Zweiter Band.

[1] I.
Florian und Creszenz.

[1][3]

1. Mädchen am Brunnen

1.
Mädchen am Brunnen.

Am Samstag Abend hörte man im Hause des rothen Schneiderle von Stube zu Stube singen und trällern, Thüren wurden auf- und zugeschlagen, Fenster aufgesperrt, Stühle und Bänke gerückt, man hörte den Kehrbesen walten; aber aus Allem hervor tönte der Gesang einer klangvollen Mädchenstimme, Trepp auf und Trepp ab. Kaum war ein Lied geendigt, begann ein anderes, lustig und traurig, Alles durch einander. Endlich kam die Sängerin zum Vorschein: es war ein stämmiges, aber im schönsten Ebenmaß gebautes Mädchen. Das grauwollene gestrickte Wämschen ließ enganliegend die runden, vollen Formen, die sanften Wölbungen des Busens bestimmt und zart hervortreten, die Schürze war halb zurückgesteckt und bildete einen spitzen Winkel. Mit dem Melkkübel in der Hand ging es in den Stall. Jetzt konnte man eines der Lieder genau vernehmen, es lautete:


[3]

Steig i auf de Kirschebaum,

De Kirsche z'wege net,

Haun g'moant i wott mein Schätzle seh'n,

I gsieh 'nes aber et.


's isch no nit lang daß's geregnet hat,

Die Bäume tröpflet no,

I haun emol e Schätzle g'hätt,

I wott i hätt es no.


Jetzt ist es aber g'wandret,

Dem Unterländle zua,

Jetzt haun i wieder en andre –

's ist au e braver Bua.


Den Wasserkübel unter dem Arme kam das Mädchen wieder zum Vorschein, es verschloß das Haus und legte den Schlüssel unter die daneben stehende Reisbeige. Der Rathhausbrunnen war ausgeschöpft und verschlossen, auch der obere Brunnen war verschlossen und wurde nur vom Soges Morgens und Abends geöffnet, um daraus je nach der Kopfzahl der Familien das Wasser zu vertheilen. Dieser Wassermangel ist ein großer Nebelstand, besonders im hohen Sommer.

Unterwegs rief des Anschels Beßle:

»Creszenz, wart', ich geh mit.«

»Komm, mach tapfer. Bis wann kommt denn dein Chusen 1 wieder? entgegnete Creszenz.«

[4] »Bis auf unsere Pfingsten, heut über vierzehn Tag'.«

»Bis wann machet ihr denn Chasne?« 2

»Bis nach Sückes; 3 du mußt bei meinem Leben auch den ganzen Tag beim Tanz sein, da wollen wir uns auch noch einmal recht lustig machen, wir sind doch immer gut Freund gewesen.«

»Beßle, du hättest sollen hier bleiben, du hättest sollen den Seligmann heirathen, was man daheim hat, weiß man; so weit in's Elsaß hinein – wie weiter wie g'heiter, sagt man als, wer weiß wie es dort ist.«

»Wie kannst du nur so reden?« erwiderte Beßle, »hab' ich denn mit meinen 400 Gulden das Auslesen? und drüben sind das fast 1000 Frank, das ist schon eher ein Wort. Und du? bleibst denn du im Dorf? Wenn dein Geometer einmal eine Anstellung kriegt, mußt du nicht auch fort? Ei hab' ich dir denn auch schon gesagt, mein Chusen ist vorlängst von Straßburg aus mit dem Florian auf den Schramberger Markt gegangen. Der Florian hat, was weiß ich wie viel? gewiß dreihundert Karlin in seinem Beigürtel gehabt, um Ochsen einzukaufen. Er führt sich wie ein Prinz, und sein Herr vertraut ihm sein ganz Vermögen an; man sagt, er gibt ihm seine Tochter.«

[5] »Ich wünsch' ihm Glück und Segen dazu.«

»Nu, nu, stell' dich nur nicht so, du hast doch den kleinen Finger vom Florian lieber gehabt, als den ganzen Geometer.«

»Und wenn auch, er hat nichts und ich hab' nichts, und zweimal nichts gibt gar nichts, sagt der alt' Schmiedjörgli.«

Die beiden Mädchen waren zum Brunnen gelangt, viele standen schon hier und harrten der hohen Obrigkeit.

»Weißt auch schon, Creszenz?« rief des Christians Dorle, »vor einer Stund' ist der Florian wieder kommen; jetzt hast's gut, jetzt kannst zweispännig fahren.«

»Du hast's nöthig aufzubegehren,« erwiderte Creszenz, »du brenndürrer Bohnenstecken du; du darfst dein Kammerlädle noch so weit aufsperren, es kommt doch Keiner.«

»So ist's recht,« sagte eine keck aussehende Person, die Leichkäther genannt, weil sie alle Todten in: Dorfe einkleidet; sie fuhr sich vergnügt mit der Hand über den Mund und sagte dann weiter: »wechselt's ihr nur, Creszenz, man weiß wohl, in eurem Haus wird alles gleich baar ausbezahlt.« Sie machte eine leicht verständliche Handbewegung.

»Gelt, dir pfupfert's, weil man dir nichts borgt?« erwiderte die Bedrängte; »du hast's gut angefangen, Dorle, der da die Zung' zu heben.«

[6] »Was brauchst denn aber auch gleich mit dem Dorle so zu balgen?« sagte des Melchiors Lenorle, »es hat's ja nicht so bös gemeint, man darf ja auch einen Spaß machen.«

»Ist denn der Florian im Ernst kommen?« fragte Creszenz leise.

»G'wiß!« rief die Leichkäther laut; »gib nur Acht, du Hanfkrott, du wirst deinen Kopf nimmer so hoch tragen wie ein Schlittengaul; der Florian wird deinem Geometer schon das Land vermessen.«

Der Soges erschien, ein zweiter Moses, der den Töchtern Jethro's den Brunnen öffnete; er schien aber um keine zu freien, denn er war nicht besonders freundlich.

»Gib der Creszenz den Rahm vom Wasser, die muß heut' noch ihrem Geometer seinen steifen Kragen waschen,« schrie die Käther.

»Laß sie schwätzen,« sagte das Lenorle, »man kann ihr nicht weher thun als wenn man sie allein belfern läßt; sie macht's grad wie die Hund', die bellen Einen an, und wenn man seines Weges fortgeht und nichts mit ihnen macht, kehren sie wieder heim und bellen einen Andern an, der vorbei geht. Narr, die möcht' gern ein jedes so schlecht machen, wie sie ist; aber vor dem Florian mußt dich jetzt in Acht nehmen, sonst gibt's böse Sachen.«

»Ja,« sagte ein anderes Mädchen, »er hat viel [7] Geld heimbracht und hat seinem Vater gleich eine goldene Karlin geben. Das Geld wird sich umguckt haben, wie es da in der Stube gewesen ist. Der Alt' ist ja so arm, daß die Mäus' von ihm verlaufen sind.«

»Der Florian kann sich fünfmal aus- und ankleiden, so viel schöne Kleider hat er bei sich,« sagte ein drittes Mädchen.

»Und er spricht fast lauter französisch.«

»Und er hat eine Uhr mit einem Behäng, wo sein ganz Handwerkzeug von Silber dran ist.«

»Und ein schwarz Schnauzbärtle hat er zum Küssen.«

Ein Lärm unterbrach die schnellen Berichte.

»Was stoßst mich so?« sagte Käther zu des Kilians Annele, »Narr, ich bin kein reicher Bursch.«

»Sei still du, du bist ja schon zweimal im Spinnhaus gewesen und das drittemal steht dir schon auf der Stirn.«

»Wart, ich will dir's auf die Stirn schreiben,« schrie die Käther, und stieß mit ihrem Kübel nach dem Annele; dieses aber hatte den Schlag abgewehrt und gab dafür einen andern zurück. Nun ging's an ein gewaltiges Ringen, die Kübel wurden auf die Erde geworfen, die beiden Kämpfenden faßten sich mit den Händen. Eine Weile sahen die Anderen müßig zu, dann aber wehrte Alles ab, und besonders [8] der Soges schlug hüben und drüben drein. Wie zwei Streithähne, die von einander gejagt wurden, blickten sich die Feinde noch grimmig an, indem sie ihre Kübel zur Hand nahmen. Das Annele strich sich weinend die Haare aus dem Gesicht, es klagte, daß niemand vor der Käther Ruhe habe und daß die ganze Bürgerschaft dafür sorgen sollte, daß sie auf ewig in's Spinnhaus käme.

Die Reihe war endlich an Creszenz gekommen. Sie trug nun den schweren Kübel auf dem Kopfe, aber noch schwerer war's ihr im Herzen. Große Thränen kugelten über ihre Wangen, aber sie that als ob der Kübel tropfe, und fuhr immer mit der rechten Hand und mit der Schürze über dessen untern Rand; sie ahnte wohl, welche Verwirrung die nächsten Tage bringen konnten: hatte ja diese schon in ihrem Herzen begonnen.

Zu Hause vollzog sie die Arbeit, ohne mehr einen Ton zu singen.

Man wird sich vielleicht wundern, daß auf einmal ein so vornehmer Mann und eine so betitelte Person, wie ein Geometer ist, im Dorfe eine so entschiedene Rolle spielt; man erinnere sich aber, daß diese Geschichte zur Zeit der Landesvermessung vor sich geht: wie dadurch das ganze Land endlich genau abgezirkelt zu Papier gebracht und auch nicht das verborgenste Winkelchen in Wald und Feld vergessen [9] wurde, so ward auch aller Orten in das Leben des Volks ein neues Element geworfen.

Da kamen auf eine Zeit lang Städter in das Dorf; sie waren nicht Schullehrer und nicht Pfarrer, es waren meist lebenslustige junge Leute, und welche Bedeutung sie in der Mädchenwelt gewonnen, haben wir bereits ersehen.

Die Vollzieher des in staatswirthschaftlicher Hinsicht gewiß sehr zweckmäßigen Unternehmens hießen Geometer. Auf dem Dorfe hießen die Feldmesser eben Feldmesser, zur Erhöhung der Amtswürde sowohl als auch zur Verbreitung griechischer Bildung unter den Bauern hießen die neuen Herren: Geometer. Die Gespielin der Creszenz hatte einen Obergeometer (oder wie er eigentlich folgerecht heißen sollte, Hypergeometer) geheirathet und wohnte in Biberach. Dadurch hatte Creszenz Bekanntschaft mit dem Collegen bekommen und die Eltern förderten sie auf alle Weise, denn das war eine herrliche Versorgung. Der rothe Schneiderle sah schon im Geiste seine Tochter als Frau Obergeometerin.

Fußnoten

1 Ebräisch – Bräutigam.

2 Hochzeit.

3 Laubhüttenfest.

2. Dreiviertel auf Mordjo

2.
Dreiviertel auf Mordjo.

Es war Nacht geworden, Creszenz stand in der Küche am Feuer, da kam der Studentle laut daher geschritten und sagte:

[10] »Guten Abend Creszenz. Ich will mir ein Päckle Sternentubak holen; habt ihr noch davon?«

»Ja, geh' 'nein, mein' Mutter wird dir geben.«

»Ich verhex' dir dein' Supp' nicht, wenn ich ein bisle bei dir bleib',« sagte er laut, ganz leise aber fetzte er hinzu: »der Florian ist da, komm' nachher ein bisle 'naus, du wirst uns schon hören.«

Ohne die Antwort abzuwarten ging er hinein in die Stube; als er wieder herauskam, war Creszenz nicht mehr in der Küche.

Später hörte man vor dem Hause des rothen Schneiderle singen und pfeifen und lachen; es waren die Kameraden, deren seit drei Jahren fehlende Hauptstimme, nämlich die des Florian, jetzt um so eindringlicher erscholl; sie blieben lange, es wollte aber nichts fruchten, da schrie der Peter zum Fenster hinauf:

»Creszenz, da lauft ein' Gans 'rum, ist die nicht dein?«

Der Studentle stand hinter der Reisbeige und quackte wie eine Gans.

Das Fenster öffnete sich, aber nicht Creszenz, sondern die Schneiderin sah heraus und sagte:

»Treibet eure Späß' vor einem andern Haus.«

Mit schallendem Gelächter ging der Studentle wieder auf die Straße.

Drinnen in dem Hause aber saß die Creszenz bei[11] dem Geometer und gab auf alle seine freundlichen Reden nur halbe Antworten; endlich sagte sie, sie sei unwohl und ging zu Bett.

Als die Burschen auf der Straße lange vergebens geharrt hatten, gingen sie nach dem Wirthshause. Auf dem Wege begegnete ihnen Sepple der Franzosensimpel. Der Studentle faßte ihn an der Brust und rief:

»Qui vive? la bourse ou la vie!«

Der Angegriffene antwortete unerschrocken:

»Paridadoin mullien,« was in der Sprache des Sepple so viel hieß als: »was willst du?«

»Das gibt einen Hauptspaß,« jubelte der Studentle, »wir nehmen den Sepple mit, der muß den Geometer spielen. Komm, wir zahlen dir eine Halbe (Maas) Bier.«

»Moin paroula goin,« antwortete der Sepple, was so viel hieß als: ich will's thun; was für Laute er zusammenfügte, war überhaupt nur das Zufällige, er antwortete dabei auf Alles mit Winken oder auch mit grinsendem Lachen.

Der Sepple war eigentlich kein ganzer Simpel, sondern nur ein halber, aber dieses Halbe wurde von allen lustigen Leuten im Dorfe zum Ganzen ausgebildet.

Wenn Einer auf dem Dorfe ein Häkchen hat, so kann man sicher sein, daß es zum Sparren ausgeschmiedet wird; so ging's auch beim Sepple. Er [12] ließ sich das gern gefallen, denn es warf immer einen guten Trunk ab.

Man wußte nicht recht, woher beim Sepple der Gedanke gekommen war, daß er alle lebenden Sprachen verstünde. Einige behaupteten: weil er so lange Kindsmagd gewesen und mit den kleinen Kindern in der Allerweltsprache geplaudert habe, habe er etwas davon übrig behalten; die Wahrheit zu gestehen, kümmerte sich Niemand um den Grund dieser Sonderbarkeit, genug, man mochte den Sepple anreden wie man wollte, in einer wirklichen oder gemachten Sprache, er gab immer frischweg Antwort. Dabei verrichtete er aber das Feldgeschäft so gut wie ein Anderer; verstand er auch nicht die Sprache der Thiere, so verstanden die Thiere seine Sprache und folgten ihm willig. In der Kirche war Sepple der Einzige, der zu den lateinischen Worten der Messe nickte, als ob ihm das Alles ganz sonnenklar wäre.

Dieses vierte Mitglied hatte unsere sonst so streng geschlossene Dreibubengesellschaft für heute Abend aufgenommen.

»Bon soir,« sagte Florian, als er mit den Anderen in die Wirthsstube trat, Alles grüßte ihn freundlich, beschaute ihn um und um und Einer nickte dem Andern zu mit einem Blicke, der vollauf sagte: »es ist doch ein Staatsmensch, der Florian; ja, wer nicht 'naus kommt, kommt nicht heim.«

[13] Einer, der auf der Ofenbank faß, sagte zu seinem Nachbar: »ja das ist ein ander Heimkommen, als wie der Schlunkel, der ist jetzt schon zweimal eingestanden – im Zuchthaus und heut' Abend ist er heimkommen; wenn wir ihn nur schon wieder los wären.«

Florian ließ nun eine gute Flasche Wein für sich und seine Kameraden bringen; dem Sepple, der sich an einen andern Tisch gesetzt hatte, ließ er eine Halbe Bier geben.

Als Bärbele das Getränk brachte, sagte er etwas leise, aber doch so, daß es Alle hören konnten: »comme elle est jolie, bien jolie.«

»Oui,« erwiderte der Studentle. Alle Leute in der Stube stießen einander an und pisperten, wie die Zwei so gut französisch parliren konnten.

Florian brachte es nun allen Leuten zu, denn diese saßen meist trocken im Wirthshause; der gute Trunk that ihnen wohl, und diese freundliche Empfindung ging auch auf den Florian über. Er schien sein Französisch ziemlich ausgespielt zu haben, denn: »putz das chandelle« ist doch nur halb.

Der Spaß war den lustigen Kameraden verdorben, der Geometer, der im Adler wohnte, war nicht zu Hause.

»Bleibst du wieder bei uns, Florian?« fragte Bärbel.

[14] »Nous verrons, wir wollen sehen.«

»Verzähl' uns auch 'was,« sagte Kaspar, der als Wirth auch seine Gäste zu unterhalten suchte. »Bist du denn auch z'Paris g'wesen?«

»Freilich,« erwiederte Florian in einem Tone, aus dem ein scharfer Aufmerker wohl die Unwahrheit heraushören konnte, »aber es hat mir nicht gefallen. Am schönsten ist's in Nanzig, da sind Wirthshäuser, die sind ringsum mit Spiegeln ausgetäfelt, die Tisch' sind alle von Marmelstein und man ißt und trinkt aus lauter Silber; da solltest du einmal sein, du thätest Maul und Augen aufreißen.«

Diese Zeichen der höchsten Aufmerksamkeit waren jetzt an Florian, denn der Geometer trat mit seinen beiden Kollegen in die Stube. Sie gingen nach dem Verschlägle, wo der Tisch für sie gedeckt war.

