[140] Kleine Irrgartengaenge mit Verschiedenen

Fund

Was das doch war? In einem alten
Notizbuch windig hingekritzelt fand ich
Dies schnurrige Versvolk:
»Im gelben Schlafrock mit roten Quasten
Kommt mir entgegen die Kleine mit Würde.
Und sie klappert mit blauen Pantöffelchen,
Die mit Silber und Golde gestickt sind.
Aber trotz dieser höchst kostspieligen
Ausstattung und trotz meines schäbigen
Exterieurs fällt mir um den Hals gleich
Diese seidene Schönheitskönigin.«
Die Verse sind so verzweifelt schlecht,
Daß es mir scheint: das Ding ist echt.
Was es nur war ...?

[141] Alter Glückszettel

Zwischen Hetzen und Hasten,
In Lärmen und Lasten,
Von Zeit zu Zeit
Mag gerne ich rasten
In Nachdenklichkeit.
Fliege, fliege, mein Denken, zurück,
Suche, suche: in heimlichen Ecken
Dämmerbrauner Vergangenheit
Mag wohl von verklungenem Glück
Blinkend ein Blättchen stecken.
Und ich suche in meinem Andenkenkasten.
Zwischen Bändern und Briefen,
Die lange schliefen,
Aus trockenen Blumen und blassen Schleifen
Will ich mir was Liebes greifen.
Da fand einen Zettel ich, bleistiftbeschrieben,
Der hat mir die Wärme ins Herz getrieben.
Was stand denn da?
Von meiner Hand:
I mag Di gern leid'n; Du: Magst Du mi aa?,
In schmächtigen Zügen darunter stand:
Ja.
[142]
In Lärm und Last,
In zager Zeit
War mir ein Gast
Aus Glückseligkeit
Dies kleine Ja der Vergangenheit.

Ich freue mich auf morgen

Gell ja, also morgen?..
– »Ja freili, wenn S' aufstehn.«
Aber natürlich werd ich aufstehn!
Punkt sechs wirds klopfen:
»I geh ...!«
Und heraus aus dem Bette
Mit einem Gewaltsprung,
Und hinein in die Kleider
Mit heftiger Begeisterung,
Und hinaus und hinunter
Ans Thor zu dem Mädel,
Und fort, fort, fort,
In den Tag hinein,
In den blühenden Tag,
Zu Zwein, zu Zwein!
Ich freue mich auf morgen.

[143]?

Was eigentlich die Kleine will,
Das mag der Teufel wissen!
Bald guckt sie mich gar glühend an,
Als wär sie hingerissen.
Wovon? Wozu? Ich ahn es nicht;
Der Teufel mag es wissen.
Dann aber wieder macht sie mir
Ein Lärvchen, furchtbar sauer,
Daß mirs durchs ganze Rückenmark
Hinfährt wie kalter Schauer.
Weshalb? Warum? Ich weiß es nicht,
Bin immer gleich beflissen.
Was eigentlich die Kleine will:
Der Teufel mag es wissen.

Wartelohn

Morgenjunge Herrlichkeit,
Hell die Welt und frisch der Wind,
Wartend klopft mein Herz geschwind –:
Eine Minute schon über der Zeit!
Ach, wie oft schon sagt ichs, Kind:
Pünktlichkeit!
Und ich spähe augenweit,
Und ich schaue fast mich blind,
Ist das Mädel nicht gescheidt?
[144]
Zehn Minuten schon über der Zeit!
Soll ich eine Ewigkeit
Warten und sehnen!? – Langsam rinnt
Der Minuten Folge, breit
Wie ein Theerstromm. – Zeit, oh Zeit!
Deine Minuten wie Stunden sind! ...
Sieh, da flattert ihr blaues Kleid,
Flattert im Wind!
Alles Warten ist verwunden,
Hat sich Mund auf Mund gefunden,
Blick in Blick sich eingesenkt.
Dehnten jetzt sich die Sekunden
Wärs kein Umstand, der uns kränkt,
Da der Wind mit leisem Neigen
Ein Panier aus Frühlingszweigen
Ueber unsren Küssen schwenkt.

Trab!

