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An Friederike Oeser

Mademoisalle,

Sie ist lang ausgeblieben, die Antwort! soll ich Sie wohl um Vergebung bitten? Nein gewiss, wenn ich das dürfte; Wenn ich sagen dürffte: Mamsell, verzeihen Sie, ich hatte viel, viel Geschäffte, daran [188] sich Herckules den Arm aus der Pfanne hätte heben mögen, ich konnte ohnmöglich, die Tage waren kurz, mein Gehirn, wegen der Einstrahlung des Steinbocks und Wassermanns, etwas kalt und feucht, und noch die ganze Reihe von alletags Entschuldigungen, um nicht auf sich kommen zu lassen, man sey faul, dazugerechnet; Sehen Sie, wenn ich in Umständen wäre, so was zu sagen, ich schreib lieber in meinem Leben nicht. O Mamsell, es war eine impertinente Composition von Laune meiner Natur, die mich vier Wochen an den Bettfus, und vier Wochen an den Sessel anschraubte, dass ich eben so gerne die Zeit über, hätte in einen gespaltnen Baumwollen eingezaubert seyn. Und doch sind sie herum, und ich habe das Capitel von Genügsamkeit, Geduld, und was übrigens für Materien ins Buch des Schicksaals gehören, wohl und gründlich studiert, binn auch dabey etwas kluger geworden; Sie werden mir also verzeihen wenn dieser Brief, mehr ein Commentar zu dem Ihrigen, als eine Antwort darauf wird; denn so viel Freude ich über das Blätgen gehabt habe, so viel habe ich auch dawider einzuwenden, und – Honneur aux Dames – aber wahrhafftig, Sie haben unrecht.

Wir müssen uns besser verstehn, eh wir uns weiter heraus lassen. Vorausgesetzt, dass ich nicht mit Ihnen zufrieden binn! Und nun will ich anfangen, von Anfang biss zu Ende, ordentlich wie ein Cronickenschreiber; [189] der Brief wird so lang werden, wie die Glosse eines Dompfaffen, über einen kleinen, leichten Text.

Sie wissens von Alters her, – wenigstens ist es meine Schuld nicht, wenn Sie es nicht wissen – Sie wissen, daß ich Sie für ein sehr gutes Mädgen hatte, die schon, wenn Ihr dran gelegen wäre, einen ehrlichen Menschen mit dem weiblichen Geschlecht wieder versöhnen könnte, und wenn er aufgebracht wäre wie Wieland. Wenn ich mich irre, so ist das wieder meine Schuld nicht. Zwey Jahre beynahe, binn ich in Ihrem Hause herumgegangen, und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein Nachtforschender Magus einen Alraun pfeifen hört.

Von dem also zu reden was ich gesehen habe – die Kirche urtheil nicht übers Verborgne, sagte Paris – So versichre ich Sie, dass ich davon bezaubert binn; aber wahrhafftig die Philosophen von meiner Art, haben meist Ulysses Kräuterbüschel, unter den andern Galanterien, in einem Sachet bey sich, dass Ihnen die stärckste Bezauberung nicht mehr schadet als ein starcker Rausch, Kopfweh den andern Morgen, aber die Augen sind doch wieder helle. Dieses wohl begriffen, damit wir uns nicht missverstehen.

