An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg

1812.


Knabe war ich, es drang kein Klang von gewaltigen Dingen
Unter das strohene Dach, welches die Kindheit geschirmt,
Einfalt wohnte mit mir und stille freundliche Sitte,
Frömmigkeit lullte mich ein, Frömmigkeit weckte mich auf,
Liebe führte mich mild durch Büsche, Felder und Auen,
Liebe zeigte mir fromm Götter und Sterne zuerst;
Und es hüteten noch mit mir die Engel des Himmels
Herden des Vaters im Hain, Herden am brausenden Meer,
Kamen als Träume herab, als schöne, helle Gesichte,
Wie in der ältesten Zeit, spielten als Kinder mit mir.
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O was ruf' ich zurück in Tagen des Jammers, der Sünde,
O was ruf' ich zurück, Kindheit, dein seliges Bild,
Als mein Taubenschlag noch die fliegendsten Wünsche begrenzte,
Als mein Mädchen mir noch deuchte die weiteste Welt,
Als die Bibel mein Buch, mein einziges Buch und mein Licht war,
Und mein höchstes Gesetz Spruch aus dem Muttermund?
Ach! Es rollte sich bald die Hülle der Unschuld herunter,
Frühe zeigte sich mir mit der unendlichen Welt
Auch die unendliche Macht, die hoch über Donnern und Blitzen
Wettert und leuchtet – ich sah, eisernes Schicksal, dich früh,
Und ich trug es so jung dein unerbittlich Verhängnis,
Trug es im schweigenden Ernst, trug es im trauernden Blick,
Oft ermahnte mich dann mein fröhlicher Vater: »Sei fröhlich!«
Öfter die Mutter und schalt: »Bube, warum so allein?«
Wenn ich mit Arbeit den Tag, mit bretternem Lager die Nächte
Feierte, schüttelten sie traurig das liebende Haupt;
Denn sie meinten, es werde der Sohn, ein finsterer Träumer,
Sich und andern die Lust töten in künftiger Zeit.
Ich aber sprach: »Wer weiß, wozu die Übung mir frommet?«
Ich aber sprach: »Wer weiß, was mir das Schicksal bestimmt?«
Leichthin sprach ich's, doch schwer erdrückten mich Lasten der Liebe,
Die nur ein eisernes Herz, nimmer ein menschliches trägt;
Abwärts weint' ich allein und traurig, daß ich so traurig
Machte, die zärtlich ihr Herz senkten in meines hinab.
Jahre, ihr seid nun verrollt, ihr schlimmen und trüblichen Jahre,
Lange erleuchtet ist mir Schicksal und Menschheit und Gott,
Aber gekommen ist doch, was frühe dem Knaben geahnet,
Arbeit und Not und Gefahr, Unheil, Zwietracht und Krieg.
Nicht umsonst warst du, o Tag, voll bitterer Kämpfe,
Nicht umsonst dein Ernst, stille, denkende Nacht:
Wohl bedurfte der Mann der festen und stahlenen Rüstung,
Welche der Knabe sich schon hart um den Busen gewölbt.
Freude gabest du mir, o Leben, Freude und Liebe,
Du, o reiche Natur, Freude und Liebe genug:
Doch die Ahndung hat auch ihr dunkles Verhängnis erfüllet,
Bis auf den heutigen Tag alles mit Strenge erfüllt.
Zeugen mögt ihr mir nun, ihr heiligen Geister der Liebe,
Freundlicher Vater, und du, tapfere Mutter, mit ihm,
Zeugen mögt ihr mir nun dort oben im sternigen Reigen,
Wie ich die Zukunft gefühlt, wie ich das Schicksal gefühlt.
O ihr zeuget mir oft, ihr haucht wie heilige Lichter
Himmlischen Atem mir ein, göttliche Wonne mir zu.
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Tochter Germaniens, sei begrüßt mir, herrliche Fürstin!
Nimm den prophetischen Klang, nimm das errötende Herz,
Nimm das verhallende Wort, den flüchtigen Atem der Stunde –
O du bist menschlich und fromm – nimm das Menschliche hin!
Kühnliches hörest du gern und Tapfres kannst du verstehen,
Nimmer in banglicher Furcht zaget dein fürstlicher Sinn.
Über den blutigen Staub und über die wilden Getümmel,
Welche der Augenblick tönt, hebt sich dein freudiger Mut!
Laß ihn fliegen und leuchten und blitzen in heiligen Flammen!
Stolzem Vertrauen drückt gern göttliches Siegel sich auf. –
Sieh! Ich verkünde es dir, so wahr mir der Gott in die Seele
Künftiger Tage Geschick, Deutung der Zukunft gelegt:
Herrliches wirst du noch sehn: das heilige Volk der Germanen,
Wieder ein ritterlich Volk, stehen gerüstet mit Kraft;
Herrliches wirst du noch sehn: die Heldengestalten der Väter
Wieder in Enkeln erblühn, blühn mit dem Zepter und Schwert.
Dann wird Freiheit den Erdball umwalten, Gerechtigkeit herrschen,
Klingen gefürchtet das Wort, blitzen gefürchtet das Schwert
Über den blutigen Staub und über die Lüge des Tages
Schweben die Wahrheit, das Recht, glänzende Engel, dahin.
Nimm denn die Wonne dir, nimm die Gewißheit mit liebendem Herzen,
Nimm den herrlichen Wahn, fürstliche Seele, denn hin!
Selig, welche bestanden und unbefleckt von der Schande
Hielten den heiligen Stolz, hielten den gläubigen Sinn!
Gott wird richten und hat gerichtet, der mächtige Walter,
Klinge, prophetischer Klang! Halle, verfliegendes Wort!

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TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg. An Antonia Amalia, Herzogin von Württemberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0371-F