOL
eine Weile allein, geht im Zimmer hin und her; dann setzt er sich wieder zum Fenster, raucht eine Zigarette.

Die Töne einer Geige klingen aus dem oberen Stockwerk herab – Pause – dann hört man Schitte im Korridor ... Anatol wird aufmerksam, steht auf, legt die Zigarette in einen Aschenbecher und geht der eben eintretenden, tief verschleierten Eise entgegen.

ANATOL.
Endlich! –
ELSE.
Es ist schon spät ... ja, ja! Sie legt Hut und Schleier ab. – Ich konnte nicht früher – unmöglich! –
ANATOL.
Hättest du mich nicht verständigen können? – Das Warten macht mich so nervös! – Aber – du bleibst –?
ELSE.
Nicht lange, Engel – mein Mann –
ANATOL
wendet sich verdrossen ab.
ELSE.
Schau – wie du wieder bist! – Ich kann doch nichts dafür!
ANATOL.

Nun ja – du hast ja recht! – Es ist schon einmal so – und man muß sich fügen ... Komm mein Schatz – hierher! ... Sie treten zum Fenster.

ELSE.
Man könnte mich sehen! –
ANATOL.

Es ist ja dunkel – und der Vorhang hier verbirgt uns! Es ist so ärgerlich, daß du nicht lange bleiben kannst! – Ich habe dich schon zwei Tage nicht gesehen! – Und auch das letzte Mal waren es nur ein paar Minuten!

ELSE.
Liebst du mich denn –?
ANATOL.
Ach, du weißt es ja – du bist alles, alles für mich! ... Immer mit dir zu sein –
ELSE.
Ich bin auch so gerne bei dir! –
ANATOL.

Komm ... Zieht sie neben sich auf den Fauteuil. – Deine Hand! Führt sie an die Lippen ... Hörst du den Alten da oben spielen? – Schön – nicht wahr –?

ELSE.
Mein Schatz!
ANATOL.
Ach ja – so mit dir am Comosee ... oder in Venedig –
ELSE.
Da war ich auf meiner Hochzeitsreise –
ANATOL
mit verbissenem Ärger.
Mußtest du das jetzt sagen?
ELSE.
Aber ich liebe ja nur dich! Habe nur dich geliebt! Nie einen andern – und gar meinen Mann –
ANATOL
die Hände faltend.

Ich bitte dich! – Kannst du dich denn nicht wenigstens sekundenlang unverheiratet denken? – [85] Schlürfe doch den Reiz dieser Minute – denke doch, wir zwei sind allein auf der Welt ... Glockenschläge.

ELSE.
Wie spät –?
ANATOL.
Else, Else – frage nicht! – Vergiß, daß es andere gibt – du bist ja bei mir!
ELSE
zärtlich.
Hab' ich nicht genug für dich vergessen? –
ANATOL.
Mein Schatz – Ihr die Hand küssend.
ELSE.
Mein lieber Anatol –
ANATOL
weich.
Was denn schon wieder, Else –?
ELSE
deutet durch eine Handbewegung und lächelnd an, daß sie gehen muß.
ANATOL.
Du meinst?
ELSE.
Ich muß fort!
ANATOL.
Du mußt?
ELSE.
Ja.
ANATOL.
Mußt –? Jetzt – jetzt –? – So geh! Entfernt sich von ihr.
ELSE.
Man kann mit dir nicht reden –
ANATOL.

Man kann mit mir nicht reden! Im Zimmer hin und her. – Und du begreifst nicht, daß mich dieses Leben rasend machen muß? –

ELSE.
Das ist mein Dank!
ANATOL.

Dank, Dank! – Wofür Dank? – Hab' ich dir nicht ebenso viel geschenkt wie du mir? – Lieb' ich dich weniger als du mich? – Mache ich dich weniger glücklich als du mich? – Liebe – Wahnsinn – Schmerz –! Aber Dankbarkeit? – Wie kommt das dumme Wort her? –

ELSE.
Also gar keinen – kein bißchen Dank verdiene ich von dir? – Ich, die dir alles geopfert?
ANATOL.
Geopfert? – Ich will kein Opfer – und war es eines, so hast du mich nie geliebt.
ELSE.

Auch das noch? ... Ich liebe ihn nicht – ich, die den Mann für ihn verrät – ich, ich – Hebe ihn nicht!

ANATOL.
Das hab' ich doch nicht gesagt!
ELSE.
O, was hab' ich getan!
ANATOL
vor ihr stehenbleibend.

O, was hab' ich getan! – Diese herrliche Bemerkung hat eben noch gefehlt! – Was du getan hast? Ich will es dir sagen ... du warst ein dummer Backfisch vor sieben Jahren – dann hast du einen Mann geheiratet, weil man eben heiraten muß. – Du hast deine Hochzeitsreise gemacht ... du warst glücklich ... in Venedig –

ELSE.
Niemals! –
[86]
ANATOL.
Glücklich – in Venedig – am Comosee – es war jedoch auch Liebe – in gewissen Momenten wenigstens.
ELSE.
Niemals!
ANATOL.

Wie? – Hat er dich nicht geküßt – nicht umarmt? – Warst du nicht sein Weib? – Dann kamt ihr zurück – und es wurde dir langweilig – selbstverständlich – denn du bist schön – elegant – und eine Frau –! Und er ist ganz einfach ein Dummkopf! – Nun kamen die Jahre der Koketterie ... ich nehme an, der Koketterie allein! – Geliebt hast du noch kei-nen vor mir, sagst du. Nun, beweisen läßt sich das nicht – aber ich nehme es an; weil mir das Gegenteil unangenehm wäre.

ELSE.
Anatol! Koketterie! Ich! –
ANATOL.
Ja ... Koketterie! Und was das heißt, kokett sein? Lüstern und verlogen zugleich!
ELSE.
Das war ich? –
ANATOL.

