[98] WIDMUNGEN
AN S.G.

I

Es schimmerten gleich zwei sternen in frühlingsbläue
Im weltraum unsre beiden leben · Gefährte –
Gleich zwei planeten die über wolken träumen ·
Zwei leben traurige und unerklärte.
Geheimnisse gibt es unter der ewigkeit siegeln:
Dass sterne nach ihrem tode die erde betreten ·
Bevor ihr licht gelangt zu der erde tiefe
Erstarrte oft der eisige tod die planeten.
So ist unser lied voll tönender künstlerhöhe
Verurteilt zu der menschlichen augen truge.
In grabesnähe muss es erst erstöhnen
Eh es die erde berühre mit seinem fluge ·
Da zu hoch oben seine klänge fluten ·
Da menschliche blicke zu schwach sind es zu lesen ·
Da es genährt an der jahrtausende busen
Zu ernst ist für das kindliche erdenwesen.
[99]
Einst wenn die trauer unseres sinnens entschlafen
Erblicken die völker zweier sterne schein –
Dies sind dann unsrer entfernten tage strahlen
Die brennen werden über Weichsel und Rhein.

II

Wenn unsrer verwandten sänge lezte silben
An lauten beifalls felsen brechen würden
So müssten bitter wir die häupter schütteln
Und rückwärts gehen wie enttäuschte besucher.
Und müssten unsre haare mit asche bestreun
Und sieben jahre schweigende busse tun
Und erst im achten den bann der lippen brechen
Zu hören ob edlere seele aus ihnen zittre.

[100] III

Wir aber suchen nicht nach dem glück der erde ·
Wir die vor allen das glück der erde besitzen ·
Besitzend aber es schenken und meiden
Um dann zu leiden.
Wir wissen zu lachen und wir wissen zu schluchzen ·
In wollust die wollust – im grame den gram zu lieben ·
Das grosse und kleine mit weisem maasse zu messen
Und zu vergessen.
Verschieden sind der verschiedenen menschen sitten:
Ein jeder gibt seinem glück einen anderen namen –
Wie unsres glückes klingende silben sich fügen:
Selbst uns genügen.

[101] IV

Da unsere augen sich traurig machen mussten
Und unser herz wie ein regentag nebelig weinen ·
Der mund sich gewöhnte bedenkliche lieder zu singen
Und laut die unaufhaltsame trauer zu rühmen:
So ist kein ort wo sich unser fürstliches sinnen
Ergehen könnte als die entferntesten pfade
Wo unschuldig weisse lilien erblühn und die quellen
Mit ihrem schluchzen den schrei unsrer seele begleiten
Nicht ist es sünde zu weinen wenn rhythmischer finger
Die traurigen reime an klingende fäden kann reihen.
Nicht ist es sünde zu schluchzen wenn herz aus oboen
Ein unvergesslich bedauern zu tönen vermag.
So wie Narziss in den eigenen schmerz uns verliebend
Scheuchen wir nicht unsres lebens blasse gedanken
Und weinen! o weinen gleich den pelikanen –
An rosigen küsten der einsamen inselreiche.

[102] V

Wenn manchmal langsam hinter uns sich schleppen
Mit irrem aug der sorgen menschen-schatten ·
Geschieht es nur wenn – ohne dass wirs wollen –
In uns sich der gedanken reihn verschieben.
Wenn es uns dann erscheint als wär es nötig
Des brodes willen einen tag zu leben
In einfalt einen schönen kurzen tag ·
Lasst breit das fenster offenstehn auf trauer!
Hörst du nicht fern geheimnisvolle laute
Die zu uns von den frohen dörfern schwimmen?
O unbemerkter glanz auf hohen stirnen ·
Besitzer dieser erde · Herrn der gnaden!
Von allen tagen die Gott günstig gibt
Ist nur ein schöner tag: der tag der dichter.

[103] VI

Ich möchte wissen ob auf dieser erde
Es fürsten gibt so fürstensinniger kraft
Dass Deine durch sie überfinstert werde –
Du der sich ohne salböl hub zum throne –
Doch hältst Du auch kein zepter auf der erde
Wird über ihr und ihnen Dir die krone.

VII

Nicht lang mehr wird es sein und der befreite geist
Wird ruhig aus des körpers überwurf entschlüpfen ·
Fortfliegen in den sterblichen verhüllte länder –
Nicht lang mehr wird es sein und alles endet dann.
Die seele tritt vom sinnlichen gesanges-mahle ·
Sie zieht hinweg und lobt der gottesgaben güte ·
Die menschen werden gleich den dienern der tyrannen
Sich auf die nachgebliebnen reste gierig stürzen.
Und jene seele die satt hinging wird im spiegel
Der sage wiederum in nebelform erscheinen ·
Gleich einer lilie der gewässer wenn sie senkrecht
In einer mainacht auf entschlafnem teiche hinfähr.

[104] VIII

Wenn du nun scheidest · nicht alltäglicher gast!
Am Rheine wieder des Wortes banner zu schwenken
So nimm auf den schmerzlichen gang meine vorderste trauer
Und meiner redenden augen zartes gedenken.
Erinnern werd ich mich all jener guten tage
Auf deren schwingen der träume zweisang geflogen ·
An jene gespräche · lebendge gedanken spinnend ·
Die angenehm uns den weltlichen dingen entzogen.
Noch schwimmen über die stirn mir wolken des traumes ·
Ich scheide und denke nicht was mit dem morgen droht ·
Wie nach korinthischem mahl auf lateinischer tafel
Wo man zum nachtisch reichliche küsse bot.

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Widmungen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C500-1