69. Der Kyffhäuser.

Von diesem Berge ist die gemeine Sage, daß Kaiser Friedrich darin Hof halten soll und daß er bisweilen den Leuten erschienen und mit ihnen rede. Denn es wird von vielen für gewiß geglaubt, daß Kaiser Friedrich noch lebe und werde auch lebendig bleiben, bis an den jüngsten Tag, und daß kein rechter Kaiser nach ihm werde und ist solche Sekte lange gewesen und auch noch heimlich. Es wird auch dafür gehalten von vielen, daß vor dem jüngsten Tage ein mächtiger Kaiser kommen solle, welcher der Christenheit Friede schaffen werde, über das Meer ziehen und das heilige Grab wiederum gewinnen. Und der werde Friedrich genannt werden, von wegen der Liebe des Friedens, nicht daß er also getauft sei.

[319] 1. Der Ritterkeller auf dem Kyffhäuser.

Ein armer, aber guter und immer lustiger Mann aus Tilleda richtete einst eine Kindtaufe aus; es war schon die achte. Den Gevattern mußte er, nach Sitte, einen Schmaus geben. Der Landwein, den er seinen Gästen vorsetzte, war bald ausgetrunken und sie forderten mehr. »Geh' – sagte der lustige Kindtaufsvater zu seiner ältesten Tochter, einem hübschen sechzehenjährigen Mädchen, – geh' und hole uns noch besseren Wein aus dem Keller.« – »Aus welchem Keller denn?« – »Je – sagte im Scherz der Vater – aus dem großen Weinkeller der alten Ritter auf dem Kiefhäuser.«

Das Mädchen geht, unbefangen in seiner Einfalt, mit einem kleinen Eimer in der Hand, den Berg hinan. In der Mitte des Berges findet sie, am verfallenen Eingange eines großen Kellers, sitzen eine bejahrte Schafnerin, in ganz ungewöhnlicher Tracht, mit einem großen Schlüsselbunde an der Seite. Das Mädchen verstummt vor Erstaunen. Doch freundlich fragte die Alte: »gewiß willst du Wein holen aus dem Ritterkeller?« – »Ja – sagte schüchtern das Mädchen – aber Geld habe ich nicht.« – »Komm mit mir – sprach die Schafnerin – du [320] sollst umsonst Wein haben und besseren Wein, als dein Vater je gekostet hat.«

Sie gingen nun beide durch einen halbverschütteten Gang und das Mädchen mußte erzählen, wie es jetzt in Tilleda aussähe. »Einst – sagte die Alte darauf – einst war auch ich so jung und schnell, wie du, als mich die Ritter, des Nachts, durch einen Gang unter der Erde, aus dem Hause in Tilleda wegholten, das jetzt deinem Vater gehört. Kurz vorher hatten sie, am hellen Mittage, die vier schönen Jungfrauen, die hier noch zuweilen auf den prächtig geschirrten Pferden herum reiten und dann wieder verschwinden, mit Gewalt aus Kelbra entführt, da sie eben aus der Kirche kamen. Mich machten sie, als ich alt wurde, zur Aufseherin des Weinkellers und das bin ich noch.«

Jetzt standen sie vor der Kellerthür und die Schafnerin schloß auf. Es war ein großer geräumiger Keller und auf beiden Seiten lagen die Stückfässer. Die Schafnerin klopfte an die Fässer, die meisten waren ganz oder halb voll. Sie nahm den kleinen Eimer, zapfte ihn voll Weines und sagte: »da, das bringe deinem Vater, und so oft ein Fest in eurem Hause ist, kannst du wieder kommen; aber keinem, als deinem Vater, sage, woher du den Wein hast. Auch dürft ihr keinen Wein verkaufen, umsonst bekommt ihr ihn, umsonst sollt ihr ihn [321] geben. Kommt einmal einer her, der Wein holen will, um damit zu wuchern, dessen letztes Brod ist gebacken.«

Das Mädchen brachte seinem Vater den Wein, der dem Gästen trefflich schmeckte, ohne daß sie errathen konnten, woher er kam. So oft nachmals im Hause ein kleines Fest war, holte Ilsabe Wein vom Kyffhäuser, in dem kleinen Eimer. Aber lange dauerte die Freude nicht. Die Nachbaren wunderten sich, woher der arme Mann den herrlichen Wein bekam, der in dem ganzen Lande so gut nicht war. Der Vater sagte es keinem, Ilsabe auch nicht.

