Karoline Stahl
Fabeln, Mährchen
und Erzählungen für Kinder
Mit Kupfern

[1] Der erste April.

»Heut' ist der erste April; heut' führ' ich an, wen ich will.« So sang Ernst, und hurtig rief er den jüngern Bruder, Ludwig. O höre, sprach er, thu' mir doch den Gefallen und hole mir aus der Apotheke um einen Groschen Krebsblut. – Ludwig nahm sich nicht die Mühe über den Auftrag nachzusinnen, er eilte fort, blieb lange weg, und kehrte endlich weinend nach Hause. Ernst lachte ihn aus, aber er erwiederte, das verbitte er sich. Zuerst hatten ihm die jungen Leute in der Apotheke ins Gesicht gelacht, dann hatte ihn ein bejahrter Mann, der zugegen war, gefragt, ob er nicht wisse, daß die Krebse, statt des Blutes, eine weisse, kalte Feuchtigkeit hätten. Beschämt schlich Ludwig fort, und die Mutter gab ihm die Lehre, mehr nachzudenken, und nicht alles, was man ihm sagte, leichtsinnig nachzusprechen. Ernst lachte noch, als einer seiner Schulkammeraden eilig ins Zimmer trat, und ihm zurief: er [1] solle gleich mitgehen, der türkische Kaiser wäre mit einem großen Gefolge angekommen, und auf dem Markte zu sehen. Ernst stürzte fort, kam aber nach einer Weile ganz kleinlaut zurück. Aha! rief Ludwig, lachend, bist du auch angeführt? – Es geschieht dir schon recht. O, einmal nur, versicherte Ernst: heute macht mir Niemand mehr etwas weiß. Und mir eben so wenig, sprach Ludwig. Hört Kinder, rief Marie, die ältere Schwester, schnell hereintretend, ich gebe einen jeden von euch ein großes Stück Kuchen, wenn ihr mir, so bald als möglich, dort von dem Krämer um zehn Groschen Mückenhaare holt. Vergessen war jeder Vorsatz nachzudenken bei den Knaben, und sie sprangen fort. Du hast uns schön angeführt, klagten sie zurückkommend; wir sind recht ausgelacht worden, und die Leute meinten noch, es sei Schande für so große Knaben, wie wir, solche dumme Sachen zu glauben. – Es war nur ein Spaß, entschuldigte sich Marie, aber wenn ihr mir etwas holt, das ich wirklich gerne hätte, so soll euch der Kuchen nicht entgehen. Ich wünschte ein Pfund Schwalbenhaare zu haben, könnt ihr mir das nicht von dem Mann, von dem die Mutter Roßhaare kaufte, verschaffen? Der kleine fünfjährige Theodor war zugegen, und als Ernst und Ludwig die Mützen ergriffen, fortzulaufen,[2] fragte er zweifelnd: Ja, aber die Schwalben haben ja Federn und nicht Haare auf dem Kopfe, wo soll man denn die Schwalbenhaare herbekommen? – Erröthend schwiegen die Brüder, und legten die Mützen hin. – Aber jetzt, sprach Marie, holt mir im Ernst Dachtraufenöhl. Du Theodor, kannst danach gegenüber im Laden geh'n. Theodor lief bis an die Hausthiere, dann kehrte er um. Ja aber, aus der Dachrinne träufelt nur Wasser und nicht Oehl? – Du willst mich nur anführen. Die ältern Brüder merkten sich das, und dachten mehr über alles nach. So war ihnen der erste April ein nützlicher Tag.

Peter, oder die belohnte Ehrlichkeit.

Peter, oder die belohnte Ehrlichkeit. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Peter war der ärmste Knabe,

Den es nur im Dorfe gab,

Seine ganze kleine Habe,

War nur, ach! ein Hirtenstab.

[3] Aber treu und sorgsam hütet,

Er, der Schäfchen kleine Zahl.

Führt sie, wie sein Herr gebietet,

Täglich über Berg und Thal.

Dennoch immer unzufrieden,

Murrt der Herr fast Tag und Nacht,

Und verbittert Peters Frieden

Oft durch mancherlei Verdacht.

Traurig sitzt er einst und sinnet,

Wie in Noth und Mißgeschick

Seine Jugendzeit verrinnet,

Und es nässet sich sein Blick.

Plötzlich sprengen, in der Ferne,

Reuter aus dem Busch hervor,

Und ein Herr mit goldnem Sterne

Strahlet über sie empor.

Sieh! was blitzt dort, wo sie ritten,

Hell im lichten Sonnenschein?

Er erreichts mit wenig Schritten.

Ey! was wird es dann wohl seyn?

[4] Eine Börse, voll Dukaten,

Wieget Peter in der Hand,

Die er, reich nun wie Magnaten,

Hier so unerwartet fand.

Aber Peter, ohne Säumen

Treibet seiner Schäfchen Schaar

Zu des Hauses sichern Räumen,

Läuft dann fort, so wie er war.

Alle Leute muß er fragen:

Ob den Herrn sie nicht gesehn?

Muß, ihm rastlos nachzujagen,

Wund sich seine Füße gehn.

Endlich hat er ihn gefunden,

Mühsam hat er ihn erreicht;

Was er auf dem Weg gefunden,

Gern und freudig ihm gezeigt.

Und mit tief gerührten Blicken,

Nimmt der Prinz aus Peters Hand,

Was den Armen zu beglücken,

Sich auf seinem Wege fand.

[5] Und er spricht mit edler Güte:

»Knabe! wie bin ich dir hold!

Ja! dein redliches Gemüthe,

Das bewährte dieses Gold.

Bleibe bei mir. Vatertreue

Schenke nun fortan ich dir,

Bleibe wie du bist, und weihe

Deine Dienste ferner mir.«

Peter horchet ihm mit Freuden,

Und begreifet kaum sein Glück.

Und verschwunden ist sein Leiden,

Seiner Kindheit Mißgeschick.

Aus dem armen Hirtenjungen,

War ein hochgeehrter Mann,

Der schon früh ein Glück errungen,

Wie nur Redlichkeit es kann.

Allen, die wie Peter denken,

Lohnet reich Zufriedenheit;

Denn nur edle Thaten schenken

Des Bewußtseyns Seligkeit.

[6] Karls Weihnachtsgeschenk.

Karl war immer ungehorsam und unfolgsam, und kränkte seine Eltern dadurch unaufhörlich. Dabei war er grob und auffahrend und hatte immer Streit und Verdruß. Alle Warnungen der Eltern, waren in den Wind geredet, und sie mußten nun ernstliche und strenge Strafen anwenden, um ihn zu bessern. Er quälte alle Thiere, und schon als ein kleiner Bube, spießte er die Frösche und schleuderte sie umher in die Luft, riß den Maikäfern die Flügel und Füsse aus, und trieb so viele böse Streiche, die kein gutes Herz verriethen. Als er älter ward, machte er sich an größere Thiere, und einst an einen Hund, den er mit Steinen warf. Dieser nahm es aber nicht gut auf, und biß Karln so nachdrücklich in den Arm, daß er lange Zeit ihn nicht gebrauchen konnte, und viele Schmerzen leiden mußte. Ein anderes Mal jagte er die Schweine des Nachbars umher und schlug sie. Eins derselben fiel ihn an, und haute ihn, mit seinen großen Fangzähnen, ein tiefes Loch ins Bein, und wären nicht noch zum Glück Leute dazu gekommen, die das gereizte Thier verjagt hätten, so würde es ihm noch übler gegangen seyn. Einem [7] Knaben schlug er einst, mit einem Stücke Holz, ein so großes Loch in den Kopf, daß man alle Mühe anwenden mußte, das hervordringende Blut zu stillen, und die Heilung der Wunde mußte Karls Vater bezahlen. Das Weihnachtsfest nahete bald nach diesem letzten Vorfalle und die Eltern beschloßen, ihn die Folgen aller seiner bösen Unternehmungen recht fühlen zu lassen, um ihn zum Nachdenken und zur Besserung zu führen, denn gute Eltern strafen, obwohl ungern, doch immer mit Ernst und Nachdruck das Vergehen der Kinder, um sie zu bessern. Am Weihnachtsabend versammelten sich die Geschwister Karls mit ihm, und harrten voll Freude ihrer Geschenke. Endlich gieng die Thüre auf und die Mutter rief sie herein. O, welche Freude! wie glänzten, von vielen Wachslichtern erhellt, die Spielsachen. Da gab es Kutschen und Pferde, ganze Regimenter von bleiernen Soldaten, Heerden von Schaafen und Kühen, dabei der wachsame Hund und der Schäfer, Puppen mit schönen Kleidern, und dergleichen Dinge für die Kleinern, und für die Größern Halstücher, Halsbinden, fertige Kleidungsstücke, Uhren, Brieftaschen, Geld und eine Menge Zuckerwerk. Voll Freude empfingen die Kinder ihre Gaben, aber als die Reihe an Karl kam, was erhielt er? – Ein Papier mit der Berechnung, [8] wie viel die Kur der Wunde, die er dem benachbarten Knaben beibrachte, seinem Vater kostete, und noch, was ein kleines Geschenk für eben diesen Knaben, als ein Ersatz für die ausgestandenen Schmerzen, betrug. Das gab denn eine Summe die nicht unbedeutend war, und für welche Karl ein schönes Weihnachtsgeschenk hätte erhalten können.

Der Fuchs und seine Brüder.

Einst schlich im Mondschein Meister Fuchs
Sich hin zum Hühnerhause,
Und lauschte, schärfer als ein Luchs,
Nach einem leckern Schmause,
Kühn dringt er durch die schlechte Thür',
Daß sie ihn zu den Hühnern führ'.
Und es gelingt ihm auch sogleich,
Ein Hühnchen zu erhaschen.
So zart, so jung und weis und weich.
Er eilt davon zu naschen,
[9]
Und speißt mit solchem Appetit,
Daß er nichts weiter hört noch sieht.
Der Bauer merkt den fremden Gast
In seinem Hühnerhause,
Und ruft die Hunde, die ihn fast
Zerrissen, bei dem Schmause.
Mit großer Noth er noch entwich,
Doch ließ er seinen Schwanz im Stich.
Wie nekten seine Brüder ihn,
Daß seine Zier verschwunden,
Und daß er sie, nur zu entfliehn,
Feig' überließ den Hunden;
Bis endlich es den Fuchs verdroß,
Daß sich so reich ihr Spott ergoß.
»Laßts gut seyn. – Nur das ärgert mich,
Daß ich mit meinem Schwanze,
Als ich mit großer Noth entwich,
Gequetscht, wie eine Wanze,
Zugleich mein Fischernetz verlor.
Ein Unglück bringt noch eins hervor.«
[10]
Die Füchse horchen hocherfreut:
»Was sprichst du da von Fischen?
Und von dem Netze, das dich reut,
Daß dir sie kann erwischen?
Erkläre deutlicher, dich Freund,
Was hast du eigentlich gemeint?«
Und Meister Fuchs, mit trüben Blick,
Läßt erst sich lange bitten;
Spricht viel von seinem Mißgeschick,
Und dem was er gelitten.
Fängt seine Rede an vom Ey,
Und spät erst kömmt das Ziel herbei.
»Die Probe machen wir sogleich,
Kommt, ohne Zeitverlieren,
Eh noch gefroren dort der Teich;
Ihr könnt es ja probieren.
Setzt euch ans Ufer reihenweis,
Ich ordne alles schon mit Fleiß.
Nun, so ists recht. – Die Schwänze laßt
Hinab ins Wasser fallen:
Die Fische kommen dann in Hast
[11]
Geschwommen zu euch Allen,
Und hängen sich am Schwanze an,
Daß man ihn nicht mehr regen kann.
Doch ist es nicht so bald geschehn;
Ihr dürfet nur nicht murren,
Wenn ein paar Stunden noch vergehn!
Erzählt indeß euch Schnurren
Von manchem schlauen Schelmenstreich
Und auch von manchem andern Zeug!«
Die Brüder, voller Lüsternheit,
Viel Fische zu erbeuten,
Thun gern, was Meister Fuchs gebeut,
Sein Wort nicht zu bestreiten.
Sie sitzen alle reihenweis,
Bis sich der Teich bedeckt mit Eis.
Doch Brüderchen, voll Schelmerei,
Schleicht sachte sich von ihnen,
Und ruft die Hunde straks herbei,
Mit schadenfrohen Mienen.
Die stürzen Schaarenweis, im Nu,
Lautbellend auf die Fischer zu.
[12]
Erschrocken wollten diese gleich
Aufspringen, und entfliehen;
Doch aus dem zugefrornen Teich
Kann keins den Schwanz mehr ziehen.
Und Mancher, der mit Noth entwich,
Ließ ihn in seiner Angst im Stich.
Trau nicht dem Schelme, wenn er auch
Zum Spotte selbst geworden.
Er hat es immer im Gebrauch,
Auch andrer Glück zu morden.
Laß nicht dem Spottgeist freien Lauf
Sonst reiz't du seine Bosheit auf.

Däumling.

Ein Mährchen.


Däumling war im achtzehnten Lebensjahre, ein fingerlanges Männchen, wohlgebildet und niedlich, aber winzig klein. Seine Geschwister zankten mit ihm, daß er nichts arbeiten und nichts verdienen könne, und das [13] nahm der arme Schelm sich sehr zu Herzen. Oft gaben sie ihm das Wenige nicht, das er brauchte, um sich zu sättigen, und als er einst um ein neues Kleidchen bat, schlugen sie ihn und jagten ihn fort. Die Eltern waren schon lange todt, wo sollte nun Däumling hin? Weinend lief er auf der Strasse umher, da kam ein schöner Wagen und darin saß der König und die Königin. Der kleine Fußgänger hätte gerne einen Platz im Wagen gehabt, aber er konnte nicht hinauf. Zufällig zerbrach gerade etwas an einem Rade, und während der Schade verbessert wurde, klätterte Däumling hinauf und verbarg sich, zitternd vor Frost, in die Ecke neben der Königin. Da er ganz durchnäßt war, drang die kalte Feuchtigkeit durch das Kleid dieser Dame. Sie fühlte mit der Hand hin, um zu untersuchen, woher das käme, und ergriff das kleine Männchen. Mit einem Schrei fuhr sie auf und befahl, den Frosch neben ihr aus dem Wagen zu werfen und zu zertreten. Tödlich erschrocken, bat Däumling flehendlich um sein Leben, und versicherte weinend, er sei kein Frosch, sondern ein kleiner Mensch, in einen abgeschabten Röckchen. Sei du wer du bist, schrie die Königin, so mußt du deine Strafe für solchen Frevel leiden. Wie? meinst du, armseliger Wicht, es sei kein Verbrechen, eine hohe Majestät zu [14] erschrecken und zu erkälten? Däumling gestand alles ein, was sie wollte, bat aber noch immer um sein Leben. Da war aber keine Gnade. Sie wiederholte den Befehl mit solchem Nachdruck, daß die Diener zugriffen und den kleinen Kerl beim Kopf erwischten. Wer sollte ihn aber zertreten? Es entstand ein Streit unter der Dienerschaft, denn jeder versicherte, er beschmutze sich die Stiefel mit dem Blut des winzigen Bösewichts und besudele so die Kutsche. Der König erwachte darüber aus seinem Mittagsschlummer, und fragte was es gäbe? Man eilte ihm die wichtige Nachricht mitzutheilen, und den Verbrecher vorzuzeigen. Lachend nahm der König das Männchen in die Hand, und betrachtete es. Däumling säumte nicht, sich niederzuknieen, und indem er die königlichen Finger küßte, bat er demuthsvoll um sein Leben. Nun, nun, sagte der gute König, du kannst noch ein bischen am Leben bleiben, es hat schon Zeit mit der Hinrichtung, denn die Diener machen sich nur die Stiefel schmutzig. Und so warf er ihn, trotz alles Streites und Grimmes der Königin, in den Winkel an seiner Seite. Däumling drückte sich zusammen, so gut er konnte, und verhielt sich ganz still, um von der Königin vergessen zu werden, sie beugte sich aber von Zeit zu Zeit hin und lauerte, [15] mit todverkündenden Blicken, auf ihn, wie die Katze auf die Maus. Der König speisete indessen etwas gebackenes und reichte dem Schützling auch bisweilen einige Brocken, die dieser mit großem Appetit verzehrte. Endlich schlief der Schutzpatron wieder ein, und Däumling, um sicher zu seyn, kroch ganz nahe zu ihm hin. Beim Aussteigen winkte die Königin, aber husch! fuhr das Männchen in des Königs Rocktasche und so war es nicht wohl möglich, es zu erwischen. Im königlichen Pallaste kroch Däumling wieder heraus und freute sich über die Herrlichkeiten, die es da gab, ganz ohne Ende. Aber leider war er seines Lebens nicht sicher, denn die Königin, die so ziemlich einer Furie glich, zu der ihr nichts als die Schlangen, die diese statt der Haare haben sollen, fehlten, trachtete ihm nach dem Leben, und die bestochene Dienerschaft lauerte nur auf eine schickliche Gelegenheit, den armen Tropf aus dem Wege zu schaffen; das waren betrübte Aussichten für die Zukunft, denn, wenn er auch davon gehen wollte, wohin sollte er, und wovon leben? Der König ließ ihn nicht Noth leiden, und er durfte auf dem Sofa schlafen, doch aus Furcht schlich er sich des Abends ins Bette zu den Füssen seines Beschützers, der davon keine Notitz nahm, oder nehmen wollte. Einmal, als die Zimmer gereinigt [16] wurden, und er aus einen ins andere floh, merkte er recht, welche Gefahr ihm drohe. Eine Scheuermagd fegte ihn mit dem Kehrbesen vom Ofen herab, auf welchem der arme Däumling Platz genommen, und schon wartete ein Bube mit einem Stiefelknecht auf seine Ankunft auf dem Fußboden, um ihn den Rest zu geben; aber glücklich kam er herab und rollte unter das Sofa. Bis man dieses wegräumte, um ihn zu haschen, erholte er sich wieder und entschlüpfte seinen Verfolgern, und huschte unbemerkt in ein Bette, wo er sich unter Decken verbarg, bis die Gefahr vorüber gegangen. Die Königin war so schlecht und boshaft, daß sie, um auf den Thron zu gelangen, den Kammerdiener des Königs bestach, daß er ihm Gift unter die Chokolade mischte. Däumling, der recht aufmerksam auf alles war, hatte bemerkt, wie der bübische Diener ein Pulver in die Tasse warf, und es dann mit dem Löffel zerrührte. Geschwind kletterte er auf den Tisch, und als der König eben davon trinken wollte, ergriff er die Schaale mit beiden Händen, und warf sie unter den Tisch, daß sie zerbrach. Der König fuhr auf und schalt ihn, und befahl dem ungezogenen Männchen sich fort zu packen. Däumling kroch erschrocken unter das Bett und versteckte sich da. Ein Hündchen leckte von dem verschütteten [17] Getränk, bekam aber gleich Krämpfe und Verzuckungen und starb, ehe die Diener, die hinzu sprangen, noch Zeit hatten, es fortzuschaffen. Der König schüttelte den Kopf und seufzte, denn nun war es offenbar, daß man ihn hatte vergiften wollen. Dann rief er das getreue Männchen unter dem Bette hervor, und setzte es auf den Tisch, um es mit einer Menge Zuckerwerk zu erquicken. Auch befahl er dem Hofschneider, ihm ein scharlachrothes Röckchen, reich mit Gold gestickt, und blau sammtne Weste und Höschen, zu verfertigen. Gelbe Stiefel, ein Tressenhuth und eine Uhr, so groß wie eine Erbse, zierten noch überdem die kleine Person, und Däumling konnte gar nicht müde werden, sich im Spiegel selbst in diesem Staate zu bewundern. Er bat den König noch um einen Degen, den er auch erhielt. Dieses Waffenstück war so groß wie eine ziemliche Stecknadel, aber wohl geschliffen, und als einmal die Königin eine böse Katze in des Königs Zimmer verbergen ließ, um den Däumling durch sie zu vertilgen, wehrte er sich gegen das Thier so herzhaft mit dem Degen, daß die Katze ihm nichts anhaben konnte; einige Krallenhiebe ungeachtet, die aber des Königs Wundarzt glücklich heilte. In einer Nacht erwachte der Däumling von einem Geräusch und sahe, wie ein Mörder [18] eben den König, der im tiefsten Schlafe lag, durchbohren wollte. Hurtig rannte ihm das Männchen seinen Degen in die Hand, daß der Bösewicht erschrocken zurück fuhr. Darüber erwachte der König und rief nach Hülfe. Der Mörder ward erwischt, und es entdeckte sich, daß die Königin ihn gedungen hatte, diese Schandthat zu begehen, und daß der Kammerdiener mit einverstanden war. Der letzte ward hingerichtet und das böse Weib in ein Loch, wohl fünfzig Klafter tief, hinein gethan. Däumling aber ward vom König hochgehalten und führte ein recht glückliches Leben.

Die Gevatterinnen.

Ein Mährchen.


Ein König der sehr gut war, lebte mit seiner Gemahlin recht glücklich, und der einzige Wunsch beider war, Kinder zu haben. Einst gieng die Königin am Ufer eines Flusses spazieren, da zog ein dicker Frosch ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie blieb am Ufer stehen, um ihn recht zu betrachten. »Was siehest du[19] mich so starr an?« quakte der Frosch. Die Königin, sehr erstaunt ihn reden zu hören, erschrack, und antwortete: sie habe sich nur über seinen dicken Leib gefreut, denn seine Kameraden wären das Gegentheil von ihm, sie wären alle schlank und dürre. Es freut mich, sagte der Frosch, daß ich dir so wohl gefalle. Du gefällst mir auch, und so will ich dir einen Vorschlag thun. Du bekömmst bald eine kleine Tochter, und ich bitte mir es von dir aus, daß du mich zum Gevatter bei ihr nimmst. Von Herzen gern, erwiederte die Königin, die sehr munter und scherzhaft war. Wie soll ich dich aber wieder finden? »Schicke mir nur durch den Hofmarschall eine Einladungskarte, sprach der Frosch; er kann sie ins Wasser an diesem Orte werfen, so komme ich gewiß.« Bei diesen Worten hüpfte der Redner in die Tiefe und ließ sich nicht weiter sehen. Die Königin fieng an zu lachen, und hörte unterwegs gar nicht auf, und noch im Pallaste fieng sie immer von neuem wieder an. Ihre Amme ward einst bei der Erzählung und gab der Majestät zu verstehen, daß sie zur Unzeit lache, denn das sei, wie man deutlich sehe, kein gewöhnlicher Frosch, sondern ein Verzauberter, oder wohl gar eine Fee. Bald nachher bekam die Königin eine kleine Tochter, und da alles zum Tauffest angeordnet war, erinnerte die [20] vorsichtige Amme sie, den Taufpathen ja nicht zu vergessen. Sie brachte es dahin, daß der Hofmarschall wirklich eine Karte an dem bezeichneten Orte ins Wasser werfen mußte. Alle Gäste waren schon versammelt, da erschien ein dicker Frosch, von der Größe einer Katze, und stellte sich unter die Reihe der verwunderten Taufpathen. Nach der Ceremonie gieng er an die Wiege und sahe hinein, dann hüpfte er wieder fort. Der König war mit der Gevatterschaft nicht zufrieden, doch ließ er sich, aus Liebe für seine Gemahlin, nichts weiter davon merken. Als man zu der kleinen Prinzessin gieng, schrie alles vor Verwunderung laut auf, so wunderschön war sie geworden, und ihre Haare glänzten wie Gold. Fiel ein Härchen aus, so ward es wirkliches Gold und die jüdischen Kaufleute liefen alle Tage von nun an ins Schloß und kauften es. So ward ein kleiner Schatz daraus, und mit der Zeit ein großer. Nach einem Jahre gieng die Königin in einen Wald spazieren und sahe da eine Eule ganz ruhig auf einem Aste sitzen. »Gefalle ich dir?« kreischte der Vogel. Ja wohl, sprach die Königin. Du mir auch, war die Antwort, und über einige Monden, wenn du wieder eine Tochter bekömmst, so bitte mich zum Tauffest, als Gevatterin. Die Königin versprach es, und die Amme [21] säumte nicht, sie zur gehörigen Zeit an ihr Versprechen zu erinnern. Alles war bereit; da flog eine Eule durch eine der kristallenen Scheiben in den Saal, und nahm Platz unter den Taufzeugen. Dann flatterte sie zur Wiege, sah die Prinzessin an, und trat den Rückweg durchs Fenster wieder an. Auch dieses Kind war sehr schön geworden, und hatte schwarze Augen, die wie Feuer glühten. Jedes Thränchen, das sie vergoß, ward zur Perle vom feinsten Wasser, und als sie größer ward, thauten an jedem Morgen, beim Erwachen, zwei herrliche Perlen auf ihren Wangen. So sammelte man, durch den Verkauf derselben, auch einen Schatz. Nach einiger Zeit gieng die Königin abermals spazieren, und diesesmal auf ein Feld. Da erblickte sie eine Maus von ziemlichen Umfange, die eine Aehre, die auf dem Boden lag, zwischen ihren Pfoten hielt und das Korn kauete. Es schmeckt mir, wie du siehst, sprach sie, und es gefällt mir, daß du freundlich zusiehest, wie ich speise. Ich will dir auch einen Gefallen thun, und Pathenstelle bei deinem zukünftigen Töchterchen vertreten. Sende nur hier aufs Feld die gehörige Einladung. Die Königin war ein wenig betreten, denn ihr Gemahl schien kein Behagen an den sonderbaren Gevatterinnen der ältesten Prinzessinnen zu finden; doch ließ sie sich nichts [22] weiter merken. Die Amme aber blieb immer derselben Meinung, und so ward die Einladung nicht versäumt, als die Königin das dritte Mädchen bekam. Diesesmal erschien bei der Taufhandlung eine wohlbeleibte Maus, die mit vielem Anstande unter die Pathen trat. Das Kind bekam zum Pathengeschenke nicht bloß Schönheit, sondern auch noch die Eigenschaft, bei jedem Gespräch das sie hielt, einen herrlichen Brillant aus ihrem rosenrothen Mündchen fallen zu lassen, und so ward sie so reich als die ältern Schwestern. So vergieng fast ein Jahr, als die Königin, die ihre Spaziergänge bis dahin ziemlich eingestellt hatte, an einem Bache Blumen pflückte. Da plätscherte ein artiger Goldfisch heran und fieng ein Gespräch mit ihr an. Nicht lange so bot er sich zum Pathen an und schwamm dann lustig fort. Die Königin war sehr erschrocken darüber, weil sie einen Streit mit ihrem Gemahle fürchtete, wenn sie den Fisch einlüde, und fragte die Amme um Rath. Diese bat, ja Wort zu halten, doch war es rathsam dem Könige vorher die Sache vorzutragen. Dieser ward sehr zornig, und verbat sich ausdrücklich die Ehre der Gevatterschaft. Haben wir nicht schon, sprach er, zum allgemeinen Erstaunen unserer Unterthanen, mit Frosch und Eule und Maus uns in eine Art von Verwandschaft begeben? Und nun [23] noch einen Fisch dazu! Am Ende würden Schlangen und Molche, und anderes Ungeziefer sich zu unsern Kindern drängen. – Die Königin weinte; es half aber nichts. Am Tauffeste war die ganze Gesellschaft mit Wasser bespritzt, daß die herrlichen Kleider verdarben. Selbst die Wiege der kleinen Prinzessin ward nicht verschont, und so wunderschön das Kind war, so häßlich ward es mit einemmale. Die Amme predigte von der Strafe die nun der Nichtbefolgung ihres Rathes folge, aber zu spät. Das Kind ist mir darum doch recht lieb, sprach der König, wenns auch nicht schön und nicht reich ist. – So wuchsen nun die Prinzessinnen alle vier heran, und die drei ältesten zogen, durch ihre Schönheit, aller Augen auf sich, und viele fremde Könige kamen, durch den Ruf ihrer Schönheit und ihrer Reichthümer gelockt, und verlangten sie zu Gemahlinnen, aber die jüngste verlangte Niemand. Die ältesten, Goldköpfchen, Perlenäuglein und Brillante, wurden aber durch die vielen Schmeicheleien die man ihnen täglich vorsagte, eitel, stolz, und gefallsüchtig. Die kleinste, Prinzessin Lustig, wegen ihrer Fröhlichkeit genannt, war aber gutmüthig, wohlthätig, fleißig und geschickt, denn ihre Schwestern warfen ihr immer ihre Häßlichkeit und Armuth vor, so ward sie nicht übermüthig, und da sie bei den Hoffesten [24] ganz über sehen und vernachläßigt ward, blieb sie lieber in ihrem Zimmer und beschäftigte sich nützlich. Einst ging sie mit ihren Schwestern spazieren, da quakte ein Frosch, den ein böser Bube spießen wollte, ihnen kläglich entgegen; Prinzessin Lustig bat den Knaben, das arme Thier in Freiheit zu setzen; er lachte aber nur darüber. Da bat sie Goldköpfchen nur um ein goldnes Haar, um den Frosch loszukaufen; aber diese schalt sie und ging fort. Nicht besser machte es Perlenäuglein und Brillante, und traurig stand Lustig da. Endlich fiel ihr etwas bei. Sie gab dem Buben ihr Schnupftuch, das sehr schön war, und trug selbst den gequälten Frosch in einen Sumpf. Nicht lange, so kamen wieder viele Kinder, die trugen eine Eule auf einer Stange, und viele kleine Vögel flatterten mit Geschrei um das gefangene Thier. Die Kinder sagten, sie wollten den garstigen Raubvogel lebendig an das Hühnerhaus nageln; aber Prinzessin lustig wandte sich wieder, doch vergebens an ihre Schwestern, die sie auslachten. Dieses mal mußte sie ihre Ohrenringe und Halsschmuck hergeben, und setzte dadurch die Eule in Freiheit. Nicht lange, so kamen Knaben, welche eine Maus an einen Faden gebunden nachschleppten, um sie der Katze zu geben. Lustig bat die andern Prinzessinnen recht [25] dringend; sie gaben aber nichts her, und sie erkaufte die Freiheit der Maus mit ihrem Strohhute und ihren Ringen. Bald kamen sie an den Bach, wo eben die Buben ein gefangenes Goldfischchen umbringen wollten. Lustig bat dringend, und mußte Schuh und Strümpfe hergeben. So kam sie barfuß und ohne Hut und Schmuck ins Schloß zurück, und die Oberhofmeisterin straften sie, und verspotteten sie über den Aufzug, der sich nicht für eine königliche Prinzessin schickte. Es wurde ihren Eltern angezeigt, und der König befahl, die Leichsinnige kommen zu lassen, und gab ihr einen Verweiß. Lustig schwieg bescheiden still, wie es sich für sie schickte, dann zeigte sie ihrem Vater das Fischchen, das sie mitgenommen hatte, und das in einer Schüssel mit Wasser schwamm. Plötzlich dehnte es sich aus, ward immer größer, und endlich stand eine schöne Frau da, welche die Prinzessin mit Wasser bespritzte. Im Nu ward aus der Häßlichen eine Dame von wunderbarer Schönheit, und jeder Tropfen Wasser, der in der Schüssel war, verwandelte sich in einen herrlichen Diamant. Siehe, sprach die Fee, ich wollte deine Taufpathe seyn, ward aber abgewiesen und straftedich dafür. Du rettetest mir das Leben, denn als Maus, und Eule, und Frosch, war ich die [26] Pathin und Wohlthäterin deiner Schwestern, die so hartherzig und eitel sind. Sie sollen aber ihre Strafe bekommen und so häßlich werden, als du es warst. Im Augenblicke war aus Goldköpfchen ein garstiges, rothhaariges Ding, Perlenäuglein ward schwarzbraun, mit Triefaugen, und aus der bucklichten Brillante ihrem Munde sahen schwarze Zähne, statt der Juwelen, hervor. Ihre Reichthümer, die sie behielten, freuten sie nicht, denn die Spiegel, die sie überall reichlich im Pallaste angebracht hatten, zeigten ihnen nur ihre Fratzengestalten tausendfältig. Prinzessin Lustig blieb aber gut und bescheiden bei ihrer Schönheit, wie sie es vorher war.

Die Elemente.

Vier Brüder laufen Tag und Nacht,
Und ihre Kraft und ihre Macht,
Herrscht über alle Wesen.
Dich ihrer Allmacht zu entziehn,
Mußt du von dieser Erde fliehn,
Sonst kann's dir nicht gelingen.
[27]
Der erste schlingt mit Ungestüm,
Was er erwischen kann. Bemühn
Mußt du dich ihn zu zähmen.
Verderben hauchet seine Gluth,
Und grenzenlos ist seine Wuth,
Wenn einmal sie erreget.
Der zweite dämpft des ersten Grimm;
Doch auch vor seinem Zorne nimm
Dich wohl in Acht, und sorge,
Zu rechter Zeit ihm zu entgehn.
Nicht kannst du, Schwacher, widerstehn
Den hocherzürnten Wogen.
Der dritte lärmet viel und schreit,
Als wäre er nicht wohl gescheut,
Und treibt oft viel Spektakel.
Doch ist es nicht so bös' gemeint.
Wenn er auch nicht erzürnet scheint,
Setz' ihm Geduld entgegen.
Der vierte lockt aus seinem Schoos
Dich hold hervor, und zieht dich groß,
Mit treuer Muttersorge.
[28]
Er nimmt dich liebend wieder auf,
Wenn, müde von des Lebens Lauf,
An seine Brust du sinkest.

Beispiele von lächerlicher Furcht und Aberglauben.

In einem Dorfe waren einst die Bauern, die es bewohnten, sehr abergläubisch und furchtsam. Sie glaubten, daß in ihrer Kirche wunderbare Dinge geschähen, und wagten es nicht, des Abends nahe bei derselben vorüber zu gehen. Einst, an einem Sonntage, hörte der Küster spät noch, als es fast Nacht war, ein entsetzliches Gepolter in der Kirche. Voll Furcht und Schrecken lief er in die Schenke, holte die versammelten Bauern, den Pfarrer und Schulmeister herbei, um die Thüre zu öffnen und den Teufel, der nach seiner und der Bauern Meinung, so hausete, durch kräftige Gebete zu bannen. Der Schulmeister führte den Zug an; und als er die Thüre öffnete, rannte ein Schwein, das zufällig sich hinein verirret hatte, heraus; und da [29] es gerade zwischen die Füsse des tödlich erschrockenen Mannes kam, trug es diesen noch eine Strecke mit sich fort. Der Schulmeister, in dem Glauben, es sei der Teufel, der sich seiner bemächtiget habe, schrie aus Leibeskräften: »Herr Pfarrer! er hat mich schon! er hat mich schon!« Endlich wurden er und die Andern den Irrthum gewahr, und schämten sich ihrer lächerlichen Furcht.

Zwei Soldaten stritten einst, wer den andern an Herzhaftigkeit überträfe. Einer von ihnen sagte: er wolle, um seinen Muth ganz ausser Zweifel zu setzen, in der Mitternachtsstunde einen Todtenkopf aus dem Beinhause holen und dem andern weisen. Wirklich begab er sich zur bestimmten Stunde nach dem Gottesacker, und tappte im Finstern umher, um einen Todtenkopf zu erwischen. Der andere hatte sich ein wenig früher in dem Beinhaus versteckt, um seinen Kameraden zu erschrecken, und als dieser endlich das Gesuchte gefunden und fortgehen wollte, rief er laut: »Laß' ihn nur stehn, es ist mein Kopf!« Der Kamerad griff sogleich nach einem andern; da erschallte dasselbe Verbot. Muthig nahm er den dritten und rief: »Ei, wie viel Köpfe hast du denn?« – Ein dritter Soldat, der ein Schaf gestohlen, hatte sich zufällig mit seiner[30] Beute auch in dasselbe Beinhaus verborgen, und in der Finsterniß die beiden andern nicht bemerkt. Er glaubte, die Todten sprächen in dieser schauerlichen Stunde, und tödlich erschreckt – und zu diesem Erschrecken trug das böse Gewissen des Diebes das Meiste bei – hielt er das gestohlene Schaf nicht fest genug, so daß es ihm entwischte und eilends die Flucht ergriff. Die Soldaten entsetzten sich, da sie in der Finsterniß nicht unterscheiden konnten, was so stürmisch unter den Gebeinen rasselte und aus der Thüre stürzte, und ergriffen eilends die Flucht. Der Dieb, der das Davongehn auch für das Beste hielt, folgte ihnen nach, und so kamen sie, doch oft über die Gräber strauchelnd, glücklich aus dem Gottesacker, wo der, eben aus den Wolken die ihn umhüllt hatten, hervortretende Mond, sie einander erkennen ließ. Sie fanden in dem Diebe einen wohlbekannten Kameraden, der aber von nun an, durch die ausgestandene Angst gebessert, nicht mehr stahl.

