Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings

Ein Anhang zu Herrn Jacobi Briefwechsel über die Lehre des Spinoza. Berlin, 1786. Bei Christian Friedrich Voß und Sohn.


Die Antwort auf vorangezeigte Schrift. Herr Mendelssohn ist unwillig, daß Hr. J. das Gespräch mit L. und die Korrespondenz mit Ihm samt dem ganzen Handel bekanntgemacht hat, und seinen Freund Lessing bei der Nachwelt verunglimpft. Er sieht das Betragen des Hrn. J. gegen L. und gegen Ihn von allen Seiten an, und findet an allen Seiten Schwürigkeiten und Widersprüche und Knoten etc. Er weiß nur einen einzigen Weg sie »natürlich und dem Charakter der interessierten Personen angemessen« aufzulösen, und sagt: »Herr Jacobi gehe darauf aus, alle Spekulanten zu bekehren; er habe auch seine Kur an Lessing probieren wollen, und da sie ihm da nicht geglückt sei, habe er doch geglaubt, das Exempel L. allen andern Klüglingen zur erbaulichen Warnung aufstellen zu müssen; und in ebenderselben guten ehrlichen Absicht habe sich Hr. J. denn auch an Ihn, M., gemacht usw.«

Durch diese Auflösung, dadurch Hr. M. sich aushilft, rettet er nun seinen Freund L. Denn der witterte J. Absicht, und spielte daher vollkommen den aufmerksamen Schüler, sagt Hr. M., und darum gebärdete er sich denn in dem Gespräch so wie er sich gebärdet hat, sagt Hr. M.; und wie er sonst sich nicht würde gebärdet haben, sagt Hr. M.

Nachdem er auch den ganzen Handel zwischen Ihm, und J. von Anfang an erzählt hat, ruft er S. 79 die unparteiischen Leser [350] auf, zwischen L. und Ihm und J. zu richten, und namentlich: »ob Hr. J. zu der schmählichen Besorgnis berechtigt gewesen die er S. CLXXVI zu erkennen gibt, und was für Recht er gehabt, mit einer Privatkorrespondenz hervorzueilen ohne diejenigen darum zu befragen, die Anteil daran hatten?«


Es gibt der Streitigkeiten in der gelehrten Welt viele, und die unparteiischen Leser haben wohl was anders zu tun als einen jeden Aufruf anzunehmen, und ihre Zeit mit urteilen zwischen Gelehrten und Gelehrten zu verzehren. Indes Hr. M. und Hr. J. verdienen wohl eine Ausnahme. Sie sind als Männer von hellem Kopf und edlem Herzen bekannt, die wechselsweise Achtung füreinander hatten, und die nicht aus Renommisterei sondern zufälligerweise aneinandergeraten sind. Auch ist die Frage zu der dieser Streit hinleiten sollte für jedermann wichtig, und dermalen in einer Art von Bewegung; daß also ein Dritter seine einfältige Meinung wohl auch dazu tun kann.

Dazu rumort es und rumort von Schwärmerei, blendenden Irrtümern und Unsinn etc., welches Leute die es nicht besser wissen für Ernst nehmen könnten; und die elektrische Materie scheint sich in dem einen Apparatus, der ohnehin der brillanteste ist, zu häufen, und der Versuch einer harmlosen Ableitung nicht übel angebracht zu sein, um das Gleichgewicht der Materie wiederherstellen zu helfen. Am Ende hat man bis daher so viele Stimmen für H.M. gehört, daß es auch lustig sein wird, einmal eine andre zu hören, und wäre es auch nur bloß der Abwechselung wegen.

Hr. M. ist, seitdem er diesen Anhang geschrieben hat, leider! gestorben. Das aber schadet hier nicht. Ihm muß nun Unparteilichkeit desto lieber sein, und ein würklich unparteiischer Leser fürchtet die Toten sowenig als die Lebendigen. Ich indes will mich für nichts ausgeben, auch nicht für unparteiisch. Doch hoffe ich, die Leser dieses, die J. und M. Schrift, denn daraus gehe ich allein zu Werk, gelesen und dabei eine gesunde Konstitution haben, sollen meistenteils finden: daß sie ebendas, was sie lesen werden, selbst denken, und daß ich es ihnen nur aufgeschrieben habe. Und, wo sie es nicht finden, da lasse ich ihnen ihre Meinung, denn ich will nicht streiten.


