[51] Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Romanzen
Berlin und Leipzig 1756

1. Traurige und betrübte Folgen der schändlichen Eifersucht, wie auch Heilsamer Unterricht, daß Eltern, die ihre Kinder lieben, sie zu keiner Heyrath zwingen, sondern ihnen ihren freyen Willen lassen sollen; enthalten, in der Geschichte Herrn Isaac Veltens, der sich am 11ten Aprill 1756. zu Berlin eigenhändig umgebracht, nachdem er seine getreue Ehegattin Marianne und derselben unschuldigen Liebhaber jämmerlich ermordet

1.
Die Eh' ist für uns arme Sünder
Ein Marterstand;
Drum, Eltern, zwingt doch keine Kinder
Ins Eheband.
Es hilfft zum höchsten Glükk der Liebe,
Kein Ritter-Guth;
Es helffen zarte keusche Triebe,
Und frisches Blut.
2.
Dis wuste Fräulein Marianne
So gut, als ich!
Dem schönsten, jüngsten, treusten Manne
Ergab sie sich.
Mama, sprach sie, ich bin zum freyen,
Nicht mehr zu jung;
Und, einem Manne mich zu weyhen,
Schon klug genung.
[51] 3.
Ich kan es länger nicht verheelen
In meinem Sinn,
Mama, daß ich von Grund der Seelen,
Verliebet bin.
Verliebt? in Wen? – – Ich will ihn nennen
Ich will, allein,
Sie müssen ihn nicht hassen können
Und gnädig seyn.
4.
Versprechen sie mir das, Mamachen!
Seyn sie so gut,
Dann weiß ich ja, das mein Papachen,
Es auch gleich thut!
Leander – – Ach, sie wollen schelten,
Ich seh es schon!
Leander? Kind? – – – o Nein! Herr Velten
Sey Schwieger-Sohn!
5.
Ja, ja, Herrn Velten solst du nehmen
Denn der hat Geld,
Und du must dich zu dem bequemen,
Was mir gefält.
Wie können junge Mädchen wissen,
Was nüzlich ist?
Die meisten sind verpicht aufs küssen,
Wie du auch bist.
6.
Herrn Velten soll ich? ach! ich Arme!
Was soll mir der?
Ach, daß der Himmel sich erbarme!
Was soll mir der?
[52]
Es schwillt, von Millionen Thränen,
Ihr schön Gesicht.
Und, tausendmahl sagt sie mit Stöhnen:
Ich will ihn nicht.
7.
Du wilst ihn nicht? Ich muß nur lachen,
Sagt drauf Mama!
Wir wollen dir den Willen machen,
Ich und Papa.
Man zwinget sie in einen Wagen,
Hält sie vermummt,
Man bittet sie, noch ja zu sagen,
Und sie verstummt!
8.
Sie sieht, nach einer kurzen Reise,
Sich eingesperrt,
Wo, nach beliebter alten Weise,
Die Nonne plärrt.
Da soll sie beten und nicht lieben,
Allein sie weint,
Sie weint, und will sich tod betrüben,
Um ihren Freund.
9.
Einst aber geht mit schwarzer Lüge
Mama zu ihr!
Mein Kind, sagt sie, kennst du die Züge,
Des Schreibens hier?
Der ewge Treue dir geschworen,
Hat sie verfehlt.
Leander ist für dich verlohren,
Er ist vermählt.
[53] 10.
Schnell rollt in einem goldnen Wagen
Herr Velten her;
Auch kommt ein Mann, mit weissem Kragen
Von ohngefehr!
Gequälet wird von Jung und Alten,
Das arme Kind,
Und die Verlöbniß wird gehalten,
Ach, wie geschwind!
11.
Nun freut ein Haufen Anverwanten
