[260] Das Haus im Irrgarten

Abschied

(Prolog des Einsamen.)


Nun schließ ich dich, mein liebes Hausthor, zu,
Und niemals wieder freut mein Auge sich
Am alten Schnitzwerk, deinem heitern Schmuck,
Dem Rebenbogen mit der Traubenlast,
Und niemals wieder öffn' ich Dich, mein Thor,
Um in das schöne alte Haus zu gehn,
Das meinem Glück die letzte Heimat war.
Die letzte Heimat, – und nun geh ich fort,
Beschmutzt von Falschheit, innerlichst verletzt
Von lügnerischer Tücke, die mich frech
Viel Jahre lang im holden Tänzerkleid
Verliebter Anmut narrte, und ich weiß,
Daß all mein Glück ein leeres Träumen war.
[261]
Oh Spuk und Schmach! Die Seele schäumt von Haß,
Denkt sie an dieses abgefeimte Spiel
Schamloser Niedrigkeit; – hier, hier geschahs,
Das schmutzig Feige, – ach, mein schönes Haus,
Daß ich an dich nicht rein mehr denken kann.
Am alten Marmortische sitz ich hin
Und hör den Brunnen rauschen, überweht
Von meiner Trauerweide Fallgezweig.
Halboffen ist die Gartenthür; da stehn
Die Lilienstauden leer, der Epheu glänzt,
Der nie sein Grün verliert, doch wohnen jetzt
Die schnellen Amseln nicht mehr im Geäst
Des hundertjährigen. – Käm ein Windstoß doch
Und schlüg die Thüre zu! Ich, sehe sonst,
Was ich nicht sehen will: ein rotes Kleid,
Ein rotes ... horch, es klingt ein Lied herauf,
Vom Garten her, wo die Cypresse steht ...
Ich wills nicht hören, ich bin taub dem Ton,
Ich schreie laut, ich will das Lied nicht, – ach,
Es überklingt den allerlautsten Schrei –:
Blinzt der Morgen in die Thür,
Steht mein Liebster dafür,
Mein Liebster, der war im Garten. –
Ist mit der Sonne aufgewacht,
[262]
Und hat an mich, an mich gedacht
Und an die Rosen, die da blühn
Heißa blühn,
Die Rosen blühn im Garten.
Meinen Liebsten und den Sonnenschein
Laß ich in die Kammer ein,
In meinen Rosengarten.
Da sind auch Rosen aufgewacht,
Als ich an dich, an dich gedacht,
Viel schönre, als da draußen blühn,
Heißa blühn,
Die Rosen blühn im Garten.
Der letzte Spuk ... Nein, Herz, es war nicht not,
Zu schrein und taub zu sein, – das fliegt vorbei
Wie Spätherbstfäden, – glänzt und fliegt vorbei.
Darin verfängt sich kein Gedanke mehr.
Und ich muß lächeln. Warum schalt ich denn?
Oh undankbares Herz, oh dumpfer Sinn!
Das alles war so schön und wunderbar,
Daß nichts als Dank sich ziemt. Was red ich schlecht
[263]
Von schönen Träumen? Pfui, was red ich schlecht
Von dir, mein Herz, das alles dies geträumt?
Du, Herz, beschiltst dich? Ach, du dummes Herz,
Du hast nichts besseres mir je beschert,
Als diesen Traum, und, daß er jäh verging,
Mich dünkt, auch das war gut, denn seine Zeit
Hat alles, und für uns, mein altes Herz,
Ist nun die Zeit des Träumens wohl vorbei.
Sieh doch, wie hell ist dieser Herbst; ein Glanz
Von Klarheit breitet sich geruhig her:
Mir scheint, ich wachte auf zur rechten Zeit.
Zwar geht mein Schritt unsicher in den Tag,
Und allzu oft wohl schau ich mich noch um,
Doch denk ich: bald ist mir das Licht vertraut,
Und, wenn ich rückwärts blicke, ist es nicht
Mit Augen, die voll Sehnsucht traurig sind.
Vorwärts, mein Herz! Du hast sehr schön geträumt,
Nun sei dem Tage stark. Es giebt ein Glück,
Das du nicht selber zu erdichten brauchst.
Nicht alles ist Komödie auf der Welt,
Und Liebe giebt es, die nicht Irrtum ist.

