Verschwiegenheit

Wenn die Liebste zum Erwidern
Blick' auf Liebesblicke beut,
Singt ein Dichter gern in Liedern,
Wie ein solches Glück erfreut!
Aber Schweigen bringet Fülle
Reicheren Vertrauns zurück;
Leise, leise! Stille, stille!
Das ist erst das wahre Glück.
Wenn den Krieger wild Getöse,
Tromml' und Pauken, aufgeregt,
Er den Feind in aller Blöße
Schmetternd über Länder schlägt,
Nimmt er wegen Siegsverheerung
Gern den Ruhm, den lauten, an,
Wenn verheimlichte Verehrung
Seiner Wohltat wohlgetan.
Heil uns! Wir verbundne Brüder
Wissen doch, was keiner weiß;
Ja, sogar bekannte Lieder
Hüllen sich in unsern Kreis.
Niemand soll und wird es schauen,
Was einander wir vertraut:
Denn auf Schweigen und Vertrauen
Ist der Tempel aufgebaut.
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Notes
Entstanden 1816, Erstdruck 1827.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Goethe, Johann Wolfgang von. Verschwiegenheit. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5F21-E