Also Hr. M. saget, daß »Hr. J. seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing, den Herausgeber der Fragmente, den Verfasser [351] des Nathan, den großen bewunderten Verteidiger des Theismus und der Vernunftreligion, bei der Nachwelt als Spinozisten, Atheisten, und Gotteslästerer anklage«. S. 3.

Wäre es nicht in Sachen seines Freundes, so würde man sagen müssen, Hr. M. habe sich zu stark ausgedrückt. Verschiedene Rezensenten in dieser Angelegenheit, auch unser Unparteiischer à costi und sein Kollege, haben gesagt, daß Hr. J. aus Äußerungen L. habe schließen wollen: L. sei ein Spinozist gewesen; da in Hr. J. Büchlein nicht geschlossen sondern dasGespräch als das Corpus delicti selbst hingelegt ist, damit ein jeder sein Visum repertum selbst darüber nehmen könne. Hr. M. ist auch zu billig, das Gespräch ganz vorbeizugehen; und sein Visum repertum ist eben die angeführte Sage: »daß Hr. J. seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing« etc. etc. Wie gesagt, wäre es nicht in Sachen seines Freundes, so würde man sagen müssen: Er habe geschlossen, und sich zu stark ausgedrückt.

Aber hätte Hr. J. das Gespräch nicht lieber verschweigen sollen, und soll man die Toten nicht ruhen lassen? – Je nun, zum Zeitvertreib oder noch zu etwas Ärgerm soll man freilich in Gräbern nicht stören. Wenn aber die Toten den Lebendigen noch zu etwas nutz sein können; wer wollte denn so gradezu behaupten, daß man sie dazu nicht brauchen dürfe? – Seziert man doch! – Ich zwar, für meine Person, will lieber nicht seziert sein; ich gestehe meine Schwachheit, ich will verwesen und nicht seziert sein. Die Vernunft hat ja aber solche Schwachheit abgetan, und seziert, und ist für die Sektion, die dem Toten nicht schadet und den Lebendigen nützet. Was im Physischen und also im Geringern wahr ist und gilt, warum soll das im Größern nicht auch wahr sein und gelten? – Ich weiß also unsern lieben Lessing, nach seinen und seiner Freunde eignen Grundsätzen, nicht zu retten, wenn ihn jemand zum Besten des Publici brauchen kann. Auch hat ja der Herausgeber der Fragmente selbst in Gräbern gestört.

Aber, in Ernst, wie kann Hr. M. es so ungerecht gegen L. finden, daß Hr. J. das Gespräch und denBriefwechsel bekanntmacht? Er sagt ja selbst an mehrern Orten, und S. 79 mit großen Buchstaben: daß er im II. Teil der Morgenstunden von dem Briefwechsel Gebrauch machen will. Er hat ja selbst über L. an J. geschrieben: »Auch unsers besten Freundes Name soll bei der Nachwelt nicht mehr und nicht weniger glänzen, als er es verdient. Überall Wahrheit; mit ihr gewinnt die gute Sache immer.« S. VI. [352] Wenn nun Gebrauch von dem Briefwechsel gemacht werden sollte; so war doch überall mehr Wahrheit, wenn das Gespräch selbst mitgeteilt ward. Also die Bekanntwerdung des Gesprächs kann es wohl nicht sein, was Hr. M. unwillig machte.

