Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Episteln
Erster Theil

[29]

[3] An Goldhagen, in Petershagen

Ellrich, 1771.


Wenn ich Dein Herz – mein Ideal
Der Tugend! – wenn ich die Talente,
Die Du vereinigst, – mir ein Stral
Zum Ziel des Ruhms! – belohnen könnte:
Du solltest nicht in Werther 1 seyn.
Hoch stellt' ich Dich, mit Deinem Strale
Die dicken Nebel in dem Thale
Des Aberglaubens zu zerstreun.
Jetzt aber, Freund, da Dich, versteckt
In einem Dörfchen, die Kabale,
Der Du zu hell noch leuchtest, neckt:
Jetzt kann ich nur in Dir den Weisen
Bewundern, und mein Schicksal preisen,
Das Dich zum Freunde mir geschenkt.
Denn seit ich sah, wie Dich, – des Glückes
So werth! – kein Schlag des Mißgeschickes,
Kein Pfeil der dummen Bosheit kränkt:
Verging mir schnell der Eigendünkel,
Für hart gestraft mich anzusehn,
Daß ich auch, hier in diesen Winkel
Geworfen, mich soll müde stehn.
Wenn aber auch der Mann von Geist,
Wie Du, im dunkeln Thal verborgen,
[4][4]
Die Ketten, die die Hand der Sorgen
Um seine Weisheit legt, zerreißt;
So kennt er dennoch seinen Werth.
Ist's Unrecht denn, wenn er begehrt,
Was er verdient, und Thoren haben?
Der Weise könnte bei den Gaben
Des Glückes mehr als König seyn,
Denn, Freund, für Krieg ist er zu klein.
Wenn Thoren nun dieß Glück vergraben,
Und öfter noch, den bessern Mann,
Bloß weil er besser ist, zu quälen,
Dieß Glück gebrauchen: sprich, wie dann?
Sich wie ein Höfling zu verhehlen,
Und, wo nicht dieß, ein Engelherz
Gehört dazu, es ohne Schmerz,
Und ohn' es Schwiftisch zu bespotten,
Und ohne Wunsch, es schnell so schön,
Wie man's im Kopf' hat, auszurotten,
So Tag für Tag mit anzusehn.
[5]
Laß uns denn immerhin gestehn:
Wir haben auch in jüngern Jahren
Nach unsrer Lage das erfahren,
Was Flaccus vitae modos nennt;
Uns oft gekreuzigt und gesegnet,
Daß kaum man Brod dem Weisen gönnt,
Indeß es Gold auf Narren regnet;
Daß Dummheit und Bequemlichkeit
Genies, Mauleseln gleich, befrachtet,
Und darob ihre Wenigkeit,
Wer weiß, wie groß, wie wichtig achtet!
Wie haßt', ich Jüngling, sonst den Mann,
Der nichts, als seine Peitsche schwingen,
Beihergehn, schrein und schlagen kann.
Mich jetzt zum Hassen noch zu bringen,
Kann der nicht, der mich selbst wohl schlägt.
Ich lasse nun die Thoren gelten,
Wofür das Glück sie ausgeprägt;
Was nutzten auch mein Spott und Schelten?
[6]
Genug ist's, wer, wie Gott die Welten,
Sie ganz für sich im Stillen wägt.
Nehm' ich, nach äußeren Gestalten,
Die Drittel Ephraim's 2 für voll,
So weiß ich bei dem allem wohl,
Was sie an innerm Werthe halten.
Wer gar zu eigensinnig ist,
Nach diesem Münzcours sich zu achten,
Der dauert mich. Der Mann vergißt,
Die goldne Regel zu betrachten:
Nimm diese Welt so, wie sie ist.
Nach ihrem inneren Gehalt
Die Welt voll Narren umzuprägen:
Ist das in menschlicher Gewalt?
Heraus zu wandern steht uns frei;
[7]
Doch geb' ich wohl zu überlegen,
Was für den Weisen besser sey:
Die Welt, wie Yorik, mit zu nehmen?
Nach Königen, wie Diogen,
Sich keinen Fuß breit zu bequemen?
Wie Heraklit nur da zu stehn,
Um sich von Herzen satt zu grämen?
Sich, wie Pythagoras, dem Spleen
Mit Leib und Seele zu ergeben?
In nackte Wüstenein zu fliehn
Wie Sankt Anton, und da das Leben
In Ein Gebet zusammenziehn? –
Du siehst, es gibt der Wege viel,
Von seinem Platz im Possenspiel
Der Welt, aus Aerger wegzugehn;
Doch gibt's auch Gründe, stehn zu bleiben,
Den Narren ruhig zuzusehn,
Und seinen Spott damit zu treiben.
Geh weg, zu weinen; bleib, zu lachen!
[8]
Zu beiden braucht's nicht Gold, noch Gunst.
Wer Geist besitzt, besitzt die Kunst:
Was ihm gefällt, aus sich zu machen.
Das ist der Grund, warum sogar
Diogenes in seinem Fasse,
Wenn er auch gleich aus Menschenhasse
Zuerst hinein kroch, glücklich war.
Das ist der Grund, warum die Stille,
Wald, Feld und Kräutersuchen nicht
Den Zorn des Genfer Bürgers bricht;
Was bricht ihn endlich? Seine Grille!
Zwar kann sich leicht ein Mann das Haus
Des Diogen zur Wohnung weihn,
Doch kroch er als ein Narr hinein,
So kriecht er auch als Narr heraus.
Philippus großer Sohn verlöre
Nicht einen Schritt um solches Haus;
Und fiel' ihm ja die Neugier ein,
So rief' er wenigstens nicht aus:
[9]
Wenn ich nicht Alexander wäre,
So möcht' ich dieser Mann wohl seyn!
Ob, als er dieses sprach, ihm eben
Die bloße Prädilection
Für's Sonderbar', es eingegeben;
(Auch diese will ja Ruf, als Lohn
Für angethanen Zwang, erstreben!)
Ob nicht der Werth von einem Leben,
Das bloß der Geist, dem Glück' zum Hohn',
Wiewohl der Welt zum Spott', errungen,
Ihm dieß Bekenntniß abgezwungen,
Das weiß allein Philippus Sohn.
War jenes; nun, dann sollt' ich meinen,
Es sey, was bei dem großen Geist'
Ein Steckenpferd, und bei dem kleinen,
Zumal, wenn gern er's jener Einen
Nachäffen möchte, Narrheit heißt.
War dieses: großer Alexander!
Behalte du dein ganzes Glück
[10]
Und deine Siege mit einander.
Gib mir dafür den Augenblick
Von deinen ruhmbeladnen Tagen,
Der Welt als König vorzusagen:
Der Weis' in einer Hütte sey,
Wenn sie die Weisheit aufgeschlagen,
Bei Brod und Wasser, groß und frei!
Indeß liegt wenig uns daran,
Aus welchem Quell' der Spruch gequollen;
Doch Glück und Ehre hängt daran,
Aus welchem Quelle, lieber Mann,
Wir unsre Weisheit schöpfen wollen.
Sag', ist es nicht ein drollig Ding,
Wenn uns das Gaukelspiel der Welt
Nicht mehr, (wer weiß, warum?) gefällt,
Aus Unmuth sich den Sonderling
Zu seiner Rolle auszulesen,
Um, wenn man nicht beglückt gewesen,
Doch wenigstens bemerkt zu seyn?
[11]
Wahr ist es, einer großen Seele
Bleibt diese Schwachheit zu verzeihn;
Denn eher stürzt sich in die Höhle
Der Pest ein Curtius hinein,
Als noch mit seiner stolzen Seele
Bloß allen Andern gleich zu seyn.
Nur selten gab es, oder nie,
Von jeher große Männer, die
Zugleich nicht Sonderlinge waren;
Denn dieser Hang zum Sonberbaren
Verführt am leichtsten ein Genie.
Dankt dieß dem Glücke, ihr Genies!
Das diese Wohlthat nicht vergessen,
Und für den Neid Euch Futter wieß;
Sokrat, der lang' ihn hungern ließ,
Ward endlich selbst von ihm gefressen.
Allein, ihr Leute von Genie,
Hat die Natur zu Sonderlingen
Euch schon bestimmt: wozu die Müh',
[12]
Sich mit Gewalt dazu zu zwingen?
Ihr werdet Euch bei stiller Nacht,
(Nicht, wie die Maintenon 3, der Welt)
Ganz offenherzig eingestehen,
Daß Ihr den Sonderling nur macht,
Weil Euch der Sonderling gefällt;
Gefällt, weil Leute nach ihm sehen.
Nehmt Euren Pfad auch noch so krumm;
Den Pöbel hinterher zu ziehen,
[13]
Und, um verfolgt zu werden, fliehen,
Ist leicht: der Weise siehet stumm
Dem Gaukler nach und läßt ihn ziehen;
Der Weltmann lacht und dreht sich um.
So wollte selbst im Diogen
Nicht immer Plato nur den Weisen,
Zuweilen auch den Gaukler sehn,
Und dieser, umgekehrt, Athen
Im Plato wohl nichts bessers weisen.
Allein gesetzt: die Klugheit legt
Die Schminke so geschickt darüber,
Daß selbst der Weise stutzt, und frägt:
Ist das nicht bloß Natur? – Ei Lieber!
Sprich, was gewinnest du dabei?
Vielleicht den Titel eines Weisen!
Doch wirst du dich im Stillen frei,
Und glücklich in dir selber preisen?
Frei bist du nie bei Heuchelei!
Zwang ist der Freiheit Gift und Tod!
[14]
Und glücklich? Nun! vielleicht zur Noth!
Ganz aber könntest du es seyn;
Doch wer in Thaten und Geberden
Die Augen nur durch falschen Schein
Zu blenden sucht, wird nie es werden.
Wohl unter Alexanders Thron
Und Diogens verschmähtem Fasse!
Was ich mir wählte, weiß ich schon,
Von Ehrsucht und von Menschenhasse
Gleich frei, nur für die Wahrheit kühn.
Wenn er so glücklich war, als schien,
So nähm' ich gleich das leere Faß,
Und ließe Thron und Monarchien
Dem Sohne der Olimpias:
Ist aber unter unsrer Sonne
Ein Weiser wohl so weis' und kühn,
Zu seyn in unsers Griechen Tonne,
Was dieser war, zum mindsten schien?
Ich zweifle! Fromme Schwärmerei
[15]
Und Haß der Welt spricht zu dem Kranken:
Fort! fort in ein' Einsiedelei,
Doch sey gesund und weis' und frei!
Wirst du für dieses Glück nicht danken?
Was hat man von der Schwärmerei,
Daß man die Welt beseufzt, beweint?
Denn kurz, mich dünkt, so lang' die Sonne
Der Fröhlichkeit im Herzen scheint,
Kriecht man gewiß in keine Tonne,
Mit Brod und Wasser sich zu speisen;
Und just an dieser Sonne, Freund,
Erkennt man doch den ächten Weisen.
