HYMNEN

[7][9]

Widmung

AN

CARL AUGUST KLEIN

DEN TRAUTEN UND TREUEN SEIT DER JUGEND


BERLIN

MDCCCXC

[9] AUFSCHRIFT

Kurz eh es frühling ward begann dies Lied
Bei weissen Mauern und im Uferried
All unsres volkes neuen Söhnen hold
Spielt durch ein Jahr der Traum in blau und gold.

[10] [12]WEIHE

Hinaus zum strom! wo stolz die hohen rohre
Im linden winde ihre fahnen schwingen
Und wehren junger wellen schmeichelchore
Zum ufermoose kosend vorzudringen.
Im rasen rastend sollst du dich betäuben
An starkem urduft · ohne denkerstörung ·
So dass die fremden hauche all zerstäuben.
Das auge schauend harre der erhörung.
[12]
Siehst du im takt des strauches laub schon zittern
Und auf der glatten fluten dunkelglanz
Die dünne nebelmauer sich zersplittern?
Hörst du das elfenlied zum elfentanz?
Schon scheinen durch der zweige zackenrahmen
Mit sternenstädten selige gefilde ·
Der zeiten flug verliert die alten namen
Und raum und dasein bleiben nur im bilde.
Nun bist du reif · nun schwebt die herrin nieder ·
Mondfarbne gazeschleier sie umschlingen ·
Halboffen ihre traumesschweren lider
Zu dir geneigt die segnung zu vollbringen:
Indem ihr mund auf deinem antlitz bebte
Und sie dich rein und so geheiligt sah
Dass sie im kuss nicht auszuweichen strebte
Dem finger stützend deiner lippe nah.

[13] IM PARK

Rubinen perlen schmücken die fontänen ·
Zu boden streut sie fürstlich jeder strahl ·
In eines teppichs seidengrünen strähnen
[14]
Verbirgt sich ihre unbegrenzte zahl.
Der dichter dem die vögel angstlos nahen
Träumt einsam in dem weiten schattensaal ..
Die jenen wonnetag erwachen sahen
Empfinden heiss von weichem klang berauscht ·
Es schmachtet leib und leib sich zu umfahen.
Der dichter auch der töne lockung lauscht.
Doch heut darf ihre weise nicht ihn rühren
Weil er mit seinen geistern rede tauscht:
Er hat den griffel der sich sträubt zu führen.

[15] EINLADUNG

Lassen wir mauern und staub!
– Sprach ladend deine güte –
Fern wo leichter und freier
Sinn und odem sich glaubt
Begehen wir die blüten-
Die auferstehungsfeier.
[16]
– Dankvoll rauhem getobe
Quälendem irren entflohn!
Wenn auch neu nur von oben
Einziger liebe lohe
Endliche rettung mir däuchte
Und dauernde leuchte.
Es war dein kindlich behagen
Gebunden an deiner seite
In frohsinn mich zu ertragen –
Ist nicht entzückend die weite
Nicht labend der morgenglanz
Auf weisser villen kranz?
Schau! bis hinan zum gipfel
Wo auf rissigem steine
Kleine kiefern wipfeln
Steigt der obstbäume bau ·
Drunten wellen scheinen
An blumenreicher au.
[17]
Erklimmen im lauf wir den hügel!
Folge doch – höhnische rufe
Bis ich am ziele mich zeige –
Nun wieder abwärts ans ufer
Schnell! florprangende zweige
Leihen uns weisse flügel.
Rasten wir! nur eine weile!
Feucht ist das gras noch · in eile
Weiter arm in arm!
– Du hobst mir nagende plagen
Ob tiefer gefühle auch arm
In sieghaften mussetagen.

