Gedächtnißfeier

Prologe für die Stuttgarter Bühne.

1. Zu Goethe's Tasso

1832.


Du schufest uns in Worten eine Welt,
Wer preist mit Worten würdig dich, o Held?
Was wir durch dich empfunden und geschaut,
Macht sich in eitler Schilderung nicht laut.
Drum kurze Rede ziemt an diesem Ort,
Denn ihn verklären soll dein eigen Wort.
[120]
Du ließest hier des Lebens tiefste Spur,
Verkündiger der Kunst und der Natur.
Hier, auf den Brettern, wo in Spiel und Schein
Die Täuschung ew'ge Wahrheit gräbt hinein,
Hier lebt unsterblich-frisch dein Dichtergeist,
Und zeigt, was Schöpferkraft auf Erden heißt.
Die Bühne, deren Huld'gung du empfängst,
Auch sie ward deiner Musen Stätte längst:
Mit Scheu und bangem Fleiß versuchten wir
Uns schon an deiner höchsten Werke Zier,
Selbst jenes Riesenbild der innern Welt
Wir haben's zagend – dennoch dargestellt.
Und heute, wo des Dichters Schmerzenskrampf,
Der Streit mit seinem weichen Selbst, der Kampf
Mit jenem Weltgeist, musenlos und kalt,
In uns auf's neu' gewinnen soll Gestalt:
O möchte heut in Rede, Haltung, Blick
Rein spiegeln sich das tragische Geschick,
Daß du, der es geschöpft aus tiefer Brust,
Es schau'n und hören könntest recht mit Lust!
Es war nicht dein Geschickt; dir mischt' ein Gott
In deinen Becher nicht der Erde Spott.
Ein Dichterleben, das von Wonne trof,
Du schlürftest es an eines Freundes Hof,
Und was du sangst, beglänzte nah und fern
Aus tausend Augen heller Liebe Stern.
Ein Baum, erwachsen in der Jahre Ruh',
In langem Friedenstraume grüntest du;
Dein moos'ger Stamm, von Blüten überdeckt,
Liegt, erst aus morscher Wurzel hingestreckt.
Jetzt aber rollt der Donner über'm Hain,
Es pfeift der Nord, es zuckt der Blitze Schein,
Dein Bild umhüllt nicht bloß des Weihrauchs Dampf,
Auch wolk'ger Staub vom schwülen Erdenkampf.
Doch Wetter ziehn vorüber, und ihr Staub
Verweht, und Kunst wird keiner Zeiten Raub.
[121]
Wenn deines Freunds Gesang, den unser Land
In deinen Arm und in die Welt gesandt,
Mit heil'gen Lauten schmetternd in den Krieg
Der Meinung donnert, zu des Guten Sieg:
Singt deine Friedensmuse Leid und Lust,
Was dauernd keimt in jeder Menschenbrust.
Auch Hellas' größte Dichter sangen so
Und galten, wo man traurig war und froh;
Das Lied Homers klang selbst im Bürgerzwist
Aus beiden Lagern und zu jeder Frist.
Noch bleibt uns in des Lebens Drang und Ruf
Raum für das Schöne, das ein Seher schuf.
Sei heilig uns dein Lorbeer, den schon lang
Der Väter Zeit um's braune Haar dir schlang,
Und welchen Enkel noch in grünem Saft
Geschaut auf reicher Silberlocken Kraft.
Doch Enkelsenkel werden wieder braun
Dein Lockenhaupt in voller Jugend schau'n;
Denn ihnen formen deine Züge sich
Aus ewig frischen Werken jugendlich;
Dein Sängergeist lebt, in Verbrüderung
Mit seinem Volke, das nicht altert, jung.

2. Zu Schiffers Braut von Messina

1833.