Weisheit im Kopf' ist nur ein Mond
Auf dieses Lebens dunkeln Reisen,
Um den sich's kaum die Müh' belohnt,
Ihn, ohne jene, viel zu preisen.
Genie ist vollends nur ein Stern,
Bei dem man leicht die Bahn verlieret,
Der gern zu Glück und Ehr', und gern
[16]
Zum Unglück' und zur Schande führet.
Laßt aber alle drei zugleich
Auf Euren Pfad des Lebens scheinen:
Beneiden werden Tausend' Euch,
Und Ihr hingegen sicher Keinen.
Zwar diese Sonn' und diesen Mond
Hervorzurufen, hat der Weise
Gewalt; allein die halbe Reise
Wird immer fast zurückgelegt,
Eh' er mit wahrem Ernst' nur leise
Die Lippen ihrerhalb bewegt.
Da drängt er an die bunte Bude
Fortunens, sich im Schweiße hin,
Und starret, – wie ein Wechseljude
Den Klumpen Silber, den für Zinn
Sein Finder bietet, – Federhüte,
Und Stern' und Ordensbänder an,
Wagt seine Ruh' und Zeit daran,
Zieht aber immer – eine Niete!
[17]
Wenn er den letzten Rest verloren,
Geht er mit Schimpfen auf die Thoren,
Die blind Gewinne griffen, fort;
Und hat er nun sich satt geschmälet,
So denkt er erst das große Wort:
Der Thor hat auch, wie du, gefehlet!
Dann hält er in der Einsamkeit,
Als kranker Pilgrim, Quarantaine;
Er weint um die verspielte Zeit
Und Ruhe, sich durch manche Thräne
Die Augen klar, und schnell erhellt
Der Weisheit Sonne Bud' und Bühnen;
Zum Possenspiele wird die Welt,
Zu Messingblech, was Gold geschienen.
Den Thoren, weil er selbst es war,
Bedauert er, statt ihn zu hassen;
Bei seinem Flitterstaat', sogar
Bei seinem Stolz', bleibt er gelassen;
Lernt endlich seinen eignen Werth
[18]
Zu seinem ganzen Glücke machen,
Und hält er ja ein Steckenpferd,
So ist es dieß: der Welt zu lachen!
Wer diese Quarantaine hält,
Der halte männlich ganz sie aus.
Geht er zu früh in eine Welt,
Wo Narren glücklich sind, hinaus:
Was Wunder! wenn ihn bald von neuen
Ein Gallenfieber überfällt!
Zwar soll und muß er sich zerstreuen;
Nur wie? das macht die Weisheit aus!
Arm sey mein Pilgrim, arm an allen,
Was diese Welt als Schätze preist,
Doch gut von Herzen, stark von Geist.
Sprich, wie kann Er der Welt gefallen,
Und ihm die Welt? Das erste, war
Und wird auch wohl unmöglich bleiben;
Zum letzten – was auch Schwifte schreiben –
Bracht' unser Asmus es sogar.
[19]
Versteh' er nur, so seinen Pfad
Mit Herzensfreunden fortzuschleichen,
Und, wie der Mann im Fasse that,
Beglückten Thoren auszuweichen.
Wenn Ihr von Narren nichts begehrt:
Was kümmern denn die Narren Euch?
Sind sie nicht arm? Seyd Ihr nicht reich?
Seyd stolz auf Euren innern Werth!
(Stolz, sag' ich, doch allein für Euch!)
Dann gelten Euch am kleinen Heerd'
Der Freiheit, Fürst und Bauer gleich.
Die Fürsten sind ein Schlag von Leuten,
Der wahrlich gut genug noch fällt,
Doch was sind die, die tief verstellt,
Um ihre Gunst sich hämisch streiten?
Die schlimmsten Thiere in der Welt!
Feil ist schon oft für wenig Geld
Ihr Geist zu Niederträchtigkeiten,
Ihr Leib zu einem Affentanz',
[20]
Ihr Studium ist Firlesanz,
Und ihre Künste – Albernheiten.
Nicht jeder Fürst ist Dionyß,
Doch Plato hieß' an jedem Hofe
Thor, wie er Thor an jenem hieß.
Sieht scheel er Einmal nur die Zofe,
Den Laufer und den Schooßhund an,
So mag der vogelfreie Mann
Bald nach dem Schloßthor' um sich sehn;
Allein wer hieß ihn denn nach Hofe
Von seinem eignen Heerde gehn?
Wer durch die Weisheit nichts, als reich
An Gold zu werden sucht, der fröhne
Den Großen dieser Erde, gleich
Dem kleinen Weisen von Cyrene,
Der zum Gewissen sagte: Schweig!
Das war ein Mann für Dionyßen!
Er fraß den Staub von seinen Füßen,
Und ließ, wenn Seine Hoheit ihn
[21]
Aus übler Laun' einmal bespien,
Sich diese Laune nicht verdrießen.
Der Aristippen gab es viel
An Höfen; aber auch Platonen?
Die erstern hatten da gut wohnen;
Sie spielten selbst gut Taschenspiel.
Allein die Letztern? Zeigt mir doch
Nur zehn Platonen, die mit Ehren,
Und frei, auch selbst am Hofe noch,
Am Hofe grau geworden wären.
Auguste hat es selten nur,
Alfons' hingegen oft gegeben.
Doch kann man, Dank sey der Natur!
Auch füglich ohn' Alfonse leben.
Wer war beglückter? War's Racine,
Der für den eitlen Ludewig,
Bei jedem zweifelhaften Sieg,
Für Jahrgehalt, die Narrenbühne
Der Schmeichelei, wie wild bestieg;
[22]
Doch als sein Abgott ihn beschämte,
Zu Bette kroch, mit Einmal schwieg,
Und kindisch sich zu Tode grämte? 4
War's nicht Rousseau? Der, wenn die Noth
Ihn gleich ins fünfte Stockwerk führte,
Ganz ruhig, um das trockne Brod,
Der Stümper Noten selbst, copirte,
Und hundert glänzende Pistolen
Der Pompadour, die sie dem Staat',
Den sie entnervte, erst gestohlen,
Mit einem edlen Stolz' verbat?
Zwar durfte dann der Genfer nicht
[23]
An Hymens stille Freuden denken;
Doch hielt er es auch nicht für Pflicht,
Die goldne Freiheit wegzuschenken,
Um, (denn von Liebe lebt man nicht,)
Sich bei dem mageren Gesicht'
Der Gattin und des Sohns zu kränken.
Wer seine Freiheit so verliert,
Der hat auf immer sie verloren! –
Allein, nicht wahr? der Jüngling rührt
Dein Herz, den Liebe so verführt?
Ach! selbst aus Weisen macht sie Thoren!
Dient nicht dem Fürsten, dient dem Staat'!
Doch was heißt oft: dem Staate dienen?
Der Mann, der nicht auf krummem Pfad'
Die Gunst von seines Fürsten Phrynen
Erschmeicheln, bei des Fürsten Rath
Nicht tief gebückt um Gnade betteln,
Und sein Verdienst mit Bankozetteln
Dem Günstling' nicht beweisen kann:
[24]
Das ist vielleicht ein weiser Mann.
Wer aber wird's dem Fürsten sagen?
Wer stellt ihn dem Minister vor?
Ist er ein Autor? – Zu beklagen!
Ein Autor ist am Hof' ein Thor.
Ein Höfling liest aus Langerweile;
Aus Eitelkeit? Das ist schon viel!
Doch tanzet Faber 5 auf dem Seile,
Zeigt Coq Sinesisch Schattenspiel:
Dann ist, vergöttert kaum, la Farr'
Mit allem seinem Witz', ein Narr.
Des Autors Ruhm ist eine Brücke
Zur Ewigkeit, und nicht zum Glücke.
Die steilen Pfade auszuspähn,
Die jener stieg, will's scharfe Blicke,
Und mancher Fürst kann gar nicht sehn.
Und solch ein Autor, und im Staat'
[25]
Zu keiner Stelle brauchbar? Wäre
Das möglich? Oder ist's Chimäre?
Ist's Unsinn? – Unsinn in der That!
Allein verlangst du, weiser Mann,
Just in den Kreis gestellt zu werden,
Den deine Sonn' erhellen kann?
O! sieh dich in der Welt erst um,
Bis dich Erfahrung überführt,
Daß diesen großen Kreis der Erden,
Wie Yorik sagt, ein minimum
Von Sapientia regiert.
Sieh! wie der Principal mit Schreien,
Wie ein Lackei, den König spielt,
Indeß ein Garrik 6 im Lackeien
Des Königs ganze Rolle fühlt;
[26]
Doch ohne sich dadurch zu stören,
Denkt er auf seine Roll' allein;
Er läßt den Principal in Ehren,
Und das Parterre Richter seyn.
So dient ein Mann von Geist, wo schier
Kein Geist zum Dienste nöthig ist.
O Mann! wohnt Sülly's Geist in dir?
Sey Sülly, und – doch unbeschadet
Der Freiheit – sey dabei Copist!
Du bist doch Sülly! Aber ladet
Das Glück dich selbst ans Ruder ein,
Dann sey dem Staat', was du allein
Dir im Verborgenen itzt bist.
Die Kunst ist freilich nicht so klein,
Ein Mann von Geist, und Subaltern
Von einem großen Ordensstern'
Und einem kleinen Herzen seyn.
Gehorchen will schon Niemand gern;
Nun noch dem Dummkopf' oben ein!
[27]
Ach! zu bedauren ist der Weise,
Der seiner Gattin den Verdruß
Verbergen soll und dienen muß.
Wer ledig ist, ist auf der Reise;
Er bleibt, so lang' es ihm gefällt;
Wo nicht? So viel, als dann der Weise
Gebraucht, hat jeder Ort der Welt.
Zwar ob wie Curius man Rüben,
Ob, wie Lucull, Muränen speise?
Ist keinem von uns gleich, ihr Lieben!
Doch wer Muränen haben kann,
Und nur, steht ihm der Preis nicht an,
Nicht haben will, der ist bei Rüben
Noch ein beneidenswerther Mann.
Und diesen stolzen Eigensinn,
Ihr Thoren! mögt ihr immerhin,
Wie billig, unbegreiflich finden.
Ein solcher Sonderling zu seyn,
Ist Ehre! Gold und Schmeichelein
[28]
Erkaufen nie sein Herz zu Sünden.
Wer gegen Gold und Schmeichelei,
Und Adelsbrief' und Ordensbänder,
Und Leckerbissen fremder Länder,
Und Wein vom Cap und aus Tokay,
Empfindlich ist, der ist nicht frei.
Doch wer an seinem Kopf' und Herzen
Und einem Freunde in der Noth
Genug hat, der kann nichts verscherzen,
Und fürchtet weniger den Tod.
Zufrieden, darf er nichts beneiden,
Und für sein kleines Mittagsbrod
Und seine Hütte, seine Freuden,
Niemanden dankbar seyn, als Gott.

