Geschichte der Frau von Sevigny.

»Frau von Sevigny, fuhr er fort, hat gewöhnlich den schönsten Teint von der Welt, kleine [212] und glänzende Augen, einen flachen Mund, aber von schöner Farbe, eine vorragende Stirne, eine Nase nur mit sich selbst vergleichbar, nicht lang, nicht klein, viereckig an der Spitze, eine Kinnlade wie die Nasenspitze, und dieß alles, was einzeln nicht schön, ist im Ganzen genommen ziemlich anmuthig; sie hat ein schönes Aussehen, ohne eine gute Haltung zu haben, einen wohl geformten Fuß, Hals, Arme und Hände sind schlecht gewachsen; blonde, feine und dichte Haare; sie hat gut getanzt, und noch ein richtiges Gehör, eine angenehme Stimme; sie kann ein wenig singen; so beiläufig ist sie von Außen beschaffen. Es giebt keine Frau, die mehr Verstand besäße, als sie, und sehr wenige, die ebenso viel haben; ihr Benehmen ist unterhaltend; es giebt welche, die sagen, daß ihr Charakter für eine Frau von Ansehen zu muthwillig sey. Zur Zeit, da ich sie sah, fand ich dieß Urtheil abgeschmackt, und rechtfertigte ihr Kurzweiliges unter dem Namen des Frohsinnes; jetzt, da ich sie nicht mehr sehe, blendet mich ihr großer Glanz nicht; ich bleibe dabei stehen, daß sie zu unterhaltend seyn will; wenn man Geist hat, und besonders [213] jene Art von Geist, der fröhlich ist, braucht man sie nur zu sehen, man verliert nichts damit; sie versteht Sie, sie geht genau auf das ein, was Sie sagen, sie erräth Sie, und führt Sie wohl gewöhnlich viel weiter, als Sie zu gehen dachten; manchmal macht man ihr wohl auch zu schaffen, das Feuer des Scherzes reißt sie hin, und in diesem Zustande nimmt sie mit Freude alles auf, was man ihr Freies sagen kann, wenn es nur verschleiert ist; sie antwortet selbst mit Wucher darauf, und glaubt, daß sie dabei verlieren würde, wenn sie nicht über das hinausginge, was man ihr sagte; bei so vielem Feuer ist es nicht befremdend, daß die Beurtheilungskraft mittelmäßig ist. Da diese beiden Sachen gewöhnlich unvereinbarlich sind, kann die Natur kein Wunder zu ihren Gunsten thun; ein aufgeweckter Dummkopf wird sie bei ihr immer über einen wackern ernsthaften Mann davontragen. Die Munterkeit der Leute nimmt sie vorweg ein; sie wird nicht beurtheilen, ob man das versteht, was sie spricht; den größten Beweis von Verstand, den man ihr geben kann, ist – Bewunderung für sie zu haben; sie liebt den Weihrauch, ist gerne geliebt, und deßwegen säet [214] sie, um zu ernten, sie spendet Lob, um dessen zu empfangen; sie liebt überhaupt alle Männer, welches Alter, welche Geburt, und welches Verdienst sie haben, und von welchem Berufe sie seyn mögen, ihr ist alles gut, vom Königsmantel bis zum Priesterrocke, vom Scepter bis zum Schreibzeuge. Unter den Männern hat sie einen Anbeter lieber als einen Freund, und unter den Anbetern die Lustigen als die Traurigen; die Melancholischen schmeicheln ihrer Eitelkeit, die Aufgeweckten ihrer Neigung; sie unterhält sich mit diesen, und schmeichelt sich mit der Meinung, daß es wohl ein Verdienst von ihr sey, jenen Seynsucht erregen gekonnt zu haben. Sie war von kalter Körperstimmung, wenigstens wenn man hiewegen ihrem seligen Gatten glaubt, auch war sie ihm die Verbindlichkeit ihrer Tugend schuldig, wie er sagte; ihre ganze