In einem Wirthshause rühmten sich gleichfalls einige junge Leute ihrer Furchtloßigkeit, und einer übernahm es, die seinige durch ein Probestück zu beweisen. Man that ihm den Vorschlag: in eine Kirche, wo nach der Sitte des Ortes, die Leichen der am andern[31] Tage zur Beerdigenden, in ihren Särgen über Nacht aufbewahrt wurden, um Mitternacht zu gehen, und einen Nagel in einen der Särge zu schlagen; er nahm es willig an und ging um zwölf Uhr fort. Da er nicht wieder kam, glaubten die Uebrigen, sein Vorwitz habe ihm gereuet und er sei nach Hause gegangen. Als man die Kirche am andern Morgen öffnete, fand man ihn todt neben einem Sarge liegen. Er hatte in der Finsterniß und in der Uebereilung den Zipfel seines Rockes mit dem Nagel an den Sargdeckel befestiget, und, wahrscheinlich in der Einbildung, als er so zurückgehalten wurde, gestanden, der Todte halte ihn fest. So war er plötzlich aus Furcht gestorben.

Eine Magd wurde eines Abends von ihrer Herrschaft in den Keller geschickt, um etwas herauf zu holen. Auf der Treppe blies ihr die Zugluft das Licht aus, denn sie war so unvorsichtig gewesen, sich nicht der Laterne zu bedienen. Sie glaubte sich schon im Dunkeln zurecht finden zu können, und ging in den Keller hinab. Beim Eintritt funkelten ihr zwei glühende Augen entgegen. Sie wollte fliehen, fiel aber und blieb ohnmächtig liegen, bis man sie vermißte und ihr nachgieng. Mit Mühe kam sie wieder zu sich, und es gelang ihrer Herrschaft sehr schwer, sie zu überzeugen, [32] daß nur die im Finstern leuchtenden Augen eines Katers, der im Keller auf einem Fasse Platz genommen, sie erschreckt hatten.

Es ist billig und vernünftig sich einer thörichten Furcht und Einbildung nicht blindlings zu überlassen; doch ist eben so nöthig und vernünftig mit Vorsicht zu handeln, und jede Sache, die wir nicht begreifen können, mit Bedachtsamkeit zu prüfen.

Das gehorsame Mäuschen.

»Was lauerst du?« red't aus der Ferne
Das Mäuschen eine Katze an.
»Wie funkeln deine Augen-Sterne,
Daß man es kaum ertragen kann.«
»Komm her, mein Schätzchen!« sprach die Katze,
»Ich spielte mit dir gar zu gern.
Sieh her, sieh meine sammtne Tatze,
Was stehst so blöde du von fern?«
[33]
»O, gerne möcht' ich zu dir gehen;
Doch, meine Mutter will es nicht.
Warum? kann ich nicht recht verstehen,
Denn freundlich ist ja dein Gesicht.
Doch warte nur, ich will sie fragen:
Ob sie es dieses Mal erlaubt,
Und dir alsdann die Antwort sagen,
Wenn es die Mutter nöthig glaubt.«
Gehorsam schützet vor Gefahren,
Von denen du noch nichts verstehst,
Und so mußt du dich sorgsam wahren,
Daß heimlich, ja, du nichts begehst.

Prinzessin Elmine.

Es lebte einmal eine Königin, die so unglücklich war, ein schlechtes Weib zur Saugamme ihrer kleinen Tochter, die sie zärtlich liebte, zu bekommen. Sie[34] überschüttete sie mit Wohlthaten; das verhinderte aber die böse Frau nicht, ihren entworfenen Plan auszuführen. Sie vertauschte die kleine Prinzessin mit ihrem Kinde, das nur wenig Wochen älter war. Um ganz sicher zu seyn, trug sie die kleine Elmina in einen großen dicken Wald, und warf sie da hin, den Bären und Wölfen zur Speise. Eine arme Frau, die in einem Hüttchen, nicht fern von dem Orte wohnte, hörte das Kind weinen. Sie ging der Stimme nach und kam noch zu rechter Zeit, es vom drohenden Tode zu erretten. Bald gewann sie Elminen sehr lieb, da die Kleine recht freundlich und artig war. So wuchs sie heran, und die arme Frau, die gar nicht unwissend, unterrichtete sie in allem, was sie selbst wußte. Endlich wurde die gute Alte krank, und da sie es fühlte, daß ihre Sterbestunde da sei, rief sie ihr Pflegekind zu sich, übergab ihr die Kleider, welche sie getragen, als sie sie gefunden, und erzählte ihr, daß sie nicht, wie Elmine bis jetzt geglaubt, ihre Tochter sei. Noch gab sie ihr manchen nützlichen Rath für die Zukunft, und starb. Elmine beweinte sie mit heissen Thränen und begrub sie; dann lebte sie noch in ihrem Häuschen eine Zeitlang allein. Als es aber wieder Winter ward, und sie so an den langen, dunkeln Abenden, ganz verlassen [35] und einsam da saß, ward es ihr bange, und sie sehnte sich unter die Menschen zu kommen, die nach ihrer mit der Pflegmutter gemachten Erfahrung, sehr gut seyn mußten. Wirklich machte sie sich, nach einer stürmischen Nacht, welche die Wölfe ziemlich laut durchheult hatten, auf den Weg. Lange Zeit ging sie im Walde umher, bis sie endlich einen schmalen Pfad fand, der sie, nachdem sie ihn lange verfolgt hatte, ins Freie führte. Bald kam sie an ein Dorf und blieb erstaunt stehen. So eine Menge von Häusern zusammen, das war ein prächtiger Anblick! Gegen solch eine Bauernwohnung stach ihr Waldhüttchen so stark ab, daß sie glaubte sie befände sich in einer Stadt voll Palläste. Sie grüßte eine ihr begegnende Bäuerin sehr ehrfurchtsvoll, hatte aber den Muth nicht, sie um eine Nachtherberge zu bitten. Endlich gesellten sich einige Kinder zu ihr und führten sie in ein Haus zu ihren Eltern, die sie aufnahmen und bei sich behielten. Elmine war flink und gelehrig und konnte fertig spinnen und stricken, aber dennoch konnte sie oft der Bäuerin nicht alles recht machen und wurde von ihr gescholten. Das nahm sich das arme Kind recht sehr zu Herzen und weinte oft bitterlich. Einst, als sie so die Gänse hütend, am Wege spann, kam eine Kutsche dahergerollt. Eine [36] Dame die darinnen saß, sah das kleine weinende Mädchen und befahl dem Kutscher anzuhalten. Sie rief Elminen zu sich und fragte nach der Ursache ihrer Thränen. Höre, mein Kind, sprach sie, als Elmine ihr ihre Noth geklagt hatte, rufe mir die Frau her, ich will mit ihr sprechen. Elmine lief fort und holte die Bäuerin. Die Dame machte ihr Vorstellungen, daß sie das arme Mädchen so plage; das nahm aber die Bäuerin sehr übel auf und sagte, sie wolle den Balg, der sie so angeklagt habe, auf der Stelle fortschicken. Wirklich trieb sie selbst ihre Gänse fort und befahl Elminen ihr kleines Bündel zu nehmen und sich fortzupacken. Die Dame, betroffen über diesen unerwarteten Ausgang, hieß Elminen zu ihren Füssen in der Kutsche einen Platz einnehmen. Sie war gerade nicht eine der Mildthätigsten, und es gereuete sie, sich in Elminen eine Last aufgeladen zu haben. Endlich fiel ihr ein Ausweg bei. Sie ließ am andern Tag Elminen von ihren abgelegten Kleidern einen Anzug verfertigen, und als sie nun so ziemlich aufgeputzt und modernisirt war, sandte sie sie der Königin zu, der sie sagen ließ, sie glaube der kleinen Prinzessin einen Gefallen zu erzeigen, wenn sie ihr eine Dienerin von ihrem Alter verschaffe. Die Prinzessin war aber ein eitles und böses Geschöpf und plagte oft [37] Elminen entsetzlich, besonders da, als beide älter wurden, sie fand, daß ihre Dienerin hübscher als sie war. Sie wusch sich mit einem Wasser, das die Gesichtsfarbe und Schönheit der Haut verbessern sollte, und doch blühte Elmine, die nur Brunnenwasser brauchte, frischer und schöner als ihre Gebieterin. Sie fragte ihre Amme um Rath, und diese ließ eine kristallne Flasche holen, die vollkommen der glich, welche der Prinzessin zur Aufbewahrung ihres Waschwassers diente, ließ sie mit Scheidewasser füllen, und als Elmine zu ihr kam, gab sie ihr diese Flasche als ein Geschenk von der Prinzessin, um sich auch des verschönernden Wassers zu bedienen. Elmine nahm es dankbar an, und ihrer Eitelkeit war es schmeichelhaft, sich verschönern zu können. Noch an demselben Tage zerbrach die Kammerfrau die Flasche der Prinzessin. Sie nahm heimlich die Elminens, und stellte sie in den Schrank. Als sich die Prinzessin waschen wollte, ward die Amme noch gewahr, daß es nicht das Schönheitswasser sei, und erhob einen großen Lärm. Man gab Elminen Schuld die Flaschen umgewechselt zu haben, und sie sollte augenblicklich fortgejagt werden. Mit Thränen nahm sie ihr Packet um fortzugehen. Die Königin, welcher die Prinzessin vorlog, Elmine habe sie bestohlen und werde deßhalb von ihr [38] fortgeschickt, hatte seit einiger Zeit einen kostbaren Ring vermißt. Jetzt fiel es ihr ein, Elmine könnte auch diesen entwendet haben, und sogleich gab sie den Befehl, die Diebin, ehe sie fortginge, her zubringen. Das arme Mädchen zeigte gutwillig und getrosten Muthes ihre geringen Habseligkeiten vor, und unter diesen auch die Kleidung in der die Alte sie fand. Wie erstaunte die Königin über ihre Aussage. Sie ließ sogleich ihren Gemahl rufen, der mit der schelmischen Amme nicht viel Komplimente machte, um sie zum Bekenntniß ihrer schlechten That zu bringen. So fand sich's, zur Freude des königlichen Paares und des ganzes Hofes, daß Elmine die Prinzessin, und die Tochter der Amme an ihrer Stelle unterschoben war. Das boshafte Weib wurde mit dem Tode bestraft und ihre Tochter fortgeschickt. Elmine aber war und blieb immer so gut, wie sie im niedern Stande gewesen.

[39] Wiegenlied für eine Puppe.

Schlummre du, Püppchen mein!
Schließe die Aeugelein!
Zwar sind sie immer dir offen.
Schlummre! und laß uns hoffen,
Daß dich Träume erfreuen.
Träume vom weissen Schaf,
Kindern bringt es den Schlaf.
Träume vom grauen Mäuschen,
Es bringt aus seinem Häuschen
Guten Kindern den Schlaf.
Langsam zieht es ihn her,
Denn er ist wohl sehr schwer.
Kätzlein darf es nicht sehen,
Wie möchts sonst dem Mäuschen gehen?
Verstohlen kömmt es daher.
Schlummre mein Püppchen bald!
Die Vögelchen fliegen im Wald.
[40]
Fliegen und flattern auf und nieder,
Bringen den süssen Schlaf uns wieder.
Schlummre mein Püppchen bald!

Die Müllerstöchter.

Ein Mährchen.


Ein reicher, reicher Müller hatte drei Töchter, die es sich in den Kopf setzten, vornehme Frauen zu werden. Kam ein Freier von ihrem Stande, so wiesen sie ihn höhnisch ab. Wenn aber ein blutarmer Edelmann sich meldete, so meinte der Vater, es wäre doch eine Sünde das schöne Geld seiner Töchter, einen armen Schlucker zu geben. Endlich erschien ein schöngeputzter Herr, der ein reicher Graf seyn sollte, und verlangte die älteste zur Frau. Der Müller gab ihm die Tochter und sehr vieles Geld, und beide Eheleute reiseten weit, weit fort, in das Land, wo der Graf seine Grafschaft hatte. Nach einigen Monaten kam der Schwiegersohn wieder, und klagte mit großer Betrübniß, daß seine Frau gestorben. [41] Der Vater und die Schwestern weinten mit ihm, und endlich verlangte er die mittelste zur Ehe, und bekam sie auch und wieder vieles Geld. Diesesmal blieb er ein ganzes Jahr weg, und als er wieder kam, konnte er vor Kummer und Schmerz kaum aus der Kutsche steigen, denn auch diese, seine liebe Frau, war gestorben. Man hatte lange an ihn zu trösten; doch endlich meinte er, wenn Lottchen, die jüngste, Gräfin werden wollte, wäre es gut. Der Vater war es zufrieden, aber Lottchen war ein schlaues Mädchen und sehr neugierig, und wollte gern bald wissen, wo die Grafschaft des Herrn Grafen sei, und wie es da aussähe. Sie sagte einen Tag ja, und den andern nein, und darüber ward es Winter. Einmal sagte der betrübte Wittwer, er wolle eine kleine Reise machen. Lottchen nahm einen großen Knäuel Bindfaden, befestigte das eine Ende an seinen Schlitten und behielt den Knäuel. Dann setzte sie sich auch in einen Schlitten und fuhr immer dem Faden nach. Er führte in einen großen Wald, und immer tiefer ins Dickicht, bis zu einem kleinen Häuschen. Sie versteckte geschwind ihr Pferd und ihren Schlitten (das Fuhrwerk ihres Bräutigams fand sie leer vor der Thüre) und ging hinein. Es war Niemand darin, und sie öffnete die Thüre eines Kabinettes; aber, [42] o Himmel! was erblickte sie da? Eine Menge von Gebeinen und todten Körpern. Erschrocken wollte sie fliehen, da hörte sie Fußtritte vieler Männer nahen. Sie versteckte sich unter den Tisch und sahe den Grafen und noch viele andre Männer ein Frauenzimmer hereinschleppen, das sie tödteten, und in die Kammer dann den Leichnam warfen. Vorher wollten sie ihr einen Brillantring vom Finger ziehen, und da es nicht ging, hackten sie ihr die Hand ab, die unter den Tisch rollte. Sie hatten nicht Zeit nachzusuchen und gingen fort; Lottchen aber ging mit der Hand geschwind aus dem Häuschen, setzte sich in ihren Schlitten, fuhr nach Hause, und erzählte ihren Vater alles. Als der Herr Graf wieder kam und sich zu Tische setzte, nahm der Müller den Deckel von der Schüssel, auf der die Hand lag. Der Räuber wollte entfliehn, aber die Wache wartete schon auf ihn und nahm ihn fest. Wie bedauerte nun der Müller seinen und seiner unglücklichen Töchter thörigten Hochmuth.

[43] Am Geburtstage der Mutter.

Gute Mutter! nimm zum frohen Feste
Unsre besten, wärmsten Wünsche an.
Sieh! es bringen Deine kleinen Gäste,
Was ein jedes von uns geben kann.
Nur geringe sind der Kindheit Gaben;
Oft ists nur ein Wunsch, ein Lied.
Aber, doch das Beste, was wir haben,
Waren wir zu bringen Dir bemüht.
Nimm es freundlich mit gewohnter Liebe,
Gute Mutter! was die Kleinen Dir
Mit Vertrauen bringen und mit Liebe.
Liebe giebst Du ihnen auch dafür.

[44] Thörichter Muthwille.

Adolph war sehr muthwillig, neckte und plagte seine Geschwister und Spielkameraden und ängstigte sie durch unzeitige Späße. Es war ihm daher Niemand gut. Einst aber, als er nach seiner Gewohnheit ein einfältiges Spiel angab, mußte er hart für seine Unarten büßen. Er beredete die Andern, sich zum Scherze einen Strick um den Hals zu thun, und sich an demselben, nur für einige Minuten, an den Zweigen eines Baumes aufzuhängen, um zu erfahren, welche Empfindung einer der sich erhängt, wohl habe. Seine Spielkameraden ließen sich bereden, und er, um ihnen begreiflich zu machen, wie sie es anfangen sollten, legte sich zuerst eine Schlinge um den Hals, und sprang von dem Aste, an welchem der Strick befestigt war, herab. Da er aber schwer war, zog sich die Schlinge fest zusammen, daß sie ihn fast erstickte und er ganz dunkelblau im Gesichte ward. Die andern Kinder, welche glaubten, er wolle sie nach seiner Gewohnheit ängstigen, kamen ihm nicht zu Hülfe, und die kleinern unter ihnen erschraken über seinen Anblick und liefen schreiend zu [45] den Eltern, um ihnen zu klagen, daß Adolph sie erschrecke. Der Vater ging sogleich in den Garten, wo er mit Entsetzen den abscheulichen Anblick sah. Er zerschnitt in Eile den Strick, trug den Unglücklichen ins Haus, wo herbeigeholte Aerzte alles anwendeten, ihn wieder zum Leben zu bringen. Nach vielen Bemühungen gelang es ihnen auch; doch mußte Adolph, durch die übermäßige Anhäufung des Blutes in seinem Kopfe, lange und viel leiden, und auch eine geraume Zeit nachher die Folgen fühlen.

Die vier Brüder.

Vier Brüder ziehn Jahr aus Jahr ein
Im ganzen Land spazieren;
Doch jeder kömmt für sich allein,
Uns Gaben zuzuführen.
Der erste kömmt mit leichten Sinn,
In reines Blau gehüllet,
Streut Knospen, Blätter, Blüthen hin,
Die er mit Düften füllet.
[46]
Der zweite tritt schon ernster auf,
Mit Sonnenschein und Regen;
Streut Blumen aus in seinem Lauf,
Der Erndte reichen Segen.
Der dritte naht mit Ueberfluß
Und füllet Küch und Scheune;
Bringt uns, zum süssesten Genuß,
Viel Früchte, Korn und Weine.
Verdrüßlich braust der vierte her,
In Nacht und Graus gehüllet,
Sieht zürnend Wald und Wiesen leer,
Die er mit Schnee erfüllet.
Wer sagt mir wer die Brüder sind,
Die so einander jagen?
Leicht räth es wohl ein jedes Kind,
Drum brauch ich's nicht zu sagen.

[47] Die Prinzessin Graziose.

Es lebte einmal ein König, der eine Tochter hatte, die er sehr liebte. Seine Gemahlin starb, als die Prinzessin noch nicht völlig erwachsen war, und ward von dieser mit zahllosen Thränen beweint. Einige Monate nach ihrem Tode ritt der König auf die Jagd und kehrte, da er sehr ermüdet und erhitzt war, in einem Schlosse bei einer Herzogin, ein. Diese war sehr reich und stolz, und es fiel ihr ein, daß, wenn der König sie zur Gemahlin nähme, sie dadurch einen höhern Rang und ein größeres Ansehen bekäme. Sie bat ihn daher sogleich bei seiner Ankunft, sie in den Keller zu begleiten, um sich mit Wein zu erfrischen. Er ging mit ihr und sie schlug ein Faß auf; aber es war nicht mit Wein, sondern mit Gold gefüllt. Sie öffneten ein anderes, da waren lauter Perlen darin. Noch ein anderes – und wieder ein anderes voll Diamanten. Endlich fand sich doch eines mit dem herrlichsten Wein gefüllt. Der König war ein wenig habsüchtig, daher gefielen ihm die Schätze der Herzogin und er dachte unterwegs immer an die mit Gold und Perlen und Diamanten gefüllten Fässer. [48] Endlich faßte er den Entschluß, sich mit ihr zu vermählen, und alle ihre Kostbarkeiten zu bekommen, und es war in der That ein großer Entschluß, denn die Herzogin war unbeschreiblich häßlich. Er führte seinen Vorsatz aus und die Vermählung ward mit vieler Pracht gefeiert. Die neue Königin ward mit großem Pompe von ihrem Schloße in die Residenz geholt. Unglücklicherweise wurden unterwegs die Pferde, die sie führten, scheu, nahmen Reißaus, und warfen die Kutsche der Königin um. O weh! da kam aber ihre Häßlichkeit erst recht zum Vorschein. Sie verlor ihre blonde Perücke und ihr kahler, mit etlichen rothen Borsten gezierter Kopf, zeigte sich. Der eine Fuß war viel kürzer als der andere, und daher eine Erhöhung von einer halben Elle künstlich darunter gemacht; nun war diese fort, die falschen Zähne, zugleich ein Auge von Emaille – sie war einäugigt – fielen heraus. Die Königin war voll der entsetzlichsten Wuth, sich in diesem Zustand vor dem ganzen Hofe sehen lassen zu müssen, und schon am folgenden Tage veranstaltete sie ein großes Fest, bei dem ein Turnier gehalten werden sollte. Sie erwählte sich zwölf Ritter, die sie für die schönste Dame der Welt erklären, und diese Behauptung gegen jedermann verfechten sollten. Niemand unterstand sich gegen die Königin aufzutreten, die von Balkon[49] auf den zum Kampf bestimmten Hofplatz herabsah, und sich stolz brüstete, daß Niemand sich fand, der es bezweifelte, daß sie die Schönste sei. Die Prinzessin Graziose, ihre Stieftochter, mußte in einem schlechten Kleidchen hinter ihrem Stuhle stehn. Aber plötzlich trat ein fremder Ritter auf, warf den Handschuh (zum Zeichen, daß er fechten wolle) auf dem Kampfplatz, und rief laut: die Königin sei das häßlichste Weib unter der Sonne und seine Dame die schönste! Man denke sich die Wuth der Königin. Er überwand ihre zwölf Ritter nach der Reihe, und als er mit ihnen fertig war, noch hundert andere, die ihm die Boshafte entgegen stellte. Dann öffnete er eine brillantne Dose und zeigte ihr und dem versammelten Hofe und Volke das Bildniß der Dame, für die er gefochten, und siehe da, es war das, der Prinzessin Graziose. Sie ward feuerroth, denn sie war eben so bescheiden und sittsam, als sie schön war, und verbarg sich hinter die andern Damen; denn jedermann sahe zu ihr herauf und fand, daß der Ritter recht hatte. Die Königin aber fiel in eine Ohnmacht von einigen Stunden, so daß man alle Aerzte der Stadt zusammen holen mußte, sie wieder zu erwecken. Unterdessen ging die Prinzessin in ein Wäldchen, welches der Lieblingsaufenthalt ihrer Mutter gewesen, und weinte [50] da bitterlich über ihren Verlust und über das boshafte Weib, das der König geheirathet hatte. Plötzlich erschien eine schöne Dame vor ihr und sprach: »Weine nicht so, ich bin deine Pathe, die Fee Amaranthe und werde dir helfen und dir beistehen, nur mußt du immer gut bleiben.« Als sie das gesagt hatte, verschwand sie, und Graziose ging getröstet nach dem Schlosse zurück. Am andern Morgen ward sie zur Königin gerufen; da standen schon vier böse Weiber mit Ruthen, die sie schlagen sollten. Die arme Prinzessin weinte bitterlich und bat um Erbarmen, aber es half nichts, und die böse Königin befahl ihr den Rücken so lange mit Ruthen zu hauen, bis alle die Ruthen, die in Haufen gethürmt da lagen, zerbrochen wären. O Wunder! die Ruthen verwandelten sich aber, sobald sie die Haut Graziosens berührten in Blumen, und die Königin fiel aus Aerger darüber, wieder in Ohnmacht. Am andern Tage ließ sie die Prinzessin in einen großen, großen Wald führen, und mitten in demselben den wilden Thieren zur Speise hinwerfen. Graziose weinte wieder und zitterte vor Furcht, denn es wurde immer finsterer, und sie hörte die Löwen brüllen, und vermuthete in jedem Augenblicke, daß einer erscheinen und sie zum Abendbrod verzehren könne. Doch auf einmal erhellte sich der Wald. Herrliche [51] Lampen von Kristall wurden von unsichtbaren Händen an die Bäume befestigt, die sich von ihren Plätzen bewegten und so stellten, daß eine breite, schöne Allee sichtbar ward. Musik ertönte und ein goldner Muschelwagen, von sechs schneeweißen Hirschen gezogen, flog wie der Wind heran. Die Diener nöthigten die überraschte Prinzessin, die wohl sahe, daß Pathe Amaranthe im Spiele sei, hineinzusteigen, und im Nu war sie in einem herrlichen Pallaste, von gediegenem Golde, bei der Fee. Nun war alle Angst vergessen, und sie sollte immer hier bleiben. Doch nach einigen Tagen schon erwachte die Sehnsucht ihren Vater wieder zu sehen, so stark in ihr, daß sie die Pathe bat, sie doch zu ihm zu schicken. Amaranthe stellte ihr vor, daß es nicht ginge; aber Graziose weinte wieder. Da zeigte sie ihr einen großen Spiegel, und als sie hineinblickte, sah sie ihren Vater, der in der kummervollsten Stellung, den Kopf auf den Arm gestützt, ihr Bildniß betrachtete. Sie bat nun so lange, bis die Fee sie in den schönen Wagen heim sandte. So sehr sich der König freute, so sehr erboßte sich die furienartige Königin über ihre vermuthete Erscheinung. Am andern Tage sperrte sie Graziosen in eine Höhle, gab ihr ein ganzes Faß voll Federn von allen Vögelgattungen die es nur gab, und [52] befahl ihr, bis zum Abend die Federn alle auszusuchen, und die, welche zu einer Gattung gehörten, in einen Haufen zu thun. Das war eine Arbeit, die in einigen Monaten nicht geschehen seyn konnte. Der Abend war da, und die arme Prinzessin, die mit dem größten Eifer den ganzen Tag gearbeitet, und nur ein paar kleine Häufchen herausgebracht hatte, war trostlos. O gute Pathe, rief sie, hätte ich dir nur gefolgt! Im Augenblicke war die Fee bei ihr und berührte mit einer kleinen Ruthe das Faß. Im Nu erhoben sich die Federn, flogen aus der Oeffnung des Fasses, und vertheilten sich in kleine Häufchen. Von jeder Gattung von Vögeln war eines derselben. Kaum aber war Amaranthe wieder verschwunden, als die böse Königin erschien, und die mit unzähligen Schlössern verwahrte Thüre der Höhle öffnete, erfreut, um gewiß eine gute Ursache gefunden zu haben, die Prinzessin zu martern. Wüthend, sich wieder in ihrer Hoffnung getäuscht zu sehen, brausete sie fort, und am andern Morgen beschied sie in aller Frühe Graziosen zu sich. Hier, brummte sie dieselbe an, ist eine Schachtel, die trage mir ins Schloß im Walde, wo ich sonst wohnte, und gieb sie dort ab. Aber laß dir nicht gelüsten zu sehen, was darin ist, denn sie enthält gar wunderbare Dinge. Die arme Prinzessin [53] mußte in schlechter Bauernkleidung sich auf dem Weg begeben, und verschmachtete fast in der brennenden Sonnenhitze. Ermattet setzte sie sich unter einen Baum und betrachtete neugierig die geheimnißvolle Schachtel. Wenn ich doch nur wüßte, dachte sie, was in aller Welt in der Schachtel ist? – Nun, zusehen kann ich doch, es siehts ja Niemand. Gedacht, geschehen! – Sie öffnete nur ein wenig den Deckel. Husch! da schwärmte es heraus! Kleine, kaum Zoll lange Herrchen und Dämchen hüpften in den Wald. Die eben so kleinen Bedienten rannten mit der reichbesetzten Tafel ihnen nach. Dann folgten die Köche mit dem ganzen Küchengeräthe, den Bratspieß von gebratnen Hasen noch voll. Dann die Musikannten mit ihren Instrumenten. Graziose hätte sich gern an diesen Anblick länger geweidet, wenn nicht die Furcht vor der bösen Königin gewesen wäre. Sie eilte sie zu haschen; aber vergebens. Lief sie ihnen auf der Flur nach, so hüpften sie in den Wald, und war sie auch da, so flohen sie zurück auf die Flur. Ermattet und ermüdet fing sie an zu weinen und seufzte nach der Pathe. Schnell war das wunderbare Rüthchen da, berührte die kleine Gesellschaft, und augenblicklich führten die Herren die Damen höchst galant am Arme in die Schachtel zurück. Die Bedienten mit der Tafel,[54] die Köche mit den Bratspiesen voll Hasen und ihren Töpfen, die Musikanten, alles eilte zurück an seinen Platz. Graziose bedeckte eiligst die Schachtel mit dem Deckel und ging ins Schloß, wo sie ihren Auftrag ausrichtete und eine Bescheinigung der richtigen Ueberlieferung bekam, die sie der Königin brachte. Das boshafte Geschöpf stellte sich mit einemmale ganz freundlich gegen die Prinzessin, und ließ sie wieder bei sich erscheinen. Im Stillen ließ sie aber im Garten ein ungeheures Loch graben, wohl hundert Klafter tief. Eines Tages ging sie mit dem ganzen Hofe und der Prinzessin im Garten umher und auch zu dem Loche, welches sie mit einem großen, großen Stein hatte zudecken lassen. Ich möchte nur wissen, sprach sie, was doch unter diesem Steine seyn mag. Die dienstfertigen Hofleute sprangen sogleich herzu, ihn aufzuheben und bei Seite zu schaffen, doch kaum war er fort, als die Königin Graziose hineinwarf, daß sie in den Abgrund stürzte, und den Stein wieder auf die Oeffnung zu thun befahl. Doch die Prinzessin kam wohlbehalten, wie von unsichtbaren Händen getragen, hinab, und kaum war sie unten, als das Loch sich erweiterte; es entstand eine Thüre, die in einen herrlichen, erleuchteten Garten führte. Graziose eilte geschwinde hinein. Da erblickte sie die Pathe [55] Amaranthe und warf sich in ihre Arme. Die Fee führte sie in einer Wolke von Rosenduft herauf, und geradeswegs zum Könige. Wenn du, sprach sie, zu furchtsam bist deine Gemahlin für ihre Schandthaten zu strafen, so muß ich es thun. Darauf befahl sie die boshafte Königin in dasselbe Loch zu stürzen, in welches sie Graziosen warf. Der Stein ward darauf gethan, und ein lautes Freudengeschrei erhob sich, daß das Ungeheuer aus der Welt war. Graziose aber lebte wieder froh und glücklich.

Die ungehorsamen Mäuschen.

Die Mäuschen schmauseten so gern
Konfect und Zuckerwaaren;
Und, merkten Süsses sie von fern,
Gleich liefen sie in Schaaren,
Aus allen Löchern flink herzu,
Um schnell davon zu naschen;
Und flüchteten sich auch im Nu,
Wenn man sie wollte haschen.
[56]
Die Mutter sprach: »es thut nicht gut
Das allzuofte stehlen;
Der Mensch, so sorglos er auch thut,
Weiß seine Zeit zu wählen.
Drum rath ich euch, nascht nur mit Maas,
Daß es ihn nicht verdrieße.
Treibt nicht zu weit, noch arg, den Spaß,
Und meidet mir das Süße.«
Doch ach! die Mäuschen hörten nicht
Auf ihrer Mutter Lehre,
Die ihrer Naschsucht widerspricht,
Daß sie sie nicht bethöre.
Sie schmausen in dem Zuckerbrod
Ein Gift, für sie verborgen.
So fanden alle schnell den Tod
Ach, schon am andern Morgen.

Strafe und Besserung.

Friederike war nicht bloß genäschig, sie läugnete es sogar, selbst wenn sie beim Naschen erwischt wurde.[57] Sie aß verstohlen Kirschen, daß ihre Lippen blau waren, aber sie versicherte dennoch, sie wisse gar nicht wovon sie eigentlich gefärbt wären. So kam es denn, daß Niemand es glaubte, wenn sie die Wahrheit sprach. Da ward sie oft empfindlich und weinte, daß man ihr keinen Glauben beimaß; aber sie bedachte nicht, daß sie selbst daran Schuld war, daß jedermann allen Glauben an ihre Worte verlor. So ward sie gefährlich krank, und ihre veränderte Gesichtsfarbe, ihr Uebelbefinden, ward sogleich von ihren Eltern bemerkt, die sie fragten, ob ihr etwas fehle. Kurz vorher hatte Friederike, nach ihrer häßlichen Gewohnheit, heimlich Obst genossen, welches noch nicht gehörig gereift war. Aus Furcht, man möchte die Ursache ihrer Unpäßlichkeit gewahr werden, läugnete sie diese und versicherte dreist, ihr fehle gar nichts. Ein Brechmittel wäre ihre nothwendig gewesen, und hätte ihr, wenn sie aufrichtig gewesen, viele Schmerzen und Leiden erspart. Da sie aber so lange bis die Krankheit schon einen hohen Grad erreicht hatte, schwieg, ward das Uebel schlimmer, und es entstand ein bösartiges Nervenfieber daraus. Endlich ward sie besser; da sie aber nicht dem Arzte folgte, sondern heimlich manche Speise aß, die ihrer geschwächten Gesundheit schaden mußte, bekam sie einen Rückfall ihrer Krankheit, [58] der sie Monate lang ans Bette und Zimmer fesselte. Jetzt erst sahe sie es ein, wie sehr sie sich durch ihre Genäschigkeit und ihr Läugnen geschadet hatte, und bemühte sich diese böse Gewohnheiten abzulegen. Noch lange nachher hatte sie aber die Kränkung zu erdulden, daß, wenn sie etwas sagte, jedermann das Gesagte in Zweifel zog, und daß man die Schlüssel der Speisekammer sorgfältig aufhob, damit Friederike nicht dazu konnte. Doch, da sie nun mit doppelten Kräften dahin strebte, diese bösen Fehler gänzlich abzulegen, gelang es ihr endlich nach langer Zeit und vieler Mühe, das Zutrauen ihrer Eltern und Anderer wieder zu erhalten.

Abendlied.

Brüderchen, am Wasserfall
Singt die kleine Nachtigall,
O, so schöne Lieder!
Käfer schwirren hier und dort
Summend her und weiter fort,
Immer hin und wieder.
[59]
Schnepfen ziehen pfeifend her
Durch der Lüfte blaues Meer,
Ueber Busch und Haine.
Mücken spielen froh und leicht;
Sternen flimmern matt gebleicht
Nur mit mildem Scheine.
Munter rauscht der kleine Bach,
Manches Blümchen folgt ihm nach,
Das hinein gefallen.
Meine Augen sinken zu,
Gute Nacht und süsse Ruh
Liebe Nachtigallen!
Wenn der Morgen wieder graut
Und die Fluren, sanft bethaut,
Hell im Lichte strahlen,
Laß ich fröhlich Schlaf und Traum,
Seh wie Blümchen, Blatt und Baum,
Schön und hell sich mahlen.

[60] Die Kinder am Sarge der kleinen Schwester.

Schwesterchen, wie schläfst du lange!
Wenn erwachst denn endlich du?
Wie ist dir so bleich die Wange
Und so fest das Aeuglein zu!
Steh doch auf! – die Mutter schmückte
Dich mit Blumen, o so schön!
Und ein neues Bettchen schickte,
Dir der Schreiner. – Mögst's nicht sehn?
Mütterchen ach! weint schon lange
Und erzählt uns gar nichts mehr.
Und uns Kindern ist so bange,
O, so komm doch Du nur her!
Hast wohl an ein schönes Kleidchen,
Doch beschmutzen wir dir's nicht:
Spielen Hochzeit, du bist's Bräutchen.
Hör! gefällt dir denn das nicht? –
[61]
Vater spricht: wir sollen gehen
Und dir sagen gute Nacht,
Weil wir lange dich nicht sehen,
Bis du wieder aufgewacht.
Gute Nacht! und noch ein Küßchen.
O! wie bist du doch so kalt!
Schlaf und träume noch ein bischen,
Und erwache ja recht bald!

Der Pomeranzenbaum und die Biene.

Ein Mährchen.