[264] Die Römerschanze

A la bonne heure! Strategischen Blick
Hatten die Römer und viel Geschick,
Muß ich sagen, im Schanzenbauen.
Hoch steh ich oben in eifrigem Schauen
Durch den schönen Septembertag,
Ob sie nicht endlich kommen mag.
Unten der See liegt unbewegt,
Oben im Walde kein Wipfel sich regt,
Ringsum auf Feldern mit Sensen und Sicheln
Wimmelts von Hansen und Franzen und Micheln;
Feierlich brummt es vom Klosterturm sechse,
Hurra, da kommt meine braune Hexe!
»Schneller, schneller, ich warte dein!«
Holla, da rennt sie querfeldein,
Fliegt an die Brust mir mit einem Sprunge,
Stürmisch heb ich sie hoch im Schwunge,
Kuß und Umarmung, eins, zwei drei,
Und im Grase liegen wir zwei,
Rollen die Böschung hinunter weich,
Rollen direkt ins Himmelreich.
Keiner stört uns. Schanzenumschützt
Haben wir römische Kriegskunst genützt.
Was vor vielen hundert Jahren
Schutz gewesen den Legionaren
Gegen Attaque und Ueberfall
Ward uns zum bergenden Liebeswall.
[265]
Lieb ich auch sonst nicht die harte Stadt,
Die eine Wölfin im Wappen hat,
Heute sing ich ihr Preis und Lob,
Daß sie die schützende Schanze uns hob,
Die uns ein Liebesbette bot
Bis ins erlöschende Abendrot.

Durch dunkle Gassen mit hundert Küssen

Im Heidenlärm der Tanzmusik,
Im Tabaksqualme, schwer und dick,
Warf zu das Glück mir einen Blick,
Einen goldenen Blick aus zwei heißen Sonnen.
Du warst an meiner Seite.
Der laute Lärm verschwamm, verrann,
Nun huben erst ihr Leuchten an
Die Sonnen, da die Nacht begann,
Die himmlischen Sonnen deiner Braunaugen.
Du warst an meiner Seite.
Heil uns: die Nacht, die finstre Nacht.
Nun schnell uns auf den Weg gemacht!
Ich habe dich nach Haus gebracht
Durch dunkle Gassen mit hundert Küssen.
Warm nah du mir zur Seite.
[266]
Leis klirrend schlug dein Hausthor zu.
Am Fenster Licht. Dann Nacht und Ruh.
Bald lagst in Schlaf und Träumen du,
Ich aber ging weiter durch nächtige Felder,
Die Liebe ging mir zur Seite.

Epistel von meinem Glücke

(An Detlev Liliencron.)