Sich auf den Tanz,
Nun binden, Mütter, Nichten, Tanten,
Am Jungfern-Cranz!
Nun schikt sich, zu drey wilden Tagen
Das ganze Haus;
Und Priester gehn mit leerem Magen
Zum Hochzeit-Schmaus!
12.
Nur für die Braut ist keine Freude,
Und keine Lust.
Sie quält sich, mit geheimen Leide,
Tief in der Brust.
Mit Zittern höret sie den Seegen
Vorm Altar an!
Und seufzt, bey lauten Herzens-Schlägen:
Ach welch ein Mann!
13.
Am Abend mehret sich ihr Jammer,
Und ihre Pein;
Denn, ach! sie soll nun in die Cammer
Mit ihm hinein!
[54]
Wie man ein Lamm zur Schlacht-Bank führet,
So führt man sie;
Seht, spricht Mama, wie sie sich zieret!
Die Närrin die!
14.
Jedoch sie war, am frühen Morgen
Nun eine Frau.
Sie theilte nun des Mannes Sorgen,
War nun genau.
Ihm seine Wirthschafft recht zu führen,
So Tag als Nacht,
Und keinen Heller zu verliehren,
War sie bedacht.
15.
Ach, aber ach! geheime Schmerzen
Verzehren sie;
Leander herscht in ihrem Herzen
So spät als früh.
Ach, wie mag er um mich sich kränken!
Lebt er wohl noch?
Sie will nicht mehr an ihn gedenken,
Und thut es doch.
16.
Oft sizt sie, neben einer Linde,
Und spricht mit sich:
Ach; an ihn denken, das ist Sünde!
Und die thu ich!
Könnt ich sie meiden, nicht mehr wissen
Im fünfften Jahr,
Daß, ach! Leander meinen Küssen
Einst lieber war!
[55] 17.
Von so schwermüthigen Gedanken
Wird sie geplagt;
Sie schrenkt, in heilger Ehe Schranken,
Sich ein, und klagt.
Einst, als sie sich dem Gram ergiebet,
Und einsam sizt,
Und ihrem Ehmann, den sie liebet,
Mit Spinnen nüzt.
18.
Da tritt er, in das stille Zimmer,
Vergnügt herein,
Und bittet sie, doch nur nicht immer,
Betrübt zu seyn.
Ihm folgt ein Kaufmann, der Juwelen
Und Perlen trägt,
Und der, im Innersten der Seelen,
Betrübniß hegt.
19.
Kind, spricht er, kauf dir von den Waaren,
Was dir gefällt!
Wir dürfen ja nicht immer sparen,
Sieh, hier ist Geld!
Er gibt zwölf Thaler ungezählet,
Und pfeift und lacht,
Und geht, weil ihm ein Brate fehlet,
Hin auf die Jagd.
20.
Nun steht, mit zitternden Geberden,
Der Kauffmann da,
Voll Furcht, von der gehaßt zu werden,
Die ihn jezt sah;
[56]
Weil, von den Rosen seiner Wangen
Ein langer Bart,
Herab hieng, und, wie sie vergangen,
Gesehen ward.
21.
Die Augen niederwärts geschlagen,
Sieht sie ihn an;
Was habt ihr, fängt sie an zu fragen,
Mein lieber Mann?
Er zeigt ihr seine Waaren, schweiget,
Und spricht kein Wort,
Doch geht, so offt er ihr was zeiget,
Ein Seufzer fort.
22.
Ach, denkt sie, warum so betrübet?
Er jammert mich!
Sein Gram ist groß, gewiß er liebet,
Und seufzt, wie ich.
Sie fragt ihn: Was für stille Schmerzen,
Erduldet ihr?
Ist Liebes-Gram in eurem Herzen?
So sagt es mir!
23.
Der Gram, mit welchem ich mich quäle,
Verzehret mich.
Madam, er bleibt in meiner Seele,
Wohl ewiglich.
