Amtsbericht von dem Tode des Generals Grafen von Schaffgotsch

Ihro Excellenz der Herr Graf Johannes Ulrich von Schaffgotsch, Herr auf Kynast, wirklicher General der kaiserlichen Truppen in Schlesien, begingen seiner Gewohnheit nach seinen Jahrestag im Jahre 1634, also, daß er denen benachbarten Rittern und Edlen nebst denen in der Nachbarschaft wohnenden Priestern ein Fest angestellet, er aber auf den Knieen gelegen und Gott mit inbrünstiger Andacht für die in dem verflossenen Jahre verliehene gute Gesundheit und Wohlstand gelobet, wobei er sich des Trankes und der Speisen den ganzen Tag über enthalten, auch nach vollendetem Gebet nüchtern zu Bett gegangen. Da inzwischen im Tafelzimmer der Wein die Köpfe erhitzt, und viele Discurse unter einander fielen, fing Herr Joh. Andr. Dühm, ein Prediger in Obergerstdorf unter ihnen an, von dem Lauf des Himmels und der Gestirne zu erzählen: daß bei der Geburt des Herrn Grafen Saturnus und Mars in dem vierten Hause der Sonnen eine gefährliche Opposition gehalten, welche, wie seine Worte weiter lauteten: ihm, dem Herrn Grafen keinen natürlichen, sondern einen durch ein kaltes Eisen gewaltsamen Tod andeutete. Bei diesen Worten kam jedoch bemeldetem [163] gelehrten Herrn selbst gleich sam ein solch Erstaunen an, daß er hinzusetzte: »Wir wollen den Herrn des Himmels fußfällig bitten, daß er es zum besten unseres gnädigen Herrn wenden wolle.« Allein der Stallmeister, welcher nebst andern Hofcavaliers bei der Tafel saß, ergrimmte und sagte: »Ich hätte nimmermehr gedacht, daß in eines ehrwürdigen Geistlichen bereits grauem Haupt dergleichen närrische Dinge stecken sollten, den Anfang und das Ende eines Menschen entdecken zu wollen, da doch noch kein Fernglas geschliffen worden, womit man in das Cabinet der göttlichen Geheimnisse sehen könnte.« Zugleich bat derselbe, das Gemeldete dem Herrn Grafen selbst zu sagen. Gedachter Herr Dühm, so wie auch alle anwesende Gäste, ersuchten aber den Stallmeister solches dem Herrn Grafen nicht zu entdecken. Hierauf nahm ein jeglicher seinen Abschied. Als nun die Gesellschaft fort gewesen, wurde der Stallmeister zur Auskleidung des Grafen berufen und von ihm um alle Gespräche der Gesellschaft befragt. Er erzählte endlich auch die fatale Prophezeiung des Herrn Pfarrer Dühm, über welche der Herr Graf in ein freundliches Lachen ausbrach, und alsbald befahl, was nur beritten wäre, aufzusitzen, und denen Gästen nachzueilen, mit dem Vermelden: es wäre wider Sr. Excellenz Willen geschehen, daß sie nicht auf den morgenden Tag wiederum wären eingeladen worden, mit Bitte, sie sollten sich insgesamt früh wieder einstellen, und nach vollendeter Jagd seine angenehmen Gäste sein. Nachdem solches geschehen, begab sich der Graf zur Ruhe und dachte nach, wie er den klugen Nativitätsteller eines andern belehren möchte. Der Tag brach an, die gestrigen Gäste stellten sich sämtlich ein. Der Herr Graf machte sich nun zu dem Geistlichen und sagte zu ihm: »Ich möchte doch gerne wissen, ob der Herr in Theologie oder Philosophie solche Dinge erlernet, denen Menschen einen fatalen Ausgang zu erkundigen.« Demselben aber zu zeigen, daß alle Nativitätstellungen eitel und vergebens seien, so befahl er alsobald ein säugendes Lamm von der Herde zu bringen, mit Bitte, der Herr Dühm möchte die Güte haben, diesem Lamm gleichfalls die Nativität zu stellen; worauf Herr Dühm erwiderte, daß unter einem unvernünftigen Tier und einem vernünftigen Menschen ein großer Unterschied sei. Als aber der Herr Graf schärfer in ihn gedrungen, seine Kunst zu beweisen, so bat er untertänigst, den Schäfer dieser Herde herbei zu schaffen, welchen er, als selbiger erschien, beiläufig [164] fragte, in welcher Woche, an welchem Tage und in welcher Stunde ungefähr dieses Lamm geworfen worden sei. Nach eingeholtem Bericht zog Herr Dühm seine astronomische Rechnung und sagte frei heraus: dieses Lamm würde der Wolf fressen.

Hierüber lachten nicht allein der Herr Graf, sondern auch die anwesenden Hofcavaliers und Gäste. Es wurden nun die Jagdwagen angespannt und den Wäldern zugeeilt, heimlich aber Befehl gegeben, gedachtes Lamm abzuziehen und ganz zu braten, ohne die Ursache jedoch dem Koch zu melden. Auf dem Schlosse Kynast lief nun schon seit zehn Jahren ein zahmer Wolf herum, der auch öfters in der Küche aus- und einzugehen pflegte, und niemals weder etwas Lebendiges noch Zugerichtetes angerühret, weil er an seinem verordneten Fraße zur Genüge hatte. Ja dieser Wolf war so zahm, daß er in der dazu verfertigten Maschine gleich einem abgerichteten Hunde die Braten wendete. Als aber jetzt von ungefähr der Koch seiner Verrichtung nach aus der Küche ging, machte sich der Wolf über das am Spieß steckende, bereits halb gebratne Lamm und fraß dasselbe so rein hinweg, daß man nur noch wenige Knochen gesehen. Der Koch, der den Wolf bei seiner Rückkehr also fressend antraf, nahm ein Stück Holz und prügelte ihn weidlich ab, nicht weiter gedenkend, daß so viel daran gelegen sein sollte, weil sonst noch allerhand delicate Speisen vorhanden waren. Als indessen Se. Excellenz mit Dero Gästen von der Jagd zurückgekommen und an die Tafel verfügt, sagten sie noch scherzweise zu Herrn Dühm: »Der Wolf hat das Lamm auf der Weide gefressen«, so daß oft erwähnter Herr Pfarrer ziemlich schamrot geworden. Doch nachdem die Speisen alle aufgetragen worden, und sich kein Lamm darunter befunden, wurde vom Herrn Grafen scharf darnach gefragt, bis der Mundkoch voller Furcht und Schrecken sich zu des gnädigsten Herrn Füßen warf, und den ganzen Verlauf mit Erstaunen aller Anwesenden erzählte. Der Herr Graf hörte zwar alles mit gelassener Miene an, legte aber nach Vollendung dieser wahren Erzählung das Messer mit diesen Worten aus der Hand: »Pro patria mori decus! das heißt: Es ist die größte Ehre sein Leben für das Vaterland zu lassen, der Wille des Herrn geschehe. Ich weiß, daß ich jederzeit meinem Kaiser treu gedienet, und des Landes Beste redlich gesucht. Herr, du wirst meine Unschuld gewiß an das Licht bringen«, und sah sich genötiget sich zu Bette zu begeben. Auch die sämtlichen [165] Gäste begaben sich nicht ohne heimliche Betrübnis nach Hause, jeder bei sich selbst gedenkend, was es denn noch für einen Ausgang mit diesem fatalen Prognosticon nehmen werde?

Den 25. Junius eben dieses Jahres 1635 wurde Herr von Schaffgotsch nach Regensburg zitiert: um sich vor denen Reichsständen etlicher Punkte wegen zu verantworten, oder zu entschuldigen, und wegen tragender Generalscharge Rechenschaft zu geben, worauf er sich alsobald freudigst zur Reise fertig gemacht. Ob er wohl von seinen Freunden auf das sehnlichste mit Tränen gebeten wurde, sein Leben zu schonen und sich einstweilen, bis seine Unschuld durch Beweisgründe könnte dargetan werden, unter einer andern Macht Schutz zu begeben, so ließ er sich doch nicht abhalten, und sagte allezeit: »Ich fürchte mich nicht vor dem Richterstuhl Christi, welcher mich mit Leib und Seele verdammen kann, viel weniger werde ich mich vor dem weltlichen Gerichte fürchten, welches mir doch nicht mehr als das Leben (das ich meines Alters halben ohnedies nicht lange mehr behalten kann) zu nehmen vermögend ist.« Er machte sich hierauf nebst etlichen Bedienten den 26. dieses Monats auf den Weg und langte glücklich in Regensburg an. Kaum war er aber in dem Gasthause abgestiegen, als ein Dragonerhauptmann mit zwanzig Mann das Haus besetzte, zu Sr. Excellenz ins Zimmer trat und bei Ankündigung des Arrestes zugleich den Degen im Namen Sr. Kaiserlichen Majestät Ferdinand II. forderte, welchen aber der Herr Graf nicht von sich geben wollte, mit Vermelden: er hätte ihn jederzeit zum Dienst Ihro Kaiserlichen Majestät rühmlich geführt, aus dessen Händen hätte er ihn empfangen, und würde ihm schwer fallen, selbigen einem Capitän zu übergeben, worauf sich dieser auch zurückzog. Nach einer halben Stunde kam ein Obrister über ein Regiment zu Fuß, welchem der Herr Graf selbst seinen Degen mit diesen Worten überreichte: »So fern ich diesen Degen nicht jederzeit mit Ruhm und Ehren habe geführt, so werde er durch die Hand des Henkers zerbrochen.« Worauf ihn der Obrist ganz zitternd zu sich genommen und oberwähntem Hauptmann zu verwahren gegeben. Den andern Tag früh wurde der Herr Graf unter einer starken Eskorte auf das Rathaus gebracht, und ihm nachfolgende Punkte vorgelegt:


1. Ob er nicht mit den Feinden Sr. Majestät in Schweden geheime Correspondenz gehalten?

[166] 2. Ob er nicht an das in Ungarn zu versorgen habende Detachement zu zahlende Gelder unterschlagen habe, um dadurch die Soldaten zu einer Revolte zu bringen?

3. Ob er nicht seine lutherischen Untertanen in Schlesien inspirieret, sich zusammen zu rotten und die katholischen zu vertilgen, sich auch gar Meister der böhmischen Grenze zu machen, und ob er ihnen nicht bereits Gelder darauf gegeben?


