[16] Uber die Unsterblichkeit der Seele

Regentinn meiner Leibeshütte!
Ich eile nun zur langen Ruh.
Dem Körper naht mit schnellem Schritte
Die Herrschaft der Verwesung zu.
Kaum stößt annoch des Hertzens Höhle
Das halb-verrauchte Lebensöle
Mit müden Schlägen langsam aus.
Die Muskeln sind entspannt und schwinden;
Der Sinnen schwächliches Empfinden
Verkündigt schon der Faülniß Graus.
[17]
Wolan! der Körper mag verstaüben.
Sein blöder Zeüg kan nicht bestehn.
Doch du, O Seele! wirst du bleiben?
Wie? oder must du mit vergehn?
Ist denn dein Stoff auch ein Gedränge,
Von Teilen ungezählter Mänge,
Als wie ein Körper, zugericht?
Ein Bau von so viel Tausend Stücken,
Auf welche Zeit und Zufall drücken,
Bis ihre Fügung wieder bricht?
Doch nein! du öffnest deine Schätze,
Und legst uns überzeügend dar,
Daß keines Körpers Grundgesätze
Und keine Mischung dich gebahr.
Was ist ein Leib, des Geistes Hülle?
Sein Klumpe liget todt und stille,
So bald ihm ein Beweger fehlt.
Nicht so der Geist, der lebt und denket,
Mit schneller Macht die Sinnen lenket,
Erwigt, beschleüßt, verwirft und wählt.
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So lerne denn, daß Tod und Sterben
Allein in grobe Körper dringt,
Und der Verstörung Grundverderben
Ein geistlich Wesen nie bezwingt.
Der Mischung Bau wird leicht zerstücket.
Dich aber hat ein Seyn beglücket,
Das weder Stück noch Teile kennt.
Vergeblich sucht der Raub der Zeiten
Dein einfach Wesen zu bestreiten.
Nichts, als Gefügtes, wird getrennt.
Ists gläublich, daß dich Gott zernichte?
Er schuff dich vil zu groß und schön.
Schau, welch ein Glantz! schau, welche Früchte
Aus edler Seelen Trieb entstehn!
Mich deücht, in jeder Seele funkelt,
Wenn sie kein grober Dunst verdunkelt,
Ein Schimmer von der Gottheit Licht.
So zeügt er auch von ihrem Währen.
Wer kan ein solches Seyn zerstören?
Was göttlich ist, verdirbet nicht.
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Schau, wie bey Sturm und Kriegsgefahren
Ein Mann oft einen Hauffen schreckt,
Und vor dem Raub der wilden Scharen
Den unbewehrten Säügling deckt:
Wie dort ein Held, von Gott beseelet,
Die Wollust fleücht, die Sorgen wählet,
Für andrer Glücke sich verbannt!
Er wacht, damit wir sicher schlafen;
Erhält sein Volck durch Witz und Waffen;
Und stirbt mit Lust für Kirch und Land.
Und ihr, der Weysheit ersten Söhne,
Geweihte Dichter! heilger Chor!
O welche Kraft, o welche Töhne
Durchdringen plötzlich Hertz und Ohr.
Es wirket eüer mächtger Wille
Der tiefsten Sinnen Sturm und Stille.
Er stellt den Regungen Gebot.
Ich hör, ich höre Davids Lieder.
Der Himmel steigt zu uns hernider,
Und unser Geist hinauf zu Gott.
[20]
Wer zählt das Heer der lichten Sterne?
Wer mißt der Sonne schnellen Lauff?
Wer dringt in ungemeßne Ferne,
Und deckt des Himmels Ordnung auf?
Ists nicht des Geistes Wunderstärcke?
Hier setzt er schrecknißvolle Wercke,
Gebäude, die den Wolken drohn.
Bald stürtzt er wieder Türm und Mauern,
Die Last, die ewig schien zu dauern.
Sein donnernd Erzt zermalmt sie schon.
Doch hör ich nicht ein Lied erklingen,
Das unsern Geist zu prächtig schmückt,
Und eines Wesens Kraft besingen,
Aus dem so mancher Mangel blickt?
Wo bleiben seiner Stärke Proben,
Wenn der Begihrden wildes Toben
Dem schwachen Herrscher selbst gebeüt?
Ist dieses der gepriesne Schimmer,
Den Wahn und Zweifel je und immer
Mit dickem Nebel überstreüt?
[21]
Wolan! es mängt in unsre Schätze
Sich auch der Schwachheit Zusatz ein.
Doch dies bestärket selbst die Sätze
Von unsrer Seelen stetem Seyn.
Wo bliebe sonst des Schöpfers Liebe,
Die, daß sie unsern Geist nur übe,
Ihn so zu stetem Forschen treibt,
Wofern wir, ehe wir erbleichen,
Den Zweck aus Schwachheit nicht erreichen,
Und nach dem Tode nichts mehr bleibt?