Es ließe sich auch, wenn hier überhaupt etwas zu gewinnen und verlieren ist, noch fragen: ob L. durch diese Bekanntwerdung verliere oder gewinne? Ich urteile nach dem Eindruck, den ich davon habe. Es ist wahr, ein Ding, das ihm in dem Gespräch entfährt, hat mich für ihn sehr verdrossen; auch glaube ich, mit Hr. M., daß der Vorteil im Räsonnement auf J. Seite falle. Sonst aber vermisse ich, im Gespräch, in ihm, Lessingen und die trefflichen Blitze die man an ihm gewohnt ist keinesweges, daß er also an dieser Seite gewonnen hat; und an Seiten der Religion hatte er bei mir nichts mehr zu verlieren. Denn ob, mit L. in seiner Parabel zu reden, alles Licht durch die Seitenfenster einfalle, oder ob auch einiges von oben einfallen könne: die Frage teilt die Anhänger der Religion in zwei Klassen die wesentlich verschieden sind. Alles übrige gibt nur Nuancen von mehr und weniger; und die sogenannte Vernunftreligion, die den zerbrochenen Wasserkrug mit den Scherben selbst wieder flicken und herstellen will, ist etwa im Decoro, aber im eigentlichen Resultat wenig von der verschieden, die gar nicht flickt sondern die Scherben liegenläßt, wie sie liegen. Doch dies beiseite.


Also die Bekanntwerdung des Gesprächs konnte H.M. nicht unwillig machen; oder er mußte seine erste Meinung schon geändert haben, und nun nicht mehr, wie vorhin, seinen Freund der Wahrheit sondern die Wahrheit seinem Freunde aufopfern wollen. Das zwar kann ihm niemand wehren, und es ließe sich auch vielleicht noch entschuldigen; aber es läßt sich doch auch entschuldigen, wenn ein anderer das nicht will.

Das, S. 29; und 20 daß L., Mendelssohns vertrautester liebster Freund, mit dem er so lange Freund gewesen und sich so oft ergossen hatte, und um alle dessen Geheimnisse er zu wissen glaubte, daß der einem andern Mann, den er nur einigemal gesehen, offenherzig von einem Geheimnis spricht, von dem er mit ihm nie gesprochen hatte; und noch sogar gegen diesen sich äußert, daß er es aus Nachsicht nicht habe tun wollen; dies und dies hauptsächlich scheint Hr. M. wehe getan zu haben. Ich trete hier an seine Stelle, gedenke mit jenem Oberschenken an meine Sünde, und gestehe aufrichtig: es hätte mir auch wehe getan. [353] Es gibt eine Eifersucht in der Freundschaft; und die Selbstsucht sitzt gemeinhin bei uns Menschen tiefer als die Philosophie.

Wenn also nun Hr. M. einen Plan machte, sich und seinen Freund zu retten, und dieser Plan durch Hr. J. Schrift vereitelt ward, und die Sache ins Publikum kam; so läßt es sich begreifen, daß Hr. M. unwillig werden konnte.

Warum war denn aber auch Hr. J. mit der Bekanntmachung so vorschnell? Er hatte ja Hr. M. Versprechen in Händen: daß dieser im I. Teil der Morgenstunden des Briefwechsels noch nicht erwähnen wollte, wie er auch nicht getan hat; sondern daß er nur bloß den Statum controversiae festsetzen wollte, und was hatte J. für Ursache zu glauben, M. würde es zu seinem Nachteil tun?

Ich nicht, und gewiß wenige in Deutschland werden Hr. M. die Schadenfreude zutrauen, daß er unbeleidigt jemanden ein Bein unterschlagen könnte um sich an seinem Fall zu belustigen. Aber auf der andern Seite mußte sein Benehmen Hr. J. doch würklich sonderbar bedünken. J. und L. sprechen 1780 in Wolfenbüttel miteinander wider und für den Spinozismus; J. teilt Hr. M. in Berlin, der von L. Gesinnungen über diesen Punkt näher unterrichtet sein will, das Gespräch mit; – und nun will Hr. M. 1785 in einem I. Teil von Morgenstunden die Sache von dem Pantheismus ins reine bringen und den Spinozismus läutern, um in dem II. Teil dem Publico und Jacobi 1790 in Berlin zu sagen, was Lessing und er 1780 in Wolfenbüttel gemeint haben.