Florian ergriff sein Glas, stieß mit seinen beiden Freunden an und sagte: »à votre santé!«

Der Kaspar, der so aufmerksam zugehört hatte, war schnell den Eintretenden entgegen gegangen und trug ihnen nun ein Licht voraus. Florian zwirbelte seinen Schnurbart und fragte dabei den Constantin leise:

»Welcher ist's?«

»Der schäg, mit denen langen Haar', wo zuerst 'reinkommen ist.«

Eine Weile herrschte Stille in der ganzen Stube,[15] man hörte nichts als das Klappern der Messer und Gabeln hinter dem Verschlägle.

Constantin begann aber alsbald zu singen:


Der Herr Geometer

Der hat krumme Bein!

Sie sind halt net gräder,

Gezirkelt muß sein.


Ein schallendes Gelächter erfüllte plötzlich die Stube, dann aber trat wieder eine Stille ein, auch drinnen im Verschlägle hörte man keinen Laut.

Florian stand auf und sagte zum Sepple: »comment vous portez vous, monsieur le géomètre?«

»Quadutta loing,« erwiderte der Sepple, der unter erneuertem Gelächter in Einem fort kauderwelschte.

»Ich gratulir' zu deinem neuen Amt,« sagte Constantin, indem er den Pinsel vom Schwenkkübel herbeibrachte, »da vermiß mir einmal den Tisch; man braucht keinen Verstand dazu, sonst könnten's gewisse Leute nicht.«

Unter immer erneutem Gelächter vollzog der Sepple die Tischvermessung, das Bärbele aber kam her bei und sagte:

»Lasset die Possen, machet eure Späss' an einem andern Ort; sei ruhig Sepple oder marschir' dich.«

[16] Der Sepple schlug auf den Tisch und welschte ganz grimmig. Unter der Thüre des Verschlages erschien der Steinhäuser, der zu der Creszenz ging, seine zwei Kameraden hielten ihn, denn er wollte gerade auf den Burschen los; auch Kaspar suchte ihn zu beruhigen, und als es ihm einigermaßen gelungen war, trat er auf die Drei zu und sagte mit größerer Entschlossenheit, als man vermuthen mochte:

»Ich will euch 'was sagen: in meinem Haus dürfen so Sachen nicht ausgeführt werden, trinket ruhig, was ihr habt, oder ich weis' euch, daß vor der Thür' Draußen ist. Ich lass' keine Gäst' beleidigen, jetzt habt ihr's gehört, in meinen vier Wänden bin Ich Meister. Es ist mir Jeder lieb und werth, aber Ordnung muß sein.«

»Juste, schon recht,« sagte Florian, »ich werd' die Leut' schon an einem andern Ort treffen. Hörst du's da drüben, du krummer Bub, wenn du noch einen Tritt zur Creszenz thust, schlag ich dir deine krummen Spazirhölzer lahm, nachher kannst dein' Meßstang' als Krück' nehmen.«

»Er elender Gesell!« schimpfte Steinhäuser, vor den sich Kaspar als Schild gestellt hatte; Florian wollte auf ihn los und fluchte: »Kotzbluestkreuzmalefiz foudre de Dieu!« Der Kaspar schleuderte ihn zu rück; Constantin war klug genug und wehrte ab.

[17] So verließen nun die Drei das Haus, der Sepple folgte ihnen bald nach.

Auf der Straße schwuren die drei Kameraden, nie mehr in den Adler zu gehen. Der Florian wollte alsbald noch einmal hinein, er sei dem Adlerwirth noch 'was schuldig geblieben, er müsse ihm 'raus bezahlen.

»Kreuz Sack am Bändel, 1 da bleibst,« sagte Constantin, »bei dir ist noch allfort gleich Dreiviertel auf Mordjo. Gib jetzt Frieden, wir wollen den Geometer schon hinlegen, daß er nimmer an die Auferstehung der Beine glauben soll.«

Man beruhigte sich, und zum Spaße, da heute nichts mehr anzufangen war, bellte der Studentle noch wie ein geschlagener Hund durch das ganze Dorf und machte dadurch, wie er es nannte, alle Hunde in den Häusern rebellisch.

Fußnoten

1 Beschönigender Ausruf für Sakrament.

3. Ein Alltagsleben am Sonntag

3.
Ein Alltagsleben am Sonntag.

Andern Tages kleidete sich Creszenz nicht sonntäglich an, um nach der Kirche zu gehen, sie klagte über Unwohlsein und blieb zu Hause.

Als der Schneiderle aus der Kirche zurück kam und den Aufzug seiner Tochter sah, sagte er:

[18] »Was ist das? Still sag' ich, einmal und millionenmal,« fuhr er fort, ehe noch Creszenz antworten wollte. »Gelt, dir ist nicht recht just, weil der Florian wieder da ist, und da willst du nicht auf die Straß'? Ich hab' schon gehört, was er Nächt 1 mit dem Geometer gehabt hat; jetzt mußt du heut zum Trotz mit dem Geometer in's Horber Bad. Das sag' ich, Ein Wort wie Tausend.«

»Ich bin krank.«

»Nutzt nichts, geh' 'nauf und zieh' dich an, oder ich mess' dir mit der Ell' da die Kleider an.«

»Laß ihn schwätzen,« sagte die Schneiderin, die unterdessen eingetreten war, »das ist grad den Mäus' pfiffen, was er sagt. Creszenz, wenn dir nicht gut ist, bleib du daheim. Von dem, was er erhauset, hättet ihr kein Fädle auf dem Leib; der Freßsack kann nichts als alle Tag' dreimal die Füß unter'n Tisch' stellen und sich füttern lassen wie eine Einquartirung.«

Der Schneiderle wollte auf Creszenz los, seine Frau aber stellte sich vor ihn hin, ballte die Fäuste, und der gestrenge Mann kroch scheu in eine Ecke.

Diese Leute kamen eben aus der Kirche, wo sie die Worte: Liebe, Friede und Seligkeit gesungen und gebetet hatten; noch hatten sie das Gesangbuch nicht[19] aus der Hand gelegt und schon war die häßlichste Zwietracht zwischen ihnen entbrannt.

Ueberhaupt sind wir da in ein sonderbares Haus eingetreten. Die Mutter war früher Pfarrköchin gewesen und hatte den Schneiderle etwas schnell geheirathet, Creszenz war ihr ältestes Kind; außerdem hatte sie noch einen Sohn und eine Tochter. Die Schneiderin ging noch immer städtisch gekleidet und trug bloß die schwarze Bauernhaube; denn bei allem Verschwinden der Bauerntrachten wird es doch schwer dahin kommen, daß die kostspielige Florhaube in Aufnahme kommt.

In der ersten Zeit, als die beiden Leute mit einander verheirathet waren, lebten sie gut; denn wo Alles vollauf im Hause ist, müssen es gar unverträgliche Menschen sein, wenn sie mit einander keifen sollten.

Das nennt man dann, in gebildeten wie in ungebildeten Ständen, die glücklichen, die friedlichen Ehen.

Der Schneider arbeitete in seinem Handwerke und die Frau errichtete ein Kramlädchen, worin Spezereien und andere Waaren verkauft wurden.

Was ist aber der Mode mehr unterworfen, als die Herrscher der Mode, die Schneider? Der Balthes arbeitete nur für die Herren und für die Juden, die sich auch städtisch tragen; Bauernkleider zu machen, [20] war ihm ein Gräuel, denn er war »in Berlin drein gewest.«

Neue, junge Concurrenten hatten sich in dem Dorfe und der Umgegend niedergelassen; Balthes konnte nun oft ganze Tage umherlaufen, ohne Arbeit zu finden.

Da verfiel er auf einen spekulativen Gedanken, in dessen zeitweiliger Ausführung wir ihn noch begriffen finden. Im Verein mit dem Anschel Meier, dem Vater des Beßle, reiste er nach Stuttgart, kaufte dort alte Kleider und richtete sie neu her. Besonders aber war er auf die abgetragenen rothen Frackröcke der Hofbedienten aus, wozu ihm Anschel verhalf, der aus den Lieferantenzeiten her hohe Bekanntschaften hatte. Die Livreeröcke wurden dann zerschnitten und rothe Bauernwesten daraus gefertigt, die im Schwarzwalde noch überall getragen werden. Auch Uniformen der Officiere wurden gekauft, und ans dem rothen Unterfutter des Wehrstandes Kleider für den Nährstand gemacht.

Man sagt aber, der Anschel habe fast allen Profit an sich zu ziehen und sich noch ein, Nebenverdienstchen bei den hohen Verkäufern zu machen gewußt.

Von der Zeit an, als Balthes aus der Mode gekommen und Ebbe im Hause eingetreten war, gaben die beiden Eheleute kein gutes Wort mehr. Dem [21] Balthes ward, wie man sagt, der Löffel aus der Hand genommen, ehe er genug gegessen hatte. Er war über nichts mehr Meister, er durfte am Sonntag nicht einmal ein Stück Speck zerschneiden und hieß doch der Schneidermeister. Wo er stand oder saß, war er seiner Frau zu viel, sie hatte vollkommen das Heft in Händen, denn sie verreiste jeden Herbst, und nach ihrer Zurückkunft war immer wieder Alles flott im Hause.

Die Kinder hielten natürlich zur Mutter, denn Balthes war auch mehr in fremden Häusern, als in dem seinigen. Er kam fast nur zum Essen und Schlafen. Jenes ward ihm mit tüchtigen Reden gut gesalzen, und dieses durch einen wohlgesetzten Abendsegen versüßt.

Creszenz blickte nun ihren Vater verächtlich an. Da trat der Geometer ein, Vater und Mutter machten freundliche Gesichter und thaten, als ob sie die Liebe selber wären; nur Creszenz sah betrübt aus, ihre Lippen zitterten.

»Gang, mach', Creszenz, zieh dich hurtig an,« sagte die Mutter. »Herr Geometer, wollen Sie's heut Mittag mit uns halten? das thät mich recht freuen. Es ist eben ein gewöhnlich Essen: Sauerkraut, Knöpfle und ein Speck, es wird Ihnen aber doch schmecken, die Creszenz hat gekocht.« Ein schätterndes Kichern begleitete fast jedes ihrer Worte, [22] wobei sie sich immer ein Bischen an der Nasenspitze zupfte.

Mit aller Kraft seiner Rede, fast mit Zwang bestimmte Balthes den Geometer zur Einwilligung. Er nahm ihm den Hut ab und gab ihm solchen nicht mehr, denn er wußte wohl, daß, wenn der Geometer da war, es nicht nur bei Tisch ohne Zank abging, sondern auch wahrscheinlich eine Halbe Bier geholt würde. In der That wurde auch Cordele, die kleine Tochter, in den Adler geschickt und kam mit einer Flasche unter der Schürze zurück; denn auf dem Lande, wo Alles offenkundig ist und man den Leuten so zu sagen in den Mund guckt, sucht man auch Alles zu verbergen.

Creszenz trug schön geputzt aber mit verweinten Augen das Essen auf, sie klagte über den Rauch in der Küche. So war Alles Lüge bei Tische. Kaum hatte der Geometer halb aufgegessen, legte ihm die Mutter schnell wieder ein gutes Stück auf den Teller. Er dankte sehr für diese Freundlichkeit, denn er merkte nicht, daß die Frau, den verlangenden Augen ihres Mannes folgend, demselben schnell den ersehnten Bissen vor der Nase wegraubte; auch schenkte sie dem Geometer oft ein, weil sie mit Recht fürchtete, ihr Mann würde sonst nicht blöde zugreifen. Nur die Frau und der Geometer führten das Wort bei Tische. Als dieser von der Händelsüchtigkeit des Florian [23] er zählte, erröthete Creszenz, sie holte aber schnell den Katzenteller unter der Ofenbank vor.

Als abgegessen war, sagte Balthes: »Nun, Frau, mach' auch einen Kaffee.«

»Ich für meine Person muß danken,« sagte der Geometer.

Die Schneiderin nahm das gern an, denn sie gönnte ihrem Manne keinen Antheil an dem Leckerbissen; sie küchelte dann später einen für sich allein und bröselte etwas dazu.

Nach der Mittagskirche ging nun Creszenz mit dem Geometer spaziren; sie wußte es zu veranstalten, daß sie nicht durch das Dorf, sondern durch die Gärten gingen. Als sie gegen des Jörgli's Kegelbahn kamen, schreckte Creszenz plötzlich zusammen, denn sie sah Florian, wie er hemdärmelig mit dem Rücken nach dem Wege gekehrt dort stand. Sie hörte, wie er, ein Stück Geld auf den Boden werfend rief: »Es gilt sechs Batzen, ich treff' fünf.« Unter dem Vorwande, daß sie etwas vergessen habe, kehrte Creszenz schnell um, der Geometer folgte ihr kopfschüttelnd. Zu Hause überraschten sie die Mutter unangenehm beim Kaffee. Sie gingen nun durch das Dorf.

Florian begnügte sich für diesen Sonntag damit, Aufsehen im Dorfe zu erregen; das gelang ihm in vollem Maße. Alle Leute redeten nur von ihm, von [24] seiner schwarzen Sammtjacke mit den silbernen Knöpfen, von seiner roth- und schwarzgestreiften Freischützenweste und von allen Herrlichkeiten der Art, denn die Leute im Dorfe wie in der Stadt haben meistens nichts zu sprechen und sind froh, wenn sich ihnen ein Gegenstand darbietet.

Der alte Metzgerle, der Vater des Florian, sammelte den Ruhm seines Sohnes von Mund zu Mund und that das Seine, ihn noch zu steigern.

Er konnte immer noch als ein schöner Mann gelten, wie er daher schritt, groß mit geröthetem Antlitze und lustigen grauen Augen. Er ging hemdärmelig und hatte das Sacktuch in das Armloch der Weste gesteckt, was ihm etwas Eigenthümliches gab. So oft er nun Jemand begegnete, zog er seine Dose heraus und ließ eine Prise ächten Doppelmops nehmen, indem er stets dabei bemerkte: »Den hat mir mein Florian bracht, gelt es ist ein Staatskerle? So ist Keiner auf zwanzig Stund Wegs. Sein Meister thät ihm auch gleich seine einzige Tochter geben, der Heidenbub' mag aber nicht. Sein Meister löst mehr für Klauen, als drei Horber Metzger für Fleisch, er metzget alle Tage seine acht Kälber und auch zwei oder drei Ochsen. Was meinst?« setzte er dann gewöhnlich hinzu, indem er seine Blätschle's- 2 Kappe [25] dabei abnahm und wieder aufsetzte, »wie wär's, wenn ich nach Straßburg ging' und das Mädle heirathen thät? Wenn es einmal partu einen Großmann will, ist's eins, der jung' oder der alt', ich nehm's noch mit Jedem auf.«

Bei dem alten Schmiedjörgli, einem kinderlosen Greise von mehr als achtzig Jahren, der immer vor seinem Hause an der Straße saß und sich von den Leuten Alles erzählen ließ, hielt sich der alte Metzgerle besonders lange auf. Der alte Schmiedjörgli und die alte Maurita auf der Bruck, das waren die zwei Leute, durch die man etwas im ganzen Dorfe bekannt machen konnte. Der Schmiedjörgli erzählte Gutes und Schlimmes weiter, um Andere damit zu necken und um zu zeigen, daß er Alles wisse, die Maurita aber erzählte das Freudige, damit sich Andere mit freuen, und das Traurige, damit Andere mit trauern. Der Schmiedjörgli war der beste Abnehmer für die Prahlereien des Metzgerle.

So ging der Sonntag vorüber, und als Creszenz – es war schon längst Nacht geworden – mit dem Geometer heimkehrte, dankte sie Gott, daß die gefürchteten Händel nicht eingetroffen waren.

Fußnoten

1 Gestern Abend.

2 Ein rundes ledernes Käppchen, ohne Schild, wie ein Krautblatt geformt, daher Blätschle, so viel als Blättchen.

4. Wie Florian und Creszenz sich wieder sehen

4.
Wie Florian und Creszenz sich zum ersten- und zum andernmal wieder sehen.

Schon eine Stunde vor Tag stand Creszenz andern Morgens auf, fütterte ihr Vieh und verrichtete still die Hausarbeit. Sie blickte einmal schmerzlich auf, als sie inne ward, daß sie nicht mehr sang; sie ging hinaus in's Feld.

Mit einem Bündel Frühklee auf dem Kopfe kam Creszenz von der Halde herauf, sie sah herrlich aus, die geschmeidigen Formen ihres Körpers hoben sich straff hervor. Mit der rechten Hand hielt sie den Kleebündel, mit der linken den Rechen der, über die Schulter gelegt, auch als Stütze der Last diente. Sie ging still und ruhig; die rothen Blumen schauten in ihr rothes Antlitz. Nicht weit von des Jakoben Kreuz hörte sie plötzlich die Stimme Florians, der »Grüß Gott Creszenz« sagte; sie stand wie festgebannt.

»Komm'!« fuhr Florian fort, »ich will dir ablupfen.«

»Ich bitt' dich, Florian, ich darf mich jetzt da nicht aufhalten, da sehen uns alle Leut'. Guck, du siehst, ich kann mich jetzt nicht wehren, ich kann dir nicht davon spingen: aber wenn du nicht willst, daß [27] ich mein Lebtag kein Sterbenswörtle mehr mit dir red', so geh' jetzt fort. Heut Abend nach dem Nachtläuten komm' zu des Melchiors Lenorle, da will ich dir Alles sagen.«

»Gib mir nur auch eine Hand.«

Creszenz schlug den Arm über den Rechen und reichte die linke Hand, indem sie tief athmend sagte:

»B'hüt di Gott bis heut Abend.«

Jetzt erst im Weitergehen empfand Creszenz, wie schwer die Last auf ihrem Kopfe war; sie stöhnte im Weitergehen als ob sich der Mocklepeter am hellen Tage als erdrückender Geist an sie geklammert hätte. An dem Kreuze legte sie die Last auf die hohe Bank, die zum Auf- und Abladen schwerer Traglasten hier aufgerichtet ist.