[18] [20]NACHMITTAG

Sengende strahlen senken sich nieder
Nieder vom wolkenfreien firmamente ·
Sengende strahlen von blitzender kraft.
[20]
Die südenklare luft in mittagstille.
Längs den palästen starb der menge wimmeln
Auf der fliesen feuer-bergender fläche.
Mit stummen zinnen und toten balkonen
Die langen mauerwälle starr dastehn
Heisshauchend wie wirkende opferöfen.
In den höfen umragt von säulengängen
Der versiegten brunnen kunst versagt ·
Auf beeten wo der büsche blätter sich krümmen
Halbverdorrter blumen odem lagert.
Sengende strahlen senken sich nieder
Nieder vom wolkenfreien firmamente.
Und dem Einsamen der mit entzücken sie fühlt
Der des gemaches duftender kühle entfloh
Gegenglut für zerstörende gluten suchend
Stetig sie auf scheitel und nacken scheinen
Bis er rettender schwäche erliegen darf
Hingleitend bei eines pfeilers fuss.
Sengende strahlen senken sich nieder.

[21] VON EINER BEGEGNUNG

Nun rufen lange schatten mildre gluten
Und wallen nach den lippen kühler welle
Die glieder die im mittag müde ruhten –
Da kreuzest unter säulen Du die schwelle.
Die blicke mein so mich dem pfad entrafften
Auf weisser wange weisser schläfe sammt
Wie karg und scheu nur wagten sie zu haften –
Der antwort bar zur kehrung ja verdammt!
[22]
An süssem leib im gang den schlanken bogen
Sie zur umarmung zaubertoll erschauten ·
Dann sind sie feucht vor sehnen fortgezogen
Eh sie in deine sich zu tauchen trauten.
O dass die laune dich zurück mir brächte!
Dass neue nicht die fernen formen stören!
Wie ward es mir gebot für lange nächte
Treu zug um zug dein bildnis zu beschwören!
Umsonst · ein steter regen bittrer lauge
Benezt und bleicht was mühevoll ich male.
Es geht .. wie war dein haar und wie dein auge?
Es geht und stirbt in bebendem finale.

[23] [25]NEULÄNDISCHE LIEBESMAHLE

[25]

I

Die kohle glüht · mit dem erkornen rauche
Beträufle sie! der guss verfliegt und zischt.
Dass er uns in die dichten wolken tauche
Wo frommer wunsch mit süsser gier sich mischt!
Lass auf dem lüster viele kerzen flammen
Mit schwerem qualme wie in heilgem dom ·
Die hände legen schweigsam wir zusammen
Zu träumen einen melodienstrom!
Kein zarter anhauch! nein in jenen chören
Wird jungfräulicher flaum den einklang stören
Wie künsten – aber falsch – ergeben haar.
Wirf neue körner auf die opferschale!
Dass blonder wirbel unsern sinnen male
Die Wissensvolle müd und wunderbar.

[26] II

Den blauen atlas in dem lagerzelt
Bedecken goldne mond- und sternenzüge ·
Auf einen sockel sind am saum gestellt
Die malachit- und alabasterkrüge.
Drei ketten eine kupferampel halten
Die unsrer stirnen falben schein verhehlt ·
Uns hüllen eines weiten burnus falten
Und – dass uns nicht ein myrtenbüschel fehlt!
Bald hören wir des tranks orakellaut
Auf teppichen aus weichem haar gesponnen.
Der knabe wohl mit jedem wink vertraut
Verbeugt sich würdig vor dem hospodar ..
Mir dämmert wie in einem zauberbronnen
Die frühe zeit wo ich noch könig war.

[27] VERWANDLUNGEN

Abendlich auf schattenbegleiteten wegen
Über brücken den türmen und mauern entgegen
Wenn leise klänge sich regen:
Auf einem goldenen wagen
Wo perlgraue flügel dich tragen
Und lindenbüsche dich fächeln
Herniedertauche
Mit mildem lächeln
Und linderndem hauche!
[28]
Unter den masten auf rüstig furchendem kiele
Über der wasser und strahlen schimmerndem spiele
In glücklicher ferne vom ziele:
Auf einem silbernen wagen
Wo lichtgrüne spiegel dich tragen
Und schaumgewinde dich fächeln
Herniedertauche
Mit frohem lächeln
Und kosendem hauche!
Lang ist nach jauchzendem tode die sonne verschollen ·
Mit den planken die brausenden wogen grollen
Und dumpfe gewitter rollen:
Auf einem stählernen wagen
Wo lavaschollen dich tragen
Und grell lohe wolken dich fächeln
Herniedertauche
Mit wildem lächeln
Und sengendem hauche!