Auch war J., sagt er, an der Sache gelegen darüber gestritten war, und er mochte vielleicht zu den Läuterungen, nach einigen Proben aus dieser Schule wo das Korn sehr gelitten hat, kein sonderliches Vertrauen haben, und die Sache lieber ungeläutert und wie sie war behalten wollen. Ferner hatte er gegen L. und gegen M. den Spinoza verfechtet als den Meister in Demonstration, um hernach zu dem Satz zu kommen: daß alle Demonstration nicht ausreiche; und Hr. M. verstand ihn immer schief oder gar nicht etc. Wie hätte er, bei dem allen und bei dem was hernach noch kommen wird, die Besorgnis nicht haben sollen, daß Hr. M., der seinen ersten Entschluß; den Namen seines Freundes bei der Nachwelt nicht mehr als er es verdient glänzen zu lassen, aus Freundschaft schon geändert hatte; daß er vielleicht auch aus Freundschaft seinen Freund L. mit dem geläuterten Spinozismus vollends ins reine bringen, und Hr. J. seiner eignen Läuterung überlassen könnte?

[354] Die Erfahrung hat ja auch bewiesen, daß diese Besorgnis wenigstens für die erste Hälfte nicht ohne Grund gewesen. Denn in dem I.T. der Morgenstunden ist zwar des Briefwechsels nicht erwähnt, aber doch offenbar alles so angelegt, und eingeleitet, daß L. in dem II. Teil gerettet werden sollte; und man braucht mehr als einen Zipfel von Hr. M. Mantel der Freundschaft für L., um alle Stellen zuzudecken, die für seinen Nebenbuhler bei Herrn Lessing mißlich gedeutet werden könnten, wenn man das wollte.

Als nun, bei so bewandten Umständen, Hr. J. seine Gegenmine springen ließ, und jene Anlage demolierte, greift Hr. M., um sich und seinen Freund zu retten, zu einem sehr desperaten Mittel, und sagt: L. habe J. in dem Gespräch zum besten gehabt. – Man sieht nicht gleich, ob die Feinde oder Freunde des Hrn. L. mehr Ursache haben mit dieser Ehrenrettung friedlich zu sein; denn er kommt hier so ziemlich aus dem Regen in die Traufe. Aber Feinde und Freunde, die das Gespräch selbst gelesen haben, werden das Bonmot des Hr. M. ein wenig unphilosophisch finden. Wahrlich, wenn J. auch die Absicht gehabt hätte, L. und M. unter die Füße zu treten, und auf ihre Unkosten unedel in den Wald zu rufen; so hätte M. doch nicht edler geantwortet. Doch ihm war sein Plan verrückt, und das verdroß ihn; und wir wissen alle, was man im Verdruß nicht sagen und tun kann, das einen hernach wieder gereut!

Man kann auch Herrn J. von Empfindlichsein nicht freisprechen; denn offenbar war er's. S. CLXXVI etc. Seinen ersten Briefen sieht man's an, wie ihm die Bekanntschaft mit Hr. M. sehr willkommen war. Er teilte ihm das Gespräch mit, und, in Mspt., einen Auffsatz nach dem andern zur Belehrung und zur Prüfung; gibt ihm völlige Freiheit, CXVI, von seinen Briefen beliebigen Gebrauch zu machen usw. – und tat vielleicht zu viel. Als nun Hr. M. diese Bereitwilligkeit und dies Vertrauen nicht erwiderte; als ihm in Hr. J. Aufsätzen nichts einleuchtet, und das Licht immer mehr ausgeht, je mehr der es anblasen will etc.; er auch endlich sein Werk, wider getanes Versprechen, CXV, Jacobi in Handschrift nicht sehen lassen kann, S. 77, sondern gradezu drucken läßt; und also zu verstehen gibt, daß er für sich allein agieren wolle und J. nicht weiter brauche; so war die Empfindung bei Hr. J. sehr natürlich, daß er Hr. M. auch nicht weiter brauche.

Und er fing auch an, für sich allein zu agieren, freilich ohne [355] alle Bedenklichkeiten und Rücksichten, aber auch ohne alle Hypothesen und stracks vor sich hin.

