Die Ahnfrau
Trauerspiel von Grillparzer

O Dank, Dank diesen freundlich grünen Bäumen,

Die meines Kerkers Mauern mir verstecken!

Ich will mich frei und glücklich träumen.

Warum aus meinem süßen Wahn mich wecken?


Diese Worte der Königin Maria, könnte man sie nicht dem Dichter zuwenden, der von den Mauern, zwischen welchen der menschliche Wille gefangen sitzt, alle Blüten und Täuschungen wegzieht, die sie verhängen, und dem erschrocknen Blicke die steile, kalte Notwendigkeit zur Anschauung gibt? Warum aus unserm süßen Wahn uns wecken? – Sooft das Schicksal mit der zermalmenden Keule als Sieger die Bühne verläßt, so oft ist auch die dramatische Kunst von ihrer Bestimmung abgewichen, und der Tempel der Freude hat sich in einen Tempel des Gottesdienstes umgewandelt. Dort mag es frommen, daß der Mensch, der in seinem Übermute sich ungebunden wähnt, die ewige Weltordnung, die ihn unauflöslich kettet, verehren lerne. Dort mag es gut sein, daß dem vom Gefühle der Vergänglichkeit gepreßten Herzen der allgemeine Blutlauf der Dinge, dem es folgen muß, aufgezeigt und ihm für den Verlust seiner Freiheit die Unsterblichkeit geboten werde. Aber wo der Mensch sich menschlich freuen soll, da muß er wie ein Vogel hoch in den Lüften schweben, die unter seinen Füßen liegende schmutzige Notwendigkeit aus den Augen verlieren und es zu vergessen suchen, daß sie ihn endlich dennoch anziehen werde. Daß die Tragödiendichter der alten und der neuen Zeit dies so oft nicht beachtet und den Menschen als Sklaven des Geschickes dargestellt hatten, eben daraus wird kund, wie der gottesdienstliche Ursprung [235] der dramatischen Kunst in ihren Werken sich herabgeerbt habe, und dann, daß solche Schicksalstragödien dennoch eine Art schmerzlicher Lust gewähren, zeigt uns, wie es gleichviel sei, ob eine rauhe oder eine sanfte Hand die Saiten des Herzens berühre – nur daß sie bewegt werden und tönen. Wird nun zwar verstattet, daß der Dichter den Menschen der Macht des Schicksals unterwerfe, so darf dies doch nur in einem Kampfe der sittlichen Freiheit gegen die sittliche Notwendigkeit, nicht in einem Widerstreite jener gegen die Notwendigkeit der Naturgesetze dargestellt werden. Es mag die eigne Lust in der allgemeinen Seligkeit untergehen, nie aber darf das besondere Leben dem gemeinschaftlichen Tode hingeopfert werden. Dies ist in der Ahnfrau geschehen, und das ist ihre Fehlerhaftigkeit.

Wenn ein Mensch, unzufrieden mit der Mitgift des Glückes, die ihm zuteil geworden, sich die Freuden anderer räuberisch anmaßt und das waltende Geschick endlichen Freiheit der Gemeinschaft aufgeopfert wird. Wo bestraft, dann zeigt sich hier die Regel der Weltordnung, nach welcher die sittliche Freiheit des einzelnen der sittlichen Freiheit der Gemeinschaft aufgeopfert wird. Wo aber der Enkel die Schulden seiner Voreltern bezahlen und für ihre Sünden büßen soll, wo die Nachkommen als leibeigne Glieder des Familienhauptes, dessen Bewegung sie folgen, angesehen werden; wo das verbrecherische Blut der Ahnen durch die ganze Reihe der Geschlechter fließt und sie versauert, bis endlich die Ader durchgefressen ist und die Schuld, die Buße und das Leben in einem großen Morde ausströmen; – wenn dem Schicksalskampfe ein solcher Ausgang gegeben wird, wie in der Ahnfrau es geschehen, da hat der Dichter nicht die gerechte Vorsehung, sondern die blinde Naturkraft siegen lassen, und dieser Streit zwischen sittlicher Freiheit und massiver Notwendigkeit, als zwischen ungleichen [236] Waffen, ist gemein und unkünstlerischen Stoffes. Wenn zwischen Aufgang und Untergang, zwischen Quelle und Ausfluß sich eine lange Zeit oder ein breiter Strom gelagert und wir mit unsern schwachen Sinnen das feine Gespinst, das Ursache und Wirkung aneinanderbindet, übersehen, dann schreckt uns endlich am Ziele die täglich, aber leise waltende Regel als Schicksal mit Donnerworten auf. Die Griechen verehrten und fürchteten das Fatum als eine tückische und rächende Macht, welche die Freuden der Menschen zerstöre und ihre Schwäche schonungslos bestrafe. Aber der Christ erkennt nur eine Allmacht voll Güte und versöhnlicher Liebe. Nicht weil die christliche Glaubenslehre die Verehrung eines blinden Geschickes verbietet (es gibt keinen Zwang für das Gemüt), sondern weil der Glaube der Christen ins Gefühl und Leben aufgenommen, kann das Fatum im Sinne der Alten nicht auf unsre Bühne gebracht werden. Wenn noch überdies, wie in der Ahnfrau, dieses so geschieht, daß eine abgeschmackte Puppe die Triebfeder des Ganzen wird, dann ist nicht allein das wahre Ziel der Tragödie, sondern auch der Weg zum gewählten falschen Ziele verfehlt.

