Fliegende Erinnerungsblättchen. Denksprüche, Erinnerungsblätter

1.

Eines reinen Auges Klarheit,
Eines tapfern Mundes Wahrheit,
Einer treuen Rechte Schwur –
Diese drei geweihten Dinge
Heben hoch zum Sonnenringe
Aus der Nacht der Erdenflur.
Doch auf Erden sollst du weilen,
Streiche mit den Düstern teilen,
Deren Banner Lüge bläht.
Hier gilt's Licht und Recht zu wahren
Und den Gott zu offenbaren,
Der aus Menschennüstern weht.
Deine Erde sollst du tragen
Und dich mit dem Geist zerschlagen,
Der die finstern Fahnen schwellt,
Jene drei geweihten Dinge
Sind die diamantne Klinge,
Durch die Lug und Teufel fällt.

[309] 2.

Hell Gesicht bei bösen Dingen
Und bei frohen still und ernst –
Und gar viel wirst du vollbringen,
Wenn du dies beizeiten lernst.

3.

Bei dem Schwanze fängt nicht an,
Wer des Dinges Kopf will fassen;
Wer nach oben will als Mann,
Muß das Kriechen unten lassen.

4.

Klopf' immer frisch nur an die linke Brust.
Die weiß Geheimnis, was nur Gott gewußt.
In Nebeln fliegt dahin der Witz der Weisen,
Die dir die Fahrt nach anderm Kompaß weisen:
Trau' dem Magnet, den Gott der Herr dir setzte,
Er bleibe dir das Erste und das Letzte.

5.

Wer sich des Muts erkühnt zu singen und zu klagen
Dein Weh, o Vaterland, dein Weh, o Menschenherz,
Wer die Lawine wälzt der Schicksalsrätselfragen,
Bald fliegend himmelauf, bald stürzend höllenwärts,
Der horche nimmer auf, wo Späne von Philistern,
Mit schalem Spott bespritzt, durch Himmelsflammen knistern.

6.

Wer edel sich erkühnt und stark zu sein,
Der rüste sich für Schicksalsdonnerschläge;
Gerecht mißt Gott Hoch, Niedrig, Groß und Klein –
Das wisse, danach wähle dir die Wege.

7.

Wie das Leben auch rollt,
Ob kreuz oder quer,
Was voll du gewollt,
Das streu' nicht umher:
[310]
Denn was viele gewußt,
Zersplittert sich gleich,
An Macht und an Lust
Ist der Stille nur reich.

8.

Wer fest will, fest und unverrückt dasselbe,
Der sprengt vom festen Himmel das Gewölbe,
Dem müssen alle Geister sich verneigen
Und rufen: Komm und nimm! Du nimmst dein Eigen.

9.

Vor Menschen ein Adler, vor Gott ein Wurm,
So stehst du fest im Lebenssturm.
Nur wer vor Gott sich fühlet klein,
Kann vor den Menschen mächtig sein.

10.

Trage frisch des Lebens Bürde,
Arbeit heißt des Mannes Würde,
Kurzer Bach fließt Erdenleid,
Langer Strom die Ewigkeit.

11.

Ein Wort der Lehre, nimm es mit
Ins Leben: Halt die Zunge fest,
Denn ungewogne Rede fliegt
Unflügger Vogel aus dem Nest;
Doch noch ein zweites beßres Wort:
Halt deine Seele fromm und rein,
So wird, was deinem Mund entfliegt,
Nie ein unflügger Vogel sein.

12.

Willst du in Gottes Spiegel schauen,
Schau' in die Seele reiner Frauen,
Und aller Himmel Glanz ist dein;
Doch hat der Spiegel Brüch' und Flecken,
Dann flieh wie vor dem Schreck der Schrecken,
Er spiegelt Höllenzauberschein.

[311] 13.

Wer großes Glück kann tragen,
Der hat ein starkes Herz
Und mag es mutig wagen
Mit jedem Spiel und Scherz:
Drum wird auf steilsten Höhen
Des Ruhmes Kranz gereicht;
Denn Unglück zu bestehen
Macht Gott im Himmel leicht.