Sie sind glücklich, sehr glücklich; wenn mein Herz nicht jetzt für alle Empfindung, todt wäre, ich wolle es Ihnen vorerzählen, vorsingen wollt' ich's Ihnen. Das möglichste von Gessners Welten; wenigstens bild [190] ich's mir so ein. Und Ihre Seele hat sich sehr nach dem Glück gebildet, Sie sind zärtlich, fühlbaar, Kennerinn des Reitzes, gut für Sie, gut für Ihre Gespielen; aber nicht gut für mich; und Sie müssen doch auch gut für mich seyn, wenn Sie ein ganzrechtgutes Mädgen seyn wollen. Ich war einmal kranck, und ward wieder gesund, eben genug, um mit Bequemlichkeit meinem letzten Willen nachdencken zu können. Ich schlich in der Welt herum, wie ein Geist, der nach seinem Ableben manchmal wieder an die Orte gezogen wird, die ihn sonst anzogen, da er sie noch körperlich geniesen konnte, iämmerlich schlecht er zu seinen Schätzen, und ich demütig zu meinen Mädgen, und zu meinen Freundinnen. Ich hoffe bedauert zu seyn; unsre Eigenliebe muss doch was hoffen, entweder Liebe oder Mitleiden. Betrogner Geist bleib in deiner Grube! Du magst noch so demütig, noch so flehend im weissen Rocke flehen und jammern, wer todt ist ist Todt, wer kranck ist, ist so gut wie todt; geh, Geist, geh, wenn sie nicht sagen sollen, du bist ein beschweerlicher Geist. Die Geschichten, die mich auf diese Betrachtungen führten, gehören nicht hier her. Nur eine will ich Ihnen ausführlich erzählen, wenn ich mich sie noch recht besinne. Ich kam zu einem Mädgen, ich wollte drauf schwören, Sie wären's gewesen, die empfing mich mit grossem Jauchzen, und wollte sich zu Todte lachen, wie ein Mensch die Carickaturidee haben konnte, im 20sten Jahre an der [191] Lungensucht zu sterben! Sie hat wohl recht, dacht ich, es ist lächerlich, nur für mich so wenig, als für den Alten im Sacke, der für Prügeln sterben mögte, über die eine ganze Versammlung fast für lachen stirbt. Wie aber alle Sachen in der Welt zwey Seiten haben; und einem ein schönes artiges Mädgen, leicht schwarz vor weis verkaufen kann; und ich überhaupt leicht zu bereden binn, so gefiel mir das Ding so wohl, dass ich mir einbilden liess, es wäre alles Einbildung, und man wäre glücklich, so lang man vergnügt wäre, und so weiter; und da erzählte sie mir wie sie auf dem Lande so vergnügt gewesen wären, wie sie blinde Kuh gespielt, nach dem Topfe geschlagen, geangelt, und gesungen hätten, dass mir's ward wie's einem jungen Mädchen wird die den Grandison liesst; das ist ein feines Bissgen von einem Menschen, so einen möcht'st du auch haben, denckt sie. Wie gern hätte ich auch mitgemacht, und meine Kranckheit verschlimmert. Dem sey wie ihm wolle, Mamsell, es ist nichts so schlimm, dass das Schicksaal nicht zum Guten machen könnte, Ihre Unbarmherzigkeit in den letzten Tagen, gegen den armen Verurteilet, machte ihn starck; Glauben Sie mir, Sie sind alleine Schuld, dass ich Leipzig ohne sonderliche Schmerzen verlassen habe. Freudigkeit der Seele, und Heroismus ist so communicabel wie die Elecktricität, und Sie haben so viel davon, als die Elecktrische Maschine Feuerfuncken in sich enthält. Morgen seh ich [192] sie wieder! ein Abschiedsgruss zu dem, den man auf die Galeeren schmieden will, ist wahrhafftig nicht der zärtlichste. Es sey! Mich hat er starck gemacht; und doch war ich nicht mit zufrieden. Die Grösse der Seele, ist meist unempfindlichkeit, unter uns gesagt. Wenn ich's wohl betrachte, so handelten Sie ganz natürlich, mein Abschied musste Ihnen gleichgültig seyn, mir war er's warrlich nicht. Ich hätte gewiss geweint, wenn ich nicht gefurcht hätte, Ihre weissen Handschuhe zu verderben; eine überflüssige Vorsicht, ich sah erst am Ende, dass sie gestrickt und von Seide waren, da hätte ich immer weinen können, doch da war's zu spät. Dass ich ein Ende mache. Ich ging aus Leipzig und Ihr Geist begleitete mich, mit