Schreiben muß ich im Tanztakt, Lieber,
Tanzen muß ich die Feder lassen,
Denn ich bin glücklich.
Hätt einen Hengst ich, ich ließ ihn satteln
Ueber die nächtigen Felder ritt ich,
Söge die Sommerluft im Trabe,
Riefe ins Dunkel der Nacht mein Glück.
Aber kein Reitroß steht mir im Stalle,
Nur einen klapprigen Klepper hab ich,
Jenen berüchtigten, gansflügelruppigen,
Vielgeschundenen, flechsenverdehnten,
Durchgesessenen, hinterhandhinkenden,
ὠποποι, ὠποποι: Pegasus.
[267]
Den nun lasse ich vor dir tanzen,
Wie ers vermag, der unglückselige,
Schwinge mich ihm auf den dürren Rücken.
Vor mich nehme ich: SIE.
SIE!
Zierlich setzt sie den Fuß in den Bügel,
Greift in die alte, dünnhaarige Mähne,
Schwippt mit der Gerte die ledernen Flanken,
Hopsa, nun gehts über Stock und Stein.
Nein!
Bleibe zu Hause mein Hippogryphe,
Kaue Vergißmeinnicht von der Raufe,
Friß du in Ruhe dein Gnadenbrod.
Aber die Feder, die Feder soll tanzen,
Singen und sagen will ich mein Glück.
Langsam, langsam! Was soll das Tollen.
Hübsch gemächlich wähl ich den Takt mir;
Will der Trochäus zum Daktylus hüpfen,
Nehm ich in Selbstzucht meine Gefühle,
Leite mich um in jambischen Trott:
Die Sommernacht ist allen Friedens voll,
Viel tausend Sterne stehn am Himmelsplan,
Und jeden Sternes Augenzwinkerlicht
Ist mir ein Gruß aus aller Welten Glück:
Die Welt ist glücklich, denn die Welt ist schön,
Die Welt ist glücklich, weil ich glücklich bin.
[268]
Klagt da ein Ruf aus dunkler Ferne her?
So komm zu mir, der du in Schmerzen schreist,
Schau in mein Herz, da flammt der Liebe Licht,
Wärm deine Not an meines Herzens Herd.
Komm und sei glücklich, weil ich glücklich bin.
Wer murrt da in der Ecke? Schweige, Tropf;
Ich kenne dich, du liebst das Eckenstehn,
Das aus der Ecke Schielen auf das Glück
Und dumpfes Murmeln; schweige, dunkler Geist
Der faulen Dumpfheit, die nicht fliegen kann
Und neidisch allem Flügelfrohen ist.
Du schimpfst das Glück, weil du es nicht verstehst.
In Käseblättern schmierst du dich herum
Und prahlst auf weithinragender Tribüne,
Doch stets geduckt. Ich hör, ich hör dich nicht.
Denn ich bin glücklich.
Was ist mein Glück? Ein braunes Augenpaar,
Ein warmer Druck von einer weißen Hand
Und Sehnsuchtsfeuer, das von Lippen glüht,
Die meinen Lippen gern Genossen sind,
Geschwisterlich in heißem Kuß geeint,
Daß ich es bannen könnte, dieses Glück,
In einen Vers ausgießen golden klar
Und unvergänglich, aller Menschheit Gut.
[269]
Und doch mein Eigen! Keiner rühre dran!
Ich schlag ihn tot, bei Gott, den geilen Hund,
Der mir mit frecher Hand mein Glück berührt,
Ich schlag ihn tot, den Sonnenfrevler tot! ...
Jagt mich mein Glück aus Liebe so in Wut?
Macht mich verrückt mein Glück, daß ich umarmen
Die ganze Welt in Heilandsgluten möchte
Und in Umarmung pressen in den Tod?
Dies Glück ist wie Natur: in Liebe grausam,
Wollüstig wütend. Oh du grausam Glück!
Dich selber möcht ich morden, peinigen,
An deinem Sterbezucken mich erfreun,
Hinröcheln meinen letzten Atemzug
In deinen Tod, – vergehn, vergehn mit dir!
Da blick ich in die schöne Sommernacht.
Ins Sterneschweigen, in den dunkeln Frieden,
Der seine Schleier schlägt um alles Sein.
Und ruhig werd ich. Aller Welten Glück
Erahn ich wieder, wieder schenkt mein Herz
Des stillen Heerdes freundlich liebe Wärme.
Als kehrt ich heim von einem heißen Ritt
Ist mir zu Mute jetzt. Es hat mich durchgerüttelt.
Und mir im Arm liegt sie, so müd, so hold.
[270]
Gehn wir nun schlafen, Schatz? Ach, wie sie gähnt.
Und ihren braunen Augen deckt sich leicht
Der schwarzen Wimpern Schutz. Wir gehn zu Bett.

Jenseits von Gut und Böse

Schwül war der Tag ...
Auch das Gewitter, das aus schwarzer Wolke
Fegenden Regen in das Seegrau goß,
Gab keine Kühlung.
Unbewegt das Laub,
Durstdürr.
Und auch mein Herz war schwül,
Von Sehnsucht schwül nach dir
Und deinem Heißesten.
Und dir auch dürstete das Herz
Und alle Sinne,
Und deinen schmiegeweichen Leib an mich
Hast du gedrängt,
Bittend aus Sehnsuchtsschwüle.
Da sahen unsere Seelen sich nackt in Liebe,
Und segenfeierlich vereinte uns Natur.
[271]
Wie im Garten
Des Paradieses, ehe die Schlange sprach,
Also erkannten wir uns wie im Traum
Und waren selig.
Wortelos
Im Arm uns lagen wir und kosteten
Vom Baume holdester Erkenntnis.
Schwül war der Tag,
In Schwüle ging die Nacht.
In segenschwangerer Wolke schwebten wir
Jenseits von Gut und Böse.

