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An Rosine Städel

Meiningen d. 10. Octbr. 1815.

Schon bin ich auf die Höhe gelangt wo die Wasser nicht mehr nach dem Mayn fließen, ich muß also meine Gedancken der Post anvertrauen und so sollen die Freundinnen hören: daß ich im Geiste immer so hartnäckig bey Ihnen geblieben, als mich ungern persönlich entfernt habe.

Am 7ten reisten wir von Heidelberg ab. Boisseree, der sich überzeugt hatte daß mir einige Pflege nötig sey, begleitete mich. Wir übernachteten in Neckar Els, in einer Eisgrube.

Am 8ten ging es weiter, begünstigt vom schönsten Wetter, und so gelangten wir unter tausend Rückerinnerungen nach Würzburg. Kaum hatte ich die Ufer des Mayns erreicht als ich sogleich die zierlichsten Kuchen hinein warf. Möchten sie zur rechten Stunde, zwischen dem Rohr, zunächst der bekannten lieben Terasse, glücklich landen!

Am 9ten, früh, gings an ein Scheiden, wo ich denn ganz eigentlich die Trennung fühlte, denn bisher war es noch immer eine Fortsetzung des gücklichsten Zustands. Auch, wie es zu geschehen pflegt, waren die letzten Stunden die interressantesten. Eine gewisse Scheu verliert sich wenn man das unvermeidliche vor sich sieht und man sucht im offensten Vertrauen einen [99] Erfaß für den drohenden Verlust. Nicht ohne Rührung war der Abschied und, wie man eine Hand umwendet, wäre Sulpiz mit nach Weimar gegangen. Nun war ich denn allein, auf den weiten fruchtbaren Räumen zwischen Mayn und Mayn. Zu Werneck nahm ich nochmals von dem geliebten Wasser Abschied, nachdem vorher die Weltgeschichte mich ereilt hatte. Auf den weiten Stoppelflächen hetzten donische Cosacken verschüchterte Hafen. Eine Meilenlange Colonne des russischen Trains retardirte meinen Eilweg und doch traf ich, gegen acht, bey hellem Mondschein, auf ein schlimmeres Hinderniß, indem der Wagen sich umlegte. Da ich aber in den besten Gedancken war lies ich mich nicht stören, sondern ging zu Fuse nach der Stadt, einen Weg ohngefär so lang als von der Mühle nach der Sandgasse, oder umgekehrt und glaubte so von einer Freundinn zu der andern zu gehen. Möchten sie mich Beyde nicht aus ihrer Mitte lassen!

Nun, indessen der Wagen hergestellt wird, halte ich es für ein glückliches Ereigniss, das mir Zeit giebt von hier aus meine kleinen äusseren Schicksale zu melden. Überlassend sich, in feinen Gemüthern, nach Analogie eigner Gefühle, die inneren Zustände auszubilden. Diesen kommen gar sehr jene Talismane zu Hülfe an denen Ihr liebes Brieflein so reich war. Von Zeit zu Zeit wünsche ich mir Erneuerung, ob sie gleich von der Art sind daß sie ihre Kraft nimmer verliehren.

[100] Auch Ihnen liebe Rosette wünsche den herrlichen Tag wie er über diesen Gebirgen waltet. Reiner Himmel, glänzende Sonne, dabey aber eine Winterkälte. Deshalb auch meine Schrift zu entschuldigen bitte, die in einer nicht zu erheizenden Stube mehr eilt als billig. Schon ist der Wagen wieder hergestellt und Carl abermals mit aufpacken beschäftigt. Möchte ich doch zu Hause ein Wort von Ihnen vorfinden! – Und wieviele Optative möchte ich nicht noch hinzufügen. Lassen Sie mir die schönste Freude zwey Wesen unzertrennlich zu wissen, die ich immer so fort vereint mir dencken will, und was alles weiter daraus folgt, wie ich es so gern auf mich beziehe.

Tausend Lebe wohl.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Rosine Städel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-787D-1