Aber gegenüber wohnte der Schenkwirth, der mit verfälschtem Weine handelte. Dieser hatte den Ritterwein auch einmal gekostet und dachte: den Wein könntest du mit zehnfachem Wasser verdünnen und doch theurer verkaufen. Er schlich dem Mädchen nach, als es zum viertenmale mit dem kleinen Eimer nach dem Kyffhäuser ging, versteckte sich unter dem Gebüsch, als es stehen blieb, und sah es nach einiger Zeit aus dem Gange, der zu dem Keller führte, mit dem gefüllten Eimer herauskommen.

Den nächsten Abend ging er selbst den Berg hinauf und schob auf eine Karre die größte leere Tonne, die er hatte auffinden können, vor sich her. [322] Diese dachte er mit dem trefflichen Ritterweine zu füllen, sie des Nachts den Berg hinunter zu rollen und dann alle Tage wieder zu kommen, solange noch Wein im Keller war.

Als er an den Ort kam, wo er den Tag zuvor den Eingang zum Keller gesehen hatte, wurde mit einemmale alles dunkel um ihn her. Der Wind fing an fürchterlich zu heulen und das Ungethüm warf ihn und seine Karre und seine leere Tonne von einer Felsenmauer zur andern. Er fiel immer tiefer und tiefer und kam endlich in eine Todtengruft.

Da sieht er vor sich hertragen einen schwarz behangenen Sarg und seine Frau und vier Nachbarinnen, die er an ihrer Kleidung und ihrem Wuchse deutlich erkannte, folgten der Bahre nach. Vor Schrecken fällt er in Ohnmacht.

Nach einigen Stunden erwacht er wieder, sieht sich, zu seinem Entsetzen, noch in der schwach beleuchteten Todtengruft und hört, gerade über seinem Kopfe, die ihm wohlbekannte Thurmglocke von Tilleda zwölfe schlafen. Nun wußte er, daß es Mitternacht war, und daß er sich unter der Kirche und dem Begräbnißplatz seines Dorfs befand. Er war mehr todt als lebend und wagte es kaum zu athmen.

Siehe, da kommt ein Mönch und trägt ihn eine lange, lange Treppe hinan, schließt eine [323] Thür auf, drückt ihm schweigend etwas Geld in die Hand und legt ihn am Fuße des Berges nieder. Es war eine kalte, eisigte Nacht. Allmälig erholt sich der Schenkwirth und kriecht, ohne Tonne und Wein, seinem Hause zu. Es schlug eins, als er es erreichte. Er mußte sich sogleich in's Bette legen und nach drei Tagen war er todt. Das Geld, das ihm der verzauberte Mönch gegeben hatte, reichte gerade zu seiner Beerdigung hin.

2. Die goldenen Flachsknoten.

Vor vielen, vielen Jahren ging einst ein ganzer Schwarm Knaben aus Kelbra auf den Kyffhäuser, um da Nüsse zu pflücken. Sie gehen in die alte Burg, kommen an eine Windeltreppe, steigen hinauf und finden ein kleines Gemach mit schönen achteckigten, rothen und blauen Fenstern. In der einen Ecke liegt eine Spindel mit Flachs, in der andern ein Haufen Flachsknoten. Von diesen Knoten nimmt jeder der Knaben einen Hutkopf voll, und so laufen sie lustig hinunter und streuen auf dem Wege die Flachsknoten aus. Als die Knaben nach Kelbra kommen, war es schon Abendbrodszeit.