Amor-Vampyr

Im hellen Herbstwald auf buntem Laub
Waren wir wie Kinder und küßten uns
Unschuldig in linder Liebe.
Bubenmädel, Bubenmädel,
Wie lachten deine Augen, die hellen, braunen,
Wie lag dein liebes Köpfchen so leicht auf dem Laube,
Und leicht auch lagen meine Lippen auf deinen.
[272]
Aber die Nacht kam auf Katzenpfoten,
Die schwarze, schwere, schweigende Nacht,
Und schwül wars im Zimmer.
Das gelbe Licht der schwebenden Lampe lag
Wie leuchtender, feuchter Nebel über dem Raum,
Und deine Augen fragten ängstlich aus dem gelben Dämmer.
Braune, brütende, unselige Augen.
In ihnen braute, tief unten, tief,
Brodelnder giftiger Gischt.
Oh du, du, du!
Und über dich hin warf mich die Wut der Liebe.
Und unsre Lippen lasteten aufeinander,
Wie alle schmerzlichen, sehnsuchtschmachtenden Sünden zweier Sterne,
Die sich im wirbelnden Weltall treffen
Und klagegellend sich umklammern.
Oh du, du, du!
Und meine Augen gruben sich in deine,
Und meine Arme wanden sich um deinen Leib wie Raubtierpranken;
Und es stöhnte deine Brust,
Und deine Augen irrten wie verflogene Tauben.
[273]
Sie suchten den hellen Herbstwald
Und die Kindheit unsrer Liebe
Im bunten Laube.
Und fanden nicht und wurden schmerzenstarr
Und höllebrünstig heiß und hackten in mein Herz
Wie schwarze Adlerschnäbel.
Oh du!
Oh du!
Matt sank mein Haupt dir in den Schooß.
Du bebtest.
Dann sprachst du leise wirre Worte und weintest.
Und deine Augen wurden wieder hell.
Weißt du es wohl, was zwischen uns geschehn?
Der Haß hat uns gepaart in wildem Kampf,
Der Haß von Mann zu Weib und Weib zu Mann,
Die heiße Gier, sich einzusaugen das fremde Herz
Und jeden Tropfen Blutes und jeden Atemzug.
Mein Herz und dein Herz haben sich geschaut im Kampfe,
[274]
Und kämpfend sich durchdringend sind sie in Eins geflossen.
Du bist nun ich, doppelt ist meine Seele.
Wird sie je leben
Können ohne dich?

In einer Totenkammer

(Untreue.)


Warum bin ich von den grünen Wiesen gegangen
Und ging aus der lieben Wärme meiner zwei braunen Sonnen?
Da war des Lebens schenkende Güte,
Und alle Blumen blühten da für mich,
Und wenn auch Qual in meinem Herzen war,
Vor lauter Liebe Qual:
Ich war doch glücklich unter hellen Himmeln,
Und wenn ich tief in meine Seele lauschte,
Vernahm ich leise Geigen und Kinderstimmen,
Frühlingslieder wenn auch der Herbst
Mit hohler Stimme sein hartes Lied,
Sein Herrscherlied im Totentanze
[275]
Der dürren Blätter heulte: Hussa,
Der Heiland Tod, Hymen, Hymenäus!
Frühlingslieder aus dem Rosengarten des Herzens,
In dem die Engel des lachenden Lebens sangen:
Deine Liebe sangen und meine ...
Ach, wie so sanft war der Sang unsrer Liebe,
Sanft wie deine Blicke, mein Mädchen.
Ein Wirbelwind warf mich von grünen Wiesen
In starre, steinerne Straßen.
Die Sonnen versanken, die Blumen verblühten,
In meinem Herzen stiert das Schweigen.
Herberge bot mir der Tod. Ich liege
In dunkler Kammer, ein blasses Weib
Ruht neben mir: tot, denn es hat keine Liebe.
Tot, tot, um Gott, mein Herz auch du?
Die Kerze flackt, ihre Flamme stirbt,
Es schwirrt eine große, schwarze Fliege matt
Im eisig stillen Raume.
Das blasse Weib mit dem wirren Haar
Und den grünen Schatten unter den verbuhlten Augen, –
[276]
Horch, wie sein Atem sich hebt.
Oh Leben, wie weltenferne bist du mir:
Es liegt der Tod an meiner Seite.
Lösch aus du letztes Licht in meinem Leben:
Heilige Erinnerung.
Ueber grüne Wiesen ein letzter Blick ...
Sonnen! Sonnen! Sie löschen aus ...
Da thut der Tod an meiner Seite die grünen Augen auf.
Zwei weiche Arme pressen mich wild,
Zwei giftige Lichter stechen in mein Herz.
Der Hölle Brünste fressen mich. Hussa!
Der Heiland Tod!
Es rauscht aus weiter Ferne wie ein Lied
Von Hunderttausenden, die glücklich sind ...