Ein einzig Kleinod war auf Erden,
Das wünscht ich mir!
Dadurch der Glüklichste zu werden,
Das wünscht ich mir!
[57] 24.
Ich bat zu GOTT, es mir zu geben
Zum Eigenthum.
Mein Haab und Guth, und selbst mein Leben,
Bot ich darum!
Mein einzger Wunsch, und meine Freude
War, es zu sehn.
Wie war es meiner Augen Weide!
Wie wars so schön!
25.
Ach aber, ach! in tausend Stükken,
Zerriß der Schmerz,
Der nicht mit Worten auszudrükken,
Mein armes Herz!
Verzweiflung, Treue, Glükk und Ehre
Bestritt mein Haupt,
Als ich vernahm, mein Kleinod wäre
Mir weggeraubt!
26.
Was war es? Sagts, ich möcht es wissen:
Welch Kleinod kan
Euch so betrüben? Darf ichs wissen?
Mein lieber Mann!
Ich dächt, euch wäre Leben lieber,
Als Stein und Gold,
Mich wunderts, daß ihr euch darüber
Todt grämen wolt.
27.
Madam, was von entfernten Mohren
Der Geiz herholt,
Ist Kleinigkeit! was ich verlohren,
Ersezzt kein Gold!
[58]
Es war mir theurer, als mein Leben,
Als alles Geld,
Ach, was hätt ich darum gegeben?
Die ganze Welt.
28.
Einst malt ich mir, aus dem Gedächtniß
Das werthe Bild,
Des Himmels einziges Vermächtniß,
Das Kummer stillt.
Ein Bild ist es, darum ihr klaget?
Ach zeigt es mir!
Er zieht es aus dem Busen, saget:
Hier ist es, hier!
29.
Sie nimmt es hin. Er siehts mit Freuden
In ihrer Hand.
Es war gehüllt in Gold und Seiden,
Auswendig stand:
Von meinen zärtlich treuen Thränen
Entsteht ein Bach;
Und dieses ist das Bild der Schönen,
Ach Himmel, ach!
30.
Sie macht es auf – – Allein erblasset,
Von Schrekk erfüllt,
Fällt sie in Ohnmacht, denn sie fasset,
Ihr eigen Bild.
Ach Marianne, Marianne!
Ach stirb doch nicht!
Ach sieh mich, Engel! ach ermanne,
Dein schön Gesicht!
[59] 31.
Erwekkt vom Schalle dieser Worte
Kommt sie zu sich.
Freund, spricht sie, flieh von diesem Orte,
Freund, meide mich!
Ein andrer, saget die Getreue,
Hat meine Hand!
Entferne dich, denn meine Treue
Hält ihm Bestand.
32.
Er eilt, gehorsam dem Befehle,
Urplözzlich fort.
Ach, seuffzt er, ach geliebte Seele,
Nur noch ein Wort:
Ich sterb um dich. Er faßt im Gehen
Die Hand ihr an;
Zum letztenmahl will er sie sehen,
Da kommt der Mann.
33.
Stirb, sagt er, Räuber meiner Ehre,
Mit tausend Schmerz!
Er tobt und stoßt, mit Mord-Gewehre,
Durch Beyder Herz.
Leander stirbt! Und Marianne
Spricht: Gott Lob, ich
Verdient es nicht. Sie spricht zum Manne:
Du jammerst mich!
34.
Nun hat er keine frohe Stunde,
Des Nachts erscheint,
Die treue Gattin, zeigt die Wunde
Dem Mann und weint.
[60]
Ein klägliches Gewinsel irret
Um ihn herum.
Ihn reut die That, er wird verwirret,
Er bringt sich um.
35.
Beym Hören dieser Mordgeschichte
Sieht jeder Mann
Mit liebreich freundlichem Gesichte
Sein Weibchen an,
Und denkt: Wenn ich es einst so fände,
So dächt ich dis:
Sie geben sich ja nur die Hände,
Das ist gewiß!