Der ärmste unter den Knaben findet seine Eltern gerade beim Tischgebet. Er nimmt seinen Hut [324] ab und klingend fällt etwas glänzendes auf die Erde und bald noch ein Stück und noch ein Stück und noch sieben andere. Die Mutter läuft hinzu und – siehe! es waren goldene Flachsknoten, womit ein verzaubertes Hoffräulein, oder gar die Kaiserin selbst, dem armen Mann ein Geschenk gemacht hatte, der seinen Knaben nun ein Handwerk lernen lassen konnte.

Die Nachbarinnen liefen herzu, die wunderbaren Flachsknoten zu sehen. Den folgenden Tag ging ganz Kelbra auf den Kyffhäuser, alle suchten, aber keiner fand die rothen und blauen Fensterscheiben, keiner die aufgehäuften goldnen Flachsknoten.

3. Die Wunderblume.

Ein Schäfer aus Sittendorf trieb einst am Fuß des Kyffhäuser. Er war ein hübscher Mensch, und mit einem guten, aber armen Mädchen verlobt. Doch, weder er noch sie hatten ein Hüttchen, oder Geld, ihre Wirthschaft einzurichten. Traurig stieg er den Berg heran, aber, je höher er kam, es war ein schöner Tag, je mehr verlor sich die Traurigkeit. Bald hatte er die Höhe des Berges erreicht, da fand er eine wunderschöne Blume, [325] dergleichen er noch nie gesehen hatte. Die pflückte er und steckte sie an seinen Hut, um sie seiner Braut mitzunehmen.

Oben auf der Burg findet er ein offnes Gewölbe, dessen Eingang nur etwas verschüttet war. Er geht hinein und findet viele kleine, glänzende Steine auf der Erde liegen und steckt so viele ein, als seine kleinen Taschen fassen können. Nun wollte er wieder in's Freie, da rief ihm eine dumpfe Stimme zu: »vergiß das Beste nicht!« Er wußte nicht, wie ihm geschah und wie er herauskam aus dem Gewölbe. Kaum sah er wieder die Sonne und seine Heerde, so schlug die Thür, die er vorher gar nicht gesehen hatte, hinter ihm zu.

Er faßte nach seinem Hute und die wunderschöne Blume, die er seiner Braut hatte geben wollen, war fort; sie war herabgefallen beim Stolpern. Urplötzlich stand vor ihm ein Zwerg: »wo hast du die Wunderblume, die du fandest?« – »Verloren;« sagte traurig der Schäfer. »Dir war sie bestimmt – sagte der Zwerg – und sie ist mehr werth, als die ganze Rotenburg.«

Traurig geht der Schäfer am Abend zu seiner Braut und erzählte ihr die Geschichte von der verlorenen Wunderblume, beide weinen; denn Hüttchen und Hochzeit waren wieder verschwunden. Endlich denkt der Schäfer wieder an seine Steine [326] und wirft sie scherzend seiner Braut auf den Schooß und – siehe, es waren lauter Goldstücke. Nun kauften sie sich ein Hüttchen und ein Stück Acker dazu, und in einem Monat waren sie Mann und Frau. – Und die Wunderblume? die ist verschwunden und wird von Bergleuten noch bis auf den heutigen Tag gesucht, in den Gewölben des Kyffhauses nicht allein, sondern auch, da verborgene Schätze rücken, auf der Quästenburg und selbst auf der Nordseite des Harzes. Bis jetzt soll der Glückliche, dem sie bestimmt ist, noch kommen.

4. Der Ziegenhirt.

Peter Klaus, ein Ziegenhirte aus Sittendorf, der seine Heerde am Kyffhäuser weidete, pflegte sie am Abend auf einem mit altem Gemäuer umschloßnen Platz ausruhen zu lassen, wo er die Musterung über sie hielt. Seit einigen Tagen hatte er bemerkt, daß eine seiner schönsten Ziegen bald nachher, wenn er auf diesen Platz gekommen war, verschwand und erst spät der Heerde nachkam. Er beobachtete sie genauer und sah, daß sie durch eine Spalte des Gemäuers durchschlüpfte. Er wand sich ihr nach, und traf sie in einer Hölung, wo sie fröhlich die Haferkörner auflas, die einzeln von der Decke herabfielen. [327] Er blickte in die Höhe, schüttelte den Kopf über den Haferregen, konnte aber durch alles Hinstarren nichts weiter entdecken. Endlich hörte er über sich das Wiehern und Stampfen einiger muthigen Hengste, deren Krippe der Hafer entfallen mußte.