Und dieser Schritt, oder die Bekanntmachung derBriefe über den Spinoza, hat, wie der Hr. Professor Engel in dem Vorbericht sagt, den nächsten Anlaß zu Hrn. M. Tode gegeben; und das tut mir sehr leid, und wird gewiß mehrern leid tun. Indes Hr. M. hatte diese Bekanntwerdung des Gesprächs in seiner Gewalt, wenn er Vertrauen mit Vertrauen erwidert hätte. Auch wollte er selbst das Gespräch nicht unterdrückt haben, »indem es nötig und nützlich sei, die Liebhaber der Spekulation treulich und durch eklatante Beispiele zu warnen etc.« S. XLIX. Und, S. L, schreibt Hr. M. denn weiter mit eigner Hand:

»Es mögen alsdenn die Unphilosophen sich darüber freuen oder betrüben. Wir bleiben unbekümmert.«

Und nun ist jemand, sei es auf welche Art es wolle, darüber so wenig unbekümmert geblieben, daß es seinen Tod veranlasset hat. – Und doch soll er, nach dem Vorbericht, ein »wahrer praktischer Weise« gewesen sein! – Ich will den Jemand als Menschen, und Hrn. P. Engel als Freund, gerne entschuldigen; aber die »Weisheit« will mir nicht zu Sinne, und ich kann sie so wohlfeil nicht lassen. Mir kommt es vor, als ob hier alles tout comme chez nous wäre. Und die Weisheit ist nicht chez nous, und ist eine große Kluft zwischen ihr und uns befestiget.

Doch Hr. M. wäre vielleicht ohne die Briefe gestorben; ich hoffe das für alle Interessenten, und fahre getrost fort.


Was nun die Hauptsache oder die Förderung der Wahrheit, und sonderlich die Frage, dazu dieser Streit gut sein sollte, anlangt; da ist bis dato alles, wie gewöhnlich, in Statu quo geblieben. Man hat zwar Gerüchte und Nachrichten gehabt: von einem großen Siege den die Vernunft bei dieser Gelegenheit über die Schwärmerei erfochten haben sollte; sie waren aber nicht von sicherer Hand. Es ist in der Tat ein sonderlich Ding um das Siegsgeschrei der Parteien, und die Menschen verraten sich selbst. Wenn sie, wie sie alle sagen, würklich für die Wahrheit föchten; so müßten sie gleich laut schreien, der Sieg möchte fallen an welche Seite er wollte, und eigentlich sollten allemal beide Parteien das Te Deum gemeinschaftlich singen. Überhaupt ist der Mutwillen und die unholde Begegnung, die sich die Schriftsteller in diesen Jahren öffentlich gegeneinander erlauben, keine große [356] Erfindung, und macht ihnen nicht gar viele Ehre. Wenigstens sollten Gelehrte sich doch als Leute von guten Sitten betragen; die schiefen und krummen Urteile sind nicht immer in ihrer Macht, weil sie auch urteilen, was sie nicht verstehen. Man sollte freilich fast sagen, es wäre auch besser, wenn sie mit solchen Urteilen zu Hause blieben; aber sie haben nicht immer Zeit sich vorher au fait zu setzen, und finden doch so immer noch ihre Leser und Freunde. Auch können sie nur ihresgleichen schaden, der Sache selbst nicht. Denn die Fische im Wasser bleiben unbekümmert, ob sie von den Alten in Cetaceos, Cartilagineos und Spinosos abgeteilt werden; oder von Linnaeus in Apodes, Abdominales, Jugulares und Thoracicos; zu welcher letzten Ordnung bei ihm der Knorrhahn (Cottus) mitgehört.

Wie gesagt, die Sachen sind bis dato in Statu quo geblieben; man möchte denn sagen, daß M. »über die Spekulation« bekehrt worden sei, und er also in seiner Hypothese: von Hrn. J. Absicht, geweissaget habe. Er geht zwar die Betrachtungen S. CLXII: über unmittelbare Gewißheit, über den Weg der Demonstration und seinen Ausgang in Fatalismus etc., die doch einer nähern Prüfung wohl wert waren, und sich in der Tat auch so nicht abspeisen lassen; Hr. M. geht zwar in seinem Anhang, S. 84–87, diese Betrachtungen kurz und schnöde vorbei; es finden sich aber in ebendem Anhang und in den Morgenstunden Stellen, die keinen Zweifel übriglassen.

