25/7109.

An Carl Friedrich Zelter

[17. May 1815.]

Auf deinen liebwerthen Brief erwidre sogleich einiges, damit du Lust behaltest, manchmal die Feder anzusetzen. Zuvörderst also ersuche ich, mir vom Theater von zeit zu Zeit Nachricht zu geben, denn da ich mit dem Grafen Brühl, den ich als Knaben gekannt, in gutem Verhältnisse stehe, da es, durch seine Bemühung, mit dem Epimenides so gut abgelaufen, so möchte ich ihm gern etwas zu Liebe thun, und überhaupt mit dem Berliner Theater im Einverständniß bleiben. Es bedarf nur einiger Anregung und ich arbeite wohl wieder eine Zeitlang für die Bühne, und dann ist denn doch Berlin der einzige Ort in Deutschland, für den man etwas zu unternehmen Muth hat. Durch die vielen Journale und Tagesblätter liegen uns ja sämmtliche deutsche Theater ganz nackt vor Augen, und wohin möchte man bey genauer Einsicht sein Vertrauen wenden? Sprich nur nach deiner Art immer recht derb und deutsch, damit ich in Klarheit bleibe und meinen guten Willen nicht in falschen Unternehmungen verschwende.

Meine Proserpina habe ich zum Träger von allem gemacht, was die neuere Zeit an Kunst und Kunststücken gefunden und begünstigt hat: 1) Heroische, landschaftliche Decoration, 2) gesteigerte Recitation und Declamation, 3) Hamiltonisch-Händelische Gebärden, [328] 4) Kleiderwechslung, 5) Mantelspiel und sogar 6) ein Tableau zum Schluß, das Reich des Pluto vorstellend, und das alles begleitet von der Musik, die du kennst, welche diesem übermäßigen Augenschmaus zu willkommener Würze dient. Es ward mit vielem Beyfall aufgenommen, und wird bey Anwesenheit fremder Herrschaften zum brauchbaren Musterstückchen dienen, dessen was wir vermögen.

Seit einiger Zeit habe ich gerade so viel Humor, Aufsätze in's Morgenblatt zu geben; damit du aber nicht lange zu suchen brauchst, bezeichne ich dir die Nummern und wünsche daß du sie aufsuchest.

No. 69. Nachricht von altdeutschen in Leipzig entdeckten Kunstschätzen.
" 75 und 76. Anzeige von Epimenides Erwachen.
" 85 und 86. Mittheilungen, das deutsche Theater betreffend.

Zunächst wird erscheinen Don Ciccio, berüchtigt in der italiänischen geheimen Literatur durch 365 Schmäh-Sonette, welche ein geistreicher Widersacher auf ihn geschrieben, und ein ganzes Jahr durch täglich publicirt.

Ferner über Shakespeare: a) als Dichter überhaupt betrachtet, b) verglichen mit den Alten und Neusten, c) als Theaterdichter angesehn.

Sodann bring ich die Feyer zu Ifflands und Schillers Andenken, wie sie bey uns auf den 10. May angeordnet ist, zur Sprache.

[329] Nicht weniger werde ich von der Aufführung derProserpina Rechenschaft geben, und dasjenige, was ich oben nur kurz ausgesprochen, umständlicher darthun, damit eine gleiche, ja eine erhöhte Vorstellung dieses kleinen Stücks auf mehreren Theatern statt haben könne.

Um dir ein neues Gedicht zu schicken, habe ich meinen orientalischen Divan gemustert, dabey aber erst klar gesehen, wie diese Dichtungsart zur Reflexion hintreibt, denn ich fand darunter nichts Singbares, besonders für die Liedertafel wofür doch eigentlich zu sorgen ist. Denn was nicht gesellig gesungen werden kann, ist wirklich kein Gesang, wie ein Monolog kein Drama.

Das Gastmahl der Weisen habe ich secretirt; wenn es bekannt würde, so müßte es gewisse Individuen sehr tief verletzen, und die Welt ist denn doch nicht werth, daß man sich, um ihr Spaß zu machen, mit der Welt überwerfe.

Ich beschäftige mich jetzt mit meiner italiänischen Reise und besonders mit Rom. Ich habe glücklicherweise noch Tagebücher, Briefe, Bemerkungen und allerley Papiere daher, so daß ich zugleich völlig wahrhaft und ein anmuthiges Mährchen schreiben kann. Hiezu hilft mir denn höchlich Meyers Theilnahme, da dieser mich ankommen und abreisen gesehen, auch die ganze Zeit, die ich in Neapel und Sicilien zubrachte, in Rom blieb. Hätte ich jene Papiere und [330] diesen Freund nicht, so dürft ich diese Arbeit gar nicht unternehmen: denn wie soll man, zur Klarheit gelangt, sich des liebenswürdigen Irrthums erinnern, in welchem man, wie im Nebel, hoffte und suchte, ohne zu wissen was man erlangen oder finden würde. Bey dieser Gelegenheit wird Winckelmann in der neuern Meyer-Schulzischen Ausgabe gelesen, in welcher diese Werke einen unglaublichen Werth erlangt, indem man sieht was er geleistet hat, und worin denn das eigentlich besteht, was man, nach so vielen Jahren, zu berichtigen und zu ergänzen findet. Meyer hat hierin unschätzbares Verdienst, und wenn er diese Arbeit nunmehr zum Grunde legt, und sein Leben über so fortfährt, alles was ihm bekannt wird, nachzubringen; so ist für die Kunst, die durch vieles hin- und herreden und pfuschen täglich unsicherer wird, und zu ihrer Erhaltung sehr viel gethan.

