[16] [1]Daheim

[1] Ist es Friede, ist es Glück,

Was durch meine Träume zieht,

Unsichtbar wie Blumenduft,

Leise wie ein Kindeslied ...

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Aus der Asche.«

[2]

Somnambule

1.

Nur einmal ist das fremde Kind
Im Leben Dir begegnet,
Und hat den einen Augenblick
Viel tausendmal gesegnet.
Viel tausendmal an Dich gedacht
Hat es in schwarzen Stunden,
Nach Dir gebangt, – nach Dir gesucht,
Und Dich zu spät gefunden.
Oft weckte Dich aus tiefstem Traum
Ein leises, bittres Weinen –
Es war die Seele, die Dich rief,
Die Seele der armen Kleinen ...

[3] 2.

Mit geschlossenen Augen bin ich
Durch die öde Nacht gewandelt,
Habe wie im Traum gefühlt.
Habe wie im Traum gehandelt.
Plötzlich bin ich aufgewacht,
Hell den Blick Dir zugewendet –
Denn Du hast in meine Nacht
Der Erkenntniß Licht gesendet.

[4] Nur Du allein

1.

Nur Du allein, Du schautest wie ich litt,
Nur Du allein hast meiner Qual geglaubt,
Du schirmtest die Gedanken mir im Haupt –
Als Nacht mit Licht in meiner Seele stritt.
Nur Du allein, Du lieh'st mir Deine Hand,
Als ich einst kam, geschmähet und bedroht –
Als sich kein heimathlicher Heerd mir bot,
Als ich allein auf weiter Erde stand ...
Nur Du allein, Du hast mich nie betrübt,
Seit Du erschaut, wie ich so tiefverarmt –
Nur Du allein hast Dich einst mein erbarmt,
Hast mich beschützt – und hast mich nie geliebt ...

[5] 2.

Sag' nicht, ich soll Dich meiden
Und nimmer sehn,
Wollt' ich Dich auch verlassen,
Wohin sollt' ich gehn? –
Du weißt es ja, ich habe
Keine Heimath dann –
Kein Glück – und keine Stätte,
Wo ich ruhen kann ...

[6] Faustina

Unseliges Weib! – Ich sah Dich auf der Bühne,
Ich hörte Dein berauschend-süßes Singen,
Ich sah Dich lachen und den Becher schwingen,
Sah Deinen Blick – und fühlte Deine Sühne...
Denn Deines Auges dunkle Wimper zittert,
Schaut es den Mann, der auf den sammtnen Kissen
Der Loge ruht – den Du an Dich gerissen
Mit wahrstem Lieben – den Dein Reiz umflittert.
Und immer wieder sucht Dein Blick den seinen,
Du fühlst sein Aug' an Deinen Lippen hangen
Voll heißem, jugendfrohem Liebverlangen –
Da zuckt Dein Mund von unterdrücktem Weinen...
Wohl bist Du schön, die königlichen Glieder
Sie leuchten durch die schimmernd-weiche Hülle,
Der gold'nen Locken üppig-duft'ge Fülle
Rollt auf dem stolzen Nacken glänzend nieder.
Und dennoch ist, Unselige, Dein Lieben,
Dein echtes, tiefes, viel zu spät entglommen,
Bald wird der Tag, bald wird die Stunde kommen,
Wo von dem Glück nur Elend Dir geblieben.
[7]
Du fühlst schon heute Deiner Jugend Sterben,
Die Todesangst sie klingt selbst durch Dein Lachen,
Du weißt es: der Geliebte wird erwachen –
Und sein Erwachen, Weib, ist Dein Verderben...
Umhüll' Dein Haupt alsdann mit schwarzen Schleiern
Und komm' zu mir in jener Todesstunde,
Hier kannst Du bluten lassen Deine Wunde
Und das Begräbniß Deiner Jugend feiern.

[8] Christbaum

Hörst' auch Du die leisen Stimmen
Aus den bunten Kerzlein dringen?
Die vergessenen Gebete
Aus den Tannenzweiglein singen?
Hörst' auch Du das schüchternfrohe,
Helle Kinderlachen klingen?
Schaust' auch Du den stillen Engel
Mit den reinen, weißen Schwingen? ...
Schaust' auch Du Dich selber wieder
Fern und fremd nur wie im Traume?
Grüßt auch Dich mit Märchenaugen
Deine Kindheit aus dem Baume? ...

[9] Vergieb!