Bei dem Sinnbilde des Glaubens steht dieser stumme Diener allzeit hülfreich bereit. Zu Füßen dessen, der die schwerste Last auf sich genommen – die Menschen frei und liebend zu machen – legen die Menschen eine Weile ihre Tagesbürde nieder, um dann ausgeruht weiter zu schreiten.

Creszenz blickte lange nach dem Crucifix, sie wußte aber nicht, daß sie es that, denn in ihr bebte nur die Furcht vor dem Florian, nach dem sie sich nicht umschauen wollte; endlich aber that sie es doch, und ihr Antlitz erheiterte sich sichtbar, als sie den flinken Burschen so durch das Feld dahinwandeln sah.

[28] Den ganzen Tag über war Creszenz ernst und wortkarg. Noch ehe es Nacht war, nahm sie ein Koller, um es, wie sie sagte, dem Walpurgle zum Waschen zu bringen; sie ging aber nicht zu dem Walpurgle, sondern zu dem Lenorle; dieses kam ihr entgegen und sagte:

»Geh' nur durch die Scheuer, hinten im Garten ist er.«

»Geh' mit,« bat Creszenz.

»Ich komm' schon, geh' nur derweil.«

Als Creszenz unhörbar durch die Scheune in den Garten trat, sah sie den Florian, wie er auf einem Blocke gebückt da faß und mit einem stiletartigen Messer etwas in das Holz grub; seine langen, schön gescheitelten braunen Haare hingen weit über seine Stirn.

»Florian, was treibst?« fragte Creszenz.

Der Angeredete warf das Messer weg, schüttelte sich die Haare zurecht und faßte Creszenz, küßte und herzte sie; sie widerstand nicht. Endlich aber sagte sie:

»Nun, jetzt ist genug; du bist halt grad noch wie du gewesen bist.«

»Ja, aber du nicht.«

»Kein Brösele anders. Gelt, du bosgest, weil ich mit dem Geometer geh'? Wir hätten uns ja doch nie heirathen können. In Dienst lassen mich meine [29] Leut' nicht, und bei ihnen bleiben mag ich auch nicht, bis ich graue Haar krieg'.«

»Wenn das so ist, wenn du den Geometer magst, hab' ich nichts mehr mit dir zu reden; das hättest du mir heut' Morgen sagen können. Ich weiß eine Zeit, da hätt' der König kommen können, dem das ganze Land gehört und der's nicht blos vermessen hilft, und du hättest gesagt: Groß Dank, mein Florian ist mir lieber, und wenn er nichts hat, als was er auf dem Leib trägt.«

»Ei, wie schwätzst du jetzt? was nutzt das? wir können uns ja nicht heirathen.«

»Ja, ja, da hört man's, das ist das erzig 1 roth' Schneiderle. Wenn ich dich nur mein Lebtag mit keinem Aug' mehr gesehen hätt', wenn ich nur all' beid' Füß brochen hätt', eh ich wieder heim kommen wär!«

»Ei, mach' jetzt keine so Sachen, gelt, du lugst mich doch auch als noch freundlich an und lachst ein bisle mit mir, wenn du mir verkommst?« 2

Mit einem Blicke voll heiterer Liebeslust sah Creszenz Florian an, sie lächelte, aber das Weinen stand ihr näher als das Lachen. Florian hob sein Messer auf, steckte es ein und wollte fortgehen; da faßte Creszenz seine Hand und sagte:

[30] »Trutz mir nicht, Florian, gang, mach', red' auch. Lug' ich hab' ja doch den Geometer noch nicht geheirathet, aber laufen lassen kann ich ihn jetzt nicht; meine Leut' thäten mich im Schlaf erwürgen, wenn ich von ihm ließ'. Es dauert aber noch wenigstens zwei, drei Jahr', bis was draus wird, wer weiß wie's noch geht, kann sein ich sterb' vorher – das wär' mir das Liebst'.«

Die Stimme der Creszenz stockte.

Plötzlich erwachte in Florian ein ganz anderes Leben, die unerklärbare Schlaffheit verschwand; er stand da wie neu erwacht, und freudetrunken blickten sich die Beiden an.

»Lug,« sagte er, »wie ich da gesessen bin und auf dich gewartet hab', ist mir's grad gewesen, wie wenn mir einer alle Glieder zerschlagen hätt'. Ich hab' so darüber nachdenkt, wie elend wir daran sind, und einmal über's andere ist mir's gewesen, wie wenn ich mir mein Messer in's Herz stoßen müßt. Wenn mir Einer unter die Hand kommen wär', ich weiß nicht – und fort mag ich auch nicht, und hier bleiben muß ich, und dich muß ich haben.«

»Ja, das wär' schon recht, wir können doch aber nicht auf den alten Kaiser 'nein leben; ich wüßt' wohl Einen, der uns helfen könnt', er müßt' es mir thun.«

»Red' mir nichts von ihm, er darf dich nichts [31] angehen, ich will's nicht, und er geht dich nichts an; du bist deines Vaters Kind und wer anders sagt, den stech' ich wie ein achttägig Kalb. Guck, mein Vater hat mich schon halb ausgebeutelt, ich hab' aber wohl noch ein Geld; ich bleib' jetzt vor der Hand hier und arbeit' auf meines Vaters Meisterrecht. Ich will einmal denen Nordstettern zeigen, was der Florian kann, sie sollen Respekt vor mir haben.«

»Du bist ein Schöner,« sagte Creszenz, »hast mir denn gar nichts mitbracht?«

»Ja doch, da.«

Florian langte in die Tasche und gab Creszenz einen breiten silbernen Ring und ein gemaltes stammendes Herz, darin ein Spruch stand.

Nach dem ersten Jubel des Entzückens wollte Creszenz den Reim lesen, Florian aber sagte: »das kannst du, wenn ich auch nicht dabei bin, jetzt wollen wir schwätzen.«

»Ja, erzähl' mir einmal. Ist es wahr, hast du Bekanntschaft mit deines Meisters Tochter in Straßburg?«

»Kein Gedanke, ich thät ja sonst nicht hier bleiben, und hier bleib' ich. Alle Nordstetter müssen sagen: der Florian ist ein Kerle, wie's Keinen mehr gibt.«

Noch lange blieben die Beiden zusammen. Als Creszenz wieder nach Hause kam, traf sie den [32] Geometer und mußte freundlich und liebreich gegen ihn sein. Mit schwerem Herzen las sie noch spät in ihrem Kämmerlein den Spruch auf den: gemalten Herzen:


Besser Stein zur Mauer graben,

Als lieben und doch nicht haben.


Weinend legte sie das Blättchen in ihr Gesangbuch.

Da haben wir nun eines jener Verhältnisse, wie sie zu Tausenden in Stadt und Land sich finden, vielleicht nicht so grell, die Farben sind mehr in einander vertuscht. Creszenz hatte den Florian gern und wollte doch die Versorgung durch den Geometer nicht drangeben; dort hielt sie die Liebe, hier der Verstand. Es müßte sonderbar zugehen, wenn daraus nicht schweres Unglück entstünde.

Fußnoten

1 Erzig, so viel als ursprünglich, durchaus gleich damit.

2 Verkommen, so viel als begegnen.

5. Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß

5.
Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß.

Florian blieb nun im Dorfe und schlachtete, von dem Meisterrechte seines Vaters Gebrauch machend, ein Rind und bald wieder eines. So gut es auch in der ersten Zeit zu gehen schien, so hatte doch die Herrlichkeit bald ein Ende. Der alte Metzgerle ging mit dem liegen gebliebenen Fleische hausiren, er [33] verthat aber oft nicht nur den Profit, sondern auch das Kapital. Die Concurrenz der bereits ansäßigen jüdischen Metzger war trotz der Geschicklichkeit Florians nicht zu besiegen, denn die Juden verkaufen das Fleisch von den Hintertheilen billiger, da sie nach einer Anordnung der Bibel nur das Fleisch der Vordertheile essen dürfen.

Ueberhaupt aber ist es auf dem Dorfe fast nicht möglich, von einem Handwerke allein ohne Ackerbau zu leben. Zum Ackerbau hatte Florian keine Gelegenheit und noch viel weniger Lust. Er schlachtete nun eine Zeit lang in Gemeinschaft mit einem jüdischen Metzger, aber auch dieß hörte bald auf.

Nun half Florian den Straßburger Metzgern Ochsen einkaufen. Er verdiente dabei manch schön Stück Geld und machte auch seinen Vater zu einen: ganz glückseligen Menschen. Der alte Metzgerle konnte wieder Ochsen ausgreifen und schätzen wie in alten Zeiten, er verjüngte sich wieder. Florian war einer der ersten Burschen im Dorfe.

Ungeschickterweise verdarb er es aber mit dem Schultheißen. Dieser ließ, als die fremden Händler da waren, den Florian zu sich kommen und wollte seine Ochsen verkaufen. »Sie wiegen gut vierzehn Centner,« betheuerte der Schultheiß. »Was sie mehr als eilf wiegen, will ich roh fressen,« erwiderte Florian, und das war dumm; denn von [34] diesem Augenblick an war ihm der Schultheiß spinnefeind.

Deß kümmerte sich aber Florian wenig, er spielte jeden Sonntag den Baron, kegelte immer am höchsten, und ließ wie man sagt, das Garn auf den Boden laufen.

Es ist ein eigen Ding um die Fremdenehre, sie ist gar bald aufgezehrt. Ein Ansehen, das man sich errungen hat, weil man eine ungewöhnliche Erscheinung war, hört auf, sobald die Leute an die Erscheinung gewöhnt sind; sagt man ja, wenn der Regenbogen lang stünde, würde man sich nicht mehr nach ihm umsehen.

So erregte auch Florian kein Aufsehen im Dorfe mehr. Erst ein unerwartetes Ereigniß zog wieder die Blicks Aller auf ihn.

Eines Abends stand er mit seinen Kameraden nicht weit vom Adler, der Schultheiß saß mit dem Geometer auf der Bank vor dem Hause. Florian bemerkte, wie sie nach ihm hinschielten, wie der Schultheiß mehrmals mit der Hand über die Oberlippe fuhr, der Geometer unbändig lachte und dabei das Wort Samson aussprach. Florian wußte nicht, was das zu bedeuten habe, es sollte ihm aber bald klar werden.

Andern Tages wurde er vor den Schultheiß geladen, von dem wir uns erinnern, daß er einst [35] Unterofficier gewesen war; er befahl nun dem Florian, ohne Widerrede seinen »Schnurrwichs« herunter zu machen, da er nie Soldat gewesen und es nur den Soldaten erlaubt sei, Schnurrbärte zu tragen. Florian lachte den Schultheiß aus, worauf dieser gewaltig schimpfte, es kam zur Gegenrede, für die Florian in das Gefängniß wandern mußte.

Es ist ein gefährlich Ding, einen Menschen, der eigentlich unschuldig ist, in's Gefängniß zu sperren; das stumpft sein Gefühl und seine Scheu ab für Zeiten, wo er vielleicht schuldig ist.

Als Florian herauskam, mußte er dem gestrengen Befehle Folge leisten. Mit einer Wehmuth ohne Gleichen stand er vor dem Spiegel und preßte seine der Haarzier beraubten Lippen zusammen, seine Zähne knarrten und ein harter Schwur setzte sich in seiner Seele fest.

Im ganzen Dorfe sprach man von nichts, als von dem abgemähten Schnurrbarte Florians, und jetzt, seitdem er nicht mehr war, lobte ein Jeglicher dessen Vorzüge.

Dem Florian war es, als ob seine Haut geschält wäre und als er durch das Dorf ging, beredete ihn ein Jeder über sein verändertes Aussehen.

So weit war es aber schon mit Florian, daß er sich sogar über dieses Aufsehen freute. Wenn nur [36] die Leute etwas Besonderes an ihm zu bemerken hatten, das war ihm schon genug.

Vor dem Hause der Creszenz ließ er sich am Tage nicht sehen, und als er Abends mit ihr zusammenkam und sie ihn auslachte, schwur er, daß der Geometer ihm jedes Haar bezahlen solle. Creszenz suchte ihn zu begütigen, er schwieg.

Wenige Tage darauf wurde der Geometer auf dem Heimwege von Horb des Nachts von drei Burschen überfallen. Sie schleppten ihn in den Wald und mit dem Rufe: »Auf ihn, er ist von Ulm,« prügelten sie ihn so durch, daß er kaum mehr heimgehen konnte. Einer rief ihm zum Schlusse zu: »dießmal war's glimpflich, wenn du binnen acht Tagen nicht aus dem Dorf bist, wird dir das Nachtessen noch einmal gewärmt.« Der Geometer glaubte die Stimme Florians zu erkennen. Er suchte nun eine Klage anhängig zu machen, aber die Wahlbewegungen im Dorfe ließen diese zu keinem richtigen Fortgange kommen.

Es wurde ein neuer Schultheiß gewählt, die Bartscheerung Florians war die letzte Amtshandlung des unteroffizierlichen Schultheißen. Der Buchmaier, der die Leute ungeschoren ließ, und unter dessen Regierung auch der Schnurrbart Florians wieder zu erneuter Herrlichkeit aufwachsen durfte, wurde fast einstimmig »gekurt.«

[37] Der Geometer verließ mit seinen Kameraden das Dorf und siedelte sich in Mühl an, der rothe Schneiderle und der Adlerwirth boten Alles gegen diese Auswanderung auf, aber vergebens.

Mit Florian war indessen auch eine große Veränderung vorgegangen. Er schien sich mit den Straßburgern überworfen zu haben, denn er war nicht mehr ihr Unterhändler. Auch der alte Metzgerle blieb fast immer zu Hause, er hatte eine neue Erwerbsquelle gefunden, die reichlich floß. Auf seinen Reisen als Ochsentreiber hatte er mit den Schmugglern im Badischen Bekanntschaft gemacht; denn Baden gehörte damals noch nicht zum Zollvereine. Er verkaufte nun die eingeschmuggelten Sachen, besonders Zucker und Kaffee, und stand sich gut dabei. Der rothe Schneiderle sah seinen Kramladen durch den geheimen Zwischenhandel vernichtet, und doch war ihrer Kinder wegen Feindschaft und Continentalsperre zwischen ihm und dem Metzgerle. Die Frau aber fand einen glücklichen Ausweg: das Haus der Leichkäther ward der neutrale Boden, auf dem man unterhandelte. Die Leichkäther mußte die fremden Waaren von dem Feinde für sie aufkaufen.

So war auch zwischen den Großmächten ein geheimes Spiel angezettelt.

Fast jeden Sonntag wurde Creszenz durch arge Mißhandlungen gezwungen, ihrem Vater zu folgen[38] und in Mühl oder halbwegs, in Egelsthal, mit dem Geometer zusammen zu kommen. Sie war dann wider ihren Willen munter und lustig, und wenn sie lange genug geheuchelt hatte, wurde sie beim Weine wirklich aufgeheitert, so daß der Geometer glaubte, sie hänge noch immer an ihm.

Abends aber ging sie immer wieder heimlich mit dem Florian, und wenn sie nach Hause kam, warteten ihrer neue Mißhandlungen.

So lebte Creszenz ein qualvolles Leben, dessen innern Widerspruch sie aber zu ihrem Glücke nicht erkannte; sie hatte ihr Lebenlang nichts als Unwahrheit und Halbheit vor sich gesehen.

6. Florian in Floribus

6.
Florian in Floribus.

Florian suchte im Ort etwas zu verdienen, es gelang ihm aber selten. Er wollte nämlich bloß auf seinem Handwerke oder sonst in einem angesehenen Geschäft arbeiten, die Feldarbeit hielt er unter seiner Würde; lieber wäre er Hungers gestorben, ehe er, wie andere vermögenslose Menschen, Steine auf der Straße geschlagen hätte.

Florian wollte nur das thun, was er gerne that, und das können doch die wenigsten Menschen durchführen.

[39] Es ergab sich indeß bald eine Gelegenheit, wobei Florian Geld und nach seiner Art hohe Ehre gewann.

Der Hammeltanz war nahe, große Vorbereitungen wurden dafür getroffen. Der Adlerwirth hatte sich mit Florian und seinen Kameraden wieder ausgesöhnt, denn als Wirth war er Diplomat genug, um den einmal erlittenen Verlust durch den Auszug der Geometer nicht noch durch Ortsfeindschaft zu verdoppeln.