Ja .... du! – Dann kamen die Jahre des Kampfes – du schwanktest! – Soll ich niemals meinen Roman erleben? – Du wurdest immer schöner – dein Mann immer langweiliger, dümmer und häßlicher ...! Schließlich mußte es kommen – und du nahmst dir einen Liebhaber. Dieser Liebhaber bin zufällig ich!

ELSE.
Zufällig ... du!
ANATOL.

Ja, zufällig ich – denn, wäre ich nicht – so wäre eben ein anderer da gewesen! – Du hast dich in deiner Ehe unglücklich gefühlt oder nicht glücklich genug – und wolltest geliebt sein. Du hast ein bißchen mit mir geflirtet, hast von der grande passion gefaselt – und eines schönen Tages, als du eine deiner Freundinnen betrachtetest, die im Wagen an dir vorbeifuhr, oder vielleicht eine Kokette, die in einer Loge neben euch saß, da hast du dir eben gedacht: Warum soll ich nicht auch mein Vergnügen haben! – Und so bist du meine Geliebte geworden! – – Das hast du getan! – Das ist alles – und ich sehe nicht ein, warum du große Phrasen brauchst für dieses kleine Abenteuer.

ELSE.
Anatol – Anatol! – Abenteuer?! –
ANATOL.
Ja!
ELSE.
Nimm zurück, was du gesagt – ich beschwöre dich! –
ANATOL.
Was hab' ich denn da zurückzunehmen – was ist's denn anderes für dich –?
ELSE.
Du glaubst das wirklich –?
[87]
ANATOL.
Ja!
ELSE.
Nun – so muß ich gehen!
ANATOL.
Geh – ich halte dich nicht. Pause.
ELSE.
Du schickst mich weg? –
ANATOL.
Ich – schicke dich weg – Vor zwei Minuten sagtest du ja – »Ich muß fort!«
ELSE.
Anatol – ich muß es ja –! Siehst du's denn nicht ein –
ANATOL
entschlossen.
Else!
ELSE.
Was denn?
ANATOL.
Else – du liebst mich –? So sagst du –
ELSE.
Ich sage es – Um Himmels willen – was für Beweise verlangst du denn eigentlich von mir –?
ANATOL.
Willst du es wissen –? Gut! – Vielleicht werde ich dir glauben können, daß du mich liebst ...
ELSE.
Vielleicht? – Das sagst du heute!
ANATOL.
Du liebst mich –?
ELSE.
Ich bete dich an –
ANATOL.
So – bleibe bei mir!
ELSE.
Wie? –
ANATOL.

Fliehe mit mir – Ja? – mit mir – in eine andere Stadt – in eine andere Welt – ich will mit dir allein sein!

ELSE.
Was fällt dir denn ein –?
ANATOL.

Was mir »einfällt« –? Das einzig Natürliche – ja! – Wie kann ich dich denn nur fortgehen lassen – zu ihm – wie habe ich es nur jemals können? – Ja – wie bringst du es denn eigentlich über dich – du! die mich »anbetet«! – Wie? Aus meinen Armen weg, von meinen Küssen versengt, kommst du in jenes Haus zurück, das dir ja fremd geworden, seit du mir gehörst? – Nein – nein – wir haben uns so darein gefunden – wir haben nicht daran gedacht, wie ungeheuerlich es ist! Es ist ja unmöglich, daß wir so weiter leben können – – Else, Else, du kommst mit mir! – Nun ... du schweigst – Else! – Nach Sizilien ... wohin du willst – übers Meer meinetwegen – Else!

ELSE.
– Was redest du nur?
ANATOL.
Niemand mehr zwischen dir und mir – übers Meer, Else! – und wir werden allein sein –
ELSE.
Übers Meer –?
ANATOL.
Wohin du willst! ...
ELSE.
Mein liebes, teures ... Kind ...
ANATOL.
Zögerst du –?
[88]
ELSE.
Schau', Liebster – wozu brauchen wir denn das eigentlich –?
ANATOL.
Was?
ELSE.

Das Wegreisen – es ist ja gar nicht nötig .... Wir können uns doch auch in Wien beinahe so oft sehen, als wir wollen –

ANATOL.
Beinahe so oft, als wir wollen. – Ja ja ... wir ... haben's gar nicht nötig ...
ELSE.
Das sind Phantastereien ...
ANATOL.
... Du hast recht ... Pause.
ELSE.
... Bös –? Glockenschläge.
ANATOL.
Du mußt gehen!
ELSE.
... Um Himmels willen – so spät ist es geworden ...!
ANATOL.
Nun – so geh doch ...
ELSE.
Auf morgen – ich werde schon um sechs Uhr bei dir sein!
ANATOL.
... Wie du willst!
ELSE.
Du küssest mich nicht –?
ANATOL.
O ja ...
ELSE.
Ich werde dich schon wieder gut machen ... morgen! –
ANATOL
begleitet sie zur Tür.
Adieu!
ELSE
bei der Türe.
Noch einen Kuß!
ANATOL.
Warum nicht – da! Er küßt sie; sie geht.
ANATOL
wieder zurück ins Zimmer.

Nun habe ich sie mit diesem Kuß zu dem gemacht, was sie zu sein verdient ... zu einer mehr! Er schüttelt sich. Dumm, dumm ...!


Vorhang.

Anatols Hochzeitsmorgen

Anatol, Max, Ilona, Franz, Diener.
Geschmackvoll eingerichtetes Junggesellenzimmer: die Türe rechts führt ins Vorzimmer; die Türe links, zu deren Seiten Vorhänge herabfallen, ins Schlafgemach.