Brief

Mir war die Liebe lange nur ein Spiel;
Leicht setzt ich wenig ein und holte viel,
Und lustig warf den goldenen Gewinn
Ich gerne bald in andre Schürzen hin.
[277]
Oh ja, das Herz, es war wohl auch dabei,
Leis klang es mit wie ferne Melodei
Dem lauten Sang der tanzbewegten Lust,
Doch Stille war im Innersten der Brust.
Was da, von Friedensrosen mild umblüht,
Dem einen Herzen heiß entgegenglüht,
Du hasts zuerst geweckt; – nun ist es weh,
Das leichte Herz, ein wildbewegter See
Voll Ungetümen, die die Qual gebar,
Die doch nur Liebe, Liebe, Liebe war.
Ich weiß, du lachst, wenn du von Qualen liest,
In deinem Herzen eine Blume sprießt,
Die leicht im Winde ihre Blüte trägt,
Die nichts nach Qualenungetümen frägt;
Im eigenen Dufte wiegt sie her und hin –:
Die Blume ist dein glücklich-leichter Sinn.
Sie soll dir nie im Herzensfrost vergehn,
Aus jedem Leide soll sie auferstehn
Wie Maitaghelle, da der Winter schwand
Dem Sonnensiege in das Nebelland ...
Was mir die Liebe und ihr Leid beschied?
Ich fühl es schon; es keimt ein neues Lied.
Das wird von dir ein glühend Singen sein,
Das wird aus Qualenwust mein Herz befrein.
Wie Thränensturz schwillt heiß sein starker Fluß,
Und aus dem Herzen kommts in einem Guß,
[278]
Ich halte nichts, ich halte nichts zurück,
Im Lied verströme ich mein ganzes Glück.
Ob du es fühlst, was ich dir hier gesteh?
Das fühlst du wohl, es ist ein tiefes Weh
Und eine Gnade doch; es raubt und giebt ...
Oh, Mädchen du, wie hab ich dich geliebt!

Reue

Wie ist mein Herz mir schwer, welch eine Missethat
Hab ich gethan!
Ich habe meine Liebe getötet.
Tempelschänderisch hab ich gewütet wider mein Heiligtum.
Einer Mater Dolorosa schlug ich ins Gesicht.
Oh hartes Herz! Mit Thränen trieb ich Spott,
Und bange Blicke haben mich nicht weich gemacht.
Bin ich so bös?
Oh Mädchen mache du mich gut!
Bin ich so krank?
Oh Mädchen mache mich gesund!
Weißt du denn nicht, daß deine Worte mildes Wundöl sind
Und deine Blicke lind wie wärmend Linnen?
[279]
Der Welten Frieden ruht auf deinem Mund,
In deinem Herzen blüht die Güte mir.
Senk mir ins Herz davon nur einen Trieb.
Oh Mädchen hab mich lieb!
Und ich bin gut und bin gesund.

Weihnachtsfeier

Berge und Wälder und Wiesen und See:
Schnee und Nebel, Nebel und Schnee;
Nieder der Himmel, farblos und fahl;
War er denn heiter und hoch einmal?
Hockende Krähen auf kahlem Geäst, –
Das ist des blutwarmen Lebens der Rest?
Siehe, die Sonne versinkt hinterm See:
Broncegold taut auf dem glitzernden Schnee,
Taut und verfließt in das flockige Weiß, –
Rundum umstarrt mich lebloses Eis.
Dampfende Nebel umhüllen mich dicht,
Wehen wie Haßhauch mir naß ins Gesicht.
Stechen nicht Augen hervor aus dem Grau,
Augen der lieblosen alten Frau,
Die in der knochigen Hand zurück
Grausam mir hält mein bangsüßes Glück?
[280]
Nein doch und nein! Ein lieberes Licht
Lacht mir aus Nebelgrau hell ins Gesicht:
»G'rannt bin i schnell wie der Wind übern Schnee!«
– Mädel, oh du meine Weihnachtsfee!
Schmiegt sie sich an mich dicht und bang,
Wandern wir wortlos im Glockenklang,
Wandern durch Nebel und Nacht und Wind,
Weint an der Brust mir leise das Kind,
Weint, daß getrennt wir müssen, allein,
In der heiligen Weihenacht sein.
Küß ich die Thränen ihr lind vom Gesicht:
Weine nicht, Mädel, geh, weine nicht!
Zündet heut Andern der Liebesmann
Flimmernde Christkindlkerzen an,
Hat er in unseren Herzen entfacht
Eine ewige Weihenacht.
Sind wir auch heute Abend getrennt,
Doch uns im Herzen ein Christbaum brennt.
Dir aus dem Auge ja lacht sein Schein,
Nein doch, du Meine, wir sind nicht allein.
Trag ich dein Herz ja in meiner Brust,
Du auch das meine tragen mußt.
Froh mir ein hellwarmes Lächeln dankt,
Fest mich ihr rundvoller Arm umrankt,
Tief saugt ihr Blick sich in meinen ein:
»Nein, oh du Meiner, wir sind nicht allein.«
[281]
Wandern zurück wir durch Nebel und Wind,
Lacht an der Seite mir selig das Kind.

Erwachen in den grellen Tag

(Ein Vorgesicht.)