Was Grillparzer in der Vorrede zu diesem Trauerspiele in der Absicht sagte, um sich gegen empfangene Beschuldigungen zu verteidigen, klagt ihn nur noch lauter an. »Der verstärkte Antrieb zum Bösen, der in dem angeerbten Blute liegen kann, hebt die Willensfreiheit und die moralische Zurechnung nicht auf.« Allein wenn dieses ist, dann hätte die Tugend, nicht das böse Geschick, als siegreich dargestellt werden sollen. Freiheit ist nur vor einer Tat; sobald sie geschehen, war sie notwendig. Eine verwirrende und trügerische Ansicht herrscht im Leben wie in der Kunst der Neuern. Die Bühne der Griechen war eine Schule der Weisheit: dort ward ihnen die Übermacht des Geschickes bekannt, sie traten erschüttert, aber[237] nicht mit zerrissenen Gefühlen ins Leben zurück, und sie lernten mit dem ihnen gewordenen Teile der Freiheit sich begnügen. Die Bühne der Christen ist eine Schule der Torheit: die Tugend soll siegen und das Laster siegt. Ist der Wille frei und stark, warum unterliegt er? ist er schwach, warum wird die Schwäche als Sünde angerechnet? ... Leidenschaften? ... Ob wir diesen, ob wir unserem bösen Geschicke unterlagen, es war der nämliche Kampf – das Schicksal hat uns besiegt. Sobald ein Mensch mit sich selbst zerfällt, sobald es ihm an Kraft gebricht, eine Leidenschaft zu bekämpfen oder zu befriedigen, ist dieser sein feindlicher Teil zur Außenwelt übergetreten, hat sich mit der großen Notwendigkeit verbündet und führt so den Krieg gegen den schwachen Überrest der Selbständigkeit.

Das Gespenst, welches Grillparzer auf die Bühne gebracht, welchen dramatischen Zweck wollte er damit erreichen? Sollte das übermächtige Einwirken irgendeines geistigen Daseins hierdurch fühlbar gemacht werden, wozu diese sinnliche Einkleidung, worüber Kinder erschrecken und Erwachsene lachen? Sollte das Fieberbild einer erkrankten Einbildungskraft, vom Aberglauben vorgegaukelt, dargestellt werden, dann hätte eben, um den Ursprung solcher Erscheinungen zu erklären, das Gespenst nicht den Blicken des kalten Zuschauers sichtbar gemacht, sondern nur durch Worte und Gebärden des geängstigten Geistersehers verraten werden dürfen, welche Erscheinung ihm vorschwebe. – –

Vorgehende, gegen die Tragödie gerichtete Bemerkungen sollten nur andeuten, welche Verwirrung in der Ansicht der dramatischen Kunst der Neuern herrsche, nicht den herrlichen und geistreichen Dichter sollten sie treffen. Gäbe es nur eine größere Zahl solcher dramatischen Dichtungen, daß wir endlich der jämmerlichen Familiengeschichten ledig würden, die wie Wanzen sich in alle Ritzen [238] der Bühnenbretter eingenistet haben, gar nicht zu vertreiben sind und uns zur Verzweiflung bringen.

›Herr *** vom Leipziger Theater spielte als Gast den Jaromir und gab uns einen seltenen, ja seltenen Genuß. Das ist Kunst! ruft die aus dem Schlafe geweckte Erwartung verwundernd aus. Es gehört ein ungemeiner Reichtum künstlerischer Hilfen dazu, und es wird eine nicht geringe Kraft erfordert, um in dieser Rolle nicht unterzugehen. Dem Schauspieler wird durch die ganze Handlung nicht ein Augenblick der Ruhe vergönnt, mit gleich starker Leidenschaftlichkeit betritt und verläßt er die Bühne, und er findet keine Zeit, sich für die entscheidenden Momente zu sammeln. Den Kampf auf Tod und Leben seiner Gefühle gab uns Herr *** mit ergreifender Wahrheit. Dieses Feuer, diese unauslöschliche Glut der Leidenschaft mußte Jaromir fühlbar machen, um in dem Herzen des Zuhörers für seine Verbrechen Erbarmen zu finden. Der kalte, besonnene Bösewicht bliebe ein Gegenstand des Hasses und Ekels. Herr *** zeigte im Vortrage der oft gesangartigen Verse eine große Mannigfaltigkeit einschmeichelnder und stets angemessener Modulationen der Stimme. Sein Gebärdenspiel war manchmal zu reich. Nur die großen Bewegungen des Herzens müssen sich kundtun, doch darf nicht jeder Pulsschlag der Empfindung durch Zeichen sich kenntlich machen wollen.‹

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TextGrid Repository (2012). Börne, Ludwig. Schriften. Theaterkritiken. Die Ahnfrau. Die Ahnfrau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3C72-2