Barocke Bilder

(An Otto Erich Hartleben für den Pierrot lunaire.)

1.

Die Sonne ging unter, der Mond steigt auf,
Sonngoldenes Rot Westwolken berändert,
Drüben in geisterleisem Lauf
Mondsilberhuschestrahl schlendert.
Sterbeverzuckendes, rieselndes Rot;
Sonne, das Heldenherz bricht im Tod,
Das flammende Leben versinkt.
[242]
Schau, wie die wimmernde Nacht, die kalte,
Eifersüchtige Alte,
Das dampfende Herzblut trinkt.

2.

Die goldene Wärme schwand in die Nacht,
Nun ist der kalte Spott erwacht,
Der sich ins tiefste Erdenloch
Vor der schenkenden Güte verkroch.
Es glitzert frech,
Ein Schild von Blech,
Der leere Mond über des Tages Leiche.
Seine Strahlen sind Seelen vom Schattenreiche.

3.

Der Mond wirft seinen Silberspeer
Nach dem Herzen der Erde,
Daß sie wie er
Ein spukender Leichenstern werde.
Seit Jahrmillionen ohn Unterlaß
Will er sie töten,
Aber sein Haß
Muß fliehn,
Sieht er am Himmel ziehn
Das Purpurlebensmeer der Morgenröten.
Noch schlägt das Herz der Erde heiß
In Lieben und Gebären,
Noch dreht der alte Wandelkreis:
[243]
Samen, Blüten, Aehren –
Zeugen, Geburt und Tod,
Wann wird es stille?
Wo glüht das Urgebot,
Wo wacht der Wille?

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Barocke Bilder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-31E3-F