2. Dämons und Ismenens zärtliche und getreue Liebe, getrennet durch einen Zweykampff, in welchem Herr Damon von seinem Nebenbuhler am 20ten August 1755 auf Auerbachs Hofe zu Leipzig mit einem grossen Streit-Degen durchs Herz gestochen wurde, wovon er seinen Geist jämmerlich aufgeben müssen, zum Trost der herzlich betrübten Ismene gesungen

1.
Ach Damon, ach Ismene!
Mein Herz ist weich!
Ach welche heisse Thräne,
Wein ich um euch!
Von deiner Abentheuer,
Du schöne Braut!
Sing ich, in meine Leyer,
Und weine laut!
[61] 2.
Ach er ist hin, Ismene!
Dein Bräutigam,
Das zärtliche, das schöne,
Das treue Lamm!
Die Grösse deines Schmerzens,
Begreift kein Sinn!
Der Abgott deines Herzens,
Ach, der ist hin!
3.
Ihr waret alle Beyde
Was wen'ge sind;
Er, deine Lust und Freude,
Und Du, sein Kind.
Den Scherz in Finsternissen,
Wart ihr gewohnt.
Ach, bey viel tausend Küssen,
War nur der Mond.
4.
Nun ist er weggenommen
Und, ach, o Gram!
Er wird nicht wieder kommen,
Dein Bräutigam!
Er ging in jene Fernen,
Ihn dekkt kein Grab;
Er wandelt unter Sternen,
Und sieht herab!
5.
In seiner lezten Stunde
War ich ihm nah,
Als ich in seiner Wunde,
Den Tod schon sah.
[62]
Freund, sprach er, meine Schöne
Find ich einst dort!
Und, sterbend war Ismene!
Sein leztes Wort.
6.
Man singt von seinem Tode,
Nun weit und breit,
In mancher Trauer-Ode
Voll Herzeleid!
Der Held, der ihn, verliebet
In dich, erstach,
Ist auch, wie du, betrübet,
Sagt auch: ach, ach!
7.
Er sieht mit bangem Leide
Sein Mordgewehr!
Hat, sagt er, keine Freude
Auf Erden mehr.
Blaß, wie ein Todten-Schatten,
Nicht mehr ergrimmt,
Klagt er den treuen Gatten,
Den er dir nimmt.
8.
Oft sieht er ihn bey Tage,
So, wie bey Nacht,
Springt auf, hört seine Klage,
Wenn er erwacht.
Ein winselndes Gethöne,
Läßt ihn nicht froh!
Ach Mörder! ach, Ismene!
Stets rufts ihm so.
[63] 9.
Und du, ach du Getreue!
Du achtest nicht
Des Mörders späte Reue,
Und was er spricht.
Er raubte dir dein Leben
Und deine Lust;
Kanst du ihm das vergeben,
In deiner Brust?
10.
Ach nein, in deinem Herzen,
Verewigt das
Dein Elend, deine Schmerzen,
Und seinen Haß.
Du lässest ihn nicht wieder,
Vor dein Gesicht,
Und seine Klage-Lieder
Erhörst du nicht.
11.
Verzehrt von deinem Jammer,
Gehüllt in Flor,
Bleibst du auf deiner Cammer,
Ach komm hervor!
Komm wieder an die Sonne
Wie gern bin ich:
Dein Labsal, deine Wonne,
Komm küsse mich!

[64] 3. Wundervolle doch Wahrhafte Abentheuer Herrn Schout by Nachts, Cornelius van der Tyt, vornehmen Bürgers und Gastwirths im Wallfisch zu Hamburg, wie er solche seinen Gästen selbst erzählet. Aus seiner Holländischen Mundart, in hochdeutsche Reime getreulich übersezt