ANATOL
kommt im Morgenanzug auf den Zehenspitzen aus dem Zimmer links und macht die Türe leise zu.
Er setzt sich auf eine Chaiselongue und drückt auf einen Knopf; es klingelt.
[89]
FRANZ
erscheint von rechts und geht, ohne Anatol zu bemerken, zur Türe links.
ANATOL
merkt es anfangs nicht, läuft ihm dann nach und hält ihn dann zurück, die Türe zu öffnen.
Was schleichst du denn so? Ich habe dich gar nicht gehört!
FRANZ.
Was befehlen Euer Gnaden?
ANATOL.
Den Samowar!
FRANZ.
Jawohl. Ab.
ANATOL.

Leise, du Dummkopf! Kannst du nicht leiser auftreten? Geht auf den Fußspitzen zur Türe links, öffnet sie ein wenig. Sie schläft! ... Noch immer schläft sie! Schließt die Türe.

FRANZ
kommt mit dem Samowar.
Zwei Tassen, gnädiger Herr?
ANATOL.
Jawohl! Es läutet ... Sieh hinaus! Wer kommt denn da in aller Frühe? Franz ab.
ANATOL.
Ich bin heute entschieden nicht in der Stimmung zum Heiraten. Ich möchte absagen.
FRANZ
öffnet die Türe rechts, durch die Max hereintritt.
MAX
herzlich.
Mein lieber Freund!
ANATOL.
Pst ... Stille! ... Noch eine Tasse, Franz!
MAX.
Es stehen ja schon zwei Tassen da!
ANATOL.

Noch eine Tasse, Franz – und hinaus.Franz ab. So ... und jetzt, mein Lieber, was führt dich um acht Uhr morgens zu mir her?

MAX.
Es ist zehn!
ANATOL.
Also was führt dich um zehn Uhr morgens zu mir her?
MAX.
Meine Vergeßlichkeit.
ANATOL.
Leiser ...
MAX.
Ja warum denn eigentlich? Bist du nervös!
ANATOL.
Ja, sehr!
MAX.
Du solltest aber heute nicht nervös sein.
ANATOL.
Was willst du also?
MAX.
Du weißt, ich bin heute Zeuge bei deiner Hochzeit; deine reizende Cousine Alma ist meine Dame!
ANATOL
tonlos.
Zur Sache.
MAX.

Nun – ich habe vergessen, das Bukett zu bestellen, und weiß in diesem Augenblick nicht, was für eine Toilette Fräulein Alma tragen wird. Wird sie weiß, rosa, blau oder grün erscheinen?

ANATOL
ärgerlich.
Keinesfalls grün!
MAX.
Warum keinesfalls grün?
ANATOL.
Meine Cousine trägt nie grün.
[90]
MAX
pikiert.
Das kann ich doch nicht wissen!
ANATOL
wie oben.
Schrei nicht so! Das läßt sich alles in Ruhe abmachen.
MAX.
Also du weißt gar nicht, was für eine Farbe sie heute tragen wird?
ANATOL.
Rosa oder blau!
MAX.
Das sind aber ganz verschiedene Dinge.
ANATOL.
Ach, rosa oder blau, ist ganz gleichgültig!
MAX.
Aber für mein Bukett ist das durchaus nicht gleichgültig!
ANATOL.
Bestelle zwei; das eine kannst du dir dann ins Knopfloch stecken.
MAX.
Ich bin nicht hergekommen, um deine schlechten Witze anzuhören.
ANATOL.
Ich werde heute um zwei Uhr einen noch schlechteren machen!
MAX.
Du bist recht gut aufgelegt an deinem Hochzeitsmorgen.
ANATOL.
Ich bin nervös!
MAX.
Du verschweigst mir etwas.
ANATOL.
Nichts!
ILONAS STIMME
aus dem Schlafzimmer.
Anatol!
MAX
sieht Anatol überrascht an.
ANATOL.

Entschuldige mich einen Augenblick.Geht zur Türe des Schlafzimmers und verschwindet einen Moment in demselben; Max sieht ihm mit weit offenen Augen nach; Anatol küßt Ilona bei der Türe, ohne daß es Max sehen kann, schließt die Türe und tritt wieder zu Max.

MAX
entrüstet.
So was tut man nicht!
ANATOL.
Höre, lieber Max, und dann urteile.
MAX.
Ich höre eine weibliche Stimme und urteile: Du fängst früh an, deine Frau zu betrügen!
ANATOL.
Setze dich nieder und höre mich an, du wirst gleich anders reden.
MAX.
Niemals. Ich bin gewiß kein Tugendspiegel; aber so was ...!
ANATOL.
Du willst mich nicht anhören?
MAX.
Erzähle! Aber rasch; ich bin zu deiner Trauung eingeladen. Beide sitzen.
ANATOL
traurig.
Ach ja!
MAX
ungeduldig.
Also.
ANATOL.
Also ... Also gestern war Polterabend bei meinen zukünftigen Schwiegereltern.
[91]
MAX.
Weiß ich; war dort!
ANATOL.

Ja richtig, du warst dort. Es waren überhaupt eine Menge Leute dort! Man war sehr aufgeräumt, trank Champagner, sprach Toaste ...

MAX.
Ich auch ... auf dein Glück!
ANATOL.
Ja, du auch ... auf mein Glück! Drückt ihm die Hand. Ich danke dir.
MAX.
Tatest du bereits gestern.
ANATOL.
Man war also sehr lustig bis Mitternacht ...
MAX.
Ist mir bekannt.
ANATOL.
Einen Augenblick kam es mir vor, als wäre ich glücklich.
MAX.
Nach deinem vierten Glas Champagner.
ANATOL
traurig.
Nein – erst nach dem sechsten ... es ist traurig, und ich kann es kaum begreifen.
MAX.
Wir haben genug davon gesprochen.
ANATOL.
Auch jener junge Mensch war dort, von dem ich sicher weiß, daß er die Jugendliebe meiner Braut war.
MAX.
Ach, der junge Ralmen.
ANATOL.