Hierauf antwortete Herr Graf Schaffgotsch, daß er das erste niemals im Sinne gehabt; an das andere keinesweges gedacht; das dritte aber wollte er gar nicht beantworten, weil es seine eigene katholische Bedienten wüßten, daß dem nicht also wäre; was aber wegen der Grenze, so wären seine Güter nahe genug, daß es nicht nötig wäre, sich erst zu bemühen, die böhmische Passage zu sperren. Das hat er alles mit großer Standhaftigkeit herausgesagt. Als ihm hernach Briefe von seiner eignen Hand vorgelegt worden, woraus das Verbrechen verletzter Majestät genugsam hervorleuchtete, (welche aber falsch gewesen) sagte er: »Wer diese geschrieben, mag den Inhalt vor Gott verantworten. Mir sind sie unbekannt, und habe niemalen weder im Herzen, noch Mund, noch Feder etwas geführet, welches die Treue gegen meinen Kaiser hätte verletzt, oder verletzen können.«

Da ihm hierauf nicht allein von etlichen Ministern, sondern auch von vornehmen Officieren zugeredet worden, sein Verbrechen in Güte zu gestehen, und dadurch ehrlich behandelt zu werden, sagte er: »Bedenket selbst, ihr Herren, ob es ehrlich gehandelt wäre, wenn man nach so langer Treue sich zu einer andern doch unbewußten Untreue bekennen sollte.« Worauf sie ihn verließen. Er mußte aber in einem schönen, doch wohl verwahrten Zimmer auf dem Rathause verbleiben. Den andern Tag wurde er nochmalen auf benannte Punkte scharf befragt, blieb aber bei voriger Antwort, worauf sie ihm Nachmittags, welches fast unerhört, den Scharfrichter zuschickten, welcher ihm mit der Tortur drohete. Als er aber beständig auf Unschuld verblieben, ist er wirklich mit der Tortur aufs schärfste angegriffen worden, darinnen sie kein Wort von ihm bringen können, was ihn verdächtig gemacht hätte, und also ist die Resolution schnell und unversehens erfolget. Den 19. Juli wurde ihm erlaubt, seinen Trompeter nach Schlesien zu schicken, und seinen Freunden Nachricht von seinem Zustande zu hinterbringen, [167] da er denn in sehr beweglichen Ausdrücken an sie geschrieben, und als eine sich den Tod einbildende Person ein wehmütiges Lebewohl von ihnen genommen. Den folgenden Tag kam der Oberauditeur Götze und Obrister Teufel von Wien, welche des Herrn Grafen von Schaffgotsch halber, an Ihro Kaiserliche Majestät zu berichten, verschickt worden, wieder zurück. Den folgenden 21. Juli kamen etliche Kriegsofficiers zum Herrn Grafen aufs Rathaus in sein Zimmer gegangen, und meldeten ihm an: ob sie gerne eine andere Post Ihro Excellenz bringen wollten. Darauf er gebührlich angefangen: »Liebe Herren, meine Excellenz ist dahin, und mir mit Gewalt genommen worden, dafür ich nicht kann, wiewohl ich wohl gekönnt hatte; will aber lieber Unrecht leiden als Unrecht tun, Gott und dem Kaiser wie zuvor treu bleiben, auch jetzo stille halten. Sagt eure Post nur bald heraus, ich weiß, daß mein Blut schon lange eingeschenket, soll aber nur noch ausgetrunken werden.« Worauf diese weitläuftig ihre Person entschuldiget, und endlich mit den Worten geschlossen worden, daß er auf kaiserlichen Befehl sterben sollte. Auf diese Botschaft versetzte nun der Herr Graf: »Weil die Herren es vermögen, daß Sie mir dienen können, so bitte ich, Sie wollen mir in zweien Dingen beförderlich er scheinen. Einmal will ich meiner Person freudig sterben, so jammern mich aber meine Kinder. Sie werden so gütig sein und mein Ansuchen, so ich Ihnen alsdann eröffnen will, treulich fortsetzen helfen, andernteils, wiewohl ich mich schon längst zum seligen Sterben bereitet, als der ich dem Tod weit näher als dem Leben gewesen bin, bitte ich doch um einen Prediger, mich mit ihm in etwas zu unterreden, um dann, wenn es Ihnen beliebt, zu sterben, jetzt darf ich nicht mehr sagen, wenn Gott will; so weiß ich, daß er mich in der Menschen Hände gegeben hat, denn was Gottes Wille, ist schon in meinem Herzen versiegelt und soll fest darinnen verbleiben, darum ich ihn auch bitte und es von seiner Treue und Gnade erwarte.« Als sie ihn nun fragten, wen er begehrte, einen Herrn Jesuiten oder einen lutherischen Prädikanten? »Wollte Gott«, sprach er, »ihr solltet lutherische Schriften gelesen haben, ihr würdet nimmermehr einen Jesuiten begehren. Ich wollte hier nicht sitzen – aber ich bitte meinen Gott um Treue und Beständigkeit bis an mein seliges Ende. Kann ich einen evangelischen Priester, und zwar den Herrn Superintendenten haben, so ist es [168] mir lieb, wo nicht, so will ich dennoch lutherisch und selig sterben.« Drauf fing ein Leutenant von der Wache, ein Katholik und von Person ein feiner Herr an: »Ihro Excellenz tut recht daran. Wer mit der Religion spielet, an dem ist selten was Gutes. Das sei ferne, daß Er nicht einen Prediger haben sollte nach seinem Willen, ich hoffe, es werden viel Evangelische und Katholische, wie sie sich nennen, im Himmel anzutreffen sein.« Darauf antwortete der Herr Graf: »Helfe es Gott. Ich habe sie wohl auf Erden um mich leiden können, auch zu Dienern gehabt; sie haben mich nicht geirrt, weniger im Himmel, da Recht und Raum genug sein wird.« Darauf sagten die Deputierten: »Ihro Gnaden lassen sich einen Geistlichen holen, welchen Sie wollen«, und da sie ihn »Gnädig« scholten, entschuldiget er sich und wollte es nicht haben, denn seine Ehre und Redlichkeit wäre ihm mit Gewalt genommen, dazu könnte er keine Gnaden erzeigen; rettete gewaltig und stattlich seine Unschuld, welches aber alles zum Schreiben zu lang sein würde. Als die Abgesandten ferner fragten: Ob er in diesem Zimmer sterben wollte, man würde ihm diese Gnade widerfahren lassen, gab der Herr Graf lachend zur Antwort: »Meine liebe Herren, ich habe so gelebt, daß dieser Schimpf und Spott zwar groß, mein Gewissen jedoch rein ist, und wo ich dies für Gnade erkennen soll, so bleib es lieber bei der Ungnade. Ich will lieber unter meines Gottes freiem Himmel vor aller Welt sterben, als im Dunklen hingerichtet werden.« Darauf sprach ein Rittmeister: »Macht doch der Herr, daß man bald mit Ihm stürbe«; welchem der Herr Graf versetzte: »da sei Gott vor, auf grüner Weide zu sterben, da gehört Ihr hin, welches ich mir wohl auch gedacht, doch stirbt sich's überall wohl, wenn man nur dazu bereitet ist.« Nun nahmen die sämtlichen Officiers mit vielen teils aufrichtigen, teils Krokodilstränen von ihm Abschied, und befahlen, dem Pfarrherrn, welchen er würde zu sich rufen lassen, ungehindert den Eintritt in sein Zimmer zu gestatten.

Herr Graf von Schaffgotsch ließ keine Traurigkeit verspüren, als wenn er an seine Kinder gedachte, da er tief seufzete. Als Herr Magister Lenz Superintendens zu ihm kam, hielten sie mit einander drei viertel Stunden lang ein Gespräch, worauf sich die Herren Patres der Jesuiten einfanden, da denn Herr Lenz abtreten müssen, den der Herr Graf hernach bitten lassen, morgen Beichte zu hören [169] und zu communizieren, weil es heute nicht ferner Gelegenheit gebe, mit ihm zu sprechen. Die Jesuiten sind in die drei Stunden bei ihm gewesen, da ließ ihnen der Herr Graf unter ihrem harten Gespräch eine Bibel bei Herrn Lenzen holen, worauf sie ihn verließen, und hörte man nichts als diese Worte beim Abschiede von ihnen: »Die Verstocktheit seines Herzens ist nicht der letzte Grund der Strafe.« Es durfte auch denselben Tag kein Mensch mehr zum Grafen Schaffgotsch kommen, und von dieser Zeit an haben Ihre Excellenz keinen Bissen gegessen noch einigen Tropfen getrunken bis an sein seliges Ende. Sonntags als den 7. post Trinitatis, den 22. Julius waren die evangelischen Prediger, beide Magister zur H. Dreifaltigkeitskirche bei ihm, da dann der Herr Graf beichtete und communizierte mit der allergrößten Andacht. Es wurde auch die Stubentür offen gelassen unter der Communion und uns allen vergönnet, den Prozeß mit anzusehen, geschahe aber nicht ohne unsere vielfältigen Tränen, haben auch dergleichen keinen Menschen gesehen mit solcher Ehrerbietigkeit und höflichen Sitten zum Abendmahl des Herrn gehen. Nach verrichtetem heiligem Werke schloß er die Tür zu, und waren die Herren Geistlichen noch eine ziemliche Weile bei ihm, darauf er sie mit einer stattlichen Verehrung von sich gelassen, und hat hierauf denselbigen Tag etliche Valetbriefe an die Seinigen mit eigner Hand geschrieben, seine noch bei sich habende Sachen unter seine treue Diener verteilt, sich Sarg und Grab verfertigen lassen, und sich auf den folgenden Tag also zum Sterben gefaßt gemacht. Die Nacht über hat er nicht geschlafen, sondern die ganze Zeit im Gebet zugebracht. Früh als den 23. Julius ließ er die Herren Geistlichen nochmals zu sich kommen, und nachdem er noch eine Stunde mit ihnen zugebracht und der Officier ihn abgefordert, entließ er sie mit einer kurzen Valetrede, dankte sie freundlich ab, und bat sie nach Hause zu gehen, weil er nun solchen Trost gefasset, daß er Gottlob keineswegs einiges Trostes weiter bedürfte. So bald als die Geistlichen fort waren, hieß ihn der genannte Officier aufbrechen, da denn der Herr Graf beim Ausgang aus der Stubentür sagte: »Nun das walte mein Gott. Diesen Weg bin ich vorhin nicht gegangen!« fing darauf an mit dem Officier andre Sachen zu reden, als wenn ihm nichts Bekümmerliches ums Herz wäre. Nachdem er auf den Platz zur Heide gebracht worden, wurde in dem Gasthofe zum Kreuz kurzes [170] Standrecht über ihn gehalten, und er alsdann zur bereiteten Bühne in der Kutsche abgeführt. Als er dahin kam, stieg er mit großer Freudigkeit ab und die Bühne hinauf, wo er sich auf das Tuch kniete, das er sich selbst hatte ausbreiten lassen, und betete. Darnach stand er auf und segnete erstlich seine Kinder, zweitens seine Freunde, drittens seine Diener und sonderlich seinen treuen Jeremias, endlich viertens alle seine treuen Untertanen mit sehr beweglichen Worten. Nach diesem kehrte er sich zum Obristen, Auditeur und andern Beisitzern und fragte zum erstenmal: Weil er ja sterben sollte, wollte man ihm vor Gott und aller Welt sagen, was die Ursache seines Todes wäre, damit nicht jedermann meinen dürfte, er stürbe als ein Dieb oder Übeltäter. Darauf der Richter zur Antwort gab: »Wir tun was uns der Römische Kaiser befiehlt.« – Vergebens fragte der Herr Graf zum zweiten Male nach der Ursache seines Todes, und da er dieselbe Frage zum drittenmal anfing, ließ man die Trommeln rühren, damit man nicht mehr vernehmen konnte, was er redete. Darauf hat ihm sein Kammerdiener, Constantin genannt, den Überschlag abgenommen, die Haare mit einem weißen Tüchel hinaufgebunden, und sein schwarz Hütchen wieder hinaufgesetzt, und wie Constantin berichtet, hat der Herr Graf gesagt: »Nun so will ich mich hieher setzen, um meines Gottes willen, dem ich mich mit Leib und Seele übergeben habe, und in Geduld seiner gewarte!« und sich hierauf auf den bereiteten Stuhl niedergesetzt, da ihm denn der Freimann den Kopf augenblicklich heruntergeschlagen, daß der Körper auf dem Stuhl sitzen geblieben, bis ihn die Diener herunter gezogen, darauf die andern Diener gekommen, bei ihm niedergefallen und gebetet, den Körper samt dem Kopf in den Sarg gelegt und in sein Zimmer getragen, allda er von viel tausend Menschen gesehen wurde. Nachher ist er noch selbigen Tag ohne Feierlichkeit auf dem Kirchhofe zur H. Dreifaltigkeit in ein gewölbtes Grab, das er sich selbst noch machen lassen, gesetzt worden, da ihn denn viele tausend Menschen begleitet, auf ihre Knie und Angesicht gefallen und den Herrn Grafen beweint haben. Der Herr Graf ist nicht abgewaschen worden, denn er hat gesagt: Man solle ihn lassen; wie er zugerichtet wäre, also wolle er vor dem Richterstuhle Christi erscheinen.