1.
Mein Herr, in sechzig Jahren
Hab ich sehr viel erfahren!
Was Wunder mir geschehen,
Ist mir nicht anzusehen.
Ich Pater, Schout by Nacht und Wirth,
Bin dreyssig Jahr herum geirrt.
2.
Zu Wasser und zu Lande,
Hab ich in manchem Stande,
Viel Unglükk dulden müssen.
Ich weiß nicht, ob sie wissen,
Daß ich, und eine Perserin
Im Wallfisch-Bauch gewesen bin?
3.
Nach sechzehn Krieges-Zügen,
Und, nach nicht mindern Siegen,
Must ich, Trotz meiner Thaten,
In Sclaverey gerathen.
Ach, aber da verliebte sich,
Die schönste Perserinn in mich!
[65] 4.
Kaum kenn ich sie zwölff Tage
Da küß ich sie, und frage:
Du Stern der Perserinnen!
Wilst du mit mir entrinnen?
So steif ich ihr ins Auge sah,
So munter war die Antwort: Ja!
5.
Drauf nahm sie mir die Ketten,
Und sprach: Wenn uns zu retten,
Doch auf dem wilden Meere
Nur eine Gondel wäre!
Und, als ich nach dem Ufer sah,
Da war, huy! eine Gondel da.
6.
Ich zeigte zwölff Zechinen!
Dem Schiffer, uns zu dienen;
Er bat uns, einzusteigen,
Und sprach, nach öfterm Neigen:
Geh, Gondel geh, an deinen Ort!
Die Gondel ging, wir schwammen fort!
7.
Und sahn, bey hellem Himmel,
Das fröliche Getümmel
Der scherzenden Delphinen,
Und Meerpferd' unter ihnen,
Und kamen, eh wirs uns versahn,
In einem Hafen glükklich an.
8.
Hier durften wir der süssen
Versäumten Ruh geniessen!
[66]
Erkenntniß zu vermeiden,
Rieth ich, uns umzukleiden;
Schnell gieng mein Kleid auf ihren Leib,
Sie war ein Mann, und ich ein Weib!
9.
In diesem Weiberstande,
Sah ich, nicht weit vom Strande,
Bald einen Perser stehen,
Und immer nach mir sehen!
Da nahm mich Furcht und Schrekken ein;
Du kanst, dacht ich, verrathen seyn!
10.
Ein Mann der freundlich lachte,
Kam, als ich dieses dachte,
Und nach dem Perser sahe,
Uns seitwärts rudernd nahe,
Der sprach, mit freyer Redlichkeit,
Wie einer, den ein Gast erfreut:
11.
Sie werden sehr gebeten,
Zu mir an Bord zu treten!
Wir woll'n ein wenig speisen
Und dann gleich weiter reisen.
Ich bin, sprach er, an dessen statt,
Der sie hieher geschiffet hat.
12.
Schnell flohen unsre Blikke
Bald vorwärts, bald zurükke!
Es war, ach welch ein Schrekken!
Der Mann nicht zu entdekken.
Mein Herr, wir sagten nicht ein Wort
Und zitternd traten wir an Bord.
[67] 13.
Als wir beym Tische sassen
Uns umsahn, wenig assen,
Da sprach der Wirth: Sie essen!
Ihr Schiffer sey vergessen!
Verbannen sie, nur Furcht und Gram,
Ich bringe sie nach Amsterdam.
14.
Vor Furcht, und auch vor Freude,
Verstummeten wir Beyde,
Und keiner wolte wagen,
Dem Wirth etwas zu fragen.
Mein Herr, es kann nicht anders seyn;
Er muß ein Geist gewesen seyn.
15.
Nach eingenommner Speise,
Beym Antrit unsrer Reise,
Bat ich den Gott der Winde:
Ach wehe doch gelinde!
Sey mir und meinem Mädchen gut,
Und mache, daß der Sturmwind ruht!
16.
Drauf schwamm das Schiff vom Lande,
Gemach wich es dem Strande,
Der Tag war schön und helle,
Es schwiegen Sturm und Welle;
Doch eh sichs Mann und Schiff versah,
War Blitz, und Sturm und Welle da.
17.
Pechschwarze Wolken krachten,
Und heiße Blitze machten
[68]
Um Mann und Schiff und Welle
Das dikke Dunkel helle,
Als solten wir, bey Angst und Flehn,
Den nahen Tod noch besser sehn!
18.
Wir fuhren auf der Welle,
Zum Himmel und zur Hölle.
Bald ward das Schiff vom Toben
Der Fluthen aufgehoben,
Bald blekete des Meeres Schlund,
Dann stürzt es wieder auf den Grund!
19.
Ach, rief ich laut, voll Schrekken
Nun wird uns Wasser dekken!
Ach Kind, daß ich im Grabe
Dich noch im Arme habe
Wünsch ich mir einen Wallfisch-Bauch!
Mein Mädchen sprach: Den wünsch ich auch!
20.
Schnell kam, in Wasserwogen,
Ein Wallfisch angeflogen!
Und watet' in der Tiefe,
Recht unter unserm Schiffe,
Das, als ers dreymahl umgewand,
Auf seinem Rükken stille stand.
21.
Ach, sprach ich ganz verstöret,
Der Wallfisch hat gehöret,
Was wir gewünschet haben
Nun wird er uns begraben.
Verschling uns Wallfisch! sprach mein Schatz
Ist auch in dir für zweene Platz?
[69] 22.
Mein Herz fieng an zu pochen;
Denn, kaum war es gesprochen,
So schien, bey Wellen-Schlägen,
Der Wallfisch sich zu regen,
Und plötzlich stürzt er Schiff und Last,
Und, in dem Meere stach der Mast.
23.
Ich, und das Mädchen schwammen,
Nicht weit davon, beysammen!
Da kam auf uns, mit Flossen,
Der Wallfisch loß geschossen.
Ach! fieng das Mädchen an zu schreyn;
Auf einmal schlang er uns hinein.
24.
Weil wir nun in dem Magen,
Nicht allzusanfte lagen,
So must ich oft, mich regen,
Und mich zu rechte legen,
Und das geliebte Mädchen auch,
Auf ihrem Bett, im Wallfisch-Bauch.
25.
Dis Regen und dis Lermen,
Mag Magen und Gedärmen,
Worinn er uns begraben,
Nicht angestanden haben,
Drum drang er uns, o grosses Glükk!
Bald wieder durch den Schlund zurükk!
26.
Ich hielt, dis war das Beste,
Mein liebes Mädchen feste,
[70]
Drum wards mit mir verschlungen,
Und auch heraus gedrungen,
Ich hielt es noch fest an der Hand,
Und lag bey Amsterdam in Sand.