Florian schlachtete nun für Kaspar ein Rind und ein Schwein; letzteres auf der Straße, so daß alle Leute bei ihn: stehen blieben und dem stinken Burschen zusahen, der in seiner Handwerksthätigkeit allerdings ganz herrlich anzuschauen war. Die Muskeln an seinen bloßen Armen waren so straff und schön, daß man sagen konnte, die Herrschaft über das Leben der Thiere strotzte darin. Er wetzte das Messer mit drei Strichen auf dem Stahl so scharf, daß er ein flatterndes Haar damit durchschneiden konnte. Besonders aber als es an das Würstehäckeln ging, stand immer ein großer Kreis von Gaffern um ihn her. Florian häckelte mit zwei Beilen, die er so leicht handhabte wie ein Trommler seine Schlägel; auch pfiff er dabei die schönsten Ländler und schlug den Takt dazu. Manchmal machte er sich noch einen besonderen Spaß. Er warf eines der Beile hoch in [40] die Luft, häckelte mit dem andern ununterbrochen fort, schnalzte mit der leeren Hand, fing das Beil am Stiele wieder auf und häckelte dann im Takte weiter. Alles schlug die Hände vor Verwunderung zusammen.

Der alte Metzgerle sammelte sich den Ruhm seines Sohnes als Nachtisch zu dem Kesselfleisch, das er genossen; bei dem Schmiedjörgli hielt er sich wieder besonders lang auf: »Ich bin doch ein geschlagener Mann,« sagte dieser, »daß meine Unterthanen mir nicht mehr folgen, da muß ich jetzt hocken und muß sehen, wie Alles zu dem Florian hinaufrennt und ihm zuguckt. Ich gäb' einen Dreibätzner drum, wenn er da neben mir schlachten thät.«

»Ja,« ergänzte der alte Metzgerle und rieb sich die Hände, »der Hofmetzger in Stuttgart kann's nicht wie mein Florian. Er hat einmal in Straßburg mit seinen Kameraden gewettet, er woll' vier Kälber und zwei Säu ganz herrichten ohne das kleinste Mösle 1 an seine Kleider zu bringen – und richtig, er hat's fertig bracht, und sein Schurz und sein Hemd waren noch grad wie der gefallene Schnee.«

Florian hatte nun bei allen Leuten so viel zu thun, daß er Tag und Nacht nicht zur Ruhe kam und am Sonntag des Hammeltanzes die Morgenkirche verschlief.

[41] Creszenz hatte dem Geometer eine Zusammenkunft in Egelsthal versprochen, es gelang aber Florian leicht, sie davon abwendig zu machen.

Nach der Mittagskirche war Jubel im ganzen Dorfe. Auf dem Schloßhofe waren Pfähle in einem Kreise aufgesteckt, um die ein Seil gebunden war. In der Mitte des Kreises stand ein schöner Hammel mit einem rothen Bande geziert, auf dem Tische daneben stand eine blinkende zinnerne Schüssel. Die Musik ging voraus; ein jeder der Burschen, sein Mädchen an der Hand, hinterdrein.

An dem Schloßthor war eine Schlaguhr angebracht, und zwar so, daß man sie nicht sehen konnte. Punkt zwei begann der »Freitanz.« Die Musik spielte einen Marsch, die Paare gingen in strenger Ordnung rings um das Seil. Ein alterthümlicher Säbel war in einen Pfosten gehackt, einer der Burschen nach dem andern zog ihn heraus und hackte ihn den nächstfolgenden Pfosten. Als Florian mit Creszenz an den Säbel gelangte, stellte er die Waffe aufrecht auf seine unteren Zähne und schritt so lange ohne zu wanken bis zur nächsten Station. Ein allgemeines »Gucket au!« lohnte diese Keckheit. Die Leichkäther prophezeite, daß Florian den Hammel gewinne. So wandelte nun Alles im Kreise, jubelnd und lachend. Als Florian den Säbel wieder in der Hand hielt, schlug es plötzlich drei. Ein allgemeines [42] »Hoch!« erscholl. Das Seil wurde eingerissen und dem Florian der Hammel, das Band und die Schlüssel gebracht. Die Mädchen kamen herbei, glückwünschten der Creszenz und flochten ihr das neue Band in das Haar. »Jetzt ist es g'wiß, ihr krieget euch dieß Jahr,« sagte des Melchiors Lenorle. Creszenz aber sah ihren Vater, der mit geballter Faust vor ihr stand; sie weinte.

Mit Musik zog man nun in das Wirthshaus, Florian begann mit Creszenz den ersten Tanz.

Der Buchmaier hatte als Schultheiß eine alte Sitte wieder erneuert. Er beorderte weder den Schützen noch einen Landjäger als Ordnungshalter zum Tanze. Am Vorabende hatte er alle Burschen, die das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatten, zusammenkommen und sie zwei sogenannte »Tanzburschen« wählen lassen. Constantin und des Zimmermann Valentins Xaver erhielten die meisten »Kuren,« 2 der dritte sollte der sein, der den Hammel gewänne; der Schultheiß hatte sich nur vorbehalten, falls einer der Gewählten der Glückliche wäre, noch einen aus eigener Machtvollkommenheit zu ernennen. Nun war Florian der dritte Tanzbursche, der, wie die anderen, ein weißes Band um den linken Arm erhielt. Die Drei mußten für die Aufrechthaltung der Ordnung bürgen, jede Störung fiel ihnen zur Last; es kam aber keine [43] vor, denn die Leute lassen sich am liebsten von denen aus ihrer Mitte regieren.

Creszenz war ganz glückselig, sie vergaß den Geometer vollends. So schön als Florian konnte Keiner tanzen, selbst der Jörgli nicht; er schlug immer im Takte die Füße zusammen, so daß Aller Blicke auf seine schöngewichsten Stöckelstiefel gerichtet waren. Dann rief er manchmal mitten aus dem Tanze heraus: Hellauf! Sein ganzes Wesen hob und bewegte sich nach dem Tone der Musik; er war ein ganzer Tänzer. Er wollte keine Minute ruhen, und als die Musik eine Weile aushielt, trat er zu dem Klarinettisten und sagte: »Laß' dein dürr Holz rappeln,« worauf der Musikant erwiderte: »Laß was einschenken, daß es quillt.« Florian warf einen Sechsbätzner auf den Tisch.

Spät in der Nacht wurde der »Balbiererstanz« ausgeführt, bei dem Florian in seinem vollen Glanze er schien. Es wurde nämlich ein Mensch hereingebracht, der schneeweiß aussah, vorn und hinten einen Höcker hatte und überall mit weißen Tüchern verbunden war; man konnte den Studentle gar nicht mehr erkennen. Die Musik spielte die Weise zu dem Lied:


Hol' mir den Balbierersknecht,

's ist mir jo gar et reacht.


Ein Stuhl wurde in die Mitte des Saales [44] gestellt und der Kranke darauf gesetzt. Der ersehnte Arzt kam herbei, um und um mit Messern behangen, eine große Klammerbrille auf der Nase und eine Perrücke von Werg auf dem Kopfe. Ein schallendes Gelächter begrüßte den Eintretenden, es war Florian.

Mit possirlichen Sprüngen tanzte er um den Kranken herum, fühlte ihm den Puls, öffnete den Verband am Arme, ließ zur Ader und steckte endlich ein Messer in den Höcker und ließ es darin. Der Kranke fiel todt zu Boden, die Musik ertönte in dumpfen Klagen. Der Arzt sprang verzweifelnd in der Stube umher, raufte sich ganze Ballen seiner Perrücke aus und warf sie den Leuten ins Gesicht; die Musik verstummte. Endlich, die Hand an die Stirne legend, besann sich der Gequälte und rief: »Musik!« Wiederum Klagetöne. Er kniete zu dem Kranken nieder, riß ihm den Mund auf und zog unaufhörlich weiße Bändel heraus; aber immer noch lag der Kranke leblos. Jetzt nahm der Arzt ein großes Schoppenglas, füllte es bis an den Rand mit Wein, stellte es auf seine Stirne und legte sich nach dem Takte der Musik neben den Kranken rücklings auf den Boden. Alles hielt den Athem an ob dieses schweren Kunststückes, aber es gelang. Nun wurde dem Patienten das volle Glas bis auf die Neige eingegossen, er schlug um sich, warf die Vermummung ab, Florian that desgleichen, die Musik [45] spielte wieder einen Hopser, des alten Schultheißen Bäbele kam herbeigesprungen und tanzte mit Constantin, Creszenz mit Florian; Alles war wieder munter und wohlauf.

Man hatte mitten in der Lust mit dem Uebel und der Trauer gespielt, in erneutem Freudejauchzen lebte man wieder auf.

Als man sich eine Weile zu Tische setzte, trank und sang, gab Florian ein neues Lied zum Besten, das er aus der Fremde mitgebracht hatte; es lautete:


Zu Straßburg auf der Schanze,

Hatte mich ein Mädchen lieb,

Es bracht' mir alle Morgen

Einen Kaffee und einen Brief.


Den Brief hab' ich erhalten,

Den Kaffee aber nicht,

Darinnen stand geschrieben:

Der Winter ist vor der Thür.


Der Winter und der ist kommen,

Die Meister werden stolz,

Sie sprechen zu den Gesellen:

Geh' 'naus und spalt mir's Holz.


Spalt es mir nicht zu grobe,

Spalt es mir nicht zu rein,

So kannst du diesen Winter

Mein treu' Geselle sein.


[46]

Der Winter und der ist ume,

Die Gesellen werden's frisch,

Sie nehmen Stock und Degen

Und treten vor Meisters Tisch.


»Ach Meister, wir wollen's rechnen,

Es ist die schönste Zeit,

Du hast uns diesen Winter,

Mit Sauerkraut gespeist.«


»Ist dir das Brod zu schwarze,

Ich laß es backen weiß,

Ist dir dein Bett zu harte –«


Hier kamen Verse, über die leider weder Creszenz noch sonst eines der Mädchen erröthete, vielmehr jubelte Alles von Neuem.

Wer mag nun zweifeln, daß Florian der erste Bursch' im Dorfe war?

Als aber Creszenz nach Hause kam, mußte sie schwer dafür büßen, daß sie heute die erste Rolle gespielt hatte; die Mutter war krank und der Vater besaß nun alle Macht im Hause. Creszenz duldete ohne Murren, sie wußte jetzt sicher, daß sie mit Florian vereinigt würde; hatten sie ja gemeinsam den Preis gewonnen.

Fußnoten

1 Mos, so viel als Flecken.

2 Kuren, so viel als Wahlstimmen, noch immer gebräuchlich.

7. Es geht scharf bergab

7.
Es geht scharf bergab.

Als die Zeit der Lustbarkeiten vorüber war, hatte auch die Herrlichkeit des Florian ein Ende, er wurde in die Ecke gestellt wie eine gebrauchte Baßgeige; Alles ging wieder ruhig an sein Geschäft und sah sich wenig mehr nach den Spaßmachern um. Nur Florian hatte kein rechtes Geschäft und wollte auch keines haben, er lotterte in den Wirthshäusern umher und war auch da bald unwerth.

Auf dem Lande, wo Jedes die häuslichen Verhältnisse des Andern kennt, ist es nicht leicht, eine große Rolle zu spielen, wenn man es nicht aufzuwenden hat. Baden war jetzt dem Zollvereine beigetreten und so war auch zu Hause Schmalhans Koch. Bei alle dem ging aber Florian noch immer aufrechten Ganges, stolz und schön geputzt, wie in seinen besten Tagen. Nie ging er unsauber einher, und selbst als seine Stiefel fast keine Sohlen mehr hatten, waren sie doch noch immer schön gewichst.

»Man sieht einem auf den Leib aber nicht in den Magen,« war fein Wahlspruch, und oft sang er das Lied:


Jetzt hab' ich noch drei Kreuzer,

Ist all' mein baares Geld,

[48]

Dafür laß ich mir waschen,

Meine Hosen und Gamaschen,

Kauf mir Wichs' dazu,

Kauf mir Wichs' dazu,

Für mein' Stiefel und Schuh.


Die Uhr mit dem silbernen Behäng hatte Florian nur noch am Sonntag, das hatte er sich ausbedungen, als er sie bei der alten Gudel versetzte.

Der Horber Markt kam, und nun gab es wieder ein Fest für das halbe Dorf.

Der alte Metzgerle stand schon seit dem frühen Morgen an des Jakoben Brunnen, alle Bauern, die ihre Ochsen zu Markt trieben, ließen sie von ihm schätzen, und mit großem Wohlbehagen verrichtete er dieß Geschäft; es war ihm wieder als könne er das Alles kaufen, auch hoffte er, es würde ihn ein Bauer mitgehen heißen, aber Keiner that es. Der arme Mann hatte heute schon so viel gesundes Fleisch unter Händen gehabt, aber seit vierzehn Tagen keinen Bissen Fleisch über den Mund gebracht. Als nun alle seine Mühe vergebens war, wischte er sich seufzend den Schweiß von der Stirn, ging nach Haus, nahm seinen alten Knotenstock und ging auf gut Glück zu Markte, um dort als Unterhändler ein paar Kreuzer zu verdienen.

Florian lief im Dorfe umher und war ganz außer sich, er begegnete der Creszenz, die mit ihrem [49] Vater ebenfalls zu Markte ging, aber er lief schnell an ihnen vorüber; er hatte keinen Heller Geld in der Tasche. Wo er einen Bnrschen sah, gedachte er ihn um ein Darlehn anzusprechen, aber bald sagte er sich wieder: »der gibt mir doch nichts und der hat selber nicht viel, und dann hast du nichts als die Schand'.« So ließ er einen nach dem Andern von seinen Bekannten an sich vorüber gehen. Er dachte: »ei du brauchst ja nicht zu Markte zu gehen, du hast ja nichts dort verloren; es gehen ja noch viel Leut' nicht. Ja, aber die wollen nicht, und ich kann nicht.« Nun ward es ihm, als verliere er eine unersetzliche Freude, wenn er zu Hause bliebe; es ward ihm, als müßte er gehen, als stünde Alles dabei auf dem Spiel. Mit glühenden Wangen und forschenden Blickes ging er durch das Dorf, immer im Selbstgespräch: »Da wohnt der Schmied Jakob, dem hast du's beim Hammeltanz oft zugebracht, ja, aber er gibt dir doch nichts. Dort wohnt der Schreiner Koch, er war auch in der Fremd', zu dem gehst du; es ist eigentlich zum erstenmal, daß du so vertraut mit ihm bist, aber du mußt es doch thun.«

Der Schreiner Koch band eben ein Rind von der Krippe los, über Geldmangel klagend, Florian schwieg mit seinem Verlangen. Der Studentle war nicht mehr zu Hause; Florian war schnell entschlossen, er ging zum Adlerwirth, sagte: der Studentle schicke [50] ihn, er solle demselben sechs Kronenthaler leihen; Florian wollte nicht um ein Bagatell bitten. Der Adlerwirth erwiderte: »Ich borg' nichts, das macht die beste Freund' zu Feind'.« »Du hast recht, ich hab's auch gesagt,« erwiderte Florian grimmig lachend und ging davon.

Mit einem schrecklichen Gefühle der Verlassenheit wandelte er umher und dachte: »Wenn man kein Geld hat, ist man doch auch daheim nicht recht daheim.« Schweißtriefend lief er durch alle Gassen, es war ihm, als ob jede Minute, die er versäume. Unwiederbringliches an ihm vorübergehen lasse. Er gedachte nun, wie die großen Herren, Geld von einem Juden zu leihen; auch ihn störten ihre Blicke nicht bei seinen Verschwendungen oder Großthuereien. »Judenschulden sind kein' Schand',« sagte er sich und sprach des Mendle's Meierle, das mit einer vollen Geldgurte zu Markte ging, offen um ein Darleihen von einigen Karolin auf hohe Zinsen an; er erhielt eine abschlägige Antwort.

Endlich kam er auf den gescheidten Gedanken, nur geradeswegs nach Horb zu gehen und dort zu thun als ob er sein Geld vergessen oder verloren habe; er ärgerte sich jetzt, daß er den Gedanken nicht früher gehabt und ging fürbaß. Als er an dem Hause des Schmiedjörgli vorüberging, saß dieser wie gewohnt auf der Bank; er war heute besonders gut [51] aufgelegt, da er durch die Marktgänger Unterhaltung in Fülle hatte.

»Wohin so schnell, Florian? Du siehst ja aus, wie wenn dir die ganz' Welt feil wär!«

Florian stutzte und blieb stehen. Er vergaß, daß es eine besondere Freude des Schmiedjörgli war, Leute, die eine schwere Last, einen Sack voll Korn oder einen Kleebündel trugen, eine Weile durch Fragen zu stellen; Manche gingen in die Falle und der Alte freute sich dann doppelt, daß er so los und ledig dasaß, während die Anderen keuchten. Auch wenn Jemand eine schwere Schmerzenslast im Herzen trug, suchte ihn der Schmiedjörgli bei sich aufzuhalten; das war ja die beste Zeit, um etwas zu erfahren. Florian dachte an alles Das nicht mehr, denn er fragte:

»Wie könnet Ihr denn das wissen?«

»Man sieht's dem Strumpf an, wenn das Bein ab ist. Ich weiß wohl, gelt, grad ist die Creszenz mit ihrer Mutter Mann da vorbei, er bringt sie auch zu Markt.«

»Ich hab' kein' Sorgen.«

»Ich weiß wohl, man sagt, du seist tüchtig mit ihr verbandelt.«

Florian schmunzelte und ging weiter, es war ihm lieb, daß man das Rechte nicht ahnte.

An der Hohlgass' sah Florian den Schlunkel, [52] den »verwogenen« Kerl, der schon zweimal im Zuchthause gewesen war, am Raine sitzen und Geld zählen, sonst hätte er sich nicht herabgelassen diesen Menschen nur zu grüßen, jetzt sagte er zuerst halb spaßhaft: »soll ich dir helfen zählen?« Der Angeredete sah auf und antwortete nicht.