der ganzen Munterkeit seines Wesens. Ich kam hier an, und sing an Betrachtungen zu machen, dazu ich bissher nicht Zeit gehabt hatte. Und sah mich hier nach Freunden um, und fand keine; nach Mädgen, die waren nicht so specificirt wie ich's liebe, und war im Jammer, und klage Ihnen das, in wunderschönen Reimen, und dencke, ob Sie denn wohl dich bedauern wird, und den unglücklichen Schwanen durch ein Briefgen trösten wird! Da kam ein Brieflein! Nun das ist wohl wahr, erquickt war ich; denn Sie stellen sich die Trockenheit nicht vor, in der man hier, von Seiten einer angenehmen Unterhaltung lechzt; aber getröst war ich nicht; Ich sah dass Sie meynten, Poesie und Lügen wären nun Geschwister, und der [193] Hr. Briefsteller könnte wohl ein sehr ehrlicher Mensch, aber auch ein starcker Poete seyn, der aus Vorurteil für das Clair obscür, offt die Farben etwas stärcker, und die Schatten etwas schwärzer aufstriche, als es die Natur thut. Bon, Sie sollen recht haben, wo Sie's haben. Nur, das ist doch zu arg, Sachen bey mir zu supponiren, die ich doch so wenig besitze, als den Stein der Weisen. Einen gesunden Kropf, ein gutes Herz, nun dazu liess ich mich noch wohl bereden, zu glauben dass ich das hätte; aber gelehrige Schülerinnen, Freunde, wie sich's gehört, daraus wart ich noch; wenn ich sie erwischt habe, die Paradiesvögel, da will ich's Ihnen schreiben. Dass Sie also unrecht hatten, mir ein Rezept zu verschreiben, wozu die Species in Leipzig waren, dass mich das nothwendig kräncken musste, das sehen Sie nun wohl ein. Es ist sehr unbillig; Sie haben mein Herz gegen den Abschied von Leipzig unempfindlich gemacht, Sie wollen gar haben daß ich es vergessen soll! O Sie kennen Sich und Ihre Landsmänninnen zu wenig! Wer die Minna hat zu Franckfurt aufführen sehen, der weiss besser was Sachsen ist. Sie haben also unrecht! Ich wiederhole es noch einmal, ob ich gleich in dem Augenblicke nicht weiss warum; denn ich habe so viel davon geschrieben, dass ich's drüber vergessen habe, wovon eigentlich die Rede war. Es mag nun seyn wie's will, so war die ganze Sache eine unparteiische, uneigennützige Erinnerung, an ein gewisses Frauenzimmer; [194] dass zum rechten guten Herzen auch Mitleiden gehört; dass das noch lange nicht der höchste Grad von Empfindlichkeit ist, wenn man arme Leute und Lerchen füttert. Dass das Lachen gegen das reelle Unglück, so wenig eine gute Cur ist, als das aus dem Sinnschlagen. Dass wir wenn wir satt sind, eine Rede von Genügsamkeit sehr schlecht bey einem Hungrigen anwenden, und endlich, dass der liebenswürdigste Brief, nicht das hundertste Theil von dem Reiz der Unterredung enthält. Denn Sie hätten mir alles das, und noch mehr, und nicht einmal so schön, vorreden dürfen, so wäre ich confundirt gewesen, und hätte mich nie unterstanden, die geringste von diesen impertinenten Anmerckungen zu machen. Wenn die Frauenzimmer immer wüssten, was sie könnten, wenn sie wollten! – Es ist gut dass es ist wie's ist, ich will zufrieden seyn, dass sie unsre Schwächen nicht ganz kennen. Nun genug von dieser Materie, von der ich so viel geschrieben habe, weil ich nie wieder davon zuschreiben hoffe. Möchte ich doch einem Unglücklichen gedient haben, den etwa das Schicksaal künftig in Ihre Hände übergiebt, die ie niedlicher sie sind, desto grausamer peinigen können. Ich hoffe künftig Ihnen mit keinen Klagen, mit keinem Jammer beschweerlich zu fallen, ich hoffe das Mitleid nicht nötig zu haben, wo zu ich Sie ermahne. Trutz der Kranckheit die war, trutz der Kranckheit die noch da ist, binn ich so vergnügt, so munter, offt so lustig[195] dass ich Ihnen nicht nachgäbe, und wenn Sie mich in dem Augenblicke jetzt besuchten, da ich mich in einem Sessel, die Füsse wie eine Mumie verbunden, vor einen Tisch gelagert habe, um an Sie zu schreiben.