Wärme ist im Geiste. In der That vergütet sie wohl die Kälte ihrer Körperstimmung; wenn man sie auf ihre Handlungen bezieht, glaub' ich, daß die ehliche Treue nicht verletzt wurde; wenn man die Gesinnung besieht, ist's eine andere Sache. Um davon frei heraus zu sprechen, so glaub ich, daß [215] ihr Gatte sich vor den Menschen aus dem Handel gezogen hat, aber ich halte ihn für einen Hahnrey vor Gott; diese Schöne, die bei allen Vergnügungen seyn will, hat ein sicheres Mittel gefunden, wie es ihr scheinet, sich zu ergrötzen, ohne daß es ihrem Rufe etwas koste, sie hat Freundschaft geschlossen mit vier oder fünf Scheinspröden, mit welchen sie an alle Orte von der Welt geht, sie betrachtet nicht so sehr was sie thut, als bei wem sie ist; indem sie dieß thut, überredet sie sich, daß die ehrbare Gesellschaft alle ihre Handlungen rechtfertiget, und was mich betrifft, so glaub' ich, daß die Schäferstunde, die gewöhnlich nur unter vier Augen mit allen Frauen schlägt, mit dieser da eher in der Mitte ihrer Familie schlüge. Manchmal verweigert sie trozzig einen öffentlichen Spatziergang, um sich vor den Augen der Welt in der Meinung einer großen Regelmäßigkeit, festzusetzen, und einige Zeit darauf, wenn sie auf die Verweigerung, welche sie laut werden ließ, sicher zu gehen glaubt, wird sie vier oder fünf geheime Spatziergänge machen. Sie liebt von Natur aus die Vergnügungen, zwei Dinge nöthigen [216] sie bisweilen, ihnen zu entsagen; die Politik und die Ungleichheit, und aus dem einen oder dem andern dieser Gründe geschieht es, daß sie sehr oft am Tage nach einer Versammlung in die Predigt geht. Mit einigen Zierereyen, die sie von Zeit zu Zeit dem Publikum giebt, glaubt sie die ganze Welt vorweg einzunehmen, und bildet sich ein, daß wenn sie ein wenig Gutes, und ein wenig Böses thue, alles was man davon sagen könne, wäre, daß sie eins in's andere gerechnet eine rechtschaffene Frau sey. Die Schmeichler, wovon ihr kleiner Hof voll ist, sprechen mit ihr davon wohl auf eine andere Art, sie verfehlen nie, ihr zu sagen, daß man nicht besser als sie, die Weisheit mit der Welt, und das Vergnügen mit der Tugend vereinen könne. Um Geist und Ansehen zu haben, läßt sie sich von den Herrlichkeiten des Hofes etwas zu viel blenden; an dem Tage, wo die Königin mit ihr wird gesprochen, und vielleicht nur gefragt haben, mit wem sie gekommen ist, wird sie vor Freude außer sich seyn, und lange hernach noch Mittel finden, allen jenen, deren Ehrerbietung sie sich verschaffen will, die verbindliche [217] Art zu berichten, womit die Königin mit ihr gesprochen. Eines Abends, da der König sie zum Tanze aufzog, und sie sich wieder auf ihren Platz begeben hatte, der neben mir war, sagte sie: »Man muß gestehen, daß der König große Eigenschaften hat; ich glaube, daß er den Ruhm von allen seinen Vorgängern verdunkeln wird.« Ich konnte mich nicht enthalten, ihr in's Gesicht zu lachen, indem ich sah, auf welchen Anlaß sie ihm diese Lobeserhebung gab, und ihr zu antworten: »Man kann nicht daran zweifeln, gnädige Frau, nach dem was er eben für Sie gethan hat.« Sie war damals so zufrieden mit seiner Majestät, daß ich Sie auf dem Punkte sah, um ihm ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen, zu rufen:


Es lebe der König!


Es giebt Leute, die ihrer Freundschaft nur heilige Dinge als Gränzen setzen, und für ihre Freunde alles thun würden, nur nicht Gott beleidigen. Diese Leute nennen sich Freunde in Allem, so weit es das Gewissen erlaubt; die Freundschaft der Frau von Sevigny hat andere Gränzen, diese Schöne ist nur Freundin, so weit es die Börse erlaubt; sie ist [218] die einzige hübsche Frau auf der Welt, die sich durch Undankbarkeit entehret hat; die Noth muß ihr große Furcht machen, weil sie, um den Schatten davon zu vermeiden, die Schande nicht fürchtet. Jene, die sie entschuldigen wollen, sagen, daß sie hierin dem Rathe der Leute folgt, die wissen was der Hunger ist, und noch ihrer Armuth sich erinnern. Sie mag's nun von Andern haben, oder nur sich selbst verdanken, es giebt nichts so Natürliches, als was in ihrer Haushaltung erscheint.

Die größte Achtsamkeit, welche Frau von Sevigny hat, ist: alles zu scheinen, was sie nicht ist; seitdem sie darauf sinnet, hat sie schon jene betrügen gelernt, die sie wenig gekannt haben, oder die sich keine Mühe geben, sie zu kennen; da es aber Leute giebt, die mehr Interesse an ihr genommen haben, als andere, so haben sie sie durchschaut, und unglücklicher Weise für sie wahrgenommen, daß nicht alles, was glänzet, Gold ist.

Frau von Sevigny ist ungleich bis zu den Augäpfeln, und bis zu den Augenwimpern; sie hat Augen von verschiedener Farbe, und da die Augen [219] der Spiegel der Seele, so sind diese Ungleichheiten wie eine Warnung, welche die Natur denjenigen giebt, die sich ihr nähern, nicht viel auf ihre Freundschaft zu bauen. Ich weiß nicht, ist's, weil ihre Arme nicht schön sind, daß sie keinen Werth darauf legt, oder sich einbildet keine Gunstbezeigung damit zu erweisen, da sie eine so allgemeine Sache sind, kurz, wer will, ergreift und küßt sie; ich glaube, das sey genug, sie zu überreden, es liege nichts Böses darin, daß sie meint, man finde kein Vergnügen dabei. Nur der Gebrauch könnte ihr noch einen Zwang anlegen, aber sie ist nicht unschlüssig mehr als die Männer dagegen anzustoßen, wohl wissend, daß, da sie die Moden mitmachte, wann es ihr gefiel, die Wohlanständigkeit nicht mehr in so enge Gränzen eingeschlossen seyn wird.

Hier haben Sie, meine Lieben, das Portrait der Frau von Sevigny; ihr Gut, das sehr zu dem meinigen paßte, weil es ein Theil meines Landgutes war, veranlaßte meinen Vater zu wünschen, daß ich sie heirathe; allein obgleich ich sie damals nicht so gut kannte, wie jetzt, ging ich doch [220] nicht auf den Plan meines Vaters ein; eine gewisse unbesonnene Art, wornach ich sie handeln sah, machte, daß ich sie fürchtete, und mir schien sie das artigste Mädchen von der Welt, um die Frau eines andern zu werden. Diese Ansicht half mir sehr, sie nicht zu heirathen; aber da sie kurze Zeit nach mir vermählt ward, wurde ich verliebt in sie, und der stärkste Grund, der mich bewog, sie zu meiner Geliebten zu machen, war jener, der mich verhindert hatte, zu wünschen, ihr Gatte zu werden.