Florian setzte sich zu ihm und bat ihn endlich um einen Gulden. Der Schlunkel grinzte ihn an, schnürte seinen Lederbeutel fest zu, fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Mund und pfiff dabei; Florian aber hielt seinen Arm krampfhaft fest.

»Du wirst doch mir das Geld nicht nehmen wollen?« fragte Schlunkel, »zu was brauchst denn so viel Geld?«

»Ich muß mir was kaufen.«

»Meinetwegen, komm, ich geh' mit nach Horb.«

Florian zitterte, lieber wäre er in die Hölle gegangen, als am helllichten Tag mit dem Schlunkel nur zehn Schritte; er sagte daher:

»Gib mir nur einen Sechsbätzner, in einer Stund treff' ich dich im Ritter, da hast's wieder.«

Der Schlunkel gab das Geld und Florian jagte wie der Blitz davon. Unterwegs aber langte er nochmals in seine Tasche, er wußte gar wohl, wie viel er darin hatte, aber er wollte sich dessen nochmals vergewissern. Er drückte die vier Sechser einen, nach dem andern durch die Finger, als wollte er mit [53] aller Gewalt aus jedem noch einen zweiten herausdrücken.

Pfeifend ging dann Florian über den Viehmarkt hinweg nach dem Krämermarkt in der obern Stadt.

8. Florian verspielt sich und gewinnt die Crescenz

8.
Florian verspielt sich und gewinnt die Crescenz.

Plötzlich blieb Florian stehen, ein Tisch mit Würfeln stand vor ihm, er ging vorbei und betrachtete sich die Pfeifen an der nächsten Bude; bald aber kehrte er wieder um und stellte sich an den Tisch, mit dem Vorsatze, nur den Anderen zuzusehen, wie sie spielten. Einer war besonders glücklich auf Nro. 8. Florian langte in die Tasche und setzte auf die gleiche Nummer drei Kreuzer, er verlor. Schnell setzte er abermals, er verlor wieder. Er kneifte sich auf die Lippen, daß ihm das Blut in den Mund rann: schnell aber sah er sich lächelnd um, damit Niemand es merke. Er setzte abermals und verlor bis auf sechs Kreuzer. Er spürte es in den Knieen wie alle Kraft daraus wich, seine Eingeweide kochten; mit zitternder, fieberheißer Hand warf er seinen letzten Sechser hin und schaute nach der andern Seite, er gewann sein ganzes Geld wieder. Schnell raffte er es ein und dachte innerlich: »so jetzt hast du mich gesehen, hab' ich doch mein Sach' wieder;« dennoch [54] blieb er stehen, es war, als ob er festgebannt wäre, auch wollte er den Schein vermeiden, so schnell mit seinem Wiedererworbenen davon zu gehen.

Wiederum dachte er: »Ich muß doch dem Schlunkel das Geld wieder geben und woher nehmen? Einen Sechser will ich wagen, das andere Geld thu' ich in die recht' Tasch', da herein greif' ich gar nicht.«

Er setzte, und nach einer Weile griff er doch in die rechte Tasche und wankte endlich ganz ausgebeutelt vom Tische fort.

Mit einer Wehmuth und Selbstanklage ohne Gleichen lief er nun auf dem Markt umher; da waren tausenderlei Sachen ausgestellt, die für Geld zu haben waren, er aber konnte nach keiner seine Hand ausstrecken.

Ein furchtbarer Fluch gegen die Welt trat zuerst über seine Lippen, er wünschte sich, daß er Alles zu unterst zu oberst kehren könnte.

Wenn man so darüber nachdenkt, möchte man fragen: ei warum wettert und flucht denn so ein Mensch wie der Florian? Die Welt hat ihm nichts gethan, er ist selber schuld an seinem Unglück.

Aber die meisten Menschen denken eben nichts, sowohl die Leichtfertigen, welche Handschuhe anhaben, als die, welche keine anhaben; wenn's ihnen schlecht geht, sind sie eben grimmig.

Nur ein Trost blieb Florian: er gelobte sich, in seinem Leben keinen Würfel mehr anzurühren.

[55] »Freilich,« sagt er sich wieder, »du hast jetzt gut schwören; wenn die Kuh draußen ist, macht man den Stall zu.« Dennoch fand er einen Trost in diesem Vorsatze.

Da begegnete ihm sein Vater, er sah fröhlich aus; Florian eilte auf ihn zu und sagte: »Vater, habt ihr kein Geld?«

»Ich hab' da drei Sechsbätzner bei einem Ochsenhandel verdient, guck.«

»Gebt mir zwei davon.«

Noch ehe der alte Metzgerle ja oder nein sagen konnte, war Florian mit dem Gelde im Gedränge verschwunden.

Wohlgemuth ging er nun zwischen den Buden einher, er war von dem sichern Bewußtsein des Besitzes getragen und plauderte bald mit diesem, bald mit jenem. Die Spieltische würdigte er kaum mehr eines Blickes.

Bald aber dachte er wieder: »du hast dein' Sach' blitzdumm angefangen, bist 'rumtappt von einer Nummer auf die andere; da hat's nicht fehlen können, du hast dein Geld verlieren müssen. Soll ich's denn dem Krattenmachergesindel lassen? Ja, du hast ja geschworen, keinen Würfel mehr anzurühren. Ich halt meinen Schwur, ich geh' dort an den Tisch, wo der Spielhalter den Würfel durch die Schlang' rollen läßt, da rühr' ich's nicht an.«

[56] Er ging abermals an einen Tisch und spielte zuerst wie die Andern um Kreuzer. Er spielte erst überlegt und wich nicht von seinem Plane, behielt die Nummern im Auge, die oft herausgekommen waren und setzte auf die anderen. So spielte er eine Weile, ohne etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Nun ward ihm dieß langweilig, er setzte höher und auf mehrere Nummern und gewann; er winkte noch andere Bekannte herbei, sie sollten mitthun.

Bald aber wendete sich das Glück und Florian verlor. Jetzt taumelte er auf dem Brette umher, fuhr unschlüssig mit dem Gelde über alle Zahlen und setzte endlich, rückte aber noch ehe der Wurf geschah, oft wieder weg. Wenn es sich dann ereignete, daß gerade die verlassene Nummer gewann, lachte er laut auf. Das Glück ward ihm immer ungünstiger; er blieb nun wieder wie von Anfang auf bestimmten Nummern. Endlich hatte er wieder den letzten Groschen in der Hand und setzte ihn mit solchem Nachdrucke auf den Tisch, daß Alles wankte – abermals verloren.

Florian sah still drein, er athmete kaum hörbar, aber in seinem Innern stürmte und tobte es gewaltig; er blieb noch eine Zeit lang am Tische stehen, um seinen Bekannten nicht zu verrathen, daß er kein Geld mehr habe, und schlich sich endlich leise [57] fort. Jetzt fluchte und gelobte er nicht mehr, kein guter und kein böser Vorsatz stieg in ihm mehr auf: er ging umher, wie ein Körper ohne Seele, ohne Gedanken und Willen, dumpf, ausgebrannt und hohl.

Die Musik, die jetzt zum Ohre Florians drang, erweckte ihn erst wieder zum Leben, er stand vor dem Wirthshaus zur Rose. Unter der Hausthüre stand der Franzosensimpel, der auf einen Freihalter wartete,»Drenta marioin,« rief er Florian entgegen, das Zeichen des Trinkens machend, Florian aber schob ihn bei Seite und ging hinauf zum Tanze.

Von allen Seiten wurde es ihm zugebracht, er nippte nur am Glase und wollte es wieder hinstellen. »Es ist in guter Hand,« rief man ihm zu, was so viel hieß als: du mußt austrinken. »Hinten hoch! sagen sie drunten am Rhein,« erwiderte dann Florian, auf einen Zug das Glas über dem Kopfe leerend.

Durch diese oft wiederholte Ladung fühlte er wieder neues Leben in sich, die verschiedenen Weine regten ihn auf und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Endlich sah er den Peter, der auf ihn zukommend sagte: »Hast du die Creszenz gesehen? drüben im Ritter sitzt sie bei dem Geometer.«

Florian leerte schnell noch das Glas seines Freundes und eilte fort. Er freute sich, nun doch etwas [58] zu haben, an dem er seinen Grimm auslassen konnte; er wollte ein Verbrecher sein, sich und Alles zu Grunde richten.

Auf Nebenwegen, an der alten Apotheke vorbei, wo kein Marktgedränge war, eilte Florian zum Ritter; er rannte die Staffeln hinan und nahm immer drei auf einmal.

Wenn nur die Menschen zum Guten auch so rennten, wie zum Bösen! Wie oft gehen sie durch Wind und Wetter, über Stock und Stein ihren niederen Gelüsten nach; gilt es aber die Pflicht oder sonst etwas Gutes zu thun, ist ihnen jedes Windchen zu rauh und jedes Steinchen eine unübersteigliche Mauer.

Tief athmend kam Florian im Ritter an.

Als Creszenz ihn sah, eilte sie freudestrahlend auf ihn zu, faßte mit beiden Händen seine zitternde Rechte und sagte:

»Gott Lob und Dank, daß ich dich wieder hab', jetzt bin ich wieder ganz dein, grad hab' ich dem Geometer ein für allemal aufgesagt. Es hat schon lang in mir kocht, jetzt ist's übergelaufen. Guck, ich bin froh, ich weiß mir gar nicht zu helfen, jetzt weiß ich doch wieder, wem ich bin, und dein bin ich, mag daraus werden, was will. Warum machst du denn so ein Gesicht? Bist du denn nicht auch froh, daß das Lugenleben ein End' hat?«

[59] Sie rückte ihm das Kappenschild, das ihm in der Aufregung auf die Seite gekommen war, wieder zurecht in die Mitte der Stirne. Florian ließ Alles an sich hinreden und mit sich geschehen, es war ihm zu Muthe wie einem, der von Lastern und blutigen Gräueln geträumt und sich nun plötzlich an der Seite der Liebe und des seligen Friedens erwacht sieht. Er schreckte fast zusammen vor dieser innigen Liebe, die ihn mitten in seiner Verworfenheit begrüßte. Nichts nannte er jetzt mehr sein, als sein armes Leben, das er gern von sich geschleudert hätte; nun ward es ihm wieder etwas werth, da ein anderes Leben es so warm umfing. Er lächelte schmerzlich froh und sagte endlich:

»Komm', Creszenz, wir wollen fort.«

Creszenz willfahrte ihm gern, sie schaute aber nochmals lächelnd und fragend auf, als eben ein frischer Walzer gespielt wurde; sie hätte trotz ihrer innigen Freudigkeit doch auch noch gern getanzt, sie wollte es aber nicht aussprechen, nicht sowohl aus Furcht vor Mißverständniß, als weil sie eigentlich froh war, ganz nach dem Willen Florians leben zu können.

Nicht weit von der Thüre saß der Schlunkel einsam bei seinem Schoppen, er hatte keinen Kameraden; er brachte es nun dem Florian vertraulich zu, der zu der betroffenen Crescenz sagte:

»Geh' einstweilen voraus, ich komm' gleich nach.«

[60] Betrübt ging Crescenz weiter und harrte auf der Treppe, drinnen aber sagte der Schlunkel:

»Nun, gib mir jetzt mein Geld.«

»Ich kann nicht, ich kann mir's ja nicht aus den Rippen schneiden.«

»So gib mir das Messer, das du da stecken hast, zum Pfand.«

»Ich bitt' dich, wart' nur noch bis morgen Abend; wenn du's da nicht hast, bezahl' ich dir's doppelt.«

»Du hast gut doppelt versprechen, aber wer gibt mir's?«

»Ich.«

»Willst du morgen Abend zu mir kommen?«

»Ja.«

»Nun so meinetwegen.«

Florian ging schnell weg, als ihn aber Crescenz fragte: »Was hast du mit dem schlechten Menschen?« ward er so roth wie ein Feuerdieb und erwiederte:

»Nichts, er hat mir mein Messer abhandeln wollen.«

»Hast recht, daß du's ihm nicht geben hast, der hätt' einen Mord mit begangen.«

Florian schauderte zusammen, es that ihm tief wehe, daß Creszenz ihm so treuherzig glaubte.

[61]

9. Wie ein Thunichtgut und wie ein liebendes Mädchen werden kann

9.
Wie ein Thunichtgut und wie ein liebendes Mädchen werden kann.

Der zehnte Mensch weiß nicht, wie der eilfte lebt. So konnten sich die Leute auch gar nicht denken, wovon der Florian zu essen und zu trinken hatte, er hatte aber auch in der That wenig und ging nun den Studentle um ein Darleihen an.

»Ja,« sagte dieser, »Florian, du solltest eben anders leben; das ist kein' Art, so kann das nicht gehen, du mußt dich ändern.«

»Das ist jetzt nicht am Ort,« erwiderte Florian, »sag' mir das ein andermal, wenn ich nicht in Noth bin, da geht's eher an; jetzt hilf mir und mach' mir keine Vorwürf'.«

Die zur Unzeit gemachten Ermahnungen prallten ab und verursachten gerade die entgegengesetzte Wirkung, Florian erschien sich dadurch mehr bemitleidens- als scheltenswerth, mehr unglücklich als schlecht. Mit einem gewissen Stolze des Verzeihens wiederholte er seine Bitte, worauf das Studentle erwiderte:

»Das geht nicht. Wenn man sich bald verheirathet, ist's aus mit dem Geldverzetteln; du mußt halt allein sehen wie du's machst.«

[62] Der Studentle war nämlich mit des alten Schultheißen Bäbele Bräutigam geworden, obgleich wir uns noch aus der Geschichte des Ivo her erinnern, daß er nicht gar hoch vom Bäbele dachte.

Er hatte um des Buchmaiers Agnes gefreit und, wie vorauszusehen war, einen Korb bekommen; er erzählte nun dies offenkundig, »denn« berechnete er, »du mußt bei den Leuten ja als ein Hauptkerl gelten, weil du die Kurasche gehabt haft um das erste Mädle anzuhalten; drum sollen sie's Alle wissen, da werden die reichsten gesprungen kommen.« Sie kamen aber nicht und er begnügte sich mit dem Bäbele.

Bei dem Studentle ging es nun wie bei gar vielen verschwenderischen Menschen: wenn sie auf eigene Strümpfe kommen, werden sie geizig und hart.

Es war für Florian allerdings ein Unglück, daß gerade der Studentle sein Hauptkamerad war; er sagte sich nun oft: »der ist doch kein Bisle besser als du, und warum geht's ihm besser?« Er grollte dann immer mehr mit dem Schicksal, ward unglücklich und schlaff.

Creszenz aber war indessen ganz glückselig; so sehr sie auch ihr Vater mißhandelte, weil sie den Geometer aufgegeben, war sie doch durch letzteres eben gerade recht glücklich; ihr Wesen war nicht mehr getheilt, sie gehörte ganz dem an, den sie stets im Herzen getragen. Die traurige Lage Florians blieb [63] Crescenz nicht verborgen, sie sah kein Verbrechen darin, ihm ans allerlei Weise Hülfe zu verschaffen. Sie entwendete Tabak und andere Sachen aus dem Laden und drang es heimlich dem Florian auf. Anfangs schämte er sich zwar es anzunehmen, nach und nach aber lehrte er sie, wie sie ihm immer mehr verschaffen sollte, denn er hatte durch den Schlunkel Absatzwege gefunden. Creszenz gehorchte ihm in Allem, es war ihr oft als hätte ihr Florian über die ganze Welt und Alles was darauf und darin sei zu gebieten, als müßte ihm ein Jedes unterthan sein; es war ihr, als ginge er nur einstweilen so machtentblößt einher; als würde er bald Allen zeigen, was er zu bedeuten habe. Sie hoffte, daß der Augenblick bald kommen werde, da er in seinem vollen Glanze dastehe; sie hoffte das so zuversichtlich und vertrauensvoll wie den morgenden Tag, und doch wußte sie nicht auf was sie hoffte. – Bald aber wurde sie wieder aus ihren Träumen geweckt. Der Schneiderle kam hinter die Entwendung seiner Tochter und in einer stürmischen Nacht, als der Wind den Regen jagte, verstieß er sie aus dem Hause, und drohte ihr, sie den Gerichten zu übergeben, wenn sie wieder käme. Die Mutter lag todtkrank darnieder und konnte nicht abwehren.

Creszenz wußte sich nicht zu helfen. Sie eilte zum Florian, er war nicht zu Hause. Sie weinte [64] laut, als sie hörte, mit welchem nächtlichen Kameraden er weggegangen war.

Sie zog vor dem platzenden Regen den obern Rock über den Kopf, sie hätte sich gerne in sich selbst verkrochen; und nachdem sie lange umhergelaufen ohne es zu wagen in ein Haus zu gehen, suchte und fand sie endlich bei des Melchiors Lenorle Unterkunft.

Alle Versuche, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen, waren vergebens. Creszenz strickte und taglöhnerte nun für fremde Leute, auch Florian brachte ihr hin und wieder etwas, er war wieder bei Geld. Der Creszenz aber schauderte es vor jeder Münze, die er ihr gab, als ob Blut daran hinge; sie meinte, aus jedem Gesichte der geprägten Herrscher sähe der Schlunkel heraus.

Das Lenorle erlauschte immer die Zeit wann der Schneiderle mit seinem Zwerchsack nach Horb ging, dann durfte Creszens nach Hause schleichen und sich mit Allerlei versehen.

