Maria

Ich war in deinen Kreis getreten, Weib,
Und meine Leidenschaft schrie auf zu dir –
Und alles bebte von mir hin zu dir –
Und meine Glut warf mich in deinen Staub –
Und meine Gier brach meines Stolzes Knie –
Und meine Brandung rang empört um dich –
Und alles schoß zusammen zu dem Schrei:
Nur einmal nimm das Opfer meiner Kraft –
Sieh, meine Arme stöhnen dir entgegen –
Entgürte deines Leibes Schönheitssegen
Dem Katarakte meiner Leidenschaft! – –
Gelegentlich traf ich dich mal allein – das heißt:
Auf deinen Armen, die mich trunken machten,
Sah ich des Fleisches feste, volle Wölbung,
Trugst du dein Kind – dein Kind, wie einen Schild,
Mit dem du meinem Frevel wehren wolltest –
Hm! Meinem Frevel, den du doch erlechzt –
Zusammenschauernd von dem Fremdling heischtest ...
[223]
Ich haßte es, dein Kind – ich haßte es ...
Und doch sah's mich mit seinen großen, blauen,
Neugierigen Augen furchtlos an ... und patschte
Mit seinen kleinen, dicken, plumpen Händchen
Zu mir herüber ... Und du zittertest ...
Und schwiegst ... halb überlidert stahl dein Blick
Zu deinem Kinde sich ... an mir vorüber ...
Mir aber war's, als kämen deine Augen
Weit ... weit aus der Vergessenheiten Land –
Aus des Gewesnen ungeheurer Zone –
An eine andre Mutter mußt' ich denken –
An eine andre Mutter mit dem Sohne ...
Und so – so schont' ich dich ... und spielte träumend
Mit deinem Kinde, das nun lächelte
Und mir sein süßes, helles Papa! lallte ...
Wie lieblich du errötetest! Indessen –
Ich hatte dich, geliebtes Weib, vergessen –
Vergessen, wie in schwülem Wahnsinn ich
Dich heiß begehrt ... und deines Leibes Seele
In meine Seele hatte trinken wollen ...
Dann bot ich dir zum Abschied still die Hand ...
Und schonte dich ein andres Mal – denn da
Ich deine weichen, schlanken Finger spürte,
Da – allein ich ging ... ich ging und freute mich,
Daß ich so Meister meiner Leidenschaft –
In einem dunklen Eckchen meiner Brust
Hatt' breit sich die Befriedigung aufgebläht –
[224]
Du zittertest – er hatte keine Lust
An deinem Leibe mehr – der Fremdling – geht ...
Und ganz gemächlich, langsam, Schritt für Schritt,
Bin ich die Straße dann hinabgeschlendert ...
Zu deinem Fenster blickt' ich nicht empor –
Ich wußte es: dort oben standest du ...
Und sahest mir nach ... und warest auch allein ...
Ich hörte, wie gepreßt du atmetest –
Ich sah, wie du die weiße, heiße Stirn
Verzweifelnd an die kalte Scheibe drücktest –
Ich fühlte deine Hand auf meinem Arm –
Ich fühlte deinen Blick in meinem Auge –
Ich zitterte ... und schritt doch ruhig weiter ...
Und dachte dabei noch an dies und das –
Bis ich in meine stille Stube trat,
Drin ihre seidenweichen, grauen Flocken
Voll von verschwenderischer Zärtlichkeit
Die Dämmerung balsamgütig ausgesät ...
Ich setze mich in meine Sofaecke ...
Und fürchtete mich vor dem Licht – gewiß!
Es würde meine heißen Augen schmerzen ...

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TextGrid Repository (2012). Conradi, Hermann. Gedichte. Gedichte aus der Spätzeit. Maria. Maria. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5753-0