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An Friedrich von Schuckmann

Ew. Excellenz

überreiche hierbey den ersten Bogen des bewußten Aufsatzes, zu geneigter Beurtheilung. Sie werden diesen Blättern gleich ansehen, daß es blos ein exoterischer Text ist, über den man mit Personen von Ansehn und Einfluß vertraulich zu communiciren hat, wenn er von einigem Nutzen seyn soll. Wie sehr danke ich daher Denenselben, daß Sie mir Gelegenheit gegeben, in hergebrachtem Vertrauen mich darüber zu äußern.

Ohne mich voreilig in die Frage einzulassen, inwiefern die Cölner hoffen können des Wunsches theilhaft zu werden, die Universität in ihren Mauern zu sehen, so darf ich wohl voraussetzen, daß die Sammlungen von dem, was zu Kunst und Alterthum gerechnet wird, daselbst ihren Hauptsitz finden werden. Deshalb wäre zuvörderst ein geräumiges Local auszumitteln. In dem Gebäude, welches sonst den Jesuiten angehörte, soll, außer der schon dorthin verlegten Schulanstalt, noch Kaum genug seyn. Doch wäre vielleicht nicht einmal darauf zu bestehen alles [132] unter einem Dache zu versammeln. Es giebt in Cöln mehrere große Häuser, welche wohl irgend eine Abtheilung des Museums fassen könnten. Doch werden dieses dei dortigen Behörden näher beurtheilen.

Der zweite Punct betrifft die Sammlung des Herrn Canonicus Wallraf, mit welchem man baldmöglichst eine Unterhandlung zu eröffnen hätte, um die von demselben aufgehäuften Schätze dem öffentlichen Wesen für die Zukunft zu sichern, und auch schon gegenwärtig auf diesen wunderlichen Mann einigen Einfluß zu gewinnen. Er gehört nämlich zu den Personen, die bey einer gränzenlosen Neigung zum Besitz, ohne methodischen Geist, ohne Ordnungsliebe geboren sind, ja die eine Scheu anwandelt, wenn nur von weitem an Sonderung, schickliche Disposition und reinliche Aufbewahrung gerührt wird. Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbarsten Gegenstände der Natur, Kunst und des Alterthums über einander stehen, liegen, hängen und sich durcheinander umhertreiben. Wie ein Drache bewahrt er diese Schätze, ohne zu fühlen, daß Tag für Tag etwas Treffliches und Würdiges durch Staub und Moder, durch Schieben, Reiben und Stoßen einen großen Theil seines Werths verliert. Die Negotiation selbst, wodurch diese Masse in landesherrlichen Besitz käme, wird keine großen Schwierigkeiten finden. Er ist bey Jahren, genügsam, seiner Vaterstadt leidenschaftlich ergeben, und wird sich glücklich schätzen[133] wenn das, was er hier gesammelt, auch künftig an Ort und Stelle beysammen bleiben soll. Schwieriger aber, ja kaum zu lösen wird man die Aufgabe finden, diese Dinge ihm aus den Händen zu ziehen, Einfluß zu gewinnen auf Ordnung derselben, und eine Übergabe einzuleiten, wo derjenige, der das Ganze übernimmt, sich nur einigermaßen legitimiren kann, was er denn erhalten.

Da ich mit einem ähnilchen Manne, dem Hofrath Büttner in Jena, zwanzig Jahre in einem peinlichen Verhältnis gestanden, kann ich hierüber aus Erfahrung reden. Bey der größten Schonung seines seltsamen Wesens war es doch nicht möglich, ohne Verdruß mit ihm zu verkehren. Einstmals z.B. eröffnete er mir, daß er die Sommerzeit anwenden wolle, die in einem großen Saale an der Erde übereinander geschichteten rohen, gebundenen und gehefteten Bücher zu ordnen, und verlangte deshalb Ein Repositorium. Ich ließ, in Hoffnung daß die Sache in Gang kommen werde, zwölf Repositorien aufstellen und diese hätten nicht hingereicht, er aber war hierüber sehr verdrießlich und hat mir diese Voreile in seinem ganzen Leben nicht verziehen. Dergleichen erwarte ich mir von Herrn Wallraf auch und glaube kaum, daß bey seinen Lebzeiten anders als mit großer Vorsicht und Gewandtheit etwas Schickliches auszuführen seyn wird.