Auch Florian war oft auf der Lauer, um zu erschauen wann Niemand in der Nähe war, so daß er, seiner Ehre unbeschadet, zu dem Schlunkel schleichen konnte. Ein unvermuteter Widerstand zerriß aber bald diese trübselige Kameradschaft.

Der Schlunkel hatte dem Papierer von Egelsthal zwei Hämmel gestohlen. Als nun Florian eines [65] Tages bei ihm war, verlangte er von ihm, daß er die Thiere schlachten und herrichten solle. Sein Stolz, seine Krone war für Florian bisher sein Handwerk gewesen; diese Zumuthung beleidigte ihn im tiefsten, er sagte daher:

»Eher schneid' ich dir und mir die Gurgel ab, ehe ich gestohlene Hämmel im Geheimen schlacht'.«

»O du Trallewatsch,« sagte Schlunkel, mit einem gewandten Griffe dem Florian sein Messer aus der Tasche ziehend, »du kommst nicht lebendig aus der Stube, wenn du nicht die Hämmel metzgest oder mir meine zwei Kronenthaler bezahlst.«

»Wart, ich will dir!« knirschte Florian den Schlunkel umfassend und suchte ihm das Messer zu entreißen. Beide rangen aus aller Macht mit einander, aber Keiner wollte unterliegen; da hörte man Geräusch, Florian ließ los und sprang schnell zum Fenster hinaus.

Betrübt kam er zu Creszenz und gestand ihr Alles.

Ohne ein Wort zu reden nahm sie ihre Granatenschnur sammt dem Anhenker vom Halse, zog ihren silbernen Ring von der Hand und reichte es hin.

»Was soll ich damit?« fragte Florian.

»Du sollst's versetzen oder verkaufen und den schlechten Menschen bezahlen.«

Florian umarmte und küßte sie und sagte dann:

[66] »Thu' du's und bezahl' ihn dann, versetz' es nur, kannst dich darauf verlassen ich schaff' dir's wieder.«

Creszenz that wie ihr befohlen und brachte das Messer wieder. Florian untersuchte es genau und fand, daß kein Blut daran gewesen; er freute sich innerlich, daß sein Ehrenschmuck nicht mißbraucht worden war.

10. Florian sucht Hülfe und nimmt die nicht, die er findet

10.
Florian sucht Hülfe und nimmt die nicht, die er findet.

»Hör' mal,« sagte Florian eines Tages zu Creszenz, »das Ding' muß ein End' nehmen; in die Fremd' gehen kann ich nimmer, deinetwegen nicht und auch meine Ehr' steht darauf, ich muß es 'nausführen; wie meinst, wenn ich zu dem Pfarrer ging'? Er muß uns ein paar hundert Gulden geben, nachher können wir uns heirathen.«

»Du hast ja sonst nichts von ihm wissen wollen.«

»Noch frißt Hobelspän',« erwiederte Florian. »Willst du mir ein Briefle an ihn mitgeben und es auch von deiner Mutter unterschreiben lassen?«

»Wie du willst, du mußt am besten wissen, was zu thun ist; ich thu' was du sagst.«

Andern Tages war Florian auf dem Wege zu dem Pfarrer. Trübe Gedanken gingen ihm durch den Kopf, wenn er sich besann, wohin er wandere; [67] die Frische der Bewegung erhellte aber seinen Sinn bald wieder. Er war nun seit vielen Wochen fast nicht mehr aus dem Dorfe gekommen, die trübseligen, engen Verhältnisse und der Kampf mit ihnen hatten ihn stets umschlungen; jetzt durchzog ihn wieder die freie Wanderlust, er fand wieder einen größern Maßstab des Lebens und sagte sich: »Man kann auch anderswo leben, es muß nicht gerade daheim im Dorfe sein. Ich kann mit meiner Creszenz glücklich sein, wenn auch der Schmiedjörgli und der Adlerwirth nichts davon wissen; aber Respekt müssen sie vor mir haben, nachher geh' ich. Von dem Gang da darf aber keine Sterbensseel' was erfahren.«

Es war gegen Abend als Florian an seinem Ziele anlangte. Er ging alsbald nach dem Pfarrhause, traf aber niemanden als die Haushälterin, eine wohlgenährte, stolze Person; sie suchte ihn auf allerlei Weise auszufragen, er aber sagte immer: er müsse mit dem Pfarrer selber reden. Endlich kam dieser, seine zwei halbgeschornen Spitzhunde mit Gebell voraus; sie wollten sich nun an Florian machen, er aber blickte sie nur an und sie krochen in eine Ecke. Nicht umsonst sagten die Leute, daß Florian die Hunde bannen könnte; die wildesten, wenn er sie nur scharf ansah, wurden zahm und scheu.

Jetzt aber schlug Florian die Augen nieder, da [68] er den Pfarrer gesehen. Es war ein untersetzter, kräftiger Mann, der eine weiße und eins schwarze Halsbinde trug; selbst bis auf die Sommerflecken glich ihm Creszenz. Dem Pfarrer kam der scheue Blick Florians verdächtig vor, er fragte daher nach seinem Begehr.

»Ich muß allein mit euch reden,« erwiderte Florian.

Der Pfarrer hieß ihn in seine Studirstube folgen.

Florian übergab den Brief, der Pfarrer las. Florian verfolgte mit scharfem Blicke seine Züge.

»Von wem ist der Brief?« fragte der Pfarrer, »ich kenne die Person nicht.«

»Ihr kennet doch die roth' Schneiderin? da hat sie drunter geschrieben und das obere ist von ihrer ältesten Tochter. Die roth' Schneiderin liegt auf dem Todtenbett, sie wird nimmer aufkommen.«

»Thut mir leid. Sagt den Leuten einen schönen Gruß, und wenn ich was für sie thun kann wird's schon geschehen.«

»Und für die Creszenz wollt ihr jetzt nicht ein Besonderes thun?«

»Ich sehe nicht ein, warum?«

»Aber ich seh's ein, Herr Pfarrer. Es soll kein Mensch was davon erfahren, ich will einen Eid schwören und das Abendmahl drauf nehmen, aber helfen müsset ihr uns, ihr müsset, oder ich weiß nicht, was aus uns Beiden werden soll.«

[69] Der Pfarrer suchte in der Tasche nach seinen Schlüsseln, er hatte den rechten gefunden, in der Hand damit spielend sagte er:

»Ich helfe armen Leuten gerne, aber ich kann jetzt nur wenig thun.«

»So gebet mir für's Andere ein Schriftliches.«

Bei diesen Worten schaute der Pfarrer verwirrt um sich, es war ihm als hätte er sich verrathen, da man eine solche Zumuthung an ihn zu stellen wagte; er sagte daher mit sichtbar erzwungener Härte:

»Einmal für allemal, die Leut' gehen mich nichts an und da habt ihr was für eure Zehrung.«

Er wollte Florian etwas Geld geben, dieser aber warf es ihm vor die Füße und rief:

»Ich frag' zum letztenmal: wollt ihr euch um euer Kind, das euch aus dem Gesicht geschnitten ist, annehmen oder nicht? Ja oder Nein? Ihr seid der Vater von meiner Creszenz. Ich darf euch nichts thun, ich will euch nichts thun, aber Herr Gott! ich weiß nicht, was ich thu.« Er langte mit der einen Hand nach dem Messer in der Seitentasche, schnappte mit der andern schnell das Schloß an der Thüre ab und fuhr dann fort: »Ich hab' noch kein unrechtes Stückle Vieh mit dem Messer abthan, aber« – er schäumte und zitterte vor Wuth.

»Unverschämter Mensch!« schrie der Pfarrer sich nach dem Fenster flüchtend und es aufreißend.

[70] Da ging plötzlich die Wand auseinander, durch die Tapetenthüre trat die Haushälterin ein und sagte:

»Die Gemeinderäthe und der Schultheiß sind drüben, ihr sollet gleich 'nüber kommen, Herr Pfarrer.«

Florian entsank fast das Messer, der Pfarrer hatte sich hinter die offene Tapetenthür geflüchtet.

»Was ist euer letztes Wort?« fragte Florian noch mals.

»Fort aus meinem Haus, oder ich lass' ihn einstecken, wenn er nicht gleich gutwillig geht.«

Florian öffnete still die Thüre und ging zaudernd und schwankenden Schrittes davon, der letzte Ast am Baume seiner Hoffnung war gebrochen.

Einsam wandelte er dahin durch die Nacht, aber schreckliche Gedanken begleiteten ihn. Zu den Sternen aufschauend sagte er einmal:

»Herr Gott im Himmel, hast du denn das gewollt, daß es Menschen geben soll, die ihre Kinder verleugnen müssen, damit sie in's Elend kommen? ... Es geschieht mir aber recht, warum bin ich nicht bei meinem ersten Gedanken geblieben; er hätt' uns nichts angehen dürfen ...«

Traurig und verwirrt war Florian erst am dritten Tage wieder in's Dorf zurückgekehrt. Es war ihm auf dem Wege so bange zu Muthe als ginge er einer schweren Strafe entgegen, als müsse [71] er dort für etwas büßen, und doch war er sich keines Vergehens bewußt.

Als ihm aber zu Hause einige Zwischenträger berichteten, daß man während seiner Abwesenheit gesagt hatte, er sei entflohen: da kochte alles in ihm vor Wuth. Er hatte Alles daran gesetzt, um seine Ehre im Dorfe zu erhalten, und nun sah er seinen ganzen Ruf so wenig stichhaltig, daß man ihn dessen beschuldigen konnte.

Eine tiefe Verachtung gegen die Menschen begann in seiner Seele Wurzel zu schlagen.

Am Sonntage, als Florian mit mehreren Anderen vor dem Adler stand, kam der Buchmaier das Dorf herauf und sagte:

»Florian! auf ein Wort, geh' ein Bisle mit mir, ich hab' dich um einen Rath zu fragen.«

»Mit allem Willen, was denn?« fragte Florian mitgehend.

»Ich hab' nur vor den Leuten so gesagt; ich thät gern einmal mit dir reden, aber offenherzig. Wo bist du vergangene Woch' gewesen?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Nun, wie du willst. Hör' 'mal Florian, du bist ein gescheiter Kerl, du bist ein geschickter Kerl, verstehst dein Handwerk aus dem ff.«

»Nun, dahinter muß was stecken, saget's nur frei heraus.«

[72] »Ich möcht' halt, daß du's auch zu was Rechtem bringen thätst.«

»Es wird schon kommen.«

»Hör' mich jetzt ruhig an, ich red' jetzt nicht als Schultheiß mit dir, ich red' mit dir, weil ich's gut mit dir mein'. Wenn du so fort hier bleibst, gehst du zu Grund. Auf was wartest du denn hier?«

Florian schwieg betroffen, der Buchmaier fuhr nach einer ziemlichen Pause fort:

»Ich weiß wohl wie es ist, es ist grad wie wenn man aus dem Bett aufstehen soll, wenn man auch noch so hart liegt, man thut's halt nicht gern; wenn man aber nachher auf den Beinen ist, freut man sich doch. Drum folg' mir, geh' wieder fort. Guck, wenn Krieg wär', thät ich sagen: Florian, laß dir zweierlei Tuch anmessen, du bringst's zu was; du kannst's aber auch so zu was bringen, du brauchst nicht Menschenmetzger zu werden; aber hier ist deines Bleibens nicht. Fort mußt du.«

»Ich kann aber nicht und will aber nicht, ich will sehen, wer mich fortbringt.«

»Davon ist kein' Red'. Du brauchst gegen mich nicht stolz thun und nicht aufbegehren. Ich weiß wohl, du hast Bekanntschaft mit der Creszenz. Such' dir dein Glück, wenn dir's gut geht, kannst sie ja holen. Hier aber lebst du in Unehr'.«

»Wer sagt das? Wenn ihr's nicht wäret, Schultheiß, [73] wenn mir das ein Anderer sagen thät, ich wollt' ihm weisen; wer kann mir was an meiner Ehr' anhaben?«

»Kein Mensch, drum mach', daß du fortkommst.«

»Ich kann aber nicht und will nicht.«

»Wenn du kein Geld hast, ich will machen, daß man dir aus der Gemeindekasse Reisegeld gibt.«

»Gucket, lieber bestehl' ich den Heiligen; lieber leg' ich meine Hand da auf den Block und hack' mir sie selber ab, eh' ich einen Bettel aus der Gemeindekass' in die Hand nähm'.«

»Du steckst schon arg darin, du willst zehn Kegel schieben und sind doch nur neun aufgesetzt. Florian, Florian, bedenk', es gibt nicht nur ein Hist und Hott, es gibt auch einen Weg grad aus. Wenn du nicht viel verlangst, will ich dir das Reisegeld geben; ich schenk' dir's nicht, ich leih' dir's nur. An einem jungen Lumpen ist nur die Hälft' verloren, sagt man als, nimm mir's nicht übel.«

Florian knirschte die Zähne über einander und sagte dann: »Ich hab' Euch um nichts angesprochen und ich thu' jetzt was ich will, es hat mich Keiner zu schimpfen.«

»Meinetwegen, ich bin fertig, ich hab' dir nichts mehr zu sagen; wenn dich's aber gereut, darfst morgen noch einmal zu mir kommen. B'hüt dich Gott.«

[74] Er ging weg und ließ Florian stehen, der sich in seinem Tiefinnersten angegriffen fühlte. Ein lustig Lied pfeifend ging er dann hinab durch das Dorf, einem Jeden in's Antlitz schauend, als wollte er ihn fragen, ob er nicht allen Respekt vor ihm habe.

Creszenz erfuhr nie etwas von der Unterredung mit dem Buchmaier, Florian selber suchte sich die Erinnerung aus dem Sinne zu schlagen.

11. Florian hilft sich selber

11.
Florian hilft sich selber.

Der Herbst war gekommen, das jüdische Laubhüttenfest war vorüber, die Hochzeit des Beßle brachte wieder Musik und Lustigkeit in das Dorf.

Auf offener Straße, vor dem Schlosse, unter einem ausgespannten Baldachin wurde die jüdische Trauung vollzogen. Die Bauern, die sich gern eine müßige Weile gönnten, standen gaffend umher, auch Florian und der Schlunkel waren zu sehen. Der Letztere zupfte seinen ehemaligen Kameraden am Wamms, ihm zuraunend, er habe ihm etwas Wichtiges zu sagen; und als die Trauung vorüber war, schlich er hinter das Schloß in die offene, dunkle Brunnenstube. Nach einer Weile folgte ihm Florian, er wußte selber nicht warum.

[75] Der Schlunkel eilte auf ihn zu, reichte ihm die Hand hin und sagte:

»Schlag ein, heute werden wir reiche Leut.« Florian reichte willenlos die Hand und fragte:

»Wie so?«

»Grad so,« erwiederte der Schlunkel, einen Hops machend. »Heut Morgen ist des Mendle's Meierle vom Vaihinger Markt heimkommen, wo er alle seine Gäul' verkauft hat; er muß wenigstens sieben bis achthundert Gulden heimbracht haben, ich hab' die Leibgurt gesehen, die war so voll wie eine Leberwurst. Du weißt doch mit Würsten umzugehen? Heut Abend wollen wir die verschnabeliren. – Vor acht Tagen ist dem Meierle vom Feuergericht sein Backofen weggesprochen worden, weil er da im Winkel steht; es hat ihn abreißen und das Loch mit Backsteinen zumauern lassen. Ich hab' selber dabei geholfen und hab' einen Backstein so gelegt, daß man ihn leicht herausnehmen kann. Huidä! heut Abend, wenn Alles bei der Chasne ist, schlüpfen wir 'nein und holen uns die Judenwurst.«

»Ich nicht,« erwiderte Florian.

»Mir auch recht, du kannst dir vom Gemeinderath Geld geben lassen, sie haben dir's ja anbieten lassen; du kannst schon sehen, wie weit du mit springst.«

»Woher weißt du das?«

[76] »Ich hab' ein Vögele, das erzählt mir Alles; Narr, die Spatzen auf dem Dach schwätzen ja davon.«

Florian stampfte auf den Boden und biß auf seinen Schnurrbart. Wenn er das ganze Dorf hätte anzünden können, er hätte es in diesem Augenblicke gethan. Er sah sich von Allen verhöhnt, verlacht, bemitleidet, sein höchstes Strebeziel, vor Allen in Ansehen dazustehen, war schmählich in den Staub gesunken. Nun da er dieß verloren, war er zu Allem fähig. Er gedachte nicht im Entferntesten an die Schwere des Verbrechens, in das er sich einlassen wollte, er wollte beutebeladen fortziehen, da er der Ehre beraubt war; wie erwachend sagte er:

»Ich bin dabei, bis wann?«

»So gegen acht, denk' ich.«

Florian reichte dem Schlunkel die Hand und ging schnell davon.

Als er aus der dunkeln Brunnenstube wieder in das helle Tageslicht kam, taumelte er wie ein Betrunkener; er mußte sich eine Weile an der Wand halten.

Singend und pfeifend ging er den ganzen Tag durch das Dorf, er wagte es aber nicht zur Creszenz zu gehen, er fürchtete sich vor ihr.