Nachricht

Die Spanier sind vermuthlich die ersten Erfinder der Romanzen, weil Eifersucht oder Ritterschaft, (Chevalerie) bey ihnen mehr traurige Begebenheiten hervorbringen mag, als bey andern Völkern, wo die Schönen tugendhafter, oder die Männer versöhnlicher, und ritterliche Thaten keine Eigenschaften eines Liebhabers sind.

In Erzählung vorstehender Geschichten, hat man versuchen wollen, ob die, vorlängst bey den Spaniern, und neuerlich bey den Franzosen, zu den romanzischen Liedern gebrauchte Schreibart, auch im Deutschen gefallen könne.

Je öfterer dieser Versuch, von den rühmlichen Virtuosen mit Stäben in der Hand, künftig gesungen wird, desto mehr wird der Verfasser glauben, daß er die rechte Sprache dieser Dicht-Art, getroffen habe.

Von der ersten Romanze, findet sich in den Werken des Moncrif, eine so ähnliche Geschichte, daß man auf den Gedanken gerathen möchte, sie sey übersezt; allein, da ganz Berlin weiß, daß die darin erzählte Begebenheit, am eilften Aprill des vorigen, nicht aber dieses Jahres, wie auf dem Titul-Blat durch einen Drukkfehler stehet, sich würklich daselbst zugetragen hat, so kan die moncrifische Romanze, wohl nichts weiter, als eine ähnliche Geschichte seyn.

[71] Von der zwoten und dritten, werden die besten Kenner und fleissigsten Leser anderwärts keine Spur finden. Geschrieben, Berlin den 1ten May 1756.

[72]

Notes
Erstdruck Berlin und Leipzig 1756.
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TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Romanzen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DB23-8