Fußnoten

1 Goldhagen, der nachher als General-Superintendent des Fürstenthums Minden, nach Petershagen versetzt wurde, war damals noch Prediger zu Klein-Werther in der Grafschaft Hohenstein. Mit Zustimmung seiner aufgeklärten Kirchenpatronen führte er hier, neben dem gewöhnlichen Gesangbuche, die Berlinische Sammlung geistlicher Lieder ein, woraus aber für ihn manche Verdrüßlichkeiten entstanden. Hierauf bezieht sich zum Theil das Folgende.

2 Bekanntlich ließ der Jude Ephraim zu Berlin in dem Kriege von 1756-1763 Achtgroschenstücke prägen, die nach dem Frieden auf 3. Gr. 4 Pf. herabgesetzt wurden.

3 Sie pflegte in den Fasten bisweilen nichts als Hülsenfrüchte zu essen, wenn die übrige Gesellschaft an der nemlichen Tafel herrlich schmausete. Geschah dieß vielleicht aus einer Art von Andacht? »Ich kann mich nicht rühmen, (gestand sie später,) daß ich es bloß um Gottes willen gethan habe, sondern ich wollte geachtet seyn. Die Begierde, mir einen Namen zu machen, war meine herrschende Leidenschaft, und Niemand hat vielleicht die Sache so weit getrieben. Dieser Stolz bewog mich, mir tausend Martern anzuthun, indem ich mir allerlei Zwang auflegte; und vielleicht hat mich Gott zur Strafe so hoch erhoben, und im Zorne zu mir gesagt: du willst Ruhm und Ehre haben; nun wohlan! du sollst sie haben, bis sie dich zu Boden drücken!«

4 Er hatte, aus Gefälligkeit gegen Frau von Maintenon, eine Schrift über die damaligen Zeitumstände aufgesetzt. Diese kam dem Könige in die Hände, der sein Mißvergnügen darüber bezeigte. »Glaubt er, sagte der König, weil er gute Verse macht, daß er alles kann? und will er gar Minister seyn, weil er ein großer Poet ist?« Racine, der sehr empfindlich war, grämte sich darüber so sehr, daß sein Tod dadurch beschleuniget wurde.

5 Ein bekannter Seil- und Draht-Tänzer.

6 Er mußte anfangs die niedern Rollen im Schauspiele übernehmen, weil der Principal die Hauptrolle jedesmal für sich behielt. Garrik wußte sich darin zu finden, und war Garrik; jener, Principal und Stümper.

[29] An Exter, in Zweibrücken

Im Mai 1772.