Gern wohl möchte mich die Braune.
Doch ich soll erst karressieren,
Redebutterbröde schmieren;
Dazu hab ich keine Laune.
[145]
Komm und küß und sei vernünftig,
Spiel nicht lange erst die Spröde!
Schönste Schmeichelbutterbröde
Und noch mehr bekommst du künftig.

Ketzerküsse

Grün deine Federn am Hut, mein Kind,
Blau deine Augen im Kopfe sind:
Wie kannst du so was wagen!?
Grün paßt nicht zu blau,
Wird dir prompt und genau
Ein jeder Professor sagen.
Was? Dir ist das ganz einerlei?
Du sagst, daß es dir – schnuppe sei,
Was Professoren sagen?
Mein Kind, mein Kind, dein Sinn ist schlimm
Ich aber will ad interim
Es dennoch mit dir wagen.
Verwegen zwar, ich fühl es, ist
Mein Thun, doch wenn du gnädig bist,
Wird mirs zum Heil ausschlagen.
Komm, gieb mir deinen roten Mund
Und laß uns küssen und lachen und
Kein' Menschen darum fragen.

[146] Sankt Heinrich

(M.P.)


Hinter Wipfelgrün am See
Liegt das Dorf des heiligen Heinrich;
Zwischen Wiese, Wald und Feldern
Ruht es mollig eingebettet;
Leise geht des Lebens Atem
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See,
In dem weißen Wallfahrtskirchlein,
Liegt der heilige Heinrich selber
Mit dem knorrigen Eichenknüppel.
Ruht sich aus von seinen Tugenden
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See,
Wo Henricus mit dem Knüppel
Schläft den Schlaf gerechter Seelen,
Schafft ein allerliebstes Mädel,
Tugendhaft wie Sankt Henricus,
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See,
In der kleinen Wirtshausstube,
Zwischen weißen Ahorntischen,
Zwischen dunklen Epheuranken
Weht Mariens weiße Schürze,
Hinter Wipfelgrün am See.
[147]
Hinter Wipfelgrün am See
Hab ich um den heiligen Heinrich
Und des heiligen Heinrichs Tugenden
Mich höchst wenig nur gekümmert,
Aber selig war ich dennoch
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See
War höchst selig mir zu Mute,
Sah ich in das Aug Marieen,
Drückte ich die Hand Marieen,
Küßte ich den Mund Marieen,
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See,
Wo des Lebens Atem leise
Weht und Sankt Henricus schlummert,
Träumt ich mir ein Friedensmärchen,
Sonnt ich mich in Märchenaugen,
Hinter Wipfelgrün am See.
Hinter Wipfelgrün am See
Liegt das Land, das herzverheißene,
Voller Blumen, voller Düfte,
Voller Lieder, voller Träume,
Meines Herzens Kanaan,
Hinter Wipfelgrün am See.
[148]
Hinter Wipfelgrün am See ...
Aus dem Paradies getrieben
Bin ich nun mit meinen Träumen.
Eichenknüppelheiliger Heinrich,
Dich beneid ich und dein Schlummern
Hinter Wipfelgrün am See.

Tanz auf der Tenne

(Skt. Heinrich.)


Es kreiste die Sense mit scharfem Schwung,
Es fielen die Halme, es sank das Gras,
Und die Sonne lachte der Ernte.
Der Himmel war blau, und die Luft war heiß,
Und die Schnitterin schnitt und lachte dazu:
Oh, du Sonne, du Sonne, du gute!
Nun ist es gesammelt, das goldene Korn,
Und das duftige Heu liegt wolkenschwer
Im Haus, unterm Dach: Nun sind wir dich los,
Frau Sorge!
Nun klingen die Glocken zum Erntefest,
Nun wollen wir tanzen zwischen dem Heu,
Wo unsere Schlegel dem Körnertanz
Laut schlugen den Takt:
Auf der Tenne.
[149]
Nun Schnitterin komm und reich mir die Hand,
Nun will ich mal sehn, du fröhliche Dirn,
Ob deine Beine so lustig sind,
So voll Kraft und voll Schwung,
Wie die Arme.
Und die Geige singt,
Und der Brummbaß brummt,
Und die Pfeifen kichern und kullern wie toll,
Und wir drehen uns wild
Rundum, rundum
Zwischen duftendem Heu auf der Tenne.
Warm fühl ich mir nah deine Frühlingsbrust,
Du flinkes Mädel; ich halte dich fest,
Ich seh in dein Auge, es jauchzt mein Herz:
Oh, du Sonne, du Sonne, du gute!