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Albert diktiert weiter


Mit diesem Berichte von dem unglücklichen Tode meines verehrten Pflegevaters und einem Zeugnisse, worin meine Gestalt beschrieben, machte ich mich auf den Weg nach den protestantischen Ländern, in deren Religion ich auferzogen war. So wanderte ich wohl drei Jahre mit abwechselndem Glücke herum, als mich im Braunschweigischen eine Amtmannsfrau Abends nach meiner Geschichte ausfragte, gar bitterlich darüber zu weinen anfing, ihrem eignen Sohn befahl seine Kleider auszuziehen, sie zur Bedeckung meiner Blöße zu geben, und mich ihrem Manne, der damit sehr wohl zufrieden war, als ihren Pflegesohn vorstellte. Der redliche Amtmann gab mir mit seinen beiden Söhnen denselben Lehrer, der mich auch in vier Jahren in allem Gott Wohlgefälligem unterrichtete. Meine Pflegemutter starb aber, und der Amtmann heiratete eine junge Frau, mit der alles Unglück ins Haus zog. Sie konnte ihre Stiefkinder nicht einmal leiden, viel weniger mich, den sie immer einen Bastard nannte. Mein ehrwürdiger Lehrer nahm deswegen seinen Abschied und hatte einen jungen Studenten zum Nachfolger, der lange unsrer Frau Amtmännin besser gefiel, ehe es des Herrn Amtmanns Verdacht erwecken mochte. Er machte mich zu seinem Vertrauten und als er erfahren, daß der Lehrer alle Nacht unser Zimmer verlasse, so mußte ich in einer Nacht ihm durch Herabwerfen meiner Nachtmütze ein Zeichen geben, wenn er fort wäre, nachdem der Amtmann eine verstellte Reise unternommen, sich aber im Hofe versteckt hatte. Nach diesem Zeichen säumte er nicht lange, sprang ins Haus, schlug Licht an und zerschlug den Lehrer und die Frau jämmerlich. Die Frau kam blutig mit einem Messer aus dem Zimmer und schwur, das könne kein andrer als der Albert verraten haben und sie wolle mich umbringen. In dieser Gefahr kleidete ich mich still an und sprang durch eine Seitentür zum Hause hinaus und immer geradezu. Als ich die Stadt Braunschweig vor mir sahe, dachte ich an mein Vierundzwanzig-Mariengroschenstück, das mir der Amtmann geschenkt, als wir den Plan verabredet, aber nun erschrak ich, als mir das helle Tageslicht zeigte, wie ich des Herrn Lehrers Hosen statt meiner ergriffen. Ich griff in die Hosentaschen, ob er kein Geld darin gesteckt und fand außer mehrerem Silbergeld dreißig Stück Dukaten. Welch ein Schatz für[172] mich. In Braunschweig nahm ich von meinem Pflegevater schriftlich Abschied, entschuldigte mich wegen des Hosentausches und setzte mich auf die Bremer Post, die gerade abging. Bremen gefiel mir sehr wohl, ich schaffte mir gute Kleider an und dachte nach, was ich unternehmen sollte. So ging ich spazieren, es machten sich vier junge Leute von gutem Ansehen mit mir bekannt, wir gingen in ein Weinhaus, ich erzählte ihnen meine Schicksale, zeigte ihnen mein Geld; sie machten mir Vorspiegelungen, wie ich mit einem reichen Kaufmannssohne auf die Universität gehen könnte; ich trank im Übermaß aus Freude darüber, und fand mich am Morgen auf einer Streu, sehr elend vom Katzenjammer und meine Taschen ausgeleert. Die vier Spitzbuben hatten zwar die Zeche bezahlt, aber gar nichts übrig gelassen. Der Wirt gab mir scheele Gesichter. Da kam ein Fremder, ich wollte mich eben fortschleichen, als mich der in gebrochenem Deutsch nötigte mit ihm ein Glas Wein zu trinken, er tränke nicht gern allein. Ich erzählte ihm meine Geschichte, und trank nicht viel, weil ich gestern im Weine ein Haar gefunden, das mir alle auf dem Kopfe verwirrt. »Mein Freund«, sprach er, »habt Ihr Lust in meine Dienste zu treten; sobald Ihr etwas Holländisch und Englisch gelernt, kann ich Euch sehr gut als Schreiber brauchen.« – Ich ging alles mit Vergnügen ein, hatte fast nichts zu tun als gut essen und trinken bis wir in Antwerpen anlangten, wo meines Herrn Vater, ein reicher Edelmann, lebte, bei dem ich bald jene beiden Sprachen lernte. Mein Herr wurde mir immer geneigter und ich mußte ihn nach England begleiten, wohin ihn sein Vater sendete. Was mir aber sehr nachdenklich war, ich mußte, bevor wir England erreichten, in Weiberkleider kriechen und mich bei allen für eine Frau angeben und durfte deswegen in London wenig aus dem Hause kommen. Eines Tages sagte mir mein Herr, der sich van Leuven nannte: »Lieber Albert, ich werde dich in eine Gesellschaft bringen zu Herrn Plürs, wo du meine Frau spielen sollst, mein Glück ruht darauf, sei zärtlich wie deine Amtmannsfrau öffentlich gegen ihren Mann und heimlich gegen den Studenten. Das Geheimnis will ich dir ein andermal erklären.« – Zwei alte Weiber arbeiteten den ganzen Vormittag an mir, mich recht auf englische Art anzukleiden, den Nachmittag fuhren wir auf das Landhaus von Herrn Plürs; es war große Gesellschaft dort, doch bedauerten alle, daß die älteste Tochter Concordia durch Krankheit [173] zu erscheinen abgehalten würde. Am Abend trat ein junger Mann zu Herrn van Leuven, freute sich, daß er ihn so glücklich verheiratet sehe, da nun von seiner Seite ihm keine Hindernisse bei der Ehelichung der Concordia entstehen würden. – Van Leuven antwortete: »Ich leugne meine ehemalige Liebe nicht, aber unsrer Väter Wille hat uns getrennt, ich habe mich drein ergeben und wünsche Ihnen Glück.« – Wir fuhren den Abend nach London zurück, wo schon Postpferde für uns bereit standen, den andern Abend waren wir schon auf einem Schiffe vor Calais. Hier wartete unser ein andres Schiff, wir stiegen hinein und fanden in der Cajüte ein schönes Mädchen mit einem jungen Manne. Mein Herr führte mich zu ihnen, sagte: »Nun ist unsre Comödie zu Ende, hier siehst du die Concordia Plürs, meine heimlich gegen den Willen meines Vaters mir vermählte Frau und ihren Bruder, der meinem Glücke die Hand gereicht hat, wir ziehen zusammen nach der Insel Ceylon, wo mein Onkel Statthalter ist. Während der Landgesellschaft ist sie, die nur vorgeblich krank war, glücklich entkommen.« So war nun das Geheimnis enthüllt. Was soll ich Euch mit Reisegeschichten aufhalten, lieber Capitän, Ihr habt wohl deren schon zu viel selbst erlebt: wir kamen glücklich in die Nähe des Vorgebürges der guten Hoffnung, doch da ergriff uns ein so entsetzlicher Sturm, als die ältesten Matrosen sich nie erinnern konnten. Ich und Concordia, des Seereisens ganz ungewohnt, litten am meisten; van Leuven und Anton Plürs waren meist auf dem Verdecke beschäftigt, so verfielen wir nach zwei Tagen ununterbrochenen Sturms in einen traumartigen Zustand; ich erinnere mich der Worte noch, die einer geschrieen: »Gott sei uns gnädig, nun sind wir alle des Todes.« Erst am Morgen wachte ich verwundert auf, der Sonne ganz ungewohnt, die mich erwärmte, ich lag auf einer Sandbank ausgestreckt, richtete mich auf und erblickte niemand als van Leuven, Concordia und den Schiffskapitän Lemelie schlafend, seitwärts das Hinterteil des gescheiterten Schiffes, das noch hervor ragte. Ich drehte meine andre kalte Seite gegen die Sonne und verfiel wieder in tiefen Schlaf, aus welchem mich beim Untergange der Sonne van Leuven erweckte. Er gab mir einen Topf mit Wein und eine Handvoll Confekt, dadurch kam ich wieder ganz zu Verstande und hörte nun, daß van Leuven mich und Concordia mit größter Mühe auf die Sandbank getragen, weil ihm der eigensinnige, verzweiflungsvolle[174] Capitän nicht die geringste Handreichung tun wollte. Alle andern waren ertrunken. Lemelie saß und fluchte, Concordia lag zitternd und konnte sich immer noch nicht erwärmen, sie klapperte mit den Zähnen. Ich zog meine Kleider aus, badete nach dem Schiff und hieb mit einem breiten Degen Holz ab um ihr ein Feuer anzumachen. Ich fragte den Capitän, wie nun Feuer zu bekommen, allein er gab zur Antwort: »Was Feuer; ihr habt Ehre genug, wenn ihr alle drei mit mir krepieret.« – »Mein Herr«, gab ich zur Antwort, »ich bin für meine Person so hochmütig nicht«, besann mich auf eine Rolle Schwamm in unsrer Cajüte, diese fand ich und auch ein Paar Pistolen, meinen baumwollenen Brustlatz brauchte ich statt des Strohes, das Holz kam in schöne Flammen und der tolle Capitän kam endlich auch zu uns seine Pfeife anzuzünden, doch als ich ihn darüber auslachte, ging er mit einer scheelen Miene wieder fort. Concordia hatte sich erwärmt und versank in tiefen Schlaf, sie erwachte gegen Morgen und flehte um Wasser. Das war aber nirgends zu finden, van Leuven gab ihr Wein, den sie begierig verschluckte, aber darauf wie eine Kohle glühte und klagte, daß ihr der Wein das Herz abbrenne. Ihr Eheherr suchte sie durch Liebkosungen zu besänftigen, allein sie schien sich wenig darum zu bekümmern und sprach: »Carl Franz, geht mir aus den Augen, damit ich ruhig sterben kann, die übermäßige Liebe zu Euch hat mich angetrieben, das vierte Gebot gegen meine Eltern zu übertreten und sie bis in den Tod zu betrüben; es ist eine gerechte Strafe des Himmels, daß ich auf dieser elenden Stelle mit meinem Leben dafür büßen muß. Gott sei meiner und Eurer Seele gnädig.«