Wenn ich sah, wie bis zur Erde
Sich ein Schmeichler oft vor Schurken bückt,
Wie mit freundlicher Geberde,
Arglist ihre Worte schmückt;
Wie die Dummheit mit dem großen Bauche,
Dem Verstande grob befiehlt;
Wie der Reichthum an dem vollen Schlauche,
Keines Armen heiße Zunge kühlt;
Und der Stolz mit dem Verdienste, schier
Wie mit seinem Ordensbande, spielt:
O wie vielmal dann in mir
Der vergebne Wunsch erwachte:
[30]
Wäre doch mein Exter hier,
Daß er mit mir seufzte, oder lachte!
Wenn ich in des Harzes Eichenhainen,
Ganz allein umher nach Kräutern lief,
Felsenberg' erstieg, und da mit Weinen
In mein Herz die Stille rief,
Plötzlich aber auf der Spitze,
Ueber einer Landschaft stand,
Die ich sonst im reichen Witze
Ariosts, nur möglich fand;
Wenn ich dann mich auf dem Rasensitze,
Wie aus einem Traum erwachend, wand;
Ach, was ist mir, rief ich, alles nütze?
Drückt mir Exter wohl die Hand?
Und nun seh' ich bald dich wieder?
Und nun wirst du wieder mein?
Sagt' ich's nicht: Sein Herz ist bieder,
Und er läßt dich nicht allein? –
Komm denn an die naßgeweinten Wangen,
[31]
An die Brust, die vor Verlangen
Hoch dir schon entgegenschwillt,
In die Arme, welk von Kummer,
An das Herz, dem selbst der Schlummer,
Nachts, die Seufzer nicht mehr stillt.
Aber neunmal hat nun Philomele
In dem wälderreichen Harz geklagt,
Seit nach dir, du Hälfte meiner Seele!
Schon ein Wunsch den andern jagt.
Werd' ich dir auch noch wie sonst gefallen?
O! was ändert nur ein Jahr!
Und verändert hab' ich mich in allen;
Doch mein Herz ist wie es war.
Zwar ich kannte all' die schönen Risse
Zu Gebäuden hohen Erdenglücks;
Aber, aber! Tausend Hindernisse
Fand ich in dem Willen des Geschicks,
Einen Pallast mir darnach zu bauen:
Darum baut' ich nur ein Hüttchen mir,
[32]
Und in diesem sollst du dich beschauen.
Doch du findest freilich hier
So viel Still' und Anmuth nicht,
Als uns in den Schäferhütten,
Geßner süß genug verspricht;
Vom Erhabnen der Palläste,
Wie zum Beispiel Seneca,
Nur im Grunde nicht recht feste,
Bauen lehrt, ist auch nichts da.
Dennoch möcht' ich, trotz dem Weisen
Und dem Dichter! dir beinah
Meine simple Bauart preisen,
Denn die Welt kannst du durchreisen,
Und du wirst, genau besehn,
Auf des Römers stolzen Höhn,
In des Schweizers stillen Gründen,
Weder den Pallast so schön,
Noch so still die Hütte finden.
[33]
Wie ich hier in meiner Hütte,
Leb' und denke? – – – O heraus,
Liebes Herz, heraus! und schütte
Dich in seinen Busen aus!
Nicht dem Dünkel unterthan,
Such' ich, ferne von dem Wahn',
Daß das Glück im Range liege,
Rang nur in der Geisterwelt.
Hier erwirbt Verdienst die Siege,
Nicht des Schmeichlers feine Lüge,
Nicht das sonst allmächt'ge Geld.
Nicht dem Gaumen unterthan,
Blick' ich, ferne von dem Wahn',
Daß das Glück im Aufwand' liege,
Froher, als ein Großsultan
Seiner Schüsseln ganze Züge,
Mein bescheidnes Näpschen an,
Denn daran hab' ich zur Gnüge.
Dir, o Gold! nicht unterthan,
[34]
Gib dich, wem du willst, betrüge
Weise selbst durch eitlen Wahn;
Ich, wenn ich mich nur vergnüge,
Ziehe jeden Freund dir vor;
Denn vor deinem Schimmer, schmiege
Sich der Bettler und der Thor.
Kurz und gut, ich folge froh
Meinem Lehrer Salomo.
Brauche, sagt er, deines Lebens,
Mit dem Weibe, das du liebst!
Wenn du sorgst, und dich betrübst,
Grämst du dich, und sorgst vergebens.
Eitel ist dieß Schattenleben,
Eitel, aber dennoch gut!
Brich denn, ohne Thränenfluth,
Was dir Gott an Brod gegeben,
Leer dazu mit frohem Muth',
Deinen kleinen Becher Wein,
Und auch dieß wird eitel seyn:
[35]
Aber, was ist mehr hienieden
Dir zu deinem Theil' beschieden?
Diese Weisheit auszuüben,
Dürfen wir die Tugend nur
Feurig, wie uns beide, lieben;
Und der Vater der Natur
Wird uns, wahrlich! nie betrüben.
Alles, was wir von ihm flehen,
Sey, mein Lieber, dieses nur:
Wie die Sonn' auf meine Flur,
So auf uns herab zu sehen.
Wie bei Frühlings-Sonnenschein
Ein Paar Tauben auf dem Dache,
Und das Reh im jungen Hain',
Und der Schmerl im warmen Bache,
Wollen wir der Welt uns freun.
Jede Grille zu vertreiben,
Das sey unsre Sorg' allein;
Gott ist Vater, darum bleiben
[36]
Alle andre Sorgen sein.
Wenig, wenig laß uns hoffen,
Fürchten – nichts! denn dessen Ohr,
Der der Tugend Hülfe schwor,
Steht für unsre Seufzer offen.
Eitle Wünsche sollen nie
Unser stilles Herz verführen;
Laß der Thoren Phantasie
Sich den Augenblick verzieren,
Der noch kommen soll; Genuß
Ist das wenig, denn er muß
Den, der da ist, erst verlieren.
Fliehen laß uns vor der Pracht,
Weil sie gute Sinne schnell verwöhnet,
Und das beste Herz so launisch macht,
Daß es immer sich nach Wechsel sehnet.
Nicht im Golde von dem Gallakleide,
In dem Herzen sitzt der wahre Ruhm,
Und der Wiederschein der Freude
[37]
Ist des Pöbels Augenweide,
Doch die Freude selbst, ein Eigenthum
Von zufriednen Seelen, wie wir beide.
Dem Bedauren und dem Neide
Sind wir keine Losung zum Gespräch';
Ungesehen, schleichen wir den Weg
Unsers Lebens, bis zum Grab' herab;
Keinen Schritt breit weich' er ab,
Weder zu der Hütte, wo der Mangel
Sitzet, und sein Daseyn haßt,
Noch zum lärmenden Pallast',
Wo der Ueberfluß den goldnen Angel
In das Meer der Freude hängt,
Aber nichts als Ekel fängt.
Welch ein Leben, Freund! Allein
Werden wir nicht Sonderlinge
Bei der Welt der Mode seyn?
Tanze! ruft sie, tanz' und springe
Mit in unsern bunten Reihn,
[38]
Oder bleib' für dich allein! –
Das ist billig! Aber, wagen
Möcht' ich's nicht sogleich mit ihr.
Laß uns erst die Weisheit fragen:
Sagt sie ja! so tanzen wir,
Sagt sie nein! so wird uns zwar
Spott der Welt ins Dunkle jagen,
Aber dieser wird, fürwahr!
Besser, als ihr Lob, behagen.
Leere Köpfe, leere Herzen,
Wissen nicht vergnügt zu seyn,
Wenn nicht bei dem Glanz' von hundert Kerzen,
Beim Gewühl' von zwanzig Liverein,
Und dem süßen Dampf' von fremden Giften,
Und dem Sprudeln von Champagner-Wein,
Und dem Juchhei! in erschrocknen Lüften,
Dreißig Stimmen durch einander schrein.
Sie berechnen das Vergnügen
Nach des Aufwands Summe nur;
[39]
Alle Reitze der Natur
Lassen sie verächtlich liegen.
Heißt das, nach dem Epicur,
In der Freude sich berauschen?
Thoren! wüßtet ihr doch nur,
Daß er schier die stillste Flur
Würd' um euren Lärm vertauschen.
Führt das Ohngefähr uns hin,
Wo die dumme, plumpe Freude,
Mit dem Wanst', nicht mit dem Munde, lacht,
Und im steifen Sonntagskleide
Uns die Etiquette zehn Bescheide
Ueber Eines Tages Wetter macht:
Dann so wird die Langeweile
Uns erinnern, still davon zu ziehn,
Um dem giftbestrichnen Pfeile
Des Verdrusses zu entfliehn.
Zehnmal räumlicher wird dann
Unser Stübchen dir bedünken,
[40]
Wo vor Zischen, Fragen, Winken,
Ohr und Auge ruhen kann.
Silberner wird mein Klavier,
Wenn ich dann es spiele, klingen,
Und von selber wirst du mir
Hillers süße Lieder singen,
Oder mich durch Küsse dingen,
Zu den süßen Träumerein,
Plato meinen Mund zu leihn.
Wie wird dann der große Seher
Unsre Wangen immer höher
Mit der Tugend Purpur schminken,
Bis, verloren in der Welt
Seiner Schöpfung, mir die Stimm' entfällt,
Dir im Auge Zähren blinken,
Jetzt wir Blicke wechseln, jetzt
Leise Seufzer, und zuletzt
In die Arm' einander sinken.
[41]
Edler Catt! 1 so glücklich dich
Viele tausend Brennen preisen,
Wenn du deinem Friederich
Einschenkst aus dem Quell' der Weisen,
Bis die Königs-Sorgen sich
Aus dem Labequell' berauschen,
Möcht' ich doch mit dir nicht tauschen!
Wird die Kraft des Denkens überspannt:
Weg mit Weisheit! bis gelinde Freude
Wiederum den Geist ermannt.
Komm! begleit' an meiner Hand
Mich nach meiner Lieblingsheide,
Wo noch in so mancher Weide
Dein bekrönter Name steht.
Dort, wo um die Königseiche
Sich die kleine Limbach 2 dreht,
[42]
Hab' ich oft am stillen Teiche
Stundenlang für mich gesessen,
Und der ganzen Welt vergessen,
Weil sie sich in dir verlor!
Wollt' ein Strahl der Hoffnung mich erfreun,
Daß du Mein noch würdest seyn:
O! wie kam ich mir so klein,
Aber itzt, wie groß nicht, vor!
Alle Stunden dieser Pein,
Exter, wirst du nun vergüten;
Veilchen, die sonst ungesehn,
Vor den Füßen mir verblühten,
Sind dafür nun doppelt schön,
Denn zuerst werd' ich sie sehn,
Deiner Hand sie anzubieten.
Selbst die Abend-Threnodien
Meiner Nachtigall empfand ich kaum;
Doch, wohin wird sie die Phantasien,
Freund! durch ihre Töne ziehen,
[43]
Wenn wir unter ihrem Baum'
Nach des Mondes Aufgang' blicken?
O wir werden selbst im Traum'
Nachts, uns noch die Hände drücken!
Immer sey uns die Natur,
Was ein Zierotin 3 dem König' wäre,
Wenn nicht Friederich, zur Ehre
Seines Throns, die Havel-Flur,
Für des Hofes Pomp, erköre.
Dank dir, Schöpfer dieses All!
Daß ich für den Mond ein Auge habe,
Und ein Ohr für deine Nachtigall!
Dank auch dir, mein Vater! noch im Grabe,
Daß du mich als Jüngling, nicht
Weg vom Glanz' in Mondes Angesicht,
Auf den Glanz des Goldes sehen hießest;
Von der Nachtigall Gesang
[44]
Nicht hinweg, und auf den Klang
Feiner Gulden horchen ließest.
Was ein Stockpferd für das Kind,
Der Geliebten erstes Danken
Einem Jüngling', frischer Wind
Für den Schiffer, Schlaf dem Kranken,
Einem Stutzer die Frisur,
Und ein Pfand dem Wuchrer ist;
Alles das, und mehr noch, bist
Du allein mir, o Natur!
Wen du liebest, dessen Thüren
Oeffnet niemals Sorg' und Harm;
Doch, den Hang zu dir verlieren,
Das macht mürrisch, und macht arm.
Frostig würde meine Liebe,
Und mein Witz verzehrend seyn,
Ja, von zwanzig Freunden bliebe
Wohl zuletzt nicht Einer mein.
Traurig würd' ich spät und früh
[45]
Mich mit der Hypochondrie
Und der hagern Ruhmsucht quälen;
Oder lernt' – ich steh' für nichts! –
Nach der Schwere des Gewichts
Ihrer Thaler, meine Tage zählen,
Und – wie jener Geitzhals sich
Um sein eignes Geld – auch mich
Um mein eignes Glück bestehlen.
Treu, Natur! verbleib' ich dir,
Bis ich deiner schönen Erde
Lebe wohl! einst sagen, und mit ihr
Eine schönre tauschen werde.
Aber, wenn des Waldes Farben schwinden,
Wenn in unsern nackten Gründen
Nur die Krähe noch verweilt,
Wenn auf schneebedecktem Thurme,
Um die Wette mit dem Sturme,
Jede Wetterfahne heult:
Dann mag Ball und Maskerade,
[46]
(Unserm Neide viel zu klein!)
Immerhin die Welt erfreun.
Ihre Freude macht Parade,
Aber, wahrlich! es ist Schade,
Ihre Freud' ist nur ein Schein.
Unser Ball und Maskerade
Soll ein trautes Kränzchen seyn.
An dem knisternden Kamine,
Schwatzt der Freundschaft Tändelei
Froher uns die Nacht herbei,
Als dem Hofmann' vor der Opern-Bühne
Mara's Zauber-Melodei.
Ob der Türke neue Flotten baue,
Daß der Russe sie verbrennen kann?
Ob der große Tartarchan
Menschen, wie die Disteln, niederhaue?
Und der Pohle dann und wann
Nach gerade sich im Kopfe kraue?
Immerhin! Wen ficht es an?
[47]
Wollen sich die Herren streiten,
Frost und Durst entgegen ziehn,
Wenn wir an dem wärmenden Kamin',
Kriege führen, Küsse zu erbeuten,
Und von Witz und Punsche glühn:
Ei! so gönnen wir den armen Leuten
Das Vergnügen, sich um Kleinigkeiten
Wie ein Don Quixott zu mühn.
Aber, sich für sie zu int'ressiren,
Wer gewinnen, wer verlieren,
Wer betrügen, wer betrogen wird?
Dadurch werd' in unserm Kreise,
(Hier neutral zu seyn, ist weise!)
Nie ein Biedermann geirrt.
Ob mein Nachbar, Herr Arlander,
Traun! ein zweiter Alexander
Sich vor seiner Rotte 4 dünke?
[48]
Ob die Nachbarin Annette,
Heimlich an der Toilette
Sich für ihren Lubin schminke,
Und der gute, fromme Mann,
Seines Weibchens lose Winke
Nach dem schlauen Cicisbeen,
Nicht bemerken, nicht verstehen,
Oder nicht verhindern kann?
Immerhin! Wen ficht es an?
Zornig über sie zu werden,
Das verlohnt sich nicht der Müh';
Sie sind Bürger unsrer Erden,
Und als solch' ertrag ich sie.
Sind sie Thoren? Sie sind's ihnen;
Sind wir weise? sind wir's uns.
Wird mein Tadel einen Duns
Mit der Weisheit wohl versühnen?
Aber leisen, feinen Spott,
[49]
Wie sich Freund' einander sagen,
Wenn des Einen Steckenpferd, im Trott',
Die Vernunft will überjagen,
Wollen wir bei jedem Don Quixott,
Unserm Herzen ohnbeschadet, wagen.
Wucherer und Müßiggänger
Machen unsern Kreis nicht enger;
Hat die Freundschaft Platz für sie?
Sey die alte Melodie,
Ueber schlechte Zeit zu klagen 5,
Ihrem Ohre Harmonie,
Unserm kann es nicht behagen.
O! wie haß' ich den Gesang!
Einem Armen Brod zu brechen,
Das ist mehr, als Tage lang
Von der Hungersnoth des Landes sprechen.
Aber, dringt zu meinem Ohr'
[50]
Das Gewinsel eines Armen,
Blickt sein Auge, um Erbarmen,
Thränenvoll nach mir empor:
Sollt' ich dann das Mitleid, Freund!
Bei der Schale Punsch versingen?
Und indeß daß jener weint,
Mich zum Scherz', zum Lachen zwingen?
Wenn die Menschheit in mir spricht,
O wie leise will ich hören!
Keine Lieb' und kein Gedicht,
Ja, selbst du sollst mich nicht stören.
Suchen will ich, ob ich nicht
Irgendwo kann Balsam finden,
Meines Freundes Wunde zu verbinden,
Denn das wäre süß, auch ohne Pflicht.
Aber ist bei großem Willen,
Seine Schmerzen ihm zu stillen,
Mein Vermögen, ach! zu klein:
Soll ich mit Matronen und mit Kindern
[51]
Dann noch weinen, schluchzen, schrein?
Wird dann das die Schmerzen lindern?
Sage, welche Sittenlehre
Machte das zu einer Pflicht?
Macht es ihrem Herzen Ehre?
Wohl! doch ihrer Klugheit nicht!
Wenn ein Strom vom Berge schießet,
Schadenhungrig wie ein Feind
Ueber fremde Saat sich gießet,
Dann so mag ein Menschenfreund
Drohend ihm die Rechte zeigen,
Und gebieten: Bleib zurück!
Ich, ich will zum mächtigern Geschick'
Leise seufzen, und will – schweigen.
Wenn in meinem Hirtenzelt'
Mich ein Unglück überfällt,
Jeden Ausgang mir darin
Sperret; halt' ich als ein Held
Ihm den blosen Busen hin.
[52]
Stößt es seinen Dolch hinein:
Nun! wie konnt' ich denn es hindern?
Kaltsinn wird der Wunde Pein
Schneller noch, als Weinen, lindern.
Der Franzose mag Melancholie
Durch die Becher weg philosophiren,
Und der stolze Britte sie
Hurtig durch den Strick kuriren;
Ich, ich brauche so viel Müh'
Um so was nicht zu verlieren.
Ein Paar Seufzer, ein Paar Lieder,
Das ist mein Recept dawider:
Eingenommen! – weg ist sie!
Tanzt ein Schwarm von schwarzen Grillen,
Exter, deinen Schritten nach;
Ueberlaß es mir, gemach
Euren kleinen Zwist zu stillen.
Ich gebrauche nicht Gewalt,
So vergeblich, wie der Ritter
[53]
Von der traurigen Gestalt;
Denn mein Wein, und meiner Zitter
Melodie, zerstreut ihn bald.
Doch, zum Glück! ist diese Zeit,
Mit den Grillen uns zu streiten,
Nur ein Fall der Möglichkeit;
Da, wo sich die Tugend freut,
Sieht man sie gewöhnlich nur von weiten.
Fliehet denn, ihr Wuchrer, flieht!
Hebt euch weg, ihr Müßiggänger!
Macht uns nicht die Brust durch Klagen enger,
Und mit Eurer Weisheit zieht
Auf ein Billard, wo mit offnem Munde
Langeweil' Euch Beifall gähnt,
Und die Einfalt, ihre Stunde
Klug verlebt zu haben, wähnt.
Aber komm Musik! durch deine Töne
Lock' uns Uzischen Gesang herbei!
Komm du Scherz und Lachen! und verhöhne
[54]
Thorheit, Spleen und Heuchelei.
Komm o Fröhlichkeit! und fülle
Unsre Gläser an nach altem Brauch',
Denn der Weise findet, auch
Selbst wo du bist, noch die Stille.
Führt die Tugend nicht die Freude
An der Hand zu ihm hinein?
Haben, Freund, wir diese beide
Nur zu Gaste, wird der Wein
Vom Johannisbeeren-Strauche
Meines Gartens süßer seyn,
Als vom Alicanten-Schlauche,
Der den Wanst des Abtes füllt.
Wenn denn auch das Glück uns trillt,
Und uns tausend Freuden fehlen:
Was aus unserm Herzen quillt,
(Und was könnten wir verhehlen?)
Jedes neu gefundne Bild,
Das die Phantasie des Einen zeichnet,
[55]
Und des Andern auszumalen eilt;
Ist ja Freud', und wird getheilt!
Sieh nun noch einmal mein Hüttchen an!
Hast du Lust, mein lieber Mann,
Mit dem Frühling' einzuziehn?
Aber fern sey diese Bitte,
Wenn nicht dir auch meine Hütte
Hell, bequem und feste schien.
Freilich hat sie hundert Mängel;
Sie liegt einsam und ist klein.
Aber, kehrten sonst die Engel
Nicht in solchen Hütten ein?