Ernste Mahnung

Deine lachenden Augen ruhen auf mir
Sonnenscheinwarm und trösten mein Herz;
Dein kleines Grübchen der rechten Wange
Macht lustig mein Herz, denk ich blos seiner;
Dein rascher Schritt belebt mein Auge
Und spendet Flügel meinen Gedanken;
[150]
Dein Schelmenkinn dünkt mich so witzig
Wie zehn französische Komödien
Und dreißigtausend urgermanische;
Deiner Lippen geschwungener Liebesbogen
Jagt Kußwild auf in meinem Herzen
(Ich denke du findest das Bildchen zierlich!)
Und wenn du sprichst, schwillt auf mein Fühlen;
Dann bin ich selig ganz, ganz selig,
Die Engel im Himmel dann hör ich ja singen!
Aber nur eins, mein Mauserl, bitte,
Eins vermeide – es macht nervös mich –,
Sprich mir nicht das Hauptwort »Heirat«.
Dieses Hauptwort klingt so ledern,
Wie ein ganzer Leitartikel,
Und ich hasse sehr dergleichen.

Fasching

Introduktion

Buntes Gewühl, es wirheln und flirren
Tausend Farben in tollem Gemenge,
Taumelnde, jauchzende Töne schwirren,
Suchende glühende Blicke irren
Durch das Gedränge.
In all' dem Trubel – ich suche nur eine:
[151]
Reizender Racker, was läufst du so schnelle?
Kaum, daß ich wieder zu haben sie meine,
Ist sie verschwunden, die zierliche, kleine
Pollichinelle.

Nebenbei

Mit dem Fächer spielen,
Mit den Augen zielen,
Jede kann die Kunst famos;
Jede lernt das schnell,
Die kleinste Nähmamsell
Ist auf diesem Gebiete groß.

Walzer

Ein Walzer hebt sich säuselnd an
Mit hüpfendem Bogenspringen,
In breitem, rauschendem Striche dann
Beginnt er sein lockendes Singen.
Er schmeichelt in das Herz sich ein
Den zart beschwippsten Mädchen,
Nun ist die Ruhe bittre Pein
Elektrisierten Wädchen.
Frei und geheim ist hier die Wahl;
Such, Freund, dir irgend eine
Und schwenke sie rundum im Saal,
Stehst fest du noch auf dem Beine.

[152] Intermezzo des Jammers

Himmel und Hölle! Was muß ich da sehen!
Meine kleine Pollichinelle,
– Himmel und Hölle! –
Hingeschmiegt in lustigem Drehen
An die breite Brust eines langen
Russen, mit lauter Pistolen behangen
... Hol ihn der Teufel!

Redouten-Ritornelle

1.
Bescheidenes Veilchen!
– Na freilich, mein Schatz, wir trinken schon Sekt,
Aber wart noch ein Weilchen.
2.
Tulpenglocke!
– (Sie wohnt in der Kaufingerstraße 3,
Hinten, im dritten Stocke.)
3.
Schimmernde Rose!
– Sie ist mich arm in Kalbsfilet
Mit saurer Sahnensauce.
4.
Schwermütige Lotosblüte!
– Von Leibe ist sie dürftig zwar,
Aber üppig von Gemüte.
[153] 5.
Mein Gänseblümchen!
– Ich bin zufrieden, giebst du mir nur
Von deiner Liebe ein Krümchen.
6.
Strohgelbe After!
– Auf dem Maskenfeste spröde sein
Ist ein abscheuliches Laster.
7.
Duftvolle Syringe!
– Hätt ich Geld im Sack, ich wettete mit,
Daß ich nach Hause dich bringe.

Polka

Eng ihr an die Brust gepreßt,
Halt ich sie fest, halt ich sie fest,
Drehe mich wild ringsum, ringsum:
Mädel, Mädel, du hübsche, gute,
In meinem Blute
Dreht sich ein Tanz:
Dein bin ich ganz!
Mädel du, Mädel du, magst du mich leiden?
Wir zwei beiden
Passen zusammen,
Unserer Herzen jauchzende Flammen
Geben wundersamen Glanz.
[154]
Dir aus den Augen schimmern sie prächtig,
Mir in den Adern schwellen sie mächtig,
Rasen sich taumeltoll tanzend entgegen
Jubelnd, verwegen,
Schwellend im Glühen,
Im Lodern, im Sprühen
Höllischen, himmlischen Brands!

