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An Johann Gottfried Herder

[Ende September oder Anfang Oktober 1771.]

Ich zwinge mich, Ihnen in der ersten Empfindung zu schreiben. Weg Mantel und Kragen! Ihr Niesewurzbrief ist drei Jahre alle Tageserfahrungen werth. Das ist keine Antwort drauf, und wer könnte drauf antworten? Mein ganzes Ich ist erschüttert, das können Sie denken, Mann, und es fibrirt noch viel zu sehr, als daß meine Feder stet zeichnen könnte. Apollo von Belvedere, warum zeigst du dich uns in deiner Nacktheit, daß wir uns der unsrigen schämen müssen. Spanische Tracht und Schminke! Herder, Herder, bleiben Sie mir, was Sie mir sind. Bin ich bestimmt, Ihr Planet zu sein, so will ichs sein, es gern, es treu sein. Ein freundlicher er Mond der Erde. Aber das – fühlen Sie's ganz – daß ich lieber Mercur fein wollte, der letzte, der kleinste vielmehr unter siebnen, der sich mit Ihnen um Eine Sonne drehte, als der erste unter fünfen, die um den Saturn ziehn.

Adieu, lieber Mann. Ich lasse Sie nicht los. Ich lasse Sie nicht! Jacob rang mit dem Engel des Herrn. Und sollt' ich lahm drüber werden! Morgen soll Ihr Ossian gehn. Jetzt eine Stunde mit Ihnen zu sein, wollt ich mit – bezahlen.

Ich lese meinen Brief wieder. Ich muß ihn gleich siegeln; morgen kriegten Sie ihn nicht.


[1] 1771

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1771. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-81AA-E