[147] Die Reise.

An Maxime du Camp.

I.

Dem Kinde, das entzückt von jedem Stich und Bilde,
Erscheint die Erde weit wie seine Träumerein.
Wie ist die Welt so groß bei lichter Lampen Milde!
Für der Erinnrung Blick, wie ist die Welt so klein!
Entflammten Geistes sind wir plötzlich auf dem Wege,
Das Herz von dumpfem Groll und herber Sehnsucht schwer,
Daß unsre Seele bang im Takt der Ruderschläge
Ihr Unbegrenztes wiegt auf dem begrenzten Meer:
Die einen fliehn ihr Land, um Ehr und Glück betrogen,
Die andern jagt der Fluch der Heimat, andre gehn,
In Augen einer Frau versunkne Astrologen,
Der Circe, die verlockt mit süßer Düfte Wehn.
Um nicht in Tiere sich zu wandeln, trinken Wonne
Sie aus der Himmel Glanz, aus Weite, Licht und Strahl;
Die Eisluft, die sie stählt, der Feuerbrand der Sonne
Verwischen allgemach der Küsse haftend Mal.
Doch wahre Wandrer sind, die den Ballons gleich reisen,
Nur um zu reisen, die leichtherzig nie den Bann,
[148]
Den ihnen das Geschick auflegte, von sich weisen,
Sie wissen nicht den Grund und sagen doch: Voran!
Die, deren Wünsche gleich den Wolken sich entfalten,
Wie ein Rekrut, der träumt von der Kanonen Ruf,
Erhoffen Freuden sie, die stets sich neu gestalten,
Für die des Menschen Geist noch niemals Namen schuf!

II.

Wir ahmen Kreisel nach und Ball in ihrem Schwirren
Und ihrem blinden Tanz; denn selbst im Schlummer nagt
Die Neugier uns das Herz und läßt uns weiter irren,
Grausamem Engel gleich, der Sonnen peitscht und jagt.
O sonderbares Glück, das stets verschiebt die Ziele,
Das, weil es nirgends ist, uns überall erscheint!
So daß der Mensch, der nie satt wird am tollen Spiele,
In ruhelosem Lauf Ruhm zu erjagen meint!
Ein Fahrzeug ist der Geist, das dreigemastet steuert
Zum Lande seines Glücks. – Schau auf! tönt's längs dem Schiff;
Vom Mastkorb hallt ein Ruf, von Wahnsinn angefeuert:
Glück ... Liebe ... Ruhm! O Fluch! Er ist ein Felsenriff.
[149]
Ein jedes Eiland, das der Mann auf Wache kündet,
Erscheint ein Eden uns, das das Geschick verhieß,
Und unsre Phantasie schaut dort ihr Reich begründet,
Bis eine Klippe nur im Morgengraun sich wies.
Ihn, dessen Wünsche nur erträumten Landen gelten,
Sprecht, soll man fesseln ihn, ihn werfen in die See?
Den trunknen Seemann, den Entdecker neuer Welten,
Die spiegelnd in der Flut verschärfen unser Weh?
Gleichwie ein Vagabund durch Schmutz und Dunkel hinkend,
Die Nase in der Luft, sich Paradiese malt;
Sein Blick schaut überall ein Capua, wo blinkend
Ein ärmlich Talglicht aus zerfallner Hütte strahlt.

III.

Ihr edlen Reisenden! Welch seltne Wunder können
In euren Augen wir, die tief wie Meere, schaun!
Wollt des Gedenkens Schrein, den reichen, ihr uns gönnen,
Kleinodien, die ihr schuft aus Licht und Ätherblaun!
Dann reisen ohne Dampf und Segel wir von dannen!
Damit ein Lichtstrahl uns des Kerkers Nacht besonnt,
[150]
Laßt über unsren Geist, den leinwandgleich wir spannen,
Erinnrungsbilder ziehn, umrahmt vom Horizont.
Was saht ihr? Sprecht!

IV.

Wir sahn der Sterne licht Gefunkel,
Wir sahen Wüstensand und Wellen ungezählt;
Trotz manchem Unglücksschlag, trotz Sturm und Wetterdunkel
Hat Langeweile uns ganz so wie hier gequält.
Der Sonne Glorie auf den veilchenfarbnen Meeren,
Der Städte Glorie, wann die Sonne leuchtend sinkt,
Entzündeten in uns ein ruhelos Begehren
Nach eines Himmels Glanz, der fremd verlockend blinkt.
Die reichsten Städte und die prangendsten Gefilde
Enthielten nimmermehr den mystisch-seltnen Reiz,
Wie ihn aus Wolken formt des Zufalls fremd Gebilde.
Stets hauchte Sehnsucht uns die Schauer bangen Leids.
– In dem Genusse weiß die Sehnsucht Kraft zu finden.
O Sehnsucht, alter Baum, der von der Lust sich nährt,
Indessen du ergreist und härtest deine Rinden,
Sieh, wie dein schlank Gezweig zur Sonn' emporbegehrt.
[151]
Strebst ewig, großer Baum, du mächtiger nach oben
Als die Zypresse? – Doch wir haben sorglich, wißt,
Für eures Sammelns Gier euch Skizzen aufgehoben,
Ihr Brüder, die ihr preist, was aus der Ferne ist.
Wir grüßten Götzen, die mit Riesenrüsseln dräuten,
Und Throne, die gebaut aus lichtem Edelstein;
Der Prunkpaläste Glanz, an dem wir uns erfreuten,
Möcht euren Handelsherrn Traum und Verderben sein.
Gewande, die das Aug entzücken und berauschen,
Fraun, die sich färben Zähn und Nägel, schauten wir
Und weise Zauberer, auf welche Schlangen lauschen.