Kehraus

Kehraus. Vorbei der tolle Schwarm.
Wir gehen friedlich Arm in Arm,
Die Meine und ich, nach Hause.
Nach Hause.
Ist nicht die Welt gar wunderschön!
Sieh, wie die Sterne am Himmel stehn,
Wie sie freundlich blinken.
Dir in die Augen muß ich sehn,
In dir vergehn,
In unsäglicher Lust ertrinken.

Ein Menuett

Nestwarmweiche Lagerstätte,
Himmelblaues Himmelbette,
[155]
Seidenkissen, Spitzenzier,
Rosawolken, mullgebauschte,
Hinter denen Amor lauschte,
Unsrer Liebe, dir und mir,
Kräuselte der Tapezier.
Aus der Ampel quillt in hellen
Morgenrötenrosenwellen
Schmeichelweiches Liebeslicht.
Wie in einem Rosenhaine,
Rose selber, ruht die Meine,
Und von Rosen ein Gedicht
Ihres Busens Heben spricht.
Leise, leise, ihren roten
Lippen Morgengruß geboten.
Augen auf. Bon jour Madam'!
Zweier Sonnen hell Erwachen,
Zweier Sonnen selig Lachen ...
Als ich in den Arm sie nahm,
Amor aus der Wolke kam.

Ringelreime

Es war im März der erste Tag,
Da hob sich erstes Frühlingswehn
Und erster lauter Amselschlag.
[156]
Es war im März der erste Tag,
Der Schnee noch auf den Bergen lag,
Da hab zuerst ich dich gesehn.
Es war im März der erste Tag,
Da hob sich erstes Frühlingswehn.
In meinem Herzen war es Mai
Voll buntem Blütenüberschwang.
Der Winter, rief es, ist vorbei!
In meinem Herzen war es Mai.
Es sang die Liebe tandaradei,
Und Vers an Vers in Knospen drang.
In meinem Herzen war es Mai
Voll buntem Blütenüberschwang.
Da kam der Mai mit Sang und Blust,
Der laute, bunte Erdenmai
Und aller Kreaturen Lust,
Da kam der Mai mit Sang und Blust.
Da wandst du dich von meiner Brust
Und schnittst der Liebe Band entzwei.
Da kam der Mai mit Sang und Blust ...
Da war der Frühling mir vorbei.

[157] Meine Sonne a.D.

Als es Winter war, hatt ich nur einen
Sonnenschein, – dich,
Und du warst mir eine ferne Sonne mit seltenen Strahlen.
Aber wie waren sie warm und freundlich,
Und wie war ich glücklich!
Nun ist es Frühling geworden über die Erde,
Und die Vögel rufen sich von schwanken Knospenzweigen,
Und der Himmel ist blau wie Erfüllung aller Seligkeit.
Aber wo ist denn meine Sonne?
Schau da, wie schön: von chinagelber Seide
Das Kleid, burgunderrot der Gürtelreif,
Und alle Blumen des Frühlings auf dem weißen Hute,
Geht meine Sonne dort auf
Vor dem römischen Rot der Arkaden.
Sonnensieg! Die gelbe Seide
Surrt mit falbelndem Saum
Ueber den roten Fließ,
Und jeder ihrer Schritte ist ein Kuß der beglückten Erde.
Das ist meine Sonne?
[158]
Ach, wie sie doch im Winter so weich
Und fraulich war und lieb.
Nun ist sie stolz geworden, und wie ein Komet
Zieht sie einen zitternden Schweif von Verehrern nach und läßt
Die dümmsten Monde in ihre Nähe, wenn sie von Silber sind.
Sonne, dein Sieg gefällt mir nicht.
Halloh!
Ich geh auf die Sternensuche!

Trennung

(M.M.)