Da ich ihr nächster Verwandter war, hatte ich sehr großen Zutritt zu ihr, und sah den Kummer, den ihr Gatte ihr alle Tage machte; oft beklagte sie sich bei mir darüber, und hat mich, ihn wegen der tausend lächerlichen Anhänglichkeiten zu beschämen, die er hatte; ich diente ihr hierin eine Zeitlang sehr glücklich; da aber zuletzt die natürliche Gemüthsart ihres Gatten ihn über meine Ratschläge hinausriß, setzte ich mir mit Fleiß in den Kopf, in sie verliebt zu werden; mehr aus Bequemlichkeit der Umstände, als aus Gewalt der Neigung. Eines Tages also, da Sevigny mir gesagt, daß er am vorigen Abende [221] die angenehmste Nacht von der Welt verlebt habe, nicht nur für ihn, sondern auch für die Damen, womit er sie verlebte, fügte er bei: »Sie können glauben, daß dieß nicht mit ihrer Base geschah; bei Ninon war's.« »Desto schlimmer für Sie, sagte ich, meine Base ist tausendmal mehr werth, und ich bin versichert, wenn sie nicht Ihre Frau wäre, so würde sie Ihre Geliebte seyn.« »Dieß könnte wohl seyn,« antwortete er. »Kaum hatte ich ihn verlassen, als ich alles der Frau von Sevigny erzählte.« Da ist wohl auch was zu prahlen, sagte sie, vor Aerger erröthend. »Lassen Sie sich nichts merken, antwortete ich, denn Sie sehen die Folgen davon.« »Ich glaube, daß Sie närrisch sind, erwiederte sie, mir diese Warnung zu gehen, oder daß Sie meinen, ich sey närrisch.« »Sie wären es wohl mehr, gnädige Frau, versetzte ich, wenn Sie ihm nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, als wenn Sie ihm wieder sagen würden, was ich Ihnen eröffnet habe; rächen Sie sich, meine schöne Base, ich will die Hälfte der Rache übernehmen, denn Ihr Interesse ist mir eben so theuer, wie das meinige.« »Sachte, Herr Graf,« erwiedert [222] sie, »ich bin nicht so aufgebracht, als Sie glauben.« Da ich am folgenden Tage Sevigny auf dem Spatziergange traf, warf er sich in meinen Wagen. Sobald er darin war, sagte er: »Ich glaube, daß Sie Ihrer Base das mitgetheilt haben, was ich Ihnen gestern von Ninon erzählte, weil sie mir heute etwas davon erwähnte.« »Ich, war meine Antwort, »ich habe nichts mit ihr gesprochen, mein Herr. Weil Sie aber Verstand haben, so sagte sie mir so Vieles über das Kapitel der Eifersucht, daß Sie bisweilen die Wahrheit trifft.« Sevigny ergab sich einem so guten Grunde, und brachte mich wieder auf das Kapitel von seinem Glücke bei Damen; und nachdem er mir tausend Vortheile sagte, die im Verliebtseyn liegen, schloß er mit der Eröffnung, daß er es lebenslang seyn wolle, und dann selbst, daß er es inNinon so sehr sey, als man es nur seyn könne, daß er die Nacht zu St. Cloud mit ihr und mit Vassé zubringen werde, der Ihnen ein Fest gebe, und über den sie sich beide lustig machten. Ich sagte ihm wieder, was ich ihm tausendmal gesagt habe, »daß, obgleich seine Frau verständig sey, er es so [223] weit treiben könne, daß er sie zuletzt zur Verzweiflung brächte, und sie, wenn irgend ein wackerer Mann sich in sie verliebte, zur Zeit, da er ihr böse Streiche spiele, vielleicht in der Liebe und in der Rache Süßigkeiten suchen könne, die sie in der Liebe allein nicht gefunden hätte.« Da wir uns hierauf trennten, ging ich nach Hause, und schrieb diesen Brief an seine Gattin:

»Ich hatte gestern nicht Unrecht, Ihrer Unklugheit zu mißtrauen; Sie sagten Ihrem Gemahle, was ich Ihnen mittheilte; Sie sehen wohl, daß ich Ihnen nicht meiner Vortheile wegen diesen Vorwurf mache, denn alles, was mir deßhalb begegnen kann, ist, seine Freundschaft zu verlieren, und für Sie gnädige Frau ist wohl mehr zu fürchten. Dennoch war ich glücklich genug, ihn eines bessern zu belehren; übrigens, gnädige Frau, ist er so überzeugt, daß man kein wackerer Mann seyn könne, ohne immer verliebt zu seyn, daß ich verzweifle, Sie jemals zufrieden zu sehen, wenn Sie nun darnach streben, von ihm geliebt zu werden; doch dieß beunruhige Sie nicht, gnädige Frau; da ich angefangen habe, Ihnen zu dienen, so [224] werde ich Sie in der Lage nicht verlassen, worin Sie sind. Sie wissen, daß Eifersucht manchmal mehr Kraft hat, ein Herz zu fesseln, als Reize und Verdienst. Ich rathe Ihnen, gegen Ihren Gemahl davon Gebrauch zu machen, meine schöne Base, und hiezu biet' ich mich Ihnen an. Wenn Sie Ihn dadurch zurückbringen, so lieb' ich Sie hinreichend, um meine vorige Rolle als Ihr Geschäftsführer bei ihm wieder anzufangen, und selbst mich opfern zu lassen, um Sie glücklich zu machen; sollte er Ihnen aber entgehen, dann lieben Sie mich, meine Base, und ich werde Ihnen beistehen, sich an ihm zu rächen, indem ich Sie liebe, so lang' ich lebe.«