Fußnoten

1 Vorleser des Königs von Preußen.

2 Ein Bach in einer romantischen Gegend bei Ellrich.

3 Damals Maître des Spectacles am Preußischen Hofe.

4 Ein Zug Soldaten.

5 Das gewöhnlichste Gespräch im Jahre 1772.

[56] An Goldhagen

Den 31. Dezember 1772.


Tausend von den besten Stunden
Dieses Jahres, dank' ich dir!
Um mein Leben hast du mir
Einen Myrtenkranz gewunden,
Seit in dieser Wüste hier,
Ich das höchste Glück, in dir
Einen weisen Freund gefunden;
Seit nicht mehr die kranke Ruhmbegier
Ueber Staub und Motten wacht,
Seit ich klüger, manche halbe Nacht,
Mit Sophien und mit dir,
Weggescherzt und weggelacht.
[57]
Niemals sah ich in den letzten Stunden
Eines Jahres, mit so heiterm Blick'
In ein Jahr, das bald verschwunden,
Aber nicht verloren ist, zurück.
Zwar verweilet sich am Grabe
Meines Benjamin 1 – der gute Mann!
Weh'! daß ich ihn nicht mehr habe!
Wohl! daß ich ihn wieder finden kann!
Und ich werd' ihn wieder finden,
Wenn ich meine Spanne Raum
Durchgekrochen bin, und dieser Traum
In dem Arm' der Engel wird verschwinden.
Noch, da ich im Traume bin,
Freut mich's, wenn er mich entzückt;
Weislich seh' ich selbst dahin,
Daß der schwere Alp der Sorgen
Mein zufriednes Herz nicht drückt,
[58]
Und mein Auge, jeden Morgen,
Heiter nach dem Himmel blickt.
Ob die Großen in Berlin
Von mir hören? an mich denken?
Sollte das mich heimlich kränken,
Und die Stirn in Falten ziehn?
Zu versorgen hab' ich keinen,
Als nur mich, nur mich allein;
Und du weist ja, diesem Einen
Ist sein Häuschen nie zu klein,
Nie sein Tuch zu grob gewebet,
Nie zu leicht sein Frankenwein;
Gut genug mag alles seyn,
Wenn man ohne Sorgen lebet.
Auszufüllen meine kleine Sphäre,
Das sey meine Sorge; damit gut;
Und ein Unverschämter störe
Meinethalb mit Bettelei um Ehre,
Oder Gold, den Mann, der niemals ruht!
[59]
Mag man Andrer Renten mehren,
Schränke selbst die Meinen ein:
Meinen Schlaf soll das nicht stören,
Nicht vergällen meinen Wein.
Und was soll mir Geld? So Viele
Haben dreimal mehr, als ich;
Rennen nach der Freude Ziele
Täglich außer Athem sich;
Ich geh' auch den Weg im Spiele,
Und der Erst' am Ziel' – bin ich!
Ob der reichsten Schöne Hand
Des Verschwenders List sich weihet,
Ob ein Mädchen voll Verstand
Einem Narren Weihrauch streuet,
Und ein dummes, Weis' entzweiet,
Und ein schönes, unbedacht,
Einem Faune sich ergibt,
Alles das, mein Lieber, macht
Mich nicht fröhlich, nicht betrübt.
[60]
Mag die Freundschaft nur mein Herz
Immer mehr an sich gewöhnen!
Liebe, mit Petrarca's Sehnen,
Ist ein gar zu langer Schmerz,
Liebe zu Horazens Schönen,
Ist ein gar zu kurzer Scherz.
Laß die Thoren, die zu Wagen,
So wie die zu Roß und Fuß,
Böses oder Gutes sagen;
Kann ihr schönstes Lob behagen?
Es ist einer Metze Gruß,
Und ihr Tadel zu ertragen.
Wahrlich, hab' ich auch nicht Zeit,
Mich mit ihnen abzugeben;
Der verschwendet nur das Leben,
Wer der Weisheit alten Streit
Mit der Unvernunft erneut.
Freund! dir ist der Rest der Zeit,
Die ich hab', im neuen Jahre,
[61]
Wenn du sonst ihn willst, geweiht?
Ach! erspare denn, erspare
Was du kannst, von deiner Zeit!
Tausche, wie in diesem Jahre,
Mit mir um; hast freilich nicht
Dir das beste Loos gezogen,
Doch beim Tausch' wird, wie man spricht,
Einer allemal betrogen.
Hast du doch aus deinen Schätzen
Lange, lange zuzusetzen;
Nimm es so genau denn nicht.

Fußnoten

1 Der Dichter Johann Benjamin Michaelis, starb den 30. September 1772 zu Halberstadt.

[62] An die Frau Kammerräthin Holzmann

Gröningen 1, den 13. Juni 1773.