Es liegt in mir wie eine Wolke
Der düstre Abend, der uns schied.
Es stand kein Stern am grauen Himmel
Und von den Zweigen klang kein Lied.
Verdrossene Menschen gingen eilig
Im feuchten Dunkel uns vorbei.
Auf nasser Bank verschlungen saßen
Wortlos und herzensbang wir zwei.
Es sah der Mond durch dürre Aeste.
Auf deinem Antlitz lag sein Schein
So düster-tot, – mein heimgegangnes
Glück hüllte er in Strahlen ein.
[159]
Und wenn dein Blick, dein seelenvoller,
Sich zu mir hob, in Schmerzen mild,
Aus bleichem Mondenstrahlenglanze,
Da sah ich meines Schicksals Bild:
Das Schöne, das ich still erdichtet
Und rein im Herzen aufgestellt,
Wie es vor meinem heißen Wünschen
Fliehend in Schmerz zusammenfällt.

Eine Erinnerung

Frühling wars; ich war auf einem Kirchhof.
Saß auf einem Grab ein blondes Mädchen,
Hatte blaue träumerische Augen;
Einen Fliederzweig hielt sie in Händen,
Ihre Augen gingen in den Himmel,
Und es leuchteten die blauen Augen.
Irgendwo einmal schon sah ich diese
Wunderschönen träumerischen Augen,
Und ich sinne: wo?
Da hör ichs klingen
Wie Klavier in einem Tingeltangel.
Und ich sehe auf dem Gauklerbrette,
Seh im kurzen Kleid ein Mädchen tanzen,
Und sie singt dazu mit dünnem Stimmchen
Schrill ein Lied: Nur einmal blüht im Jahr der
Mai.
[160]
War so blond, blauäugig jene Tänzerin
Wie das Mädchen mit dem Fliederzweige
Aber ihre Wangen trugen Schminke,
Und es lagen wie geduckte Schlangen
Schwarze Ringe um die blauen Augen.
Jenes Mädchen starb in meinen Armen,
Krank und elend, aller Lüste müde,
Ihre Lippen preßten sich im Schmerze,
Die so heiß geküßt und süß gelächelt.
Aber als sie starb, da gingen ihre
Blauen Augen leuchtend in den Himmel,
Und ich dankte tief in meinem Herzen
Ihrem Heiland Tod, daß er sie löste.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sieh, das Mädchen mit dem Fliederzweige
Ist gegangen.
Dank für die Erinnerung,
Die mir deiner blauen Augen Leuchten
Gütig schenkte!
Durch die Trauerweide
Geht ein Wehn: Nur einmal blüht im Jahr der
Mai.

[161] Rosenopfer

Kind, das Bette ist bereit,
Lege dich nun nieder
Und thu ab dein schwarzes Kleid,
Rock und Hemd und Mieder.
Eva, Eva, Evalein,
Lasse dich beschauen!
Ist das wirklich Alles mein?
Darf ich michs getrauen?
Pst! Sie spielt die Schläferin.
Leise und verstohlen
Schleich ich mich zur Vase hin,
Rosen herzuholen.
Und ich überschütte sie,
Brust und Leib und Lenden,
Und ich sinke in die Knie
Mit erhobnen Händen.
Der noch nie ich am Altar
Eines Gottes kniete,
Meine Rosen bring ich dar
Dir, oh Aphrodite.
Gottlos lief ich kreuz und quer
Mit beschwerten Sinnen
Hinter leeren Schatten her,
»Wahrheit« zu gewinnen.
[162]
Nichts gewann ich und verlor
Meine besten Tage,
Denn sie raunten mir ins Ohr
Immer neue Frage.
Oh die Schatten! Hin und her!
Die verwünschten Spinnen:
Doch ich folge nun nicht mehr
Diesen Fragerinnen.
Dir, die keine Fragen weiß,
Die nur lacht: ich gebe!,
Dir strömt meine Andacht heiß:
Schönheit, sieh, ich lebe!
Liebliche, oh nimm mich hin,
Daß ich neu erwarme;
Aphrodite, Schenkerin,
Nimm mich in die Arme.
Und mein süßes Mädchen lacht
Rosendüftetrunken.
In der schönsten Brüste Pracht
Bin ich hingesunken.