Du gutes altes Mütterlein,
Du hattest mich so lieb,
Verließ Dich auch Dein wildes Kind –
Vergieb mir doch – vergieb!
Wie gerne kehrt ich heim zu Dir,
An Deinen stillen Heerd,
Wie gern vermißt ich Alles jetzt,
Was einst ich heiß begehrt.
Wie gern läg' ich an Deiner Brust,
Dem letzten, wahren Hort –
Wie gern läg' ich zu Füßen Dir
Und lauschte Deinem Wort.
Und kläng' Dein Wort auch noch so hart,
Einst hattest Du mich lieb –
Du gutes altes Mütterlein
Vergieb mir doch – vergieb! ...

[10] Im Conzert

Die traurige Kindheit,
Des Vaters Tod,
Der Jugend Blindheit,
Die herbe Noth,
Die Wintertage,
Das dünne Kleid,
Die Sorg' und Plage,
Das Seelenleid ...
Die Gleichgültigkeit,
Die schwer wie Erz,
Die schmerzlose Zeit –
Die mehr als Schmerz ...
Das Alles wogte
Wieder vorbei,
Mit leisem Schluchzen
Und dumpfem Schrei,
Als Deine Hand
Durch die Saiten glitt –
– – – – – – – – –
Oh wie ich litt! –

[11] Pauline

Dies Buch voll dunkler, trauriger Gedanken,
Es gleichet nimmer Deinen frohen, lichten,
Es gleicht nicht Deinen blühenden Gedichten,
Nicht Deinen Blumen, sonnighellen Ranken.
Und doch – denn Beide mußten wir erkranken
Am gleichen Leid, im wundgeweinten Herzen,
Bis wir im Uebermaße dumpfer Schmerzen
Der Kunst vertrauend in die Arme sanken.
Und wenn wir auch Vergessenheit nicht tranken,
Die alten Schmerzen nimmer ganz beschworen,
So wurde doch aus Thränen uns geboren
Dein Blumendichten – meine Liederranken.

[12] Schlummerlied

O weine nicht!
Deine Aeuglein sind
So blau und licht,
Schlaf ein, mein Kind.
Dem Vöglein im Wald
Ist kalt, ach kalt.
Und für Dein reines
Blumengesicht,
Du Kind, Du kleines,
Taugt Regen nicht.
Du liegst so warm
In meinem Arm, –
Hör' wie der Wind
Die Zweiglein bricht! –
Schlaf ein geschwind
Und weine nicht! ...

[13] Selbstqual

O zwingt mich nicht, mit herbem Wort,
Mit hartem, euch zu nennen,
Denn solche Worte fort und fort
Auf meinem Herzen brennen.
Es hat solch' Wort in dunkler Stund'
Mir Kraft und Muth gebrochen,
Als einst ein böser Menschenmund
Es zürnend ausgesprochen.
Wenn ich ein herbes Wort euch sag'
In ungezähmtem Grimme,
Trifft wie ein blut'ger Geißelschlag
Mein Herz die eigne Stimme.

[14] Schatten

1.

Sind es Schatten ferner Zeiten,
Schatten schon aus Zukunftstagen,
Die durch meine Seele gleiten,
Die zu mir herüberragen?
Denn oft bluten alle Wunden,
Alle Sterne, sie erblassen –
Und ich kann in solchen Stunden
Nichts mehr lieben – nichts mehr hassen.

[15] 2.

Ihr ahnt nicht, wie der dumpfe Drang
Die Seele mir zerrissen,
Und wie ich litt, ach, wie ich rang
In Schmerz und Finsternissen –
Wie einst so bang, so qualvoll-bang
Durch Hirn und Herz geklungen,
Was endlich sich als herber Sang
Aus meiner Brust gerungen,
Wie ich erschreckt von diesem Klang,
Mich schaudernd mußte fragen,
Ob ich's vermocht so stumm, so lang
Mein klingend Weh' zu tragen.

[16] Magdalena

Zuweilen, wenn ich ganz allein,
Nah'st Du in Dämmerstunden,
Du schwebst so bleich und still herein,
Wie ich Dich einst gefunden.
Du lachtest damals, seltsam klang
Dein Wort, voll herber Zweifel,
Um Deine müde Seele rang
Dein Engel mit dem Teufel ...
Ich sah Dich fiebernd, traurig, kalt,
Nach Neuem suchen, greifen,
Und sah Dich überdrüssig bald
Gefund'nes von Dir streifen.
Ich sah Dich edel, jung und froh,
Und in den nächsten Stunden
Sah ich Dich kleinlich, alt und roh,
Erkrankt an Todeswunden.
[17]
Das dunkle Räthsel Deiner Qual
Hast Du mir nie erschlossen,
Nur Deine Thränen sind einmal
Heiß auf mein Haupt geflossen. –
Durch Dämmerung und Herbsteswind
Hör' ich Dich seither klagen,
Denn Du bist todt, Du armes Kind,
Seit langen, langen Tagen.

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TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Daheim. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-527E-B