Hierher gehört auch dass ich in diesem neuen Jahre, eine Farçe gemacht habe, die ehstens, unter dem Titel: Lustspiel in Leipzig erscheinen wird. Denn die Farçen sind ietzt auf allen Parnassen contrebande, wie alles aus der Zeit Ludwigs des vierzähenden.

Es lebe Ihre Connexion in der Sie mit dem Schicksaale stehn, ich werde mich auch auf den Fus mit ihm setzen; und Ihr Wahlspruch, möchte auch noch hingehn, und gut und artig seyn, wenn er nur nicht eben vom Rhingluff, oder Gotteweis wie er heisst, genommen wäre, zwanzig Dichter haben es eben so gut, und besser gesagt, warum muss nun eben der Mensch, mit dem Barbarischen Namen, die Ehre haben; Denn unter uns gesagt ich binn keiner von seinen Freunden. Ich kenne ihn weiter nicht, aber seine Verse die ich kenne, dementieren den ehrwürdigen Bart, und das feyerliche Ansehn das ihm Herr Geyser gegeben hat; ich will darauf schwören, in der Natur sieht er iünger aus. Sind denn die Gesänge schlecht?

Wer wird gleich solche Gewissensfragen thun! Genug ich weis nicht was ich mit machen soll. Mamsell, Sie sollen wenn Sie's verlangen, meine Meynungen über allerley Dinge wissen, sagen Sie mir die Ihrige, und [196] es wird die angenehmste, fruchtbaarste Materie, für unsern Briefwechsel seyn; aber Erfahrung macht Misstrauen. Ich rede frey vor Ihren, wie ich vor wenigen in Leipzig reden würde, nur lassen Sie niemanden sehn wie ich dencke. Seitdem Clodius freundschafftlichere Gesinnungen gegen mich blicken lässt, ist mir ein grosser Stein vom Herzen; ich habe mich steets vor Beleidigungen gehütet. Rhingulff ist ohne Zweifel in Leipzig, vielleicht kennen Sie ihn. Ich weiss nichts, denn ich binn ausser aller Connexion, mit allen schönen Geistern. Ich dencke so vom Rhin gulff wie von allen Gesängen dieser Art. Gott sey Danck, dass wir Friede haben, zu was das Kriegsgeschrey. Ja wenns eine Dichtungsart wäre, wo viel Reichtum an Bildern, Sentiments oder sonst was länge. Ey gut da fischt immer! Aber nichts, als ein ewig Gedonnere der Schlacht, die Glut die im Muth aus den Augen blitzt, der goldne Huf mit Blut bespritzt, der Helm mit dem Federbusch, der Speer, ein paar Dutzend ungeheure Hyperbeln, ein ewiges Ha! Ah! wenn der Vers nicht voll werden will, und wenns lang währt, die Monotonie des Sybenmaases, das ist zusammen nicht auszustehn. Gleim, und Weisse und Gessner in Einem Liedgen, und was drüber ist hat man satt. Es ist ein Ding das gar nicht interessirt, ein Gewäsche das nichts taugt als die Zeit zu verderben. Forcirte Gemälde weil der Herr Verfasser die Natur nicht gesehen hat, ewige egale Wendungen; denn[197] Schlacht ist Schlacht, und die Situationen die es etwa reicht sind sehr genützt. Und was geht mich der Sieg der Teutschen an, dass ich das Frohlocken mit anhören soll, eh! das kann ich selbst. Macht mich was empfinden, was ich nicht gefühlt, was dencken was ich nicht gedacht habe, und ich will euch loben. Aber Lärm und Geschrey statt dem Pathos, das thuts nicht. Flittergold, und das ist alles. Hernach sind im Rhingulff Gemälde ländlicher Unschuld; sie möchten gut seyn, in Arckadien angebracht zu werden; unter Deutschlands Eichen, wurden keine Nymphen gebohren wie unter den Myrthen, im Tempe. Und was an einem Gemälde am unerträglichsten