[163] Wundersames Abenteuer in einem Omnibus und einem Hausflur

Ach wie schön sie ist, meine Nachbarin!
Blaue Augen hat sie und ein Grübchenkinn,
Blonde Haare steigen ihr vom Nacken an,
Und ich bitte, seht doch, wie sie lachen kann.
Ist wie eine Säule rund und wohlgestalt,
Und ich schätze höchstens sie auf neunzehn alt.
Eine Augenweide ist sie, ein Genuß!
»Neue Friedrichstraße!« Hält der Omnibus.
Ist sie aufgestanden, will sie gehn; nanu?
Wirst ein Feuerrad sie mir zwei Blicke zu,
Rauscht an mir vorüber; ach wie schön sie geht,
Und ein Rüchlein Rose aus dem Kleid ihr weht.
Und ich bin gefangen, tappe hinterdrein,
In die Neue Grüne Straße biegt sie ein.
Wo die runde Neune überm Hause steht,
Hat sie sich mit Lächeln nach mir umgedreht,
Ist hineingegangen, und im dunklen Flur
Fühlte ich zwei Lippen und zwei Arme nur,
Stand in einer Rosen-Wolke; die war heiß;
Doch es sind die Hitzen hold im Paradeis.
Na? Und wie gehts weiter? Weiter gehts nicht mehr.
Mehr hier zu verlangen unbescheiden wär.

[164] Geflüster im Gange

›Wer‹ ... »Still, ich; geh nicht vorbei« ...
›Laß mich‹ ... »Mädel;« ... ›Laß mich frei‹ ...
»Du, du schreist, so sei doch still« ...
›Laß mich, wenn ich doch nicht will‹ ...
»Komm, komm mit« ... ›Nein doch, ach, nein‹ ...
»Wirst du wohl gleich stille sein?« ...
›Pst, die Thüre ging, wenn wer‹ ...
»Komm doch, Mädel, komm doch her!
Einen Kuß bloß, – oh du, du!
Und nun leise, aus die Schuh«.!.
›Nein, ach‹ ... »So, jetzt trag ich dich,
Du mein Kätzchen Leiseschlich.«
Heißes Atmen, Küsse, Stille.
Stets geschieht des Kleinen Wille.

Pfingstomnibus

Zwei dicke Isabellen,
Die ziehn das Räderhaus,
Darinnen sieht's von hellen
Pfingstkleidern lustig aus.
[165]
Der Kutscher auf dem Bocke
Sitzt zwischen Zweigen grün;
Wunder! An seinem Rocke
Zwei Fliederbüsche blühn.
Die Peitsche läßt er wehen
Wie linden Wimpelschwung,
Die dicken Gelben gehen
Heut wie zwei Fohlen jung.
Als wenn sie heut zu Ehren
Dem Frühlingsfeiertag
Silberbeschlagen wären,
Klingt ihrer Hufe Schlag.
In hellen Resonnanzen
Tönts wider der Asphalt,
Klipp-klapp von Liebe und Tanzen
Ein Lied empor mir schallt:
Ein lieber Junge ist der Mai,
Er sitzt mit grünem Kranze
Auf einer buschigen Linde srei
Und spielt uns auf zum Tanze.
Hat Augen grade so wie du,
Die wie zwei Sonnen scheinen,
Er spielt und schwingt den Takt dazu
Mit seinen nackten Beinen.
[166]
Komm, Mädel, gieb mir deine Hand,
Wir wollen einen drehen,
Wie ihn der Mai, der Musikant,
Sein Lebtag nicht gesehen.
Nicht nach der Ueberzarten Art
Wolln wir im Kreise schleichen,
Wir tanzen heute Himmelfahrt
Und nach des Maien Geigen.
Drum fassen wir uns fest und warm
Und wirbeln uns verwegen,
Hopp, Mädel, komm! In meinen Arm
Kannst du dich ruhig legen.
So hoch des Maien Geige singt,
So hoch will ich dich heben:
Wer tanzend in die Liebe springt,
Der springt ins ewige Leben.

Hilf, heiliger Sankt Florian!

Einer roten Straußenfeder
Sagt ich eben Guten Abend;
Heil'ger Florian, da dacht ich
Dein und deiner roten Fahne.
[167]
Dacht auch deines Wasserkübels
Und der großen roten Flamme,
Die du löschst mit kaltem Strahle,
Und ich betete bedächtig:
Lösche, lösche, Floriane,
Diese rote Straußenfeder!
Denn sie brennt mir schon im Herzen,
Und das giebt ein Schadenfeuer!