14.

Freund, wer männlich sein Ich will
Frommen Munds versteht zu sprechen,
Mag im Erdentale still
Manche süße Blume brechen.

15.

Geh deines Weges still,
Geh deines Weges grad'.
Dem, der nichts weiter will,
Verrennt man nicht den Pfad;
Wer aber kreuz und quer
Abschweift vom graden Weg,
Den stößt ein ganzes Heer:
Die meisten laufen schräg.

16.

Licht suchst du da, wo tausend Lichter funkeln,
Und schreist: Wer sagt mir, ob ich nicht im Dunkeln?
Im Meer des Lichtes willst du magre Klarheit,
Willst jedes Funkens Fünklein dir zerklauben,
Damit du könnest, daß es leuchte, glauben.
O blinder Tor mit solcher blinden Wahrheit!
Der Feldherr, welcher jede Lanzenspitze
Der Knechte zählt, wird nimmer mit dem Blitze
Des Siegers Schlachtenreihen niederschmettern.
Auf! Nimm dir Mut und stürze dich ins Ganze,
Rauf' aus der Blumen Fülle dir zum Kranze
Und zähle seine Wonne nicht nach Blättern.

[312] 17.

Wann die Worte sprühen und schäumen,
Die Gedanken nebeln und träumen
Und das Herz schlägt auf in Glut –
O dann halte das Schwert in der Scheide,
Das Schwert der Tat; denn zum bittern Leide
Wird dir der viele und dunkle Mut.

18.

Schön ist die Welt, sei du, o Mensch, auch schön,
Sei schön und gut, so wird dir's wohl ergehn.
Bedenke: Fernst von Worten liegen Taten,
Fern liegt der Ernte Lust vom Streun der Saaten:
Wer nicht zu handeln, nicht zu säen wagt,
Von dem wird endlich Welt und Glück verklagt.

19.

Wer sich des Festes will erbauen,
Schaue Grau nicht aus dem Grauen,
Hellem Mut gehört die Welt.
Zwar auch Helden sieht man fallen,
Aber traurig fällt vor allen,
Wer durch eigne Schwere fällt.

20.

Schämst du dich, daß Schelme sind?
Willst du deutsche Schelme streicheln,
Die dich dem Aprilenwind
Gleich mit Wechseln auch umschmeicheln?
Nein, den Handschuh frisch heraus!
Feig wird, wer den Feigen weichet –
Lust und Mut wächst überaus,
Wenn man Schelmenbacken streichet.

21.

Man schilt mein Deutschland einen Greis,
Zu kalt und zu verständig,
Ich aber schelt': »Er ist zu heiß,
Der Junge, zu lebendig,
[313]
Ein Junge noch, doch hoffnungsvoll
Bei allen tollen Streichen!
Und grade darum darf und soll
Die Hoffnung mir nicht bleichen.
Kann man den wilden Jugendmut,
Der schäumt und bäumt, nur binden,
So wird er sein verlornes Gut,
Die Freiheit, wiederfinden.«

22.

Deutscher wagst du kaum zu heißen,
Möchtest nur mit Fremdem gleißen,
Möchtest mit Engländern und Franzosen
Bunt dir pletzen Wams und Hosen,
Mit Moskowitern gar und Polen
Flicken die zerrißnen Sohlen.
Schäme dich! Auch mit nackten Beinen
Wage deutsch zu sein, zu scheinen!
Schäme dich! Auch mit nackten Armen
Drein mit dem deutschen Herzen, dem warmen!
Drein mit dem vollen deutschen Herzen!
Und du magst den Hohn verschmerzen,
Womit Fremde Deutsche nennen.
Doch tief muß der Hohn erst brennen,
Tief im vollen deutschen Herzen,
Tief mit vollen deutschen Schmerzen.
Wage nur dich zu erkennen!
Und man wird dich anders nennen.

23.

Was du geträumt in grüner Jugend,
Das mache wahr durch Männertugend –
Die frühsten Träume täuschen nicht.
Doch wisse, Träume sind nicht Taten:
Ohne Arbeit wird dir nichts geraten.
Die Tugend trägt ein ernst Gesicht.