Ja – so eine Art Dichter glaub' ich. Einer von denen, die dazu bestimmt scheinen, zwar die erste Liebe von so mancher, doch von keiner die letzte zu bedeuten.

MAX.
Ich zöge vor, du kämest zur Sache.
ANATOL.

Er war mir eigentlich ganz gleichgültig; im Grunde lächelte ich über ihn ... Um Mitternacht ging die Gesellschaft auseinander. Ich nahm von meiner Braut mit einem Kusse Abschied. Auch sie küßte mich – kalt ... Während ich die Stiege hinunterschritt, fröstelte mich.

MAX.
Aha ...
ANATOL.

Beim Tore gratulierte mir noch der und jener. Onkel Eduard war betrunken und umarmte mich. Ein Doktor der Rechte sang ein Studentenlied. Die Jugendliebe, der Dichter mein' ich, verschwand mit aufgestecktem Kragen in einer Seitengasse. Einer neckte mich. Ich würde nun gewiß vor den Fenstern der Geliebten den Rest der Nacht spazieren wandeln. Ich lächelte höhnisch ... Es hatte zu schneien begonnen. Die Leute zerstreuten sich allmählich ... ich stand allein ...

MAX
bedauernd.
Hm ...
ANATOL
wärmer.

Ja, stand allein auf der Straße – in der kalten Winternacht, während der Schnee in großen Flocken um mich wirbelte. Es war gewissermaßen ... schauerlich.

MAX.
Ich bitte dich – sage endlich, wohin du gingst?
[92]
ANATOL
groß.
Ich mußte hingehen – – – auf die Redoute!
MAX.
Ah!
ANATOL.
Du staunst, wie –?
MAX.
Nun kann ich mir das Folgende denken.
ANATOL.
Doch nicht, mein Freund – – als ich so dastand in der kalten Winternacht –
MAX.
Fröstelnd ...!
ANATOL.

Frierend! Da kam es wie ein gewaltiger Schmerz über mich, daß ich von nun an kein freier Mann mehr sein, daß ich meinem süßen, tollen Junggesellenleben Ade sagen sollte für immerdar! Die letzte Nacht, sagte ich mir, in der du nach Hause kommen kannst, ohne gefragt zu werden: Wo warst du ...? Die letzte Nacht der Freiheit, des Abenteuerns ... vielleicht der Liebe!

MAX.
Oh! –
ANATOL.

Und so stand ich mitten im Gewühl. Um mich herum knisterten Seiden- und Atlaskleider, glühten Augen, nickten Masken, dufteten die weißen glänzenden Schultern – atmete und tollte der ganze Karneval. Ich stürzte mich in dieses Treiben, ließ es um meine Seele brausen. Ich mußte es einsaugen, mußte mich darin baden! ...

MAX.
Zur Sache ... Wir haben keine Zeit.
ANATOL.

Ich werde so durch die Menge hindurch geschoben, und nachdem ich früher meinen Kopf berauscht, berausche ich nun meinen Atem mit all den Parfüms, die um mich wallen. Es strömte auf mich ein, wie nie zuvor. Mir, ja mir ganz persönlich gab der Fasching ein Abschiedsfest.

MAX.
Ich warte auf den dritten Rausch ...
ANATOL.
Er kam ... der Rausch des Herzens ...!
MAX.
Der Sinne!
ANATOL.
Des Herzens ...! Nun ja, der Sinne: ... Erinnerst du dich an Katharine ...?
MAX
laut.
Oh, an Katharine ...
ANATOL.
Pst ...
MAX
auf die Schlafstubentür deutend.
Ach ... ist sie es?
ANATOL.

Nein – sie ist es eben nicht. Aber sie war auch dort – und dann eine reizende brünette Frau, deren Name ich nicht nenne ... und dann die kleine blonde Lizzie vom Theodor – aber der Theodor war nicht dort – und so weiter. Ich erkannte sie alle trotz ihrer Masken – an der Stimme, am Gang, an irgend einer Bewegung. Aber sonderbar ... Gerade eine erkannte [93] ich nicht gleich. Ich verfolgte sie oder sie mich. Ihre Gestalt war mir so bekannt. Jedenfalls trafen wir immerfort zusammen. Beim Springbrunnen, beim Büfett, neben der Proszeniumsloge ... immerfort! Endlich hatte sie meinen Arm, und ich wußte, wer sie war! Auf die Schlafzimmertür deutend. Sie.

MAX.
Eine alte Bekannte?
ANATOL.

Aber Mensch, ahnst du es denn nicht? Du weißt doch, was ich ihr vor sechs Wochen erzählt habe, als ich mich verlobte ... das alte Märchen: Ich reise ab, bald komme ich wieder, ich werde dich ewig lieben.

MAX.
Ilona ...?
ANATOL.
Pst ...
MAX.
Nicht Ilona ...?
ANATOL.

Ja – aber eben darum still! Du bist also wieder da, flüstert sie mir ins Ohr. Ja, erwidere ich schlagfertig. Wann gekommen? – Heute abend. – Warum nicht früher geschrieben? – Keine Postverbindung. – Wo denn? – Unwirtliches Dorf. – Aber jetzt ...? Glücklich, wieder da, treu gewesen. – Ich auch – ich auch – Seligkeit, Champagner und wieder Seligkeit. –

MAX.
Und wieder Champagner.
ANATOL.

Nein – kein Champagner mehr. – Ach, wie wir dann im Wagen nach Hause fuhren ... wie früher. Sie lehnte sich an meine Brust. Nun wollen wir uns nie wieder trennen – sagte sie ...