Hoher Besuch

(Der schönen Unbekannten.)


Brandrot das Haar, ein violetter Hut
Mit schwarzem Schleier und orangenen Rüschen,
Braun das Jackett, die Boa: gelber Fuchs,
Der Rock marineblaues Tuch mit Schwarz.
Ich sinke in die Kniee: »Herzogin!
Tritt über meinen Nacken in mein Haus!
All meine Vers-Dämonen blasen Tusch,
Und auf dem Tisch von Palisanderholz
Harrt seiner Herrin ein Carton ›Marquis‹
Der besten parfümierten Pralinés.«
[168]
– Schnabunkel! sagt sie, zieht das Ohr mir lang,
Küßt mich (wie riecht sie frisch!) hastig und schnell
Und setzt sich in das gelbe Kanapee.
– Bonbons! befiehlt sie. »Hier!« Den Schleier hoch,
Und in die braune Schokolade senkt
Sich weiß das allerschneeigste Gebiß.
»Und was befiehlt die rote Herzogin!«
– Sie wünscht geliebt zu sein.
»Sofort Madam?«
– Sofort und sehr. Man küsse mich enorm!
»Belieben Eure Hoheit nicht erst das Jackett ...?«
Ich wünsche im Jackett geliebt zu sein.
»Doch wenigstens den Schleier ab, Madam ...?«
– Genehmigt!
Das Gegitter auf den Tisch.
Wir küssen uns. Sie drückt mich fest an sich,
Der gelbe Fuchs umkitzelt meinen Hals.
– Ich bin sehr gnädig heute, findst du nicht?
»Ich finde, daß Ihr immer huldreich seid.«
– Ich bin zu gut für diese Welt. Sag mal:
Weißt du denn, wer ich bin? »I, keine Spur!«
– Und willst es auch nicht wissen? – »Pfui, wer wird,
[169]
Neugierig sein, wenn er im Glücke sitzt!?
Du bist mir meine rote Herzogin,
Denn deine Grazie, dein Wuchs, dein Gang,
Die Art, wie du die Handschuh von den Fingern streifst,
Wie du den Kopf zurückbeugst, küß ich dich,
Wie du Bonbons ißst, lächelst, dir den Schleier steckst,
Und, ach, die Art, wie du mich küßst, Madam,
Ist herzoglich, – ich sagte königlich,
Wär mir dies Wort für dich nicht zu verbraucht.
Und nun zu denken, daß dein Mann vielleicht
Banquier ist, Rechtsanwalt, Professor, Arzt,
Major, Regierungsrat, Großbrauer, Maler,
Kurz irgend was, dem man begegnen kann,
Im Trambahnwagen, auf der Straße, im Café –
Entsetzlich! Nein, du bist die Herzogin.
Dein Mann (sie lächelt seltsam) wohnt im Schloß,
Ist alt und gnädig, geistreich, tolerant,
Trägt Escarpins, Jabots, sagt ma chérie,
Regiert ein Volk, das sehr zufrieden ist,
Pflegt das Ballet, liebt altes Porzellan,
Bläst etwas Flöte, hüstelt in die Hand,
Hat hie und da ein bischen Podagra
Und lächelt etwas schmerzlich, wenn er hört,
Die Liebe sei ein göttliches Pläsier,
Kurz, Serenissimus ist comme il faut
Und hat nicht viel dagegen einzuwenden,
[170]
Daß Serenissima den Dichter küßt,
Der schon manch Carmen ihm zu Ehren sang
Und am orange-grünen Band das Kreuz
Vom weißen Papageienorden trägt.«
– Oh mein Schnabunkel, welch ein Narr du bist!
In deinem gelben Kanapee vergeß ich
Sehr viel, – vergeß ich mich und bin ein Kind,
Leichtsinnig, treulos, hingegeben, – gut.
Nein, du sollst nie erfahren, wer ich bin.
Wir wollen hier in diesem kleinen Haus
Verstecken spielen vor uns selbst, nicht wahr,
Und glücklich sein, weil wir bloß Menschen sind,
Nicht der und der und die und die – bloß ich und du.
Auch sei nicht Treue hier geschworen, und
Kein Band geknüpft; das Heute ist uns hold,
Das Morgen mög es sein; was später kommt,
Das mag die Götter kümmern, die es walten;
Uns wächst kein graues Haar um dies Vielleicht.
Küß mich, Schnabunkel! Serenissima
Ist küssedurstig und so sehr verliebt
In diesen Herrn vom gelben Kanapee,
Daß sie nichts hat, was nicht auch ihm gehörte.
Sie lebt nur hier; was draußen ist, ist Tod;
Ein Vers von dir, ihr in das Herz gehaucht,
Ist Lebens mehr, als alle ihre Welt.
Hier ist ihr Traum, und sie genießt ihn ganz,
Sieht alles glänzend, wies im Traumland ist,
[171]
Fühlt alles hundertfach, weil sie es träumt.
Du bist mein Page, reizend und verrucht,
Ich schlich zu dir, die Nacht war warm und feucht,
Aus meinem Bette in den Pavillon,
Die Sterne blinzeln, und die Nachtigall
Schluchzt Liebe aus der Laube von Jasmin.
Das Leben ist ein Abenteurerspiel,
Gefahr giebt heiße Süße dem Genuß,
Die Sünde ist ein wunderbarer Trost
Im Leben, das so trostlos grade geht.
Ich habe keine Kunst: was Sünde heißt,
Leb ich als meine Kunst. Verstehst du mich?
»Ich sehe, daß dein Mund ein Leuchten hat
Wie Rosenblätter, und dein Auge schwimmt
In Wollust; alles ist so schön erregt,
Daß ich empfinde, wie du glücklich bist.
Und sieh, mir ist, du wärst von mir ein Lied,
Das mir in heitrer Unbewußtheit kam,
Ich sag mirs immer, immer wieder vor
Und wundre mich beglückt: Das kam von mir?
Oh du mein schönes Lied, geschenktes Glück,
Du Leben, Traum, Gleichklang und Wiederklang:
Daß du mir kamst, zeigt mir, daß Götter sind,
Die Gnaden für mich haben und mich führen.
Aus Ketten haben sie mich frei gemacht,
Wie einen Vogel machten sie mich leicht
[172]
Und gaben auch den leichten Sinn ins Herz,
Der nicht bedenkt und frägt, nur nimmt und singt.«
Die rote Herzogin lacht wie ein Kind
Und nimmt den Hut ab: – »Hilf mir aus der Jacke!«
Aus allem helf ich ihr, was sie beengt.
Ihr rotes Haar ist nun ihr einzig Kleid.
Und ich erhebe sie zur Kaiserin.