Er konnte nichts darauf antworten, stand aber in vollkommener Verzweiflung auf, lief nach dem Meere zu und hätte sich ganz gewiß ersäuft, wenn ich ihm nicht nachgelaufen und durch die kräftigen Reden, die mir Gottes Geist eingab, damals ihm Leib und Seele gerettet hätte. Ich ging darauf zu Concordien, welche mich bat: ich möchte aus jenem Mantel etwas Regenwasser drücken und ihr zu trinken geben. Ich versprach's, sie sollte nur etwas warten. Sie sagte in wirklicher Fieberfantasie, eine halbe Stunde könnte sie nur warten. Aber mein Gott, da war weder Mantel, noch sonst etwas, woraus ein Tropfen Wasser zu drücken. Ich lief deswegen unausgezogen durch die Wellen nach dem Schiff und fand endlich zu meiner größten Freude ein zugepichtes Faß mit süßem Wasser, [175] woraus ich ein Lägel füllte, auch Tee, Zucker und Zimt nahm ich mit. Ich war noch keine halbe Stunde ausgeblieben und reichte ihr einen Becher mit Wasser. Sie sprach: »Ihr hättet binnen fünf Stunden keine Tonne Wasser ausdrücken dürfen, wenn Ihr mich nur mit einem Löffel voll hättet erquicken wollen, aber Ihr wollet mir nur das Herz mit Wein brechen, Gott vergebe es Euch.« Als sie getrunken, sagte ihr lechzender Mund: »Deckt mich zu und laßt mich schlafen.« Ich gehorsamte und machte hinter ihrem Rücken ein Feuer, das nicht eher ausgehen durfte, bis die Sonne mit ihren kräftigern Strahlen wirken konnte; dann ging ich zu van Leuven, dessen Verzweiflung ich durch Voraussagen ihrer Herstellung stillte. Ich war ein unschuldiger und also glücklicher Prophet, sie wachte gegen Mittag auf, fragte nach ihrem Carl Franz, er weinte und sie wischte ihm die Tränen mit ihrem Halstuche ab und sagte leise: »Gott wird weiter helfen.« Inzwischen hatte ich Tee gekocht, der ihr vor allen und uns zum besondern Labsal gereichte. Lemelie hatte sich inzwischen auf das zerbrochene Schiff begeben und blieb dort die ganze Nacht. Diese Nacht war für uns glücklicher, sie warf uns viele Pakete und auch ein Boot ans Land, worin sich der arme Anton Plürs zu retten versucht hatte. Es kostete Mühe es aus dem Sande loszumachen, dann banden wir es an eine tief in den Sand eingetriebene Stange, machten Ruder aus Brettern und fuhren zuerst zu einem Felsen, aus dem ein Strom süßen Wassers sich stürzte, nachher zu dem Schiffe, um es ganz auszuleeren. Da fanden wir den Lemelie ganz betrunken, schlafend in schrecklicher Unreinlichkeit, wir machten unsre Arbeit und erst bei der fünften Fahrt, die alles beendigte, wachte er auf und fragte: Was das bedeuten solle? Ob wir Seeräuber spielen wollten? Befahl auch diese Verwegenheit einzustellen und ihm den Wein zurückzugeben, da er Durst hätte. Van Leuven sprach: »Ich kann nicht anders glauben, als daß Ihr den Verstand verloren, weil Ihr weder unsern Rat noch unsre Hülfe wollt. Hört auf zu brutalisieren, die Zeiten haben sich leider verändert, es gilt einer so viel als der andre, und will der dritte nicht was zwei wollen, so muß er krepieren. Schweigt auch von Seeräubern still, ich werde Euch zeigen, daß ich Edelmann bin, der das Herz hat Euch das Maul zu wischen.« – Lemelie wollte über diese Rede rasend werden und augenblicklich vom Leder ziehen, doch van Leuven ließ ihn dazu nicht kommen, riß den Großprahler als ein Kind zu [176] Boden und ließ ihm mit der vollen Faust auf Nase und Maul ziemlich stark zur Ader. Das schien dem Lemelie bloß gefehlt zu haben, weil er in wenig Minuten wieder zu seinem völligen Verstande kam, sich mit uns dem Scheine nach recht brüderlich vertrug und seine Hände mit an die Arbeit legte. Concordia hatte sich den ganzen Tag wohl befunden, den folgenden Tag wurde sie indessen wieder vom Fieber befallen, das sich dreitägig zeigte und wovon sie nach drei Anfällen durch achtundvierzigstündiges Fasten und Beten befreit wurde. Eine Felsenhöhlung, die wir entdeckten, diente uns zur Wohnung; so verstrichen vierzehn Tage, ohne daß sich ein Rettungsschiff sehen ließ, wonach wir abwechselnd als Schildwachen lauerten. Wir Menschen sind so wunderbar, daß wir aus bloßem Mutwillen Dinge unternehmen, von denen wir voraus wissen, daß sie mit tausend Fährlichkeiten verknüpft sind, aber kommen wir nun in eine dieser Gefahren, so scheint uns nur eine dieser tausend Gefährlichkeiten schon viel zu schwer in der bloßen Erwartung. Wir hatten noch keinen Hunger erlitten, aber die bloße Furcht davor zehrte unsre Gedanken aus. Lemelie tat nichts als in Vorrat essen und trinken, Tabak rauchen und pfeifen. Van Leuven und seine Frau machten mit einander tiefsinnige Kalender. Ich kletterte endlich auf einen hohen Felsen und ersah jenseit der Bucht auf dem Sande viele Tiere, welche halb einem Hunde und halb einem Fische ähnlich sahen. Ich sagte es van Leuven, wir setzten uns in den Nachen, aber die Strömung führte uns ins offenbare Meer, wir hatten wenig Hoffnung die Geliebten an dem Schreckensfelsen wiederzusehen bis wir aus dem Strom herauskamen und uns glücklich in dem Spätabend an das gegenüber liegende Ufer ruderten. Um Mitternachtszeit kam viel Lebendiges aus dem Wasser, es blökte und wir schritten bis auf dreißig Schritte entgegen, sie hielten Stand, wir näherten uns noch mehr, gaben zu gleicher Zeit Feuer und erlegten zwei, worauf die andern langsam wieder in See gingen. Diese beiden Schüsse hatten die Concordia getröstet, die uns mitten in der Gefahr aus den Augen verloren, sie freute sich nach unsrer mühsamen Rückfahrt des Wildbrets, Lemelie erklärte es für Seekälber und versicherte, daß sie recht wohlschmeckend wären. Der faule Mensch ließ sich nun auch in Gedanken kommen für etwas zu sorgen, er verfertigte aus Brettern Angelruten, und schenkte eine der Concordia, die damit bald so [177] viel Fische fangen lernte, als wir alle brauchten. Ich schoß etliche Vögel mit großen Kröpfen, die aber sehr übel zu essen waren; demnächst fand ich beim Mondscheine eine ungeheure Schildkröte, vor der ich mich erst scheute, die aber dem leckeren Lemelie besondere Freude machte, er sagte: »Herr Albert, Ihr seid sehr glücklich.«