Es gab einmal einen König der seine Gemahlin und seine Kinder (er hatte deren nur zwei), sehr zärtlich liebte. Um ihnen ein Vergnügen zu machen, verordnete er einst eine Wasserfahrt, an welcher der ganze Hof Antheil nehmen sollte. Die Schiffe waren mit schönen Flaggen, welche im Winde weit umher flatterten, geziert. Ueberall auf dem Verdeck waren schöne Teppiche [62] ausgebreitet, und auf diesen lagen seidne Polster; um bequem da zu sitzen. Eine Menge Musikanten waren in kleine offne Fahrzeuge vertheilt, welche die größern umgaben, und weit umher konnte man die Töne ihrer Instrumente hören. Die Kinder waren sehr vergnügt und fröhlich und die Eltern freuten sich ihrer Kleinen Fröhlichkeit. So schön das Wetter, so heiter der Himmel war, so bemerkten doch die erfahrnen Schiffer, daß es nicht rathsam sei, sich allzuweit in die See hinein zu wagen, daß es vielmehr besser wäre, bald wieder an das Land zu gehen. Ein dumpfes Brausen im Meeresgrunde warnte sie, als ein Vorbote des Sturms, und am Himmel zogen einzelne Wölkchen herauf, die endlich sich zu einer großen Wolke vereinten. Unglücklicherweise eilte man aber mit der Rückkehr nicht so sehr, als es nöthig war; der Sturm erhob sich mit Gewalt, einige der Schiffe wurden von den andern getrennt, und tief ins Meer getrieben, und nur mit Noth entkamen die andern der Gefahr und liefen ohne Schaden in den Hafen ein. Die kleine dreijährige Prinzessin befand sich mit ihrer Oberhofmeisterin und ihrer Amme auf einem der verlornen Schiffe und der Schmerz ihrer Eltern über ihren Verlust und wahrscheinlichen Tod, war ohne Grenzen. Der Sturm trieb indessen das Fahrzeug, [63] auf welchem die Kleine war, weit, wie ins Meer hinein, und warf es endlich auf den Strand eines entfernten Landes, und mit so großer Gewalt, daß es ganz auseinander ging, und, die kleine Prinzessin ausgenommen, ertranken Alle die darauf waren. Das Kind, welches in seinem kleinen Bette schlief, ward mit diesem von den Wellen höher herauf ans Land gespült. In diesem Lande lebte ein böser Riese mit seiner eben so bösen, und eben so häßlichen Frau, die auch, wie er, von einer ungeheuren Größe war. Beide aßen gerne Menschenfleisch und ihre Kinder ahmten ihnen darin nach. Unholde, so hieß die garstige Riesin, fand die Wiege mit der Kleinen am Ufer. Aha! rief sie, grinsend vor Freude, da finde ich ja einen allerliebsten kleinen Braten, und so nahm sie das Kind mit dem Bettchen in ihre große Hand und trug es nach ihrer Höhle. Die kleinen Popanze, das waren ihre Kinder, und ihr Mann, der große Popanz, kamen ihr voll Neugierde entgegen, und der Vater hatte nicht üble Lust die kleine Rosa auf der Stelle zu verschlucken, die Kinder aber baten, sie ihnen noch ein wenig als ein Spielwerk zu lassen, und so kam sie noch mit genauer Noth, diesesmal, mit dem Leben davon. Bald gewöhnten sich die jungen Popanze so sehr mit Rosen, die sehr artig und munter war, zu [64] spielen, daß sie sie verstecken und verbargen, wenn die Eltern einmal Miene machten, sie endlich verspeisen zu wollen. So wuchs sie bis in ihr zwölftes Jahr heran, und ihr größter Kummer war der, daß sie oft sehen mußte, wie der Popanz und die Unholde mit ihren Kindern nach einem Sturme auf die armen Schiffbrüchigen, die sich noch zuweilen ans Ufer retteten, lauerten und sie dann fingen und verzehrten. So saß sie einmal am Strande und betrachtete die schäumenden Wogen, als sie etwas heran schwimmen sah. Bald trugen es die Fluthen auf den Strand und sie lief hinzu, da sie sahe, daß es ein Leichnam war. Sie zog ihn, obschon mit vieler Mühe und Anstrengung, ins Trockne herauf; in den brennenden Schein der Sonne, und durch ihre Strahlen erwärmt, erwachte der Scheintodte, der noch nicht lange im Wasser gelegen war. Rosa war voll Freude über seine Wiederbelebung, und voll Angst, daß nicht jemand von der Popanzischen Familie dazu käme, ehe sie ihn in Sicherheit gebracht hatte. Sie führte ihn zu einer verborgenen Höhle und brachte ihm heimlich Früchte, Fische und Krebse. Der Gerettete war nur wenige Jahre älter als Rosa. Obgleich sie, seitdem sie hier war, ihre Muttersprache nicht wieder hatte sprechen hören, so war ihr doch noch eine [65] dunkle Erinnerung derselben geblieben, und sie begriff sie bald, und konnte sich nach einigen Monaten schon wieder deutlich und verständlich in derselben ausdrücken. Sie zeigte ihrem neuen Freunde ihr kleines Bette, ihre Kleider und andere Kleinigkeiten, die sich einst bei ihr befanden, und mit Entzücken entdeckten beide, daß sie Geschwister waren. Der Prinz konnte sich noch deutlich erinnern, wie der entsetzliche Sturm sein kleines Schwesterchen mit ihrem Schiffe fortriß, und malte ihr den Schmerz der armen Eltern, über ihren Verlust, so deutlich aus, daß Rosa fast in Thränen zerfloß. Beide beschlossen nun, sobald als möglich zu entwischen und in ihre entfernte Heimath zu eilen.

Nach der gewöhnlichen Art der jungen Prinzen, sich, ehe sie selbst zur Regierung gelangen, in der Welt umzusehen, um durch Reisen und Erfahrungen klüger und weiser zu werden, war auch Rosens Bruder zu Schiffe gegangen, als der Sturm allen Unternehmungen ein Ziel setzte und ihn das Schicksal seiner Schwester theilen ließ. Rosa hatte die Bemerkung gemacht, daß ein kleines weißes Stäbchen, welches sich in der Höhle Popanzens befand, sehr wunderbare Kräfte besaß, und ihre erste Sorge war nun die, sich desselben zu bemächtigen. Es gelang ihr, und als am Abend sich Alle niederlegten [66] um zu schlafen, warf sie eine Bohne in die heisse Asche auf dem Heerde, berührte sie mit dem Stabe und sprach: »Im Namen der Fee Trusco gebiete ich dir für mich zu antworten, bis du verbrennt bist.« Dann führte sie ein Kameel, das sich in der andern Höhle befand, heraus, setzte sich mit ihrem Bruder darauf, und muthig traten beide nun ihre Reise an. Nach einer Weile erwachte die Unholdin. Rosens Platz war leer, und sie rief sie laut. Die Bohne antwortete: »ich komme sogleich.« – Nach einer Stunde vermißte sie sie abermals und schrie noch lauter als vorher. Etwas matter entgegnete die Bohne sie werde gleich da seyn. Abermals und schon als der Morgen dämmerte, erwachte die Riesin und schrie, daß die andern davon aus dem Schlafe auffuhren, nach Rosen; aber die Bohne war verbrannt und konnte nicht mehr antworten. Fort waren Rosa, der Stab und das Kameel. Wüthend schrie Popanz: meine Meilenstiefel her! Er zog sie an und mit jedem Schritte legte er eine Meile zurück. Es konnte nicht fehlen, daß er auf die Fliehenden stieß, da er nicht gerade aus, sondern nach allen Richtungen sie verfolgte. Rosa gewahrte ihn noch zum Glück bei Zeiten. Sie verwandelte das Kameel in einen See, ihren Bruder in einen Rachen, und sich in ein steinaltes Mütterchen [67] in demselben. He! alte Hexe! schrie Popanz, hast du nicht ein junges Mädchen auf einem Kameel gesehen? – O ja, gnädiger Herr, entgegnete sie, aber sie nahm den Weg dort zur Linken. Popanz setzte ihr nach, die Reisenden nahmen unterdessen ihre Gestalt wieder an und gaben dem Kameel die seinige, dann eilten sie zur Rechten weiter. Sie waren sehr auf ihrer Hut, und so entdeckten sie auch in der Ferne den zurückkehrenden Popanz. Schnell war der Prinz zu einer so ungeheuer großen Säule, daß der Riese nicht hinauf langen konnte, und so, vor seinem Apetit sicher, stand Rosa als Zwerg auf der Spitze der Säule; das Kameel war in einen Stein umgewandelt. Sie versicherte auf die Fragen, sie betreffend, mit großer Zuversicht, das junge Mädchen mit dem Kameele sei zur Linken fortgeritten, und Popanz kehrte wieder um; da er aber nichts fand, ward er verdrüßlich und kehrte nach seiner Höhle zurück. Die Frau Unholdin nahm es sehr übel auf, daß er so leer zurückkehrte. Augenblicklich zog sie die Meilenstiefel an und begab sich auf die Reise. – Wir sind verloren! rief Rosa, wenn sie nur den geringsten Argwohn hat, und eilig ward der Prinz zur Biene, die Prinzessin ward ein Pomeranzenbaum und das Kameel ein Strauch. Die Riesin ging getäuscht vorüber, [68] aber unglücklicherweise nahm ein Vorübergehender das Stäbchen in Gebüsche wahr und ging damit fort. Wie betrübt waren nun die Beiden! So mußte sie nun zeitlebens ein Baum und eine Biene bleiben. Wie ließ sich jemals eine Entzauberung hoffen? Viele bewunderten den herrlichen Baum und wollten Blüthen davon brechen, das gab aber die Biene nicht zu, sondern stach die kühnen Räuber herzhaft, daß sie ihren Vorsatz nicht ausführen konnten. Die Biene verliert beim Stechen ihren Stachel und findet so ihren Tod, bei dieser verzauberten war es aber, wie es sich versteht, anders, das Stechen schadete nur dem Gestochenen. Bald verbreitete sich das Gerücht von dem so wunderbar beschützten, schönen Baume weit umher aus, und eine benachbarte Prinzessin, der es auch zu Ohren kam, beschloß, sich von der Wahrheit zu überzeugen, und, um vor den Stichen der Biene in Sicherheit zu seyn, hüllte sie und die sie begleiteten sich in lederne Kappen und Larven ein, und verwahrten die Hände in die Handschuh. Vergebens strebte der arme Prinz seine Schwester zu schützen, muthwillig brach die Prinzessin einen kleinen Ast voll Blüthen vom Baum, aber, o Wunder! helles rothes Blut floß aus der Wunde. Wie bereuete nun die erschrockne Prinzessin ihren Raub, denn jetzt war es [69] ihr offenbar, daß ein Zauberer im Spiele war. Sie ließ sogleich eine Menge Feen zu sich bitten, und bat sie dringend eine Entzauberung zu bewirken. Zum Glücke war die Fee Trusco unter den Geladenen, und da sie in ihrem Namen verwandelt waren, konnte sie den Verzauberten sogleich ihre wahre Gestalt wieder geben. Voll freudigen Entzücken warfen sie sich der guten Fee zu Füßen und weilten dann noch einige Tage im Pallaste der liebenswürdigen Prinzessin. Rosa hatte zwar in dem Ast ihren kleinen Finger verlohren, doch heilte die Erretterin sie durch ihre Macht sogleich und brachte dann die Geschwister in ihren, mit Schwänen bespannten, goldenen Wagen durch die Luft zu ihren Eltern, die vor Freuden ausser sich waren. Die Unterthanen freuten sich auch ihren geliebten Prinzen wieder zu haben und mit ihm die kleine liebenswürdige Prinzessin.

[70] Charade.

Ein Glied, das unentbehrlich dir,
Sind meiner Silben ersten beide.
Die Dritte dient zum Schutz – zur Zier.
Von Filz ists oft, oft Stroh und Seide.
Das Ganze kann der Schneider nicht,
Es könnens nicht die Frauen missen.
Wenn auch das Aeußre nichts verspricht,
Sind sie's zu haben doch beflissen.

Fritzens Wanderschaft.

Fritz war ein verzärteltes Muttersöhnchen, das den ganzen Tag hinter dem Ofen hockte. Wenn er zur Schule ging, kleidete er sich so warm an, als ob er eine weite Reise machen müsse, ging recht bedachtsam, um an keinen Stein zu stoßen, lernte nicht eben viel, [71] um nicht durch Anstrengung seiner zarten Gesundheit zu schaden, und fand in der rauhen Witterung, im Winter, wie bei Regenwetter im Sommer, einen Vorwand zu Hause zu bleiben. So wuchs er unwissend und weichlich heran, lernte bei seinem Vater, der ein Schneider war, dessen Handwerk, und beschloß endlich, als er erwachsen war, nach vielen Zureden seiner Kameraden, auf die Wanderschaft zu gehen. Je näher der Tag der Abreise heran rückte, desto bänglicher ward Fritzen zu Muthe, und als der gefürchtete Zeitpunkt nun gekommen, der Bündel gepackt und geschnürt war, konnte er sich kaum fassen vor Schluchzen. Endlich marschirte er doch ab, sahe aber von Zeit zu Zeit nach der Heimath um, wo er so bequem und müssig gelebt hatte, und nun sollte er so im Staube und in der Hitze wandern, und dazu die magere Kost! nein, das war zu arg. Und alles ermahnte ihn zur Rückkehr. Die Schwalben zwitscherten: wohin? wohin? kehre wieder! kehre wieder! – Er horchte: »Und sie haben nicht unrecht.« – Die Frösche quakten: Ach! Ach! Ach! – Fritzchen kamen die Thränen in die Augen. So wanderte er trübseelig einige Tage hindurch, da kam er an eine hohe Bretterwand, die einen Garten umzäunte. Plötzlich fiel es ihm ein, da er keine Thüre erblickte, daß er [72] gehört, das Ende der Welt sei mit Brettern vernagelt. Gottlob! rief er fröhlich über diese Entdeckung aus, nun kann ich umkehren, denn weiter kann ich nicht, und sogleich zog er heim. Alles wunderte sich im Orte über seine baldige Zurückkunft. Ich bin weit herum gezogen, erwiederte Fritz, aber das Reisen ist eine traurige Sache. So kam ich bis ans Ende der Welt, und da mußte ich, natürlicher Weise, wieder umwenden.

Der Knabe und der Kukuk.

Der Knabe.

Niemals, Kukuk, rufest du
Mehr als deinen eignen Namen,
Und doch horcht dir jedes zu,
Wie die Herren, so die Damen.
Kukuk.

Meiner rauhen Stimme Ton,
Kann zum Singen sich nicht biegen;
[73]
Doch, im Rufen kann ich schon
Ueber viele Vögel siegen.
Weil ich gar nichts Bessres weiß,
Bleib ich bei der alten Weise,
Und doch lauschet man mit Fleiß,
Wie ich selbst mich immer preise.
Immer macht des Schwätzers Mund,
Uns schon längst bekannte Sachen,
Mit Beredsamkeit noch kund,
Wenn wir, was er spricht, belachen.

Die Haselnüsse.

Ein Mährchen.


Eine Frau hatte drei Töchter, die, als sie starb, noch sehr jung waren. Auf ihrem Todtenbette ermahnte die Sterbende sie zum Fleiße, zur Häuslichkeit, zur Eintracht. Sie versprachen ihr alles, was sie verlangte,[74] und folgten auch in der ersten Zeit ihren Verordnungen. Doch nicht lange, so vergaßen die beiden ältesten Schwestern der mütterlichen Lehren, wurden eitel, putzten sich den ganzen Tag, gingen spazieren und überließen die häuslichen Verrichtungen und Geschäfte der Jüngsten von ihnen. Elmine war gut und fleißig, und folgte den Ermahnungen der Mutter; so ward es ihr nicht lästig das Hauswesen zu besorgen und alles in Ordnung zu erhalten. Nur war sie betrübt, daß die Schwestern die schönsten Kleider und Sachen für sich behielten, und sie in grobem Zeuge sich kleiden und allein zu Hause bleiben mußte, wenn sie lustig umher zogen. Dazu ihr unfreundliches, hartes Betragen, gegen Elminen, die sie gar nicht liebten. Eines Abends kam eine alte, arme Frau zu ihnen, und bat um etwas Brod und ein Nachtlager. Die beiden Aeltesten wiesen sie hart zurück, Elmine aber bat für sie, und mit Mühe gelang es ihr, es dahin zu bringen, daß die Arme herein gelassen ward und etwas zu essen bekam. Sie theilte ihr Lager mit ihr, und als die Frau am andern Morgen das Hauß verließ, schenkte sie einer jeden eine Haselnuß. Verächtlich warfen die ältern Schwestern das armselige Geschenk auf die Erde, von der es die Alte schweigend aufnahm, und nun [75] Elminen alle drei Nüsse gab. Sie spöttelten noch lange darüber, und wünschten der Jüngern Glück zu dem unermeßlichen Geschenke. Nach einiger Zeit entstand eine Theurung, die so groß war, daß viele Leute aus Hunger starben, und viele in die äusserste Noth geriethen. Elmine spann so fleißig als möglich, es war aber Niemand da, der das Garn kaufen wollte, weil Niemand Geld hatte. Die ältern Schwestern hatten auch etwas gesponnen, und befahlen Elminen, alles vorräthige Garn weit, weit in eine ferne Stadt zu tragen, und dafür Brod heim zu holen. Sie machte sich auf den Weg dahin, und da sie hörte: die Königin kaufe gern sehr feines Garn, wie das ihrige auch wirklich war, so ging sie in den Pallast und bot es dort an, die Diener aber sprachen lachend, dein Garn ist zu grob; die Königin kauft nur solches, das so fein ist, daß hundert davon gewobene Ellen Leinwand in eine Haselnuß gehen. Betrübt kehrte Elmine zurück, und war schon am Thore der Stadt, als sie vor Hunger und Müdigkeit nicht weiter konnte. Da fiel es ihr ein, eine der Haselnüsse, die sie einst bekam, zu essen. Sie zog sie aus ihrer Tasche, öffnete sie, und siehe da, ihr entgegen quoll die schönste Leinwand, die so fein wie das Gewebe der Spinne und blendend weiß, wie frischgefallner Schnee, [76] war. Sie bedeckte sie mit ihrer Schürze, und durch die Freude gestärkt, kehrte sie ins Schloß zurück, mit ihrem Schatze. Die Königin, hoch erfreut über das köstliche Gewebe, gab ihr eine Menge von Goldstücken. Elmine kaufte sich so viel Brod, als sie nur tragen konnte, und kehrte zurück, reich beladen. Die Schwestern waren indessen fast vor Hunger gestorben, und schalten das arme Mädchen, daß es so lange ausgeblieben war; dann nahmen sie ihr alle Goldstücke weg und kauften sich schöne Sachen. Das Gold war nun fort, das Brod gegessen, und die Theurung noch groß. Elmine hatte bei der Königin eine Menge kleiner, schöner Hündchen gesehen, und es nachher den Schwestern erzählt. Nun verlangten diese, sie solle wieder nach der fernen Stadt gehen, und ihr kleines, weißes Hündchen, das sie sehr liebte, der Königin verkaufen. Die arme Elmine mußte gehorchen, und machte sich traurig mit ihrem kleinen Liebling auf den Weg. Bei ihrer Ankunft im Pallaste zeigte sie das Hündchen und bot es zum Verkauf an. Die Diener sprachen: die Königin hat viel schönere und kleinere Hündchen. Bringe eines, das so klein ist, daß es in einer Haselnuß Platz hat, so kauft sie es gewiß. Betrübt schlich sie fort, und kraftlos vor Hunger. Sie kam nicht weit, als [77] ihr die Nüsse einfielen. Sie öffnete eine derselben, und siehe da! ein Hündchen lag auf Baumwolle darin, und als sie es ans Ohr hielt, hörte sie es bellen. Sie wendete eiligst um und brachte der Königin die Nuß mit dem Inhalte. Diesesmal bekam sie noch weit mehr Gold, kaufte viel Brod, und kehrte heim. Die bösen, leichtsinnigen Schwestern nahmen ihr aber alles weg und vertändelten das viele Gold, so daß sie in Kurzem nichts mehr hatten. Als die Noth wieder sehr groß war, befahlen sie Elminen, abermals in die Stadt zu gehen, und da sie nichts anders hatte, sollte sie der Königin die Haselnuß anbieten. Traurig ging sie fort, und als sie bei ihrer Ankunft die Nuß zeigte, fragten die Diener sie, ob in derselben vielleicht ein ganzer Wald von Nußbäumen sei, denn ihre Königin hätte an einer Nuß nicht genug. Bestürzt über diesen Spott ging sie fort, als die Königin sie aus dem Fenster erblickte, und zurück rief. Sie zeigte ihr die Nuß und bat sie, sie ihr abzukaufen. Lächelnd sprach die Königin: mein Kind, ein Nußkern ist ein kleines Ding, doch ist er schön, so sollst du ein Goldstück dafür haben. Elmine öffnete sie geschwinde, und siehe, welch ein Wunder! Der Kern rollte auf die Erde, eine Menge anderer Kerne kamen aus ihm heraus, die alle Wurzel [78] faßten, schnell entstanden Bäumchen, dann große Nußbäume, die sich mit Blüthen bedeckten, die Blüthen verschwanden, und in einigen Minuten waren alle mit den herrlichsten Haselnüssen überdeckt. Erstaunt über das nie erhörte Wunder, blickten alle sprachlos hin; dann fragte die Königin, wo sie diese wundervolle Nuß bekommen? – Elmine erzählte ihre ganze Lebensgeschichte, und daß die Nüsse ein Geschenk von einer alten Frau wären. Die Königin verbot ihr zu ihren Schwestern heimzukehren; da aber Elmine sehr darum bat, erlaubt sie es ihr, ihnen Brod zu bringen. Das that sie auch sogleich; weil aber die bösen Furien damit nicht zufrieden, noch Gold verlangten, kehrte sie zur Königin heim, die ihr herrliche Geschenke machte, und sie bald so lieb gewann, daß sie sie, da sie selbst keine Töchter hatte, an Kindesstatt annahm. Die bösen Schwestern mußten nun selbst arbeiten, da Niemand es für sie that; aber träge, wie sie es waren, schien ihnen das kleinste Geschäft eine unerträgliche Last, und sie führten ein unzufriednes, trauriges Leben, in Mangel und Dürftigkeit, indeß ihre jüngere Schwester so glücklich war.

[79] Unermüdete Beharrlichkeit.

Unermüdete Beharrlichkeit. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Gottlieb war von Jugend auf ein fleißiger, gutmüthiger Knabe. Sein Vater war ein Landpfarrer, der bei einer höchst geringen Einnahme, mit vielen Kindern, und einem kränklichen Körper, ein kummervolles Leben führte, und seine Kinder waren bei seinem frühzeitigen Tode noch nicht im Stande sich selbst fortzuhelfen. Die Wittwe bezog eine kleine Wohnung im Dorfe und lebte in großer Dürftigkeit. Gottlieb, der erst das zehnte Lebensjahr zurückgelegt hatte, liebte das Landleben, und wünschte nichts so sehnlich, als nur einst ein kleines Häuschen und einen Garten daran, sein Eigenthum heißen zu können, und als er älter und verständiger ward, fing er an über die Mittel nachzusinnen, die ihn zu seinem Zwecke führen könnten. Er mußte zuweilen in die Stadt gehen, um seiner Mutter etwas einzukaufen, da fand er denn, daß die Eyer und Hühner sehr gut bezahlt wurden. Geschwind kam ihm ein Einfall in den Sinn, der ihn zwar an Gellerts bekannte Fabel vom Gretchen und ihren Eyern erinnerte, doch ließ er sich nicht irre machen, im Gegentheil, er strebte sein [80] Vorhaben desto vorsichtiger zu beginnen und auszuführen. Seine kleine Baarschaft erlaubte ihm nur ein kleines Hühnchen zu kaufen, das fütterte und zog er dann mit Sorgfalt zum Huhn auf. Das erste Ey, das er bekam, entzückte ihn so, daß er es im Triumphe herum zeigte. Er sammelte einen kleinen Schatz von Eyern, erkundigte sich genau, um welche Jahreszeit die Eyer am theuersten gekauft würden, und hub sie, bis dahin, an einem trocknen, kühlen Orte, auf. Von dem dafür eingenommenen Gelde kaufte er Gerste zum Futter, und noch einige Hühner; so gewann er auch mehr Eyer, für diese mehr Geld, und für dieses, freilich erst nach beinahe zwei Jaheen, eine Ziege. Er bot seiner Mutter die Milch derselben zum Gebrauche an, doch die gute Frau, die ihre Freude an seinem Fleiße und seiner Bedachtsamkeit hatte, nahm sein Anerbieten nicht an, und überließ ihm den Nutzen den er von der Milch ziehen konnte. Der Eyerhandel ging darneben trefflich von statten, und Gottliebs Kasse füllte sich immer mehr. Dabei vernachläßigte er die Schule aber nicht, und nach derselben arbeitete er fleißig im Gärtchen der Mutter, wo es immer zu pflanzen oder zu graben, zu jäten und zu gießen gab. So konnten die Schwestern ungehindert spinnen, und er selbst half ihnen in den [81] Winterabenden bei diesem Geschäfte, spaltete das Holz, trug ihnen das Wasser, und heizte ein. Die Einigkeit, die unter dieser Familie herrschte, und der unermüdete Fleiß aller Glieder derselben, half ihnen Allen in den größten Mangeljahren durch, und setzte sie endlich, als die Kinder herangewachsen waren, in den Stand, befreit von den drückenden Sorgen der Nahrung leben zu können. Gottlieb konnte in seinem achtzehnten Jahre ein Stück Land von seinem Ersparten und Erworbenen kaufen, das er zum Garten umschuf. Das war freilich kein kleines Unternehmen, allein er hatte früher schon sich eine kleine Baumschule, in einer Ecke des mütterlichen Gärtchens, angelegt; so wurden nun die Bäumchen verpflanzt. Die zum Zaun nöthigen Materialien hatte er nach und nach schon gesammelt, es waren Pfähle, die in einer kleinen Entfernung von einander, in die Erde geschlagen wurden; den Raum zwischen diesen, füllte ein Geflechte von Zweigen, die an die Pfähle befestigt waren. Die Thüre war von Brettern, und auch von Gottliebs unermüdeten Händen verfertigt. Jedes Plätzchen ward wohl angebaut und unterhalten. Die Raupen und anderes Ungeziefer durften nicht aufkommen, und das Gemüse gab er der Mutter für seine Beköstigung; so wie er nun auch das vom Eyer und Milchhandel [82] eingenommene Geld, zu seiner Kleidung und andern Bedürfnissen anwendete, um der Mutter nicht zur Last zu fallen. Die Bäume wurden immer größer und trugen endlich Obst, das Gottlieb sorgfältig sammelte. Das abgefallene ward gedürrt, das andere frisch verkauft. Nach einigen Jahren ward noch ein Stück Land dazu genommen, und endlich war er so glücklich, auch ein Haus dazu erbauen zu können. Er heirathete die Tochter eines benachbarten Landpredigers, ein fleißiges, haushältrisches Mädchen, und hatte die Freude seiner guten Mutter und seinen Geschwistern das Leben zu erheitern. Sein Beispiel beweißt, wie ein Plan, der auch ungeheuer groß und weitläuftig scheint, glücklich ausgeführt werden kann, wenn er von der Beschaffenheit ist, daß unsre Vernunft ihn billigt, und wenn wir mit unermüdetem Fleiße und Anstrengung ihn auszuführen streben. Sind unsere Wünsche nur mäßig, und erfüllen wir unsere Pflichten, so können wir, es müßten denn ganz besondere Unglücksfälle unsre Zufriedenheit stören, nie ein elendes, mangelvolles Leben führen.

[83] Im Sturm am Winterabend.

Hu! wie er sauset,
Und schnaubet und brauset,
Der wüthige Sturm!
Wie jagt er die Flocken,
Bewegt selbst die Glocken
Am hohen Kirchthurm.
Laßt, Brüder, ihn rasen
Und schnauben und blasen,
So viel ihm beliebt.
Was scheert uns sein toben?
Wir wollen ihn loben,
Wenn fort er sich giebt.
Wir spielen und schmausen,
Und lassen ihn brausen;
Nun sei er so gut,
Geh bald er nach Hause,
In einsamer Klause,
Verschlaf' er die Wuth.
[84]
Nun fröhlich, ihr Brüder!
Und taget es wieder
Gehn wir, wie sich's schickt,
Zur Schule und lernen,
Bis wieder mit Sternen
Der Himmel sich schmückt.

Das Stäbchen.

Verändert nach einem bekannten Mährchen.


Röschen hatte nicht gesponnen, sondern war im Walde spazieren gegangen. Die erzürnte Mutter schalt und schmälte eben über den Unfleiß der Tochter, als der König vorbeiritt. Er hielt sein Pferd an, und fragte die Frau, warum sie so zanke? Spöttisch erwiederte sie: »ich schelte meine Tochter, daß sie so übermäßig fleißig ist.« Sie spinnt sich fast zu Tode. Der König erzählte das Gehörte bei seiner Zurückkunft seiner Gemahlin, und diese schickte sogleich hin und ließ das fleißige Mädchen holen und vor sich führen. Ich [85] hörte, sprach sie, daß du dich fast zu Tode arbeitest, und da ich eine Liebhaberin von feinem Garn und schönen Gewebe bin, so will ich dich bei mir behalten, da kannst du spinnen so viel du magst, mir wird es nie zu viel seyn. Röschen erschrack entsetzlich, und versicherte hoch und theuer, es sei der Mutter Ernst nicht gewesen, sie habe ihrer nur gespottet. Es half nichts, und auf Befehl der Königin, ward ihr eine ungeheure Menge Flachs und ein Spinnrad gebracht. So schön es auch war, so zerfloß doch Röschen fast in Thränen, und nun die Aeußerung der Königin, sie könne nie zu viel spinnen. Nein das war nicht auszuhalten. Sie spann und spann den ersten Tag; es sollte aber das Gespinnste so fein als das ihr zum Muster gegebene werden, so brachte sie nicht viel zusammen. Traurig schlich sie in später Abendstunde ins Wäldchen am Garten und warf sich weinend auf die Erde. O wäre ich nur wieder im Hüttchen bei der Mutter, seufzte sie, wie gerne wollte ich da spinnen; da durfte ich doch nach der Arbeit im Garten umher laufen und im Walde. Hier soll ich ewig spinnen, spinnen, und nichts als spinnen! Plötzlich stand ein garstiger Zwerg vor ihr und fragte mit einem ganz feinen Stimmchen, was ihr fehlte, daß sie so weinte? Sie erschrack anfänglich, doch [86] ward sie beherzter und erzählte ihm ihren Kummer. Wenn's weiter nichts ist, meinte er, da kann ich schon helfen, aber unter Bedingungen. Sieh hier das Stäbchen in meiner Hand, das setzt dein Rad in Bewegung und du kannst indessen spazieren gehen. Doch nur auf drei Monate bekommst du es, dann bringe es wieder an diesen Ort her. Ich nenne dir jetzt einen Namen, Gebhard, merke ihn wohl, und hast du ihn dann vergessen, so mußt du mit mir gehen. Weißt du ihn aber noch, so gehört das Stäbchen dir ganz. Röschen hüpfte hoch auf vor Freuden und empfing eiligst die willkommene Gabe. O, dachte sie, wenns weiter nichts ist! den Namen vergeß ich nicht. Fort lief sie und setzte sogleich das Rädchen in Bewegung. Es drehte sich pfeilschnell und lief die ganze Nacht fort, so daß sie am andern Tage der Königin eine ansehnliche Menge des feinsten und schönsten Gespinnes, wie das der Spinne, übergeben konnte. Ein Geschenk ward ihr dafür, sie zum Fleiße aufzumuntern. Nun ging die Sache ganz gut. Röschen konnte wieder spazieren gehen, ohne etwas zu versäumen, doch that sie das nicht immer, sondern spann auch auf einem andern Rädchen selbst, ohne Beihülfe des wunderbaren Stäbchens. Endlich neigte sich die bestimmte Zeit zu Ende und mit [87] Schrecken fand Röschen, daß sie alles Nachsinnens ungeachtet, nicht mehr den Namen des Zwerges herausbringen könne. Sie sann und sann, vom frühen Morgen bis in die Nacht, es half nichts. Nun beweinte sie ihr leichtsinniges Vergessen, aber zu spät. So vorsichtig war sie wohl, noch ein Rad durch Hülfe des Stabes in Bewegung zu setzen, und sich mit einer Menge von Garn für die Zukunft zu versorgen, wenn etwa der garstige Zwerg sich erbieten ließe, sie noch da zu lassen; doch war das eine schwache, ungewisse Hoffnung, auf die nicht viel zu bauen war. Am vorletzten Tage überbrachte sie der Königin Garn, und kaum war sie da, als der Kronprinz auch dort erschien, und seiner Mutter erzählte, er habe sich am vorigen Abende verirret, als er von der Jagd heimkehren wollte. So kam er in ein altes zerfallnes Schloß. Da es stark regnete und sehr finster war, beschloß er daselbst über Nacht zu bleiben, weil einige Thürme und Mauern ihm noch Schutz zu versprechen schienen. Er befestigte sein Pferd an den Thorring mit dem Zügel und betrat den Schloßhof. Da schimmerte ihm helles Licht entgegen. Erstaunt diese verödete Wohnung bewohnt zu sehen, ging er dahin, wo es her kam, sahe durch das Fenster, zu dem er auf einen ungeheuren Schutthaufen [88] heranklimmen konnte, in das Gemach, aus dem die Hellung kam, und erblickte mit Entsetzen und Grausen, eine große Anzahl kleiner, garstiger Zwerge, die schmausend an einer langen Tafel lustig plauderten. Sie erzählten einander ihre Schelmenstreiche und einer unter ihnen, der vorzüglich wohlgelaunt schien, sang immer:


»Morgen, morgen mußt du mit!
Morgen, morgen bist du quitt,
Meiner Wundergabe!
Gebhard heiß ich. Hopsasasa!
Morgen bin ich wieder da!
Froh daß ich dich habe.«

Der Prinz merkte das alles wohl und lauschte bis Mitternacht vorbei war. Da krähte der Hahn, die Gesellschaft fuhr husch, husch, oben hinaus, die Lichter erloschen, und Todesstille war rings umher. Beim Anbruche der Morgendämmerung verließ der Prinz das schaurige Nachtquartier, und suchte sich aus dem Dickicht zu winden. So kam er glücklich nach Hause und ging sogleich zur Königin, sie über sein Ausbleiben zu beruhigen. Röschen horchte hoch auf bei seiner Erzählung und konnte sich vor Freuden kaum fassen, als sie [89] den vergeßnen Namen nennen hörte. Sie ging, sobald als es möglich war, in ihre kleine Werkstatt und schrieb den Namen Gebhard wohl zwanzigmal auf. Am andern Abend machte sie sich getrost auf den Weg ins Wäldchen. Nicht lange so erschien der Zwerg, grinsend vor Freude. Sie reichte ihm eiligst den Stab und rief: Gebhard, hier ist dein Stäbchen! Er schnitt ein klägliches Gesicht und verschwand. Singend und hüpfend kehrte Röschen heim und ging gerade zur Königin. Da gestand sie ihr ihre ganze Begebenheit, gab ihr das Stäbchen und erbat sich dafür die Freiheit zur Mutter heimkehren zu dürfen. Voll Erstaunen horchte die Königin, dann stellte sie eine Probe an, und siehe da, Röschen hatte Recht. Sie bekam eine ansehnliche Belohnung, die dem Werthe des Stäbchens gleich war, und durfte nach Hause, wo sie von nun an, durch Angst und Schrecken gewarnt, fleißig arbeitete und nicht mehr leichtsinnig war.

[90] Die streitenden Kater.

Zwei Kater lebten Tag und Nacht
In stetem Krieg und Streite;
Und war ein schwerer Kampf vollbracht;
Was war des Sieges Beute?
Mit blut'gen Köpfen schlichen sie,
Ermüdet sich von dannen
Und ruhten bis in aller Früh,
Sie neu den Zank begannen.
Der Haushund sah verdrießlich zu,
Ihn ärgerte ihr Lermen.
»So haltet denn doch einmal Ruh!
Was hilfts euch aufzuwärmen,
Tagtäglich euren alten Brei.
Erzählet mir die Sache;
Vielleicht schaff ich noch Rath herbei,
Daß ich's zu Ende mache.«
Die Kater sannen Kreuz und Queer,
Warum sie so sich rauften;
[91]
Und sich einander hin und her,
Mit bösen Namen tauften.
Nachdenkend schlich das Pärchen fort,
Doch schon nach wenig Stunden,
Ward kämpfend an demselben Ort,
Vom Haushund es gefunden.

Das Häuschen von Zuckerwerk.

Zwei Kinder hatten sich im Walde verirret und starben fast vor Hunger und Müdigkeit. Endlich erblickten sie ein kleines Häuschen, und, o Freude! es war ganz von Zuckerwerk. Statt der Dachziegel dienten gemandelte Lebkuchen, und die Thüre und Fensterläden waren gleichfalls große braune Lebkuchen. Hurtig fingen sie an zu schmausen, und da sie von den Wänden nicht viel abnagen konnten, bestiegen sie das Dach und speiseten von den Dachziegeln. Es wohnte aber eine böse Hexe und Kinderfresserin in dem Häuschen, die, als sie das Geräusch hörte, herauskam, um zu [92] sehen, was es gäbe. Die Kinder versteckten sich noch zu rechter Zeit, da aber der Hunger und die Süssigkeit der Dachdeckung sie immer wieder zurückführte, erwischte sie das böse Weib doch, und nahm sie ohne Gnade gefangen. Aha! sprach sie, lange habt ihr von meinem Hause geschmauset, und nun schmause ich euch. Vergebens baten Gretchen und Fritz um Erbarmen. Sie wurden hinein geführt. Ach! wir sind gar nicht fett, gnädigste Frau Hexe, bat Gretchen, lassen sie uns nur noch einige Tage leben, bis wir fetter sind. Ja, ja, sprach die Alte, das laß ich mir gefallen; und so sperrte sie beide in ein Kämmerchen und fütterte sie mit Rosinen und Mandeln. Am andern Tage befahl sie Gretchen ihren Finger durch das kleine Fenster heraus zu strecken, um zu sehen, ob sie schon fett geworden sind. Gretchen steckte geschwind ein Hölzchen heraus, die Alte biß hinein und meinte sie wäre auch gar zu dürre. So gings einige Tage fort, und Gretchen täuschte sie immer so. Einmal traf sichs aber, daß die Hexe Fritzen den Befehl gab, den Finger vorzuzeigen, der es nicht that. Ei was, schrie sie, jetzt seid ihr fett genug, nur heraus, der Ofen ist gerade geheizt, und so zog sie die armen Kinder von den Rosinen und Mandeln zum Tode. Setzt euch auf die Ofengabel, befahl sie, daß ich euch [93] in dem Ofen schiebe. O gnädigste Frau Hexe, bat Gretchen, zeigen sie es nur wie man es macht. Die Alte setzte sich auf die Ofengabel. Hurtig griffen die Kinder zu, schoben die Kinderfresserin in den Ofen, daß sie verbrannte, und behielten nun das ganze schöne Häuschen von Zucker.