[29] EIN HINGANG

Die grauen buchen sich die hände reichen
Den strand entlang · vom wellendrang beleckt
Dem gelben saatfeld grüne wiesen weichen ·
Das landhaus unter gärten sich verdeckt.
[30]
Den jungen dulder vor der windenlaube
Woltätig milde strahlenhand bestreift ·
An neues lied noch dämmert ihm ein glaube ·
Sein blick ins blaue grenzenlose schweift
Wo schiffe gleiten mit erhobnen schilden ·
Wo andre schlafen wehrlos · froh der bucht ·
Und weit wo wolken lichte berge bilden
Er seiner wünsche wunderlande sucht ..
Der lieben auge starr in tränen schaut:
Schon nahm er scheu das göttliche geschenk
Von leiser trennungswehmut nur betaut ·
Der klage bar · des ruhmes ungedenk.

[31] NACHTHYMNE

Dein auge blau · ein türkis · leuchtet lange
Zu reich dem Einen · ich verharre bange.
Den kiesel tröstet deines kleides saum.
Kaum tröstet mich ein traum.
[32]
Die alten götter waren nicht so strenge.
Wenn aus der schönen mutberauschten menge
Ein jüngling angeglüht von frommem feuer
Zu ihrem lobe liess des lichtes pfade:
So war das reine opfer ihnen teuer
So lächelten und winkten sie mit gnade.
Bin ich so ferne schon von opferjahren?
Entweiht mich süsses lüsten nach dem tode
Und sang ich nicht zu dröhnenden fanfaren
Der freudenliebe sonnen-ode?
Geruhe du nur dass ein kurzer schimmer
Aus deiner wimper brechend mich versehre:
Des glückes hoffnung misst ich gern für immer ·
Nach deinem preise schlöss ich meinen psalter
Und spottete dem schatten einer ehre
Und stürbe wertlos wie ein abendfalter.

[33] STRAND

O lenken wir hinweg von wellenauen!
Die · wenn auch wild im wollen und mit düsterm rollen
Nur dulden scheuer möwen schwingenschlag
Und stet des keuschen himmels farben schauen.
Wir heuchelten zu lang schon vor dem tag.
[34]
Zu weihern grün mit moor und blumenspuren
Wo gras und laub und ranken wirr und üppig schwanken
Und ewger abend einen altar weiht!
Die schwäne die da aus der buchtung fuhren ·
Geheimnisreich · sind unser brautgeleit.
Die lust entführt uns aus dem fahlen norden:
Wo deine lippen glühen fremde kelche blühen –
Und fliesst dein leib dahin wie blütenschnee
Dann rauschen alle stauden in akkorden
Und werden lorbeer tee und aloe.

[35] HOCHSOMMER

Ton verklang auf den altanen ·
Aus den gärten klänge tönen ·
Unter prangenden platanen
Wiegen sich die stolzen Schönen ·
Keck in eleganten zieren
Sie am arm den kavalieren
Milder lauschen und mit süssen
Winken grüssen.
[36]
Ja die reifen die sich rühmen
Feiner kinder flink im spiel
Huldigen dem leichten stil ·
Auf den lippen eitle fragen ·
Von verlockenden parfümen
Hingetragen.
Pauken schweigen · sachte geigen.
Ferner tritt · es nahen reiter ·
Leises traben · langsam weiter ..
Zwanglos darf ein flüchtig raunen
Sie bestaunen.
Fröhliche galante leere
Feindlich trübem tatenmeere ·
Weise schlaffheit nur im bade
Wahre gnade.
Auf dem wasser ruderklirren ·
Gondel die vorüberfuhr ·
Sanfte takte sanftem kirren
Sich vereinen einer kleinen
Pompadur.

[37] RÜCKBLICK

Noch einmal ahn ich hinterm vorhang – nachtgewirkte nebelfahne –
Und den platanenästen – seltsam ins geweb geprägte plane –
[38]
Das ziel vor kurzer zeit treu meinem zepter · nun schon zauber-au ·
Die Tyrus teich und gartenreich getaucht in teer und blumentau.
Wo an der küste buchenkronen dorf und kecke villa trennen
Und surrend leichter rehe rudel durch die waldeslichtung rennen.
O schiffe · stolzer schwäne schaugepräng das farben mir bescherte ·
O meer das mütterlich an meine lieder mir den glauben mehrte.