In einem Städtchen, das vor Jahren
Noch eines Bischofs Huld genoß,
Der, weil er da zu ganzen Schaaren
Die Hirsche und die Keuler schoß,
Der großen Hirsch' und Keuler wegen,
Zuletzt aus Gnaden gar beschloß,
Die Hofstadt selbst hierher zu legen,
Und so denn Stadt und Land verband,
Ein mächtig Schloß ihm aufzuführen,
[63]
Worin er über sie regieren,
Das heißt, wie bald nachher sich fand,
Der guten Narren halbe Rente
Fein gnädiglich verzehren könnte;
Der, als das Schloß nun fertig war,
Die armen Hörnerträger gar
Zwang, einen langen Gang zu bauen,
Durch welchen mit Bequemlichkeit,
Ihn, ungesehn, zu jeder Zeit,
So gut die Mädchen als die Frauen,
(Zumal des Müllers schönes Weib,)
Besuchen könnten, Seel' und Leib
Bei ihrem Hirten zu erbauen 2;
[64]
Der, als auch fertig war der Gang,
Die Tonnenbinder-Gilde zwang,
(Und unter allen, im Vertrauen!
Verzeih' ich ihm am ersten das!)
Ein ungeheures großes Faß
Für Seine Heiligkeit zu bauen 3;
Und somit wurde stracklichst auch
Ein halber Eichwald umgehauen,
Damit das Faß mit Bischofs Bauch
Und Bischofs Durst nach altem Wein',
Verhältnißmäßig möchte seyn;
Woraus sich Ihro Heiligkeiten
Mit dummer Laien hübschen Bräuten
Recht gütlich thaten, bis ihn so,
Wie einst den König Salomo,
[65]
Die Narrenpossen auch gereuten,
Daher er aus Gewissensdrang
Die Männer seiner Weiber zwang,
Ihm eine Kirche zu bereiten,
Um da durch Predigt und Gesang,
So Lieb' als Wein, die Eitelkeiten!
Als neuer Heil'ger, zu bestreiten.
In diesem Städtchen, das zur Gnüge
In vierzig Versen mich gequält,
Von dem, wenn ja noch etwas fehlt,
Herr Peter Leukfeld 4 manche Lüge,
Und manche Wahrheit mehr erzählt:
Da sitz' ich jetzt in einem Hause,
Vom Urgroßvater noch erbaut,
Das, wie die Schweizer Berg-Carthause 5,
Mit Gänsestoppeln schon die Haut
[66]
Dem überzieht, der es beschaut,
So gothisch, und so öd' und grause,
Daß mir vor meinem eignen Laut'
Darin am hellen Tage graut;
Da sitz' ich jetzt in einem Zimmer,
(Zur Reitbahn' wär' es herrlich groß!)
Worin dein Freund am Silberschimmer
Des Mondes, sich als Säugling immer
Gefreut auf seiner Mutter Schooß;
Da sitz' ich jetzt in einem Stuhle,
Worin mein Eltervater schon
Betstunde, Mittagsruh' und Schule
Gehalten hat, und ich, zum Lohn'
Für meine Faulheit, leider schon
Die zweite neue Federspule
Zernag', um ausgereimt zu haben,
Eh' heute noch der Postillon
Von Magdeburg hieher wird traben;
Doch horch! fürwahr da bläßt er schon!
[67]
Zwar weißt du endlich, wo ich bin.
Doch heißt das nicht, die Neugier mehren?
Was liegt am Ort'? Wie ich darin
Gelebt? das willst du lieber hören! –
Nun, Schwager, reit' denn immerhin!
Hier, wo mich nun seit ehegestern
Ein Zirkel drei geliebter Schwestern
Auf meinem großen Stuhl' umgibt,
Die sich nicht selten gar entzweien,
Wer unter ihnen allen dreien,
Am zärtlichsten den Bruder liebt;
Hier sitz' ich, Freundin, und erzähle
Von dir und deinem lieben Mann',
Bis ich vor Heiserkeit der Kehle
Kaum noch verständlich reden kann.
Ja! tränk' ich selbst das Rheinweinhaus
Des Bischofs, sie zu netzen, aus,
So gingen doch, nach deinem Mann'
Und dir, die Fragen wieder an.
[68]
Doch wenn ich auch von selbst nicht schon
So herzlich gern von Euch erzählte,
Ich hielte dennoch sanften Ton,
So sehr mich auch ihr Bitten quälte.
Denn, nimm dieß aus, so haben sie
Nur immer ihres Bruders Willen;
Nie ist's zu spät, und nie zu früh,
Um meiner raschen Phantasie
Den sonderbarsten Wunsch zu stillen.
Bald schlendern wir in Morgentracht
In eines Erlenbusches Nacht;
Ein Feuer, von uns angefacht,
Kocht uns, aus der Levante Bohnen,
Den Trank, der lüsternen Matronen
Im Hessischen 6, itzt manche Nacht
Vor lauter Seufzern, schlaflos macht.
[69]
Bald, um des Herzens Fibern alle
Zur Freud' heranzuziehen, rauscht
Gleich einem raschen Wasserfalle,
Christinens Finger durch die Saiten
Der Harfe, daß dem Ton' von weiten
Die Nachtigall verwundernd lauscht,
Und, um die Harfe zu begleiten,
Ihr Nest mit unserm Baum' vertauscht,
Nicht mehr in Trauerliedern wimmert,
Und, wie wir Menschen, unbekümmert,
Sich in der Freude mit berauscht.
So opfr' ich hier, von Morgens früh
Bis in die späte Mitternacht,
Der reitzenden Philosophie,
Die einen Nord zum Zephir macht,
Zum wenigsten aus kalt nur kühle;
Doch freilich nehm' ich mich in Acht,
Daß ich, vom Hof- und Stadt-Gewühle
Nicht irr' in meinem Text' gemacht,
[70]
Stets meine Roll' im Stillen spiele.
Beneid' ich einen andern Stand:
So werde schier durch meine Lieder
Der Kenner Pfeife angebrannt;
So falle selbst mir niemals wieder
Zur Auslösung, ein Busenband
Von deinem Mühmchen, in die Hand;
So werde Holzmanns glatte Stirne
Mit Runzeln von mir weggewandt,
Und du, du fromme Seele, zürne
Und mach' ein Kreuz mit deiner Hand,
So oft du einen Namen nennest,
Den, seit du dieses Herz hier kennest,
Du ohne Lächeln nie genannt.

Fußnoten

1 Ein Städtchen bei Halberstadt, worin der BischofHeinrich Julius im sechzehnten Jahrhundert ein großes Schloß erbauen ließ.

2 Dieser Gang, der aus dem ehemaligen Schlafzimmer des Bischofs, in die Mühle geht, steht noch jetzt. Jeder Einwohner in Gröningen weiß durch die Tradition, daß er zu dem angezeigten Zwecke angelegt worden, und das Andenken der schönen Müllerin ist noch nicht erloschen. In einem Zimmer des Schlosses sieht man auch noch die Geweihe der Sechszehn- und Zwanzig-Ender, die der Bischof in dortiger Gegend erlegt hat.

3 Dieses Faß schenkte König Friederich II. dem Domdechanten, Freiherrn v. Spiegel zu Halberstadt, der es nach den Spiegelbergen bei Halberstadt bringen, und in einem dazu erbauten Keller wieder zusammensetzen ließ.

4 Er hat antiquitates groeningenses geschrieben; eine Chronik vom gewöhnlichen Schlage.

5 S. Blainville's Reisen, 1. B.

6 Der Gebrauch des Kaffee war gerade damals den niedern Ständen im Hessen-Casselschen untersagt worden.

[71] An Tertullia

Den 17. Februar 1773.