V.

Was noch, was weiter noch?

VI.

O Kinderseelen ihr!
Um nicht das Wichtigste von allem zu vergessen,
Wir sahen überall, obgleich wir's nie begehrt,
So oft die Stufen auch der Leiter wir durchmessen,
Den lästgen Anblick, den die Sünde uns gewährt:
[152]
Das Weib, die Sklavin, die ohn' Abscheu, ohne Lachen
Sich liebt und tut, was Stolz und Dummheit ihr gebot,
Der Mann, ein Zwingherr, den Begier und Zorn entfachen,
Der Sklavin Sklave und ein Bach in Schmutz und Kot;
Der Henker, der sich freut, des Opfers Qual zu schärfen;
Die Orgie, der das Blut die rechte Würze gibt;
Das Gift der Herrschgewalt, Despoten zu entnerven,
Das stumpfe Volk, das in der Peitsche Schlag verliebt;
Und Religionen, die der unsren alle gleichen,
Zum Himmel klimmend, stolz auf ihre Heiligkeit,
Die, wie ein Zärtling, der sich wälzt im Bett, im weichen,
Sich ihre Wollust sucht in Pein und härnem Kleid.
Die Menschheit redet toll, am eignen Geist sich freuend,
Und wie sie immer war, von Wahnsinn heimgesucht,
In ihrem Todeskampf zu Gott dem Herren schreiend:
O du mein Ebenbild, mein Meister! Sei verflucht!
Die wenigst Dummen noch, die kühn den Wahnsinn lieben,
Den Haufen fliehend, der verschont bleibt vom Gericht,
Ins grenzenlose Reich des Opiums getrieben! –
So heißt des Erdenballs allewiger Bericht.

[153] VII.

Ein bitter Wissen, das auf Reisen wir erspähen!
Die Welt läßt, eng und klein, für ewig festgebannt,
Uns gestern, morgen, heut das eigne Bildnis sehen,
Oase tiefen Grauns in öder Wüsten Sand!
Muß bleiben man, muß fliehn? Kannst bleiben du, so bleibe;
Geh, wenn dir's not! Der flieht, der duckt verborgen sich,
Daß er die Wachsamkeit des Feindes hintertreibe,
Der Zeit! – O Läufer sind, die unabänderlich
Wie die Apostel und der ewge Jude eilen,
Die Schar, der Kiel und Rad nie schnell genug erschien,
Zu fliehn des Gegners Netz; und andere verweilen
Am Ort, der sie gebar, und töten dennoch ihn.
Wann endlich seinen Fuß im Rücken wir gewahren,
Dann können hoffen wir und rufen laut; Voran!
So wie vor Zeiten einst gen China wir gefahren,
Den Blick auf weiter See, die Haare im Orkan.
Wir werden froh das Meer der Finsternisse grüßen,
Dem jungen Wandrer gleich, des Herz sich freudig hebt,
Hört diese Stimmen ihr, die dunklen, tödlich-süßen,
Die singen: Kommt hierher, die ihr zu speisen strebt
[154]
Vom Lotus selgen Dufts. Hier erntet ihr alleine
Die Wunderfrucht, nach der ihr hungernd lang geirrt;
Kommt ihr berauschen euch am seltsam-milden Scheine
Des Sommernachmittags, der niemals enden wird?
Die traute Stimme weist uns Schatten, längst begraben;
Die Schar der Pylade erschließt die Arme weit.
»Schwimm zu Elektren hin, dein müdes Herz zu laben!«
Ruft sie, der wir die Knie geküßt vor langer Zeit.

VIII.

Tod! Greiser Kapitän! Zeit ist zum Ankerlichten!
Dies Land sind müde wir. O Tod, in See hinein!
Dräun, schwarz wie Tinte, Meer und Luft uns zu vernichten, –
Im Herzen, das du kennst, strahlt doch ein lichter Schein!
Laß zu erneuter Kraft dein eisig Gift uns trinken!
Wir wollen – uns verbrennt das Hirn in Glut und Graun –
Tief in des Abgrunds Nacht, ob Höll, ob Eden, sinken,
Ins unbekannte Sein, um Neues zu erschaun!
[155]

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TextGrid Repository (2011). Baudelaire, Charles. Die Reise. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1F00-C