ist, ist Unwahrheit. Ein Mährgen hat seine Wahrheit, und muss sie haben, sonst wär es kein Mährgen. Und wenn man nun das Süjet so chiffonirt sieht, so wird's einem bang. Da meynen die Herren das fremde Costume sollte was thun! Wenn's Stück schlecht ist, was sind des Ackteurs schöne Kleider! Wenn Ossian im Geiste seiner Zeit singt, so brauche ich gerne Commentars, sein Costume zu erklären, ich kann mir viele Mühe darum geben; nur wenn neuere Dichter sich den Kopf zerbrechen, ihr Gedicht im alten Gusto zu machen, dass ich mir den Kopf zerbrechen soll, es in die neue Sprache zu übersetzen, das will mir meine Laune nicht erlauben. Gerstenbergs Skalden hätt ich lange gern gelesen, wenn nur das Wörterverzeichniss nicht wäre. Er ist ein groser Geist, und hat aparte [198] Prinzipia. Von seinem Ugolino soll mann gar nicht urteilen. Ich sage nur bey der Gelegenheit; Grazie und das hohe Pathos sind heterogen; und niemand wird sie vereinigen dass sie ein würdig Süjet einer edlen Kunst werden, da nicht einmal das hohe Pathos ein Süjet für die Mahlerey dem Probierstein der Grazie; und die Poesie hat gar nicht eben Ursache ihre Gränzen so auszudehnen, wie ihr Advocat meynt. Er ist ein erfahrner Sachwalter; lieber ein wenig zu viel als zu wenig; ist seine Art zu dencken. Ich kann, ich darf mich nicht weiter erklären, Sie werden mich schon verstehen; Wenn man anders als grosse Geister denckt, so ist es gemeiniglich das Zeichen eines kleinen Geists. Ich mag nicht gerne, eins und das andre seyn. Ein grosser Geist irrt sich so gut wie ein kleiner, jener weil er keine Schrancken kennt, und dieser weil er seinen Horizont, für die Welt nimmt. O, meine Freundinn, das Licht ist die Wahrheit, doch die Sonne ist nicht die Wahrheit, von der doch das Licht quillt. Die Nacht ist Unwahrheit. Und was ist Schönheit? Sie ist nicht Licht und nicht Nacht. Dämmerung; eine Gebuhrt von Wahrheit und Unwahrheit. Ein Mittelding. In ihrem Reiche liegt ein Scheideweg so zweydeutig, so schielend, ein Herkules unter den Philosophen könnte sich vergreiffen. Ich will abbrechen; wenn ich in diese Materie komme, da werd' ich zu ausschweifend, und doch ist sie meine Lieblings Materie. Wie möchte ich in Paar hübsche [199] Abende, bei Ihrem lieben Vater seyn; ich hätte ihm gar so viel zu sagen. Meine Gegenwärtige Lebensart ist der Philosophie gewiedmet. Eingesperrt, allein, Circkel Papier, Feder und Dinte, und zwey Bücher, mein ganzes Rüstzeug. Und auf diesem einfachen Weege, komme ich in Erkenntniss der Wahrheit, offt so weit, und weiter, als andre mit ihrer Bibliothekarwissenschafft. Ein groser Gelehrter, ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit Mühe viel Bücher durchblättert hat, verachtet das leichte einfältige Buch der Natur; und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist; freylich eine schlechte Rekommendation für die wahre Weisheit. Wer den einfältigen Weeg geht, der geh ihn, und schweige still, Demuth und Bedächtlichteit, sind die nothwendigsten Eigenschafften unsrer Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt wird. Ich dancke es Ihrem lieben Vater; Er hat meine Seele zuerst zu dieser Form bereitet, die Zeit wird meinen Fleis seegnen, dass er ausführen kann was angefangen ist.