[39] AUF DER TERRASSE

Die hügel vor die breite brüstung schütten
Den glatten guss von himmelgrünem glase ·
Die wirren wipfel und des glückes hütten.
Der göttin schatten rastet auf der vase.
[40]
Entgegen eil ich einem heissen rade.
Ein blitz: für uns ein zug von wunderstaben
Sogleich ergriffen durch erhöhte gnade ·
Dann aber ach in stete nacht begraben ..
Ich suche wieder die verwischten gleise.
Der göttin schatten rastet auf der vase.
O wärest wirklich du so gross und weise?
Ich quäle mich in törichter ekstase.
Triumph! du bist es · aus dem abendrote
Getauschter blicke las ich meine trauer ·
Doch treu bekennend kamst du selber bote
Und stolz war unsres bundes kleine dauer.

[41] GESPRÄCH

Nie sei mir freude an den kalten ehren:
Wenn königlich du deinen leib verbietest
Den niedren mägden die ihn dreist ergehren
Und deren du mit seufzen nur entrietest.
[42]
Vergebens musst du ja die hände ringen
Nach einem labetrunk aus hoher sfäre ·
O dass um selber ihn herabzubringen
Dass einer mutter ich geboren wäre!
Herr oder flehend mögest du mich laden ·
Es sollte mir kein doppel-rot entquillen ·
Ich würde dich in seidenwellen baden
Auf schwerem purpur freudig dir zu willen.
Doch so kann ich mit schattenkuss nur trösten
Ich leichter wolke kind und lichter plane:
Im chaos fragen · jubeln dem Erlösten
Und dulden wie ich deine duldung ahne.

[43] [45]BILDER

[45]

DER INFANT

Bei schild und degen unter fahlem friese
Mit weissem antlitz lächelt der infant
In dunklem goldumgürtetem oval.
Nicht lang im damals unberührten saal
Ein zwillingsbruder: kühle bergesbrise
Sie war ein allzu rauher spieltrabant.
Doch wird er selber nimmermehr bedauern
Dass er zum finstern mann nicht aufgeschossen
Wie der und jener an den nachbarmauern ·
Denn seligkeiten wurden ihm beschlossen:
Wenn vor dem mond die glasgranaten blühn
Dass eine lichte elfenmaid ihn hole ·
Er folgen dürfe oft in flug und fall
Mit ihr dem treubewahrten seidenball
Der rosenfarben und olivengrün
Noch schimmert auf der eichenen konsole.

[46] EIN ANGELICO

Auf zierliche kapitel der legende
– Den erdenstreit bewacht von ewgem rat ·
Des strengen ahnen wirkungsvolle sende –
Errichtet er die glorreich grosse tat:
Er nahm das gold von heiligen pokalen ·
Zu hellem haar das reife weizenstroh ·
Das rosa kindern die mit schiefer malen ·
Der wäscherin am bach den indigo.
Der herr im glanze reinen königtumes
Zur seite sanfte sänger seines ruhmes
Und sieger der Chariten und Medusen.
Die braut mit immerstillem kindesbusen
Voll demut aber froh mit ihrem lohne
Empfängt aus seiner hand die erste krone.

[47] DIE GÄRTEN SCHLIESSEN

Frühe nacht verwirrt die ebnen bahnen ·
Kalte traufe trübt die weiher ·
Glückliche Apolle und Dianen
Hüllen sich in nebelschleier.
Graue blätter wirbeln nach den gruften.
Dahlien levkojen rosen
In erzwungenem orchester duften ·
Wollen schlaf bei weichen moosen.
Heisse monde flohen aus der pforte.
Ward dein hoffen deine habe?
Baust du immer noch auf ihre worte
Pilger mit der hand am stabe?
[48][51]

Notizen
Erste private Vervielfältigung von 100 Exemplaren, Berlin (gedruckt von Wilhelm und Brasch), 1890.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Hymnen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C6FC-5