1/53.

An Friederike Oeser

Franckfurt am 8. Apr. 1769.

Nun was ist das denn für ein gros Unglück, wenn ich Sie bitte, ein wenig zu plaudern? Wie kommen Sie drauf, einen ehrlichen Menschen der an nichts denckt, für einen Bösewicht anzuschreien, weil er einem Mädgen das Seine Zunge geläuffig und artig zu gebrauchen weiss, zu erkennen giebt, dass er diese vorzügliche Gabe Ihres Geschlechts zu schätzen weiss. Mich treffen alle Ihre vehemente Beschuldigungen, gar nicht; und Sie hätten besser gethan, wenn Sie nicht böse geworden wären.

Ich soll eine üble Idee vom schönen Geschlecht haben. Auf gewisse Art, ja! Nur müssen Sie mich verstehn, und meine Worte, nicht jedesmal mit einer schlimmen Glosse erklären.

Was ich erfahren habe, das weiss ich; und halte die Erfahrung für die einzige ächte Wissenschaft. Ich versichre Sie, die Paar Jahre als ich lebe, habe ich von unserm Geschlecht eine sehr mittelmässige Idee [206] gekriegt; und wahrhafftig keine bessre von Ihrem. – Nehmen Sie das nicht übel. – Sie haben mir's darnach gemacht; und selbst Sie, geben Sie mir nicht Anlass, in meiner Verstockung so fortzufahren. Sie wollen mir Ihr Geschlecht, auf einer andern Seite zeigen! O, hätten Sie's bey der ersten gelassen, und Ihre Sache würde schlimm geblieben seyn, ohne schlimmer zu werden. Wie vortheilhafft ist denn diese neue Seite? Wir wollen sehen! – Dass jedes iunge, unschuldige Herz, unbesonnen, leichtgläubig, und desswegen leichtzuverführen ist, das liegt in der Natur der Unschuld. Läugnen Sie mir das! Und heisst denn das beschuldigen, wenn man die Sache sagt wie Sie ist. Und ist es denn Ihrem Geschlecht eine Schande leichtgläubig zu seyn? Es scheint als ob Sies glaubten. Sie widersprechen mir, und wollen Ihr Geschlecht vertheidigen. – Dass nicht alle Mädgen Leichtsinnig sind das haben Sie bewiesen; ich muss es gestehen; Aber Sie haben mir zu einer gefährlichen Meynung geholfen: Der Klügere Theil ist also misstrauisch. Denn Misstrauen ist die Laune Ihres ganzen Brief's. Wodurch hab ich das verdient? O der Argwohn liegt in Ihrem Herzen, und da müssen nonchalante, grande, ehrliche Stellen meiner Briefe, boßhaffter Scherz seyn. Meine Blätter sind in Ihren Händen, und ich trutze drauf; Sie werden keine Bosheit drinne finden, die Sie nicht drinne suchen.

Das Urteil eines Frauenzimmers, über Wercke des Geschmacks ist bey mir wichtiger als die Kritick des[207] Kritickers, die Ursache liegt am Tage, und alle Ihre Beredsamkeit soll mir meine Ehrlichkeit nicht verdrehen. Was ich sage, wenn Sie bekennen, dass das Versgen von Rhingulffen, aus List hingesetzt war? Das werden Sie wohl rahten können. Ich werde sagen, dass Sie Ihre Mausfallen gut zu stellen wissen, und dass mir's lieb ist, daß ich mich habe fangen lassen. Sie können sehn, wie ehrlich ich binn wären Sie grad gewesen, und hätten mich gefragt, ich würde nicht mehr und nicht weniger gesagt haben. Wäre Hr. Gervinus nicht bey mir gewesen, so wüste ich gar nicht wie ich dran wäre. Aus seiner Erzählung habe ich weg; dass der Barde in Leipzig wohl aufgenommen worden, dass er durchgehendes gefallen hat; und ich sehe wohl dass er auch Ihnen gefallen hat, und dass ich übels von Ihrem Freund geschrieben habe. Es sey! Was ich geschrieben habe das habe ich geschrieben. Schreiben Sie's auf; Rechnung des Brodneids, oder der wenigen Empfindung, dass mir der Barde nicht behagt. Mir ist's eins. Genug, ich kann nichts empfinden, wo nichts gedacht ist. Und der Republikanische Geist verläugnet sich nicht; Sachsen hat seine Wildheit und Kühnheit gemässigt, aber zu dem Concert des Lobs hat es ihn nicht stimmen können. Ich dancke Ihrem Vater, das Gefühl des Ideals; und die gedrehten Reitze des Franzosen, werden mich so wenig exstasiiren machen, als die platten Nymphen von Dietrich, so nackend und glatt sie auch sind. Jede [208] Art hat ihre Verdienste, nach ihrem Maasstab; ich binn ihr gehorsamer Diener allerseits, aber, wir wollen uns desswegen nicht entzweyen, Mamsell; seyn Sie immerhin nicht so streng gegen die Autoren, nur seyn Sie auch nicht so streng gegen mich. Wie soll ich mich mit Ihrem Geschlecht aussöhnen, wenn Sie so fortfahren wie Sie angefangen haben. Und doch, wenn es Ihnen nicht anders möglich ist, so zancken Sie nur, Sie sind doch immer hübsch, Sie mögen freundlich, oder böse seyn.

Ihre Bäume in Delis fangen nun bald an auszuschlagen, und solang sie grün sind, hoffe ich auf keinen Brief von Ihnen. Unterdessen will ich Sie schon zwingen, manchmal an mich zu dencken; mein Geist soll so hefftig an Ihre Büsche dencken, dass er Ihnen erscheinen wird eh Sie Sich's versehen; und meine Briefe, sollen Sie auf die Reitze des Landlebens, in Prosa und Versen aufmercksamer machen, trutz Hirschsfelden dem Anatomicker der Natur; wenn keine andre Materie vorkommen sollte. Hr. Regis wird schweerlich mit uns zufrieden seyn können, es thut mir weh, daß ein so angenehmer Mann, hier so einen unangenehmen Acceuil zum erstenmal gefunden hat.

Ich binn – ich weiss selbst nicht recht, was – Aber doch so gut als jemals, von ganzem Herzen

Ihr

Freund und Bewundrer, Goethe. [209]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1769. An Friederike Oeser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B8B-7