Porträtstudie

Listig liebe blaue Kinderaugen,
Milde, müde, müd ein wenig:
Ganz tief drin lustiger Trotz.
Feine, bogenspitze, schmale Lippen;
Dunkel kirschenrot brennt drin
Küsseglut.
Aber es lächelt auch
In den Winkeln des zierlichen Schnörkelschwungs
Neckende Redekunst.
Drunter weich,
Weich und keck,
Springt heraus der lebendige Sammt
Des Grübchenkinns.
[173]
Nach oben ein wenig,
Ein ganz klein wenig nach oben schnubbert
Lauschend ein höchst fideles Näschen.
Ueber dem lustigen Augenpaar
Schwingen sich voll, zwei goldene Bogen,
Feine Brauen; sie weisen kokett
Mit ihren letzten, flaumigen Spitzchen
Hin auf die rosig-roten Muscheln
Zweier wunderkleiner Oehrchen.
Aufwärts in elegantem Schwunge
Von dem weichen, weißen Nacken
(Nur ein braunes Fleckchen drauf)
Schwingt sich wellenweich das Blondhaar,
Strudelt sich oben fidel und lacht,
Lustig ein wenig vornüber geneigt,
Ueber die kleine, klare Stirn,
Der es zum Schutze
Flirrender, goldener Fäden ein Rieselnetz
Fröhlich überbreitet.
Unter dem Ganzen
Gehen sittig auf und nieder
Warme, weiche, kleine Brüste ....

[174] Mit trockenen Blumen

Hoffnungswimpel im Lenze,
Banner des Todes nun,
Gern wären es Liebeskränze,
Die hier wie Leichen ruhn.
... Der Herbst hats gethan,
Sterben hebt an ....
Grüß Gott, grüß Gott, du Mann mit der Sense!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Kleine Irrgartengaenge mit Verschiedenen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-300C-E