Geduldet wird der Sänger müßig Volk noch stets,
Und noch nicht ganz in dieser sorgenvollen Welt
Verpönt und ausgestoßen ist Sorglosigkeit.
Wer schwer am Reisebündel durch den grünen Wald
Im Schweiße trägt, wer seiner Güter volle Fracht
Zwölfspännig in der Bäume Schatten fortbewegt,
Wer mit dem Wagen fliegend kaum die Zweige streift,
Der Städte Strudel seine Sinne zugekehrt: –
Sie alle lauschen, wenn aus luft'gem Blätterdach
Die Amsel schlägt, wenn schmetternd sich die Lerche hebt.
So wird der Dichter buntes Lied wohl auch behorcht,
Und was man selbst sich nicht mehr Zeit zu fühlen nimmt,
Die erdvergeßne Stimme der Gemütlichkeit,
[122]
Man hört sie jezuweilen gern aus Andrer Mund.
Begnüge nur der Sänger, wie der Vogel, sich
Mit diesem flücht'gen Beifall für sein flüchtig Lied,
Verlange nicht, daß über seinem Sang und Klang
Ihr Tagewerk vergesse die geschäft'ge Zeit,
Und schelte nicht den kurzen Dank Undankbarkeit.
Undankbar ist die Welt nicht, wenn es Großes gilt;
Zwar kommt der Dank für Herrliches wohl spät genug
Und über'm Grabe blühet er den Besten oft.
Nur große Dichter leiden kein so bittres Loos,
Ihr mächtig Wort durchschüttert schnell die Gegenwart
Und tönt in alle Zukunft unverhallt hinaus.
Wie bald war in dem Hohen, dessen Wiege stolz
Das Vaterland dem Fremden zeigt, die Wunderkraft
Erkannt, wie bald vernommen sein gewaltig Lied,
Wie bald verklungen jedes schwäch're neben ihm!
Nicht nur dem Sänger lauschte willig jedes Ohr,
Nein, vor dem Seher beugte tief sich jedes Haupt,
Und an dem Götterboten sah man scheu empor,
Der Niegeahntes, Unenthülltes kündete.
Er kam emporgestiegen aus dem dunkeln Schacht
Des stillen Abgrunds, welcher Menschenseele heißt,
Durchwandert hatt' er die verborgnen Tiefen all,
Der Leidenschaften unbekannte Mütter dort,
Die Urgefühle, durchgeforscht, die schlummernden;
Und was vertragen hätte kein gemeiner Blick,
Ward ihm in seiner Dichterfackel Schein verklärt,
Und das Verklärte führt' er in den Tempel ein,
In dem die Musen solchen Priesters harreten.
Da rang des Erdenlebens innerster Gehalt
Empor in mächtig kämpfender Gestaltung sich;
Der Schönheit und der Wahrheit Opfer flammte hoch
Gen Himmel auf, zur Wonne der Unsterblichen.
Und auch der Menschen Auge that sich staunend auf,
Begreifen lehrte seine Kunst das Wesen sie.
Ein solch Geheimniß, das er aufgeschlossen hat,
Soll heute, wo beseelend seine Dichtermacht
In Leben wandeln seines Tods Gedächtnis wird,
[123]
Entfalten unser Streben, stark durch seinen Geist.
In jener Dichtung riesenmäßig dehnendem
Hohlspiegel sammelt wachsend Haß und Liebe sich;
Und wirft verstärkt ein übermenschlich Bild heraus.
Doch mangelt reines Ebenmaaß der Größe nie,
Nicht schweift die Gier in wilde Mißbewegung aus,
Nicht mit verzerrter Miene Grinsen spricht der Zorn,
Schön bleibt ein weinend, ein verzweifelnd Angesicht.
Und so entläßt euch selber das Entsetzliche,
Das euch, gemeinverwirklicht, als Gorgonenhaupt
Entgegen starren würde, durch des Dichters Kunst
Befriedet, mit dem Jammerschicksal selbst versöhnt.
Dann, wenn euch seiner Chöre welt-erklärend Wort
Nach Haus entläßt mit langem Seelenwiederhall,
Nicht götterlos in's Leben tretet ihr hinaus,
Ihr glaubet wieder an der Dichtung Wesenheit,
Und ernster geht ihr weltlichem Berufe nach,
Denn euch im Geiste keimet Ueberweltliches.

3. Zu Lessings Nathan

1833.


Wo ist die Werkstatt, drin die sichre Waffe,
Das Wort, zum Pfeil, zum Schwert, zum Helm und Schild
Geschaffen wird? Nicht wenig liegt daran,
Zu Schutz und Trutz es tüchtig zu besitzen,
Zum Angriff scharf, doch ehrlich, giftig nicht,
Zum Schirme fest und sicher, doch nicht plump.
Es recht zu schmieden, ist die große Kunst,
Ist unsrer Zeit fast einziges Bestreben,
Denn nicht mehr auf des Degens Spitze nur,
Auch auf der Lippen Schneide ruht die Welt.
Der Heros, der in kühnem Redestreit
Mit neu erfundnen Künsten angeführt
Das kämpfende Jahrhundert, dem das unsre,
Ein unruhvolles Kind, entsprossen ist,
Der große Lessing, an dem Ambos stand
Des Wortes er, ein deutscher Waffenschmied.
[124]
Manch blankes Wurfgeschoß fliegt glänzend jetzt
Herüber und hinüber durch die Luft,
Das Er geschmiedet, das vom alten Rost
Er einst gesäubert, Niemand weiß es mehr.
Doch wie Apoll, der Fernhintreffende,
Nicht stets den Bogen spannt und manchesmal
Der Muse Schlummer mit den Saiten weckt:
So hat auch Er das Wort zum Waffendienst
Nicht stets gebraucht, es ward auch ihm zum Liede,
Es ward zum weltgestaltenden Gedicht.
Zwar hielt er selbst sich, der Bescheidene,
Für keinen Schöpfer, keine Dichterkraft:
»Nicht fühl' ich in mir die lebend'ge Quelle,«
Sprach er, »die aufwärts dringt mit eignem Trieb,
Und in so reichen, frischen, reinen Stralen
Aufschießt an's Licht; durch Druckwerk nur und Rohr
Preßt sich's bei mir herauf.« So sprach der Mann,
Und sandt' aus seinem Geist der Dichtung Quell,
Der sprudelnd heut, nach sechzig Jahren, quillt.
Wir fragen nicht: Ist es ein Wasserfall,
Der in die tiefe Heimat niedereilt,
Ist es ein Springquell, den die Absicht schuf?
Uns ist's Natur. Und wär es Gartenkunst:
Zur schönen Wildniß ward für uns die Kunst;
Ein heil'ger Hain ist seine Poesie,
Aus dem des deutschen Geistes Welle rauscht.
Auch dieser Nathan ist noch immer frisch,
Ist Leben, wie's die rechte Dichtung ist.
Sein Gleichniß von den Ringen funkelt noch
Rubinenhell, erfreut, erbittert noch,
Zum Sinnen und zum Zweifel weckt es noch.
Doch warum davon sprechen, wenn sein Wort,
Sein eigenes, nur harrt, von unsern Lippen,
Ein theueres Vermächtniß, auszugehn?
Gewährt ihm Stille, diesem ernsten Wort;
Bewegt's in eurem Geist, und ängstet's euch,
So ruft empor, was ihr in eigner Brust
Von Ueberzeugung und von Glauben hegt.
[125]
Kein Wort ist furchtbar, wenn den Hörer es
Mit innrem Gegenwort gerüstet findet.
Drum, Freund und Widersacher, horchet auf!
Nur Segen bringen kann ein Dichterwort!

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedächtnißfeier. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-08BD-9