Seine eigne Kunstgeschichte, von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten, ist auch schon vom Anfang bis zu Ende entworfen, und in einzelnen Theilen meisterhaft ausgeführt. Das Verdienst solcher Männer wie Rubens, Rembrandt p. hat noch niemand mit soviel Wahrheit und Energie ausgesprochen. Man glaubt sich in einem Bildersaale ihrer Werke zu befinden: Licht- und Schattenwirkung und Farbengebung dieser trefflichen Künstler spricht uns aus den schwarzen Buchstaben an.

Entschließe dich doch zu einer Geschichte der Musik [331] in gleichem Sinne! Du würdest es gar nicht unterlassen können, wenn ich dir nur eine Viertelstunde von Meyers Arbeit vorläse. Aus deinen Briefen und Unterhaltungen kenne ich schon manchen eure trefflichen Meister. Mit demselben Sinne und mit derselben Kraft müßtest du bey einer bedeutenden Periode anfangen, und vor- und rückwärts arbeiten; das Wahre kann blos durch seine Geschichte erhoben und erhalten, das Falsche blos durch seine Geschichte erniedrigt und zerstreut werden.

Was das Falsche belangt, so erlebte ich diese Tage ein merkwürdiges Beyspiel. Ein Citat Winckelmanns wies mich auf die Homilien des Chrysostomus, ich wollte doch sehen, was der Kirchenvater über die Schönheit zu sagen gewußt habe, und was fand ich! einen Pater Abraham a Sancta Clara, der die ganze hohe griechische Cultur im Rücken hat, in der niederträchtigen Umgebung lebt, und seinem schlechten Publicum mit goldenem Munde das dümmste Zeug vorsagt, um sie durch Erniedrigung zu erbauen. Was man aber griechische Sprache und Bildung auch in diesem widerwärtigen Abglanz bewundert! Nun aber begreife ich erst unsere guten Neuchristen, warum sie diesen so hochgeschätzten, sie müssen immer dieselben Salbadereyen wiederholen und jeder fühlt daß er diesen Vortrag nicht erreichen kann.

Und so mögen denn diese Blätter zu dir wandern, indessen ich mich von dir entferne. Versäume nicht[332] mir bald nach Wiesbaden zu schreiben, so sollst du auch von dorther etwas vernehmen und möchte uns das Glück bald wieder zusammenführen!

G.


Eh ich abschließe seh ich meinen Divan nochmals durch, und finde noch eine zweyte Ursache, warum ich dir daraus kein Gedicht senden kann, welches jedoch zum Lobe der Sammlung gereicht. Jedes einzelne Glied nämlich ist so durchdrungen von dem Sinn des Ganzen, ist so innig orientalisch, bezieht sich auf Sitten, Gebräuche, Religion und muß von einem vorhergehenden Gedicht erst exponirt seyn, wenn es auf Einbildungskraft oder Gefühl wirken soll. Ich habe selbst noch nicht gewußt, welches wunderliche Ganze ich daraus vorbereitet. Das erste hundert Gedichte ist beynahe schon voll; wenn ich das zweyte erreicht habe, so wird die Versammlung schon ein ernsteres Gesicht machen.

Als ich dieses Blätter gleich nach Empfang deines lieben Briefs anfing, dachte ich nicht, daß ich zugleich darin Abschied nehmen sollte, denn ich habe mich mehr aus fremden Andrang, als aus eigner Bewegung entschlossen, in diesen Tagen nach Wiesbaden zu gehn und daselbst so lange zu bleiben, als es die Umstände erlauben wollen. Unser Großherzog ist noch nicht wieder zurück, und da seine Ankunft ungewiß ist, so will ich diese Frühlingszeit noch mitnehmen.

[333] Kannst du nicht selbst kommen, so schreibe mir bald, besonders das Theater betreffend. Ich habe wieder einmal einigen Glauben, es sey möglich, gerade in diesem Zeitpuncte etwas dafür zu wirken, und wenn der auch nur ein halbes Jahr hält, so ist immer inzwischen etwas geschehen. Sind wir doch diesem Glauben und dieser Beharrlichkeit wenigstens das Weimarische Theater schuldig.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B0B-3