Der Knabe

Es war ein zartes Vögelein,
Das saß in Lieb gefangen,
Ein Knabe hegt' und pflegt' sich's fein
Wohl hinter goldnen Stangen.
Und draußen hört's auf grünem Plan
Verschiedner Vögel Weisen,
Sah Tag und Nacht den Knaben an,
Mocht nicht mit ihnen reisen.
Und als der Frühling weit und breit
Von neuem schien und schwärmte,
Da tat dem Knaben 's Vöglein leid,
Daß es kein Strahl erwärmte.
Da nahm er aus dem stillen Haus
Das Vöglein fromm und treue,
Und schweift' mit ihm durchs Feld hinaus
Ins himmelblaue Freie.
Er setzt' es vor sich auf die Hand,
Da wend't und putzt sich's feine,
In bunten Farben spielt' und brannt
Sein Kleid im Sonnenscheine.
Doch aus dem Wald ein Singen rief,
Bunt' Vöglein ziehn und reisen,
Das lockt so hell, das lockt so tief
In wundersüßen Weisen.
Das Vöglein frisch die Flügel rührt –
Es ruft: »Kommst du nicht balde?« –
Das hat das Vögelein verführt,
Fort flog's zum grünen Walde –
Nun muß der Knabe einsam gehn,
Klagt über Tal und Hügel:
»Süß' Lieb, süß' Lieb, wie bist du schön:
Ach, hättst du keine Flügel!« –
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TextGrid Repository (2012). Eichendorff, Joseph von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1841). 7. Romanzen. Der Knabe. Der Knabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9834-B