MAX
steht auf.
Wach' auf, mein Freund, und sieh, daß du zu Ende kommst.
ANATOL.
»Niemals trennen« – – – Aufstehend. Und heute um zwei Uhr heirate ich!
MAX.
Eine andere.
ANATOL.
Nun ja; man heiratet immer eine andere.
MAX
auf die Uhr schauend.
Ich glaube, es ist die höchste Zeit. Bezeichnende Bewegung, Anatol möge Ilona entfernen.
ANATOL.

Ja, ja, ich will sehen, ob sie bereit ist.Zur Türe, bleibt davor stehen, wendet sich zu Max. Ist es nicht eigentlich traurig?

MAX.
Es ist unmoralisch.
ANATOL.
Ja, aber auch traurig.
MAX.
Geh endlich.
ANATOL
zur Türe des Nebenzimmers.
ILONA
steckt den Kopf heraus, tritt, in einen eleganten Domino gehüllt, heraus.
Es ist ja nur Max!
MAX
sich verbeugend.
Nur Max.
[94]
ILONA
zu Anatol.

Und du sagst mir gar nichts. – Ich dachte, es sei ein Fremder, sonst wäre ich schon längst bei euch gewesen. Wie geht es Ihnen, Max? Was sagen Sie zu diesem Schlingel?

MAX.
Ja, das ist er.
ILONA.
Sechs Wochen weine ich um ihn ... Er war ... wo warst du nur?
ANATOL
mit einer großen Handbewegung.
Dort wo – –
ILONA.

Hat er Ihnen auch nicht geschrieben? Aber jetzt hab' ich ihn wieder. Seinen Arm nehmend. ... jetzt gibt es keine Abreise mehr ... keine Trennung. Gib mir einen Kuß!

ANATOL.
Aber ...
ILONA.

Ach, Max gilt nichts. Küßt Anatol. Aber du machst ja ein Gesicht! ... Nun werde ich euch den Tee einschenken und mir auch, wenn's erlaubt ist.

ANATOL.
Bitte ...
MAX.

Liebe Ilona, ich kann leider die Einladung, mit Ihnen zu frühstücken, nicht annehmen ... und ich begreife auch nicht ...

ILONA
macht sich mit dem Samowar zu schaffen.
Was begreifen Sie nicht?
MAX.
Anatol sollte eigentlich auch ...
ILONA.
Was sollte Anatol –?
MAX
zu Anatol.
Du solltest eigentlich schon – –
ILONA.
Was sollte er?
MAX.
Du solltest schon in Toilette sein!
ILONA.
Ach, seien Sie doch nicht lächerlich, Max; wir bleiben heute zu Hause; wir rühren uns nicht fort ...
ANATOL.
Liebes Kind, das wird leider nicht möglich sein ...
ILONA.
Oh, das wird schon möglich sein.
ANATOL.
Ich bin eingeladen ...
ILONA
den Tee einschenkend.
Sage ab.
MAX.
Er kann nicht absagen.
ANATOL.
Ich bin zu einer Hochzeit geladen.
MAX
macht ihm ermunternde Zeichen.
ILONA.
Ach, das ist ganz gleichgültig.
ANATOL.
Das ist nicht ganz gleichgültig – denn ich bin sozusagen Kranzelherr.
ILONA.
Liebt dich deine Dame?
MAX.
Das ist doch eigentlich Nebensache.
ILONA.
Aber ich liebe ihn, und das ist die Hauptsache ... Reden Sie nicht immer drein!
ANATOL.
Kind ... ich muß fort.
[95]
MAX.
Ja, er muß fort – glauben Sie ihm – er muß fort.
ANATOL.
Auf ein paar Stunden mußt du mir Urlaub geben.
ILONA.
Jetzt setzt euch gefälligst ... Wie viel Stück Zucker, Max?
MAX.
Drei.
ILONA
zu Anatol.
Du ...?
ANATOL.
Es ist wirklich die höchste Zeit.
ILONA.
Wie viel Stück?
ANATOL.
Du weißt ja ... immer zwei Stück –
ILONA.
Obers, Rum?
ANATOL.
Rum – das weißt du ja auch!
ILONA.
Rum und zwei Stück Zucker, Zu Max. der hat Prinzipien!
MAX.
Ich muß gehen!
ANATOL
leise.
Du lassest mich allein?
ILONA.
Sie werden Ihren Tee austrinken, Max!
ANATOL.
Kind, ich muß mich jetzt umkleiden –!
ILONA.
Um Gottes willen – wann ist denn die unglückselige Hochzeit?
MAX.
In zwei Stunden.
ILONA.
Sie sind wohl auch geladen?
MAX.
Ja!
ILONA.
Auch Kranzelherr?
ANATOL.
Ja ... er auch.
ILONA.
Wer heiratet denn eigentlich?
ANATOL.
Du kennst ihn nicht.
ILONA.
Wie heißt er denn? Es wird doch kein Geheimnis sein.
ANATOL.
Es ist ein Geheimnis.
ILONA.
Wie?
ANATOL.
Die Trauung findet im Geheimen statt.
ILONA.
Mit Kranzelherren und Kranzeidamen? Das ist ja ein Unsinn!
MAX.
Nur die Eltern dürfen nichts wissen.
ILONA
ihren Tee schlürfend ruhig.
Kinder, ihr lügt mich an.
MAX.
Oh ich bitte.
ILONA.

Weiß Gott, wo ihr heute geladen seid! ... Aber daraus wird nichts – Sie können natürlich hingehen, wo Sie wollen, lieber Max – der da aber bleibt.