Die Frösche und der Krebs.

Die Frösche spotteten einst laut
Des Krebses, daß er rückwärts gehe,
Und daß sein Körper so gebaut,
Daß ihm am Kopf der Magen stehe.
Und sie genirten sich auch nicht,
Ihm ohne Scheu ins Angesicht,
Ganz dreist zu raisonnieren.
He! sieh nur unser Völkchen an,
Sieh wie wir hüpfen, wie wir singen.
Juchheisasa! dir aber kann
Auch nicht ein armer Sprung gelingen;
[94]
Bis so ein Krebs erst rückwärts kriecht,
Ist unser eins, als ob es fliegt,
Schon zehnmal da gewesen.
Nun ja! ihr hüpft so dort und hie,
Doch nur in eurem Sumpfe;
Und eure ganze Melodie,
Taugt nichts mit Stiel und Stumpfe.
Sitzt euch der Magen nicht am Kopf,
So will doch so ein armer Tropf
Auch wie ein andrer essen.
Gedenke nur, wer spotten will!
Der eigenen Gebrechen,
Und schweige, sich besinnend, still.
Nicht unverschämt zu sprechen.
Für eigne Fehler sind wir blind,
Bei Andern sehn wir sie geschwind,
Und wissen sie zu tadeln.

[95] Voreilige Nachahmungssucht und ihre Folgen.

Franz hatte sich gewöhnt alles was er sah und hörte nachzuäffen, daher bekam er auch den Beinamen, Aeffchen. Einst versuchte die Mutter eine Suppe in der Küche, um zu sehen, ob sie hinlänglich gesalzen sei. Franz, der es sahe, lief sogleich, als die Mutter fort war, herbei, schöpfte den Kochlöffel voll siedender Brühe und setzte herzhaft an. O weh! wie verbrannte er sich den Mund und die Zunge. Er schrie aus Leibeskräften, so daß Alles voll Schrecken herbeikam, um zu sehen, was es gäbe. Mehrere Tage hindurch mußte er die größten Schmerzen leiden, und konnte fast gar nichts essen. Ein anderes Mal sah er den Vater die Bäume schütteln; kaum war dieser ihm aus den Augen, als Franz auch die Bäume nach der Reihe schüttelte und sich freute, wie die Aepfel und Birnen umherflogen. Aber der Vater, der zufällig wieder zurück kam, sahe es, und Franz mußte eine Strafe leiden, da er sich mit Worten nicht warnen ließ. Die Köchin schlachtete ein Huhn. Gleich darauf lief Aeffchen hin, [96] erwischte in Ermanglung eines Huhns die Katze, und wollte ihr ohne Gnade den Hals abschneiden. Allein diese nahm es übel und biß ihn so arg in die Hand, daß er viele Wochen sie nicht gebrauchen konnte und vor Schmerzen ausser sich war. Er ward einst zum Schneider geschickt, um etwas zu bestellen, und fand diesen bei dem Zuschneiden eines Kleidungsstückes. Franz sahe lange zu und brannte vor Begierde, auch so etwas zu thun. Kaum war er zu Hause als er sich des Tischtuches, das gerade da lag, bemächtigte, und mit der Scheere zu schneiden anfing. Es bekam ihm aber übel, denn die Mutter, die dazu kam, gab ihm die Ruthe und am Mittage nichts zu essen. Dennoch ließ er sich durch so viele Warnungen und Strafen nicht belehren, und als er einst den Schornsteinfeger in den Kamin hinaufklimmen sah, machte er es ihm nach, fiel aber herunter und brach ein Bein. Da er allein war und eine Zeitlang auf der Erde liegen blieb, bis jemand dazu kam, hatte sich schon eine Geschwulst am gebrochenen Theile erhoben, die das Einrichten und Verbinden desselben erschwerte und die Kur verzögerte. Das Bein ward dadurch, da das gesunde in der Zeit bis das beschädigte heilte, fortwuchs, kürzer als das andere und Franz behielt für seine Lebenszeit einen hinkenden, schleppenden [97] Gang. Wie sehr bereute er es nun, nicht früher bei seinen Nachäffereien die Folgen derselben, vorher in Ueberlegung gezogen zu haben, und seinen Ungehorsam und Unfolgsamkeit.

Eine Mordthat durch eine Kröte entdeckt.

Selten nur bleibt eine böse That ganz verborgen und oft noch im spätesten Alter muß, der sie beging, sie büßen. Eine Frau die in einer unzufriedenen Ehe mit ihrem Manne lebte, beschloß, da sie schlecht und boshaft war, ihn aus der Welt zu schaffen, und beredete einen eben so elenden Menschen ihr in diesem Vorhaben beizustehen. Beide schlichen sich in der Nacht, als der Mann ganz sorgenlos schlief, an sein Bette, und schlugen ihm einen Nagel in den Kopf, der ihn augenblicklich tödtete; dann verbreitete sie das Haar über den Kopf des Nagels, daß er nicht zu sehen war. Am andern Morgen erhub die Frau ein großes Geschrei und rief ihre Hausgenossen zusammen, um ihnen ihren, vom Schlage getroffenen, und gleich todt gebliebenen [98] Mann zu zeigen. Da sich keine Wunde oder sonst eine Spur einer gewaltsamen Verletzung zeigte, schöpfte Niemand einen Verdacht, daß die Frau seinen Tod befördert habe. Er ward begraben, und die Wittwe und ihr Mordgehülfe heiratheten sich. Daß sie nie ein ruhiges, zufriednes Leben kannten, ist gewiß; doch lebten sie über zwanzig Jahre hindurch, dem Anschein nach, glücklich. Nach Verlauf dieser Zeit ward die Gruft, in welcher der Gemordete ruhete, geöffnet, um sie auszuräumen, weil sie zu sehr angefüllt war. Es werden dann die Gebeine derer, die schon lange gestorben sind, aus der Gruft genommen und ins Beinhaus gethan, um Platz für folgende Leichen zu machen. Die Todtengräber sahen mit Erstaunen einen Todtenkopf hin und her rollen, und als sie ihn genauer untersuchten, fanden sie eine Kröte in demselben, die durch ihre Bewegungen das Rollen des Kopfes bewirkte; aber auch einen eisernen Nagel, der tief durch die Hirnschale ins Gehirn gedrungen war, entdeckten sie. Auf die Anzeige ward sogleich eine Untersuchung angestellt, und da nach der Angabe des Kirchenbuches und der Todtengräber, die zu jener Zeit gelebt hatten, sich nicht bezweifeln ließ, wem der Kopf gehörte, wurden seine Mörder eingezogen und verhört. Ihre Bestürzung und ihre Unruhe [99] verriethen sie, und bald gestanden sie ihr Verbrechen ein, das nach den Gesetzen mit dem Tode bestraft ward.

Die guten Kinder.

In einer großen Handelsstadt lebte einst ein Kaufmann, den jedermann für den Reichsten in der Stadt hielt; denn seine Geschäfte waren groß und weit ausgedehnt, und er und seine Familie lebten auf eine glänzende Weise, das heißt, sie bewohnten ein schönes Haus, das mit dem schönsten Hausgeräthe und Meubeln reich versehen war, hielten eine prachtvolle Equipage und eine offne Tafel für jeden noch so entfernten Bekannten; die vielen Abendzirkel nicht zu gedenken, die wöchentlich mehrere Male bei ihnen nicht fehlen durften. Aber durch diesen unmäßigen Aufwand und durch Unglücksfälle, die den Kaufmann treffen können, kam es dahin, daß der Bankerott ausbrach (daß Schulden da waren und das Vermögen fort war). Die Gläubiger drangen auf Befriedigung; so ward also das Haus mit [100] allen den schönen Sachen die es enthielt, und die herrliche Equipage weggenommen und verkauft. Der Kaufmann ward aus Kummer und Verdruß krank und starb, und seine Wittwe zog mit ihren Kindern in ein kleines Landstädtchen, das nicht viel besser als ein Dorf war. Weil alle Lebensmittel, die Hausmiethe und das Holz, in demselben in geringem Preise standen, wählte sie den Ort zu ihrem Aufenthalt, in der Hoffnung, hier mit ihren Kindern von ihrer kleinen Einnahme leben zu können. Die gute Frau verstand aber gar nichts von der Haushaltung, weil sie sich, von Jugend auf im Ueberflusse erzogen, nie um die Küche noch sonst etwas bekümmert hatte. Eine Magd konnte sie nicht halten, sie selbst konnte nicht kochen, und so ward sie durch die schlecht bereiteten Nahrungsmittel bald kränklich und mußte fast immer das Bette hüten. Die älteste Tochter, Lisette, hätte nun, da sie schon das dreizehnte Jahr zurückgelegt hatte, sich bemühen sollen, durch Fleiß und Thätigkeit ihrer Mutter das Leben zu erleichtern; aber leider war auch sie schon zu verwöhnt und weichlich. Ihre traurige Lage, die so auffallend von der vorigen Lebensweise abstach, machte sie übellaunicht und verdrüßlich. Sie vergoß unnütze Thränen, statt alle ihre Kräfte anzustrengen, sich die Last der Armuth und der Dürftigkeit [101] zu erleichtern. Eben so machte es Karl, der älteste Sohn, der in der Stadt geblieben war, um die Handlung im Hause eines Verwandten zu erlernen. An ein unmäßiges Taschengeld gewöhnt, das er vernaschte und vertändelte, konnte er sich gar nicht darin finden, jetzt nur eine geringe Kleinigkeit zu seinem Vergnügen zu erhalten und nicht, wie ehemals, mit jedem Monate ein neues Kleidungsstück zu bekommen. Er bestürmte seine ohnehin schon leidende Mutter mit klagenvollen Briefen, und war unverschämt genug, ihr noch mehr Geld abdringen zu wollen, als sie ihm mit der größten Noth schicken konnte. Gottlieb, der kaum zehn Jahre zählte, und die neunjährige Emilie, waren anfänglich auch über diese Veränderungen betroffen, doch ergaben sie sich bald in ihr Schicksal. An ihrem kleinen Hause war ein Gärtchen befindlich, welches sie auch anbauen durften, das aber den ersten Sommer unbenutzt blieb, weil Niemand ihn anzubauen von ihnen verstand. Gottlieb sahe seine kleinen Schulkameraden in ihren Gärten beschäftigt, und hörte sie berechnen, wie viel Kartoffeln und Kraut und Gemüse sie bauen könnten, und sogleich beschloß er das Gärtchen umzugraben, und darin auch zu säen und zu pflanzen, und Emilie stand ihm in diesen kleinen Geschäften bei. Sie goßen und jäteten [102] fleißig, und waren entzückt alles so wohl gedeihen zu sehen. Aber, sprach Emilie, ich muß nun auch das Kochen lernen, um selbst unser Gemüse zubereiten zu können. Gesagt, gethan. Das flinke Mädchen lief zu ihren kleinen Freundinnen, die auch schon ihren Müttern hülfreiche Hand leisteten, und gab genau Achtung, wie sie es machten; dann sparte sie ihre kleine Baarschaft, die sie durch den Verkauf einiger selbst gezognen Blumen, die sie bei Gelegenheit den in die Stadt gehenden Leuten mitgab, vergrößerte, und kaufte sich ein Kochbuch. Da sie sich Mühe gab alles ordentlich zu machen und keine Speise zu versalzen oder anbrennen zu lassen, so konnte die Mutter nun auch mit Appetit essen und ihre Gesundheit besserte sich. Der Fleiß und die Thätigkeit ihrer jüngern Kinder, ersetzte ihr den Schmerz über das Betragen der beiden ältern und sie bereute es nun bitter, diese durch eine weichliche, träge Lebensweise verzärtelt und zu unnützen Geschöpfen erzogen zu haben. Wenn Emilie im Winter schon an ihrem Spinnrocken saß, und Gottlieb bei seinen Büchern, dehnte sich Lisette noch im Bette und stand verdrüßlich und zänkisch erst lange nachher auf. Gottlieb, den jedermann im Städtchen gut war, unterrichtete nach seinen Schulstunden jüngere Kinder und sammelte das [103] Geld das er dafür empfing, sorgfältig, so daß er, als er sein achtzehntes Jahr erreicht hatte, sich getraute ein ganzes Jahr von seiner kleinen Baarschaft auf der Universität leben zu können. Er ging also nun aus dem Hause der Mutter in eine benachbarte Stadt, um seine Studien anzufangen und gab auch dort Stunden in mancherlei Wissenschaften, so daß er von dem Wenigen, das die Mutter ihm von Zeit zu Zeit senden konnte, und von dem Ertrage seines Fleißes einige Jahre hindurch studierte. Er hatte die Arzneikunde gewählt, bestand wohl bei der Prüfung, und trat nun als ausübender Arzt in seiner Vaterstadt auf. Seine Geschicklichkeit und der Eifer mit dem er seine Kunst übte, brachten es bald dahin, daß die Kranken sich mit Vertrauen ihm überließen, seine Einnahme ward täglich größer und in kurzer Zeit hatte er das unaussprechliche Vergnügen seine geliebte Mutter und Familie zu sich nehmen zu können. Lisette war schon früher, um nur in der Stadt leben zu können, als Kammerjungfer in den Dienst einer Dame getreten, den sie bald mit einen andern vertauschte, und, unzufrieden wie sie es war, wechselte sie unaufhörlich die Plätze, so daß endlich Niemand sie mehr aufnahm und ohne die Güte ihres Bruders wäre sie zuletzt verhungert. Dem ältern Bruder [104] ging es nicht viel besser. Er ward nie glücklich, weil er immer die Gegenwart mit der Vergangenheit verglich und immer den Verlust des elterlichen Vermögens bedauerte. Gottlieb und Emilie aber lebten zufrieden und glücklich. Beide heiratheten, und beide bemühten sich ihre Kinder von den frühesten Lebensjahren an, zum Fleiß, zur Ordnungsliebe und Sparsamkeit zu gewöhnen und ihre Körper abzuhärten. Oft glauben Kinder die so erzogen werden, wenn sie damit die weichliche bequeme Lebensweise ihrer Gespielen vergleichen, diese wären glücklicher als sie; wenn sie aber älter werden und also auch verständiger, danken sie ihren Eltern dafür, daß sie ihnen eine zweckmäßige Erziehung (das heißt eine solche durch welche sie zu gesunden, thätigen und geschickten Menschen gebildet wurden) gaben, und bereuen es nie, sich schon früh in der Kunst geübt zu haben, manches entbehren zu können, ohne sich deshalb un glücklich zu fühlen.

[105] Der buckliche Liebling.

Ein Sultan zu Bagdad hatte einst einen kleinen Bucklichen an seinem Hofe, den er über alles liebte. Eines Abends ging dieser, sein Liebling, am Ufer des Flusses umher und kam zu der Hütte eines Fischers, der mit seiner Frau bei einer Schüssel gesottener Fische, die ihnen zur Abendmahlzeit dienen sollte, saß. Der Buckelichte war durch den Spaziergang hungrig geworden und setzte sich zu den Leuten, um an ihrem Mahle Theil zu nehmen. Unglücklicherweise blieb ihm aber eine große Gräte im Schlunde sitzen und er erstickte, ehe die erschrockenen Fischer Hülfe herbeischaffen konnten. Sie waren ausser sich vor Schrecken über diesen Vorfall, wohl wissend, daß er der Liebling des Sultans war. Endlich ersannen sie etwas, wodurch sie hofften den Leichnam los zu werden, ohne daß der Verdacht, er sei bei ihnen gewesen, auf sie fiel. Sie warteten bis die Finsterniß der Nacht ihrem Vorhaben zu Hülfe kam, dann trugen sie den Todten bis an das Haus eines Arztes, lehnten ihn an die Hausthüre und läuteten an. Auf die Frage wer da sey? antworteten sie, [106] ein Kranker warte an der Thüre auf den Arzt. Dieser eilte und öffnete so rasch die Hausthüre, daß der daran lehnende Buckliche hart zur Erde niederfiel. Der Fischer war mit seiner Frau unterdessen davon gelaufen, und der Arzt der sogleich den Liebling des Sultans erkannte und sich für den Mörder desselben hielt, war in der größten Angst darüber. Er zog seine Frau zu Rathe und beide beschlossen, den Todten in der Stille fortzuschaffen. Sie schleppten ihn mit vieler Mühe auf das Dach eines Hauses, das ein jüdischer Geldwechsler bewohnte, und ließen ihn durch den Schornstein in das Haus fallen. Er kam mit vielem Geräusch in das Kamin herab. Der Jude, der eben mit dem Zählen seiner Schätze beschäftigt war, erschrack nicht wenig über den unvermutheten Besuch. Ein Dieb, so glaubte er, wolle durch das Kamin sich einen Weg zu seinem Geldkasten bahnen, und eiligst zog er ihn bei den Füssen hervor und schlug mit einem dicken Stock unbarmherzig auf den Räuber los. Aber dieser regte sich nicht, und als er ihn genauer ansahe, entdeckte er in ihm den Liebling seines Herrn. Tödlich erschrocken rief er seine Frau herbei und mit ihrer Hülfe trug er ihn auf dem Markt und lehnte ihn an eine Bude. Als es Tag geworden war, und ein jeder an sein Geschäfte ging, stieß ein [107] vorübereilender christlicher Kaufmann zufällig an den Hingelehnten und dieser fiel zur Erde. Die Umstehenden erkannten ihn sogleich und behaupteten: der Christ habe ihn absichtlich umgeworfen und dadurch getödtet. Man fiel über den Unschuldigen her und brachte ihn mit großem Geschrei vor den Sultan, der im höchsten Zorn den Befehl ertheilte, den Mörder augenblicklich zu erhängen. Schon war alles bereit ihn aufzuknüpfen, und der Kaufmann erwartete mit Todesangst den letzten Augenblick seines Lebens, als der Jude mit seiner Frau herbei eilte, sich dem Sultan zu Füssen warf und als den Mörder des Buckelichen, der nach seiner Meinung einen Scherz mit ihm hatte treiben wollen, anklagte. Der Sultan sprach den Christen frei und befahl den Juden zu hängen. Man machte Anstalt dazu, als der Arzt herzu gelaufen kam und sich als den Thäter angab. Sogleich wird der Jude frei gelassen und der Arzt sollte hingerichtet werden. Man legte ihm schon den Strick um den Hals, als der Fischer nebst seiner Frau erschien, und das Vorgefallene bekannte. Der Sultan hörte voll Erstaunen auch diesen an und rief endlich, der Buckliche solle ohne weitere Untersuchung begraben werden, und die sich Anklagenden und Angeklagten könnten ruhig nach Hause gehen, es möchten sich [108] sonst noch Mehrere finden, die sich als die Mörder des Todten anzeigten.

Der treue Hund.

Schnuppernd schlich sich um die Schaafe
Rings der Wolf mit schlauem Blick,
Ob wohl Spitz, der Wächter, schlafe,
Und die Schäfchen flohn zurück.
Eng gedrückt auf einen Haufen,
Zittern sie von ihm bedroht;
Eilen sich ihm zu entlaufen,
In der größten Angst und Noth.
Und er spricht mit List zu Spitzen:
»Ei! wie möcht' ich doch wie du,
Bei den dummen Schaafen sitzen,
So in träger fauler Ruh.«
[109]
»Komm mit in den Wald spazieren,
Kühl ists dort, nicht heiß, wie hier.
Laß dich, Freundchen, von mir führen,
Steh nur auf und folge mir.«
Aber Spitz weißt ihm die Zähne,
Heisset ihn bei Zeiten gehn,
Wenn er etwa sich nicht sehne,
Noch der Schaafe Herrn zu sehn.
Nimm, o Kind! vom Spitz die Lehre,
Folge ja dem Heuchler nicht,
Der, damit er dich bethöre,
Mit verstellten Worten spricht.

Die Näscherinnen und das mäßige Kind.

Louise naschte gern. Nichts war vor ihr sicher und alle Warnungen und Strafen der Mutter waren vergeblich. Einst fand sie einen Teller, in welchem sich etwas Flüssiges befand. Sie war sogleich bereit zu [110] untersuchen, ob es nicht süß und für ihr Leckermäulchen tauglich sei. In der That war auch der Geschmack des Wassers sehr angenehm, und sie leerte fast den ganzen Teller aus. Nach einer kleinen Weile bekam sie Uebelkeiten, einen starken Schwindel, und ein heftiges Erbrechen. Die erschrockenen Eltern sandten zum Arzte, welcher fand, daß sie etwas giftiges zu sich genommen haben müsse. Sie bekannte sogleich ihr Vergehen, und es fand sich, daß auf dem Teller Fliegengift befindlich war, das, um die Fliegen herbeizulocken sehr gesüsset worden. Mit Mühe entkam Louise noch dem Tode, behielt aber für ihre ganze Lebenszeit einen geschwächten, siechen Körper. – Eine andere Kleine, ihr Name war Marie, hatte ebenfalls diese sehr böse Gewohnheit an sich. Dadurch ward sie aber kränklich und bleich, denn da ihr Magen immer mit allerlei Süssigkeiten und Leckereien angefüllt war, konnte er, dadurch geschwächt, nicht gehörig das Geschäft der Verdauung verrichten. Sie bekam Würmer, schlechte Zähne, eine üble Gesichtsfarbe. Mit einem Worte, die Strafe, die dem Laster so wie der üblen Gewohnheit immer nachfolgt, blieb bei ihr nicht aus. Desto frischer blühte ihre Schwester Elise, die mäßig und ordentlich lebte. Wenn sie gefrühstückt hatte, fiel es ihr nicht ein etwas zu naschen [111] oder zu essen und so sich den Appetit zum Mittagsessen zu verderben. Bei Tische aß sie sich satt, ohne sich eine Speise auszuwählen, und dachte nicht daran gleich Marien, bis zum Abendbrod immer etwas eßbares haben zu müssen. Darum war sie auch gesund, munter, lustig, und Marie träge, verdrüßlich, übelgelaunt. Welches von diesen drei Mädchen handelte wohl am weisesten?

Charade.

Rathe, wer es kann geschwind,
Meine beiden ersten sind,
Unentbehrlich dir; sie schützen
Deine Habe, und besitzen,
Eine wunderbare Kraft.
Meine andern beiden gehn,
Wenn des Frühlingslüfte wehn,
Aus der Erde finstern Tiefen,
Aus der Gruft in der sie schliefen,
Frisch und hold und schön hervor.
[112]
Und das Ganze blühet nur,
In dem Walde, auf der Flur;
Nicht im reichgezierten Garten,
Siehst du es erziehn und warten,
Aber doch gefällt es dir.

Die Hacke des Helim.

Vor vielen Jahren lebte in einem fernen Lande ein Mann der drei Söhne hatte, mit denen er ein artiges Haus bewohnte, das in einem schönen Garten gebauet war. Noch viele Ländereien waren sein Eigenthum und so konnten sie ein vergnügtes und sorgenfreies Leben führen. Er starb, da seine beiden ältesten Söhne schon über zwanzig Jahr alt waren; der Jüngste, Helim war sein Name, hatte aber kaum das siebzehnte Jahr erreicht. Kasem und Gilo, die ältern, waren sehr habsüchtig und bösartig und beneideten ihren jüngern Bruder um den Vorzug, den ihm der Vater einräumte, und den er, durch seine Herzensgüte, seinen Gehorsam [113] und Fleiß wohl verdiente. Kaum war der Vater begraben, als sich beide aller hinterlassenen Güter bemächtigten und dem Helim ankündeten, er könne gehen, wohin er wolle, seine Gegenwart sei ihnen überflüßig. Vergebens stellte er ihnen ihr Unrecht vor, ihn, der gleiches Recht, wie sie, auf die Verlassenschaft des Vaters hatte, seines Antheils zu berauben und hülflos in die Welt hinaus zu stoßen. Sie verhöhnten ihn und warfen ihm seine Hacke hin, mit der Anzeige, er solle diese nur gebrauchen so würde er sich schon ernähren können. Sehr betrübt und niedergeschlagen verließ der arme Jüngling das väterliche Haus und ging mit seiner Hacke in eine neue, ihm völlig unbekannte Welt hinaus. Den ersten Abend lagerte er sich ermattet unter einen Baum und schlief bis die Sonne schon heiß brannte, dann stand er auf und ging weiter. Er bot sich unterwegs vielen Landleuten zum Knecht an, aber sein jugendliches Ansehen war ihm im Wege, ihm ward fast immer dieselbe Antwort: Du bist noch zu jung und schwach, ich kann dich nicht brauchen. Immer betrübter ging er weiter. Sein kleiner Vorrath von Lebensmitteln war verzehrt, er schämte sich zu betteln und Niemand gab ihm ungefordert etwas. Um vieles muthloser als am vorigen Abend, sahe er sich beim Anbruche [114] der Nacht nach einem Lager um, da erblickte er einen Gottesacker, und sogleich beschloß er in demselben zu übernachten. Weinend sprach er: die Todten werden mir eine Ruhestätte bei sich gönnen, wenn auch die Lebenden mich von sich stoßen. Er legte sich nicht fern vom Eingange nieder und schlief bald ein. Nach einigen Stunden erweckte ihn ein Geräusch. Erschrocken fuhr er auf und erblickte im Mondenschein mehrere Leute, welche einen Sarg hinein trugen und ihn dann in eine Grube senkten. Es schauderte Helim bei diesem Anblick, der schon am Tage traurige Empfindungen in uns weckt, da er uns an den Verlust von Personen erinnert, die uns theuer waren, und nun in der einsamen, matt erhellten Nacht war es noch trauriger und grauenvoller. Schon waren die Männer im Begriff Erde auf den Sarg zu schütten, als einer derselben zu den andern sagte: »wartet noch, wir wollen erst den Todten ausziehen, ihm helfen die Kleider nichts mehr, und wir können sie brauchen.« Die andern waren es sogleich zufrieden; Helmin aber fand ihr Vorhaben so abscheulich, daß er schnell beschloß, sie davon zurück zu schrecken. Er war wohl verborgen durch die Grabmahle und die Dämmerung und rief mit hohler Stimme ihnen einige drohende Worte zu. Die Leute erschracken, ließen den [115] Sarg im Stich und liefen davon. Helim nahete der Gruft, da schien es ihm als hörte er im Sarge ein leises Aechzen und Klopfen. Erschrocken prellte er zurück, und schnell siegte seine Gutmüthigkeit über die Furcht. Er sprang in die Grube mit seiner Hacke und öffnete mit dieser, nicht ohne Mühe, den Sarg in möglichster Eile. Er fand einen Jüngling von seinem Alter darin, der matt die Augen aufschlug, doch bald von der frischen Luft gestärkt, sich erhob und zu voller Besinnung gelangte. Helim hob ihn aus dem Sarge und mit großer Anstrengung gelang es beiden aus der Gruft zu kommen. Da hörten sie in der Ferne die Männer sprechen, welche sich von ihrer Furcht erholt hatten und zurückkehrten. Laßt uns fliehen, sprach der Wiedererwachte, und Helim zog ihn mit sich fort, und hinaus aus dem schauerlichen Orte ins Freie. Dort setzten sie sich in einen Wäldchen auf den Rasen und begannen einander mit leiser Stimme ihre Abendtheuer und Lebensläufe zu erzählen. Der Begrabene war Prinz Orar, der Sohn eines Königs. Sein Vater war auf einer Reise in die entfernten Provinzen seines Reiches begriffen, und unterdessen hatte seine zweite Gemahlin ihrem Stiefsohne Orar einen Schlaftrunk beigebracht, um ihren eignen Sohn auf den Thron zu helfen. Sie eilte mit[116] dem Begräbniß, um seinem Erwachen zuvor zu kommen, und glücklicherweise mußte Helim ihn erretten. Beide umarmten sich wie zärtliche Brüder und beschloßen bis zur Zurückkunft des Vaters sich verborgen zu halten. Unterdessen waren die Männer bis zum Sarge gekommen, fanden den Deckel nur angelehnt und den Todten fort und eilten die Königin davon zu unterrichten. Dieses böse Weib gab sogleich heimlich den Befehl den Prinzen aufzusuchen und zu tödten, den Vorfall aber zu verschweigen. Es fanden sich, durch ihr vieles Geld geblendet, schlechte Leute die ihren Wunsch zu erfüllen eilten, und sich auf den Weg machten, den Unglücklichen aufzusuchen. Nach einigen Tagen fanden sie auch die beiden Freunde, und da sie in großer Anzahl, sie, die ohnehin durch Mangel geschwächt waren, überfielen, nahmen sie die Armen bald, trotz ihres Widerstandes, gefangen, und schleppten sie fort in eine naheliegende Hütte, dort hießen sie Helim seiner Wege gehen, und nahmen ihm seine Hacke. »Ach! rief er aus, auch das einzige Erbtheil von meinem Vater muß ich verlieren!« Sie warfen ihm spottend die Hacke hin und stießen ihn fort. Aber Helim entfernte sich nicht weit und lauschte hinter den Bäumen was sie weiter beginnen würden. Er sahe daß einige derselben sich ihm näherten [117] und horchte wohl verborgen ihrem Gespräche. Sie beschloßen, um nicht durch die Leute welche das Häuschen bewohnten verrathen zu werden, den Prinzen am andern Morgen weiter zu bringen und im Walde zu tödten; zugleich machten sie aus, daß einige von ihnen sogleich in der Nacht hingehen und an einem verborgnen Orte ein tiefes Loch graben sollten, um am Tage nicht dieses gefahrvolle Unternehmen ausführen zu müssen, bei welchem man sie überraschen konnte. So war die Anzahl der Wächter geringer. Sie verschloßen die Hütte, banden den Prinzen mit Stricken und begaben sich mit ihm auf den Boden, um dort einige Stunden zu schlafen. Helim, der einen Baum bestiegen hatte, sahe, da eine Lampe brannte, alles das recht wohl. Eiligst lief er tief in den Wald hinein, haute mit seiner Hacke einen Baum ab, der nicht sehr dick war, aber mehrere starke Aeste hatte, die, nicht allzunahe vom Stamme abgehauen, statt der Sprossen einer Leiter dienen konnten, und trug oder schleppte diesen bis zur Hütte. Er lehnte diese selbsterfundene Leiter an das Bodenfenster und schlich sich leise auf derselben hinauf. Er hörte die Wächter schnarchen; denn da sie den armen Gefangenen Hände und Füsse zusammen gebunden hatten, waren sie sicher daß er nicht entfliehen konnte. [118] Kaum Athemholend stieg Helim nun hinauf, lösete die Bande des Prinzen, den die Schmerzen der Stricke und die Angst nicht schlafen ließen, und beide entwischten glücklich durch das Fenster; dann trugen sie die Leiter ins Dickicht, warfen sie dahinein und eilten zu entkommen. Es gelang ihnen auch am andern Morgen in eine entlegene Bauernwohnung zu braven Leuten zu kommen, welche die Erschöpften freundlich aufnahmen und mehrere Tage bei sich behielten; dann setzten sie ihre Wanderung weiter fort und gelangten in ein schönes Thal zu einem alten Mann, der sie freundlich aufnahm und ihnen eine Freistätte einräumte. Er behielt sie, da sie fleißig waren, bei sich, und liebte sie wie Söhne. Sie fanden die Rückkehr sehr gewagt, da die böse Königin ihnen nachstellte und sie nicht hoffen durften unentdeckt bis zum König zu gelangen. So verfloß ein Jahr, und die Sehnsucht das Grab seines Vaters und seine ehemalige Wohnung zu besuchen, erwachte bei Helim so stark mit einemmale, daß er dem Verlangen, eine Wanderung dahin zu unternehmen, nicht mehr widerstehen konnte. Er machte sich, nach einem zärtlichen Abschied von seinen beiden treuen Freunden, auf den Weg, beladen mit einem Vorrath von Lebensmitteln, um nicht wie ehemals Noth leiden zu müssen. Ziemlich [119] unbekannt mit der Lage seiner Heimath, von der ihn sein Weg in großen Umschweifen zum Thale geführt hatte, wußte er sich nicht hinzufinden und überließ es dem Zufalle ihn zum Ziele zu führen. So durchkreuzte er Wochenlang das Land, ohne ans Ende seiner Wanderung gelangen zu können. Einst verirrte er sich in einem Walde, in den er sich tief hinein gewagt hatte, angelockt durch die Früchte einiger Bäume die seinen Hunger stillten. Plötzlich hörte er ein starkes Geräusch. Ungewiß, ob er sich verbergen oder dahin eilen sollte, um zu sehen was es veranlaßte, blieb er schwankend stehen, als ein ältlicher Mann in prächtiger Jagdkleidung aus dem Gebüsch hervordrang, bei Helims unerwartetem Anblick aber erschrocken zurück fuhr, doch plötzlich ermannte er sich und drang, in Ermangelung einer andern Waffe, mit einem schnell ergriffnen Stücke von einem abgebrochnen Baum auf diesen los. Helim wich zurück, denn das zerstörte, erschrockne Gesicht des Mannes, zeigte, daß er einer großen Gefahr kaum entronnen, nur die Absicht habe sich selbst zu vertheidigen. »Was that ich dir, rief er, daß du mir zu schaden suchst?« Der Mann ließ den aufgehobnen Knittel sinken und blickte Helim starr ins Gesicht. Endlich sprach er: Wie kömmst du in diese Wildniß und was ist deine [120] Absicht? Der Gefragte erzählte sogleich daß er auf einer Wanderung begriffen, durch das Ungefähr hieher gekommen sei. Beruhigt durch diese Versicherung wollte der Fremde nun fort, als mehrere Bewaffnete herzu drangen und ihn anfielen. Er setzte sich muthig zur Wehre, Helim half ihm mit seiner Hacke und es gelang ihnen die Bösewichter zurück zu treiben; sie selbst eilten dann zu entkommen. Durch Umwege flohen sie der Stadt zu; aber nicht weit von derselben mehr, wurden sie aufs Neue angefallen. Helim, durch das Beispiel seines Gefährten aufgemuntert und von Natur herzhaft, drang so muthig mit seiner Hacke auf die Feinde ein, daß diese, obgleich ihre Anzahl sehr groß war, doch nicht sobald als es ihr Wille seyn mochte, sie überwältigen konnten. Noch zu rechter Zeit erschien aber Hülfe; es war eine Truppe von der Garde des Königs, die sogleich die Bösewichter verhafteten, und mit Erstaunen sahe Helim daß sein Begleiter der König selbst war. Er fiel ehrerbietig vor ihm nieder; doch dieser, der ihm das Leben dankte, hob ihn auf und umarmte ihn mit gerührter Dankbarkeit, dann nahm er ihn mit sich in seinen Pallast und befahl den Helim das schönste Zimmer einzuräumen. Am andern Tage ließ er ihn zu sich rufen, hieß ihn sich an seine Seite nieder setzen, und ihm [121] sein Schicksal und seine Wünsche für die Zukunft offen erzählen. Helim gehorchte, und da er dem Könige alles was sich mit dem Prinzen Orar zu getragen, entdeckt hatte, gerieth dieser vor Freuden ausser sich, und der Verdacht, daß seine Gemahlin es sei, die ihm nach dem Leben gestrebt hatte, ward durch die Aussage der gefangenen Missethäter und durch diese Erzählung vollkommen bestätigt. Das boshafte Weib ward sogleich verhaftet, und für ihre ganze Lebenszeit in ein Gefängniß gesperrt, der Prinz aber augenblicklich aus dem Thale geholt, und der Greis, der sie so väterlich aufnahm, mit ihm. Die Freude des Vaters und des Sohnes, über dieses Ereigniß, das sie sich einander wieder schenkte, war ohne Grenzen und so auch ihre Dankbarkeit gegen Helim, dem sie hohe Ehrenstellen geben wollten; allein er sprach: ich bin nur einfach und unwissend erzogen, wie es ein Landmann immer ist, der nur dem Anbau seines Feldes lebt; ich müßte erst noch viele Jahre hindurch das erlernen, was mir nöthig ist, um ein hohes Amt würdig zu verwalten, und wer weiß ob ich auch die Fähigkeiten dazu in mir habe; so gebe mir der König nur ein kleines Stückchen Land von dem ich leben kann, und das Versprechen, daß, wenn ich ihm dienen kann, es sei im Kriege oder in etwas anderm, das [122] nicht über meine Kräfte geht, ich zu ihm berufen werde; so bin ich glücklich und belohnt. – Es wurden ihm sogleich eine Menge Ländereien und Sclaven gegeben, und reich gekleidet, mit einem zahlreichen Gefolge kam er vor die väterliche Wohnung. Die Brüder warfen sich überrascht und demüthig vor ihm nieder; er verzieh ihnen ihr Unrecht gerne, und da sie durch ihre Uneinigkeit und Mangel an Fleiß in Dürftigkeit gekommen waren, überhäufte er sie mit Wohlthaten, und vergalt so Böses mit Gutem. – Er lebte glücklich in seiner ländlichen Wohnung, und die Hacke, die ihm so gute Dienste geleistet und zu diesem Glücke geholfen, hing er zum Andenken in seinem Zimmer auf. Der König und der Prinz besuchten ihn oft und alle drei lebten in unwandelbarer Freundschaft bis an ihren Tod. Der Greis aus dem Thale, theilte Helims ländlichen Aufenthalt.