Das Dritte betrifft die Gebrüder Boisserée, deren Sammlung von alten niederrheinischen und brabantischen [134] Mahlerwerken sich gegenwärtig in Heidelberg gereinigt, restaurirt und prächtig eingerahmt, befindet. Von ihrem Werth und dem Verhältniß zu anderen Schulen derselbigen Epoche wird mein Heft unter dem Artikel Heidelberg im Allgemienen Kenntniß geben. Die beyden Gebrüder Sulpiz und Melchior, gegenwärtig in den besten Jahren, waren erst zum Handelsstande bestimmt und bildeten sich aus zu schöner Kenntniß von Kunst und manchen Theilen der Wissenschaft. Zu ihnen gesellte sich ein dritter namens Bertram. Zufällig wurden sie selbst zu sammeln veranlaßt, und haben nun, seit mehr als zehn Jahren, Zeit, Kräfte und Vermögen angewendet, um eine Sammlung aufzustellen, die in ihrer Art einzig ist, und welche, selbst der größten Gallerie einverleibt, immer als würdige Abtheilung glänzen würde. Noch erwünschter wäre sie jedoch zu Begründung eines neuen Museums, weil sie alsobald alles was sich um sie versammelte zu gleichmäßiger Klarheit und Ordnung nöthigen würde. Es sind den Besitzern schon mehrere Anträge geschehen, allein es bleibt ihr fester Vorsatz, sich von diesen Bildern nicht zu trennen, sondern sich vielmehr mit ihnen zugleich an den Ort zu begeben, den höhere Hand und Wirkung bestimmte. Nach meiner Überzeugung haben diese jungen Männer nur zwischen zwey Städten zu wählen, zwischen Frankfurt und Cöln, beyde in der günstigsten Lage und im gegenwärtigen Augenblick beyde der Hoffnung lebend, daß [135] ein neues und bedeutendes Kunstleben unmittelbar hervortreten werde. Denn die Absicht jener Gebrüder ist nicht etwa nur Conservatoren eines todten Schatzes zu bleiben, sondern angestellt zu werden, da wo sie, durch Kenntnisse so wie durch Thätigkeit, fortwirken können zum öffentlichen Besten, wie sie bisher als Privatleute, für eigene Rechnung, zu eigener Freude und Nutzen gethan. In Frankfurt ist, bey dem hohen Alter des Herrn Städel, welcher seine sämmtlichen Kunstschätze an Gemälden, Kupferstichen und Handzeichnungen, nebst einem geräumigen Local, und ansehlichen Capitalien zu einer öffentlichen Anstalt gestiftet, wahrscheinlich daß dieses Vermächtniß bald realisirt werde. Die Executoren des Testaments haben wegen Theilnahme an diesem Institut, vorläufig im Stillen, genannten jungen Männern Anträge gethan. Ob ich nun gleich alle Ursache habe, meiner Vaterstadt das Beste zu wünschen, und nicht Veranlassung seyn möchte, daß ihr ein so wichtiger Anhaltepunct eines frischen Kunstlebens entginge, so ist jedoch bey mir ein gewisses Gefühl, von Gründen unterstüzt, daß ich die Sammler sowohl als die Sammlung am liebsten in Cöln sähe. Der folgende Druckbogen giebt Nachricht von dem bedeutenden Kupferwerke, welches mehrbenannte junge Männer herausgeben, um den Werth und die Würde des Cölner Doms zu versinnlichen; auch hier wäre zu wünschen, daß eine öffentliche Casse mit einigem [136] Vorschuß einträte, welcher genugsam gesichert werden könnte.

Diese drey wichtigen Puncte Ew. Excellenz erleuchteter Beurtheilung überlassend, füge nur noch hinzu, daß über die republicanische Form, die ich unter gewissen Umständen, bey Kunstanstalten den herkömmlichen Akademien vorziehe, unter dem Artikel Frankfurt weitläufiger gehandelt werden wird.

Nehmen Ew. Excellenz als einen Beweis meiner Verehrung die zutrauliche Offenheit, die mich an jene schönen Tage erinnert, die ich das Glück hatte, in Ihrer Nähe zu verleben. Bald hoffe ich bey Gelegenheit der nächsten Sendung, das Weitere nachzutragen.

Ew. Excell.

ergebenst

Weimar

verpflichteter Diener

d. 4. Nov. 1815.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Friedrich von Schuckmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EE0-0