Die Leser sollen selbst urteilen.

Hr. Jacobi sagt, S. CLXII:

»Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt sein, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Überzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der zweiten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Ähnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiß sind. Die Überzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen sein usw.«

Und Hr. Mendelssohn sagt, S. 30 und 33:

»Zwar bin ich ein großer Verehrer der Demonstrationen in der Metaphysik, und fest überzeugt, daß die Hauptwahrheiten [357] der natürlichen Religion so apodiktisch erweislich sind, als irgendein Satz in der Größenlehre. Gleichwohl aber hängt selbst meine Überzeugung von Religionswahrheiten nicht so schlechterdings von metaphysischen Argumentationen ab, daß sie mit denselben stehen und fallen müßte. Man kann mir wider meine Argumente Zweifel erregen, mir in denselben Schlußfehler zeigen, und meine Überzeugung bleibt dennoch unerschütterlich. – Meiner Spekulation weise ich bloß das Geschäfte an, die Ansprüche des gesunden Menschenverstandes zu berichtigen, und so viel möglich, in Vernunfterkenntnis zu verwandeln. Solange sie beide, gesunde Vernunft und Spekulation, noch in gutem Vernehmen sind, so folge ich ihnen, wohin sie mich leiten. Sobald sie sich entzweien: so suche ich mich zu orientieren, und sie beide, wo möglich, auf den Punkt zurückzuführen, von welchem wir ausgegangen sind, usw.«

Worte tun nichts zur Sache, sagt man; und um wieviel ist denn, in der Sache, das, was Hr. M. sagt, von dem verschieden, was Hr. J. sagt? – Hr. M. gibt ja offenbar eine Erkenntnis und Überzeugung zu, die nicht von Vernunftgründen abhängt, und die sicherer ist als jene! Er braucht ja die Spekulation bloß: eine Erkenntnis, die er schon hat, zu modifizieren. Und welcher vernünftige Mensch hat diesen und dergleichen Gebrauch der Spekulation je bestritten; und wen gehen die schwachen Brüder an, deren es in allen Fächern gibet? – – Herr Mendelssohn nimmt ja offenbar eine Kraft im Menschen an, die sich orientiert und die in Zwist geratene Spekulation oder Demonstration oder Argumentation, denn das ist hier alles eins, zurückführt; und also über die Argumentation ist! Wenn also die Kraft über die Argumentation ist, und die Argumentation führen muß; so kann ja die Argumentation sie nicht führen. Das ist doch klar! Es muß also, gar keiner, oder ein anderer Weg als die Argumentation sein, diese Kraft in Tätigkeit und Besserung zu bringen!

Und wenn ein jeder Weg, der nicht Argumentation ist, Schwärmerei heißen soll; so hätte die Schwärmerei nicht allein gesiegt, sondern Hr. M. hätte selbst das Gewehr gestreckt, und wäre zum Feind übergegangen! –

Doch wer wollte so etwas behaupten? – Das ließe ja, als wenn man glaubte, daß die Wahrheit durch Hr. M. gewinnen oder verlieren könnte. Und das glaube ich nicht. Nicht durch ihn, noch durch Leute die tiefsinniger sind, als er war. Ich [358] denke, die Wahrheit muß durch alle Menschen nicht gewinnen können, aber ein jeder Mensch durch die Wahrheit. Und wer anders glaubt, der muß mit wenig zufrieden sein.

Nicht doch, Hr. M. ist nicht übergegangen. Er hatte bloß die Ahndung der Wahrheit; wie Hr. J., und du, und ich, und alle Menschen haben, sie mögen es gestehen wollen oder nicht, und mögen sein wer sie wollen, Philosophen und Nichtphilosophen, Vernunftpriester und Gottesleugner, Schwärmer und Demonstranten, Bürger und Bauern.

