1/52.

An Adam Friedrich Oeser

Frankfurt am 14. Februar 1769.

Theuerster Herr Professor.

Endlich ein Brief! Er ist lang ausgeblieben und hätte noch länger außenbleiben müssen, um Ihnen die Nachricht einer völligen Wiederherstellung zu überbringen. Ich bin würcklich noch ein Gefangener der Krankheit, obgleich mit der nächsten Hoffnung, bald erlöst zu seyn. Dieses neue Jahr hat mir die erste Aussicht in's Leben, seit dem traurigen August, geöffnet, und es scheint, als wenn der Winter meiner Natur mit diesem Winter einerley Epoque haben sollte. Also soll ich gegen Ostern gesund seyn, und doch nicht zu Ihnen kommen? Ich komme nicht, Herr Professor. Aus Ostern nicht, auf Michael nicht, vielleicht in einem Jahr nicht, so lieb Sie mich auch haben. Sie wollten mich jetzt gleich haben, auf Ein Jahr, auf zwey. Was wäre das, daß ich noch einmal so Abschied nehmen müßte! Nein, wenn ich komme, will ich kommen, bei Ihnen zu bleiben eine hübsche Zeit, da das Ende mit dem Anfang nicht so nah verwandt ist, wie Zwey mit Eins. Und was könnte ich Ihnen auch jetzt nutzen! Verzeihen Sie mir die Eitelkeit, die Danckbarkeit (wie Sie's nennen wollen) daß Ihr Schüler gerne was zu Ihrer Freund beytragen möchte. Frankreich und Spanien schicken Astronomen [203] nach Californien, den Spaziergang der Venus zu betrachten. Wenn Sie an mich dencken, so dencken Sie wie Frankreich an die Astronomen. Wenn Sie von mir reden, so reden Sie so von mir. Sie haben viele Schüler, die Sie nie wiedersehen, in die Welt gestreut, und sich so viel Freunde gesät; sie werden alle Frucht bringen. Erlauben Sie mir einen Vorzug vor vielen! Nennen Sie mich keinen Weggegangenen, nennen Sie mich einen Verschickten. Wenn Sie jemand fragt: Wie steht um ihn? So sagen Sie: Gut! Ich hab' ihn mit allem verstehen, was er braucht an Kenntnissen und Instrumenten, um die Welt zu nutzen, und hab 'en auf Reisen geschickt, daß er allerley Erfahrungen macht, allerley Seltenheiten auftreibt und sie endlich mit der Zeit in mein Cabinet bringt. »Wo ist er denn jetzt?« Seit dem August in seiner Stube, bey welcher Gelegenheit er biss an die große Meerenge, wo alles durch muß, eine schöne Reise gethan hat. Er wird uns Wunderdinge davon erzählen können.

Ja Herr Professor, wenn's nach meinem Herzen gehen will, was in der Welt geschehen soll mit uns, so komm ich wieder. Nur werden Sie nicht ungeduldig, wenn ich lang ausbleibe, und bleiben Sie immer hübsch auf Ihrem Schlosse. Und wenn Sie an einem hübschen Sommerabend am Fenster stehen, und ein Mensch in seltsamem Aufzug über die Brücke getrabt kömmt, so binn ich's, der irrende Ritter, der [204] von den Abentteuern Rechnung zu geben kömmt, die er bestanden hat.

Ich scherze und allegorisire, und habe schon meine Freude daran. Was wird's erst werden, wenn wir wieder in Leipzig um's Tohr gehn! Vor der Hand hat mir's nun freilich mein Medicus als etwas, wodurch ich in ein Recitiv fallen könnte, verboten. Nächstens vielleicht etwas deutlicher von diesen Dingen.

Ich danke ergebenst für die Nachricht vom Steinschneiden; sie hat mir die Sache klaar gemacht. Lessing! Lessing! wenn er nicht Lessing wäre, ich möchte was sagen. Schreiben mag ich nicht wider ihn, er ist ein Eroberer und wird in Herrn Herders Wäldchen garstig Holz machen, wenn er drüber kömmt. Er ist ein Phänomen von Geist, und im Grunde sind diese Erscheinungen in Teutschland selten. Wer ihm nicht alles glauben will, der ist nicht gezwungen, nur widerlegt ihn nicht. Voltaire hat dem Schäkespeare keinen Tort thun können, kein kleinerer Geist wird einen größeren überwinden. Emile bleibt Emil und wenn der Pastor zu Berlin verrückt würde, und kein Abbé wird den Origines verkleinern.

Ende Jetzt oder ich fange noch ein Blat an, und es ist spät. Empfelen Sie mich denen Herren Kreuchauff, Weisse, Clodius, Huber, Hardenberg, Gravinus, besonders Ihrer Frau Gemahlinn. Meine Eltern sind ganz Ihre Freunde. Bei Herr Weissen entschuldigt[205] mich meine Krankheit. Das Verlangte wird erscheinen. Ich binn mit der unerschöpftichsten Schwatzhafftigkeit dennoch

Ihr treuster und ergebenster Schüler Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1769. An Adam Friedrich Oeser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-960D-D