Was war das für ein wunderreicher Traum!
Er hat mein Herz so innig warm beglückt ...
Er führte mich auf grüne Wiesen aus
Voll Frühlingsblumen, – jeder Blüte gab
Von Sonnengold er einen Glorienschein.
Hell war der Himmel und unendlich weit,
Leis wimpelte von säftevollen Zweigen,
Die glänzend überquollen in dem Licht
Des jungen Lenzen, unberührtes Grün.
Und alles war voll Glück, voll Glück auch ich;
Ein Sonnenstäubchen Glück: so fühlt ich mich.
Und durch die Welten wirbelte ich hin;
Licht war mein Herz, und meine Augen Glanz.
Die Wiese mit den Blumen ... Langsam schritt
Ich durch das grüne Rauschemeer, ich führte
Am Arm ein Mädchen, und an meiner Brust
Hört ich ein Klopfen, das wie Liebe klang,
So fragend zag und bittebang und tief;
[282]
Und zweier Augen heiße Seligkeit,
Ein Rosenhimmel, aller Gnaden voll,
Sah mir ins Herz und hellte mir ein Glück,
Das nie ich wußte, das mein Sehnen war
Durch lange, arme, liebeleere Zeit.
Das war die Liebe.
Leise wie ein Traum
Ist sie durch Seele mir und Sinn geweht,
Und ich war selig. Rosen sah ich rings,
Und Rosen deckten mir die ganze Welt,
Die Welt voll Gräuel, Traumesrosen deckten
Mit Blütenranken mir die Wahrheit zu.
Die Sonne sah ich nur: ich sah nur dich;
Die Augen gingen über mir vor Glanz,
Ergießen wollte sich das Herz vor Glück,
Bang überselig strömen in den Tod, –
Da wacht ich plötzlich unter Thränen auf.
Was ich als Sonne selig angesehn,
Als aller Liebe, aller Schönheit Herd –
Ein einziger Blick verriet mir blitzesgrell,
Daß eine Lüge meine Sonne war,
Ein schöner, böser, liebeleerer Stern.
Der Traum ist aus. Ich starre in mein Herz,
Ich weine in mein Herz: die Thräne fällt
[283]
In einen Krater, krustig ausgebrannt.
Der heiße Lavastrom der Liebe ward
Zu Stein.
Ich will die Tage nutzen. Kalt
Will deine Lüge ich einmeißeln ihm.

Letzter Wunsch

Daß deine Hand auf meiner Stirne liegt,
Wenn mich das Sterben in der Wiege wiegt,
Die leis hinüber ins Vergessen schaukelt,
Von schwarzen Schmetterlingen schwer umgaukelt.
Ein letzter Blick in deine braunen Sonnen:
Vorüber strömen alle unsre Wonnen
In einer bitter-süßen Letztsekunde;
Ein letzter Kuß von deinem warmen Munde,
Ein letztes Wort von dir, so liebeweich:
Dann hab ich, eh ich tot, das Himmelreich,
Und tauche selig in den großen Frieden:
Der Erde Holdestes war mir beschieden.

[284] Wenn wir alt sein werden

Wenn wir alt sein werden,
Wenn der Ruhe Dämmerung
Leis in immergleichem Atemzuge uns im Herzen haucht,
Wenn das Auge matt und milde blickt,
Kältre Farben sieht und flockigen Umriß,
Wenn der Hände Drücke,
Altersfaltenweich,
Immer abschiednehmender, zag sich fühlen,
Wenn das Hirn,
Von Erkenntnis starr, immer kälter wird,
Und der Hoffnung warmer Taubenflügelschlag
Nicht mehr linde Glücksgedankenwellen schlägt,
Wenn an Rosen-Statt
Herbstzeitlose blaßt ...:
Sonne, Sonne!
Du auch wirst mir dann verbleichen,
Die ich kindlich und anbetend liebe.
Eine Wärme nur,
Eine Liebe nur,
Nur einen Glauben dann
Werd ich mir wahren:
Dich
Du Traumvergangene,
Heilige.

[285] Scherzo

Es ist kein Wind von holdrer Art,
Als der um ihren Kleidsaum weht,
Wenn meine Frau im Tanze
Durchs Zimmer geht.
Und gar kein schöner Tönen ist,
Als das aus ihrem Munde klingt,
Wenn meine Frau zur Zither
Ein Liedel singt.
Und ist auch gar kein schöner Licht,
Als das aus ihren Augen braun,
Wenn sie aus Herzenstiefen
Hellfröhlich schaun.
Hub! Aber wenns gewittert! Huh!
Der Donner grollt, der Sturm rasaunt!
Flieht männiglich! Frau Sonne
Ist schlecht gelaunt.

