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An Carl Joseph Hieronymus Windischmann

Die Sendung, welche Ew. Wohlgeboren mir früher zugedacht, ist endlich glücklich angekommen. Die Folge der Gebirgsarten war mir sehr angenehm, da sie mir gezeigt daß am Mayn, wie am Neckar, der eigentliche Granit tief liegt, und dessen Abartungen, so wie die auf ihn folgenden Gebirgsarten freyer am Tage erscheinen, da sich denn zuletzt der Sandstein anschließt, der jedoch auch von früher Entstehung seyn mag. Alles zusammen ist mir eine sehr werthe Folge einige Stücke besonders merkwürdig: der Quarz mit Braunsteinkiesel vielleicht jener Gegend einzig angehörig. Können Sie mir von diesem Mineral in [273] der Folge einige deutliche Crystalle verschaffen, so würden Sie mich besonders verbinden. Die illuminirte Karte wird freylich dieser freundlichen Gabe die Krone aufsetzen. Sollte man nicht in jener Gegend Wolfram und Eisenglanz entdecken? einige Stücke deuten auf eine Formation welcher diese Mineralien nicht fremd sind.

Und nun lassen Sie mich diesen irdischen Ballast bey Seite legen und in dem herrlichen Luftballon des Ramajan ungehindert aufsteigen. – Die Erzählung des Satananda ist ein kostbares Document und stellt, mit großer Weisheit und Tiefe, den ungeheuern Conflict dar, welcher zwischen der königlichen und Priestergewalt, in den indischen Verhältnissen auf eine Weise muß gerast haben, von der wir gar keinen Begriff hätten, wenn nicht auch Kirche und Staat der Christen ähnlichen Bewegungen ausgesetzt gewesen wären, die einer lebhaften Einbildungskraft unter ebenso furchtbaren Bildern erscheinen dürften. Verharren wir jedoch bey unserem indischen Gedichte, so wird man es groß, erhaben, ungeheuer und dabey wohl ersonnen, wohl erdacht nennen dürfen, ja man fühlt eine leise Anmuthung an's Schöne, welche gar wohlthätig wirkt.

Indessen lassen Sie mich gestehen, daß wir andern, die wir den Homer als Brevier lesen, die wir uns der griechischen Plastik, als der dem Menschen gemäßesten Verkörperung der Gottheit, mit Leib und [274] Seele, hingegeben, daß wir, sag ich, nur mit einer Art von Bangigkeit in jene gränzenlosen Räume treten, wo sich uns Mißgestalten aufdringen und Ungestalten entschweben und verschwinden. Dies soll indessen den Dank nicht verkümmern den ich Ihnen für diese Mittheilung erstatte und schuldig bleibe. Fahre Sie ja fort mich vom Gedeihen der Unternehmung theilweise zu unterrichten, und mich so köstliche Dinge genießen zu lassen, die auf anderen Wegen nicht zu mir gelangen würden. Die beyden angedeuteten Stücke der Heidelberger Jahrbücher habe noch nicht aus dem Strudel der Interessenten herausfischen können.

In Hoffnung eines baldigen Wiedersehens empfehle mich zum allerschönsten.

aufrichtig theilnehmend

und ergeben.

Weimar d. 20. April 1815.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Carl Joseph Hieronymus Windischmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F0F-D