[123] Die Tulpe und die Nachtviole.

Ei, wie bist du doch so schön,
Tulpe! in dem bunten Röckchen,
Und geputzet wie ein Döckchen,
O, so prächtig anzusehn!
Und wie mögt ihr Grauen da
Zu den Schönen her euch setzen,
Die das Auge so ergötzen?
Euch komm ich gewiß nicht nah.
Komm, du schöne Tulpe, du!
Sicher hauchst du süsse Düfte
In die milden Frühlingslüfte;
Hauche mir auch jetzt sie zu.
Aber wie? Kein Wohlgeruch
Düftet mir von dir, o Blume!
Das gereicht dir nicht zum Ruhme,
Schön nur seyn, ist nicht genug.
[124]
Nein, das hätt' ich nicht gedacht!
Ohne sonst noch was zu taugen,
Blendet Tulpe bloß die Augen,
Durch der Farben bunte Pracht.
Und, wer hätte das gemeint!
Diese garstige zur Seiten,
Duftet lieblich schon von weiten,
Wie so häßlich sie auch scheint.
Schön nur seyn, genüget nicht;
Kurze Zeit täuscht bloßer Schimmer,
Das Verdienst nur bind't auf immer,
Leistet mehr als es verspricht.

Die treue Magd.

Verändert nach einem alten Mährchen.


Es lebten einst zwei Brüder, von denen der eine Abu, sehr reich, der andere aber, Casem war sein [125] Name, sehr arm war. Der letzte konnte es nicht begreifen, wie sein Bruder, ohne zu arbeiten, so vieles Vermögen besaß; da er hingegen bei dem größten Fleiße und der möglichsten Anstrengung, nur ein armseliges Leben führen konnte. Eines Tages ging er mit seinem Esel in den Wald, um dort Reisig zu holen, und gerieth in eine abgelegene Gegend desselben, die ihm fremd war. Im Begriff wieder umzuwenden, erschreckte ihn ein starkes Geräusch, das sich ihm näherte. Eiligst verbarg er seinen Esel im Dickicht und bestieg einen Baum, in dessen Aesten verborgen, er lauschte. Da naheten eine Menge Reiter, die alle ein wildes, zerstörtes Aussehen hatten. Jeder hatte Gepäcke bei sich, und sie stiegen bei einem Felsen ab, der sich nahe von Casems Zufluchtsorte, ihnen entgegen thürmte. Der Anführer sprach: »Solo, thue dich auf!« und sogleich öffnete sich eine verborgene Thüre, durch welche alle in die Höhle gingen. Nach einer Weile kamen sie wieder zum Vorschein, bestiegen ihre Pferde und ritten davon. Als sie so weit entfernt waren, daß man die Tritte ihrer Pferde nicht mehr hören konnte, stieg Casem vom Baume, näherte sich dem Felsen und sprach die gehörten Worte aus. Augenblicklich öffnete sich die Thüre, er ging hinein und fand große Haufen von Gold und Edelsteinen [126] die ihm entgegen blitzten. Er füllte seine Taschen und einen Sack, den er zufällig bei sich führte, mit Goldkörner, öffnete durch die Kraft der Worte die wieder geschlossene Thüre, belud seinen Esel mit der herrlichen Beute und brachte sie wohlbehalten nach Hause. Seine Frau freuete sich, wie er, über dieses unverhoffte Glück, und beide beschlossen, nicht wie es die Art reicher Leute oft ist, sich dem Müssiggange zu ergeben, sondern ein fleißiges, arbeitsames Leben zu führen und den Armen wohlzuthun. Sie führten diese guten Vorsätze aus. Abu, der den Wohlstand seines Bruders bald bemerkte, drang in ihn, ihm zu entdecken, durch welches Mittel er in diese glückliche Lage versetzt sei, und Casem vertraute es ihm, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Der Habsüchtige beschloß sogleich einen vortheilhaften Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und schon beim Anbruche des folgenden Tages machte er sich mit einer großen Anzahl von Maulthieren, die er mit den Reichthümern der Höhle beladen wollte, dahin auf den Weg. Es ward ihm leicht sie zu finden; das bedeutende Wort ward ausgesprochen, die Thüre ging auf und ihm entgegen blitzte das verführerische Metall und die schönsten Edelgesteine. Er war so entzückt über diesen Anblick, daß er nicht fertig werden konnte, sich daran zu weiden, [127] und da er aus großer Habsucht gar nicht fertig ward die Säcke zu füllen und alles zu betrachten, so verweilte er sich eine beträchtliche Zeit, und vertieft in sein Glück bemerkte er nicht die Annäherung der Räuber, die, als sie schon in der Ferne die beladenen Maulthiere erblickten, zur Höhle eilten, und den unberufenen Gast sogleich überfielen und tödteten. Die Maulthiere wurden wieder abgeladen und von ihnen mitgenommen. Die Frau des Abu erwartete indessen mit Verlangen die Rückkehr ihres Mannes; da er aber immer nicht erschien und die Nacht schon anbrach, ging sie zu Casem und vertraute ihm das Vorhaben ihres Mannes und sein Ausbleiben. Dieser erschrack, und nichts gutes ahnend, machte er sich beim Anbruche des Tages auf den Weg zum Walde. Behutsam schlich er sich zur Höhle, nachdem er den Esel verborgen hatte, und fand den Bruder getödtet da liegen. Voll Schmerz und Kummer lud er ihn auf die Schultern und trug ihn zu dem Orte wo der Esel war, auf den er ihn in einen Sack verborgen, und mit Reisig bedeckt, in aller Stille nach Hause schafte. Die Wittwe des Getödeten und Casem selbst, waren in nicht geringer Verlegenheit, wie sie den zerstückelten Leichnam wieder einiger massen in Ordnung bringen sollten, um ihn nach der Landessitte den [128] Verwandten zu zeigen. Die Magd, Morgane war ihr Name, versprach Rath zu schaffen, und in der Dämmerung ging sie zu einem Schneider, den sie für eine Handvoll Gold dahin brachte, sich die Augen verbinden zu lassen und ihr zu folgen. Sie führte ihn durch große Umwege in ihr Haus, wo er aufgefordert ward, den Todten zusammen zu nähen, zu flicken und so anzukleiden, daß sein Zustand verborgen blieb. Der Schneider vollbrachte den Auftrag mit Geschicklichkeit, und ward dann auf dieselbe Art nach Hause gebracht. Niemand ahndete etwas, und Abu ward ohne Aufsehen begraben; die Wittwe aber und Morgane zogen in Casems Haus. Die Räuber, welche bei ihrer Wiederkunft den Leichnam nicht mehr fanden, beschlossen unterdessen eine genauere Untersuchung anzustellen, und der Hauptmann der Bande gab einen derselben den Auftrag, nachzuforschen. Der Räuber konnte lange nichts entdecken. Endlich führte ihn der Zufall zu einem alten Schneider, der noch in der Dämmerung vor seiner Hausthüre fleißig arbeitete. Er grüßte ihn und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein. So erfuhr er denn, daß dieser Mann vor kurzem einen zerstückelten Leichnam hatte zusammennähen müssen, und wohl errathend, daß es der, des von seiner Bande Getödteten seyn müsse, versprach [129] er dem Alten eine große Belohnung, wenn er ihn an das Haus führen wolle; und wirklich gelang es dem Schneider, dieses wieder zu finden. Der Räuber bezeichnete es, der Sicherheit wegen, mit mehreren Strichen von Kreide und eilte zu seinem Hauptmann mit der Nachricht. Unterdessen hatte die aufmerksame Morgane die Striche bemerkt und sogleich weggewischt, so daß die Räuber das Kennzeichen nicht mehr findend, irre wurden und die Untersuchung von neuem anfangen mußten. Nach einiger Zeit erschien ein Handelsmann mit vielen Maulthieren, die mit ungeheuer großen zinnernen Flaschen voll Oehl beladen waren, bei Casem und bat um ein Nachtlager, welches dieser, der nach der Landessitte sehr gastfrei war, ihm gern einräumte. Die Gefäße wurden abgeladen und in den geräumigen Hofplatz gestellt, der Fremde aber aufs Beste bewirthet. Morganen fiel sein tückisches, boshaftes Aussehen auf, und sie gab, Verdacht schöpfend, genau auf ihn Achtung. Sie ging in der Dämmerung auf den Hof, um die Gefäße recht anzusehen, da fragte eine menschliche Stimme aus einem derselben sie, ob es Zeit sei? – Schnell sich fassend, flüsterte sie: »o noch lange nicht;« und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß jedes dieser Gefäße einen Menschen verbarg, eilte sie zur Obrigkeit, um es [130] anzuzeigen. Der Hauptmann der Bande nur, welcher der angebliche Handelsmann war, entsprang, die andern aber wurden hingerichtet. Nach einiger Zeit er schien abermals ein Fremder, welcher eine Aufnahme begehrte und erhielt. Morgane erkannte in ihm, trotz der verstellten Tracht und des Pflasters über dem einen Auge, den Hauptmann. Am Abend kleidete sie sich wie ein herumziehender Harlekin an, tanzte, trieb allerlei Possen und zog, da einem solchen alle Späße erlaubt sind, dem Gaste das Pflaster vom Auge. Er ward sogleich erkannt, festgesetzt und hingerichtet. Morgane ward von ihrer Herrschaft an Kindesstatt angenommen, denn ihrer Treue und Klugheit dankte diese Leben und Sicherheit.

Frühlingslied.

O, Vater! laß uns doch gehen,
Den Garten, die Wiesen zu sehen,
Und Blümchen brechen zum Strauß.
Es rufet der Kukuk im Haine;
[131]
Es schwellen im sonnigen Scheine
Die Blüthen aus Knospen heraus.
Wie duften die Fluren und Wälder,
Von süssen Gerüchen; die Felder,
Sie wogen im glänzenden Grün.
Wie blau ist der Himmel; das Völkchen
Der Vögel nun schwebet, wie Wölkchen
Die segelnd die Lüste durchziehn.
Es plätschern, in silberner Welle,
Die Fischchen im Bach, der so helle.
Die Frösche quacken im Teich.
Es gehen spazieren die Störche;
Und jubelend singet die Lerche,
Durchziehend das luftige Reich.
Kommt eilig, Schwestern und Brüder!
Was laufet ihr hin und wieder
Euch selber nimmer bewußt?
Ja, Vater! wir kommen, wir kommen!
Geschwinde, die Mützen genommen!
Wir kommen mit freudiger Lust.

[132] Der unvermuthete Schatz.

Der unvermuthete Schatz. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Ein armer Fischer warf sein Netz den ganzen Tag hindurch aus, und wenn er es aus dem Wasser zog, war es leer, oder nur ein paar kleine Fischchen befanden sich darinn. Traurig und ermüdet wollte er am Abend heimkehren, als seine Frau, die herzu kam, ihn beredete noch einmal einen Versuch anzustellen. Siehe, sprach sie, morgen kommen die Gläubiger und nehmen uns unser einziges Bette und jagen uns aus unserm Häuschen; so wollen wir uns doch noch einmal satt essen, denn auch das Netz werden sie uns nicht lassen und so müssen wir den Hungertod leiden. Der arme Mann warf seufzend noch einmal das Netz in das Meer und schüttelte den Kopf, als er es schwerer herauszog. Was wirds wieder seyn als ein alter unnützer Baumstamm, wie es schon manchesmal der Fall war; und er hatte Recht. Ein alter Baumstamm war es, den er hervorzog. Er lächelte bitter und legte das Netz zusammen. »Nun, das war das letztemal vielleicht für immer!« Doch laß uns den Stamm mitnehmen und trocknen. Vielleicht taugt er noch zum Einheitzen. So schleppten sie das [133] nasse Holz ans nahe Hüttchen und lehnten es an dasselbe. Am andern Tage erschienen die Gläubiger und forderten mit Ungestüm ihre Bezahlung; und als sie nichts erhielten, jagten sie den Fischer und die Frau fort, und nahmen ihnen alle ihre Habseligkeiten und ihr Häuschen. Die armen Leute irrten trostlos umher, und als es dunkel ward, sprach die Frau: »Wenn wir nur den alten Baumstamm hier hätten, so wollten wir ihn zerhauen und uns wärmen.« Ja, du hast Recht, erwiederte der Mann; aber ich habe ja nicht einmal eine Axt. Ein Vorübergehender bot ihm die seinige an, und der Fischer holte mit seiner Frau den Stamm herbei und fing an ihn zu zerhauen. Siehe, da quoll eine Menge silberner und goldner Münzen heraus. Entzückt liefen sie eilig hin, bezahlten ihre Schulden und behielten nun Häuschen, Kleider und Netz und ihre ganze geringe Habe; dann huben sie das übrige Geld auf, und arbeiteten fleißig fort, um nicht wieder in Noth zu gerathen.

[134] Das Steckenpferd.

Vater! sieh mein Pferdchen an!
Ist's nicht schön, so wie dein Gelber?
Sprich, ob es nicht laufen kann,
Schneller als die Winde selber? –
Ja, es läuft so schnell wie du,
Wenn auch deine Füsse gehen;
Seine legen sich zur Ruh,
Wenn die deinen stille stehen.

Die beiden Brüder.

Eine Erzählung.


Ein Kaufmann hatte das Unglück, durch den Krieg zu verarmen, und alle seine Bemühungen und Anstrengungen konnten nicht hinreichen, ihn, und seine Frau und Kinder, zu ernähren. Da faßte er den Entschluß[135] mit seiner Familie nach Amerika zu gehen, und dort, vielleicht als Gehülfe, in einer Handlung unterzukommen, oder, im schlimmsten Falle, sich bei einem Landmann als Knecht zu verdingen, und so, wohl kümmerlich, aber ehrlich, sein Leben und das der Seinigen, fortzufristen. Er schämte sich, in dem Lande, wo man ihn als einen wohlhabenden Mann gekannt hatte, aus Noth bis zum gemeinen Tagelöhner herabzusinken, und überdem bot ihm der noch immer fortwährende Krieg, keine Aussicht zu einem anderweitigen Unterkommen in seinem Vaterlande. Sie verkauften den letzten Rest ihrer Habseligkeiten, und gutmüthige Verwandte gaben ihnen noch etwas Geld, um die weite Reise bestreiten zu können; da sie aber von dem nächsten Seehafen noch ziemlich entfernt waren, mußten sie sich entschließen, ihr Gepäcke einem Fuhrmann bis dahin zu übergeben, und zu Fuße den Weg zu Lande zurück zu legen. Dabei mußten die Eltern auch noch die jüngern Kinder, welche zu schwach waren, diese Müheseligkeiten auszustehen, auf ihren Armen oder auf den Rücken, tragen. Die beiden ältesten Söhne, Ludwig und Karl, welche schon dreizehn und vierzehn Jahre zählten, traten fröhlich, aber mit verschiedenen Empfindungen, die ungeheure Reise an. Karl, der älteste, liebte alles Neue, wie er überhaupt [136] sehr veränderlich war, und immer wechselten seine Neigungen und seine Gesinnungen. Er fing alles mit großem Eifer an, aber schon nach wenig Tagen war dieser erloschen. Nun ließ er das Angefangene ganz liegen, weil es ihm eben so gleichgültig, wohl gar zuwider geworden, als es ihn anfangs anziehend schien. Ludwig war nachdenkender, ernster, fester in seinen Entschliessungen. Er fing das Neue mit bedachtsameren Eifer an, als Karl, und ließ sich auch durch keine Schwierigkeit abschrecken, ein angefangenes Werk zu vollenden. Anfänglich hüpfte und sprang Karl den Andern immer voraus, und keine Ermahnung des Vaters, sich nicht unnützer weise zu ermüden, half. Bald aber war er ermattet, und am dritten Tage schlich er mit einem verdrießlichen Gesicht nebenher und klagte, daß die Reise so ewig lang sei. Ludwig hingegen, hatte schon vorher den väterlichen Ermahnungen Gehör gegeben, sich die Beschwerden dieser Wanderschaft nicht zu leicht vorzustellen, da es unmöglich sei, nur Sonnenschein und schöne Witterung immerfort bei derselben zu haben, und sich mit Muth und mit Ausdauer gegen alle Unannehmlichkeiten zu rüsten. So versprach er sich nicht bloß das Vergnügen, immer neue Gegenstände um sich zu sehen, und einen gemächlichen Spaziergang, und fand sich daher [137] durch keinen Regenguß und rauhe Witterung in seinen Erwartungen betrogen. Er konnte noch den Eltern manche Beschwerde erleichtern, indem er mitunter eines der jüngern Geschwistern auf seinem Rücken forttrug; da hingegen Karl an seinem eignen Leichnam genug zu schleppen hatte. Endlich ward der Seehafen erreicht, und nicht lange, so wurde der Vater mit dem Kapitain eines nach Amerika abgehenden Schiffes einig, daß er ihn und seine Familie mitnähme. Wie froh war Karl daß er nun endlich nicht mehr, und oft in Wind und Regen, zu Fuß fortgehen mußte. Er konnte gar nicht müde werden, die Bequemlichkeit der Seefahrt und das schöne Schauspiel, das ihm die ungeheure Wasserfläche zeigte, laut zu preisen. Aber bald ward es ihm zuwider, nichts als Himmel und Wasser zu sehen, und in kurzem gesellte sich ein noch weit ärgeres Uebel zu der ihm lästigen Einförmigkeit, die um ihn war. Die Eltern wie die Kinder wurden seekrank. Bekanntlich werden alle Reisende, mehr oder weniger, von diesem Uebel, das in heftigem Erbrechen mit Schwindel begleitet, besteht, befallen. Man hat versucht, das Erbrechen durch das Trinken des salzigen Seewassers zu stillen, allein diese Stillung vermindert die Unannehmlichkeit nicht. Im Gegentheil, die Leibschmerzen und Unbehaglichkeit die es erregt, sind[138] noch quälender. Die schwankende Bewegung des von den Wellen geschaukelten Schiffes, und die Ungewohnheit die Seeluft einzuathmen, sind die Ursachen dieser Krankheit, welche mehrere Tage, ja bei Einigen noch weit länger, anhält. Daß Karl nicht der geduldigste von allen war, die mit ihm litten, wird wohl jedermann glauben. Endlich verging auch diese Plage. Einige Wochen waren sie schon auf der Reise, welche ihnen widrige Winde, die das Schiff in seinem Laufe hinderten, sehr langwierig zu machen droheten. Da entstand ein Sturm, der sie weit, weit seitwärts von ihrer Bahn trieb, und das Fahrzeug bald mit den steigenden Wogen hoch in die Höhe hob, bald, wenn diese sanken, sie in den Abgrund zu begraben schien. Zum Unglück bekam das Schiff einen Leck und ob wohl die ganze Besatzung, und alle Passagiere, mit der äussersten Anstrengung pumpten; drang doch das Wasser hinein und fing an den Raum zu füllen. Jetzt rettete sich alles in die Boote. Da aber diese nicht Alle aufnehmen konnten, ohne zu schwer beladen zu seyn, blieben noch Mehrere auf dem, immer mehr zerfallenen Schiffe. Karl und Ludwig waren auch in eines der Boote gesprungen, und wurden, mit den übrigen auf demselben befindlichen Personen, fortgerissen und umhergeschleudert, so [139] daß sie jeden Augenblick befürchten mußten, ihr kleines Fahrzeug von der Gewalt der Wellen umgeworfen zu sehen, und in den Abgrund ihren gewissen Tod zu finden. Dabei waren sie durch und durch naß, von dem über sie spritzenden Wasser. Endlich geschah es auch wirklich, was sie bisher befürchtet hatten. Das Boot ward umgeworfen und die beiden Brüder, die sich in der Angst umfaßten, wurden von einer gewaltigen Welle an das Ufer geworfen. Sie bemühten sich, als ihre Besinnung, die sie anfänglich verlassen hatte, wiederkehrte, noch hinauf zu klimmen, um nicht wieder vom Wasser weggerissen zu werden, und sanken, ermattet von der Todesangst und der ungeheuren Anstrengung der letzten Stunden, indem sie im Schiffe beim Pumpen helfen mußten und im Boote mit Rudern, in einen tiefen Schlummer. Beim Erwachen erst konnten sie sich ihrer Errettung freuen und Gott danken; doch beweinten sie jetzt auch den schmerzlichen Verlust ihrer Eltern und Geschwister. Das erste Bedürfniß, der Hunger, fing an sie zu quälen, und nun erst konnten sie sich eine lebhafte Vorstellung davon machen, wie weh der Hunger thut; denn waren sie auch in der letzten Zeit gewöhnt, sich mit den einfachsten Nahrungsmitteln zu begnügen, oft mit einem Stücke schwarzen Brodes nur, so hatten sie [140] doch nie Noth leiden dürfen. Sie befanden sich auf einem Eilande, das unbewohnt von Menschen war, und überall bot sich nichts eßbares ihren Blicken dar. Karl suchte anfangs, so eifrig als sein Bruder, nach Nahrungsmitteln, da er aber nichts fand, fing er an zu weinen, und sank verzweiflungsvoll zur Erde. Er murrte laut über die Vorsehung, daß sie ihn nur darum gestern das Leben erhalten, um ihn eines noch elendern, schmerzlichern Todes, sterben zu lassen. Ludwig stellte ihm vergebens vor, daß Gott seine weisen Absichten bei ihrer Erhaltung gehabt haben müsse, und ihnen noch jetzt Hülfe senden könne. Endlich verließ er den Thörichten und fing aufs neue an, umher zu gehen und nachzusuchen. Er erblickte Fische im Ueberfluß unfern des Strandes; aber wie sie bekommen? Eine große Stecknadel, die er in dem Aermel seines Rockes fand, gab ihm den glücklichen Einfall sich ihrer, statt einer Angel, zu bedienen. Er bog sie krumm und bediente sich seines Schnupftuches statt der Schnur. Mit unsäglicher Mühe erhaschte er ein Fischchen mit den Händen, und dieses mußte ihm zur Lockspeise dienen. So gelang es ihm mehrere Fische zu fangen, die er im Triumpfe dem Bruder brachte. Aber, wie nun sie sieden? Sie wuschen sie, und nachdem Ludwig mit seinem bei sich habenden [141] kleinen Messer ihnen den Bauch aufgeschnitten, reinigte er sie vom Blute und warf die Eingeweide, und sorgfältig die Galle weg; dann klopfte er das Fleisch mit einem Steine, da er sich erinnerte gehört zu haben, daß die Kosacken das Fleisch nicht sieden, sondern unter den Sattel ihres Pferdes hinlegen, und so eine Zeitlang herum jagen, um es durch die Hitze und den Druck mürbe und genießbar zu machen. Der Hunger gebot den Widerwillen zu überwinden, und so sättigten sie sich, und aufs neue fing die Hoffnung an, sie zu beseelen. Sie konnten doch nun so ihr Leben fortfristen, bis vielleicht einmal ein vorbeiseegelndes Schiff sie aufnahm. Aber als am andern Tage kein Schiff sich zeigte, ward Karl wieder muthlos und ungeduldig. Ludwig hingegen setzte unverdrossen seinen Fischfang fort und machte aus den Gräten großer Fische sich noch mehrere Angeln. Er ging mit dem Gedanken um, sich nach der Art der Wilden durch das Reiben eines weichen und eines harten Stückes Holz, sich Feuer zu verschaffen. Lange dauerte es, ehe es ihm glücken wollte, doch endlich gelang es ihm nach vielen Tagen und nichts glich seiner Freude. Schnell zündete er das, schon lange vorher von ihm gesammelte dürre Holz an, und rief jauchzend den Bruder herbei, der seinen Augen nicht trauen wollte, und [142] ihm dankend um den Hals fiel. »O, lieber guter Ludwig! rief er, wie viel tausendmal besser bist du, als ich! Während ich die Zeit mit unnützen Klagen und Murren hinbringe, wendest du sie in nützlicher Thätigkeit an, uns die nöthigsten Bedürfnisse zu verschaffen.« – Jetzt gingen sie zu Rathe, wie sie wohl künftig ohne die große Beschwerlichkeit, die es jetzt gekostet hatte, sich Feuer verschaffen könnten. Während dem Rösten einer Menge von Fischen, die ihnen auch noch für den folgenden Tag Nahrung gewähren sollten, fiel es ihnen bei, sich vor allen Dingen ein wenig Zunder zu verschaffen, und sogleich ward ein Stückchen Leinwand aus dem Aermel eines Hemdes angewendet, um daraus Zunder zu bereiten, wie sie es im elterlichen Hause gesehen hatten. Sie verwahrten ihn zwischen zwei platten Steinen, und da Ludwig schon vorher am Ufer einige Nägel und Schrauben in dahin getriebenen Bretterwerk gescheiterte Schiffe gefunden, und mehrere Steine gesammelt, welche ihm den Feuersteinen gleich schienen, so ward sogleich eine Probe gemacht, welche wohl einschlug; doch da sie keinen Schwefel besaßen, um die dazu nöthigen Hölzchen oder Fäden, in diesen, nachdem er geschmolzen, zu tunken, und so diese leicht am Zunder zu entzünden, so wurde ihnen diese Art des [143] Feueranmachens sehr beschwerlich und Ludwig nahm sich vor, sich täglich in der zuerst und glücklich versuchten Kunst zu üben. Jetzt aber dachten sie ernstlicher daran, daß diese schöne Jahrszeit nicht immer währen, sondern der nassen weichen werde, und indeß Karl darüber seufzte, fing Ludwig an zu untersuchen, wie dieses Uebel am leichtesten zu ertragen sei. Ein überhängender Felsen, unter dessen Schutze sie ihre Lagerstätte, aus dürren Blättern bestehend, ausgebreitet hatten, war nicht hinreichend sie gegen diese Nässe zu schirmen. Er beredete Karln, mit ihm Bäume zu entwurzeln, welches sie durch Hülfe einiger starken Aeste, deren sie sich zum untergraben bedienten, bewerkstelligen konnten, da das Umhauen derselben ohne eine Axt ihnen unmöglich war. Dann flochten sie die Stämme und die Aeste so dicht als möglich zusammen, daß wirklich eine Hütte entstand, welche auf der einen Seite und oben vom Felsen beschützt ward. Auch eine kleine Thüre flochten sie von Zweigen, aber freilich war sie so niedrig, daß sie sich sehr tief bücken mußten, um in die neue Wohnung zu gelangen, welche durch einige Löcher, welche ebenfalls mit kleinen, geflochtenen Thüren versehen waren, Licht erhielten. Das gefundene Bretterwerk diente zur Vertäfelung, und, um das Wasser nicht hereinfließen zu lassen, ward der Fußboden [144] der Hütte mit Sand hoch aufgefüllt, und dann mit kleinen Steinen gepflastert, über welches sie dürre Blätter breiteten, um die Kälte derselben nicht an den Füßen zu fühlen. Ihre Stiefel hoben sie sorgfältig auf, um sich ihrer künftig besser zu bedienen; doch bedauerten sie es auch, daß sie ihnen bald zu klein werden möchten, da beide Brüder stark wuchsen. Eine Art von kleinen Heerd ward auch errichtet und täglich dörrete der sorgende Ludwig Fische für die Zukunft, wenn es ihm nicht mehr möglich seyn würde zu angeln. Mit Freuden hatten sie Eyer von Möven und andern Strandvögeln, in den Klippen und Spalten in welche sie ihre Nester baueten, entdeckt, und auch von diesen sammelten sie einen Schatz, den sie für die übeln Tage sorgfältig aufsparten. So gerüstet, sahen sie der Veränderung der Natur geduldig entgegen. Doch, nicht so lange sollte ihre Einsamkeit währen. An einem Tage als beide von einer Felsenspitze, die ihnen eine weite Aussicht über das Meer hin bot, wie gewöhnlich sehnsüchtig auf die Wasserfläche blickten, ob sich ihnen nicht Erlösung zeige, erblickten sie fern am Horizont ein Schiff, das freilich nur wie ein kleiner Punkt erschien, doch deutlich sahen sie es sich vergrößern, ein Beweis, daß es ihnen näher kam. Sie stürzten, bebend vor Freude und vor Furcht, [145] daß es, ohne sie bemerkt zu haben, vorüberseegeln könne, die Höhe hinab, und während Ludwig eifrig beschäftiget war, eine ungeheure Menge aufgehäuftes dürres Reisig, welches beide hier aufgesammelt hatten, theils zu diesem Gebrauch, theils auch es in den Regentagen zu verbrauchen, anzuzünden, daß die Flamme hoch sich erhob und weit gesehen werden konnte, band Karl alle ihre Kleidungsstücke, die sie, um sie zu schonen und da es ohnehin sehr warm auf dieser Insel war, abgelegt hatten, an einen dünnen Baumstamm und ließ sie, gleich einer Fahne von der hohen Felsenspitze wehen. Glücklicherweise kam das Schiff ihnen so nahe, daß die Besatzung desselben sowohl das Feuer als die flatternden Kleider bemerken konnte, und der Kapitain, ein menschenfreundlicher Mann, der sogleich vermuthete, es suchten einige durch Schiffbruch dahin verschlagene Unglückliche, Hülfe durch diese Zeichen von ihm zu erlangen, ließ ein Boot aussetzen, und befahl einigen von seinen Leuten an das Eiland zu rudern. Wie freudig eilten ihnen die Brüder entgegen und weinten Freudenthränen, endlich wieder Menschen zu sehen und von ihnen aufgenommen zu werden. Sie hatten nichts mitzunehmen, als ihren Anzug, mit welchem sie sich eilig bekleideten und dann ins Boot zu kommen eilten. Ihre Erzählung setzten [146] den Kapitain und die Mannschaft in Erstaunen, und der erste entschloß sich, beiden Knaben zu ihrem Fortkommen behülflich zu seyn. Während der Reise hatte er Gelegenheit sie zu beobachten; und da Ludwig ausdauernde Thätigkeit und einen besonnenen, verständigen Sinn zeigte, gewann er ihn sehr lieb und beschloß väterlich für ihn zu sorgen. Bei ihrer Ankunft in Lübeck nahm er beide mit nach Hamburg, wo er Verwandte hatte, und da Ludwig Lust bezeigte die Handlung zu erlernen, brachte er ihn in einem angesehenen Handlungshause als Lehrling an und trug großmüthig alle Unkosten, welche, sowohl die Erlernung seines künftigen Geschäftes, als auch noch der Unterricht in Sprachen und die Kleidung erforderten. Mit Karls Unterkommen ging es nicht so leicht; denn da der Kapitain nicht so reich war, daß er beide erziehen und unterrichten lassen konnte, so wird es Niemand ihn verdenken, daß er seine Wohlthaten demjenigen von ihnen nur zufließen ließ, der ihm derselben am würdigsten schien. Doch verließ er den Andern auch deshalb nicht, sondern gab sich alle Mühe, ihn unterzubringen. Endlich fand sich doch ein Kaufmann der ihn unentgeltlich zu sich nahm, und ihm versprach, ferner für ihn zu sorgen und mit der nöthigen Kleidung zu versehen. Ludwig erbot sich, was er ausserdem [147] erlernte, ihm zu lehren, und Karl gab alle mögliche Versprechungen des Fleißes und der Ausdauer. Aber nicht lange, so erkaltete auch schon der Eifer, welchen er anfangs zeigte. Er ward unzufrieden, daß andere junge Leute seines Alters größern Aufwand machen, und sich besser kleiden konnten, als er, und suchte es ihnen nachzumachen. So borgte er, anfänglich bei seinem Bruder, dann bei andern Leuten, unter diesem oder jenem Vorwande Geld und vernaschte, und zuletzt, leider! verspielte er es. Eine geraume Zeit blieb seinem Herrn die schlechte Aufführung verborgen; so wie auch Ludwig, der immer fleißig und ordentlich fortlebte, nichts davon wußte, daß sein Bruder schon so tief gesunken war; aber endlich kam alles ans Licht. Er bat und flehte seinen Herrn an, ihm nur diesesmal noch zu verzeihen und gelobte feierliche Besserung. Eine Zeitlang währte diese auch wirklich, und Ludwig, der so oft er konnte ihn besuchte und mit allen möglichen Vorstellungen bei seinen guten Vorsätzen zu erhalten sich bemühte, hoffte schon den Bruder völlig gebessert zu sehen. Doch wie lange währen bei einem Leichtsinnigen, Unbedachtsamen, die besten Vorsätze! Früh schon hatte Karl den abscheulichen Fehler an sich, die Unwahrheit zu sprechen, und seine Eltern betrübten sich oft über diese[148] schändliche Neigung ihres Sohnes, und suchten ihn durch nachdrückliche Bestrafungen davon zurück zu bringen. Jetzt fing er aufs Neue an, sein längeres Ausbleiben entschuldigen zu wollen und seinem Herrn bald diese, bald jene Lüge aufzuheften; doch sobald es dieser sowohl als die Andern gewahr wurden, daß er sie betrog, fingen sie an ihn zu verachten, und es ihm durch ihr Betragen fühlen zu lassen. Wahrheitsliebe und ein reines Herz werden in jedem Stande, in jedem Verhältnisse, und in jedem Alter geachtet und geehrt; aber weder Reichthum noch hohe Geburt können Achtung erzwingen, wenn, der sie besitzt, ein Lügner und daher ein Heuchler, man kann sogar sagen, ein Betrüger ist. Der Lügner will täuschen, so kann man dreist sagen, er will betrügen. Indeß war Karls Herr doch so großmüthig, ihn bei sich zu behalten, bis er so weit war, daß er sich selbst forthelfen konnte; dann gab er ihm noch etwas Geld und entließ ihn mit den nachdrücklichsten Vermahnungen. Karl trat nun als Commis in eine Handlung; aber jetzt, in seiner vollen Freiheit, fing er erst recht an, sich seinem Leichtsinne zu überlassen. Er spielte, und trieb sich in den Wirthshäusern umher, und da seine Einnahme zu dem Aufwande, den er machte, nicht hinreichte, machte er Schulden, und belog die [149] Leute die ihn nicht kannten, mit der Versicherung er habe sehr reiche Verwandte. Endlich ward sein Herr, der von allen Seiten her seine schlechte Aufführung erfuhr, und der schon lange unzufrieden mit ihm, der Nachlässigkeiten wegen war, die er sich in seinem Geschäfte zu schulden kommen ließ, es überdrüssig, einen Menschen bei sich zu wissen, bei dem keine Ermahnungen fruchteten, und der ohne Nachdenken sich seinen Leidenschaften überließ. Er entließ ihn, und der schlechte Ruf, den Karl sich leider! erworben, machte es ihm unmöglich, in Hamburg ein Unterkommen zu finden. So ging er nun in eine andre, entfernte Stadt; da er aber sein Betragen nicht änderte, blieb auch die Strafe desselben nicht aus, sondern folgte ihm von Ort zu Ort, bis sie ihn schrecklich erreichte. Ludwig indeß erlernte die Geschäfte der Handlung mit Fleiß, und übte sich auch ausserdem in fremden Sprachen, so daß, da seine Aufführung untadelhaft war, sein Herr, nachdem die Lehrjahre vorüber waren, ihn als Commis bei sich behielt, und ihm nach einiger Zeit seine Geschäftsreisen übertrug. Vergebens erschöpfte er sich in Ermahnungen und Bitten seinen Bruder zu bessern, und zahlte von seinem Einkommen mehreremale die Schulden, welche dieser gemacht. Während der ersten und langwierigen [150] Reise, die er in den Geschäften seines Prinzipals unternommen, verließ Karl Hamburg, und bei seiner Zurückkunft erfuhr er mit lebhafter Betrübniß Karls verschlimmerten Lebenswandel und sein Verschwinden. Gleich darauf beschloß der Kaufmann, bei welchem er war, die Handlung aufzugeben, weil der Krieg und seine geschwachte Gesundheit ihn in allen Unternehmungen hinderten. Da in Europa in dieser Zeit der Handel ganz darnieder lag, und fast jeder Ort ein Schauplatz kriegerischer Unruhen oder deren Folgen war, so beschloß Ludwig nach Amerika zu gehen, überzeugt, daß bei seinen Kenntnissen und dem ernsten Willen sie gut anzuwenden, es ihm nicht an einem guten Fortkommen fehlen könne. Versehen mit den besten Empfehlungsschreiben und einer ziemlichen Geldsumme, trat er die Reise an, in Gedanken mit der Erinnerung an seine Eltern und ihren Schiffbruch und seine Errettung beschäftiget. Erinnerungen, welche das Meer und die Fahrt auf demselben, wieder erweckten. Endlich erreichte das Schiff glücklich den Ort seiner Bestimmung, und Ludwig ging nach Boston, woselbst ihm die mitgebrachten, vortheilhaften Zeugnisse, bald einen guten Platz in einem angesehenen Handlungshause verschafften. Eines Tages erblickte er auf der Strasse einen bejahrten Mann, dessen [151] Züge, obgleich verändert, ihn lebhaft an seinen Vater erinnerten; doch fest überzeugt, das Meer berge schon lange seine geliebten Eltern, seufzte er nur über diese Aehnlichkeit, welche seinen Kummer über ihren Verlust wieder erneuerte, ohne ihn zu stillen. Nachdenkend verfolgten seine Blicke immer diesen Mann, und bei seiner Zuhausekunft dachte er unaufhörlich an ihn, und zuletzt war er unzufrieden mit sich selbst, daß er ihm nicht gefolgt und angeredet hatte. Er schlief vor Unruhe fast die ganze Nacht nicht, und am andern Tage lief er viele Stunden auf den Strassen umher, aber ohne ihm zu begegnen. Endlich, nach einigen Wochen traf er wieder mit ihm zusammen, und diesesmal schien ihm die Aehnlichkeit noch sprechender als vorher. Er nahete sich ihm, und wagte es, ihn mit der Frage anzureden, ob er nicht ein Deutscher, und also sein Landsmann sei? Zitternd, vor freudiger Beklemmung, vernahm er die bejahende Antwort und zweifelnd, zwischen Furcht und Hoffnung, fragte er weiter aus welchem Theile und aus welcher Stadt Deutschlands er hergekommen? Erstaunt über diese zudringlichen Fragen eines Unbekannten, antwortete der Gefragte, und o Freude! er nannte die Stadt in welcher Ludwig einst mit seinen Eltern lebte. »Und heissen sie nicht Blum?« rief er. – [152] Ja, das ist mein Name, entgegnete der Mann. Ludwig warf sich in seine Arme. O, mein Vater, mein theurer Vater, rief er, und weinte Thränen des Entzückens, den lange, als tod betrauerten, geliebten Vater, bebend in seine Arme zu schließen. Herr Blum, der sich überzeugte, auch er habe einen seiner Söhne, welche er für verunglückt hielt, wiedergefunden, war tief gerührt, wie dieser, und führte ihn, endlich zur Besinnung wiederkommend, nach seiner Behausung, um die Mutter durch diese unerwartete Erscheinung, freudig zu überraschen. Aber doch sollte diese Ueberraschung nicht ganz unvorbereitet erfolgen, weil eine große, plötzliche Gemüthsbewegung, sei sie auch wirklich sehr angenehm, gefährliche Folgen nach sich ziehen kann. Der Vater ging zuerst in das kleine Zimmer, welches sie bewohnten, und sagte ihr, er habe erfahren, ihre Söhne wären nicht, wie sie gewiß geglaubt, bei dem unglücklichen Schiffbruche, um ihr Leben gekommen; sie wären gerettet und der eine befinde sich in der Nähe. So ward sie allmählich von der Hoffnung zur Gewißheit geleitet, und als nun endlich der geliebte Sohn selbst erschien, weinte die gute Mutter laut vor freudiger Rührung. Da ging es ans Erzählen und die Geschwister konnten nicht müde werden, den Bruder, der so groß [153] und schön geworden war, zu betrachten und zu bewundern; und dieses gesunde, blühende Aussehen des Sohnes, machte auch den Eltern die größte Freude, da es ein sicherer Beweis seiner guten Aufführung war. Ein junger Mensch, der ordentlich und mäßig lebt, verräth durch eine frische Gesichtsfarbe und lebhaften hellen Blick diesen untadelhaften Lebenswandel, da hingegen ein mattes, fast erloschenes Auge, und eine blasse Gesichtsfarbe bei jungen Leuten Kennzeichen einer unregelmäßigen, oft leider! unsittlichen Lebensart sind. Ist Kränklichkeit die Ursache dieses übeln Aussehens, so sind sie unschuldig und zu beklagen. Ludwig erfuhr nun, daß seine Eltern mit den kleinern Kindern, viele Stunden in dem Boote, in welches man sie aufgenommen, den Sturm und der Nässe Preis gegeben worden, bis, glücklicherweise sie ein Schiff, das sie gefunden, aufgenommen und an eine Küste von Amerika gebracht habe. Das kleinste der Kinder war unterwegs an den Folgen der Erkältung gestorben, und die Eltern brachten so, nur drei von ihren sechs Kindern, mit denen sie Europa verließen, in den neuen Welttheil. Sie mußten unzählige Widerwärtigkeiten und Mangel erdulden, ehe es dem Vater endlich gelang einen Platz zu erhalten. Es war dieser in der Handlung eines wohlhabenden Kaufmannes, [154] der ihm es an Arbeit nicht fehlen ließ, aber mit der Besoldung nicht sehr freigebig war. Ludwig war fröhlich, daß er doch nun im Stande war, seine Eltern unterstützen zu können, und arbeitete nun noch einmal so gern und so anhaltend, da sein Fleiß die Lage derer erleichtern mußte, welche ihm am theuersten waren; und wenn er dann nach vollbrachtem Tagewerke in ihrem Kreise war, fühlte er sich recht glücklich und zufrieden. Ganz konnte er es ihnen nicht verschweigen, wie Karl sich betragen, doch milderte er seine Vergehungen, um die Eltern nicht zu betrüben, und ihnen alle Hoffnung, ihn gebessert zu wissen, zu benehmen. So vergingen einige Jahre und Ludwig hatte durch seinen Prinzipal, der ihn sehr liebte, dem Vater einen weit vortheilhafteren Platz verschafft, so daß die Eltern nun von allen Sorgen der Nahrung befreit, leben konnten. Eines Tages, als aus Europa kommende Schiffe, auch Ludwig ans Ufer führten, ward er unter einer Menge Ankömmlinge, die theils gut gekleidet, theils armselig genug, ihr Glück in Amerika suchen wollten, in einer bleichen, abgezehrten, fast nur mit Lumpen bedeckten Figur, seinen Bruder gewahr. Er schrie fast laut auf vor Schmerz und doch auch in einer freudigen Empfindung ihn zu sehen, wenn auch in dieser veränderten[155] Gestalt. Ohne sich an die Umstehenden zu kehren, drängte er sich zu ihm und umfaßte ihn. Karl, in der höchsten Ueberraschung, und beschämt in solch einem Aufzuge dem Bruder wieder zu erscheinen, folgte ihm demüthig und verwirrt in seine Wohnung. Hier gab ihm Ludwig sogleich von seiner Wäsche und Kleidern, um ihn von den Lumpen, die er um sich hatte, zu befreien, und versorgte ihn mit Speise und Trank. Der Unglückliche war immer tiefer gesunken, bis er zuletzt als ein Tagedieb in keinem Lande mehr geduldet, den verzweiflungsvollen Entschluß faßte, Europa ganz zu verlassen. Sein durch Ausschweifungen geschwächter Körper, machte es ihm unmöglich, selbst noch Soldat zu werden, und krank und elend und abgezehrt, erschien der sonst so frische Jüngling wie ein siecher, abgelebter Greis. Sein Bruder weinte vor Kummer bei diesem Anblick und bei der traurigen Geschichte des Verirrten. Er erzählte ihm nun, wie er die Eltern gefunden und führte ihn, nachdem er diese auf den traurigen Anblick vorbereitet hatte, zu ihnen. Freilich ward die Freude des Wiedersehens sehr getrübt, da dieser Sohn nicht wie der jüngere, wohlgerathen und gesund ihnen wieder erschien; doch hofften sie, er werde sich künftig bessern, da er aufrichtige Reue zeigte, und das gab ihren bekümmerten [156] Herzen wieder Trost und Muth. Wirklich änderte er seine Lebensweise, durch die bitterste Erfahrung zurechtgewiesen; aber nie mehr erhielt sein durch einen schlechten Lebenswandel geschwächter Körper, die vorige Stärke und Gesundheit, und zu spät bereuete er es, sich so ungezügelt seinen Leidenschaften hingegeben zu haben. Ludwig dagegen genoß noch lange das süsse Vergnügen die Stütze und die Freude seiner Eltern und Geschwister zu seyn. Der Seekapitain, der so väterlich für ihn gesorgt hatte, und von welchem er immer von Zeit zu Zeit Nachrichten einzog, beschloß endlich, da sein herannahendes Alter ihm die bisherige Lebensweise nicht länger zu führen erlaubte, sich zur Ruhe zu begeben; und da ihn nichts an Europa fesselte, blieb er in Boston und lebte in Ludwigs Hause, der ein braves, fleißiges Frauenzimmer geheirathet hatte, und für seine eigne Rechnung handelte. Er begegnete seinen Wohlthäter wie einen geliebten Vater, und ward nach dessen Tode sein Erbe.