Diese Ahndung ist freilich das Zeichen unsrer Größe; aber mit ihr sind wir noch nicht groß; doch in der Potenz es zu werden, und zwar alle, weil wir gleicher Natur und in gleichem Fall sind, auf einem Wege.

Und da dünkt mich, sollten wir nicht, ein jeder das Seine noch Ärgernis und Parteien suchen; sondern alle, als Freunde, einfältiglich den einen Weg hingehen, und nicht eher weise sein bis wir es wären.

Und dies bringt mich zu dem Glaubensbekenntnis, das Hr. M. S. 85 ablegt. »Ich kehre«, sagt er, »zum Glauben meiner Väter zurück, welcher, nach der ersten ursprünglichen Bedeutung des Worts, nicht in Glauben an Lehre und Meinung, sondern in Vertrauen und Zuversicht auf die Eigenschaften Gottes bestehet. Ich setze das volle uneingeschränkte Vertrauen in die Allmacht Gottes, daß sie dem Menschen die Kräfte habe verleihen können, die Wahrheiten, auf welche sich seine Glückseligkeit gründet, zu erkennen, und hege die kindliche Zuversicht zu seiner Allbarmherzigkeit, daß sie mir diese Kräfte habe verleihen wollen. Von diesem unwankenden Glauben gestärkt, suche ich Belehrung und Überzeugung, wo ich sie finde.«

Dies Bekenntnis des Hrn. M., das übrigens sowenig jüdisch als christlich ist, möchte gelten, solange die Allmacht und Allbarmherzigkeit Gottes allein und ungehindert würken. Aber die Traditionen seiner weisen nichtspekulativen Väter lehren ja, daß dies der Fall mit dem Menschen nicht lange gewesen sei. Und Hr. M. selbst sagt, daß er sich orientieren muß.

Die Sonne und die Sterne wissen ihren Weg, und gehen ihn Jahrtausende, ohne je zu irren, und des Orientierens zu bedürfen; und es ist, nach der Analogie, und nach der Herrlichkeit Gottes, zu glauben: daß auch die höhern Wesen in ihrer Art eben also geschaffen worden, solange nämlich Gott allein die Hand im Spiel hat, und nicht sie selbst. Wenn das denn aber der [359] Fall bei uns wäre; so müßte unser Glaubensbekenntnis wohl etwas anders lauten, wenn es wahr sein sollte.

Hr. M. setzt nach obigen seinem Glaubensbekenntnis hinzu: daß er Belehrung und Überzeugung glaube gefunden zu haben; schickt auch den Geist Lessings »in die Arme der Männer zurück, die, so wie er, den Weg der Demonstration gegangen sind«, und glaubt ihn da gar nicht übel aufgehoben. S. 87.

Wer Belehrung und Überzeugung hat, der kann von Belehrung und Überzeugung urteilen; die andern sollen schweigen. Das aber muß ich doch sagen, und ich sage es mit Wahrheit: daß ich, nach allen Äußerungen des Hrn. M., ihm seine Belehrung und seine Überzeugung nicht mißgönne. – – Auf keinen Fall. – – Auch nicht wenn sie auf dem einen Wege gefunden wäre. Denn da wird wohl Platz für uns beide sein; und auch für Lessing.

Und ich habe Lessing auch gekannt. Ich will nicht sagen, daß er mein Freund gewesen sei; aber ich war der seine. Und ob ich gleich sein Credo nicht annehmen kann; so halte ich doch seinen Kopf hoch. Hrn. Mendelssohns Bekanntschaft ist mir nicht beschieden gewesen. Aber ich habe ihn als einen hellen forschenden Mann mit vielen andern geachtet; und als Juden habe ich, wie man sagt, ein tendre für ihn, um seiner großen Väter, und um meiner Religion willen.

Der eine liegt zu Braunschweig im Grabe, und der andre zu Berlin – –


Molliter ossa cubent!


Wandsbeck 1786, im Hornung.

Asmus.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Fünfter Teil. Zwei Rezensionen etc.. Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings. Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5374-8