Im Klettern war mir niemand überlegen: ich sprang verwegen auf die höchsten Felsenspitzen um neue Lebensmittel zu entdecken, endlich erreichte ich den höchsten, die Felsenburg aller, von wo die ganze Insel zu übersehen, ich sah und mußte die Augen schließen, so sicher meinte ich, es wäre nur ein Traum, oder so etwas wie die Funken im Auge, wenn man sich daran stößt. Ich weiß gewiß, daß ich länger als eine Stunde in der größten Entzückung gestanden habe, als ich das ganze Lustrevier dieser Insel wie ein ererbtes Land von der Natur mit starken Mauern und Pfeilern umgeben vor mir liegen sah; doch endlich als ich meiner gewiß war, suchte und fand ich einen sehr bequemen Weg, eine Stelle ausgenommen, wo ich über einen Abgrund springen mußte. Da trat ich nun in dieses Land, und kein Wildbret scheute sich vor mir, sie sahen mich neugierig an: Hirsche, Affen, Rehe, Ziegen und andre mir unbekannte Tiere. Unter eine Art Rebhühner gab ich Feuer, es fielen fünfe, die andern Tiere stutzten, und zogen sich in den Wald zurück. Ich hoffte Menschen zu finden, aber wohl fand ich Zeichen davon: wie einige alte angebundne Weinstöcke, Abteilungen von Gartengewächsen, sonst aber keine Spur. Die Nacht brach ein, ich aß Früchte zu meinem Zwieback und schlief sehr selig, bei Tagesanbruch unternahm ich den gefährlichen Rückweg, die Rebhühner um den Hals gebunden, die Flinte als Wanderstab. Alle freuten sich; Leuven schwor, er hätte keinen Bissen seit meiner Abreise gegessen; ich zeigte ihm zum Troste die Rebhühner und konnte kaum meiner Zunge meisteren, die gern alles, was ich gesehen, auf einmal gesagt hätte. »Albert, Ihr fantasiert«, schrie Leuven, und brachte mich zu Lemelie, der sich krank gestellt hatte, aber dabei dem Essen und Trinken nichts schuldig blieb. Ich mußte umständlich berichten, van Leuven wollte gleich fort, aber meine Müdigkeit und Lemelies Faulheit hielten ihn bis zum andern Morgen auf. Bei dem angenehmen Sonnenlichte machten wir uns auf den Weg, jeder trug etwas des Notwendigsten und da wir nicht gleich ein[178] Handbeil finden konnten um die Gesträuche im Wege abzustutzen, so beschenkte mich Lemelie mit einem breiten Stilette, welches auch in die Mündung des Flintenlaufs gesteckt werden konnte, er dachte aber nicht, daß er mir hiemit ein solches kaltes Eisen in die Hände gab, welches ihm in wenig Wochen den Lebensfaden abkürzen sollte. Ich hatte den Weg im Heruntergehen bezeichnet, Concordia war sehr mutig, nur bei dem Sprunge über den Abgrund ergriff sie der Schwindel; wir mußten sie da sitzen lassen und drüben Bäume fällen um ihr eine ordentliche Brücke daraus zu bauen, doch zitterte sie noch beim Übergehen. Ich kann die Freuden und den Dank meiner Gefährten nicht beschreiben; wir fanden mehrere Arten Getreide, Reis, Hülsenfrüchte; und schliefen auf dem schönen Weinberge. Am Morgen sagte Lemelie: »Ich schwöre bei allen Heiligen, meine Lebenszeit hier in Ruhe zuzubringen, es fehlen uns nur zwei Weiber, was sollte uns hindern, wenn wir uns unter diesen Umständen mit einer Frau behülfen!« – Leuven schüttelte mit dem Kopfe. – Lemelie fuhr fort: »Ei was, man muß unter solchen Umständen Ekel und Eigensinn bei Seite setzen; dem Himmel wird es kein Verdruß sein, wenn wir ihm, von allen andern Menschen abgesondert, eine neue Colonie zeugen.« Leuven schüttelte den Kopf noch stärker und sprach: »So lange noch adlig Blut in meinen Adern rinnt, werde ich meine Concordia mit keinem Menschen teilen.« Concordia aber vergoß bittre Tränen und schlug die Hände über den Kopf zusammen: »O Himmel erbarme dich, da du mich an einen Ort gerettet, wo mich die Leute so schändlich mißbrauchen wollen.« – »Ich bitte Euch«, sprach ich zu ihr, »nehmt dies Stilett und stoßt es mir ins Herz, wenn Ihr glauben könnt, daß solche Sünde darin sich geregt hat.« – Sie weinte und sagte: »Verzeiht Albert, ich tat Euch Unrecht!« – Lemelie aber sprach mit Lachen: »Alle meine Reden sind ein bloßer Scherz gewesen, ich bin etwas frei im Reden, verzeiht mir das.« So wurde der Streit beigelegt. – Wir entdeckten den folgenden Tag Salzlachen und Leuven eine sehr schöne Laubhütte, die zwar verwachsen war, aber noch deutlich in den geflochtenen Ästen und durchhauenen Fenstern Menschenhand zeigte; sie war sicher gegen Regen und die beiden Eheleute mußten sie als Schlafzimmer annehmen. Die zurückgebliebenen Sachen wurden die folgenden Tage an Seilen hinaufgewunden, wir hatten, was uns besonders lieb war, noch einen [179] großen Vorrat Pulver; Concordia übte sich täglich im Schießen. Der erste Sonntag, den wir in diesem Paradiese erlebten, war uns ein Ruhetag, wir brachten den Tag mit Beten und Singen zu, wir hatten eine Bibel gerettet. Nachdenklich war es, daß unter uns vieren die Hauptsekten des christlichen Glaubens vereinigt waren: ich war Lutheraner, Leuven und seine Frau Reformierte, Lemelie katholisch. Wir drei Protestanten vereinigten unser Gebet, Lemelie hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert, worin derselbe bestanden, weiß ich nicht, so lange wir mit ihm umgegangen, hat er wenig Gottgefälliges merken lassen. – Am Sonntag Abend fiel ich auf einem Spaziergange in einen mit dünnem Gebüsch verdeckten Graben, als ich mich erholt, sah ich mich um und stand vor einer finstern Höhle, die mit menschlichem Fleiße in den Hügel hineingearbeitet zu sein schien. Ich ging getrost zum Eingang, da mir aber ein ekler Dunst entgegen kam, fing meine Haut an zu schaudern und die Haare bergan zu stehen, weswegen ich mit eilenden Schritten den Rückweg suchte und fand. Ich erzählte mein Schrecken; Leuven tadelte meine Neugierde und ich beschloß, damit kein andrer Schaden litte, diese ekle Gruft mit Erde zuzufüllen. Allein ich habe Zeit meines Lebens keine ängstlichere Nacht als diese gehabt, denn etwa um Mitternacht, da ich selbst nicht wußte, ob ich schlief oder wachte, erschien mir ein langer Mann, dessen weißer Bart fast bis auf die Kniee reichte, mit einem langen Kleide von rauhen Tierfellen angetan, in der Hand aber eine große Lampe mit vier Dochten; er sprach mit tiefer Stimme: »Verwegner, du willst verschütten, was ich in vielen Jahren ausgearbeitet; kein Ungefähr hat dich in diese Höhle geführt, denn wie ich acht Menschen auf diese Insel begraben habe, so bist du auserkoren mir diesen letzten Liebesdienst zu erweisen. Wisse, daß der Himmel etwas Besonderes mit dir vorhat, doch wird dein Glück erst nach zweien Unglücksfällen anheben; du aber wirst deinem Schlafgesellen den Lohn seiner Sünden geben.« Bei Endigung dieser Worte drückte er mit einem seiner langen trocknen Finger auf meine Hand, daß ich an zu schreien fing, alles verschwand und die hellen Sterne blinkten durch die Laubhütte. Lemelie, der unter derselben Laubhütte mit mir schlief, fuhr bei meinem Geschrei auf und ärgerte sich, daß ich ihn gestört, ich sagte ihm bloß, daß ein übler Traum mich gequält, und er schlief sofort wieder ein.

[180] Ich konnte nicht schlafen; am Morgen sah ich auf meiner Hand einen stark mit Blut unterlaufenen Fleck und erzählte Leuven heimlich mein Nachtgesicht. »Lemelie«, sagte er, »macht mir das Herz schwer, verschweig deinen Traum; wir wollen tun, als wenn uns bloße Neugierde in die Höhle führte.« Wir gingen hin: ich voran, Lemelie folgte mir, Leuven schloß den Zug, wir zündeten eine Lampe an, die mit Seekalbsfett gefüllt war, und fanden beim Eintritt einen schönen Vorrat von Hausgeräten aus Kupfer, Zinn, Eisen, nebst vielen Packfässern. Wir wendeten uns seitwärts nach einer halb offen stehenden Türe, ich ging voran. Lemelie tat einen Schrei und sank ohnmächtig zur Erde nieder. Wollte Gott, seine schändliche Seele hätte damals den Körper verlassen, so aber riß ihn Leuven zurück an die frische Luft, und ich rieb ihn, bis er sich wieder ermunterte. Wir gingen zurück und fanden gleich die Ursach seines Entsetzens: im Winkel linker Hand saß ein solcher Mann, wie mir in voriger Nacht erschienen, seine Hand untergestützt, als ob er schliefe. Über dem Tisch hing eine Lampe, wie ich sie im Traum gesehen und eine Inschrift an der Wand. Wir riefen ihm: »Alle gute Geister loben Gott den Herrn!« er saß unbeweglich, wir sahen an dem vorscheinenden Finger, daß es ein toter Körper sei, die lateinische Inschrift sagte uns mehr von ihm: »Ankömmling, erstaune nicht über mein Gerippe, sondern gedenke, daß du auch seit dem Fall der ersten Eltern derselben Sterblichkeit unterworfen bist, laß das Überbleibsel meines Leibes nicht unbegraben liegen, du wirst für deine geringe Arbeit eine große Belohnung erhalten; meine Schätze machen dich reich, wenn du zu menschlicher Gesellschaft gelangst, wenn du aber wie ich gezwungen bist in dieser Einsamkeit als Einsiedler dem Tode entgegen zu gehen, so werden dir doch einige meiner Schriften, die in meinem Sessel verborgen, nützlich sein. Ich bin geboren 1475, mein Name Don Cyrillo de Valaro, auf diese Insel gekommen 1514. Ich bin dem Tode sehr nahe, den 28., 29. und 30. Juni 1606 und noch den 1. Juli, 2., 3., 4., 5.« – »Meine Herren«, sagte ich zu meinen Gefährten, »wir sind schuldig das Erflehte zutun.« Leuven war willig, aber Lemelie sagte: »Die Spanier sind Rodomontaden gewohnt, es wird wohl mit seinen Belehrungen nicht sonderlich sein, auch mag ich mich lieber mit zwei Seeräubern herumschlagen, als mit einer toten Leiche zu tun haben, jedoch euch zu Gefallen will ich mich [181] nicht ausschließen.« Ich holte ein großes Stück Segeltuch und eine Schaufel. Leuven faßte den Körper bei den Schultern, ich bei den Beinen an, aber kaum hatten wir ihn angerührt, so fiel er mit Geprassel zusammen. Lemelie erschrak, daß er davon lief, wir aber lasen die Gebeine auf, begruben sie an einem schönen Platze und beschlossen ihm eine Gedächtnissäule zu errichten. Nachher vertrieben wir den moderigen Geruch mit Schießpulver und dann ging Lemelie mit uns die Schätze zu entdecken. Wir fanden die sorgfältig in Wachs verwahrten Schriften, mehrere Becher voll Kostbarkeiten und wohl achtzehn Hüte voll Goldmünzen aller Art, die uns hier freilich nichts nützten. Mit den Schriften gingen wir hinauf. Leuven und ich lasen die halbe Nacht. Als ich in meine Schlafhütte gehen wollte, fand ich den Lemelie krumm zusammengezogen liegen und gleich einem Wurm sich winden. Auf mein Befragen fing er entsetzlich an zu fluchen: »Vermaledeiet ist der verdammte Körper, den ihr diesen Tag begraben habt, das Scheusal, über welches keine Seelenmessen gelesen, ist mir vor etlichen Stunden erschienen und hat meinen Leib erbärmlich zugerichtet.« Er wollte diese Nacht nicht in die Hütte zurück und ich mußte den elenden Menschen in Leuvens Wohnung bringen. Concordia pflegte seiner.

Er war den andern Tag todkrank, und sein ganzer Leib mit blauen Flecken unterlaufen; ich mußte ihm versprechen das Ereignis vor den andern geheim zu halten, doch erzählte ich es gleich; meinem Freunde.