Wann schoß ich gierig mit den Blicken
Umher im Kreis' der Mädchen? Sprich!
Wer sah, mit Zofen-Sorgfalt, mich,
Den Schönen zu gefallen, schmücken?
Wer lachte tanzender Statuen,
Im Mai des Lebens, so wie ich?
Wer ließ so unversengt um sich
Der Schönheit Funken sprühen?
Wer focht im Kampfe ritterlich,
Als Schüler Rabners, mit den Schwänken
Verbuhlter Herrn, und seinen Ränken
Verliebter Mädchen, so wie ich?
Wo ward ein Vater meine Wache
[72]
Beim Scherzen mit der Tochter? Wo?
Lebt' ich nicht unter einem Dache
Mit schönen Mädchen frei und froh?
Sah nicht die Stadt in den Alleen,
Mit ihren Töchtern, hin und her
Mich oft bei Mondenscheine gehen?
Wer aber wagte Tadel? Wer?
So war ich, als das Ohngefähr
Zu dir, Tertullia, mich brachte!
Weist du, Vergessene, nicht mehr,
Wie scharf ich da mich selbst bewachte?
Ich war ein Spiel von meinen Sinnen,
Denn ach! mein höchster Wunsch warst du!
Was that ich nun, dich zu gewinnen?
Ging ich frisirt en Cacadour,
Statt meiner einen schwarzen Locke?
Ging ich nicht mehr im schlichten Rocke,
Mein Heinrich nicht mehr im Sürtout?
Besprengt' ich mich mit Eaue d Lüce?
[73]
Macht' ich durch Doppelsinn dich roth?
Bepackt' ich mich mit Zuckerbrod?
Ward ich ein Sklave der Caprice?
Band ich dich an mit Modetand?
Bewacht' ich neidisch deine Schwelle?
Warst du die Losung für die Bälle?
Und drückt' ich dir im Tanz' die Hand?
Bestach ich dich mit Schmeicheleien?
Mit Zucker deinen Lieblingshund?
Mit Golde deiner Zofe Mund,
Mein Lob dir stündlich vorzuschreien?
O! sey gerecht, Tertullia!
Bekenne, daß ich selbst durch Lieder
Mich nicht verrieth. Ich stand und sah
Nur immer still zur Erde nieder;
Denn, o mein Geist! wo warst du da?
Zu stolz, um immer unerhört,
(Dich liebten Hundert; du, nicht Einen!)
Um dich zu seufzen und zu weinen,
[74]
Hätt' ich gewiß in dunkeln Hainen
Mich und den Kummer aufgezehrt.
Durch Herz und Geist dich zu gewinnen,
Wär's etwa beides deiner werth:
Das war mein Wunsch! Sieg über Sinnen
Hat nie mein Herz und Geist begehrt.
Erst da, als sich der Wehmuth Zähre
Hervor aus deinem Auge wand,
Und dein Erröthen mir gestand,
Daß sie für mich gefallen wäre;
Erst da berührt' ich deine Hand!
Zerbrechen wollte mir, zerbrechen
Das Herz; vermochte nicht, zu sprechen,
Zu stammeln nur, was ich empfand.
Nicht du, nicht ich, keins wollt' es wagen,
Die Augenlieder aufzuschlagen,
Denn Thränen standen um den Rand;
Und immer kürzer, immer enger,
Ward uns der Athem und die Brust. –
[75]
Ha! Welche Scene! Welcher Sänger
Hat das zu singen je gewußt?
Du warest mein Gedank' am Tage,
Du warest jede Nacht mein Traum;
Zu weit ward mir der engste Raum;
Ich sah den Tag nicht, hörte kaum
Des armen Heinrichs zehnte Frage;
Und unter meiner Laube, lag
Ich ungegessen, ungetrunken,
Den einen wie den andern Tag,
So – wer beschreibt's? – in mich versunken.
Und welche Nächte, welche Nächte
Verschlug mein Herz an deiner Brust!
O willst du rechten? Wohl! so rechte
Mit dem, der in der höchsten Lust
Den Schwur bestanden: deiner Ehre
Nie, nie Eroberer zu seyn!
Ha! Wenn es kein Verdienst auch wäre,
So war die That noch nicht so klein!
[76]
In deiner kleinen Gartenlaube,
In dem Corsett', der Abendhaube,
Und einem seidnen Ueberrock';
Vom Nelken- und vom Rosenstock'
Süß angehauchet, eingesungen
Von tausend Heimchen, fest umschlungen
Von meinem Arm'; von meinem Kuß'
Bis auf der Röhren Mark durchdrungen,
Von meiner Augen mildem Guß'
So überschwemmt, und von dem Toben
Des hohen Busens aufgehoben,
Bei Sternenlicht mit dir allein:
O Tugend, Tugend! Ehre, Ehre!
Was seyd ihr? Waret ihr nicht mein? –
Ha! Wenn es kein Verdienst auch wäre,
So war die That doch nicht so klein!
Doch, laß mich offenherzig seyn!
Klein war die That! denn nicht der Schleier
Von deiner Seele, goß dieß Feuer
[77]
Der Liebe, meinen Adern ein.
Die Seele selbst war mir zu theuer,
Um meinem Schwur' nicht treu zu seyn.
Drei Jahr' bin ich ihm treu geblieben.
Nicht mehr so laut schlägt zwar mein Herz,
Nicht mehr so oft klagt süßen Schmerz
Mein Mund; doch hört' ich auf zu lieben?
Unfähig der Verstellungskunst,
Der allerniedrigsten der Künste,
Verscherzt' ich selbst ja deine Gunst,
Würd' ich gefangen im Gespinnste
Von einer Andern. Schon mein Blick
Verriethe mich, und ach! es bliebe
Nur meine Freundschaft, keine Liebe,
Nach Ninons 1 Beispiel, dir zurück.
[78]
Ach! für sein Herz kann Niemand stehen;
Es treibt mit Weisen selbst sein Spiel!
Wenn ich auch einst von diesen Höhen
Herab, zum Sumpf' der Untreu' fiel:
Mein wäre nagendes Vergehen,
Und dein der Unschuld Ruhe dann.
Ha! wie will diesen Fall, dein Flehen
Verhindern? Ach! er ist geschehen,
Eh' ich ihn selbst verhindern kann.
Noch steh' ich fest auf meiner Stelle;
Noch flüchten muß ich nun von hier!
Denn Jammer! Jammer! Eine Hölle
Von Eifersucht, tobt unter mir!
Sieh! ihre Schwefelflammen lecken
An mir herum von allen Ecken!
[79]
O wenn ihr Raub ich werden muß,
Tertullia! dann wird kein Kuß,
Kein reuevoller Thränenguß,
Mich treuen Todten auferwecken.
Noch ist es Zeit, Tertullia,
Dieß Höllenfeuer auszugießen.
O laß nur andre Thränen fließen,
Als ich seit Monden fließen sah.
Wer so, wie ich dich liebe, liebet,
Wer so für seine Treue wacht:
Womit verdienet der, Verdacht?
Und doch, Tertullia, betrübet
Der deine mich so Tag als Nacht.
Hat mein Verdacht von deinem Leben
Dir auch nur Einen Tag getrübt?
Dir, von Verführern rund umgeben,
Von jedem, der dich sieht, geliebt!
Du hast, mir treu zu seyn, geschworen;
Wohl mir, wenn du es immer bist!
[80]
Wo nicht; o wehe mir! So ist
Die wachste Eifersucht verloren!
Wozu nun ihre Qual und List?
Wozu? da ich so gern doch glaube,
Was einst dein Mund an meinem schwor?
Nein, Eifersucht! ich wär' ein Thor,
Gäb' ich, dir Löwin, mich zum Raube.
Und dennoch, Zweiflerin! bewacht
Dein Falkenauge mich Getreuen?
Kannst, wenn ein Mädchen mit mir lacht,
Mir kaum, dem Mädchen nie, verzeihen?
Was suchst du ängstlich hin und her,
So bald ich nur im Zimmer fehle?
Was wirst du still, wenn ohngefähr
Ich eines Mädchens Lob erzähle?
Und blaß, wenn ich mit Spötterei
Auf die Despoten-Tyrannei
Der eifersücht'gen Liebe schmäle?
[81]
Frei sind die Vögel in den Lüften,
Der Fisch im See, das Wild im Hain':
Und ich, ich sollt' es nur nicht seyn?
O! das heißt langsam mich vergiften!
Auf! wähle dir! das Maß ist voll!
Frei will ich seyn, und dann dich lieben!
Wo nicht; – Ich Thor soll mich betrüben? –
Wo nicht; so leb' auf immer wohl!

Fußnoten

1 Ninon de Lenclos liebte so lange aufrichtig, als sie an ihrem Liebhaber Geschmack fand. Verlor sie diesen, so gestand sie das sehr freimüthig. So sagte sie unter andern einst zu ihrem Liebhaber Gourville, der einige Zeit außer Landes gewesen war: »Mein Herr! es ist mir während Ihrer Abwesenheit ein großes Unglück begegnet; ich habe die vorige Neigung zu Ihnen verloren.« Sie blieb indeß seine Freundin, im engsten Verstande des Worts.

[82] An Dieselbe

Den 6. Juli 1773.


So leb' denn wohl, Tyrannin meiner Tage,
Du Störerin noch nie gestörter Ruh'!
Sieh, ich bin frei! – Wohlan! nun geh' und schlage
Vor deine Brust, und schluchz' und jamm're du!
Und rufe dich bei meinem Namen heiser,
Und tränke dich von deiner Thränen Bach,
Und schicke mir durch alle Thore nach:
Umsonst! Umsonst macht dich Erfahrung weiser.
Ganz hast du mich, ganz, gestern noch besessen,
Hast heute nur dieß Blättchen noch von mir,
Und morgen bist du schon vielleicht vergessen;
Ich aber, leb' in Ewigkeit in dir.
Zwar wird dich bald der Thoren Schwarm umsummen,
[83]
Und um dein Ohr der Tanz der Geigen schwirr'n,
Doch wird auch da dein Herz nicht ganz verstummen,
Und laut genug nach mir, vergebens! girr'n;
Dein Zimmer dich ein schwarzer Kerker dünken,
Und dein Klavier ein nächtlich Wolfsgeheul;
Wirst müde zwar auf Daunenküssen sinken,
Allein der Schlaf ist nicht der Reue Theil.
Erinn're dann auf dem bethränten Bette,
In langer Nacht, der kurzen Nächte dich,
Wo ich die Welt für dich gegeben hätte,
Und du, noch mehr, die Unschuld selbst, für mich.
War ich es nicht, der aus der Liebe Kelche
Dir Honigseim drei Sommer eingeschenkt?
Und gibt es viel verliebter Mädchen, welche
Die Reue nicht mit Wermuth daraus tränkt?
Ich liebte dich um deiner Reitze willen,
Ließ immer sich mein Auge damit füllen,
Doch bat ich dich um nichts, als einen Kuß,
Ich liebte dich um deines Herzens willen,
[84]
Des Herzens, ach! das ich itzt hassen muß!
Denn, hab' ich dich, du gütevolle Seele,
Mit Augen nicht, dem Tiger gleich, gesehn,
Der itzt hervor aus knochenvoller Höhle
Zum Morde springt? Vermochtest du zu stehn
Auf bebendem Gebein'? Und bließ die Wuth
Nicht in den Schaum der leichenblassen Lippen,
Bis brausend, gleich der schweren Regenfluth,
Wenn sich im Sturm' an unsers Harzes Klippen
Die Wolke bricht, du Schwür' und Fluch herab
Auf mich gestürzt? Und was hatt' ich verbrochen?
O schreib' du selbst dereinst es auf mein Grab:
Hier liegt ein Mann, der mir sich ganz ergab,
Und, (doch von nichts!) mit Chloen einst gesprochen!
Ha, wer begreift's? Sprich denn, Tertullia,
Wie kann in der die Wuth des Teufels hausen,
In der die Welt nur einen Engel sah?
Kann, gleich dem Meer', dieselbe Stimme brausen,
Die einem West' im leisen Lispel gleicht,
[85]
Wenn er sich sanft durch eine Harfe schleicht?
Kann ein Gesicht, so wie die Raphaele
Geschaffen für die schöne Unschuldseele
Mariens, auch Gesicht Xantippens seyn?
Geh, Falsche, geh! Die Herzen aller Männer,
Sind, wenn du willst, in allen Städten dein.
Der Weis' ist nur umsonst ein Menschenkenner,
Wenn er dich sieht; ich kenne dich allein!
Fort denn von dir! Hier werf' ich vor die Füße
Die Ketten dir, wie sie die Eifersucht
Geschmiedet hat. Da nimm sie auf, und schließe
Mich noch damit und hindre meine Flucht!
Und lehre den, deß' Freiheit zu erschüttern
Die Fürsten selbst zu arm an Gnade sind,
Vor einem Wink' von deinem Fächer zittern,
Und mache mich bei Mädchen taub und blind!
Du Thörin du! Träumst du, daß wahre Liebe
Die Ketten da, gutwillig tragen kann?
So kennst du nicht den edelstolzen Mann!
[86]
Ich fühl's, daß der ich ewig treu verbliebe,
Die so mich liebt, um das mir zuzutraun:
Doch du? – Leb' wohl! Wenn ich in Staub zerstiebe,
Dann wird mein Grab, ein Weib, das meine Liebe
Zu schätzen weiß, mit Thränen noch bethaun.