So stand der Ziegenhirte da, staunend über die Pferde in einem ganz unbewohnten Berge. Da kam ein Knappe und winkte schweigend ihm zu folgen. Peter stieg einige Stufen in die Höhe und kam, über einen ummauerten Hof, an eine Vertiefung, die ringsum von hohen Felsenwänden umschlossen war, in welche, durch überhangende dickbelaubte Zweige, einiges Dämmerlicht herab fiel. Hier fand er, auf einem gut geebneten, kühlen Rasenplatze, zwölf ernste Rittermänner, deren keiner ein Wort sprach, beim Kegelspiel. Peter wurde schweigend angestellt, um die Kegel aufzurichten.

Anfangs that er dies mit schlotternden Knien, wenn er, mit halbverstohlenem Blick, die langen Bärte und die aufgeschlitzten Wänste der edeln Ritter betrachtete. Allmälig aber machte die Gewöhnung ihn dreister, er übersah alles um sich her mit festerem Blick und wagte es endlich, aus einer Kanne zu trinken, die neben ihm hingesetzt war und aus welcher der Wein ihm lieblich entgegenduftete. Er fühlte sich wie neu belebt und so oft er Ermüdung [328] spürte, holte er sich aus der nie versiegenden Kanne neue Kräfte. Doch endlich übermant' ihn der Schlaf.

Beim Erwachen fand er sich auf dem umschloßnen grünen Platz wieder, wo er seine Ziegen ausruhen zu lassen pflegte. Er rieb die Augen, konnte aber weder Hund noch Ziegen entdecken, staunte über das hochaufgeschoß'ne Gras und über Sträucher und Bäume, die er vorher hier noch nie bemerkt hatte. Kopfschüttelnd ging er weiter, alle die Wege und Stege hindurch, die er täglich mit seiner Heerde zu durchirren pflegte; aber nirgends sah er eine Spur von seinen Ziegen. Unter sich sah er Sittendorf, und endlich stieg er, mit beschleunigtem Schritte, herab, um hier nach seiner Heerde zu fragen.

Die Leute, die ihm vor dem Dorfe begegneten, waren ihm alle unbekannt, waren anders gekleidet und sprachen nicht so, als seine Bekannten; auch starrten sie ihn alle an, wenn er nach seinen Ziegen fragte und faßten sich an das Kinn. Endlich that er, fast unwillkührlich, eben das und fand, zu seinem Erstaunen, seinen Bart um einen Fuß verlängert. Er fing an, sich und die ganze Welt um sich her für verzaubert zu halten; und doch kannte er den Berg, den er herabgestiegen war, wohl als den Kyffhäuser, auch waren ihm die Häuser mit ihren [329] Gärten und Vorplätzen alle wohl bekannt. Auch nannten mehrere Knaben, auf die Frage eines Vorbeireisenden, den Namen: Sittendorf.

Kopfschüttelnd ging er in das Dorf hinein und nach seiner Hütte. Er fand sie sehr verfallen, und vor ihr lag ein fremder Hirtenknabe in zerrißnem Kittel, neben einem abgezehrten Hunde, der ihn zähnefletschend angrinzte, als er ihn rief. Er ging durch die Oeffnung, die sonst eine Thür verschloß, hinein, fand aber alles so wüste und leer, daß er, einem Betrunkenem gleich, aus der Hinterpforte wieder hinaus wankte, und Frau und Kinder bei ihrem Namen rief. Aber keiner hörte, und keine Stimme antwortete ihm.