Oft war es ihm auch, als ob er schon gestohlen hätte. Er sah alle Leute darum an, ob sie ihm [77] sein Verbrechen ansähen; dann dachte er wieder: es ist eins, sie halten doch nichts auf dich. – Dennoch freute er sich, wenn er sich wieder besann, daß die That noch nicht geschehen sei. Einmal, als er den Buchmaier sah, war es ihm, als müßte er entfliehen; er schämte sich aber seiner Feigheit, wie er es nannte, und schwur, die That zu vollbringen.

Als es Feierabend geworden war, kamen die Bauernburschen und Mädchen auch auf den Tanz und Einzelne brachten Hochzeitsgeschenke; nach dem gegenseitigen Herkommen erhielten sie drei Vortänze.

Auch Florian war unter den Angekommenen. Die Braut eilte auf ihn zu und sagte:

»Bist du auch da? Wo ist denn dein' Creszenz? Ich kann mir's denken, daß es ihr nicht recht tänzerig ist; mach' nur den Ehrlichen an ihr, Florian. Komm', wir wollen zu guter Letzt noch einmal mit einander tanzen.«

Florian, der gefeiertste Tänzer, mußte bald wieder inne halten; seine Kniee schlotterten; mit solchen Gedanken im Herzen, wie er hatte, und mit zerrissenen Sohlen an den Füßen, tanzt es sich nicht gut.

»Was ist dir? du hast doch sonst getanzt wie ein Trenderle?« 1 sagte die Braut, »nun, wir wollen's sein lassen. Es thut mir wahrhaftig in [78] der Seel' leid, daß ich die Creszenz nicht mehr sehen kann, wir sind immer gut Freund gewesen; wir fahren aber schon morgen ganz früh ab. Komm' jetzt mit, ich will dir ein Stück Hochzeitkuchen für sie geben, bring's ihr und sag' ihr Ade von mir.«

Florian folgte ihr in die innere Stube, er erhielt dort den Kuchen und ein Glas warmen Wein, das er auf einen Zug leerte; er fühlte wieder neue Kraft durch seine Adern strömen. Sobald er konnte, schlich er sich fort, kehrte bald wieder und ging dann nochmals weg.

Der Schlunkel harrte schon mit einer kleinen Leiter hinter dem Hause Meierle's, es war kein Licht darin, Alles war auf der Hochzeit.

Schnell war die Riegelwand eingebrochen und die Beiden schlüpften hinein. Sie erbrachen die Küchen-und Stubenthüre und den Schrank, fanden das Geld, mehrere silberne Löffel und Becher, und steckten es schnell zu sich.

Florian war der erste, der wieder im Hofe war, der Schlunkel zerrte noch an einem Bettstücke, das durch die kleine Oeffnung nicht heraus wollte. Da kam der Hausherr die Treppe herauf, er sah die Stuben- und Küchenthüre offen; in die Küche tretend, sah er das sich bewegende Bett, er zerrte nun innen an demselben und schrie um Hülfe. Der Schlunkel ließ schnell los, stürzte auf den Boden [79] und brach ein Bein. Florian suchte ihn zu retten, aber er hörte Leute, er flüsterte ihm nur noch schnell zu: »verrath' mich nicht, du kriegst die Hälft',« und entsprang schnell.

Der gefänglich eingezogene Schlunkel beharrte bei seiner Aussage, daß er keinen Mithelfer gehabt. Man hatte in dem Hofe ein Stück von dem Hochzeitkuchen gefunden, die Aussagen des Gefangenen widersprachen sich, indem er anfangs nichts davon wissen wollte, später aber sich besann, daß der Kuchen bei den gestohlenen Sachen gelegen habe.

Niemand wagte zu ahnen, daß Florian bei der Sache betheiligt sein könnte, auch war er um dieselbe Zeit beim Tanze gesehen worden.

Fußnoten

1 Kreisel.

12. Neue Stiefel, die gewaltig drücken

12.
Neue Stiefel, die gewaltig drücken.

Florian gedachte mit dem Gelde zu entfliehen und Creszenz nachkommen zu lassen, aber seine Stiefel hielten keine Reise mehr aus. Er ging daher nach der Stadt und kaufte sich ein Paar neue.

Wie wohl war es nun Florian, nachdem er lange in zerrissenen Stiefeln umher gegangen, mit niedergekehrtem Blicke jeder kleinen Pfütze ausgewichen war, jetzt wieder einmal aufrecht und trocknen Fußes die schlüpfrigsten Straßen zu wandeln; ein unnennbares[80] behagliches Wohlgefühl durchwärmte ihn, als er scharf auftretend heimkehrte.

Nicht lange aber sollte er so sicher auf freiem Fuße einherwandeln. Er hatte zufälligerweise einen durchlöcherten Kronenthaler bei dem Kaufe ausgegeben; ein solcher war von dem Bestohlenen als entwendet bezeichnet worden, und gegen Abend kam der Schultheiß mit dem Schützen und einem Landreiter, um Florian zu verhaften.

Der Buchmaier willfahrte ihm, daß man ihn hinten durch die Gärten führte.

Auf dem Wege beklagte er sich über sein Unglück und betheuerte seine Unschuld.

Die meisten Verhafteten, Schuldige wie Unschuldige, klagen den Polizeiverordneten ihr Leid und betheuern ihre Schuldlosigkeit. Es ist so natürlich, das Menschengefühl derer anzurufen, die wie wandelnde Mauern den Gefangenen umschließen, bis er sich zwischen den feststehenden Mauern von Stein eingeschlossen sieht. Wenn dann der Bedrängte ausgewinselt hat, lautet gewöhnlich die Antwort: das wird sich Alles Zeigen, das geht uns nichts an.

Mit Schmerz sieht der Unglückliche, daß er den von fremder Kraft bewegten Stein gefragt: warum schlägst du mich? daß er das Netz gebeten: hab' Erbarmen und laß mich los.

Florian hatte zuerst im reinen Naturdrange [81] gesprochen, nach und nach ward er darauf aufmerksam, daß er das Gleiche auch vor dem Richter vorbringen wolle. Er redete daher sehr ausführlich, denn eine Lüge, die man einmal ausgesprochen, bringt man zum zweitenmale um so fertiger und sicherer vor.

Man hatte bei Florian bloß ohngefähr fünfzig Gulden an Geld gefunden, er wollte dieß auf dem Horber Markt im Spiele gewonnen haben.

Nächst dem verausgabten durchlöcherten Thaler bildete das im Hofe des Bestohlenen gefundene Stück Hochzeitkuchen die Grundlage der Anschuldigung Florians; mehrere Mädchen hatten zugesehen, als die Braut ihm den Leckerbissen gab.

Florian läugnete Alles, denn: »Läugnen gilt bei Württemberg,« in diesem allbekannten Satze bestand seine ganze Rechtskunde.

Viele Leute im Dorfe, die früher nicht gewagt hätten, etwas Böses von Florian zu denken, berühmten sich jetzt, es schon vor zehn Jahren gesagt zu haben, daß er ein Nichtsnutz sei, und wärmten allerlei Jugendstreiche auf.

Florian dachte indeß im Gefängnisse auf seine Flucht. In einer Nacht brach er den Ofen ab und schlüpfte durch das Ofenloch hinaus.

Auf dieselbe Weise, wie er das Verbrechen begangen, sollte er gerettet werden.

Jetzt stand er auf dem Gange, er war verschlossen[82] und es war lebensgefährlich, so hoch aus dem Fenster zu springen. Er gewahrte einen Besen, der an der Wand stand. Schnell entschlossen öffnete er das Fenster, drückte den Besen in die Ecke, wo der Thurm mit dem Nebenhaufe zusammengebaut war, schwang sich auf den Stiel und rutschte so hinab.

Der Nachtwächter hatte es wohl bemerkt, aber er bekreuzte sich dreimal und flüchtete die Staffeln hinauf, denn er hatte den leibhaftigen Teufel auf einem Besen durch die Luft reiten sehen.

Florian war nun frei. Er rannte die Straße hinauf, kroch in ein Gewölbe, das zum Abflusse des jenseitigen Bergwassers dient, grub mit den Händen den Boden auf, fand das Geld und eilte damit durch den Wald.

Während der Gefangenschaft Florians war die Mutter der Creszenz gestorben. Alle Leute bestürmten nun den Schneiderle, bis er seine Tochter wieder in's Haus aufnahm.

In derselben Nacht, als Florian aus dem Gefängnisse entflohen, erwachte Creszenz in plötzlicher Angst aus dem Schlafe; sie hatte geträumt, Florian rufe sie zum Tanze und sie konnte doch ihren Strumpf nicht anziehen, so sehr sie sich auch abmühte.

Weinend saß sie nun in ihrem Bette und sprach das Gebet für die armen Seelen im Fegfeuer. Es [83] schlug vier Uhr, sie stand auf und verrichtete alle Hausgeschäfte. Als es kaum tagte, ging sie hinaus in den Wald, um Holz zu sammeln. Seit ihrem Unglück war ihre Thätigkeit übermäßig, es war, als wollte sie das müßiggängerische Leben Florians einbringen. Sie hatte für alle ihre Arbeiten keinen Dank, und doch war fast kein leeres Plätzchen mehr im Hause, so fleißig hatte sie Holz und Tannzapfen gesammelt.

Als sie nun zum Walde kam, fand sie am Saum desselben einen weißen Knopf, sie erkannte ihn, daß er von dem Wammse Florians war, sie verbarg ihn still in ihrem Busen; hinausschauend über die Berge und das Thal, sagte sie so vor sich hin: »Mein Kreuz ist groß, und wenn ich auf den höchsten Berg steig', ich kann's nicht übersehen.«

Ohne Holz gesammelt zu haben kehrte sie wieder heim. Sie weinte und freute sich als sie Florians Flucht vernahm; sie weinte, denn sie wußte nun, daß er ein Verbrecher war, und sie freute sich, daß er jetzt doch gerettet sei.

13. Die ärgsten Spießruthen und die Linderung

13.
Die ärgsten Spießruthen und die Linderung.

Florian war indessen immer weiter geeilt, und als es Nacht wurde, machte er sich aus den Zehentgarben[84] auf dem Felde eine Hütte und schlief darunter.

In einer Schenke hatte er ein Messer gestohlen, dafür aber heimlich zwölf Kreuzer in das Salzfäßchen auf dem Tisch versteckt; mit dieser Waffe machte er sich nun in einer Schlucht seinen Schnurrbart herunter.

Nichts desto weniger wurde er aber, als er die badische Grenze betreten wollte, verhaftet. Jetzt klagte er dem Landjäger sein Unglück nicht mehr, er wehrte sich mit aller Macht und suchte sich frei zu machen; er ward aber niedergeworfen und gefesselt.

Die Steckbriefe waren angekommen, und nun wurde er von Amt zu Amt den bewaffneten Landjägern übergeben. Stille, ohne ein Wort zu reden schritt er dahin, seine rechte Hand und sein rechter Fuß waren zusammengefesselt; er kam sich selber vor wie ein Thier, das zur Schlachtbank getrieben wird.

Als er aber von Sulz kommend aus dem Empfinger Wäldle trat, sein Heimathsort vor ihm stand und er nun merkte, daß er in Fesseln mitten durch dasselbe geführt werden sollte, da warf er sich vor dem Landjäger auf die Knie und bat ihn weinend, er möchte ihn doch um Gotteswillen hinten am Dorfe vorbei nach der Stadt führen.

Der Landjäger aber sagte: »Nein!« und Florian[85] schlug sich mit der linken Hand auf die Augen als ob er sich dieselben ausschlagen wollte, damit er seine Schmach nicht sehe; seine Rechte klirrte machtlos mit der Kette. Florian, der einst so Vielbewunderte, der sich freute, daß die Blicke Aller auf ihn gerichtet waren, sollte nun in so traurigem Geleite, mit so schmählichem Schmucke durch das Dorf wandeln. Jetzt wünschte er, daß kein Mensch ein Auge für ihn haben möchte. Als er an des rothen Schneiderle's Haus vorbeikam, stand Creszenz an der Reisbeige und hackte Holz. Das Beil entfiel ihrer Hand, eine Minute stand sie erstarrt, dann flog sie mit ausgebreiteten Armen auf Florian zu und lag an seinem Halse; der Landjäger machte sie sanft los. »Ich geh' neben dir durch das Dorf,« sagte Creszenz ohne zu weinen; »du sollst dich nicht allein schämen. Thut dir das Eisen weh? Gräm' dich nur nicht zu arg.«

Florian konnte nicht reden, er winkte nur mit der linken Hand der Creszenz, sie solle umkehren; sie aber ging nebenher als wär' sie mit unsichtbarer Kette an Florian gebunden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das Dorf. Am Adler standen Kaspar und Bärbele vor dem Hause, jener hielt eine Halbe Vier in der Hand und brachte es dem Florian zum Trinken. Der Landjäger duldete das nicht. Florian bat nur, man solle die Creszenz [86] zurückhalten und Bärbele ließ nicht nach, bis sie bei ihm blieb. Alles weinte.

Weiter ging es nun durch die wohlbekannten Gassen.

Der Schmiedjörgli, der des kalten Wetters wegen nicht mehr vor seinem Hause saß, sah zum Fenster heraus und lupfte vor Verlegenheit seine Zipfelkappe. An des Schloßbauern Haus stand der Franzosensimpel und sagte auf seine Oberlippe deutend: »Mus à loin ringo.« Unwillkürlich zuckte ein schmerzliches Lächeln in den Mienen Florians.

Als nun endlich das letzte Haus hinter ihm war, gelobte er sich, nie mehr in seinen Heimathsort zurückzukehren. –

Die Gefangenschaft Florians war nun schwerer, er saß wohl wieder auf demselben Thurme am Neckarthore, aber in der bestvermauerten Zelle.

Oft lugte er durch das Gitter hinaus; wenn er aber einen Nordstetter bemerkte, prallte er wie von einer Kugel getroffen zurück.

Nach und nach ließ der Schmerz über sein Loos in Florian nach und er suchte sich nun allerlei Kurzweil zu machen. Er stellte sich einen Strohhalm auf die Stirne und ging eine Weile umher, dann legte er nach und nach mehrere Halme darauf, bis er eine vollständige Hütte aufbauen und wieder abbrechen konnte. Er lernte mit vieler Mühe sich an den [87] Eisenstäben wagrecht in die Luft halten, er lernte sogar seine beiden Kniee über den Nacken legen.

Eines Tages, als Florian durch das Gitter hinaussah, bemerkte er Creszenz, die nach der Stadt ging; heiße Thränen fielen auf die Eisenstäbe, er konnte sie nicht sprechen, ihr kaum ein Zeichen geben.

Als es Nacht geworden war, hörte er mehrmals vor dem Fenster husten, er erkannte Creszenz und antwortete mit gleichen Zeichen.

Creszenz flocht das rothe Band, das sie am Hammeltanze mit ihm gewonnen, aus ihren Haaren, knüpfte ein Steinchen und einen Brief hinein und warf das flatternde Band zu Florian hinauf, der es geschickt faßte; dann ging sie eilig davon. Aus der Ferne aber vernahm Florian den Endreim des Liedes:


Das Feuer kann man löschen,

Die Liebe nicht vergessen,

Das Feuer brennt so sehr,

Die Liebe noch viel mehr.


Die ganze Nacht konnte Florian kein Auge zuthun, er hatte Nachricht von seiner Creszenz in der Hand und konnte sie doch nicht lesen.

Beim ersten Morgenstrahle stand er am Gitter und las:

[88] »Ich weiß nicht, ob der Brief in deine Hand kommt und unterschreib' mich deßwegen nicht. Ich bin in der Stadt gewesen und hab' mir meinen Heimathschein geholt, das Beßle hat mir im Elsaß einen Dienst verschafft; ich geh' übermorgen fort. Ich hab' mir auch ein langes Kleid machen lassen. Mein' Mutter ist gestorben und mein Vater heirathet das Näher Walpurgle. Ich brauch' dir nicht zu sagen, daß ich nie von dir lass' und wenn du auch weiß nicht was gethan hättst. Wenn du auch einmal schlecht gewesen bist, du bist doch nicht schlecht, das weiß ich. Sei nur fromm und geduldig und trag' dein Schicksal, unser Herrgott ist mein Zeug', ich thät dir's gern abnehmen. Ich hab' mir auch von deinem Vater dein Messer geben lassen, das du immer so gern gehabt hast, ich hoff', will's Gott, dich noch einmal in Ehren mit schaffen zu sehen; gib nur du auch die Hoffnung nicht auf, denn sonst ist man ganz verloren. Mach' dir keine unnöthige Vorwürf' über das, was du gethan hast, das nutzt jetzt nichts mehr, und sei brav. Von dem ersten Lohn, den ich krieg', lös' ich mir wieder deinen Ring und meinen Anhenker aus. O! ich hätte dir noch so viel zu sagen, zehn Schreiber könnten's nicht schreiben. Ich will schließen und verbleibe deine Getreue bis in den Tod.«

Florian fühlte ein nie gekanntes Entzücken, er[89] konnte selig weinen, er sah erst jetzt recht, was er an der Creszenz besaß, und in allem freute er sich auch wieder, daß ihm sein Messer erhalten war.

14. Ein elendes und ein lustiges Leben

14.
Ein elendes und ein lustiges Leben.

Auf sechs Jahre kam Florian in das Zuchthaus. Er war fast froh als man ihm die Sammtjacke auszog und die graue Sträflingsjacke dafür gab, dadurch wurde doch auch sein Lieblingsgewand geschont; er wollte einst wiederum in demselben vor Creszenz erscheinen.