Der Page, dem ich diesen Brief gab, trug ihn zu Frau von Sevigny und fand sie eingeschlafen, und indem er erwartete, daß man sie weckte, kam Sevigny vom Lande an. Als dieser von meinem Pagen erfuhr, den ich für diesen Fall nicht unterrichtete, da ich nicht voraussah, daß der Gemahl so bald ankäme, als er erfuhr, sage ich, daß er einen Brief in meinem Namen seiner Gattin zu übergeben habe, forderte er ihn demselben ab, ohne etwas zu [225] argwöhnen, und nachdem er ihn zur selben Stunde gelesen hatte, hieß er ihn zurückkehren, da keine Antwort darauf zu geben sey. Sie können sich denken, wie ich ihn empfing; ich war auf dem Punkte, ihn zu tödten, die Gefahr einsehend, welcher er meine Base ausgesetzt hatte, und ich schlief keine Stunde in dieser Nacht.Sevigny seinerseits brachte sie auch nicht besser zu, und am folgenden Tage, nach großen Vorwürfen, die er seiner Gattin machte, verbot er ihr mich zu sehen; sie meldete mir's und daß mit ein wenig Geduld alles sich einst ausgleichen würde.

Sechs Monate darauf wurde Sevigny vom Chevalier von Albret im Tuelle getödtet, seine Gattin schien untröstlich über seinen Tod, die Gründe, welche sie hatte, ihn zu hassen, kannte Jedermann, man glaubte, daß ihr Schmerz nur Verstellung sey. Was mich betrifft, der ich mehr Vertraulichkeit mit ihr hatte, als die Andern, ich wartete nicht so lange wie sie, mit ihr von angenehmen Dingen zu reden, und bald hernach sprach ich mit ihr von Liebe, und so, als hätte ich nie etwas anderes gethan. Sie gab mir eine von jenen Antworten des Orakels, welche [226] die Frauen gewöhnlich im Anfange geben, daß meine Leidenschaft, die ziemlich ruhig wäre, mich wenig vortheilhaft erscheinen ließe, vielleicht war sie's auch, ich weiß nichts davon. Wenn nun Frau von Sevigny nicht Willens war, mich zu lieben, so kann man nicht mehr Gefälligkeit für sie haben, als ich deren in dieser Hinsicht für sie hatte. Da ich inzwischen ihr nächster Verwandter von der ehrenvollsten Seite war, machte sie tausend Vorschritte, mich zu ihrem Freunde zu gewinnen, und mir, der ich an ihr eine Art von Geist fand, welcher mich ergötzte, war es nicht unlieb, auf diesem Fuße bei ihr zu bleiben. Ich sah sie fast alle Tage, ich schrieb ihr, und sprach lachend von Liebe mit ihr; ich entzweite mich mit meinen nächsten Verwandten, um mit meinem Einflusse und Vermögen jenen zu dienen, die sie mir empfahl, kurz, wenn sie alles dessen benöthigt gewesen wäre, was ich auf der Welt besitze, so würde ich ihr sehr verbunden gewesen seyn, mir Gelegenheit gegeben zu haben, hierin ihr beizustehen Frau von Sevigny war damit sehr zufrieden, so sehr, daß ich anderswo nicht liebte, da mich aber der Zufall, wie ich Ihnen [227] später sagen werde, veranlaßte, Frau von Precy zu lieben, bewies mir meine Base nicht mehr so große Zärtlichkeit, wie sie sonst pflegte, als sie glaubte, ich liebe nur sie. Von Zeit zu Zeit hatten wir kleine Zwistigkeiten, die sich zwar ausglichen, aber in meinem Herzen, und ich glaube auch in dem ihrigen den Saamen der Uneinigkeit bei der ersten Veranlassung zurückließen, die wir hiewegen miteinander haben würden, und die selbst fähig waren, gleichgültige Dinge zu verschlimmern. Da sich endlich eine Gelegenheit zeigte, wo ich der Frau von Sevigny bedurfte, und wo ich in Gefahr war, ohne ihren Beistand mein Glück zu verlieren, gab mich diese Undankbare auf, und beging in der Freundschaft zu mir die größte Untreue. Dieß war's, meine Lieben, was mich bewog, mit ihr zu brechen, und weit entfernt, sie der Frau von Montglas zu opfern, wie man gesagt hat, hielt mich vielmehr diese ab, die ich schon lange liebte, jenes volle Aussehen zu machen, das eine solche Undankbarkeit verdiente.« Als Büssy zu sprechen aufgehört hatte, sprachVivonne: »Was ist denn an [228] dem, was man vom Grafen dü Lüde und von Frau von Sevigny spricht? Stand er gut mit ihr?« Bevor ich Ihnen hier auf antworte, versetzt Büssy, müssen Sie erfahren, was an diesem Grafen dü Lüde ist.