[157] Bestrafter Ungehorsam.

Wilhelm, ein achtjähriger Knabe, fand ein großes Vergnügen daran ein Pferd zu besteigen und zu reiten. Sein Vater versagte ihm diesen Wunsch nicht, doch mußte es immer in seiner Gegenwart geschehen, und ein sicheres Pferd zu diesem Gebrauche für den kleinen Reiter gesattelt werden; aber Wilhelm ward zu dreist, und traute sich mehr Kräfte zu, als er wirklich besaß; denn um ein Pferd lenken und regieren zu können, darf man nicht schwach und kraftlos seyn. Er strebte nun schon allein, ohne die väterliche Aufsicht und ohne das Pferd, welches er bestieg, zu kennen, sich seinem Vergnügen zu überlassen. Sein Vater, welcher ein Pächter war, wohnte auf dem Lande, und so fehlte es auch an Gelegenheit dazu nicht. Eines Tages, als der Vater auf dem Felde beschäftigt war, lief Wilhelm zu ihm und bat um die Erlaubniß, ein Pferd, welches seit einigen Tagen im Hause war, besteigen zu dürfen. Der Vater verbot es ihm, weil er noch zu wenig mit dem Thiere bekannt war, um zu wissen, ob es nicht tückisch oder wild und scheu sei. Wilhelm kam betrübt nach Hause; [158] da er aber gleich darauf den Knecht erblickte, welcher das Pferd führte, lief er in den Hof und verlangte, dieser solle ihm erlauben ein wenig umher zu reiten. Anfänglich widersetzte sich der Knecht diesem Verlangen, endlich gab er aber doch nach, und Wilhelm fing an lustig umher zu traben. Nicht lange währte aber seine Freude; das Pferd merkte bald die Schwäche seines Reiters und warf diesen ab. Unglücklicherweise fiel dieser auf einen Stein der spitzig war. Der Knecht hob ihn auf und führte oder trug ihn vielmehr ins Haus zu der Mutter, wo er sogleich über Schmerzen an der Seite, auf welche er gefallen war, klagte. Die erschrockene Mutter schickte augenblicklich in die nahe Stadt nach einem Arzt; ehe aber dieser noch erschien, hatte Wilhelm schon sein Leben geendet. Er hatte, durch den harten Fall, die Leber so beschädiget, daß er sterben mußte. So verlor er früh schon sein Leben und versetzte seine Eltern in die allerhöchste Betrübniß.

[159] Die guten Kinder.

Der Geburtstag der guten Mutter nahete; da versammelten sich die größern Kinder immer in einen Haufen und flüsterten untereinander, wie sie ihr kleines Taschengeld, das sie schon lange zu diesem Vorhaben aufgespart hatten, nun anwenden wollten, der Mutter ihre Liebe und kindliche Dankbarkeit, durch manches kleine Geschenk an dem festlichen Tage zu beweisen. Die Mädchen, Adelheit und Emilie, hatten sich seidenes Zeug und Stickseite gekauft, und standen seit einiger Zeit eine Stunde früher auf, als gewöhnlich, um einen Arbeitsbeutel und Strumpfbänder der Mutter zu sticken. Die Brüder hatten blühende Rosenstöcke und andere schöne Blumen bei einem Gärtner bestellt, und Elise, welche schon recht schön strickte, verfertigte in ihrer Strickstunde, unter der Aufsicht ihrer Lehrmeisterin, ein artiges Bändchen, mit dem Namen der Mutter bezeichnet, und dem Wunsche: »guten Appetit!« um mit demselben die Serviette zu umwinden und so auszuzeichnen. Der kleinere Fritz und die noch kleinere Lotte, hatten aber noch kein Taschengeld, noch konnten sie etwas [160] durch eigne Geschicklichkeit Hervorgebrachtes überreichen; und obgleich die ältern Geschwistern nicht in ihrer Gegenwart ihre Berathschlagungen hielten, um ihre kleinen Geheimnisse nicht vor der Zeit von den geschwätzigen Kleinen ausgeplaudert zu sehen, so erhorchten doch diese mit unter ein Wörtchen und sprachen unter einander darüber. Besonders war an dem vorletzten Tage des Flüsterns und geschäftigen Hin- und Herlaufens viel, und in ihrem freudigen Eifer vergaßen die Beschäftigten oft daß sie nicht allein waren. »Höre Lotte, sprach Fritzchen, wenn wir doch auch etwas der Mutter bringen könnten!« Ich will ihr meine schöne neue Puppe geben! rief die Kleine und hüpfte vor Freuden. »Ach das geht nicht, entgegnete der Bruder, denn siehst du, die Mutter spielt ja nicht mehr mit Puppen.« Ja das ist wahr! seufzte Lottchen, und stützte, betrübt, daß sie auch gar nichts hatte, was sie der lieben Mutter schenken konnte, das Köpfchen in die Hand. »Ich hab's, ich hab's!« rief fröhlich der Knabe, und fort lief er. Am andern Morgen erschienen die Kinder, artig geputzt, mit ihren Geschenken. Die Mädchen hatten kleine Teller von weißem Porzelain gekauft, und auf diesen ihre Gaben, mit Kornblumen geschmückt, zierlich hingelegt, und die Knaben hatten die Blumentöpfe,[161] welche sie überbrachten, mit Kränzen und Feldblumen umwunden. Fritz hatte sein kleines weißes Täubchen, das ihm die Tochter des Nachbars vor einiger Zeit schenkte, weil es ihm so wohl gefiel, mit einem Kränzchen von Vergißmeinnicht um den Hals, stattlich heraus geputzt, und überreichte es der Mutter. Lottchen hatte nur ein einziges Veilchen in ihrem kleinen Gartenbeete gefunden. Traurig, daß sie nur eine so kleine Gabe bringen konnte, kam sie zuletzt und sagte dann: »Liebe Mutter! ich bringe dir nur dieses kleine arme Blümchen; aber ich will recht gut seyn, recht gut, und dir recht viele Freude machen.« Da nahm die gerührte Mutter ihr Kind auf den Schoos und küßte es herzlich, und sprach: »Dein kleines Veilchen macht mir schon Freude, und noch viel mehr dein schönes Versprechen; du hast mich eben so reich beschenkt, als deine Geschwister; und Fritzchen hat mir das Liebste gegeben, was er besitzt; ihr sollt beide das schneeweiße Lämmchen haben, welches euch so wohl gefällt; die Bäurin, der es gehört, hat es mir schon versprochen, und dann binden wir ihm eine Schelle mit einem rothen seidnen Bändchen um den Hals.« Da jauchzten alle Kinder vor Freuden, und am Mittage gingen die Eltern mit ihnen spazieren, und in das Dorf, in welchem das Lämmchen [162] war. Hier durften die Kinder recht umher springen, und bekamen Milch und Kuchen. Als sie nach Hause gingen, hüpfte das Lämmchen mit ihnen, schön geputzt, mit der Schelle und dem rothen Bande.

Marie und Felix.

Die kleine Marie kam aus der Schule und hüpfte über die glatten Steine des Pflasters, welche der Frost schlüpfrig gemacht hatte. Felix sah ihr zu und ermunterte sie, es ihm nachzumachen; aber da fiel das Kind und rizte sich die Hand blutig, und beschmutzte ihr weißes Schürzchen. Sie fing bitterlich an zu weinen; Felix aber verspottete sie noch obendrein, und rief: »mach mir es ein andermal nach, du ungeschicktes kleines Ding!« Noch neckte er sie, da glitt sein Fuß aus, und er stürzte, so lang er war, zu Boden, und beschädigte sich das Gesicht. Da lief die kleine Marie mitleidig zu ihm hin und bedauerte ihn, und gab ihm ihr Schnupftuch, sich das Blut und den [163] Schmutz vom Gesichte zu wischen. Beschämt schlich Felix nach Hause und mußte sich gestehen, daß das kleine Mädchen viel besser war, als er. Von der Zeit an unterließ er seine böse Gewohnheit, die jüngern Kinder immer zu necken und zu verspotten, nachdem er sie vorher selbst verleitet hatte, ihm diese oder jene Spielerei nachzumachen.

Die bösen Schwestern und die gute.

Ein Mährchen.


Eine Frau lebte mit drei Töchtern in einem großen Walde von allen Menschen abgesondert. Die beiden ältesten Schwestern waren sehr böse, und als sie erwachsen und die Mutter alt und schwach geworden, behandelten sie diese oft unfreundlich und rauh. Auch die kleine Schwester, Rose, hatte es recht schlimm und mußte viel von ihrer üblen Laune und Bosheit dulden. Eines Tages kam eine Frau zu ihnen und erzählte, daß mitten im Walde eine ungeheure Höhle sei, welche bis [164] Oben zu, mit Gold und herrlichen Sachen angefüllt wäre. Als die Frau weg war, sprachen die Mädchen sogleich davon, daß sie diese Höhle aufsuchen wollten, um diese Herrlichkeiten mit eignen Augen zu sehen, und vielleicht etwas davon zu erhaschen. Die Mutter warnte sie, und meinte, die alte Frau habe wie eine Betrügerin ausgesehen, die sie, wer weiß es in welcher Absicht, in dem Wald locken wollte; doch die beiden, Setti und Netti, hörten nicht darauf und gingen fort, die Höhle mit ihren Kostbarkeiten aufzusuchen. Lange gingen sie so herum, als sie auf einen freien Platz kamen, der von Felsen umher eingeschlossen war. Es zeigte sich ihnen der Eingang in eine Höhle; aber über diese war auf einem Felsenstück eine Inschrift eingehauen, welche anzeigte, daß der, welcher es wagte diese Höhle zu betreten, von den schönen Sachen, welche sie verbarg, so viel mitnehmen könne, als er wolle, daß er aber, wenn er wieder herausgekommen, nur drei Tage leben und sich nur so lange der erbeuteten Dinge erfreuen könne. Ihre Habsucht gab ihnen sogleich den abscheulichen Gedanken ein, Rosen herab zu schicken und durch sie so viel als möglich herauf schleppen zu lassen. Da sie dann sterben mußte, behielten sie beide allein alles. Sie gingen wieder nach Hause und erzählten so viel [165] schönes von der Höhle, daß auch Rose Lust bekam, sie zu sehen; und gleich am nächstfolgenden Tage machten sie sich mit ihr auf den Weg. Bei ihrer Ankunft erlaubten sie ihr nicht die Inschrift zu lesen, sondern zwangen sie, da beide weit größer und stärker waren, hinein in die Höhle zu steigen. Rosa mußte gehorchen und betrat mit Furcht und Zittern den schmalen Pfad, der senkrecht in die Tiefe führte. Lange tappte sie so im Finstern umher; da zeigte sich ihr ein helles Licht, und sie kam in einen schönen Garten, welchen viele Lampen erhelleten. Die Bäume waren mit den herrlichsten Früchten beladen, und diese Früchte waren vom feinsten Golde künstlich nach der Natur geformt. Ein schönes Haus war in der Mitte des Gartens, und sie wagte es auch dieses zu betreten. Aber wie staunte sie über die Menge von hochaufgethürmten seidnen Zeugen zu Kleidern, Halstüchern und dergleichen von allen Farben und Arten. Auch von dem glänzendsten Schmuck war ein Uebefluß da, und das geblendete Mädchen wußte gar nicht mehr, wohin sie zuerst sehen sollte. Endlich wagte sie es mit Furcht und Zittern, dem Befehl der gebieterischen Schwestern, welche ihr gedroht, wenn sie leer zurückkehrte, sie zu kratzen und zu schlagen, zu gehorchen, und nahm ein Tuch, und dann wieder etwas, wie sie mehr Muth [166] bekam, und zuletzt brach sie noch im Garten eine Menge goldner Früchte ab, und trat so, ziemlich beladen, den beschwerlichen Rückweg an. Die beiden Schwestern warteten indeß vergeblich auf ihre Wiederkehr, und da es endlich Nacht geworden, fingen sie an zu fürchten, es möchte ihr etwas zugestoßen seyn, daß sie in der Höhle gestorben wäre. Voll Furcht gingen sie nach Hause, wo sie in der Morgendämmerung nach langen hin und her irren, anlangten, und wo die Mutter, welche um sie ängstlich besorgt, kein Auge geschlossen hatte, schon an der Thüre saß, und ihrer Kinder harrete. Sie erzählten ihr, Rose sei aus Vorwitz, wider ihren Willen, in die Höhle hinab gestiegen und nicht mehr wieder zum Vorschein gekommen. Die arme Frau vergoß die bittersten Thränen um das beste von ihren Kindern; sie konnte sich es aber wohl vorstellen, daß Rose nicht aus freiem Antriebe, sondern nach dem Willen der Schwestern in die Höhle gegangen, und während die Beiden sich niederlegten, um den versäumten Schlaf nachzuholen, machte sie sich selbst auf den Weg, zu der ihr so schrecklichen Höhle. Sie ging, immer weinend nach der Gegend zu, wo sie sich befinden mußte, und fand mit einem nicht zu beschreibenden Entzücken, Rosen gesund und frisch unter einem Baum schlafend. Neben[167] ihr lag eine kleine Ziege und nicht fern war ein Haufe der schönsten Sachen und goldner Früchte aufgethürmt. Die gute Frau, welche, sie wußte selbst nicht warum, eine Flasche mit Milch gefüllt mit sich genommen, setzte sich ganz still neben die Schlafende, um sie ja in ihren Schlummer nicht zu stöhren; doch gab sie der kleinen Ziege etwas Milch aus ihrer hohlen Hand zu trinken, welche Wohlthat diese dankbar zu erkennen schien, indem sie ihr freundlich die Hand leckte. Endlich erwachte Rose, und nachdem sie sich, mit der mitgebrachten Milch gelabt hatte, erzählte sie, wie die Schwestern sie gezwungen, hinab zu steigen, und was sie da gesehen, und wie im Rückwege sie diese kleine Ziege, die vor Mattigkeit kaum noch kriechen konnte, gefunden und mit sich genommen habe. Das hatte freilich ihren Rückweg sehr langsam und beschwerlich gemacht, so daß darüber die Nacht eingebrochen, und sie ihre Schwestern nicht mehr gefunden. So kehrte sie nun mit allem was Rose mitgebracht, zur Hütte zurück. Die Schwestern traueten ihren Augen nicht, als die Vermißte, reich beladen, wieder erschien; und gern hätten sie sogleich alles zu sich genommen, wenn sie sich nicht gefürchtet. Sie warteten nur auf den, gewiß bald erfolgenden Tod Rosens, um sie dann zu beerben, und schalten oft, daß[168] sie sich mit der dummen Ziege belastet, anstatt noch mehr schöne Sachen mitzunehmen. Aber zu ihrer Verwunderung blieb Rose gesund und am Leben, obgleich sie sich von ihnen hatte bereden lassen, von dem einfachsten der Zeuge sich eine Kleidung zu verfertigen und zu tragen. Sie bereueten es nun ihr nicht alles weggenommen zu haben, und beschloßen selbst mit ihr die Höhle zu besuchen, und so viel mitzunehmen, als alle drei wegschleppen konnten; doch sollte Rose auch nicht das Mindeste davon bekommen. Gesagt, gethan, die Mutter mochte dagegen einwenden was sie wollte, und Rose mußte durchaus mit und zuerst hinabsteigen. Sie langten Alle wohlbehalten unten an; und nun wurden Garten und Haus die in unveränderter Schönheit prangten, besehen und bewundert; dann ging es ans Auswählen und Einpacken, und Rose ward so schwer beladen, daß sie nur mit Mühe sich und die Sachen fortschleppen konnte. Am Ausgange des Gartens, der heraufwärts den schmalen Pfad führte, lag, wie das erstemal, eine kleine Ziege und blickte sie wehmüthig an; aber Netti und Setti stießen sie mit den Füssen fort und gingen hartherzig vorüber. Rose, obgleich so schwer beladen, daß sie kaum sich regen konnte und weit hinter den Schwestern nachbleiben mußte, konnte sich nicht entschließen, [169] das arme hülflose Thier hier liegen zu lassen, und nahm es auf den Arm, um es mit fort zu nehmen. Die beiden älteren Schwestern waren schon lange wieder zu Hause, als sie erst, ermüdet zum sterben, ankam. Zu sehr beschäftigt mit ihren neuen Herrlichkeiten, achteten sie nicht auf das kleine Thier, welches Rose mitgebracht, sonst wäre es ihr übel gegangen. Am andern Morgen liefen sie mit den schönen Sachen in die Stadt, und die jüngere Schwester mußte fast alles tragen. Sogleich bestellten sie einige Schneider und eine Menge Putzmacherinnen zu sich, um sich wie Damen von hohem Stande zu kleiden und zu schmücken; und da in einigen Tagen ein großer Ball war, blieben sie gleich da, um auf demselben zu erscheinen. Rose verfertigte in aller Stille, da die Schwestern, welche gar nicht müde wurden in der Stadt umher zu laufen, nicht da waren, sich auch einen Anzug von seidnem Zeuge, welches sie ihr noch gelassen, da es ihnen viel zu einfach schien; und als Beide prächtig geputzt auf den Ball gingen, putzte sie sich auch und folgte ihnen unbemerkt. Alle Leute erstaunten über die Pracht ihrer Kleider und die Kostbarkeiten, mit welchen sie überladen waren, und man hielt sie für Gräfinnen, wohl gar für Prinzessinnen. Ihr Stolz und ihr Uebermuth waren ohne Grenzen; und da sie auf die andern [170] Frauenzimmer gar nicht achteten, bemerkten sie auch Rosen nicht. Diese lief, ehe sie den Ball verließen, fort, kleidete sich geschwinde aus und bereitete ihnen Thee, wie sie es befohlen hatten. Am andern und dritten Tage tanzten sie wieder, weil es viele Bälle und Lustbarkeiten nach einander gab; und immer neu geschmückt. Rose bat, sie möchten ihr doch erlauben zu der Mutter zu gehen, aus Furcht, es möchte der armen alten Frau in ihrer Einsamkeit etwas zustoßen, sie verboten es ihr aber, weil sie sie bedienen mußte und sagten: »Ei, es wäre auch ein rechtes Unglück, wenn die Alte stürbe!« Darüber fing Rose, welche die Mutter zärtlich liebte, an zu weinen; da schlugen die beiden bösen Drachen sie unbarmherzig. Es war wieder ein großer schöner Ball, den sie besuchten, und auch Rose bekam Lust zu tanzen. Sie hatte es seit dem erstenmale nicht wieder gewagt hinzugehen, und besaß auch nur das einzige hübsche Kleid vom vorigen Balle. Geschwinde kleidete sie sich an; und um doch etwas verändert zu erscheinen, schmückte sie sich mit natürlichen Rosen. Sie sahe den Hochmuth und das eitle Betragen ihrer Schwestern wohl, und schämte sich im Stillen anstatt ihrer. Da erschien eine ältliche Frau auf dem Balle, die sehr armselig angezogen war, deßhalb betrachteten sie einige mit Verwunderung, [171] daß sie es gewagt, so hier zu erscheinen, und andere spöttelten. Aber die beiden übermüthigen Schwestern verspotteten sie laut und beschimpften sie. Eine Zeitlang schwieg die Frau. Plötzlich aber stand sie auf und berührte mit einem kleinen Stäbchen, welches sie in der Hand hielt, die Beiden; da verwandelten sich ihre herrlichen Kleider in alte schmutzige Lumpen und die Brillanten in Kieselsteine; Rosens Anzug aber blieb wie er war. Ein lautes, schallendes Gelächter erhob sich rings umher, und so wie sie vorher Andere verspottet hatten, wurden nun sie verhöhnt. »Wißt, sprach die Fee, daß ich die Besitzerin der Höhle bin, und euch die Sachen, die ihr mir genommen, wohl gegönnet hätte, wäret ihr nur gutmüthige Geschöpfe. Um eure Herzen zu prüfen, flehte ich euch, verwandelt in eine kleine hülflose Ziege, um Erbarmen an; ihr stießet mich aber unbarmherzig zurück. Noch einmal wollte ich euch beobachten, in der Hoffnung, mein armseliger Anzug werde euer Mitleid erregen; aber ihr habt mich verhöhnt, und eure arme Mutter habt ihr hülflos in der Hütte zurückgelassen. Jetzt geht; ich beobachte euch künftig genau, und wenn ihr euch nicht bessert, so bestrafe ich euch noch härter.« Tief beschämt und gedemüthigt, schlichen die Beiden nach ihrer Wohnung, [172] wo sie die dort noch habenden schönen Sachen, so wie ihre Kleidung verwandelt fanden, und leer zogen sie nach Hause. Rose trug ihr Päckchen und fand, als sie zurückgekommen, alles was sie das erstemal aus der Höhle getragen und was ihr gehörte, unverändert schön. Sie war voll Freude ihre Mutter, wohl besorgt um sie, aber gesund wieder zu finden; und da sie nun den Werth der Edelsteine und des Geldes genau kannte, ging sie am andern Tage wieder in die Stadt und verkaufte sie, und gab der Mutter das dafür empfangene Geld. Nun konnte diese sich vieles Land kaufen und besser leben, und Rose pflegte und wartete sie kindlich; die kleinen Ziegen waren aber verschwunden. Die bösen Schwestern, so gern sie es auch gethan hätten, wagten es nicht, Rosen zu mißhandeln, noch auch der Mutter übel zu begegnen, aus Furcht vor der mächtigen Fee. Aber sie konnten die Beschimpfung auf den Ball nicht verschmerzen, und den Verlust so vieler Herrlichkeiten; dazu waren sie voll Wuth und Mißgunst über Rosens Glück. Das zog Beiden das Gallenfieber zu, und sie starben nach einem Jahre. Rose aber war so glücklich, ihre gute Mutter bis in das höchste Alter bei sich zu sehen und sie pflegen zu können.

[173] Der Zänker.

Der Zänker. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Fritz war so zänkisch, daß er sich mit Niemanden vertrug. Er verlangte, seine Spielkameraden und Geschwister sollten durchaus nur das thun, was er wollte, und alle ihre Spiele mißfielen ihm, wenn er es nicht war, der dasjenige, welches sie vornahmen, gewählt hatte. Der Vater sagte endlich: »Hört Kinder! wenn Fritz immer streitet, und immer einen neuen Zank beginnt, so laßt ihn nicht mit euch spielen; denn es wäre unrecht, wenn mehrere sich durchaus nach dem Eigensinn und der Herschsucht eines Einzelnen richten sollten. Man muß nachgiebig und gefällig seyn, um andern angenehm und von ihnen geliebt zu werden, und da du, mein Sohn Fritz, das nicht bist, mußt du es aus Erfahrung lernen, daß nicht der eigensinnige Willen eines Einzelnen, ihn berechtigen kann, andern Gesetze vorzuschreiben.« Fritz versprach Besserung und spielte auch eine Zeitlang ruhig und verträglich mit den andern; doch nicht lange, so erwachte die alte Zanksucht aufs neue in ihm; da entfernten sich die Gespielen aus seiner Nähe und er mußte von fern nur zusehen, [174] wie vergnügt sie waren und sich mit mancherlei Spielen belustigten; da mußte er endlich doch nachgeben und sie wollten, ihn wieder unter sich aufzunehmen. Aber leider, verließ ihn sein Eigensinn doch nie, und in der Folge, als er älter ward, zog ihm dieser und sein unaufhörliches Streiten, viele Unannehmlichkeiten zu, und entfernte jedermann von ihm; das machte ihn zuletzt mißvergnügt und traurig, und er bereuete es jetzt zu spät, nicht dem Vater gefolgt zu seyn, welcher ihn immer ermahnte, früh schon seine Neigung zu bezwingen, und sich ihr nicht noch mehr zu überlassen.

Das gute Kind.

Die kleine Nina war ein so gutes, freundliches Kind, daß jedermann sie herzlich lieb hatte. Wenn sie aß, sahe sie sich immer nach der kleinen Katze und dem Hündchen um, auch ihnen etwas mitzutheilen. Entstand unter den andern Kindern ein Streit, so sahe sie ängstlich zu, und wenn es nach ihrer Meinung zu arg wurde, und Einer dabei zu kurz kam, lief sie hin und[175] bat recht schön, und oft mit Thränen, sie möchten wieder gut sein. Wollte auch ihr jemand etwas wegnehmen, so fing sie deshalb keinen Zank an, sondern bat es ihr zu lassen, und weil sie sanft und gut war, thaten ihr auch die wildesten Kinder nichts zu leide. Sie klagte auch nie bei der Mutter die andern Geschwister an, dabei war sie so aufrichtig und ehrlich, daß, wenn sie einen kleinen Fehler begangen, sie ihn nie entschuldigte und wohl gar, wie manche Kinder, läugnete; sondern sie ging sogleich zu den Eltern und gestand ihn, und gelobte Besserung; sie hielt dann aber auch Wort und ließ es nicht bei dem bloßen Versprechen bleiben. So ward sie, als sie erwachsen war, ein liebenswürdiges und vortreffliches Frauenzimmer, welches den Eltern die größte Feude machte, und von Allen geliebt und geschätzt wurde.

Der edle Sohn.

Der edle Sohn. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Es wüthete einst ein recht langwieriger und furchtbarer Krieg, der viele Menschen in die bitterste Armuth[176] stürzte. Miller, ein armer Handwerksmann, ward dadurch, daß fast Niemand ohne die äusserste Noth ihm etwas zu arbeiten gab, und durch die starke Eiquartierung, bei welcher auch er in seinem kleinen Häuschen immer einen, oder wohl zwei Soldaten aufnehmen und speisen mußte, in solche Noth und Dürftigkeit versetzt, daß er und seine Frau und seine Kinder die Betten verkaufen und auf bloßem Stroh schlafen mußten. Alle ihre beßten Kleider hatten sie schon weggegeben und behalfen sich mit alten Lumpen; und doch legten sie sich manchen Abend hungrig nieder, und wenn sie aufstanden, erwartete sie nicht, wie ehemals, ein Frühstück, wäre es auch noch so geringe gewesen. Franz, der älteste Sohn, konnte das Elend der armen Eltern, die sich fast zu Tode kümmerten, nicht länger mehr ansehen. Er war wohl erst sechzehn Jahr alt; da er aber für sein Alter eine ungewöhnliche Größe besaß, und man es in den Kriegszeiten nicht so gar genau mit der Größe und Stärke der Soldaten nimmt, faßte er den Entschluß, für einen reichen jungen Menschen, welchen das Loos getroffen, Soldat zu werden, einzutreten, und dadurch, daß er sich eine Summe voraus zahlen ließ, den Eltern eine Unterstützung zu verschaffen. Es gelang ihm, und nachdem alles in Richtigkeit war, und drei Theile der [177] bewilligten Summe, wie es gewöhnlich ist, in der Kriegskasse niedergelegt wurden, um sie ihm nach Verlauf der sechs Dienstjahre auszuzahlen, erhielt er den vierten Theil, und heiter vor Sehnsucht und Freude, sie aus ihrer Noth zu erretten, flog er zu ihnen, um ihnen das Geld zu überbringen. Die guten Leute erschracken sehr, da sie wohl wußten, wie wenig Neigung ihr Sohn zu diesem Stande, den er aus Liebe für sie erwählt, immer gezeigt. Doch, nun war es nicht mehr zu ändern, und dieser Beweis seiner dankbaren Liebe für sie, und seines guten Herzens, rührte sie tief. Sie segneten ihn, und sahen ihn mit heissen Thränen seinem neuen Berufe folgen. Franz nahm eben so wehmüthig Abschied, und zog mit seinen Kameraden in die Kaserne, wo er aber nur so lange blieb, bis er das Exerzieren gelernt hatte, und dann ging auch er, wie die Uebrigen, zu dem Regimente ab, bei welchem er angenommen, und welches bei der Hauptarmee stand. Sechs Jahre lang duldete er alle Mühseligkeiten und Plagen seines Standes; da ward der Friede geschlossen, und auch Franzens Dienstjahre waren zu Ende. Nachdem er das ihm aufbewahrte Geld empfangen, ging er mit demselben zu den Eltern. Die armen Leute hatten unterdessen mit Mangel, Krankheiten und drückenden Schulden [178] zu kämpfen gehabt; denn das, was ihnen Franz gleich anfänglich gegeben, konnte bei der Theurung die damals herrschte, und ihrer gänzlichen Nahrungslosigkeit, nicht lange in ihren Händen bleiben. Der Mann hatte sogar aus Noth sein Handwerksgeräthe verkaufen müssen, und ward, durch den Mangel desselben, in die größte Noth gestürzt, da er nun auch gar nichts arbeiten, und daher auch nicht das Mindeste erwerben konnte. Wie ein rettender Engel erschien der zurückgekehrte Sohn, den unter dem Drucke aller Lasten und Plagen Tiefgebeugten. Das Häuschen war ihnen schon lange genommen worden, und sie bewohnten ein kleines, finstres, rauchiches Stübchen, entblöß von allen Bequemlichkeiten des Lebens. Franzens erste Sorge war die, eine, wenn auch nicht schöne, doch weit bessere Wohnung als die bisherige, zu miethen, und das nothwendigste Hausgeräthe und Handwerkszeug anzuschaffen; denn in der Finsterniß wäre es nicht möglich gewesen zu arbeiten. Schwer ward es ihnen wieder Arbeit zu bekommen, und nur mit unendlicher Mühe gelang es dem Vater wie dem Sohne, nach vielen Wochen eine kleine Bestellung zu erhalten; da aber Beide mit Fleiß und um billige Belohnung arbeiteten, so gelang es ihnen nach und nach mehr Aufträge zu bekommen, und in einigen Jahren, als die nun [179] heran gewachsenen jüngern Geschwister auch mit helfen konnten, und ihren Unterhalt dadurch selbst verdienten, verbesserten sich die Umstände dieser Familie so sehr, daß sie zuletzt so wohlhabend wurde, als sie vormals arm und dürftig war. Wie liebten die Eltern und Geschwister aber den guten Franz, den sie mit Recht als ihren Erretter ansahen, und welche Freude mußte ihm das neu aufblühende Glück der Seinigen gewähren.