Wir fanden in der Höhle noch Scheffel voll Perlen und Kostbarkeiten, und reinigten sie völlig um darin zu wohnen. Leuven nahm Cyrillos Zimmer, ich die Kammer daneben, und Lemelie erhielt das dritte Zimmer. Wir zogen ein, holten einige der gestrandeten Sachen und blieben deswegen oft tagelang aus; dies benutzte Lemelie, der sich krank stellte, der Concordia seine heftige Liebe zu erklären, sie wies ihn stolz zurück, er bat um ihr Stillschweigen, das sie aber nicht hielt. Doch hatte die Furcht verraten zu werden Lemelies schnelle Genesung zur Folge, der uns sehr eifrig bei der großen Arbeit half, die wir nach Cyrillos Anweisung unternahmen: den Strom süßen Wassers, der durch den Felsen herausdrang, mit einem Damm zu hemmen, um dadurch einen bequemen Eingang zu finden. Wie wurden wir davon überrascht, nach vollendeter [182] Arbeit; Ihr schienet nicht weniger darüber verwundert, bei Eurer Ankunft, mein guter Capitän Wolfgang, als Euch meine Söhne da hinauf führten. Nach Endigung dieser Arbeit wurden wir einmal um Mitternacht durch einen entsetzlichen Knall erweckt; ich und Leuven sprangen beinahe zu gleicher Zeit zur Tür hinaus, und sahen gegen Süden zu, wo Cyrillos Körper beerdigt, eine bläuliche Flamme sich hinziehen, die allda verschwand. Die Haare sträubten sich, doch suchte uns Leuven zu beruhigen, es sei eine Erderschütterung gewesen und dies ein Schwefeldunst. Aber Concordia gab dieses darauf: »Der Himmel wolle nur, daß dies keine schlimme Vorbedeutung sei, denn ich war gerade in einem schweren Traume, als der Knall mich ermunterte, ich habe ihn im Schrecken vergessen«; eine helle Flamme erleuchtete vor dem Knalle unser Zimmer und löschte die brennende Lampe aus. Wir blieben die Nacht auf, weil wir einen Riß in der Höhle fürchteten; da Lemelie nicht erschien, glaubten wir, daß er im ersten Schreck davon gelaufen, aber am Morgen kam er aus seiner Kammer und hatte nichts vernommen, auch war kein Riß an der Höhle zu bemerken. Allein der gute Leuven schlief nur noch zwei Nächte darin, am dritten Tage nahm er seine Flinte um ein paar wohlschmeckende Vögel, die wir Martinsgänse nannten, zu schießen. Lemelie ging eben darauf aus; ich aber blieb bei der Concordia um ihr Holz zu spalten. Zwei Stunden über Mittag kam Lemelie mit zwei schönen Vögeln zurück, die wir gleich bereiteten. Concordia fragte, wohin ihr Mann gegangen? Ob er ihn nicht angetroffen? Er sagte nein, doch habe er auf einer Seite des Gebürges einen Schuß vernommen. Concordia scherzte noch: Wenn ihr Carl Franz nun käme, da könne sie ihm seine frischgeschossenen Martinsgänse gleich gebraten vorsetzen. Aber da die Sonne bereits unterging und die Braten schon schwarz wurden, verzehrten wir fröhlich einen Vogel, nachher warteten wir auf den Mondschein, daß der Leuven zurückbrächte. Da fuhr Concordia aus: »Was wird der Mondschein helfen und wie kann er zurück kommen, wenn er vielleicht Schaden genommen, denn itzo fällt mir mein Traum aus jener Schreckensnacht in die Gedanken.« Lemelie wollte sie trösten, er wollte schießen, rufen, er würde dann schon von sich hören lassen. – »Wie kann er schießen«, sagte Concordia, »wenn er tot ist!« Doch ging sie mit uns ihn aufzusuchen. Wir liefen die ganze Nacht. Was soll ich [183] unsre Not beschreiben, erst am dritten Tage entdeckten wir seinen Körper unter einer jähen Klippe, von der er unserm Vermuten nach herabgefallen war. Ich schrie, Concordia fiel in Ohnmacht, das waren Tage der Verzweiflung; ich las ihr fleißig vor aus der Bibel, das war das einzige, was sie beruhigen konnte. Lebhaft wurde der Wunsch in ihr den toten Körper zu begraben; Lemelie wollte dabei nicht helfen, er sagte, daß er einen natürlichen Abscheu gegen tote Körper hege. So bestieg ich allein mit Concordien den Felsen und ließ mich mit unglaublicher Beschwerde und Gefahr an Stricken und durch eingehämmerte Pfähle zu dem Körper herab, der von der Hitze schon sehr gelitten hatte und schleppte ihn hinauf; mit Mühe entriß ich ihn ihren Tränen und begrub ihn an Cyrillos Seite. Seinen Ring hatte sie zum Angedenken von seinem Finger gezogen. Lemelie wollte mit lustigen Geschichten ihren Kummer zerstreuen, sie bat ihn aber, nicht zu verscherzen, was sie kaum verschmerzen könnte.

Wir drei saßen oft zusammen ohne ein Wort zu reden; es fehlte uns der, welcher bis dahin unsre kleine Gesellschaft glücklich verbunden hatte. Kaum waren vier Wochen nach Leuvens Beerdigung vergangen, so sagte ihr Lemelie frei heraus: »Sie haben nun das unglückliche Verhängnis Ihres Ehemannes schon zu lange für Ihre Gesundheit und Ruhe betrauert. Was ist nunmehr zu tun? Sie sind eine Witwe und hochschwanger, zu Ihren Eltern zurückkehren ist unmöglich, einen Mann müssen Sie haben, der Ihre Ehre erhält, niemand ist sonst da als ich und Albert, ich zweifle nicht, daß Sie mich, einen Edelmann, diesem jungen Lecker vorziehen, auch läßt er sich so hochmütige Gedanken nicht einkommen. Bedenken Sie Ihr Bestes ganz kurz, in drei Nächten will ich als Ehemann mit Ihnen mein Beilager halten.« – Concordia, die sich aus seinen feurigen Augen nichts Gutes deutete, bat um halbjährige Trauerzeit; er aber schwur, daß er sich schon zu lange Gewalt angetan habe und sich im Weigerungsfalle mit Gewalt ihrer ermächtigen wollte. – Mit Tränen erzählte es mir Concordia heimlich; ich stärkte sie mit meinem Trost: so lange ich lebte, sollte ihre Ehre nicht gefährdet werden. Inmittelst war Lemelie die drei Tage lustig und guter Dinge, da aber die Unglücksnacht einbrach, befahl er mir herrisch mich zur Ruhe zu legen, weil er morgen eine schwere Arbeit vorhabe. Ich zeigte ihm knechtischen Gehorsam, [184] doch blieb ich angekleidet und wach in meiner Kammer. Gegen Mitternacht drang er mit Gewalt in Concordiens Kammer; ich schlich ihm nach; vergebens wandte Concordia die rührendsten Bitten an, rief Gottes Rache über ihn; er wollte Gewalt brauchen; da empfahl ich mich Gott, stürzte in die Türe und suchte ihn mit vernünftigen Vorstellungen zu bezwingen. Doch der eingefleischte Teufel sprang nach einem Säbel und hieb mir über den Kopf, daß mir das Blut die Augen füllte. Ich eilte nach meiner Kammer, er mir nach und gab mir noch einen Hieb in die Schulter, ich ergriff meine Flinte mit dem eingeschraubten Stilett und der Mörder lief sich selbst hinein, indem er mir den letzten Stoß geben wollte; mit dem Stilett in der Brust stürzte er zu Boden. Auf sein erschreckliches Brüllen kam Concordia mit einem Lichte; er wollte ihr mit seinem Säbel einen tödlichen Streich geben, doch indem ich meinen Fuß auf seine Kehle setzte, band ich ihm Hände und Füße mit Stricken zusammen. Während Concordia meine Wunden so gut wie möglich verband, rief er aus seinem häßlichen Schandrachen den Satan um Hülfe an, verschwor sich ihm auf ewig zum Eigentume, wofern er seinen Tod an uns rächen wollte. Ich und Concordia predigten ihm lange von der Buße und von Gottes Barmherzigkeit, doch der Bösewicht drückte die Augen fest zu und knirschte, daß ihm die Zähne zersprangen. Zuletzt bat er um einen Trunk, ich gab ihm Palmsaft. Dann bat er um einen tödlichen Gnadenstoß: bei Gott wäre für ihn keine Gnade, er müsse ins Reich des Teufels, dem er lange ergeben, ewig verbleiben. Seine Geschichte, die er uns erzählte, soll uns an diesem schönen Tage nicht entsetzen. Er war aus edlem Geschlechte in Frankreich, wollte es aber nicht nennen wegen seiner Schande; von erster Jugend an wechselten Blutschande, Kindermord und Vergiftungen. Durch Mord machte er sich zum Besitzer eines Kaperschiffs; der letzte große Sturm hätte ihn beinahe zur Erkenntnis seiner Sünden gebracht. Er sahe Concordien mit starren Augen an und nahm noch einen Trunk Palmensaft, dann sprach er: »Bejammernswerte Concordia, nehmt den Himmel zu einem Arzte an, indem ich Eure Herzenswunde noch einmal aufreiße. Aus Liebe zu Euch habe ich wohl achtmal auf dem Schiffe Gelegenheit gesucht Euren Gemahl mit Gift hinzurichten, doch da er nur in Eurer Gesellschaft gegessen, war es mir unmöglich. Öffentlich wagte ich nicht mit ihm anzubinden, ich suchte ihn[185] heimlich umzubringen. Es ist gelungen, ich habe Euren Mann von der Klippe heruntergestürzt.« – Ich mußte Concordien durch eine balsamische Arzenei stärken; sie wollte den ganzen Verlauf hören. – Er fuhr fort: »Euer Ehemann kam, indem er ein schönes Lied sang, die Klippe hinaufgestiegen und erblickte mich seitwärts mit der Flinte im Anschlage liegen. Er erschrak heftig, ungeachtet ich nicht auf ihn, sondern nach einem mir gegenüber sitzenden Vogel zielte, den er durch seine Ankunft verjagte. Wiewohl mir nun der Teufel gleich in die Ohren blies, diese schöne Gelegenheit ihn umzubringen, nicht vorbei streichen zu lassen, so war doch ich noch listiger als hitzig, warf meine Flinte zur Erde, eilete und umarmte Leuven und sagte: ›Edler Freund, ich spüre, daß Ihr vielleicht einen bösen Verdacht habt, als ob ich nach Eurem Leben stünde, allein entweder lasset ihn fahren oder erschießet mich auf der Stelle, was ist mein verdrießliches Leben ohne Eure Freundschaft auf dieser Insel.‹ Leuven umarmte und ermahnte mich, ich schwur ihm Besserung und lockte ihn unter dem Vorwande, als ob ich ein fernkommendes Schiff wahrnehme, auf die gefährlichste Stelle. Indem er fröhlich in die Ferne ausblickte und seine Hände ausstreckte, stürzte ihn ein einziger Stoß von mir in den Abgrund; alles war ganz stille, der plötzliche Schrecken hatte selbst den letzten Schrei vernichtet, aber mir wollten die letzten Worte seines Morgenliedes gar nicht aus den Gedanken und Ohren kommen:


Nimmst du mich, Gott, in deine Hände,
So muß gewiß mein Lebensende
Den Meinen auch zum Trost gedeihn,
Es mag gleich schnell und kläglich sein.

Ich hörte es immer lauter in mir und stürzte mich um so wilder in die Gedanken unzüchtiger Begierden, damit ich es los würde. – Dir, Albert, war der Tod geschworen, wenn du dich meinem Vergnügen bei Concordien widersetzt hättest; das Schicksal hat es ohne dein Zutun anders über mich beschlossen, ich aber muß fort zu des Teufels Quartieren!« Und bei diesen Worten hatte er einen Arm frei gemacht, ergriff ein Messer, das in seiner Tasche verborgen, durchstieß sein Herz und brüllte seine ewig verdammte Seele aus. Ich begrub ihn als ein Vieh fern von den beiden Frommen.