Ueberhaupt kam es Florian vor, als ob er nur acht Tage hier zu bleiben habe. Sein Herz war so voll froher zuversichtlicher Hoffnung, so daß er über die Jahre wie über eine kurze Spanne Zeit wegsah.

Man mag sagen was man will, es ist und bleibt doch wahr: in Dingen, die weder die Minderung der Steuern noch die der Beamtenmacht betreffen, sind sehr viele Regierungen in der That auf das Wohl ihrer Unterthanen bedacht; darum sind auch die Zuchthäuser in unseren Tagen meist ganz gut bestellt; darum, wer nur einmal eine Zeit lang in's Zuchthaus gekommen ist, kann ganz ruhig sein, für ihn ist gesorgt.

Schade, daß nicht alle Staatsangehörigen, die [90] Beamten ausgenommen, Sträflinge sind, wie mild und vorsorglich erschienen da viele jetzige Regierungen!

Dennoch fühlte Florian bald die Länge der Zeit. Er lernte das Bürstenbinderhandwerk, und nachdem endlich und endlich seine Strafzeit um war, eilte er zu Creszenz. Er wurde mit offenen Armen empfangen. Creszenz hatte sich etwas Geld erspart, und nun zogen die Beiden als Bürstenverkäufer im Land umher. Bald aber ward Florian dieses Lebens überdrüssig. Sein Lebenswandel zog wiederum das Aufsehen Aller an sich, denn er besuchte als Seiltänzer und Kunststückmacher Messen, Märkte und Kirchweihen. Besonders geschickt war er in dem Säbelspiel, da er drei Säbel im Kreise um sich herwarf und sie immer wieder am Griffe auffing, er hatte ja dieß schon frühe beim Wursthäckeln geübt. – Creszenz hielt stets getreulich an ihm, und als er einst vom Seile fiel und ein Bein brach, wartete sie ihn mit der liebendsten Sorgfalt.

Nun zog Florian mit einem Würfeltische auf den Märkten und Kirchweihen benachbarter deutscher Länder umher, denn in sein Heimathland mochte er nicht; auch war dort das öffentliche Würfelspiel verboten worden.

Deutschland hat das besondere Glück, daß was in dem einen Lande verboten, in dem andern erlaubt [91] ist; das ist ja das glückliche Ergebniß der vielerlei Regierungen, daß sie auch vielerlei anordnen können. Was wollte Florian anfangen, wenn Deutschland nicht dieses hohen Vorzugs genösse?

Das, womit sein Unglück begonnen hatte, war nun sein Gewerbe. Wenn ihn ein solcher Gedanke überfiel, rief er lauter und schärfer, als wollte er sich selbst zum Spiele auffordern; sein bischen Französisch kam ihm dabei sehr zu statten, denn das hat immer etwas Lockenderes und Vornehmeres für viele Leute.

Dann rief er:

»Messieurs faites votre jeu, immer 'ran! immer 'ran! spielen Sie hier meine Herren Messieurs. Acht Kreuzer für einen Kreuzer, ein Kreuzer hat acht Junge. La fortune, la fortune, la fortune. Ein Kreuzer ist gar kein Geld, aus nichts hat Gott die Welt erschaffen, aus gar kein Geld wird Geld. Immer 'ran!Messieurs faites votre jeu.«

Oft, wenn Florian an den Kirchweihen Abends beim Tanze allerlei Kunststücke machte und er dann die Burschen so fröhlich tanzen und jubeln sah, fuhr es ihm wie zweischneidige Schwerter durch die Seele: so war er einst gewesen, er selber war der flotteste Bursche und jetzt nichts als ein verachteter Spaßmacher für Andere. Wenn er auf solche Gedanken kam, machte er immer um so tollere Späße und überredete[92] sich eine Zeit lang, er mache sie zu seinem eigenen Vergnügen.

Von vier Kindern, die Creszenz geboren, waren nur zwei am Leben geblieben, der älteste Knabe und ein kleines Töchterchen; nie duldete Florian, daß eines derselben seine Späße oder sein Gewerbe mit ansah. Sie mußten immer den Tag über bei den Habseligkeiten in einer Scheune oder in einer Bauernstube bleiben.

Creszenz wagte einst den Vorschlag zu machen, daß sie um der Kinder willen nach Hause zurückkehren und sich dort als Taglöhner ernähren wollten.

»Red' mir nicht da davon,« erwiderte Florian zähneknirschend, »keine zehn Gäul' bringen mich die Horber Steig 'nauf. Ich hab' daheim meine Ehr' verloren und nie – nie seh' ich mehr den Nordstetter Kirchthurm.«

15. Ein verlorenes Kind und ein wiedergefundener Vater

15.
Ein verlorenes Kind und ein wiedergefundener Vater.

Zu Braunsbach am Kocher, gerade gegenüber von des Märxle's Haus, steht eine Linde, dorthin sah man an einem Sommernachmittage eine wandernde Familie ziehen. Der Vater, ein kräftiger Mann mit einem blauen Ueberhemde und einem vielfach eingedrückten grauen Hute, zog an einem Karren, auf [93] dem eine Scheerenschleiferbank und einiges Hausgeräthe lagen. Ein brauner magerer Hund von mittlerer Größe war neben ihm angespannt. Die Frau half ebenfalls den Karren den Berg hinaufschieben. Die zwei Kinder folgten hinterdrein und trugen zusammengelesenes Holz in ihren Armen. Als man endlich unter der Linde angelangt war, zog der Mann die um seinen Oberleib geschlungene Gurte ab, warf den Hut auf den Boden, fuhr sich mit der Hand über die schweißtriefende Stirne und setzte sich mit dem Rücken gegen die Linde gelehnt, auf den Boden. Wir erkennen ihn, trotzdem er sich gewaltig verändert hat: es ist Florian mit seiner Familie.

Der Hund hatte sich neben ihm niedergelassen, den Kopf auf beide Vorderfüße gelegt, der Knabe streichelte ihn.

»Laßt jetzt den Schlunkel, Friederle,« sagte Florian, »mach', hilf deiner Mutter.«

Der Knabe ging schnell zu seiner Mutter, er wußte, der Vater war böse, da er den Hund Schlunkel nannte; denn Floran kam immer, wenn er übler Laune war, zu dieser Selbstpeinigung, daß er den neben ihm im Joche eingespannten mit dem Namen dessen benannte, der ihn in's Unglück gestürzt hatte.

Die Mutter hatte indeß den Dreifuß und den Kessel vom Wagen genommen, mit dem mitgebrachten Holze Feuer angemacht und Wasser übergestellt.

[94] »Gang, sieh daß du Grundbirnen kriegst,« sagte sie zu Friederle. Dieser nahm einen Topf und ging auf das weiter oben stehende Haus mit dem roth angestrichenen Gebälke zu.

Ein bejahrter Mann sah gähnend zum Fenster heraus.

»Wollet ihr nicht so gut sein,« bat Friederle, »und uns Grundbirnen schenken? dur 1 Gott's Wille.«

»Woher bist?« fragte der Mann, der ziemlich satt schien.

»Mein Vater sagt allemal, von dem Land, wo die Leut' auch hungrig sind.«

»Ist der da drunten dein Vater?«

»Ja, machet aber nicht so lang, wenn ihr mir was geben wollet; unser Holz verbrennt sonst.«

Der Mann kam herab und öffnete die Thüre; die Nachbarn wunderten sich gar sehr, daß der Petermichel einem Bettelkinde sein Haus öffnete.

Friederle kam aber alsbald wieder heraus mit dem Topf voll Kartoffeln und etwas Butterschmalz in einem Schüsselchen.

Nun wurde statt bloßer Kartoffeln ein Brei gemacht, und nachdem Alles gegessen hatte, bekam der Hund das Geschirr, um das Uebriggelassene aufzulecken.

[95] Florian erhob sich und ging durch das Dorf mit dem steten Rufe: »Scherrrre schleife aus Parrrrris!« Friederle aber ging von Haus zu Haus um Arbeit zu holen, er versprach den besten Pariser Schliff. In der That war auch Florian ein Meister in seinem neuen Geschäfte.

Den ganzen Nachmittag stand der Petermichel bei der Scheerenschleiferfamilie. Er sah dem gewandten Manne, der so schöne Stückchen pfiff, gerne zu, und unterhielt sich auch mit der Frau und den Kindern. Als es Abend wurde, bot er ihnen sogar an, daß sie in seiner Scheune übernachten könnten. Im ganzen Dorfe sagte man: »das jüngste Gericht kommt, der geizig' Petermichel ist brav geworden.« Und doch wußten die Leute noch nicht Alles. Petermichel setzte sich nämlich zu den Fremden in die Scheune und sagte: »Gebet mir euren Buben da, er soll's gut bei mir haben. Wie meinet ihr?« Die Eltern sahen einander an und antworteten nicht, er aber fuhr fort: »Schlafet einmal drüber, ihr könnet euch bis morgen drauf besinnen.«

Florian und Creszenz sprachen viel hin und her in der Nacht und kamen doch zu keinem rechten Entschlusse. Die Mutter wollte, so wehe es ihr auch that, doch das Kind weggeben, damit es was Rechtes vor sich sehe, ordentlich in die Schule gehen und was lernen könne.

[96] Florian antwortete wenig und betrachtete sein Kind, das vom Monde überschienen sorglos schlief und gar lieblich anzusehen war.

»Der wird ein Hauptkerl,« sagte er zuletzt, legte sich auf die andere Seite und schlief ebenfalls.

Es mag vielleicht wunderbar erscheinen, daß Petermichel, der für so geizig gilt, auf einmal so gut wird, daß er ein Landstreicher-Kind annehmen will; es war indeß nicht Alles pure Güte an dem Petermichel. Er war allein und kinderlos, hatte seine Aecker verpachtet und lebte von seinem Gelde. Nun hatten ihn aber die Kinder seines Bruders, seine einzigen Erben, beleidigt, und er wollte ihnen durch die Annahme eines fremden Kindes eine Brille auf die Nase setzen; außerdem hatte er allerdings eine unerklärliche Zuneigung zu dem muntern Knaben mit den frischen blauen Augen bekommen.

Kaum war der Tag angebrochen, da stand Petermichel oben auf der Scheune und schaute hinab, ob die Fremden wach seien. Er rief dann:

»Höret Mann, kommet mit eurem Weib ein Bisle 'rauf in mein' Stube, wir wollen jetzt mit einander reden.«

Florian und Creszenz kamen.

»Nun wie ist's? Habt Ihr euch entschlossen?« fragte Michel.

»Ja,« sagte Florian, »ich will's deutsch heraussagen, [97] wir thäten den Buben gern weggeben, heißt das, weil er bei euch gut aufgehoben wär' und auch was lernen könnt', aber es geht nicht – gelt Creszenz es geht nicht?«

»Ja warum denn?«

»Weil uns der Bub in unserm Geschäft so nützlich ist, und wir müssen doch auch leben und unser Mädle auch.«

»Hört einmal,« sagte Petermichel, »ich will euch zeigen, daß ichs gut mein', ich geb' euch hundert Gulden, es ist nicht für den Buben, es ist damit ihr ein anderes Geschäft anfangen könnet, einen Geschirrhandel oder so was; hundert Gulden ist ein Wort. Nun wie ist's?«

Die beiden Eltern sahen einander betrübt an.

»Schwätz du, ich sag' gar nichts; was du thust, Creszenz, ist mir recht,« sagte Florian.

»Ja, der Bub wird halt nicht wollen, er ist so an uns gewöhnt. Ihr meinet's gut, das ist kein' Frag', aber der Bub kann doch vor Jammer und Heimweh sterben.«

»Ich frag' ihn,« sagte Petermichel, ließ die verblüfften Eltern stehen und ging eilends hinab zu dem Kinde.

Ohne ein Wort zu reden blieben Florian und Creszenz bei einander, sie bangten vor jeder Antwort.

[98] Da kam Petermichel mit dem Knaben an der Hand, er winkte den Eltern mit den Augen zu und Friederle rief:

»Ja, ich bleib' da bei unserm Vetter, er gibt mir ein' Geißel und ein Hottogäule.«

Creszenz weinte, Florian aber sagte:

»Nun so wollen wir fort, was einmal sein muß, muß schnell sein.«

Er ging hinab, packte die Sachen zusammen und spannte den Hund an. Der Petermichel brachte ihm das Geld.

Als Alles zur Abreise bereit war, küßte Creszenz nochmals weinend ihren Sohn und sagte: »sei brav und folg' dem Vetter, geh' fleißig in die Schul'; kann sein bis den Winter kommen wir wieder.«

Florian kehrte sich ab, als sein Sohn seine Hand nahm und zog scharf an, Friederle aber umhalste noch einmal den Hund und nahm zuletzt noch von ihm Abschied.

Bis nach Kochersteinsfeld waren die beiden Eltern mit einander gegangen ohne ein Wort zu reden, ein Jedes machte sich und dem andern Vorwürfe, daß es nicht mehr abgeredet und das Kind so leicht weggegeben habe. Hier wurde nun Halt gemacht und Florian ließ sich zur Aufheiterung einen Schoppen Wein bringen. Nachdem er getrunken, schob er Creszenz das Glas hin und sagte: »trink auch.«

[99] Sie setzte das Glas an den Mund, stellte es aber laut aufweinend nieder und sagte: »Ich kann nicht trinken, es ist mir grad wie wenn ich das Blut von meinem Friederle trinken müßt'!«

»Laß jetzt das Weibergeheul, hätt'st das früher gesagt. Wir wollen einmal drüber schlafen, bis morgen wird's anders sein.«

Gleich als wollten sie sich schnell recht weit von Friederle entfernen, eilten sie nun ohne anzuhalten bis Künzelsau. Unterwegs wurde ausgemacht, was man mit dem Gelde anfangen wollte, der Rath Petermichel's ward zum Beschluß erhoben.

Andern Tags zog man weiter gen Oehringen plötzlich aber hielt Florian an und sagte:

»Was meinst Creszenz, wenn wir wieder umkehren thäten und den Friederle holen?«

»Ja, ja, ja, komm.«

Schnell war der Karren gewendet und der Hund sprang an Florian hinauf, als wüßte er, wohin es wie der ginge. Nun aber sagte Creszenz:

»Ach Jesus im siebenten Himmel. Er wird ihn uns nimmer geben, es fehlt ein ganzer Gulden an dem Geld; das Nachtlager – und ich hab' dem Lisbethle ein Kleidle gekauft.«

»Weiber! Weiber mit eurem Putz!« knirschte Florian, »nun, wir wollen's einmal probiren, fort, zurück, ich hol' meinen Friederle.«

[100] Der Hund bellte vor Freude.

Wieder war Mittag als unsere Karawane bei der Linde anlangte.

Friederle sprang ihnen entgegen und rief: »Ist schon Winter?«

Die Mutter ging hinauf zu Petermichel, legte das Geld auf den Tisch, bat um Verzeihung, daß ein Gulden fehle und verlangte ihr Kind wieder.

Der Pfarrer faß eben bei Petermichel und hatte es fast dahin gebracht, daß er sich mit seinen Bruderskindern aussöhnen und dem angenommenen Kinde nur einen kleinen Theil seiner Habe verschreiben wollte.

Als er nun die Frau ansichtig wurde, stand er plötzlich auf und streckte beide Hände empor, er wußte nicht wie ihm war, aber ihm war ganz fremd zu Muthe. Er suchte die Frau zu bereden, ihr Kind doch hier zu lassen, und als er nun auf ihre Stimme aufmerkte, war es ihm als ob er einen Klang aus alter Zeit vernehme.

Petermichel hatte unterdessen den Florian heraufgerufen. Als dieser eintrat und den Pfarrer erblickte, eilte er auf ihn zu, packte ihn an der Gurgel und rief: »Kerl! ich bin froh, daß ich dich wieder hab'.« Creszenz und Petermichel wehrten ab, der Pfarrer bat mit stockender Stimme den letztern, daß er weggehe, er habe mit den Leuten was zu reden. Petermichel ging.

[101] »Heißt du Creszenz?« fragte der Pfarrer die Frau.

»Ja.«

»Mein Kind, mein Kind!« sprach der Pfarrer mit erstickter Stimme und warf sich an ihren Hals.

Eine Zeit lang war Stille in der Stube, die Männer und die Frau weinten. Der Pfarrer fuhr Creszenz immer mit der Hand über das Gesicht, dann ließ er die Beiden schwören, daß sie nie sagen wollten, in welchen Verhältnissen sie zu ihm stünden; er wollte für sie sorgen, ihnen ein Hauswesen einrichten. Creszenz sollte nur seiner Schwester Kind sein. –

So blieben nun die Landstreicher im Dorfe. Florian handhabte mit großem Fleiß sein ihm treugebliebenes Messer als Metzger.

Die Frau des evangelischen Pfarrers, eine tugendstolze Pietistin, will zwar herausgebracht haben, Creszenz sei die Tochter und nicht das Schwesterkind des Pfarrers, die Leute aber wollen's nicht glauben.

Der Hund, ein guter Metzgerhund, heißt nicht mehr Schlunkel, sondern führt seinen ehrlichen Namen Bleß. Alle trüben Erinnerungen an die Vergangenheit sind ausgelöscht.

Fußnoten

1 Durch.

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TextGrid Repository (2011). Auerbach, Berthold. Erzählungen. Schwarzwälder Dorfgeschichten. Zweiter Band. 1. Florian und Creszenz. 1. Florian und Creszenz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-140E-A