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An Franz Kirms

Auf die unangenehmste und eine in diesem Augenblick höchst fatal aufregende Weise, kommt mir die Nachricht, daß Lortzings aufgekündigt haben, und daß man ihnen hierauf in einem anonymen Briefe den Undank gegen mich sehr bitter vorgeworfen. Die guten, leidenschaftlich erregten Menschen, nicht wissend welchem Heiligen sie sich widmen sollen, kommen gerannt und flehen um Leitung und Führung.

[244] Was soll ich nun hiezu sagen? als daß ich den letzten peremtorischen Erlaß an Lortzing sehr ungern unterschrieben habe; sollte ich aber, in meinem wüsten Kopf, Mäßigungs-Gründe zusammensuchen? was hätte mich hiezu veranlassen können?

Hat man mich nicht bisher schon mürbe zu machen gesucht, durch Vorwürfe, daß ich bey Contracts-Verlängerungen die Schauspieler ungebürlich begünstige (Siehe Rehbock)? Habe ich nicht sehr hochklingende Maximen wiederholt zu hören gehabt, daß man gerade bey Contracts-Verlängerungen nicht allein auf dem Status quo bestehen, sondern auch ältere, längst aufgegebene Befugnisse der Commission und Regie wieder zu erobern suchen soll?

Vielleicht hätte ich, in gesunden Tagen, meine Gegenmeinung zu äußern gesucht, so ließ ich es aber gehen, wohl voraussehend welche tötdliche Wunde wir unserem Theater zu schlagen im Begriff stehen.

Nun möchte ich aber erfahren, welche Ursache wir dem Hof und Publicum angeben wollen, warum wir zwey treffliche Schauspieler, ganz ohne irgend eine Veranlassung, vom Theater jagen?

Ich wüßte niemand zu antworten der mich fragte. Denn nicht einmal die geringste Condescendenz, z.B. wegen der kleinen Rollen, die man alle in's Feuer werfen könnte, hat man gehabt, es wäre wenigstens ein Zipfel gewesen wo man wieder hätte anknüpfen können; da sollte aber alles rein abgewiesen und [245] abgeschlagen seyn; ich weiß nicht welch ein dictatorischer Geist uns auf einmal ergriffen hat; ich werde mich demselben gewiß nicht entgegen setzen, weil daraus auf's neue Vorwürfe für künftige Jahre sich für mich entfalten können.

Wegen diesen Äußerungen habe ich dringend um Verzeihung zu bitten, weil sie mehr einem Fieberkranken als einem Geschäftsmann geziemen, in einem fieberkranken Geschäft jedoch kann es zuletzt wohl nicht anders werden.

Mich selbst aber körperlich und geistig betrachtet muß ich zu verwahren suchen und mir in den nächsten vier Wochen alle Communication in Theatersachen durchaus verbitten, ich fühle mich nicht fähig meine eigenen kleinen Geschäfte zu führen, wie sollte ich glauben in einem so wichtigen einflußreichen, in einem bewegten Moment den rechten Punct zu treffen.

Dieses Blatt mag zum Preis dienen daß mir der Kopf nicht auf dem rechten Fleck steht und daß ich bis auf bessere Zeiten wohl von einem Geschäft zu dispensiren seyn möchte, bey dessen Führung man alle Ursache hat sich auf's strengste selbst zu besitzen.

W. d. 31. März 1815.

Goethe. [246]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Franz Kirms. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-73E4-C