Die gute Margarethe.

Margarethe spann und spann den ganzen Tag mit angestrengtem Fleiß, um ihre kranke Mutter zu ernähren. Der reiche Nachbar und seine Frau beobachteten sie lange im Stillen und fanden das gute Mädchen immer unermüdet; da sendeten sie der Kranken gute Speisen und etwas Geld, und als sie gestorben, ließen sie Margarethen kommen und gaben ihr auch Geld, den Sarg und die Begräbnißkosten zu bezahlen. Als nun das traurige Geschäfte der Beerdigung vorüber war, nahmen sie das Mädchen zu sich in ihren Dienst, in der [180] gewissen Ueberzeugung, daß eine gute Tochter auch eine gute Magd seyn werde; und so ward das arme verlassene Mädchen in eine, nach ihrem Stande, glückliche Lage versetzt, die sie ihrer kindlichen Liebe allein verdankte.

Der Besuch bei der reichen Fee.

Ein Mährchen.


Es war einst eine Fee, welche recht gütig gegen Alle, besonders gegen die Kinder, welche sie sehr liebte, war. Zwei kleine Mädchen beredeten sich deshalb, sie einmal zu besuchen, um das schöne Schloß, welches sie bewohnte, und die Herrlichkeiten in demselben, recht betrachten zu können. Sie führten ihren Vorsatz aus, und begaben sich zu ihr. O! wie erstaunten sie über die Pracht und Herrlichkeit, die sie daselbst erblickten. Das ganze Schloß war von Kristall und alle Säulen desselben, und deren gab es viele, waren von ächtem Golde, oben und unten reich mit Brillanten verziert; [181] auch das Dach war von Gold und Edelsteinen, und man kann denken, wie das alles, besonders im Sonnenschein, blitzte und funkelte. Inwendig waren die herrlichsten Tapeten an den kristallnen Wänden und die schönsten Gemählde und Spiegel. Es versteht sich, daß die Sopha und Tische und Stühle nicht minder prächtig waren, so wie die Kronleuchter, welche aus Edelgesteinen zusammengesetzt, herrlich glänzten. Seidne Teppiche lagen auf den marmornen Fußboden. Und die Gärten umher, wie mußten die unsre kleinen Mädchen entzücken! Da gab es Blumen und Früchte, so schön um sie beschreiben zu können, und bunte Vögelchen, unter denen Colibris (diese schönen kleinen Vögelchen, die kleinsten welche es giebt, werden hoffentlich den kleinen Lesern, schon bekannt seyn) herum flatterten, und andere sangen so lieblich und hüpften dann zutraulich zu den kleinen Gästen, sich von ihnen fangen zu lassen. Goldfarbige und purpurrothe Fischchen plätscherten in dem hellen Wasser der Fontainen und kleinen Bäche umher, und die herrlichen Düfte der wohlriechendsten Blumen waren durch die Luft verbreitet. Ein niedlicher Zwerg führte die beiden kleinen Mädchen herum; und als sie alles gehörig gesehen und bewundert hatten, kam die Fee in den herrlichen Saal, in welchem sie an einer Tafel mit [182] Zuckerwerk und schönen Früchten, Platz genommen hatten, zu ihnen, und sahe freundlich zu, wie sie mit dem größten Appetit schmauseten. Als sie fertig waren, sprach sie: »Nun, Kinderchen, kommt mit mir, ich will euch noch so manches zeugen.« Neugierig sprangen sie auf und folgten der Fee durch viele schöne Zimmer in eines, welches sehr groß war. O Himmel, welch ein entzückender Anblick! die schönsten Spielsachen waren von allen Seiten her, hochaufgethürmt zu sehen. Puppen gab es da mit seidnen und goldnen Kleidern, und geschmückt mit Hütchen und Hauben und Blumen; eine jede von der andern verschieden in Putz und Kleidung. Früchte von Wachs, so natürlich und appetitlich, daß man sogleich Lust bekam, sie zu essen. Hündchen, Kätzchen, Hühner, Tauben, Lämmer, aber auch wilde Thiere, wie Löwen, Tieger, Leoparden, gab es im Ueberfluß, und alles war gar zu schön! Dann gab es auch schöne Palläste, wie der der Fee von Kristall und Gold, und in diesen wimmelte es von fingerlangen Bewohnern, welche nicht müssig da standen, nein, welche sich regten und bewegten. In einem saß eine kleine Gesellschaft an der Tafel und speisete; eine Menge Schüsseln füllten den Tisch, man sahe sie zierlich Löffel, Messer und Gabel gebrauchen und speisen; sie sprachen auch mit[183] großer Lebhaftigkeit, wie man an ihren Mienen und Bewegungen sah, man konnte aber natürlich nichts verstehen, da ihr Sprechen nur dem Gesumse der Bienen glich. Ein Bedienter ließ ungeschickter Weise eine Schüssel fallen; was gab es da für einen Aufstand unter den kleinen Figürchen! Einige waren von den Speisen, die verschüttet, bespritzt, und konnten ihren Verdruß, trotz aller angewendeten Mühe, nicht verbergen. Und nun das klägliche Gesicht des Bedienten, der so ungeschickt sich benommen! In einem andern kleinen Pallaste ward getanzt. Eben so kleine Wesen, aufs prächtigste geputzt, flogen nach dem Tacte der Musik dahin und dorthin, und als die Instrumente recht laut waren, konnte man denn doch sie ein wenig hören. Die fingerlangen Figuren zierten und dreheten sich, wie die Originale, die sie verkleinert darstellten. Dort tanzte ein alter süsser Geck mit einem schönen jungen Mädchen; da eine alternde Kokette in überladenem Putz mit einem jungen Herrchen, das noch kaum aus den Kinderschuhen war. In einem andern Zimmer spielten viele Persönchen, und man sahe deutlich Zorn und Freude auf ihren Gesichtern wechseln. Ein Theater belustigte die kleinen Mädchen sehr; da gab es ein Schauspiel im Schauspiel. Auch kleine Wälder, schöne Gärten, Spaziergänge gab es, und pfeilschnell [184] flog hier und da eine Kutsche, dort ein Kabriolet, vorbei, neben den wandernden Spaziergängern. Die Kinder waren wie bezaubert verloren in den herrlichen Sachen der Fee. Endlich sprach diese: »Hört, lieben Mädchen, ich wäre gar nicht ungeneigt, euch dieses oder jenes der hübschen Sächelchen mitzugeben, doch erst muß ich euch etwas Wichtigeres fragen. Seht! ich kann eine jede von euch, entweder recht weise, klug und verständig, oder recht schön machen. Jetzt wählt, was ihr wollt, und sagt mir eure Meinung. Du, Blondine, als die Aelteste, wähle zuerst; dann du, braunes Lockenköpfchen!« Blondine sann nur eine Minute, dann rief sie: »O die Schönheit, das versteht sich! Mach mich recht schön, liebe Fee!« Lockenköpfchen besann sich schon länger, dann sprach sie: »Die Mutter sagt immer: es wäre einerlei schön oder nicht schön zu seyn, aber man müsse recht gut seyn, und recht weise und recht verständig. So laß mich, liebe Fee, recht gut seyn, und recht klug.« Die Fee umarmte sie, und sprach: »Du hast wohl gewählt, mein liebes Kind, und besser als Blondine. Die Schönheit ist eine vergängliche Zierde, die durch Krankheit oder Unglück und Gram zeitig verschwindet; die Güte aber und die Weisheit bleiben uns immer und machen beliebt und geachtet. Jetzt wähle[185] du zuerst was dir gefällt, und dann du Blondine.« Bescheiden zeigte Lockenköpfchen nur auf einige der geringsten Sachen; aber die Fee wählte selbst für sie, und ob wohl auch Blondine nicht leer ausging, so bekam die andere doch noch mehr, so daß Beide nicht wußten, alles heim zu bringen. Aber die Fee wußte Rath zu schaffen und hieß sie, als es dunkel werden wollte, unbesorgt nach Hause gehen, beladen mit Obst und Gebackenem, und kaum waren sie bei den Eltern angekommen, und eifrig im Erzählen begriffen, als auch schon die Geschenke der Fee im Zimmer waren, und durch ihre Schönheit Eltern und Geschwister entzückten.

Elisens Versprechungen.

Sieh nur, sprach Elise zu ihrer Schwester Julie, hier habe ich einige Groschen, die spare ich recht, und wenn ich wieder etwas Geld vom Vater oder von der Mutter bekomme, wird es zu diesen gethan, bis ich einige Thaler zusammen gebracht, und dann kaufe ich zu Weihnachten den Eltern und den Geschwistern recht [186] viele schöne Sachen. »Aber, entgegnete Julie, bis Weihnachten haben wir nur noch vier Wochen, wo willst du denn so vieles Geld in der kurzen Zeit hernehmen und zusammensparen?« – O, laß mich nur sorgen! Vier Wochen ist eine lange Zeit. Indem kamen sie zu einer Obsthändlerin, welche sie anrief. Julie kaufte nur sehr wenig, und selbst dieses wenige aß sie nicht, sondern brachte es ihrem kleinen Brüderchen mit nach Hause. Aber Elise gab mit einemmale ihre ganze kleine Baarschaft aus und verzehrte das dafür gekaufte Obst. Julie erinnerte sie an ihren, vorhin geäusserten Vorsatz des Zusammensparens bis Weihnachten. Ja, du hast Recht, sprach Elise, ich dachte nur nicht gleich daran. Sie nahm sich es am folgenden Tage wieder vor, und am nachfolgenden, und immer kam es nicht zum Sparen. So kam das Weihnachtsfest heran, und sie hatte nichts, ihren Eltern und Geschwistern, welche sich auch untereinander beschenkten, zu geben, und fühlte sich sehr beschämt. Ei, wie neckten sie da die Geschwister, daß sie ihnen das ganze Jahr hindurch, so viele Versprechungen für diesen Abend gegeben, und nicht die kleinste erfüllt hatte. Es ist besser nicht viel zu versprechen und mehr zu thun als man versprochen hat.

[187] Tollkühnheit.

Die Schüler eines Gymnasiums belustigten sich immer in der Zwischenzeit, wenn die Stunde des einen der Lehrer vorüber war, und der andere noch nicht seinen Unterricht begann, mit mancherlei Spielen auf dem freien Platze vor dem Hause. Ein Brunnen befand sich auch auf diesem Platze und unglücklicher Weise fiel es einmal einem der Knaben ein, von einem Rande des Brunnens zum andern, über die gefährliche Tiefe zu springen. Mehrere machten es ihm nach, und sogar waren sie so thöricht und unbesonnen, dieses gefährliche Spiel auch dann noch fortzusetzen, wenn der Rand des Brunnens vom Wasser benetzt, welches gefroren und so glatt und schlüpfrig geworden war. Einst sprang auch einer der Schüler auf den Rand, glitt aber aus und stürzte in die Tiefe hinab. Ein anderer, der ihn halten wollte, als er schwankte, ward, da jener weit größer war; von ihm mit hinabgezogen, und Beide verloren so schrecklich das Leben.

[188] Man soll Niemanden verspotten, oder der edle Jud.

Einige Kinder verspotteten einst einen sehr armselig gekleideten Juden, und äfften seine Sprache nach. Nach einiger Zeit geriethen die Eltern dieser kleinen Unbesonnenheit in große Armuth und Dürftigkeit, so daß sie nicht mehr wußten, wovon sie sich ernähren und kleiden sollten. Da wandten sie sich an viele Personen, welche aber ihnen doch nichts gaben und unter mancherlei Vorwändten die verlangte Hulfe abschlugen. Darüber verging den Eltern, wie den Kindern, aller Muth und alle Fröhlichkeit. So saßen nun die kleinen Spötter einst sehr niedergeschlagen und traurig vor der Thüre des Hauses, welches sie bewohnten, als zufällig derselbe Jude, den sie nur wenig Monate vorher so spöttisch und übermüthig behandelt hatten, vorüber ging. Er erinnerte sich gar wohl ihrer, aber wie verändert fand er sie wieder! Er fragte in seiner jüdischen Mundart, ob sie heute nichts lächerliches an ihm fänden? Da fing Joseph, der am ärgsten ihn verhöhnt, an zu weinen, und sprach: »Ach, lieber Freund! wir waren wohl recht einfältig, ja wohl böse, daß wir über ihn so [189] spotteten, aber jetzt sind wir auch gar hart dafür bestraft.« – Mitleidig forschte der Jude, dem schon die blassen eingefallenen Gesichter aufgefallen waren, nach ihrer Betrübniß, und erfuhr von den weinenden Kindern, wie arm jetzt die Eltern geworden, und wie sie Alle oft hungrig zu Bette gehen, und im Schnee und Regen mit bloßen Füssen umherlaufen müßten, weil sie weder Schuhe und Strümpfe kaufen könnten, und daß Niemand ihnen helfen wolle. Der Jude wollte den Vater sprechen und ging zu ihm ins Haus. Der arme Mann erstaunte über den unbekannten Besuch. Die Kinder klagten sich selbst an, und verlegen bat der Vater, nachdem er ihnen die begangene Unart verwiesen, ihnen zu verzeihen; allein der edle Jud sprach: »Das habe ich lange schon vergessen, und würde euch, unter diesen Umständen, nun gar nicht daran erinnern mögen. Ich sah aber die Noth, in welcher ihr euch gegenwärtig befindet, und bin gekommen, euch eine kleine Hülfe anzubieten, wenn ihr mir offenherzig eure Lage und Umstände entdeckt, daß ich wissen kann, wie euch am besten zu helfen ist.« Der tief gerührte und freudig überraschte Vater, entdeckte sich nun freimüthig dem großmüthigen Manne, der ihn unterstützte und es dahin brachte, daß die gesunkene Familie wieder empor kam. Wie[190] liebten ihn nun Alle, und wie bitter bereuten es die Kinder, diesen ihren edlen Wohlthäter so beleidigt zu haben. Er aber fuhr unermüdet fort sich ihrer anzunehmen, und wenn er kam, empfing ihn das Freudengeschrei der Kinder, welche ihm entgegenflogen, und ihn, wenn er sie verließ, weit begleiteten, und bald wieder zu kommen baten.

Lottchens Geburtstagsfeier.

Lottchens Geburtstag kam heran. Die Mutter, welche, wie gute Mütter es gerne thun, ihren Kindern jedes Vergnügen, das unschuldig ist, erlauben, ließ sie ihre Bekanntinen und kleinen Anverwandten zu sich einladen, um recht fröhlich diesen Tag, der, wie der Sterbetag des Menschen, der wichtigste ist in seinem Leben, zu feiern. So fand sich denn eine ziemliche Anzahl von Kindern zusammen; nachdem Lottchen, welche recht artig die Wirthin machte, ihre Gäste mit Chokolade und Gebackenen bewirthet hatte, wurden, da man doch nicht immer nur essen kann, mancherlei Belustigungen [191] vorgenommen. Zuerst kam das bekannte Spiel, Blindekuh; da aber die kleine Gesellschaft ziemlich laut ward, so trat die Mutter herzu, und rieth ihnen, weniger lärmende Unterhaltungen zu wählen. Hierauf setzten sich alle in einen Kreis und breiteten ein großes Tuch aus in ihrer Mitte, welches ein jedes anfassen mußte. Einer von ihnen sprach nun: »Alles was Federn hat, fliegt hoch!« und erhob die Hand vom Tuche. Die Andern mußten wie er, die Hände aufheben, behielten sie das Tuch aber in der Hand, so gaben sie ein Pfand. Dann sprach er weiter und recht schnell hintereinander, um sie zu verwirren, indem er die Hand erhob: »Enten fliegen, Tauben fliegen, Hühner fliegen, Pferde fliegen.« Wer nun nicht Achtung gab und auch das Pferd mitfliegen ließ, oder die Tauben nicht, mußte jedesmal mit einem Pfande die Unachtsamkeit büßen. So konnte man eine Menge Thiere untereinander nennen, um die Aufmerksamkeit zu zerstreuen, oder vielmehr zu erschweren. War nun eine ziemliche Anzahl von Pfändern beisammen, so kam die Reihe ans Einlösen derselben. Da mußte Mancher eine Räthsel lösen, oder geschwind ein Verschen dichten, oder zwei verschiedene Dinge, wie zum Beispiel einen Esel und eine Blume vergleichen, und Aehnlichkeit zwischen beiden hervorsuchen. Es mußte [192] auch ein Andrer jedem von der kleinen Gesellschaft einen Beinamen geben, der passend auf jede Person seyn mußte, ohne sie zu beleidigen. Mancher mußte eine kleine Geschichte erzählen und dergleichen mehr. Nun kamen noch verschiedne andre Spiele vor; eines gefiel den Kindern sehr; es ist so: Einer von ihnen erzählte etwas, es sei was es wolle, und so will ich es Lottchen nachsagen, welche den Anfang machte. »Ich ging (so erzählte sie) spazieren, und belustigte mich an dem fröhlichen Gesange der Vögel um mich her. Plötzlich stieß ich an etwas und fiel über – du, Marie, worüber fiel ich?« – Die gefragte Person mußte geschwind etwas nennen, einen Stein, einen Baum, oder was es auch sei. Stockte sie, so war sie verbunden fortzuerzählen, und mußte eben so, jemand Anders aus der Gesellschaft, in Verlegenheit durch eine unvermuthete Frage zu bringen suchen, um das Erzählen an diese zu bringen. Dann mußte jemand nach dem Tone der Musik, entweder etwas Verstecktes suchen, oder sich auf einen Stuhl setzen und schlafen, oder jemanden umarmen, oder etwas holen, und dergleichen. Je weiter er von der Aufgabe entfernt war, um desto leiser war die Musik, oder schwieg ganz, und je näher man der Wahrheit kam, um desto lauter wurden die Töne. Im Garten, auf einem [193] freien Platze, spielten sie das bekannte Haschen und Fangen, wo paarweise eine Reihe hintereinander steht, und ein Einzelner an der Spitze. Das letzte Paar läuft getrennt, das eine rechts, das andre links um die Reihe herum und sucht sich wieder zu vereinigen; daran sucht der Einzelne der an der Spitze stand, sie zu verhindern und einen von beiden zu erhaschen, mit welchem er in die Reihe tritt, und der Uebriggebliebene muß nun an die Spitze treten, und sich von den Nachfolgenden, welche das getrennte Laufen trifft, jemanden zu erhaschen suchen. So mit mancherlei fröhlichen Spielen belustigte sich die kleine Gesellschaft bis sieben; dann setzten sie sich nieder um auszuruhen, und nach einer halben Stunde, welche sie fröhlich verplauderten, bekamen sie Obst und Gebackenes; dann plauderten sie noch und belustigten sich bis zehn Uhr im Garten, worauf Alle nach Hause gingen und am andern Morgen sich fröhlich des vergnügten Tages erinnerten.

[194] Das ländliche Leben.

Ein Mann, welcher mehrere Kinder hatte, kaufte sich ein Gut auf dem Lande, um es selbst zu bewohnen. Einige der Kinder waren sehr betrübt darüber, daß sie nun die schöne Stadt mit ihren abwechselnden Vergnügungen verlassen, und in einer Einöde einsam leben sollten. Dazu kam noch die Einfalt vieler Leute, welche sie laut bedauerten; so daß es wohl kein Wunder war, daß sie sich die traurigsten Vorstellungen machten. Endlich erschien denn wirklich der betrübte Tag der Abreise und der Trennung von so lieben Freunden und Bekannten, und mit vielen Thränen nahmen sie Platz im Wagen. Es war ein schöner Herbsttag, und die Sonne schien so warm und schön, und die Luft war so rein. Allmählich erheiterten sich die trüben Gesichter; als es aber finster ward, und sie nun endlich an Ort und Stelle angekommen, ging der Jammer von neuem an, denn so einsam und verödet stand das Haus, daß ihre Wohnung werden sollte, da. Traurig gingen sie zu Bette, und als sie nun am andern Tage aufstanden, vermehrte sich noch die Betrübniß durch das Regenwetter. [195] Der Vater sagte nur: »Es wird euch schon fernerhin besser gefallen, so daß ihr kein Verlangen tragen werdet, das Land zu verlassen;« doch die kleinen Thörichten achteten nicht auf des Vaters Worte. Die Eltern hatten es schon vorher ausgemacht, daß sie ihre Kinder selbst unterrichten wollten; da sie den Feldbau verpachtet, und so, wenige Geschäfte zu besorgen hatten. Sie machten auch, nachdem die ersten, nothwendigen Einrichtungen getroffen waren, den Anfang. Die Mutter lehrte die kleinen Geschwister Lesen, Schreiben und die Anfangsgründe im Rechnen, und den Mädchen weibliche Arbeiten, während der Vater die größern Kinder in Sprachen und Wissenschaften unterrichtete. Aber mit den Stunden, die ihnen zur Erholung und zum Spielen gegeben waren, wußten sie doch noch nichts anzufangen. Es fing an zu schneien und zu frieren, und die Eltern ließen die Kinder des Pfarrers bitten, sie zu besuchen. Diese erschienen auch sogleich und sprachen mit vieler Freude von dem schönen kalten Wetter. Das konnten die weichlichen Städter nicht begreifen, als aber die andern in den Hof und Garten gehen zu dürfen, sich die Erlaubniß erbaten, liefen sie mit ihner dahin, sahen erst zu, wie jene einen gewaltigen großen Schneemann erbauten, und ihn dann mit Bällen von Schnee, bald [196] einen Arm oder Bein und zuletzt gar den Kopf weg schossen, und dann einen neuen baueten, oder von der kleinen Anhöhe in Schlitten herabrutschten und einander abwechselnd herumzogen; und bald nahmen sie Antheil daran und freuten sich wie jene des Schnees und der heitern Wintertage. Am Abend, und der war lang, setzten sie sich nach vollbrachter Arbeit zusammen, erzählten sich Geschichtchen, oder Einer las abwechselnd den Andern etwas vor. Mitunter wurden auch kleine Spiele vorgenommen, und die Kinder fanden, daß sie es nicht gedacht hätten, daß man so artig auf dem Lande leben könne. Endlich kam der Frühling heran. »Hört, Kinder! sprach der Vater, ihr seht, in unserm Garten giebt es keine Blumen. Ich habe da allerlei Saamen und Zwiebeln und Pflanzen aus der Stadt holen lassen, und gebe jedem von euch ein Beet, welches ihr anbauen und mit Blumen schmücken sollt. Wißt ihr etwas nicht, so fragt nur die Mutter oder mich, oder des Pfarrers Kinder um Rath. Es lernt sich bald; und das Gießen und Jäten sind auch keine Künste.« Kleine Schaufeln, Hacken, Gießkannen und dergleichen waren schon da, und fröhlich begonnen die Kinder das neue Werk. Die Knaben übernahmen das Umgraben auch für die Schwestern, welche ihnen dagegen auch kleine Dienste leisteten. [197] Dann ging es ans Säen und Pflanzen; und nun gaben auch wieder das hervorsprießende Unkraut und die Dürre im Gießen und Jäten neue Beschäftigungen. Wie herrlich ward aber diese Mühe durch den Anblick der schönsten Blumen belohnt, und wie ganz anders erschien ihnen nun jetzt der öde Garten. Kleine Spaziergänge, oft auch ziemlich große, wurden mitunter in den Freistunden unternommen und gewährten so viel Vergnügen und Lust. Dann kam der Herbst mit seinem Seegen. Da gab es Obst zu schütteln und zu schälen und zu dörren, und geschäftigt gingen die Kinder der Mutter zur Hand. Da gab es Nüsse und Aepfel und des Pfarrers Kinder halfen diese und diese jenen. So kam wieder der Winter heran; und als nun der Jahrestag gekommen, der sie hieher gebracht, erinnerten die Eltern sie daran, und an die Thränen, welche sie damals vergossen, und fragten, ob es ihnen noch immer nicht hier gefiele? O ja! o herrlich gefällt es uns hier, riefen die Kinder, und wir waren wohl recht thöricht und unweise, daß wir so unnütze Thränen vergossen. Ihr habt Recht, liebe Kinder, sprach der Vater, daß ihr selbst einsehet, wie unnütz eure Thränen waren. Es ist überall schön auf dieser Erde, wenn man nur gut, und fleißig und arbeitsam ist. Schon die Arbeit macht Freude, und [198] doppelt süß sind die Stunden, die wir nach den Geschäften unserm Vergnügen weihen. Das Landleben giebt reine, schöne Belustigungen, die man oft in der Stadt nicht kennt. – So sahen nun die Kinder es immer mehr ein, wie viele Ursachen sie hatten fröhlich und heiter zu seyn, und so verflossen ihre Kinderjahre, und die der Jugend, wie ein schöner Traum. Als sie erwachsen, und die Söhne, nach den verschiedenen Fächern die sie ergriffen, die Stadt bewohnten, und die Töchter fast alle an Städter verheirathet waren, gedachten sie noch bis in ihr spätestes Alter, in traulichen Gesprächen über ihre Jugendjahre, an das glückliche Leben, welches sie einst im Schooße der Natur führten.

Die Syrene.

Eine Fabel.


»Hört, Kinderchen! warnte die Mutter, folgt in nicht der Syrene, wenn sie euch singend zu sich lockt.« Wer ist denn die Syrene? fragten die Kinder. – »Das [199] ist, belehrte die Mutter, ein Meerfräulein. Von oben, bis zum halben Leibe gleicht es einem schönen Frauenzimmer und unten ist es vom halben Leibe an, ein abscheulicher Fisch. Sie singen aber gar wunderlich jedem der am Ufer geht zu, daß der von ihrem schönen Gesange Bezauberte ins Wasser ihnen nachgehen muß, wo er dann seinen sichern Untergang findet. Wer so eine Syrene sieht, muß gleich davon laufen, oder wenn er das nicht kann, sich die Ohren verstopfen, daß er nichts von ihren Lockungen hört.« Die Kinder versprachen gewiß der Mutter zu folgen. Am andern Tage gingen die beiden ältesten Knaben mit ihrem Netze ans Ufer, um zu fischen; sie bestiegen ihren kleinen Kahn und fingen ihr Geschäft an; da entdeckten sie das Meerfräulein, welches so schön sang und sie an sich lockte. Der älteste Knabe erinnerte seinen Bruder, sich geschwinde, nach der Mutter Ermahnung, die Ohren zu verstopfen, und nur auf sein Netz und die Fische und gar nicht nach der Betrügerin hinzusehen. Der unachtsame Knabe aber konnte sich nicht überwinden sein Ohr dem herrlichen Gesange zu verstopfen, und blickte immer nach der Syrene, bis sie ihn bezaubert und in den Abgrund gezogen hatte, wo er seinen Tod fand. Das Laster gleicht der Syrene; es lockt in der schönsten Gestalt, mit den [200] süssesten Tönen, und wehe dem, der dieser Lockung folgt; er ist verloren. Drum fliehe den, der dich zu etwas Unrechten verführen will, sei es auch noch so schön; giebst du ihm aber einmal Gehör, so bist du verloren.

Beispiele von Geistesgegenwart und Muth.

In Polen und Lithauen giebt es bekanntlich noch viele Wölfe, welche die Heerden überfallen, und oft nicht bloß die Schaafe wegnehmen, sondern auch Kühe und Ochsen anfallen. Doch wagt sich an diese nicht ein einzelner Wolf, sondern mehrere, die das Thier von verschiedenen Seiten anpacken, daß es ihnen nicht entgehen kann; besonders im Winter, wenn bei der dort herrschenden strengen Kälte, das Hornvieh wie die Schaafe viele Monate hindurch eingesperrt in ihren Ställen sind, und die Wölfe keine andere Nahrung finden können, als bisweilen auf dem Anger ein todtes Stück Vieh, machen Hunger und Kälte sie so dreist, oder vielmehr so wüthend, daß sie ungescheut selbst die Menschen anzufallen [201] wagen. Ein polnischer Beamter fuhr einmal im Winter durch einen Wald, im Schlitten, und sahe sich plötzlich, ob es gleich nur erst anfing zu dämmern, von einer Menge von Wölfen umringt. Sein junges muthiges Pferd, welches sie anpacken wollten, bäumte sich, warf den Schlitten um, und jagte davon. Der Beamte rettete sich in der Todesangst schnell genug noch auf einen Baum, welchen die Wölfe, denen das Pferd entwischt war, umringten und mit heißhungrigen Blicken den armen Manne auflauerten. Die Todesangst raubte ihm nicht alle Besinnung. Er wußte, daß selbst im größten Hunger diese Thiere einander nichts thun. Hat aber einer von ihnen die kleinste Wunde, oder nur etwas Blut an sich, so lecken die andern augenblicklich daran, und endlich zerreissen und fressen sie ihn. So zog nun der Gefangene sein Federmesser aus der Tasche und ritzte sich so stark mit demselben in die Hand, daß das Blut stark hervorquoll. Dieses tröpfelte er auf die zunächst dem Baum lauernden Wölfe, und augenblicklich glaubten die andern ein Recht zu haben, die mit Blut bezeichneten, zu verspeisen; welches auch sogleich geschah. Während sie mit dieser Mahlzeit beschäftigt waren, und die zerrissenen Stücke weit umher zerrend, sich vom Baum etwas entfernten, rettete sich der Beamte, hoffend, noch [202] vor dem Einbruch der Nacht ein nicht fernes Dorf zu erreichen, und entschlossen, sich im Nothfalle wieder auf einen Baum zu flüchten. Mehr tod als lebend kam er in dem Dorfe an, und mußte doch noch froh seyn, mit dem Schrecken bloß davon gekommen zu seyn. Einst fuhr auch ein Bauer in jenem Lande mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern durch den Wald. Bald war auch er von Wölfen umgeben, von denen einige sich an das Pferd machten, welches aber, da sie ihm den Weg versperrten, sich mit den Hufen wehrte, andere aber sprangen über den Schlitten und zerrten die Decke weg, welche die Mutter um die Kinder gebreitet hatte. Endlich entriß eins dieser wüthigen Thiere eines der Kinder der Mutter. Voll Entsetzen ergriff der Bauer ein bei sich habendes Beil, und schlug mit demselben so nachdrücklich auf den Kopf des Wolfes, daß dieser betäubt von dem Schlage zurücktaumelte, und das Kind, das nur noch bloß von den scharfen Zähnen geritzt war, fallen ließ. Schnell erfaßte es der Bauer und warf es in die Arme der Mutter, und eben so schnell tödtete er den Wolf, ehe dieser zur Besinnung kam; denn es ist höchst gefährlich eines dieser Thiere bloß zu verwunden, alsdann kennt seine Wuth keine Grenzen. Jetzt warf sich der Bauer wieder in den Schlitten, und es gelang dem [203] Pferde durchzubrechen, und die Leute und sich selbst durch die Flucht zu retten. Am besten ist es, so viele hellklingende Schellen und Glocken als möglich an dem Geschirre der Pferde zu befestigen. Dieser Klang hält die Wölfe zurück, sie fühlen alsdann eine Art von Scheu die Pferde anzufallen. Auch ist es sicherer, wenn man von den Wölfen umringt ist, nicht sehr schnell zu fahren; denn, unmöglich kann das Pferd so schnell und sicher zugleich laufen, daß man nicht Gefahr liefe, umgeworfen zu werden, und während das Pferd sich rettete, selbst eine Beute der Wölfe zu werden, statt daß, wenn der Eigenthümer dieses, im ärgsten Falle Preiß geben müßte, er doch das eigne Leben davon trüge. Auch wo es keine reissenden Thiere giebt, wie in andern Theilen von Europa, giebt es doch Gefahren anderer Art, und darum ist es gut, nie die Besinnung zu verlieren, sondern muthig und entschlossen zu bleiben. Ein Reisender der in einem Gasthofe schlief, hatte eines Abendes vergessen, die Thüre seines Zimmers zu verriegeln. In der Nacht erwachte er von einem Geräusch und erblickte beim Schein der Nachtlampe einen Dieb, der seinem Bette nahete. Da er völlig wehrlos, und sein Gegner, ein baumstarker Mann mit einem langen Messer bewaffnet, auf ihn zukam, hielt er es für das [204] Beste sich schlafend zu stellen. Der Dieb trat nahe an das Bett und hielt ihm die Spitze des Messers an die Brust; da aber der zum Schein Schlafende sich nicht rührte, entfernte er sich langsam wieder, nahm alles was nur einigen Werth hatte, mit sich, und verließ das Zimmer. Kaum war er hinaus, als der Reisende aufsprang, die Thiere verriegelte, und so stark schellte, daß die Leute im Hause davon erwachten und zu ihm eilten. Man ergriff noch den Dieb, der sich in einem Winkel des Hauses verborgen hatte, in der Hoffnung, unbemerkt, wenn die Hausthüre am Morgen geöffnet, zu entwischen. Ein anderer Reisender mußte im Frühling, wenn die Flüsse und Ströme stark von den Gebürgen herabgethauten Schnee, der die kleinsten Bäche, welche sich in Flüsse gießen, überlaufen macht, angeschwollen sind, einen breiten Fluß, vermittelst einer Fähre, passieren. Zur Sicherheit waren hohe Pfähle in der Fähre angebracht, durch welche Thaue liefen, die an beiden Seiten des Ufers befestiget waren, um so das Wegtreiben der Fähre zu verhindern. Doch, das Eis stemmte sich an diese, und erhob die eine Hälfte derselben so hoch, daß Menschen, Pferde und Wagen herab ins Wasser stürzen mußten. In dieser schrecklichen Gefahr ergriff der Reisende sein Taschenmesser, zerschnitt die Strenge eines der in [205] das Geschirr verwickelten Pferde, warf sich auf dasselbe, sich fest an den Hals desselben klemmend, und so ward durch das schwimmende Pferd es ans Ufer gebracht. Sein Bedienter faßte in der Todesangst das Thau, und ob es ihm gleich tief ins Wasser herabzog, gelang es doch denen die am Ufer zu Hülfe herbeieilten, ihn durch dieses Thau heraus zu winden. Vorsicht ist eben so nöthig als Muth, und daher sollte Niemand weite Reisen antreten, ohne sich mit guten Pistolen und einem oder ein Paar scharfen Taschenmessern zu versehen.

Der undankbare Zwerg.

Ein Mährchen.