Es bringt doch unsrer Gaben Mänge
Uns oft im Leben nur Verdruß.
Wie mancher kürzt nicht seine Länge
Durch vieles Wissens Uberfluß?
Gebricht mirs hier an Ruh und Glücke,
Obgleich kein Fernglas meine Blicke
Des Mondes Flecken je gelehrt:
Ob Huygens Fleiß in jenen Fernen
Mit keinen neüen Folgesternen
Die Herrschaft der Planeten mehrt?
[22]
So merket denn, daß dieses Leben
Auf eine lange Zukunft zielt.
Hier ist uns nur ein Raum gegeben,
Drauf unsers Geistes Kindheit spielt.
Dann öffnet sich nach kurzen Zeiten
Der Schauplatz grosser Ewigkeiten;
Da geht sein Lauff unendlich fort,
So hat die Allmacht es beschlossen.
Hier treibt der Geist die ersten Sprossen.
Was hier gekeimt, das reiffet dort.
Drum zeigt er jetzt schon ein Gefühle
Von Trieben, die nichts Endlichs stillt.
Er setzt sich immer neüe Ziele;
Und sucht umsonst, was ihn erfüllt.
Er wünscht, geneüßt, und wünscht aufs neüe,
Durchirrt der Güter lange Reihe,
Und kan bey keinem stille ruhn.
Gab Gott, der nichts vergeblich füget,
Uns einen Trieb, den nichts vergnüget?
Die Ewigkeit denn muß es tuhn.
[23]
O was entdeckt sich meinem Blicke;
Was wird mir für ein Schauspiel kund?
Welch unerforschliches Geschicke
Beherrscht der Erden weites Rund?
Hier seh ich unter Ach und Flehen
Den heiligen in Qual vergehen,
Den Dampf und Flamme langsam schmaucht;
Wenn, satt von Jahren, Lust und Fülle,
Sein Würger dort in sanfter Stille
Den lastervollen Geist verhaucht.
Wie? teilt uns denn mit blinder Wage
Ein Schicksal zu, was uns befällt?
Regirt ein Zufall unsre Tage,
Und mischt verwirrt den Lauff der Welt?
Doch nein! des Zweifels Nebel brechen.
Kein ungerechtes Urteil-sprechen
Entehrt der Allmacht Richterstrohn.
Du sterblichs Volck! die Wahrheit lehret.
Dein Wesen wird nicht ganz zerstöret;
Es bleibt noch was zu Straf und Lohn.
[24]
Es ist, es ist noch ein Gerichte;
Die Zukunft führet Lohn und Schwert;
Und reicht mit billigem Gewichte
Den Tahten den verdienten Wert.
Mein Vorwitz soll sich nicht vergehen,
Den tiefen Abgrund einzusehen,
Der hier der Allmacht Raht verhüllt.
Doch diesen Satz kan nichts zertreiben:
Gott ist gerecht. Die Seelen bleiben.
Was hier gebricht, wird dort erfüllt.
Der Wahrheit Macht ist durchgedrungen;
Es hört Ost, Süden, West und Nord
Durch ungezählter Völker Zungen
Ihr kräftig-überzeügend Wort.
Gesetzt, ein Hauff sey noch bedöhret!
Was uns ein Plato göttlich lehret,
Braucht keines Hurons Beyfall nicht.
Soll dies der Lehre Kraft vermindern,
Wenn dort, vermängt mit seinen Rindern,
Ein viehisch Volk ihr widerspricht?
[25]
Getrost! Es macht sich ihre Stärke
Durch gröster Geister Zeügniß kund,
Der Helden göttlich-schöne Werke
Entspringen nur aus ihrem Grund.
Sie hören ein geheimes Sprechen:
Ihr Seelen! eüre Körper brechen,
Doch eüch zernichtet keine Zeit.
O folget einem edlen Ziele!
Verübter Tugend Lustgefühle
Begleitet eüch in Ewigkeit.
O Geist, der Geister erste Quelle!
O Wesen unumschränkter Macht!
Schick einen Strahl von deiner Helle
In finstrer Geister trübe Nacht!
Erleücht ein Volk, von dir gebauet,
Dem noch vor seiner Grösse grauet,
Das der Zernichtung Scheüsal ehrt;
Und gib, daß, frey von seiner Bürde,
Mein froher Geist in neüer Würde
Zu deiner Gottheit wiederkehrt!

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TextGrid Repository (2012). Drollinger, Carl Friedrich. Gedichte. Gedichte. Geistliche und moralische Gedichte. Uber die Unsterblichkeit der Seele. Uber die Unsterblichkeit der Seele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-837D-C