Bald umdrängten den suchenden Mann mit dem langen, eisgrauen Bart Weiber und Kinder und fragten ihn um die Wette: was er suche? Andre, vor sei nem eignen Hause, nach seiner Frau oder seinen Kindern zu fragen, oder gar nach sich selbst, schien ihm so sonderbar, daß er, um die Fragenden los zu werden, die nächsten Namen nannte, die ihm einfielen. »Kurt Steffen!« Die meisten schwiegen und sahen sich an, endlich sagte eine bejahrte Frau: Seit zwölf Jahren wohnt er unter der Sachsenburg, dahin werdet ihr heute nicht kommen. »Velten Meier!« Gott habe ihn selig! antwortete ein altes Mütterchen an der[330] Krücke, der liegt schon seit funfzehn Jahren in dem Hause, das er nimmer verläßt.

Er erkannte, zusammenschaudernd, seine plötzlich alt gewordene Nachbarinnen; aber, ihm war die Lust vergangen, weiter zu fragen. Da drängte sich durch die neugierigen Gaffer ein junges, rasches Weib, mit einem einjährigen Knaben auf dem Arm, und einem vierjährigen Mädchen an der Hand, die alle drei seiner Frau wie aus den Augen geschnitten waren. »Wie heißt ihr?« fragte er erstaunend. »Maria.« »Und euer Vater?« »Gott habe ihn selig! Peter Klaus; es sind nun zwanzig Jahr, daß wir ihn Tag und Nacht suchten auf dem Kyffhäuser, da die Heerde ohne ihn zurückkam; ich war damals sieben Jahr alt.«

Länger konnte sich der Ziegenhirt nicht halten. »Ich bin Peter Klaus, – rief er, – und kein anderer!« und nahm seiner Tochter den Knaben vom Arm. Alle standen wie versteinert, bis endlich eine Stimme, und noch eine Stimme rief: »Ja, das ist Peter Klaus! Willkommen Nachbar, nach zwanzig Jahren willkommen!«

5. Das gealterte Brautpaar.

In Tilleda wohnte ein armer, aber frommer Tagelöhner. Seine Tochter war Braut von [331] einem eben so dürftigen und redlichen Handwerker. Morgen sollte die Hochzeit sein. Die Gäste waren eingeladen, aber kein Mensch hatte daran gedacht, daß im ganzen Hause nur ein Topf, eine Schüssel und zwei Teller waren. »Was machen wir?« sprachen alle, und keiner wußte Rath! Endlich sagte der Vater, halb im Scherz, halb im Ernst:

»Ei, geht auf den Kyffhäuser, vielleicht leihet euch die Prinzessin Alles.«

Das Brautpaar geht wirklich hin. Vor der Oeffnung des Berges steht die Prinzessin. Sie nahen sich ihr mit Knixen und Bücklingen, und bringen ihr Anliegen schüchtern vor. Die kaiserliche Hoheit lächelt, und befiehlt zu folgen, worüber Hans und Grete außer sich vor Freude sind. Die Prinzessin giebt ihnen nun erst zu essen, und dann packt sie ihnen mit ihren höchsteigenen unverweltlichen Händen einen großen Tischkorb voll Teller, Schüsseln, Löffel u.s.w. Hans und Grete bedanken sich schönstens, versprechen, morgen Alles unversehrt zurück zu liefern, und auch etwas Reisbrei und Hochzeitkuchen mitzubringen.

Wie eilten sie, nach Tilleda zu kommen, so schwer auch der zugedeckte Tischkorb war. Aber wie wurde ihnen, als sie ein ganz neues Tilleda vor sich sahen. An der Stelle, wo ihres Vaters Hütte stehen mußte, fanden sie einen großen Ackerhof. [332] Kein Nachbarhaus war ihnen mehr kenntlich; kein Baum, kein Garten war mehr da, wo sie sonst dergleichen gesehen hatten. Lauter fremde Menschen, die sich um das Brautpaar versammelten, und es mit eben der Verwunderung und Neugierde ansahen, als dieses die Gaffenden betrachtete.

Sie setzten ihren Korb an die Erde, und überlegten ihr Schicksal. Da kam der Prediger. Grete ging auf ihn zu, klagte, daß sie Beide wie verrathen und verkauft unter den Leuten wären, erzählt ihm, daß sie gestern auf den Kyffhäuser gegangen sei, und kurz, sie macht ihn mit dem ganzen Abentheuer bekannt. Der Herr Pastor nahm darauf das Brautpaar mit in sein Haus, schlug das Kirchenbuch nach, und fand, daß Hans und Grete nicht länger als zweihundert Jahre in dem Kyffhäuser gewesen waren.

