[168] [9]Annette
An Annetten
An Annetten
Eine Erzählung
Eine Erzählung
Erste Erzählung
Verzweifelt nicht, ihr Jünglinge, wenn eure Mädchen spröde sind. Niemals hat noch die Kälte der mütterlichen Lehren ein weibliches Herze so zu Eise gehärtet, daß es der alles erwärmende Hauch der Liebe nicht hätte zerschmelzen sollen.
Hört, was mir mein Freund erzählte, dem ich sonst viel glaube:
Ich liebte ein Mädchen recht feurig, recht zärtlich; aber sie floh die Jünglinge und die Liebe, weil ihr die Mutter die Jünglinge und die Liebe sehr fürchterlich gemalt hatte. Das schreckte mich nicht ab, es machte mich nur behutsam.
Wenn ich sie im Haine antraf, redete ich sie ganz trocken an. Meine Kälte betrog sie, daß sie nicht floh und mit sich reden ließ. Ich sagte ihr viel von erhabnen Empfindungen, die ich Freundschaft nannte; leicht gewann ich da ihre Vertraulichkeit.
Ich ward ihr Freund, sie meine Freundin. Mein Umgang fing an, ihr täglich weniger gleichgültig zu werden. Sie freuete sich, wenn ich kam, und betrübte sich, wenn ich ging.
Ich war oft mit ihr alleine gewesen, doch hatte ich es nicht wagen dürfen, die Lehren der Mutter mit Gewalt anzugreifen. Nach und nach suchte ich sie mit List zu untergraben. Seit einiger Zeit war ich ihr Lehrer geworden, hatte sie viel Gutes gelehrt; und dem Liebhaber glaubt ein Mädchen immer mehr als der Mutter. Da fing sie an zu zweifeln, ob auch die Mutter immer möchte wahr geredet haben. Das merkte ich, und wußte ihre Zweifel zu nähren.
Sobald ich sie wiedersah, redete ich feuriger, küßte ich sie feuriger als sonst. Ich sah, daß sie bewegt ward.
Zwote Erzählung
Es ist kein Mädchen so listig, so vorsichtig, das nicht von einem listigen Jünglinge könnte gefangen werden. Hört, wie es Charlotten erging. Charlotte, ein weises Mädchen, die wohl wußte, warum die Jünglinge zu fürchten waren, liebte mich recht zärtlich, aber mehr noch sich selbst. Drum war sie immer zurückhaltend, immer streng gegen mich, wie es meine Annette jetzt ist, wenn sie ihre Mutter beobachtet. Wäre sie ganz klug gewesen, so hätte sie mich ganz gemieden; doch sie war zu dieser Tat zu sehr Mädchen.
Einst saßen wir unter dem Schatten einer überhangenden Myrte, ein Becher mit Weine und ein Körbchen mit Obst stand vor uns; wir redeten von Freundschaft. Schnell flog Amor aus einer jungen Rose heraus, die, halb aufgeblüht wie ein Mädchen von funfzehn Jahren, sich die Myrte hinaufgeschlungen hatte. Ich sah ihn, das Mädchen nicht. Wie freuete ich mich, da ich seinen Bogen gespannt und seinen Köcher gefüllt sah. Nun wird er mir helfen und einen Pfeil auf ihre Brust schicken; er wird nicht abspringen, der spitzige Pfeil!
[17] Aber er bleibt doch immer ein Kind, Amor. Kaum sah er die Trauben, als er schnell hinflog, eine Beere nach der andern mit einem Pfeile aufstach und aussog, wie die Bienen ihren Stachel in die Blumen stechen und Honig saugen. Da er sich satt gesogen hatte, ward er mutwillig, flog auf den Becher und schaukelte auf dem Rande. Aber einmal versah er's, der gute Amor, und fiel mit einem lauten Schrei in den Wein. Possierlich schwamm er auf dem goldnen Meere, plätscherte mit den Flügeln, ruderte mit Händen und Füßen und schrie immer. Da jammerte er mich, daß ich ihn heraushub. »Was machst du?« fragte das Mädchen. – »Eine Biene war in den Wein gefallen«, sagt ich. Freudig dankte mir Amor und hüpfte in den Sonnenschein, da schüttelte er seine Flügel und trocknete sich. Ich sah ihm zu und bemerkte, daß sein Köcher von Pfeilen leer war. Wo sind sie? dacht ich. – Indem fielen meine Blicke auf den Becher; da zogen sich Bläschen vom Boden herauf, wie sie der Wein aus dem Zucker zieht. Amor hatte die Pfeile im Schwimmen verloren, und nun sog der Wein das Gift aus den Spitzen. »Ich habe deiner Hülfe nicht mehr nötig, Amor!« jauchzete ich und reichte ihr den Becher und sah starr auf sie. Sie trank und sah mich an und trank mit starken Zügen. »Wie süße!« seufzete sie tief, da sie den Becher niedersetzte. Ich beobachtete sie genau; eine sanfte Mattigkeit schlich durch alle ihre Glieder.
Erste Erzählung
Zwote Erzählung
Eine Romanze
Nach dem Italienischen
Aus dem Französischen
Aus dem Französischen des Herrn von Voltaire