24.

Das Eisen sinkt im Meer,
Doch weißt du's auszuweiten,
So kann's auf Wogen reiten
Als leichtes Schiff einher.
[314]
So ist, o Mensch, dein Mut –
Daß er nicht schwer verdämmre,
Schlag rastlos drauf und hämmre,
Halt frisch der Schmiede Glut!

25.

Was macht den Mann? Ich will es dir
Mit ein paar kurzen Worten sagen:
Du mußt auf jede Lust und Gier
Wie mit dem Eisenhammer schlagen.
Dann bleibt dir nur dein dünnstes Selbst,
Und dein Metall ist ausgeschmiedet,
Und das, womit du Himmel wölbst
Und sie vernichtest, steht gefriedet.
Was ist dies dünne bißchen Mann,
Von dem die schweren Schlacken flogen?
Es heißet Geist und hat erst dann
Sein helles Lichtkleid angezogen.

26.

Sei tapfer! Sei ein Mensch! Du trägst das Zeichen
Von Gott dir hell geprägt auf hoher Stirne –
Ja, eben daß ich Mensch bin, jagt die bleichen
Gedanken oft mir auf in dem Gehirne.
Heut wirbl' ich gleich der Lerche sonnentrunken
Mit Himmelsliedern fröhlich auf zur Höhe,
Und morgen lieg' ich tief hinabgesunken
Und ächz' aus dumpfem Staub mein Menschenwehe.
O schlimmste Zweiheit, ältste Menschenklage!
Laß nun auch ältster Weisheit Spruch dir singen:
Vertrau' dem Gott in dir, den Menschen wage
Und nimm und trage, was die Stunden bringen.

27.

Horch' nicht auf das Geläute und Gebimmel,
Wonach die liebe Menge horcht und schreit;
Es klingt dich nur heraus aus deinem Himmel,
Lockt nur wie Schlachtgesang hinein in Streit.
[315]
O bleibe lieber, wo die Stillen wohnen,
Wo stille Blumen im Verborgnen blühn;
Da winde dir des Glückes zarte Kronen
Und laß den Weltschall froh vorüberziehn.

28.

Ein Wort ein Wort, ein Mann ein Mann,
Das muß als deutsche Losung klingen.
Wer da nicht wanket ab und an,
Kann alle Höllenteufel zwingen.

29.

Nur einen Freien gibt es, der heißt Gott,
So spricht der edle Heide Äschylus.
Kein Narr macht diesen Spruch zum Narrenspott,
Weil jeder Staubgeborne dienen muß.
Ich diene, klang des Böhmenkönigs Spruch.
Mensch, Erdenkönig, nie dienst du genug.

30.

Wolle Eines, woll' es ganz,
Zupfe nicht an Stücken des Stückes,
Und du pflückst den vollen Kranz,
Kranz des Mutes, Kranz des Glückes.

31.

Tief in dich hinab, tief in dich hinein!
Bricht da dir aus der Tiefe kein Schein,
Der von helleren Scheinen was kann erzählen,
So denk' an die Schäden der Menschenseelen –
Es muß in dir was verschüttet sein.
Kannst du solchen Schutt nicht tapfer räumen,
So bleibt's beim eitlen Wähnen und Träumen.

32.

Im Kleinen leicht, im Großen schwer,
So vergeht der Deutsche nimmermehr.
Hält er sich fest das Wörtlein Treu',
Zerstäubt vor ihm alles wie Schaum und Spreu.

[316] 33.

Wer dir die kleinen Freuden nimmt,
Nimmt dir das große Entzücken:
Über tausend schmalste Stege geht
Der Weg zur Himmelsbrücken.

34.

Du suchst der Dinge Grund – stürz' in den Abgrund dich.
Wird da dein Fuß nicht fest, ist nirgends Grund für dich;
Wagst du nicht ritterlich Verzweiflung und Verzagen,
So laß doch lieber ab, nach Gott und Welt zu fragen:
Des Wissens Morgenrot wird nie dem Feigen tagen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Fliegende Erinnerungsblättchen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0684-F