6. Der verzauberte Kaiser.

Schon oben sprachen wir von dem verzauberten Kaiser Friedrich, hier einiges von dem, wie er sich noch den Lebenden zeigt. Er soll sich selbst mit einigen der Seinen hierhin verflucht haben, sitzt deshalb mit ihnen auf einer Bank, an einem steinernen Tische, den Kopf in der Hand haltend. Er [333] scheint zu ruhen oder schlafen, sein rother Bart ist ihm durch den Tisch bis auf die Füße gewachsen, er nickt stätig mit dem Kopfe und zwinkert mit den Augen, als wenn er etwa nicht recht schliefe, oder bald wieder aufwachen wolle.

a) Der Schäfer und der Kaiser.

Als einstmals ein Schäfer auf dem Kyffhäuser Berge ein Liedchen gepfiffen, hat solches dem Kaiser so wohl gefallen, daß er denselben durch einen zu sich berief und ihn dafür zur Dankbarkeit aus Freigebigkeit von dem daselbst vergrabenen reichen Schatze viel Geld geben lassen, wobei er den Schäfer gefraget: ob die Raben noch um den Berg flögen? Und da derselbe ja antwortete, sagte der Kaiser: »nun muß ich noch hundert Jahr schlafen.«

b) Der Kaiser und die Musikanten.

In seinem verzauberten Zustande liebt der Kaiser Musik sehr. Mancher Hirt, der hier auf seiner Schalmei blies, wurde schon zu ihm eingeladen, um ihm etwas vorzublasen, und dann beschenkt. Das war bekannt in der Gegend. Eine Gesellschaft Musikanten beschloß daher, ihm eine vollständige Nachtmusik zu bringen. In einer finstern Mitternachtsstunde [334] machen sie sich auf, und als unten in Tilleda die Glocke zwölf schlug, blasen sie los.

Beim zweiten Murki kommt die Prinzessin mit Lichtern in der Hand auf sie zugetanzt, und ladet mit Mienen sie ein, ihr zu folgen. Der Berg öffnet sich, die ganze Gesellschaft zieht spielend ein. Essen und Trinken wird reichlich aufgetischt, und die Kapellisten lassen sich's gut schmecken. Das war nun zwar recht gut, aber sie wollen gern auch etwas von den Brillanten haben, die nur so herum lagen. Allein niemand bietet ihnen etwas an. Nicht ganz zufrieden, brechen sie endlich auf, als schon der Morgen graute, meinend, beim Abschiede würde es doch ein Trinkgeld geben. Allein, der Kaiser nickt ihnen, ganz nach großer Herren Art, freundlich zu, und seine erlauchte Tochter giebt jedem Musikanten einen grünen Busch.

Ehrenthalber nimmt ihn ein jeder an, als sie aber wieder im Freien sind, werfen sie die Büsche weg, und räsonniren und lachen über ein solch kaiserliches Geschenk. Nur einer behält den Busch, um ihn zum Andenken aufzuheben. Als er nach Hause kommt, und seinem Weibe den Busch aus Scherz überreicht, siehe! da hatten sich alle Blätter in goldene Zehnthalerstücke verwandelt. Flugs liefen die Andern alle auf den Berg zurück, wollten ihre Büsche wiederholen, aber – fort waren sie.

[335] c) Der verzauberte Kaiser.

»Ein Bergmann, der still und fromm für sich lebte, ging einst am dritten Ostertage auf den Kyffhäuser. Da fand er an der hohen Warte einen Mönch sitzen, mit einem langen weißen Bart, der ihm bis auf die Knie reichte. Als dieser den Bergmann sahe, machte er ein großes Buch zu, worin es las, und sagte freundlich zu ihm: Komm mit mir zum Kaiser Friedrich, der wartet schon seit einer Stunde auf uns. Der Zwerg hat mir schon die Springwurzel gebracht.