ANATOL.
Unmöglich, unmöglich. Ich kann bei der Hochzeit meines besten Freundes nicht fehlen.
ILONA
zu Max.
Soll ich ihm den Urlaub geben?
MAX.
Beste, beste Ilona – Sie müssen –
ILONA.
In welcher Kirche findet denn diese Trauung statt?
[96]
ANATOL
unruhig.
Warum fragst du?
ILONA.
Ich will mir die Geschichte wenigstens ansehen.
MAX.
Das geht aber nicht ...
ILONA.
Warum denn?
ANATOL.
Weil diese Trauung in einer ganz ... in einer ganz unterirdischen Kapelle stattfindet.
ILONA.
Es führt doch ein Weg hin?
ANATOL.
Nein ... das heißt – ein Weg führt natürlich hin.
ILONA.

Ich möchte deine Dame sehen, Anatol. Ich bin nämlich eifersüchtig auf diese Dame. – Man kennt Geschichten von Kranzelherrn, die ihre Damen nachher geheiratet haben. Und, verstehst du, Anatol – ich will nicht, daß du heiratest.

MAX.
Was würden Sie denn tun, ... wenn er heiratete?
ILONA
ganz ruhig.
Ich würde die Trauung stören.
ANATOL.
– So –?
MAX.
Und wie denn das?
ILONA.
Ich schwanke noch. Wahrscheinlich großer Skandal vor der Kirchentüre.
MAX.
Das ist trivial.
ILONA.
Oh, ich würde schon eine neue Nuance finden.
MAX.
Zum Beispiel?
ILONA.
Ich käme gleichfalls als Braut angefahren – mit einem Myrtenkranz – das wäre doch originell?
MAX.
Äußerst ... Steht auf. Ich muß jetzt gehen ... Adieu, Anatol!
ANATOL
steht auf, entschlossen.
Entschuldige, liebe Ilona; aber ich muß mich jetzt umkleiden – es ist die höchste Zeit.
FRANZ
tritt ein mit einem Bukett.
Die Blumen, gnädiger Herr.
ILONA.
Was für Blumen?
FRANZ
sieht Ilona mit einem erstaunten und etwas vertraulichen Gesicht an .
.. Die Blumen, gnädiger Herr.
ILONA.
Du hast noch immer den Franz! Franz ab. Du wolltest ihn doch hinauswerfen?
MAX.
Das ist manchmal so schwer.
ANATOL
hat das in Seidenpapier eingewickelte Bukett in der Hand.
ILONA.
Laß sehen, was du für Geschmack hast!
MAX.
Das Bukett für deine Dame?
ILONA
schlägt das Seidenpapier zurück.
Das ist ja ein Brautbukett!
ANATOL.

Mein Gott, jetzt hat man mir das unrichtige Bukett geschickt ... Franz, Franz! Rasch ab mit dem Bukett.

MAX.
Der arme Bräutigam wird seines erhalten.
ANATOL
wieder eintretend.
Er läuft schon, der Franz. –
[97]
MAX.
Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen – ich muß gehen.
ANATOL
ihn zur Tür begleitend.
Was soll ich tun?
MAX.
Gestehen.
ANATOL.
Unmöglich.
MAX.
Nun, jedenfalls komme ich wieder zurück, sobald ich kann –
ANATOL.
Bitte dich – ja!
MAX.
Und meine Farbe ...
ANATOL.
Blau oder rot – ich habe so eine Ahnung – – Leb' wohl –
MAX.
Adieu, Ilona! – – Leise. In einer Stunde bin ich wieder da!
ANATOL
ins Zimmer zurück.
ILONA
stürzt in seine Arme.
Endlich! Oh wie glücklich ich bin. –
ANATOL
mechanisch.
Mein Engel!
ILONA.
Wie kalt du bist.
ANATOL.
Ich sagte doch soeben: Mein Engel.
ILONA.
Aber mußt du denn wirklich fort zu dieser dummen Hochzeit?
ANATOL.
In allem Ernst, Schatz, ich muß.
ILONA.
Weißt du, ich kann dich ja in deinem Wagen bis zur Wohnung deiner Dame begleiten ...
ANATOL.
Aber was fällt dir ein. Wir wollen uns heute abend treffen; du mußt doch heute ins Theater.
ILONA.
Ich sage ab.
ANATOL.

Nein, nein, ich werde dich abholen. – Jetzt muß ich den Frack anziehen Sieht auf die Uhr. Wie die Zeit vergeht. Franz, Franz!

ILONA.
Was willst du denn?
ANATOL
zu dem eintretenden Franz.
Haben Sie in meinem Zimmer alles vorbereitet?
FRANZ.
Der gnädige Herr meinen den Frack, die weiße Krawatte –
ANATOL.
Nun ja –
FRANZ.
Ich werde sofort – – Ins Schlafzimmer.
ANATOL
geht hin und her.
Du – Ilona – also heute abend – nach dem Theater – nicht –?
ILONA.
Ich möchte so gerne heute mit dir zusammen bleiben.
ANATOL.
Sei doch nicht kindisch – ich habe doch auch – Verpflichtungen, du siehst es ja ein!
ILONA.
Ich liebe dich, weiter sehe ich nichts ein.
ANATOL.
Das ist aber durchaus notwendig.
FRANZ
aus dem Schlafzimmer kommend.
Es ist alles vorbereitet, gnädiger Herr. Ab.
[98]
ANATOL.

Gut. Geht im Schlafzimmer, spricht hinter der Türe weiter, während Ilona auf der Szene bleibt. Ich meine, es ist durchaus notwendig, daß du das einsiehst.