Er hat ein kleines und häßliches Gesicht, viele Haare, einen schönen Wuchs; er war geboren, um sehr fett zu werden, aber die Furcht belästiget und angenehm zu werden, ließ ihn so außerordentliche Sorgen tragen, sich mager zu machen, daß er endlich seinen Zweck erreichte, in der That hat ihm sein schöner Wuchs einen Theil seiner Gesundheit gekostet; er hat sich den Magen durch Diät und den Essig verdorben; wovon er Gebrauch machte. Er ist gewandt zu Pferde, tanzt gut, ficht gut, ist brav, hat sich sehr gut mitVardes geschlagen, und man hat ihm Unrecht gethan, wenn man an seinem Muthe zweifelte; der Grund dieser Lästerung ist, daß, während die ganze Jugend seines Standes in Kriegsdienste trat, er sich begnügte, einen Feldzug als Freiwilliger mitzumachen; aber dieß kommt daher, weil er faul ist, und seine Vergnügungen liebt; [229] mit einem Worte, er hat Muth, und hat keinen Ehrgeiz, er hat einen sanften Geist, ist angenehm mit den Frauen; er wurde immer gut von ihnen behandelt, und liebt sie nicht lange. Die Gründe die man für sein Glück bei den Damen sieht, sind, außer dem Rufe bescheiden zu seyn, das gute Ansehen und große Eigenschaften für die Liebe, aber was ihm überall ganz gewiß das Gelingen verbürgt, ist, daß er weint, wann er will, und daß die Frauen nichts so sehr überzeugt, daß man liebe, als die Thränen Frau von Sevigny ist eine von jenen, für, welche er Liebe gefühlt hat, aber seine Leidenschaft hörte auf, als diese Schöne anfing, sie zu erwiedern; dieser widrige Zufall hat ihn gerettet, sie konnten sich nicht wieder zusammenfinden; und weil er sie seitdem immer sah, obgleich ohne Neigung, unterließ man nicht zu sagen, daß sie ihn geliebt habe, und obwohl dieß nicht wahr ist, so war es doch immer das wahrscheinlichste Gerücht. Er ist doch die schwache Seite der Frau von Sevigny gewesen, und derjenige, für welchen sie die meiste Neigung hatte, welchen Scherz sie auch daraus machen wollte. Dieß erinnerte [230] mich an die Strophe eines Liedes, das sie machte, worin sie Frau von Sourdy, die schwanger war, sprechen ließ.

Niemand auf der Welt hat mehr Munterkeit, mehr Feuer, noch einen anmuthigeren Geist, als sie. Menage war in sie verliebt geworden, und seine Geburt, sein Alter, und seine Gestalt zwangen ihn, seine Liebe, so sehr er konnte, zu verbergen; er befand sich eines Tages bei ihr, zur Zeit, da sie ausgehen wollte, um Einiges einzukaufen. Da ihr Kammermädchen nicht im Stande war, sie zu begleiten, sagte sie zuMenage, er soll mit ihr in ihren Wagen steigen, und daß sie nicht fürchte, daß Jemand davon spräche. Dieser dem Anscheine nach scherzend, aber in der That geärgert, erwiederte, daß es ihm sehr schwer falle, zu sehen, daß sie mit der Härte nicht zufrieden sey, die sie seit so langer Zeit gegen ihn übe, sondern ihn auch noch bis auf den Punkt verachte, zu glauben, daß man von ihm und ihr nichts sagen könne. »Setzen Sie sich,« sagte sie, »setzen Sie sich in meinen Wagen; wenn Sie mich ärgern, so besuch ich Sie in Ihrer Wohnung.« Als Büssy diese [231] letztern Worte gesprochen hatte, meldete man diesen Herrn, daß man aufgetragen habe; sie gingen zum Mittagstische, und als das Mahl mit gewöhnlicher Fröhlichkeit vorüber war, in den Part, wo sie kaum waren, als sie Büssy baten, ihnen die Geschichte von der Frau vonMontglas und von ihm zu erzählen; nachdem er eingewilliget hatte, begann er auf diese Weise:

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Bussy-Rabutin, Roger de. Erzählungen. Geheime Liebschaften der Pariser Hofdamen. Geschichte der Frau von Sevigny. Geschichte der Frau von Sevigny. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A03-D