So ist's mit mir, wenn ich ins schwätzen komme, so verliere ich mich wie Sie; nur dass ich mir nicht sobald helfen kann. Wenn ich sagte, ich habe viel geschwätzt so passte das eher hierher, als es zu Ihrem Brief passte. Er war ein wenig kurz.

Lassen Sie sich durch mich zum Schreiben aufmuntern! Sie wissen nicht, wieviel Sie für mich thun, wenn Sie für mich, sich nur einige Zeit beschäfftigen.[200] Und nur des seltsamen wegen, sollten Sie den Briefwechsel ins Reich unterhalten.

Noch einige Kleinigkeiten eh ich schliesse. Meine Lieder, davon ein Teil das Unglück gehabt hat, Ihnen zu missfallen, werden mit Melodien auf Ostern gedruckt ich würde mich vielleicht unterstanden haben, Ihnen ein unterschriebnes Exemplar zu wiedmen, wenn ich nicht wüsste, dass man Sie durch einige Kleinigkeiten, leicht zum schimpfen bewegen könnte, wie Sie selbst zu Anfange Ihres Briefs sagen; den ich wohl glaube verstanden zu haben. Es ist mein Unglück dass ich so leichtsinnig binn, und alles von der guten Seite ansehe. Dass Sie meine Lieder von der bösen angesehen haben; Ist das meine Schuld. Werfen Sie sie ins Feuer, und sehen Sie die gedruckten gar nicht an; nur bleiben Sie mir gewogen. Unter uns, ich binn einer von den gedultigen Poeten, gefällt euch das Gedicht nicht, so machen wir ein anders.

Von Wielanden möchte ich gar zu gerne was noch schreiben, fürchtet ich nicht die Weitläuffigkeit. Es giebt Materie zu einem andern Brief genug. Sie haben mir ia auch noch viel zusagen, sagen Sie in Ihrem letzten Brief; |: der der erste war :| ey, nehmen Sie sich nur alle acht Tage eine Stunde, einen Monat will ich gerne warten, und da hoff' ich, wird ein freundschafftlich Packetgen mich trösten. Unter andern würden Sie mir eine sonderbaare Gefälligkeit erweisen, [201] wenn Sie mir von den neusten, artigen und guten Schriften Nachricht gäben; hier erfährt mann's immer erst ein Vierteljahr nach der Messe. Ob ich gleich fast ganz auf die neue Literatur jetzo renuncirt habe, und keine Verse mehr, ausser wenn mich ein Räuschgen ermuntert, fliessen wollen, so mag ich doch den Neologismus nicht ganz auf einmal verlassen. Es hängt einem immer noch an, das Skarteckgenlesen, das in Leipzig offt für Gelehrsamkeit passirt.

Wie gern käm ich auf Ostern zu Ihnen, wenn ich könnte; wissen Sie was kommen Sie zu mir, oder schicken Sie mir den Papa. Wir haben Plaz für Sie alle wenn Sie kommen wollen. Es ist mein ganzer Ernst. Fragen Sie nur den Meister Junge, der wird Ihnen sagen dass das wahr ist. Und unser Tisch lässt sich so gut anstossen, wenn Gäste kommen, wie der Ihrige. Sie werden freylich diese Invitation nicht annehmen, die sächsischen Mädgen sind etwas delicat. Gut, zwingen will ich Sie nicht. Aber wenn Sie mich böse machen, so komm ich selbst, und invitire Sie in eigner Person. Wollen Sie es hernach auch nicht annehmen?

Ich binn

Ihr ergebenster Freund

Franckfurt,

und Diener,

am 13. Febr. 1769

Goethe. [202]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1769. An Friederike Oeser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A92-C