ILONA.
Du kleidest dich also wirklich um?
ANATOL.
Ich kann doch nicht so zur Hochzeit gehen. –
ILONA.
Warum gehst du nur?
ANATOL.
Fängst du schon wieder an? Ich muß.
ILONA.
Also heute abend.
ANATOL.
Ja. Ich werde dich an der Bühnentüre erwarten.
ILONA.
Verspäte dich nur nicht!
ANATOL.
Nein – warum sollte ich mich denn verspäten?
ILONA.
Oh erinnere dich nur; einmal wartete ich eine ganze Stunde nach dem Theater.
ANATOL.
So? Ich erinnere mich nicht. Pause.
ILONA
geht im Zimmer umher, schaut die Decke, die Wände an.
Du, Anatol, du hast ja da ein neues Bild.
ANATOL.
Ja, gefällt es dir?
ILONA.
Ich verstehe ja nichts von Bildern.
ANATOL.
Es ist ein sehr schönes Bild.
ILONA.
Hast du das mitgebracht?
ANATOL.
Wieso? Woher?
ILONA.
Nun, von deiner Reise.
ANATOL.
Ja, richtig, von meiner Reise. Nein, übrigens, es ist ein Geschenk. Pause.
ILONA.
Du, Anatol.
ANATOL
nervös.
Was denn?
ILONA.
Wo warst du eigentlich?
ANATOL.
Ich habe dir's schon gesagt.
ILONA.
Nein, kein Wort.
ANATOL.
Gestern abend habe ich dir's gesagt.
ILONA.
So hab ich es wieder vergessen!
ANATOL.
In der Nähe von Böhmen war ich.
ILONA.
Was hast du denn in Böhmen zu tun gehabt?
ANATOL.
Ich war nicht in Böhmen, nur in der Nähe –
ILONA.
Ach so, du warst wohl zur Jagd geladen.
ANATOL.
Ja, Hasen habe ich geschossen.
ILONA.
Sechs Wochen lang?
ANATOL.
Ja, ununterbrochen.
ILONA.
Warum hast du mir nicht Adieu gesagt?
ANATOL.
Ich wollte dich nicht betrüben.
ILONA.
Du, Anatol, du wolltest mich sitzen lassen.
[99]
ANATOL.
Lächerlich.
ILONA.
Nun; einmal hast du es ja schon versucht.
ANATOL.
Versucht – ja; aber es ist mir nicht gelungen.
ILONA.
Wie? Was sagst du?
ANATOL.
Nun ja; ich wollte mich von dir losreißen; du weißt es doch.
ILONA.
Was für ein Unsinn; du kannst dich ja gar nicht von mir losreißen!
ANATOL.
Ha ha!
ILONA.
Was sagst du?
ANATOL.
Ha ha, habe ich gesagt.
ILONA.
Lache nur nicht, mein Schatz; du bist mir auch damals wieder zurückgekehrt.
ANATOL.
Nun ja – damals!
ILONA.
Und diesmal auch – – du liebst mich eben.
ANATOL.
Leider.
ILONA.
Wie –?
ANATOL
schreiend.
Leider!
ILONA.

Du, du bist sehr kouragiert, wenn du in einem anderen Zimmer bist. Ins Gesicht sagst du mir das nicht.

ANATOL
öffnet die Tür, steckt den Kopf heraus.
Leider.
ILONA
zur Tür hin.
Was heißt das, Anatol?
ANATOL
wieder hinter der Türe.
Das heißt, daß das doch nicht ewig so weiter gehen kann!
ILONA.
Wie?
ANATOL.
Es kann nicht so weiter gehen, sage ich; es kann nicht ewig währen.
ILONA.
Jetzt lache ich: Ha ha.
ANATOL.
Wie?
ILONA
reißt die Tür auf.
Ha ha!
ANATOL.
Zumachen! Die Türe wieder geschlossen.
ILONA.
Nein, mein Schatz, du liebst mich und kannst mich nicht verlassen.
ANATOL.
Glaubst du?
ILONA.
Ich weiß es.
ANATOL.
Du weißt es?
ILONA.
Ich fühle es.
ANATOL.
Du meinst also, daß ich in alle Ewigkeit dir zu Füßen liegen werde.
ILONA.
Du wirst nicht heiraten – das weiß ich.
ANATOL.

Du bist wohl toll, mein Kind. Ich liebe dich – das ist ja [100] recht schön – aber für die Ewigkeit sind wir nicht verbunden.

ILONA.
Glaubst du, ich gebe dich überhaupt her?
ANATOL.
Du wirst es doch einmal tun müssen.
ILONA.
Müssen? Wann denn?
ANATOL.
Wenn ich heirate.
ILONA
an die Tür trommelnd.
Und wann wird denn das sein, mein Schatz?
ANATOL
höhnisch.
Oh bald, mein Schatz!
ILONA
erregter.
Wann denn?
ANATOL.
Höre auf zu trommeln. In einem Jahre bin ich längst verheiratet.
ILONA.
Du Narr!
ANATOL.
Ich könnte übrigens auch in zwei Monaten heiraten.
ILONA.
Es wartet wohl schon eine!
ANATOL.
Ja – jetzt – in diesem Augenblicke wartet eine.
ILONA.
Also in zwei Monaten?
ANATOL.
Mir scheint, du zweifelst ...
ILONA
lacht.
ANATOL.
Lache nicht – ich heirate in acht Tagen!
ILONA
lacht noch heller auf.
ANATOL.
Lache nicht, Ilona!
ILONA
sinkt lachend auf den Divan.
ANATOL
bei der Tür, im Frack heraustretend.
Lache nicht!
ILONA
lachend.
Wann heiratest du?
ANATOL.
Heute.
ILONA
ihn ansehend.
Wann –?
ANATOL.
Heute, mein Schatz.
ILONA
steht auf.
Anatol, hör' auf zu spaßen!
ANATOL.
Es ist Ernst, mein Kind, ich heirate heute.
ILONA.
Du bist verrückt, nicht?
ANATOL.
Franz!
FRANZ
kommt.
Gnädiger Herr –?
ANATOL.
Mein Bukett! Franz ab.
ILONA
steht drohend vor Anatol.
Anatol ...!
FRANZ
bringt das Bukett.
ILONA
sich umwendend, stürzt mit einem Schrei auf das Bukett zu, Anatol nimmt es Franz rasch aus der Hand; Franz geht, lächelnd, langsam ab.
ILONA.
Ah!! – Also wirklich.
ANATOL.
Wie du siehst.
ILONA
will ihm das Bukett aus der Hand reißen.
[101]
ANATOL.
Was treibst du denn? Er muß sich vor ihr flüchten; sie läuft ihm rings durch das Zimmer nach.
ILONA.
Elender, Elender!
MAX
tritt ein, mit einem Rosen-Bukett in der Hand, bleibt betroffen bei der Tür stehen.
ANATOL
hat sich auf einen Sessel geflüchtet, hält sein Bukett hoch in die Luft.
Hilf mir, Max!
MAX
eilt auf Ilona zu, sie zurückhaltend, sie wendet sich zu ihm, windet ihm das Bukett aus der Hand, wirft es zu Boden, zertritt es.
MAX.
Ilona, Sie sind ja toll. Mein Bukett! Was soll ich denn tun!
ILONA
in heftiges Weinen ausbrechend, sinkt auf einen Stuhl.
ANATOL
verlegen, suchend, auf dem Sessel.