So traurig und lässig wir in den ersten Tagen waren, so fühlten [186] wir doch beide, daß wir durch den Tod dieses Schändlichen einer gewissen Sorge befreit waren; Concordia pflegte meiner Wunden, so gut sie es verstand; ich mußte deswegen in ihrem Zimmer schlafen. Meine Schmerzen ließen mich kein Auge bis gegen Morgen zutun, wo Concordiens Wehklagen mich plötzlich erweckten. »Ach Albert«, rief sie, »nun befinde ich mich auf der höchsten Staffel meines Elends. Ach Himmel du weißt ja, daß ich zeitlebens die Keuschheit als mein bestes Kleinod geschätzet«; hierauf rang sie die Hände heftig und der Angstschweiß lief ihr über das Gesicht, ich meinte sie würde sterben, und wischte ihr den kalten Todesschweiß ab, und sah mich schon einsam unter den Tieren auf den Gräbern aller meiner Lieben, da stürzte ich vor Wehmut nieder und suchte Gott mit der Gewalt meines Gebets zu zwingen. Inzwischen war Concordia stille geworden, sie legte meine Hand auf ihre Brust und sagte: »Wisset, daß Gott meine Keuschheit in harte Prüfung setzt; ich bin in Kindesnöten, Euer Gebet hat mich gestärkt. Einer reinen Seele kann äußere Versuchung nicht schaden, ich bitte Euch, bleibet rein von unkeuschen Gedanken.« Ich aber hob meine Hand in die Höhe und schwur, so lieb ich sie hätte oder je haben könnte, doch jedes Wort, jeden Seufzer zu unterdrücken, ja lieber wollte ich sterben, als durch meine Lust ihr lästig werden, nur an meinen treuen Diensten sollte sie meine Ergebenheit erkennen und an dem Eifer sie zu den Ihren, wenn es möglich, zurückzuschaffen. »Nun sollt Ihr mir befehlen, Gott wird meiner Unerfahrenheit beistehen.« Dankbar küßte die Frau meine Hand, sagte, daß sie nun volles Vertrauen in meine Redlichkeit setze, ich möchte nur warmes Wasser bereiten. Ich eilte dazu und als es im Kochen und ich nach meiner Kreißenden sehen wollte, fand ich sie auf einem Unterbette mitten in der Kammer, die große Lampe daneben und ein neugebornes Töchterlein auf ihrem Arm, das schreiend seine Ankunft in der Einsamkeit verkündete. Indessen war der Tag angebrochen und ich taufte das Kindlein nach dem Mutternamen Concordia in und nach Anweisung heiliger Schrift. Nachher ging ich auf die Jagd und schoß einen Hirsch; so matt ich war, schleppte ich ihn doch nach Hause, und bereitete eine kräftige Suppe mit gesunden Kräutern. Aber Concordia befand sich sehr übel darauf, sie verfiel in ein Fieber und hatte keine Milch. Ziegen konnte ich bei meiner Mattigkeit nicht einfangen; da kam ich auf [187] den Einfall aus den Kernen einer Frucht eine Art Milch zu quetschen, die das Kind erquickte. In vier Tagen befand sich Concordia wohl und stillte ihr Kind, ich aber verfiel in ein heftiges Fieber, meine Wunden waren hoch angeschwollen. Vergebens wusch sie meine Wunden mit ihrer eigenen Milch aus und kühlte mich mit aufgelegten Blättern, es kam kein Schlaf in meine Augen. Einstmals Nachts schlummerte ich ein wenig, da träumte mir, Cyrillo komme zu mir und zeige mir ein Kraut. Ich fuhr freudig auf und bat Concordien mir alle Kräuter, die sie in der Nähe der Hütte abbrechen könnte zu bringen, sie tat es und ich erkannte jenes Kraut. Am Morgen legte ich dies zerquetscht auf alle entzündeten Teile und fand mich in vier Tagen besser und in drei Wochen geheilt. – So bald ich hergestellt, dachten wir für das Künftige zu sorgen, die Kleine hatte uns mit neuer Hoffnung erfüllt. Ich baute ein kleines Haus mit einer Küche und einem Keller zum Aufbewahren der Vorräte. Dem Kinde machte ich eine Wiege, woran Concordia große Freude hatte. Ich bestellte den Acker, und die Weinernte war trotz des Schadens, den uns die Affen taten, recht ansehnlich. Ein Affe, der sich ein Bein gebrochen, erregte Concordiens Mitleiden, sie verband sein Bein mit Schindeln und Tüchern, wir trugen ihn in die Hütte, legten ein Kopfkissen über seinen Körper, so verließen wir ihn. Als wir zurück kamen, fanden wir zwei Affen bei ihm, die sich sehr betrübt anstellten. Als ich ihnen traute, ging ich hinzu, strich dem Patienten das Haupt, sah nach seinem Beine und fand, daß es unverrückt liegen geblieben war, weswegen er noch ferner gestreichelt wurde. Die zwei Alten, wie der Patient, bezeugten mir hierauf ihre Dankbarkeit durch Leckung meiner Hände; Concordia kam auch dazu, der Patiente reckte seine Pfote gegen sie aus, als wollte er seine Dankbarkeit bezeugen, er war so verbindlich für den Verband, daß es mit Lust anzusehen. Die zwei Alten liefen hierauf fort, als ob ihnen plötzlich etwas einfiele, was sie vergessen, sie brachten uns zwei große Kokosnüsse, die wir gar nicht auf der Insel geglaubt hatten, diese schlugen sie sehr sorgfältig auf, die eine reichten sie uns dar, die andere dem Kranken. Der Kranke wurde in sechs Wochen völlig geheilt, aber weder er noch die zwei Alten wollten uns verlassen, sie brachten noch zweie mit und taten alles, was sie uns an den Augen absehen konnten; sie spalteten Holz, sammelten Früchte ein, die mir zu hoch zum [188] Erklettern waren; machten sie einen Unfug, so fügten sie sich willig in die Strafe. Der Winter verging ohne Kälte, unsere Vorräte an Heu waren überflüssig und blieben als eine Streu für unsre Affen, wir waren heiter und fleißig an den Werktagen und an den Sonntagen fromm. Unsere Saatfelder standen im Frühling in schönster Blüte, doch die fremden Affen rammelten darin herum und als die unsern gesehen, daß ich sie deswegen mit Steinen und Prügeln verfolgte, so waren sie täglich auf der Wache und machten mir das nach. Aber einmal kamen über zwanzig und griffen meine fünfe an: der Streit ward heftig; ich kam erst dazu, als das Weibchen des Ältesten schon verwundet zu Boden lag, darauf gab ich Feuer, es fielen drei Feinde, die übrigen machten einen Rückzug, der eher einer Flucht ähnlich war. Ich kehrte siegreich mit meinen vier Affen, sie waren durch rote Halsbänder kenntlich, vom Verfolgen zurück; ich besah die Blessierte, sie war aber inzwischen an ihren Wunden schon gestorben, doch hatte ihr letzter Blick die fliehenden Feinde gesehen. Die Trauer ihres Witwers und ihres Kindes war groß, selbst die beiden andern rauhen Kameraden strichen sich die Tränen von den Schnauzbärten. Concordia ergriff mit mir Werkzeuge, um die auf dem Heldenbette verstorbene Äffin zu begraben, aber ehe wir dazu kamen, hatten schon die vier Leidtragenden sie in feierlich ernstem Schritte mit gesenkten Schwänzen fortgetragen und warfen sie in den Westfluß, der den teuren Leichnam in das Meer und zu den jenseitigen Wohnungen des Friedens sanft hinunterführte. Ich konnte mit Concordien nur dreimal zur letzten Ehre darüber schießen. Die vier Leidtragenden gingen langsam in ihren Stall, blieben einen Tag ohne Essen und Trinken, dann kamen sie freudig heraus und gingen, nachdem sie tapfer gefressen und gesoffen, an ihre alte Arbeit. Nur der Witwer verlor sich nach einiger Zeit, brachte aber nach sechs Wochen eine junge Gemahlin mit, die er mit lächerlichen Fleiße an unsern Haushalt zu gewöhnen suchte, und uns auf alle Art empfahl. So nützlich uns diese Affen waren, so zogen sie uns doch einst einen großen Schreck zu. Concordia ging einmal von der Arbeit im Weinberge nach Hause, um nach dem Kinde zu sehen, das sie in der Wiege schlafend verlassen, kam aber gleich mit Geschrei zurück, daß es mit seinen Kleidern geraubt. Ich eilte zurück, rief das Kind bei Namen, keine Antwort; nach drei Stunden Verzweiflung sah ich, daß sich etwas [189] auf der Spitze unsres Heuhaufens bewegte; ich setzte voll Hoffnung eine Leiter an und sah wie ein Affe mit dem Kinde ein frisches Obst speise. Allein wie er meiner gewahr wurde, rutschte er so schnell, das Kind zwischen seinen Vorderpfoten, herunter, daß mich der Schrecken fast von der Leiter gestürzt hätte. Als ich herunter gestiegen, war er mit dem Kinde schon lange im Hause, hatte es ausgezogen, in die Wiege gelegt, saß ganz ernsthaft dabei und wiegte es. Wir besahen das Kind mit Zagen, es hatte aber keinen Schaden gelitten; doch wurde der Frevler hart bestraft.

Unsre Ernten fielen sehr reichlich aus, wir hatten die Freude, hinlänglich Brot backen zu können, aber mit Fasten und Gebet feierten wir die Schreckenstage des vorigen Jahres. Doch während des zweiten Winters verfiel ich in eine immer mehr zunehmende Melancholey; ich konnte mir nicht raten, endlich merkte ich, daß ich Concordien wirklich liebte; ich mußte Concordien täglich sehen, immer freundlich gegen mich, und durch meinen Schwur gebunden, ihr nicht einmal ein erleichterndes Wort von meiner Sehnsucht sagen. Es ist sehr traurig der Neigung und dem Bedürfnisse zugleich entgegen zu kämpfen, und wenn jene auch über das Entbehrte zu erheben und zu trösten vermag, so riß mich diese immer dreifach tiefer in den Kummer hinein. Manche Arbeit ließ ich liegen und nahm dagegen die alte Zither Cyrillos neben meiner Flinte auf die Schulter, bestieg die Nordfelsenhöhe und indem ich nach den fernen Wellen, auf Schiffe lauernd, mich blind sah, betäubte ich meine Ohren mit allerlei Zusammentönungen, die ich allmählich von selbst auf der Zither erlernte. Ich hatte nie Musik getrieben, aber wohl oft gehört; Ihr werdet nicht glauben, daß ich als ein alter Mann von solchen Kindereien mit besonderer Eitelkeit rede, aber bringt einmal die Zither, ich habe sie in meinen alten Tagen wieder hervorgesucht, mich wieder erinnert, wie ich sie gespielt habe, und da ist es mir nachdenklich, wie mich nie eine andre Musik so gerührt, gestärkt und wieder zu Gott gewandt hat als die meine, ja ich möchte zuweilen glauben, daß Gott, der meinen natürlichen und unbefriedigten Unmut kannte, mir zu einigen Griffen die Hände hat besonders von seinen Engeln stellen lassen, mich zu trösten, daß ich nicht in Tiefsinn verloren gegangen; denn noch jetzt weiß ich nicht, wie ich zu dem allen gekommen. Auch manches Lied machte ich damals, um mich auszulassen, aber [190] es lag mir nichts daran; ich brauchte es nur, daß ich die Griffe auf der Zither dabei behalten konnte, die ich sonst eben so leicht vergaß, wie sie mir eingefallen, und die ich nachher zu Concordias Freude vorspielte, während ich heimlich in mir der Worte dachte, die sie bedeuteten. Am heiligen Dreikönigstage Mittags nach verrichtetem Gottesdienste war ich wieder im Begriff nach der Nordfelsenhöhe zu steigen, als Concordia mir sagte: »Albert, ich sehe, daß Ihr spazieren gehet, ich bitte, nehmt Eure Pflegetochter mit, ich habe eine Arbeit vor, wobei sie mich stört.« Ich nahm die kleine Schmeichlerin und stieg mit etwas Palmensaft und Weihnachtkuchen für sie, mit Flinte und Zither für mich, den Nordfelsen hinauf; da gab ich dem Kinde einige bunte Steine zum Spielen, stützte meinen Kopf auf den Arm, sahe auf die See und hing den unruhigen Gedanken nach. Endlich ergriff ich meine Zither und sang meine gewohnten Lieblingslieder darein, als aber die Kleine eingeschlafen, wollte ich sie nicht erwecken, zog einen Bleistift und Papier heraus und setzte mir ein neues Lied auf:


Nordfelsenhöh,
Du kennst mein Weh,
Wie ich das graue Moos
Auf deinem Haupte kenne,
Und deinen Felsenschoß
Doch unergründlich nenne.