Frau Güte

Heut sagte ich die ganze Nacht
Im Traum: Ich wollt, ich wäre tot.
[286]
Doch, als ich morgens aufgewacht,
Begrüßten mich zwei Lippen rot.
Frau Güte hat mich angelacht
Und flüsterte: Es hat nicht not,
Beiseite ist das Gift gebracht,
Da, nimm und iß des Lebens Brot!
Den ganzen Tag hab ich gelacht:
Herr Meister Tod, gut Nacht, gut Nacht!
Es ist nicht not! Es ist nicht not!

In einer dunklen Nacht

Wenn dieser Körper einst zerfallen ist,
Seele, du meine Seele,
Träumst du dir einen andern Leib?
Lebst du auf einem andern Stern?
Treibst du aus deinem Drange, der die Schönheit will,
Blumen, Bäume?
Oh meine Seele, wenn du nicht vergehst,
Dann bleib bei ihr, die mir das Leben lieber macht
Als alle Schönheit.
[287]
Umblüht sie,
Umhüte sie,
Laß alle Sterne, alle Seligkeit
Und bleibe bei ihr.
Und wenn auch sie dann, wachgeküßt vom Tod,
Sich selbst in ihrer tiefsten Reinheit lebt,
Dann geh in sie und gieb dich selber hin,
Sei eins mit ihr.
Das ist die Seligkeit, die ich dir hoffe,
Meine Seele.

Reichtum

Perlen gleiten durch meine Hand –:
Das war Wasser, das verschwand;
Gold kam über mich hergelaufen –:
Wolkenberge, Wolkenhaufen;
Nichts ist mehr in meiner Hand,
Und ich kann mir garnichts kaufen,
Und mir blieb nur, was ich fand:
Ein Herz für mich, ein Glück für mich,
Zwei Augen, die leuchten: Ich liebe dich,
Und eine Wärme innerlich:
Du, du und ich ...

[288] Reliquien

1.

Wie Blitzschlag kam das Schlimmste über mich:
Mein Haus ward plötzlich leer, mein Herz ward leer;
Das Glück ging fort auf Nimmerwiederkehr,
Ein Krüppel und ein Bettler, bleibe ich.
Das alles ist nicht wahr! Ich rufe dich,
Im weiten Hause irre ich umher,
Ich muß dich finden! – Ach, es ist doch leer;
Der Blitz schlug ein, und er traf fürchterlich.
Auf meiner Brust hab ich fünf Blätter ruhn,
Die sind von dir und mir das letzte Stück:
So fühltest du, so sprach ich aus dein Glück,
So waren wir einst eins! – Was soll ich nun,
Ich Halber in dem leeren Leben thun?
Giebt es für mich ein Wort nur noch: Zurück?

2.

Was du gefühlt hast, stammelnd, ungefüge,
Ich durft es dir und mir zum Kranze runden,
Du hast die Worte, ich den Sang gefunden, –
Ach, daß ich noch die schönen Kränze trüge!
[289]
Was waren das für Tage, was für Flüge
Im Trostland Traum! Die Schwere überwunden,
Wir beiden eingeflügelig verbunden, –
Und heute höhnt die Leere gähnend: Lüge!
Ich muß von mir auch diese Blätter geben;
Es sei kein Rest an mir von jener Zeit;
Das Wort von dir, das ich vermelodeit,
Soll mit dem Glück ins Dunkel rückwärts schweben.
Mich ruft das Licht, ich muß ins klare Leben.
Fliegt, Flatterlügen, fort! Ich bin bereit.

3.

Mir wird es schwer, soll ich sie fliegen lassen?
Wer weiß, in welche schmutzig dumpfen Gassen
Ihr Flug sie trägt. – Mut, Herz, gieb sie dem Wind!
Du bist befreit, wenn sie ins Blaue schwinden.
Da fliegen sie und segeln mit den Winden,
Die deines Wahns die letzten Fetzen sind:

(Das erste Blatt.)

Was sind deine Freuden,
Und was sind deine Leiden?
Ich bin gern bei dir, wenn du mir weh thust. –
Denk doch: Ich hab dich lieb.
[290] (Das zweite Blatt.)

Oh, eile, denn die Welt
Ist längst vergangen;
Sie ist ein Liebesgezelt,
In dem die Sterne wie Rosen hangen.
(Das dritte Blatt.)

Der Herbst sagt wohl: Ich sterbe.
Aber du sagst: Ich lebe.
Und so sage ich auch,
Daß ich lebendig bin.
(Das vierte Blatt.)