Sie hat mich gereizt ... Ja, Ilona, jetzt weinst du ... – natürlich ... Warum hast du mich ausgelacht ... Sie höhnte mich – – verstehst du, Max ... Sie sagte, ... ich getraue mich nicht zu heiraten ... nun ... heirate ich begreiflicherweise – aus Opposition. Will vom Sessel heruntersteigen.

ILONA.
Du Heuchler, du Betrüger.
ANATOL
steht wieder auf dem Sessel.
MAX
hat sein Bukett aufgehoben.
Mein Bukett!
ILONA.
Ich habe das seine gemeint. Sie verdienen es aber auch nicht besser. – Sie sind mitschuldig.
ANATOL
immer auf dem Sessel.
Jetzt sei vernünftig.
ILONA.

Ja – das sagt ihr immer, wenn ihr eine toll gemacht habt! Aber nun werdet ihr was sehen! Das wird eine nette Hochzeit werden! Wartet nur ...Steht auf. Adieu unterdessen!

ANATOL
vom Sessel heruntergesprungen.
Wohin –?
ILONA.
Wirst es schon sehen.
ANATOL.
Wohin?
MAX.
Wohin?
ILONA.
Laßt mich nur!
ANATOL UND MAX
ihr den Ausgang verstellend.
Ilona – was wollen Sie – Ilona – was willst du –?
ILONA.
Laßt mich! ... Laßt mich gehen.
ANATOL.
Sei gescheit – beruhige dich –!
ILONA.

Ihr laßt mich nicht hinaus. – Wie ... Rennt im Zimmer herum, wirft das Teegeschirr in Wut vom Tisch herunter.

ANATOL UND MAX
ratlos.
ANATOL.
Nun frage ich dich – hat man es notwendig, zu heiraten, wenn man so sehr geliebt wird!
ILONA
sinkt gebrochen auf den Divan; sie weint.
Pause.
[102]
ANATOL.
Nun beruhigt sie sich.
MAX.
Wir müssen gehen ... und ich ohne – Bukett. –
FRANZ
kommt.
Der Wagen, gnädiger Herr. Ab.
ANATOL.

Der Wagen ... Der Wagen – was mach' ich nur. Zu Ilona, hinter sie tretend, sie auf das Haar küssend. Ilona! –

MAX
von der anderen Seite.

Ilona – Sie weint still, mit dem Schnupftuche vor dem Gesicht, weiter. Geh du jetzt nur und verlasse dich auf mich. –

ANATOL.
Ich muß wirklich gehen – aber wie kann ich ...
MAX.
Geh ...
ANATOL.
Wirst du sie entfernen können?
MAX.
Ich werde dir während der Trauung zuraunen ... »Alles in Ordnung«.
ANATOL.
Ich habe eine Angst –!
MAX.
Geh jetzt nur.
ANATOL.

Ach ... Er wendet sich zum Gehen, auf den Zehenspitzen wieder zurück, drückt einen leisen Kuß auf das Haar Ilonas, geht rasch.

MAX
setzt sich gegenüber von Ilona, die noch immer, das Taschentuch vor dem Gesicht haltend, weint.
Sieht auf die Uhr. Hm, Hm.
ILONA
um sich schauend, wie aus einem Traum erwachend.
Wo ist er ...
MAX
nimmt sie bei den Händen.
Ilona ...
ILONA
aufstehend.
Wo ist er ...
MAX
ihre Hände nicht loslassend.
Sie würden ihn nicht finden.
ILONA.
Ich will aber.
MAX.
Sie sind doch vernünftig, Ilona, Sie wollen ja keinen Skandal ...
ILONA.
Lassen Sie mich –
MAX.
Ilona!
ILONA.
Wo findet die Trauung statt?
MAX.
Das ist nebensächlich.
ILONA.
Ich will hin; ich muß hin!
MAX.
Sie werden es nicht tun ... Was fällt Ihnen denn ein!
ILONA.
Oh dieser Hohn! ... Dieser Betrug!
MAX.
Es ist nicht das eine, nicht das andere – es ist eben das Leben!
ILONA.
Schweigen Sie – Sie – mit Ihren Phrasen.
MAX.
Sie sind kindisch, Ilona, sonst würden Sie einsehen, daß alles vergeblich ist.
ILONA.
Vergeblich –?!
MAX.
Es ist ein Unsinn ...!
ILONA.
Unsinn! –?
MAX.
Sie würden sich lächerlich machen, das ist alles.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schnitzler, Arthur. Dramen. Anatol. Anatol. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D9C2-8