Das gefiel mir aber nicht, ich blickte auf und sahe in größter Ferne ein Schiff, mein Jubel empfing es schon an diesen Ufern; aber wenig Minuten dauerte es, so war alles verschwunden, als wäre nie etwas da gewesen. Als ich mich etwas gefaßt, schrieb ich weiter:


Ach hätt ich nur kein Schiff erblickt,
So wär ich länger ruhig blieben,
Die Sehnsucht hat es hergeschickt,
Die Sehnsucht hat es fortgetrieben,
O Liebe willst du dich denn eines reichen Armen
Und freien Sklaven nicht zu rechter Zeit erbarmen.
Ich liebe was und sag es nicht,
Denn Eid und Tugend heißt mich schweigen,
Mein ganz verdecktes Liebeslicht,
[191]
Darf seine Flamme gar nicht zeigen,
Zum Himmel treibt es seine reinen hellen Strahlen,
Die Sonne ist ein Widerschein von meinen Qualen.
Ein Fruchtbaum, der von Früchten schwer,
Hängt seine Früchte zu der Erden,
Kommt starker Wind von Osten her,
Er kann nicht froh erschüttert werden,
Er stürzt herab die Früchte und die schwachen Blüten
Und meine Träume, die mir Nachts so herrlich glühten.
Den trägen Tag verfolgt der Mond,
Er atmet Ruh auf alle Wesen,
Das Meer ist keiner Ruh gewohnt,
Zur Unruh bin ich so erlesen,
Mein einzig Glück, den Traum muß ich voraus schon hassen,
Im höchsten Glück wird er mich wiederum verlassen.
Concordia bleib in Deiner Ruh,
Nie werd ich Deine Eintracht stören,
Mein einzig Wohl und Weh bist Du,
Dir will ich ew'gen Frieden schwören,
O süßer letzter Augenblick, da darf ich sprechen,
Da wird der Liebe Strom durch Aug und Lippen brechen.

Da war meine kleine Pflegetochter aufgewacht; ich fand einige herrliche Griffe auf der Zither zu diesen zwar herzlichen aber unbedeutenden Worten, und das Kind freute sich gar sehr an meinem Gesange, ich mußte es ihm oft wieder singen. Dann nahm ich das Kind auf den Arm, es schmiegte sich zärtlich mir an, ich rief laut aus: »Ach wärst du deine Mutter und wärst du nur kein Kind, ach hätt ich nicht geschworen, wär sie wie du gesinnt.« Dabei fing ich an zu weinen und die Kleine weinte mit und wischte mir die Tränen ab. Doch wenig Minuten darauf kam die Mutter, ich fürchtete, sie hätte mir zugehört, auch glaubte ich, ihr so etwas anzusehen, und so tat ich sehr kalt und gleichgültig gegen sie, um ihr keinen Argwohn zu erwecken. Sie fragte mich, ob ich kein Schiff erblickt hätte? Ich leugnete es. Sie fuhr aber fort: »ich bitte Euch, seht nicht so oft nach den vorbei fahrenden Schiffen; sind wir nicht glücklich und kommt nicht alles Glück unverhofft. – Seid Ihr nicht [192] übermorgen zwanzig Jahr?« fuhr sie fort. Ich gestand, daß ich's in diesem Jahre fast vergessen, wann mein Geburtstag. »Nun«, fuhr sie fort, »so erzählt mir doch einmal Euren ganzen Lebenslauf, mein Mann sprach mir zuweilen davon.«

Ich erzählte ihr, was Ihr nun auch wißt, sie hörte mir mit Vergnügen zu, und ich wurde so beruhigt, daß ich mir fest vornahm, meine Melancholey künftig besser zu bekämpfen. Den dritten Tag beim Erwachen fand ich auf meinem Tische einen grünen seidenen Schlafrock, auch neue Wäsche und folgenden Brief dabei:


Meines Herzens Freund! Ich habe alles angehöret, was Ihr gestern auf dem Nordfelsen gesungen und gesprochen. Euer Verlangen ist dem Triebe der Natur, der Vernunft, auch göttlichen und menschlichen Gesetzen gemäß; ich bin eine Witwe, der Himmel hat mich in schwerem Leid erzogen; ich küsse seine Hand in Demut. Meinem Manne habe ich die Treue aus Liebe gehalten, ihn vierzehn Monate betrauert, auch würde ich mich nicht zu einer zweiten Ehe entschließen, aber Eure herzliche Liebe zu mir und Euer tugendhafter Wandel machen mein Herz wieder empfindlich; ich bin Euch so vielen Dank schuldig, nehmt mich zu Eurer künftigen Gemahlin an. Eure Frömmigkeit dient mir zum Bürgen, daß Ihr meinen Antrag nicht unrecht deuten werdet; Ihr habt aus Übereilung mehr gelobt, als Gott und Menschen von Euch fordern, ich mußte in dieser Einsamkeit zwischen uns das Wort übernehmen. – Ihr werdet mich bei dem Damme des Flusses beschämt finden, nicht meines Entschlusses, aber daß ich ihn fassen mußte. Es ist unsre Vereinigung die beste Feier Eures Geburtstages.

Concordia van Leuven.


Ich blieb bei diesem Briefe entzückt stehen, fast glaubte ich, Concordia wollte mich in Versuchung führen, doch faßte ich ein frisches Herz und ging zum Damme, wo ich Concordien mit ihrem Töchterlein im Grase sitzen sah, ich ergriff ihre Hand: »Was bin ich gegen Euch.« Sie schlug mir sanft auf die Hand: »Laßt die Schmeicheleien, Ihr seid mir lieber als die Fürsten aller Welt, und ich habe nichts Eure Dienste zu lohnen, wenn ich Euch nicht wert bin.« Ich sprach, daß ich mich ihr ganz zu eigen gebe, sie aber [193] antwortete: »Nein, Ihr sollt meinem Willen keine Folge leisten, ich werde Euch als meinen Herrn ehren, als meinen Ehemann lieben, ich kann mich als ein schwaches Werkzeug leicht übereilen.« – Da faßte ich die Kühnheit ihr einen Kuß auf die Rosenlippen zu drücken und die Verabredungen zu unsrer Hochzeit gingen mir nun so leicht von den Lippen. Ich schoß ein Reh, Ziegen, ein paar Rebhühner, fing Fische, steckte die Braten an die Spieße, die unsre Affen wenden mußten, während meine Braut das Gebackne zurichtete und unser Zimmer auszierte.

Wir führeten einander nach Abrede in die Schlafkammer vor ein Crucifix, wir knieten vor dem Altar nieder und lasen die drei ersten Kapitel des Moses. Hierauf redete ich meine Braut an: »Liebe Concordia, ich frage Euch hier vor dem Angesichte Gottes und seiner heiligen Engel, ob Ihr mich, Albert, zu Eurem ehelichen Gemahl haben wollt.« Concordia sprach »Ja!« sie gab mir ihre rechte Hand, um die Trauringe zu verwechseln. Darauf sprach ich die Einsegnung der heiligen Ehe aus, Concordia sagte »Amen!« und las dann das achte Kapitel im Buch Tobias.

»Und nach dem Abendmahl führten sie den jungen Tobias zu der Jungfrauen in die Kammer. Darnach vermahnte Tobias die Jungfrau, und sprach: Sara, steh auf und laß uns Gott bitten heute und morgen, denn diese drei Nächte wollen wir beten, darnach wollen wir uns zusammenhalten als Eheleute, denn wir sind Kinder der Heiligen und uns gebühret nicht solchen Stand anzufahen, wie die Heiden, die Gott verachten. Und um Mitternacht rief Raguel seinen Dienern, daß sie ein Grab machten, es möchte ihm vielleicht auch so gegangen sein als den sieben, welche mit ihr vertraut gewesen sind. Und die Magd schlich in die Kammer, fand sie beide gesund und frisch. Und alsbald befahl Raguel, daß sie das Grab wieder füllten, und seinem Weibe befahl er, daß sie ein Mahl zurichte und von seinen Gütern gab er die Hälfte Tobias.« – Concordia machte aus den Worten der Sara ein schönes Gebet zum Schluß. Unsre kleine Concordia war während der Trauhandlung so still wie ein Lamm gewesen, die Vögel sangen draußen gar lustig, wir setzten uns darauf zu Tische, auch unsre treuen Diener wurden gut bewirtet, und sie waren an dem Tage sehr feierlich. Als es Zeit zum Schlafengehen, sagte meine Braut mit liebreicher Gebärde: »Laßt uns dem Beispiele des frommen Tobias [194] folgen und die drei ersten Nächte mit Beten zubringen.« So saßen wir drei Nächte betend und singend beisammen, in der vierten opferte ich meiner rechtmäßigen Eheliebste die erste Kraft meiner Jugend, ein Vergnügen, wie ich es nie träumen konnte; die drei Männer, die Euch hinaufführten, Capitän Wolfgang, sind die Früchte dieser Nacht, Ihr seht, diese Riesen werden das Gedächtnis meiner Concordia nicht untergehen lassen. Sie ist nicht mehr unter uns, ich bin alt, das Glück hat uns mehrere Bewohner zugeführt, Ihr habt ihre Geschichten früher gehört, ich zähle dreihundertsechsundvierzig zu meinem Hause. Ihr, Capitän, sollt ein Schiff und Kostbarkeiten erhalten, um dieser verwaisten Herde einen geweihten Seelsorger aus Europa zuzuführen, kehrt zurück oder bleibt nach Gefallen, ich sterbe hier in der Überzeugung, daß dort kein Glücklicherer gelebt hat, als ich mit meiner Concordia war, und daß noch jetzt die Erinnerung mir mehr innern Frieden gibt als Tausenden der abwechselnde Genuß aller Freuden jenes Weltteils.

[195]

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Zweiter Winterabend. Amtsbericht von dem Tode des Generals Grafen von Schaffgotsch. Amtsbericht von dem Tode des Generals Grafen von Schaffgotsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-08B5-F