Dem Bergmann eiste es über den ganzen Körper; doch der Mönch sprach ihm so tröstlich zu, daß er ganz freudig mitging, und ihm versprach, keinen Laut hören zu lassen, es möchte auch kommen, was käme. Sie gingen nun auf einen freien Platz, der ringsum mit einer Mauer umschlossen war. Da machte der Mönch einen großen Kreis mit seinem Krummstabe, und schrieb wunderbare Zeichen in den Sand. Dann las er lange und laut Gebete aus dem großen Buch, die der Bergmann aber nicht verstand. Endlich schlug er mit seinem Stabe dreimal auf die Erde, und rief: Thue dich auf!

Da entstand unter ihren Füßen ein dumpfes Getöse, wie bei einem fernen Gewitter; es zittert unter ihnen die Erde. Und nun sinkt der Bergmann mit dem Mönch, der seine Hand umfaßt hat, mit [336] dem Boden, so weit der Kreis umzeichnet war, ganz sanft in die Tiefe hinab. Sie treten hinunter, und der Boden steigt wieder langsam hinauf. Nun waren sie in einem großen Gewölbe.

Der Mönch geht mit festem Schritt voran, der Bergmann mit zitternden Knieen hinter her. So gehn sie einige Gänge hindurch, bis es anfängt ganz dunkel um sie her zu werden. Bald aber finden sie eine ewige Lampe, und sehen, daß sie sich in einem geräumigen Kreuzgang befinden. Der Mönch steckt hier zwei Fackeln an, für sich und seinen Begleiter. Sie gehen fort, und mit einemmal stehen sie vor einem großen eisernen Kirchenthor.

Der Mönch betet, hält die Springwurzel, vor der alle bezauberte Riegel aufspringen, an das Schloß, und ruft: Oeffne dich, Thür! Und mit Donnerkrachen springen alle die eisernen Riegel und Schlösser von selbst auf, und sie sehen vor sich eine runde Kapelle. Der Boden war spiegelglatt, wie Eis, und wer nicht keusch und züchtig gelebt hatte (so sagte nachmals der Mönch dem Bergmann), brach hier beide Beine, und kam nie zurück. Die Decke und die Seitenwände des runden Gewölbes flimmerten und flammerten beim Schein der Fackeln. Große Zacken von Kristall und von Diamanten hingen da herab, und zwischen ihnen noch größere Zacken von gediegenem Golde. In der einen Ecke [337] stand ein goldner Altar, in der andern ein goldnes Taufbecken auf silbernem Fuß.

Der Mönch winkte nun seinem Begleiter, gerade in der Mitte stehen zu bleiben, und gab ihm in jede Hand eine Fackel. Er selbst ging zu einer ganz silbernen Thür, klopfte dreimal mit dem Krummstabe an, und die Thür sprang auf.

Der Thür gerade gegenüber saß auf einem goldnen Thron der Kaiser Friedrich, nicht etwa aus Stein gehauen, nein! wie er leibte und lebte, mit einer goldnen Krone auf dem Kopfe, mit dem er beständig nickte, indem er die großen Augenbraunen zusammenzog. Sein langer rother Bart war durch den steinernen Tisch, der vor ihm stand, durchgewachsen und reichte ihm bis auf die Füße herab. Dem Bergmann verging Hören und Sehen über den Anblick.

Endlich kam der Mönch zurück und zog seinen Begleiter schweigend fort. Die silberne Pforte schloß sich selbst wieder zu; das eiserne Thor schlug, mit schrecklichem Geprassel, hinter ihnen zusammen. Als sie den Kreuzgang hindurch wieder in die vordre Höle kamen, senkte sich langsam der kreisrunde Boden herab. Beide traten darauf und wurden sanft in die Höhe gehoben.

Oben gab der Mönch dem Bergmann zwei kleine Stangen von einem unbekannten Erz, die er aus [338] der Kapelle mitgebracht hatte, welche seine Urenkel noch jetzt zum Andenken aufbewahren.«


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Büsching, Johann Gustav. 69. Der Kyffhäuser. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-490D-1