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An Johann Daniel Salzmann

Sie kennen mich so gut, und doch wett' ich, Sie rathen nicht warum ich nicht schreibe. Es ist eine Leidenschaft, eine ganz unerwartete Leidenschaft, Sie wissen wie mich dergleichen in ein Cirkelgen werfen kann, daß ich Sonne, Mond und die lieben Sterne darüber vergesse. Ich kann ohne das seyn, Sie wissen lang, und koste was es wollte, ich stürze mich drein. Diesmal sind keine Folgen zu befürchten. Mein ganzer Genius liegt auf einen Unternehmen worüber Homer und Schäkespear und alles vergessen worden. Ich dramatisire die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven Mannes, und die viele Arbeit die mich's kostet, macht mir einen Wahren Zeitvertreib, den ich hier so nöthig habe, denn es ist traurig am einem Ort zu leben wo unsre ganze Wirksamkeit in sich selbst summen muß. Ich habe Sie nicht ersetzt, und ziehe mit mir selbst im Feld und auf dem Papier herum. In sich selbst gekehrt, ist's wahr, fühlt sich meine Seele Efforts die in dem zerstreuten Straßburger Leben verlappten. Aber eben das wäre eine traurige Gesellschaft, wenn ich nicht alle Stärke die ich in mir selbst fühle auf ein Object würfe, und das zu packen und zu tragen suchte, so viel mir möglich, und was nicht geht, schlepp ich. Wenn's fertig ist sollen Sie's haben, und ich [7] hoff Sie nicht wenig zu vergnügen, da ich Ihnen einen edeln Vorfahr (die wir leider nur von ihren Grabsteinen kennen) im Leben darstelle. Dann weiß ich auch Sie lieben ihn auch ein bisgen weil ich ihn bringe.

Sehr einfach wie Sie sehen ist meine Beschäftigung, da meine Praxis noch wohl in Nebenstunden bestritten werden kann. Wie oft wünsch ich Sie um Ihnen ein Stückgen Arbeit zu lesen, und Urteil und Beyfall von Ihnen zu hören. Sonst ist alles um mich herum todt. Wie viel Veränderungen dennoch mit mir diese Monate vorgegangen, können Sie ahnden, da Sie wissen wie viel Papier zum Diarium meines Kopfes zu einer Woche gehörte.

Frankfurt bliebt das Nest. Nidus wenn Sie wollen. Wohl und Vögel auszubrüten, sonst auch figürlich spelunca, ein leidig Loch. Gott helft aus diesem Elend. Amen.

Ich suchte Ihren Brief vom 5. Oktober und fand noch eine Menge die zu beantworten sind. Lieber Mann, meine Freunde müssen mir verzeihen, mein nisus vorwärts ist so stark, daß ich selten mich zwingen kann Athem zu holen, und rückwärts zu sehen, auch ist mir's immer was trauriges, abgerissene Faden in der Einbildungskraft anzuknüpfen.

Hr. Eilbermann hat mir das Münsterfundament geschickt. Danken Sie ihm vielmal und versichern Sie ihn aller Ergebenheit die ich seiner sonderbaren Gefälligkeit schuldig bin.

[8] Mit den Rissen mag es anstehen.

Wollten Sie so gütig seyn das Manuscript der Comödia von ô Feral oder wer es sonst hat, zurück zu nehmen, (wenn's die Leute nicht mehr brauchen) und unter meiner adresse versiegelt an Hrn. Herder zu senden. Grüßen Sie Lersen und Jungen; ich hab ihre Briefe erhalten. Sie sollen mich lieb behalten.

Viel Empfehlungen u.s.w.

am 28. November 1771.

Goethe. [9]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1771. An Johann Daniel Salzmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B3D-9