Der undankbare Zwerg. (Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder)

Ein paar sehr arme Leute hatten viele, viele Kinder, welche sie nur mit Mühe ernähren konnten. Einst gingen einige dieser Kinder in den Wald, um Reisig zusammen zu suchen. Eines der Mädchen, mit Namen Schneeweißchen, verlor sich zufällig von den andern und fand mit Erstaunen einen häßlichen Zwerg, der kaum [206] eine Elle lang seyn mochte, in der größten Noth. Er hatte einen Baum, welcher gefällt, spalten wollen und auch wirklich eine tiefe Spalte hinein gehauen, in welche er einen Pflock gethan. Dieser Pflock war, ich weiß nicht wie, wieder heraus gekommen, und indem sich die Spalte schnell schloß, hatte sie ein ziemliches Stück von seinem unermeßlich langen Barte erwischt, und eingeklemmt, so daß der Zwerg gefangen da stand. Er rief das Kind um Hülfe an, und Schneeweißchen war auch gleich bereit ihm zu helfen; aber sie mochte es anfangen wie sie wollte, der Bart war nicht heraus zu bringen. Da erbot sich Schneeweißchen schnell nach Hause zu laufen und ihren Vater zu rufen; das verbot ihr aber der Zwerg, und befahl ihr eine Scheere zu holen, um den Bart abzuschneiden; sie gehorchte und lief fort. Bald kam sie wieder und befreite ihn durch das Abschneiden des gefangenen Stückes vom Barte. Hierauf zog der Zwerg einen großen Sack mit Geld unter dem Baume hervor, und ob es wohl schicklich gewesen, daß er seiner Befreierin höflich gedankt und ihr von seinem vielen Gelde auch reichlich mitgetheilt hätte, so that er doch weder das eine noch das andere, sondern schlich, murrend über seinen Unfall, ohne Gruß noch Dank davon. Schneeweißchen sah ihm nach, dann hüpfte sie wieder fort. [207] Nicht lange nachher ging Schneeweißchen mit ihrer Schwester Rosenrothe an den Fluß, um zu angeln und zu krebsen. Siehe da war der Zwerg wieder, und diesesmahl hatte sich der Faden der Angelruthe in seinem Bart ganz verwickelt. Ein Fisch hatte unten angebissen und zog so mit der Angel das quäckende Zwerglein in das Wasser hinein. Die Mädchen ergriffen das Männchen, um es fest zu halten, aber es war unmöglich Schnur und Bart von einander zu wirren, und der große Fisch, viel größer als der Angler, zog immer fort. Da sprach Schneeweißchen zu ihrer Schwester, sie sollte stehen bleiben und den Zwerg fest halten, indeß wolle sie nach Hause laufen und eine Scheere holen. Wie der Blitz lief sie hin und her und zerschnitt Angelruthe, wobei aber auch ein Theil des Bartes verloren ging. Darüber murrete das Zwerglein sehr, ergriff einen Sack mit den schönsten Perlen und machte sich, wie das erstemal, undankbar und unhöflich davon. Die Kinder aber angelten und krebseten und dachten nicht mehr an das grobe Männlein. Da geschah es abermals, daß die Kinder weggeschickt wurden, um etwas aus der Stadt zu holen. Als die Mädchen über das Feld gingen, erblickten sie einen Adler, welcher das bekannte Zwerglein anpackte und mit sich fortnehmen wollte. Die beiden, [208] Rosenrothe und Schneeweißchen, warfen den Vogel mit Steinen, und da das nichts half, faßten sie das Männchen an und zerreten sich mit dem Adler herum, und keins wollte die Beute lassen. Da schrie der böse Zwerg so jämmerlich, daß der Adler erschrack und ihn im Stiche ließ. Diesesmal hatte er einen Sack mit Edelsteinen bei sich, und er ging wie das erstemal davon, ohne Sang und Klang. Wiederum nach einiger Zeit fanden die beiden Kinder den Zwerg unter den Tatzen eines Bären, der im Begriff stand ihn zu kämmen. Sie schrieen laut auf vor Schrecken, und der Bär stutzte und sah nach ihnen hin. Da bat das Zwerglein: »Ach lieber, gnädiger Herr Bär, friß mich nicht! Ich will dir auch meine Säcke mit Gold, Perlen und Edelgesteinen geben. Sieh! die beiden Kinder da, sind jung und fett und zart, an ihnen wirst du einen bessern Bissen finden, als an mir; nimm und friß sie.« Die Mädchen waren starr vor Schrecken über den undankbaren Bösewicht, der Bär aber kehrte sich an sein Gerede nicht, sondern fraß ihn brummend mit Haut und Haar, und ging dann seiner Wege. Die Mädchen fanden nun die Säcke mit Perlen, Gold und Edelsteinen, welche sie mühsam genug, denn sie waren sehr schwer, den Eltern hinschleppten. Da waren sie nun mit einemmale [209] so reich, wie die reichsten Fürsten, und kauften sich schöne Schlösser und Landgüter, und Schneeweißchen und Rosenrothe, so wie ihre Geschwister, konnten nun recht viel lernen, und bekamen schöne Kleider und Sachen. Das garstige Zwerglein aber bedauerte Niemand, denn es hatte sein Schicksal gar zu wohl verdient.

Unnützer Streit.

Fritz erzählte seiner jüngern Schwester Marie, daß die Erde ein Planet sei, und, wie der Mond, ihr Licht von der Sonne empfange, so waren auch die Sterne, die in weiter Ferne so herrlich leuchten, Sonnen. Marie behauptete dagegen, das sei nicht wahr; die alte Kinderfrau habe ihr gesagt: Sonne, Mond und Sterne wären Lichter, welche Gott am Himmelsraum gehängt habe, um den Menschen Licht zu verschaffen. Beide stritten lange und heftig bis der Vater dazu kam und dem Streite ein Ende machte. Die Kinder erzählten worüber sie in Zank gerathen, und der Vater fragte nun Marie: wer von beiden wohl so etwas besser wissen[210] könne; der Herr Professor, Fritzens Lehrer, oder die alte Kinderfrau? Nach einigem Nachsinnen mußte sie gestehen, daß allerdings der Professor besser über dergleichen Dinge urtheilen könne, als die Kinderfrau. Seht, sprach der Vater, wenn euch künftig eine Sache von verschiedenen Personen, auch verschieden vorgetragen wird, so, daß ihr nicht wisset, welche die rechte Meinung hat, so müßt ihr prüfen und überlegen, welche dieser Personen diese Sache am besten wissen und verstehen kann. Hier bleibt kein Zweifel, daß ein Mann, der, wie der Professor, fast seine ganze Lebenszeit mit der Untersuchung und Erkenntniß der wichtigsten Dinge, wie die der Himmelskörper und der Erde, beschäftiget war, einen richtigern Aufschluß darüber geben kann, als die Kinderfrau, welche sich nur mit der Pflege und Wartung der ihr anvertrauten Kleinen beschäftigte. Dagegen aber wird der Professor ihr zugestehen, daß sie die Kinder besser zu baden, anzukleiden und zu warten versteht, als er. Seid ihr also über so etwas in Zweifel, so fragt eure Eltern darum, ohne erst darüber zu streiten. – Nach einigen Tagen erzählte Fritz Marien, die ihn wieder etwas fragte, daß die Erde rund, oder vielmehr zugedrücktrund, wie eine Pomeranze, geformt sei. Die Kinderfrau, welche zugegen war, ärgerte [211] sich über diese Behauptung, und sagte, das wäre unmöglich, denn sonst müßten die Leute, welche nach seiner Meinung unsre Gegenfüßler wären, herab in die Tiefe stürzen. Fritz gab sich alle Mühe sie zu belehren, es half aber nichts. Da rieth ihm der Vater auf ihr Einreden nicht zu achten, und sich die Mühe, sie belehren zu wollen, zu ersparen, weil es bei ihr viel zu spät und also vergeblich wäre, sie von ihren Vorurtheilen zurück zu bringen; denn was Hänschen nicht gelernt, sagt das bekannte Sprichwort, lernt Hans nimmer.

Hortensia.

Eine Fabel.


Hortensia war so eitel und so eingebildet, daß sie sich für das schönste Mädchen in der Welt hielt. Es ist wahr, sie war sehr schön, aber um die Schönste zu seyn, fehlte noch viel. Täglich stieg ihre hohe Meinung von sich, weil die jungen Herren ihr schmeichelten und sie vollends ganz verdarben. Endlich ward sie so [212] unverschämt, die Göttin der Schönheit selbst, für kaum hübsch im Vergleich gegen sich zu finden, ja sie war dreist genug, ihre einfältige Meinung laut zu äussern. Um sie zu strafen, verwandelte sie die Göttin in eine Hortensia, eine Blume, die ein schönes Ansehen, aber keinen Geruch hat, und seitdem führt diese Blume ihren Namen. Hortensia hatte keinen, oder nur äusserst wenig Verstand, sonst würde sie nicht einen so einfältigen Vergleich angestellt haben, und sich mit den Göttern haben messen wollen.

Harte Strafe und Besserung.

Friederike war so wild und ungestüm wie der wildeste Knabe. Umsonst warnte die Mutter, umsonst mußte sie zuletzt strafen; Friederike ward, statt sich zu bessern, mit jedem Tage ungezogener; ihr Vater starb, und nun wurde es noch schlimmer, so, daß sie ihrer armen Mutter, welche schon ohnehin viel litt, den bittersten Kummer machte. Der Vormund gab sich alle Mühe, sie durch Vorstellungen und Strafen zu bessern, [213] allein es war vergebens. Kaum hatten sie ein neues Kleid bekommen, so war es schon voll Schmutz und Löcher. Die Schuhe, die Strümpfe waren immer schmutzig und zerrissen, und das Haar hing unordentlich um den Kopf her. Ja nicht einmal wusch sie sich ordentlich die Hände; dabei war sie auffahrend und trotzig. Da nun nichts bei ihr half, übernahm es der Vormund, da die Mutter aus Gram krank ward, Friederiken nachdrücklicher, als bisher es noch geschehen, die Folgen ihrer Unfolgsamkeit und ihrer großen Fehler, fühlen zu lassen, um sie so vielleicht noch zu bessern. Er brachte sie in eine entfernte Stadt zu einer Frau, bei der sie dienen mußte, denn sie hatte ihr dreizehntes Jahr zurückgelegt, und war groß und stark für dieses Alter. »Höre! redete sie ihre Frau (zu der sie ziemlich trotzig ins Zimmer trat) an: ich habe erfahren, daß du deines Ungehorsams und deiner übeln Aufführung wegen, aus dem Hause deiner Mutter, welche du so schwer kränktest, weggeschickt worden bist; ich leide weder Widerspruch noch Eigensinn, weder Schmutz noch Grobheit; richte dich darnach; jetzt richte dich in deinem Stübchen ein, du wirst eine Kommode und einen Schrank finden, in diese hebe deine Kleider und Sachen auf.« – Nach einigen Stunden kam die Frau ins Stübchen, aber da [214] lag noch alles unter einander. Sie befahl ihr, erst aufzuräumen, ehe sie zum Essen kam, und als sie um sieben Uhr sie zum Abendessen rufen wollte, und nun erst nach ihren Sachen aufs neue sah, fand sie wohl alles in Schrank und in der Kommode, aber wie sah es darin bunt aus! Nichts war an Ort und Stelle, sondern alles wie Kraut und Rüben durch einander; da mußte sie noch einmal anfangen und bekam kein Abendbrod. Der Hunger thut weh, aber Friederike räumte nun nicht mehr auf, sondern legte sich weinend vor Zorn und Ungeduld zu Bette. Früh, am andern Morgen, ward ihr bange um das Frühstück, und sie ordnete alles recht gut und ordentlich in Schrank und Kommode. Jetzt kam die Frau und fand die Sachen in Ordnung; aber Friederike hatte sich weder gewaschen noch gekämmt, und in dem einen Strumpfe war ein großes Loch. Da ward ihr denn bedeutet, daß sie so unmöglich bei dem Frühstücke erscheinen könne, und sie mußte bis zum Mittage fasten. Die Strafe war wohl hart, doch litt sie sie nicht unverdient, da es ja nur von ihr abhing, sie zu vermeiden. Nun wurden ihre Geschäfte ihr angewiesen, welche so ziemlich die einer Magd waren, nur die schwersten und niedrigsten Dienste ausgenommen, zu denen sie nicht Kräfte genug besaß, oder ihre Kleidung dabei verderben konnte; [215] und immer mußte sie sich dabei der größten Reinlichkeit befleißigen. Ihre Strafe bestand im Hungerleiden, denn ihre Frau sagte immer, wer nicht arbeiten will, und muthwillig seine Kleider verdirbt, und schmutzig und unreinlich einher geht, braucht auch nicht zu essen. Allmählich gewöhnte sie sich doch zum Fleiß, zur Ordnung und Reinlichkeit, und legte das rohe, ungesittete Betragen ab. Anfangs geschah es nur aus Furcht vor der Strafe, nachher aus Gewohnheit. In den Zwischenstunden bekam sie noch Unterricht im Schreiben, in Sprachen und weiblichen Arbeiten; da gab es denn noch Tage genug an denen ihr Magen ihr ernstliche Vorstellungen machte, und sie vor Zorn in ihrem Stübchen, stampfte und weinte und an Tisch und Wand kratzte; aber das half alles nichts. Die Frau blieb bei ihrem Worte und der Vormund, wenn sie bei ihm klagte, da er von Zeit zu Zeit hinkam, gab ihr immer dieselbe Antwort: »Wer nicht hören will, muß fühlen; und du besonders darfst nicht klagen, da bei dir keine Ermahnungen noch gelinde Strafen fruchten wollen; wie hast du deine Mutter so bitter gekränkt?« Drei Jahre lang mußte Friederike dort bleiben, und da sie in dieser Zeit selbst ihr Unrecht einsehen lernte, und sich besserte, kam sie, nach Verlauf dieser Zeit, wieder zu ihrer Mutter zurück. [216] Fiel sie bisweilen wieder in ihre alten Fehler zurück, so durfte der Vormund ihr nur drohen, sie wieder zu der Frau zu schicken, um die Hungerkur aufs neue zu beginnen; und das half. Sie gab sich alle Mühe sich immer mehr zu bessern, und so gelang es ihr auch; denn was man mit Ernst sich vornimmt, und mit Festigkeit auszuführen strebt, gelingt gewiß.

Der eitle Knabe.

Karl war so eitel, daß er sich auf der Straße, im Gehen, hin und her drehete, und immer meinte, die Leute müßten auf ihn nur sehen, und den hübschen Jungen bewundern. Der Vater warnte oft, und sagte, die Leute verlachen dich nur, wenn du dich so zierst; aber das half nichts. Einmal, als er auch so aufgeblasen daher kam, begegneten ihm ein Haufen Knaben, von denen einige seinen Gang nachspotteten, und alle verlachten ihn. Zornig wendete er sich um, und begann einen Streit; da er aber allein gegen so viele war, kam er natürlicher Weise zu kurz. Sie neckten ihn,[217] nannten ihn einen aufgeblasenen Gecken, und gaben ihm noch andere Namen, die seine Eitelkeit kränkten. Weinend kam er nach Hause und klagte dem Vater seine Leiden; doch dieser belehrte ihn, daß er sich diese Unannehmlichkeit selbst zuzuschreiben habe, und daher nicht klagen dürfe. Von der Zeit an besserte er sich, durch diese Beschämung zurecht gewiesen.

Prinz Leander, oder die schwere Prüfung.

Ein Mährchen.


Ein König hatte einst einen Sohn, welchen die Schmeichler sich eifrig bemühten, zu verderben, indem sie ihm alle Tage erzählten, wie groß und mächtig das Reich sei, das einst sein Eigenthum würde, und wie klug und weise und schön er selbst wäre. Prinz Leander glaubte ihnen aufs Wort, und das war eben nicht gut. Er ward dabei weichlich und träge. Ein Weiser, der den König liebte, und sehr von diesem geachtet ward, schüttelte darüber das Haupt und sprach: »Ei, [218] ei, wie soll das werden?« Den König, der ihm um Rath fragte, rieth er, ihn in ein fernes Land zu senden, und ihn durch Erfahrungen zu bessern und zu belehren, daß er nicht anders und nicht besser sei, als andere Menschen. Da der König ihm alles überließ, so gab der Weise dem Prinzen unvermerkt ein Pulver. Leander schlief ein, und sahe nun wie die Feinde in das Land brachen, und nach harten Kämpfen sein väterliches Erbe ihm raubten, den König mordeten, und wie er selbst nur mit Mühe noch durch die Flucht entkam. Schaudernd erwachte er von dem schrecklichen Traume und erblickte sich allein, im Walde unter einem Baume liegend, in armseliger Kleidung. So war es doch kein bloßer Traum, rief er aufspringend, und betrachtete sich selbst und alles um ihn her. O! wie unglücklich bin ich nun! und mein armer, lieber Vater! ihn habe ich verloren und Krone und Reich! Aber ich will meine getreuen Unterthanen zusammenberufen, und sie werden mir helfen, mich wieder auf den Thron zu schwingen. Er ging aus dem Walde, einen kleinem Pfade folgend, der ihn zu menschlichen Wohnungen führte. Hier gab er sich zu erkennen, und forderte Hülfe und Beistand; aber man gab ihm zur Antwort, der neue König herrsche milde und gütig, und man wisse ja nicht, [219] ob er auch besser noch regieren, und seine Unterthanen noch glücklicher machen werde. Voll Zorn entfernte er sich und ging in die Stadt. Da war es aber noch ärger; er erfuhr, daß man eine große Summe demjenigen versprochen, welcher ihn auslieferte, oder seinen Aufenthalt verrieth; und wie groß war sein Schmerz, als er es gewahr wurde, daß, statt ihm zu helfen, seine Rechte auf sein Reich zu behaupten, mehrere Schlechtdenkende sich verbunden hatten, ihn auszuliefern. Nur mit genauer Noth entkam er noch, und durfte nun nicht einmal sich zu erkennen geben. Flüchtig irrte er umher; und suchte er auch ein Unterkommen, so fand sich keines für ihn, denn er hatte, in dem Wahne, ein Prinz brauche sich den Kopf eben nicht mit Lernen zu beschweren, den vortrefflichen Unterricht, den er erhielt, nicht gehörig benutzt, und wußte so, von allem etwas und doch nichts gründliches. Selbst als Taglöhner war er nicht gut zu gebrauchen, da er seine Kräfte nie gehörig geübt, und an ein weichliches Leben gewöhnt war. So vergingen Monate, in denen er mit allen möglichen Drangsalen, mit Hunger, Frost und endlich Krankheiten zu kämpfen hatte, und wie schmerzlich bedauerte er es nun, die ersten Jugendjahre so zwecklos vertändelt zu haben, statt sich nützliche Kenntnisse zu erwerben, und seinen [220] Körper abzuhärten. Endlich, eines Abends aber kam er ganz erschöpft, noch matt von der langen Krankheit, in die Hütte eines Einsiedlers, welchen er mit Lesen beschäftiget fand. Der Greis nahm ihn freundlich auf, brachte ihm Milch und Früchte, und bereitete ihm ein Lager. Leander, nachdem er gegessen, legte sich nieder und schlief ununterbrochen bis zum hellen Morgen. Neu gestärkt stand er auf, und nachdem er ein Frühstück zu sich genommen, sahe er sich seufzend nach seinem Wanderstabe um. Auf die Frage des Greises, wohin er gehe, fühlte er sich von tiefer Rührung übermannt. Er brach in Thränen aus, und gestand, daß er schon lange ohne Heimath umherirre. Nun so bleibe bei mir, mein Sohn! sprach der Alte; aber dann mußt du mir auch helfen mein Feld und meinen Acker bauen, daß sie mehr Früchte hervorbringen, um auch dich zu ernähren; doch, nicht immer giebt es zu arbeiten; in der Zwischenzeit lese ich, denn der Mensch muß seinen Geist zu bilden streben, und je älter er wird, und je mehr Kenntnisse und Erfahrungen er gesammelt hat, um desto mehr lernt er einsehen, wie unvollkommen dennoch das höchste menschliche Wissen ist. Versuche es einige Tage bei mir, und gefällt es dir, so magst du da bleiben. Der Prinz dankte dem Greis[221] herzlich, und theilte seine Beschäftigungen und seine Erholungen, die im Lesen bestanden, mit ihm. Die Weisheit des erfahrnen Alten, ließ Leandern, der mit Vergnügen ihm zuhörte, und immer neue Fragen an ihn that, die Einsamkeit nicht lästig finden, und die Arbeit, welche seinen Körper und seine Kräfte stählte, machte ihm endlich Vergnügen. Er lernte allmählich einsehen, daß die Völker nicht um der Fürsten willen da sind, sondern diese, oder ihre Stammältern aus der Mitte des Volkes hervorgerufen wurden, um die Gesetze aufrecht zu erhalten, und das Vaterland zu schützen, und für diese großen Mühen, Sorgen und Aufopferungen wurden ihnen in der Ehre und Macht wiederum große Entschädigungen. So vergingen zwei Jahre; da verbreitete sich das Gerücht, daß Feinde ins Vaterland des Prinzen eingebrochen, und gräßliche Verwüstungen darin anrichteten, und mit Feuer und Schwert alles vernichteten. Leander war tief ergriffen von dieser Nachricht. »Es ist wahr, mein Vater! sprach er zu dem Greise, mein Vaterland ist ungerecht gegen mich gewesen, daß es einen Fremdling, der den Thron eroberte, die Rechte einräumte, die dem Sohne des besten Königes zukamen; allein die Gefahr und Noth dieses Augenblickes versöhnt mich wieder mit ihm, und ich fühle, daß ich verbunden [222] bin, mein Leben zu seiner Rettung zu wagen, und wenn es seyn muß, aufzuopfern.« Gehe hin, mein Sohn, sprach der gerührte Greis, und mein Seegen begleite dich! Sie trennten sich, nachdem Leander von seinem zweiten Vater wohl zehnmal Abschied genommen; er eilte nun zu der Armee der Seinigen. Es war eigentlich nur noch ein kleines Häufchen, das der Macht des Feindes eher weichen mußte, als es ihn sich entgegensetzen konnte; dennoch standen sie im Begriff eine Schlacht zu liefern, als Leander zu ihnen kam, um sich dem dreimal stärkern Feinde zu widersetzen. Der Prinz focht mit Löwenmuth; und als der Anführer fiel, und bestürzt die Uebrigen zurückwichen, warf er sich an ihre Spitze, und seine Kühnheit und die Klugheit mit der er sie leitete, indem er richtig den kleinen Haufen eintheilte und ordnete, gab ihnen wieder neuen Muth und Vertrauen zu dem neuen Anführer. Was fast unmöglich schien, geschah. Die kleine Armee, von Vaterlandsliebe beseelt, für ihre gerechte Sache entbrannt, besiegte die große, welche freilich nicht so richtige und edle Beweggründe hatte, tapfer zu seyn. Sie ward geschlagen und zurückgedrängt. Diese unerwartete Wendung des Geschickes gab den Unterdrückten neuen Muth und ein unbegrenztes Vertrauen zu dem neuen Feldherrn. Es fanden sich viele [223] ein, die sich dem Haufen anschloßen, der dadurch täglich größer ward, so wie der feindliche sich verringerte, und nach einer neuen blutigen Schlacht, gelang es Leandern den Feind gänzlich zu schlagen, und einen sehr vortheilhaften Frieden, welcher dem Reiche noch viele neue schöne Besitzungen verschafte, zu erzwingen. Im Triumpfe kehrte er mit der siegreichen Armee in die Hauptstadt; entschlossen, seine Stelle unerkannt nieder zu legen und zu seinem väterlichen Freund zurück zu kehren. Triumpfbögen und feierliche Prozessionen empfingen die Helden überall, und noch schöner das laute, freudige Zurufen des Dankes der Menge. So zogen sie in die Hauptstadt der königlichen Residenz. Aber wie ward dem Prinzen, als er statt des fremden Beherrschers seinen Vater, im königlichen Gewande, mit der Krone auf dem Haupte, erblickte, und an der einen Seite desselben, seine Mutter, die Königin, und an der andern, den Greis aus der Einsiedelei, erkannte. Entzückt schlossen sie den Sohn in ihre Arme, und ein jauchzendes Geschrei: »Hoch lebe der Prinz Leander,« erhob sich vom Volke in die Lüfte. Nun ward ihm erst die Auflösung des Räthsels, und er danke den Eltern, wie dem Weisen, der ihn durch Zaubermittel aus einem Thronfolger zum verlaßnen Flüchtling machte, von ganzem Herzen für diese schwere, [224] aber heilsame Prüfung. Es versteht sich, daß der Weise und der Greis im Walde nur eine Person war. Leander blieb wie er war, und ergab sich nie mehr dem weichlichen Leben, noch lieh er den Schmeichlern sein Ohr. So ward er ein edler und gerechter Beherrscher seines Volkes.

Pflichtgefühl, oder die guten Töchter.

In Rußland sind, schon seit der Regierung der Kaiserin Elisabeth, die Todesstrafen aufgehoben. Die Verbrecher werden nach Sibirien verbannt, wo die gemeinsten und strafbarsten in den Bergwerken arbeiten müssen, andern aber, welche weniger große Verbrechen begingen, leichtere Arbeiten, wie zum Beispiel das Fangen der Zobel, deren Häute das schönste Pelzwerk giebt, aufgelegt werden. Noch andern ist schon die Verbannung in ein ödes Land, durch unermeßliche Räume vom Vaterlande getrennt, und außer aller Verbindung mit diesem zu seyn, eine nicht geringe Strafe; und diese trifft gewöhnlich die Großen des Reiches. Wie schwer muß es [225] ihnen werden, nach einer langen, höchst beschwerlichen Reise, aus der glänzenden Hauptstadt, in welcher sie in immerwährenden Vergnügungen und Abwechselungen des Lebens, welche Reichthum und Ansehen geben, schwelgten, in dieser tiefen Abgeschiedenheit, ein beschränktes, einsames Leben zu führen. Ein russischer Graf hatte einst das Unglück, in Streitigkeiten verwickelt zu seyn, bei denen er unrecht handelte, und so die Gnade seines Kaisers verlor. Er ward verdammt, seine übrigen Lebenstage in Sibirien zuzubringen, und seine großen Güter wurden ihm genommen. Seine beiden Töchter, Natalie und Marie, fanden eine Zuflucht bei einer sehr reichen Tante, welche sie auch einst beerben sollten, und diese Dame stand in einem solchen Ansehen bei der kaiserlichen Familie, daß sie gewiß überzeugt waren, unter ihrem Schutze ruhig und zufrieden leben zu können. Aber das Schicksal ihres Vaters betrübte diese guten Kinder zu sehr, als daß sie noch fähig gewesen wären, an irgend einer Vergnügung noch Erheiterung Antheil zu nehmen, und zuletzt faßten sie den schönen Entschluß beide nach Sibirien zu reisen, um dem unglücklichen Vater, durch ihre Gegenwart, sein trauriges Loos zu erleichtern. Sie waren nur fünfzehn und sechzehn Jahre alt, und konnten daher noch nicht eigenmächtig handeln; so [226] entdeckten sie ihrer Tante ihren Wunsch, und baten sie um die Erlaubniß, ihn ausführen zu dürfen. Diese Tante war weit entfernt, sie von ihrem Vorhaben, das so schön als billig war, abzuhalten; doch stellte sie ihnen alle Beschwerden der unermeßlich langen Reise, alle Gefahren derselben, und den öden, traurigen Aufenthalt in Sibirien vor, und ermahnte sie, noch reiflicher ihren Entschluß zu überdenken, und ihn dann erst zu fassen, wenn sie vollkommen alles geprüft und überlegt haben würden, um nicht nachher ihn zu bereuen, wenn es zu spät sei, ihn zu ändern. Sie rieth ihnen, sich noch eine Woche Bedenkzeit zu nehmen. Als diese verflossen, erschienen Beide aufs neue bei der gütigen Tante, und erklärten, daß sie ihren Vorsatz noch einmal recht überlegt hätten, und bei demselben zu bleiben, entschlossen wären. Da gab sich die Tante alle Mühe, sichere Personen zu finden, die sie begleiten konnten. Zufällig war die Frau eines angesehenen Offiziers, der in Sibirien stand, im Begriff zu ihrem Manne abzugehen, und so vereinigten sich die beiden jungen Mädchen mit ihr. Nach einer langwierigen Reise kamen sie endlich wohlbehalten an Ort und Stelle und eilten zu dem Vater. Man kann sich seine Freude über diese so liebe, als unvermuthete Erscheinung, nicht lebhaft genug vorstellen, und [227] eben so groß war die der Kinder. Sie richteten sich so gut ein, als es gehen wollte, und da sie eine Menge von lehrreichen und unterhaltenden Büchern mitgenommen hatten, so konnten sie bisweilen aus diesen etwas einander vorlesen; auch spannen die Töchter und beschäftigten sich auf mancherlei Weise. Mehrere Jahre waren so verflossen, als ein neuer Herrscher auf dem russischen Throne erschien, und eine große Anzahl Verbannter zurück rief. Unter diesen war auch der Graf, der mit seinen Töchtern voll Freude die Rückreise antrat. Die Erwartung, die Vaterstadt wiederzusehen, und der lang entbehrten Freiheit zu genießen, verkürzte die lange Reise und versüssete die Beschwerden derselben. Wie glücklich fühlten sich die beiden guten Schwestern, daß sie durch Pflege und Erheiterung dem Vater sein schweres Schicksal erleichtert, ja vielleicht sein Leben dadurch erhalten hatten, und er so nun das lange entbehrte Glück der Freiheit und einer bequemen Lebensweise wieder genießen konnte. Die gute Tante sowohl, als alle Personen, die sie kannten und liebten, konnten ihre Ankunft gar nicht erwarten, und waren ausser sich vor Freude, und auch ihnen fremde Personen, nahmen den größten Antheil an dem glücklich geänderten Schicksale dieser edlen Mädchen, welche alles ihrem Pflichtgefühl zum Opfer gebracht hatten.

[228] Furchtsame Personen soll man nicht ängstigen.

Es ist nicht gut Furchtsame zu ängstigen und zu necken, denn sehr oft schon haben Schreck und Entsetzen den traurigsten Einfluß auf die Gesundheit, ja selbst auf das Leben furchtsamer Personen gehabt; und viele Beispiele beweisen, daß zu große Furcht auf der Stelle tödten kann. Ein Arzt hatte ein Skelett in seinem Studierzimmer aufgehängt; eine Magd, welche in seinem Hause diente, äusserte laut, daß sie dieses Zimmer nur mit Schaudern betrete, um es zu reinigen. Sogleich waren einige vorlaute junge Leute bereit, sie recht zu ängstigen, und lockten, in des Arztes Abwesenheit, sie unter einem Vorwande, in der Abenddämmerung, in das Zimmer, dann gingen sie heraus und verschloßen die Thüre. Als sie spät erst wieder nach ihr sahen, und sie aus dem Zimmer gehen ließen, fanden sie dieselbe im heftigsten Fieberanfall, und mehrere Wochen hindurch mußte sie das Bette hüten. Ein Mann, der eine solche Abneigung von Katzen hatte, daß er Anfälle von Ohnmachten bei der Annäherung einer derselben bekam, ward von einigen seiner Bekannten, welche den Einfall hatten [229] ihn von diesem Widerwillen heilen zu wollen, in ein Zimmer verschloßen, in welchem sich eine Katze befand; und eine langwierige Krankheit war die Folge dieser Unbesonnenheit. Ein Frauenzimmer, welches sehr furchtsam war, und eine schwächliche Gesundheit hatte, ließ sich von leichtsinnigen Bekannten überreden, der Hinrichtung eines Verbrechers, der geköpft werden sollte, zuzusehen; und dieser entsetzliche Anblick wirkte so mächtig auf sie, daß sie schwermüthig ward und nach einem Jahre starb. Ein Student bezog eine Wohnung in einem Hause, in welchem, nach der Sage, ein Gespenst umherging. Da er nicht furchtsam war, achtete er nicht auf das einfältige Gerede. In der ersten Nacht war alles ruhig; in der zweiten hörte er Kettengerassel und Aechzen. Er blieb indeß in seinem Zimmer, legte aber von nun an zwei geladene Pistolen auf den Tisch vor seinem Bette, wenn er sich niederlegte. So vergingen einige Nächte; da er sich aber nicht irre machen ließ, kam endlich ein ungeheures Gespenst in sein Zimmer und gerade auf ihn zu. Augenblicklich ergriff er ein Pistol und zielte nach den Beinen des Gespenstes, welches auch von dem Schroot getroffen, zu Boden sank. Sogleich eilte der Student hinzu, entlarvte den Geist, und siehe da! es war der nächste Nachbar des Hausherrn, den er schon durch die [230] Furcht aus dem Hause vertrieben. Er hatte die Spuckgeschichte nur ersonnen, um das Haus seinem Eigenthümer zu verleiden und in üblen Ruf zu bringen, und es so für ein geringes Geld zu bekommen. Da sein Haus mit diesem durch eine Thüre, die er zum Scheine geschlossen, in Verbindung stand, konnte er seinen bübischen Plan sehr gut ausführen. Die Strafe blieb aber, wie wir gesehen, nicht aus, und er ward nicht allein von der Obrigkeit zur Rechenschaft gezogen und bestraft, sondern mußte auch zeitlebens an der Krücke gehen, da das eine Bein nicht mehr wiederherzustellen war. Einst neckten muthwillige Knaben, einen ihrer Spielkameraden, welcher sehr furchtsam war, und gaben ihm dieser Schwachheit wegen, lächerliche Beinamen. Andere riethen ihn, das nicht so hingehen zu lassen, sondern einen recht großen Beweis von Herzhaftigkeit zu geben, und dieser sollte darin bestehen, daß er um Mitternacht auf den Kirchhof ginge und ein Tuch auf ein frisches Grab breitete. Früh, am Morgen wollten sich die andern überzeugen, ob er wirklich da gewesen. Er ging es ein, aber je näher der Abend heran kam, um desto ängstlicher ward er; doch überwand er sich, stand um Mitternacht auf, und ging auf den Kirchhof, das Tuch auf ein Grab hinzubreiten. Unterdessen hatte einer der Knaben, welcher [231] sehr gut auf Stelzen gehen konnte, ein weißes großes Betttuch um sich genommen, und als der Furchtsame, nachdem er das Tuch ausgebreitet, fortgehen wollte, schritt diese lange weiße Gestalt, welche er für nichts weniger, nichts mehr, als einen Geist hielt, auf ihn zu. Augenblicklich sank er, vom Schlage getroffen, tod nieder. Man kann sich den Schrecken und die Angst der Knaben denken! Auf einen derselben wirkte dieser Vorfall so heftig, da er sich Vorwürfe über seine Lieblosigkeit und Unbesonnenheit machte, daß er eine Anlage zum Tiefsinn bekam, die ihn nie verließ.

Wilhelm.

Wilhelm war im Schauspielhause gewesen, wo ein Trauerstück gegeben worden. Bei seiner Zurückkunft fragte er den Vater, ob denn der Mann, den man erstochen, nun wirklich tod sei? »Nein, mein Sohn, entgegnete der Vater, alles was du gesehen hast, war nicht Wahrheit, sondern nur ein Spiel, aus welchem wir gesehen, wie weit das Unglück, oder oft auch eigne[232] Schuld und Thorheit die Menschen bringen können. Es macht dich auf viele Fehler aufmerksam, die du vielleicht besitzest, und deren Folgen du erkennest. Manche Leute gehen ins Schauspielhaus, blos um sich zu belustigen; es ist aber noch besser, sich zu gleicher Zeit das Lehrreiche jedes Stückes, das gegeben wird, recht zu merken, und es auf sich zu beziehen. Es zeigt uns oft, wie unglücklich ein Verschwender sich und andere machen kann, und wie lächerlich und verächtlich der reiche Geizhals wird, der seine Schätze mit thörichter Aengstlichkeit verschließt, und andere Noth leiden läßt, wohl selbst oft Noth leidet. Es lehrt uns, wie ruhig und heiter gute, edle Menschen sterben, und wie trostlos und verzweiflungsvoll die bösen in der Todesstunde sind. Und da man das nicht bloß mit Worten so deutlich zeigen kann, so werden da allerlei Begebenheiten durch Menschen vorgestellt, welche Schauspieler heißen; und je täuschender sie ihre Rollen spielen, um desto lebhafter kann man sich diese Begebenheiten als wahr vorstellen, ob sie es gleich nicht sind. So wie die Bienen aus allen Blumen Honig ziehen, aus einigen nur mehr, aus der andern minder, so kann ein vernünftiger, denkender Mensch Nutzen aus allem ziehen, und sich Belehrung verschaffen aus Dingen, die ein anderer, der ohne Nachdenken [233] lebt, übersieht. In Lustspiele kann man lernen Lächerlichkeiten vermeiden, durch welche man oft Andern zum Spotte wird, und kleine Thorheiten ablegen, die man deutlicher an Andern bemerkt als an sich selbst. Das ist mir lieb, sprach Wilhelm, daß ich das weiß, und ich will auch recht Achtung auf alles geben, und das Nützlichste merken. Und er hielt Wort; jedesmahl, so oft er in der Komödie gewesen war, erzählte er, was er gesehen und gehört hatte, und bat den Vater um Erläuterung dessen, was er nicht verstanden; die Eltern erklärten es ihm so, wie es sich für sein Alter und seine Einsicht schickte.«

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Notes
Erstdruck: 1818.
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TextGrid Repository (2012). Stahl, Karoline. Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1626-A