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An Carl Friedrich Zelter

So weit hätten wir es also gebracht, fünf Monate nichts von einander zu hören. Durch eigene und fremde Leiden und Freuden hin und hergewogt, hab ich sie zugebracht. Jetzt, unter leiblichen Auspicien nach Hause gelangt, fühl ich gleichmäßig, daß man immer auf innern und äußern Krieg gerüstet seyn muß.

Nicht leer komm ich von meinem Kreuzzuge, in einiger Zeit erhältst du gedruckt meine Betrachtungen über Kunst und Alterthum, beyläufig über Wissenschaft, in den Rhein- und Mayngegeben. Es ist zwar meine Art nicht auf den Tag zu wirken, dießmal aber hat man mich so treulich und ernsthaft zu solcher Pflicht aufgefordert, daß ich mich nicht entziehen kann. Eigentlich spiele ich auch nur den Redacteur, indem ich die Gesinnungen, Wünsche und Hoffnungen verständiger und guter Menschen ausspreche. In diesen Fächern, wie in allen andern, ist soviel guter Wille als Verwirrung und Unvertraun; jeder möchte etwas leisten und zwar das Rechte, und niemand begreift daß das nur geschehen kann, wenn man mit und in einem Ganzen wirkt.

Sodann verkündige, wie mein Divan um viele Glieder vermehrt ist, worunter sich welche von der jüngsten und frischesten Sorte befinden. Er kann nun[122] schon, dem verschiedenen Inhalt gemäß, in Bücher abgetheilt werden; manches Singbare wird sich darunter finden, doch waltet, nach orientalischer Art, die Reflexion am meisten darin, wie sie auch den Jahren des Dichters geziemt.

Ferner ist mein Aufenthalt in Neapel und meine Reise durch Sicilien, so ziemlich, nach Tagebüchern und Briefen, und aus der Erinnerung redigirt, und steht auf dem Puncte, abgeschrieben zu werden. Die Reise bis Rom war schon in Ordnung ehe ich wegging. Aus diesem Bändchen wird niemand viel lernen, aber Gegenden, Gegenstände, Menschen und Reisende werden dem Leser lebendig entgegentreten.

Von öffentlicher Musik habe ich auf meiner Reise nichts Erfreuliches gehört. Einzelne liebenswürdige Stimmen zu Clavier und Guitarre sind mir sehr anmuthig entgegen gekommen. Gott und die Bajadere hört ich vortragen, so schön und innig als nur denkbar. Ist denn das erste Heft deiner gestochenen Lieder nicht mehr zu haben? in Frankfurt war es nicht zu finden, jedoch die folgenden. Am Mayn weiß man nichts von dir, und der Rhein kennt dich nicht; wir haben daher dein Evangelium in diesen Gegenden gepredigt. In Heidelberg dagegen stehst du im frischesten Andenken. Du erlaubst ja wohl, daß ich etwas von deinen Canons und mehrstimmigen Liedern hinschicke, auch schickte ich gern die Partitur von Johanna Sebus. Eine Gesellschaft Liebhaber versammelt [123] sich unter kluger und geistreicher Anführung. In Frankfurt hat ein wohlwollender junger Mann eine Singschule angelegt, die ich zu fördern hoffe, ich wünschte ihr deine Prüfung. Das Unglück mit diesen Musikern ist dasselbe wie mit den Dichtern, daß jeder nur seine Arbeit vorträgt, und das was ihm ähnlich und erreichbar ist. Fräulein Hügel trägt die Händel'schen und Bach'schen Sonaten ganz trefflich vor, und ist leider in diesem Fache wie in allen übrigen kein Mittelpunct, nach dem ein jeder seufzt, indem er nur gewohnt ist, sich um sich selbst zu drehen.

Die erste Lieferung der neuen Ausgabe meiner Werke ist schon abgedruckt, Cotta secretirt sie aber und wartet mit der Subscriptionsanzeige auf besseres Wetter; wem will man auch jetzt zumuthen, sich mit solchen Dingen zu befassen? In den zwey Bänden kleiner Gedichte wirst du allerley wunderliches Zeug, und ich hoffe manches für deinen Gaum finden.

Unsere jungen Herrschaften find in Berlin; ob sie für lauter Thätigkeit Raum finden werden, auf dich und dein schönes Thun Acht zu haben, weiß ich nicht.

Und so darf ich denn erwarten, daß du mir von deinem Thun und Lassen auch einige Nachricht gebest. Sage mir doch auch ein Wort, wie sich des Epimenides Urtheil ausgenommen, wie es mit Devrient steht und geht. Brühl hat uns Wolffs weggenommen, welches sein gutes Vorurtheil für seine Direction erregt. Es ist zwar nichts dagegen zu sagen wenn man [124] gebildete Künstler sich zuzueignen sucht, aber besser und vorteilhafter ist es, sie selbst bilden. Wär ich so jung wie Brühl, so sollte mir kein Huhn auf's Theater, das ich nicht selbst ausgebrütet hätte. Nun lebe schönstens wohl und sende auch irgend ein Liedchen oder Canon.

Weimar. d. 29. Octbr. 1815.

G.


Kannst du mir, nach deiner einsichtigen Schilderungsweise, eine recht deutliche Darstellung von Dlle Düring machen, und das je eher je lieber, so erzeigst du mir einen großen Gefallen, laß es aber niemanden am wenigsten sie selbst mercken und bewahre mir dieses Geheimniß, wie manches andre.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A55-8