In meinem Herzen ist ein Nest,
Drin kleine Vögel singen.
Höre doch:
Sie singen deinen Namen.
(Das fünfte Blatt.)

Wenn du weg bist,
Wenn ich einsam bin,
Friert mein Herz.
Wenn du da bist,
Wenn du bei mir bist,
Ist Sonnenschein.
Nun sind sie fort ... Die Tauben fliegen schnell,
Die Venus-Vögel. Silbern in das Blau
Des hohen Himmels schwanden sie dahin.
Der Himmel gabs, der Himmel nahms. Vorbei.

[291] Erkenntnis

Daß doch dein Stolz nicht eingestehen will:
Ich irrte mich, was Gold mir schien war Blech ...
Nein, lieber wütest du das Schicksal an
Und schmähst: dein böser Hauch hat Grünspan mir
Auf meines Goldes reinen Glanz gelegt.
Weißt du denn nicht: Gold und ein treues Herz
Behalten immer ihren tiefen Glanz?

Mit der Stielbrille

Noch immer sprichts in mir: Es kann nicht sein,
Es ist ein wüster, widerlicher Traum;
Ich muß mich schämen, daß ich so geträumt.
Und hin zu ihr und ihr die Hand geküßt:
Vergieb mir, du, ich sah im Traum dich schlecht,
Mein Traum hat dich beleidigt; ich bin krank,
Daß ich so frevelhaften Wahnsinn spann.
Und dann erwach ich in die Wirklichkeit
Und seh mich um und sehe mich allein
Und weiß und sag es laut zur leeren Wand:
Bonjour madame, ich habe mich geirrt,
Es war kein Traum, jedoch ein Träumer ich.
[292]
Bonjour madame et bon plaisir, die Welt
Ist höchst verwunderlich und ein Roman.
Man muß sie nehmen, wie sie ist, Madam.
Man muß nicht meinen, sie sei so und so,
Und muß aus Träumen sich kein Goldgespinst
Um Stirn und Auge legen, nein, Madam,
Mit klarem Auge, lächeln und moquant,
Muß man sie ansehn wie ein Kavalier
Zur sehr gescheiten Zeit des Rokoko,
Das Stielglas vor der Nase und, ahü,
Ein wenig hüsteln, wenn man etwa merkt,
Sie sei nur eine Dirne, keine Fee.

Zwischen Abend und Nacht

(Epilog des Einsamen.)


Da zieht der Fluß und trägt das Abendgold,
Da stehn die Wolken wie ein Goldgebirg:
Der Abend giebt uns seine goldne Hand.
Wohl, wohl! Der Schlaf und was schön träumen macht
Zieht leis die Flöre über unsre Welt,
Und Viele sind jetzt glücklich, denn sie ruhn.
An manchem Bette sitzt die Liebe jetzt
Mit Wiegenliedern, und manch müdes Haupt
Hat seinen Schooß nun, daß es ruhen kann.
[293]
Da liegt wohl eine weiche, weiße Hand
Recht leicht und zärtlich, hütend, auf der Stirn
Des Schlafenden, und seiden streicht das Haar
Der guten Hegerin die Wangen ihm,
Der seine Ruhe in der Liebe hat.
Wie's in den Nestern still wird! Ab und an
Zirpt so ein Meislein, das wohl träumen mag.
Die Zeit der Nachtigallen ist vorbei.
Einst hab ich halbe Nächte lang gelauscht,
Wie unsrer Wälder vollste Kehle sang,
Und mich ergriff der kleinen Kreatur
Aufschluchzend Lied im Allerinnersten.
Ich wußte wohl: auch mir ist seelenvoll
So heiße Liebe schluchzend zugewandt,
Und dankbar trat ich leise an ein Bett
Und suchte eine kleine warme Hand
Und küßte sie. – Da hatte ich mein Glück.
Das ist vorbei. Es kam ein böser Wind
Und riß mir meine Rose weg vom Stock
Und trug sie in die Stadt. Da liegt sie nun
Entblättert in der Gosse. Säh ich sie,
Ich könnte sie nicht mehr erkennen. – Oh,
So herben Schmerz hast du mir angethan,
Einstmals Geliebte, daß mein Herz steinhart
[294]
Von Narben wurde. Eher höbe ich
Den Kot der Gasse, als die Rose auf.
Der Fluß verlor sein Gold. Er geht in Grau.
Grau stehn die Wolken wie ein Bleigebirg.
Es winkt die Nacht mit ihrer grauen Hand.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Das Haus im Irrgarten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3200-7