[87] An Rink, in Sondershausen

Im September 1774.


Der vielgeliebte Sterne, sprach
Im Shandy kaum von Steckenpferden,
So schwatzt ihm alles schon von Steckenpferden nach;
Wer aber wird davon zum Yorik werden?
Mir deucht, auf's Wörtlein Steckenpferd,
(Man kannt' es schon vor Yoriks Zeiten)
Kommt's wohl nicht an; die Sache anzudeuten,
Gibt's Worte noch von gleichem Werth'.
Indeß behalt' ich's bei; nicht, Sternen nachzuhinken,
Das überlaß' ich gern Horazens Vieh':
Ich liebe die Allegorie,
Und Steckenpferd gibt mir für dießmal sie;
[88]
Sollt's Kritikern schon wieder anders dünken?
Je meinethalb! Sie sind ja Critici!
Komm her, mein lieber Rink, ich reite
Dir alle Steckenpferde vor,
Die ich vom Schüler an, bis heute,
Sehr theuer oft gewann und wohlfeil oft verlor.
Sieh hier den Spott! ein rasches Steckenpferd!
Und doch; wie bald hab' ich's nicht steif geritten!
Denn was nur ohne Geist und Sitten
Zu Fuß geht, reitet oder fährt,
Hab' ich damit als Knabe schon gehetzt.
Itzt halt' ich's nicht der Mühe werth,
Daß man sich oft auf diesen Renner setzt.
Wüßt' ich auch keinen andern Grund,
So wär's an dem genug: Man wird des Jagens müde!
Drum halt' ich itzt mit jedem Hund'
Und jedem Narren gerne Friede.
Wer jenen foppt, den beißt er leicht ins Bein,
[89]
Wer diesen neckt, macht einen Feind sich mehr.
Will Bav ein Thor seyn, mag er's seyn!
Bellt Spitz mich an? Er belle noch so sehr!
Ich suche dennoch keinen Stein!
Auch stand einmal im Marstall' meiner Launen
Ein Steckenpferd, das man die Liebe nennt.
Nicht ein Cosack, der keinen Zügel kennt,
Den reiten nur die wilden Faunen.
Es war ein allerliebstes Thier,
Aus Herrn Petrarca's seel'gen, Stalle;
War fromm und willig, selbst bei mir,
Wie Gotthilf Frankens Wagenpferd' in Halle.
Der sanfte Trab, den dieses gute Ding
Mit seinem Herrn im ersten Ausritt' ging,
War seinem Herrn zwar ganz behäglich;
Doch Schade war's um allen Trab!
Man that die Reise doch nicht ab;
Der Umstand war wahrhaftig kläglich.
In unserm besten Dreischlag' – Halt!
[90]
Da stand auf einmal Pferd und Reiter
Vor einem Schlagbaum'!
»Ach! ich bitte Sie! nicht weiter!
(Rief mir ein Mädchen zu von englischer Gestalt,)
Den Schlüssel hab' ich zwar, doch Ihnen aufzuschließen,
Sie wissen's selbst, verbeut die Tugend mir.
Ich Arme müßte dafür büßen;
Drum bitt' ich, bleiben Sie doch hier!«
Was war zu thun? Aus Liebe für das Pferd,
Und für das Mädchen selbst, ließ ich mich gern bethören.
Vielleicht war's klüger, umzukehren?
Das thue, wer's von mir begehrt!
Ich wüßt' ihn diese Kunst wahrhaftig nicht zu lehren.
Ich blieb ein ganzes volles Jahr,
Und wäre wohl bis an den Tod geblieben,
Doch ich, mit sammt dem Pferde, war
Beinah vom Hunger aufgerieben.
Fast nichts als Seufzer statt der Speise,
[91]
Fast nichts als Thränen nur, für Trank:
Wie war das auszustehn? Und, nach Petrarca's Weise,
Mehr zu verlangen, brachte Zank;
Drum sprang ich in den Sattel, sagte leise
Für das Genoßne, schönen Dank!
Und ging zurück auf meiner Reise.
Das Mädchen sah mich schmachtend an,
Und drückte mir die Hand, und schlug die Augen nieder.
»Ein Wort, ein Wort! Ein Mann, ein Mann!
(Sagt' ich beherzt,) Wir kommen sicher wieder,
Wenn Mann und Pferd erst besser hungern kann.
Itzt aber möcht' es, fürcht' ich schier,
Am Ende noch das ganze Spiel verderben;
Den weitern Weg verbeut der Schlagbaum mir,
Und bleiben wir noch länger hier,
Wird Mann und Pferd bald an der Schwindsucht sterben!«
[92]
Das gute Thier, wie mancher Weise thut,
Er räth es wenigstens, ins freie Feld zu jagen,
Das konnt' ich nicht; ich war ihm viel zu gut,
Und lieber wollt' ich mich noch länger mit ihm plagen.
Ich bring' es, dacht' ich, wohl an Mann,
Ich härt' es auch vielleicht noch ab,
Bis sich's mit schmaler Kost den Hunger stillen kann;
Wo nicht, so finden wir am Ende beid' ein Grab.
Das war dir eine Reiterei!
Am Geist', gedankenlos, am Körper, wie zerschlagen,
Ritt ich, wohin? das war mir einerlei!
Ich brachte bald durch eine Schmeichelei
Ein wenig neuen Muth dem armen Thiere bei,
Bald wollt' ich's fort zum Kuckuck jagen.
Ein hübsches Weilchen schwärmt' ich so herum,
Die mehrste Zeit in öden Eichenhainen;
Ging, wie du denken kannst, mit Reden sparsam um,
Doch sehr verschwenderisch mit Weinen:
Doch, was dir sonderbar wird scheinen,
[93]
Ich wußte selbst nicht recht, warum?
Zum Glücke kann ein großer Schmerz
Nicht gar zu lang am Herzen nagen;
Entweder frißt er bald des Kranken Herz,
Wo nicht, so nimmt er ab, und läßt sich dann ertragen.
Dieß letzte war der Fall mit mir.
Da konnt' ich denn auch leicht den Weisen wieder machen,
Mich höchlich wundern, wie ich schier,
So toll und blind, dem Unglück' in den Rachen
Zu rennen, in Gefahr gestanden, ernstlich mir
Die Unbesonnenheit verweisen,
So lang auf einem solchen Thier'
In solcher Irr' herum zu reisen,
Und endlich, schämt ich mich dafür,
Warum ich doch mich so vergebens grämte?
Itzt aber, ich gesteh' es dir,
Itzt schäm' ich mich, daß ich mich damals schämte.
[94]
Das klügste war, ich ließ mein Steckenpferd
Mit einem tiefen Seufzer stehen,
Ging hurtig fort, und schwur, mich nicht mehr umzusehen,
Das übrige – war keinen Dreier werth.
Fort war das Thier; ich kehrte nun zu Fuße
Nach Haus zurück, und that für meinen Ritt,
Wenn Buße nöthig war, durch Pilgrimschaften Buße.
Das ging zwar anfangs gut, allein das: Schritt vor Schritt!
Ermüdet und macht ärgerlich.
Und welcher Mensch, mit so viel Muße,
Mit so viel Trieb herum zu ziehn, als ich,
Geht wie ein Pilger gern zu Fuße?
Wer reiten kann, der nehm' es mit!
Sagt, was ihr wollt, der Weg, den auf der Erde
Der Mensch zu gehen hat, wird jedem oft zu lang.
Es leben denn die Steckenpferde!
Sie gehen einen raschen Gang,
[95]
Und mehrentheils doch ohne viel Beschwerde.
Doch auf die Wahl kommt's freilich an;
Ist's beißig, oder sonnenschüßig,
Hartmäulig, scheu, und was noch sonst daran
Ein ächter Kenner tadeln kann,
So wird man bald des Dinges überdrüßig.
Mein Weg ging über Halberstadt 1;
Da willst du dich bei Schmidten 2 einquartieren,
Ob der vielleicht ein beßres Stockpferd hat?
Ich kam. Er schwur mit hundert Schwüren,
Solch gutes Steckenpferd sey nicht mehr in der Stadt!
Nun gut! die Thür ging auf; sieh da! da stand im Stalle
Mein kaum verlaßnes Steckenpferd,
Nur hatt' es schon noch ärger abgezehrt,
Denn, Freund, sein Herr war grad' in meinem Falle.
[96]
»Glück zu! Glück zu! mein lieber Freund!
Das Thierchen hat mich auch getragen.
Nimm dich damit in Acht, so fromm es immer scheint!
Du freilich kannst es mit ihm wagen:
Denn, wenn es auch, wie man zu wähnen pflegt,
Zu Paphos Myrtenhain nicht trägt,
Kann's doch zum Lorbeerhain' auf Pindus Gipfel tragen.
Drum rath' ich selbst, behalt' es, lieber Mann,
So lang es Futter mag, und sicher geht im Schritt',
Doch wird es krippensätzig, fängt es an,
Sich brav zu baumen; fort damit!
Ich mag es gern von dir itzt reiten sehn,
Es fällt mir dann so ein, wie ich es selbst noch ritt,
Und die Erinnrung bleibt doch schön.
Denn denke nur, es trug mich Jahr' und Wochen,
Und doch hat meine Tugend nicht
Den Hals darauf gebrochen,
Den sie so leicht auf diesem Pferde bricht.
[97]
Bei allen seinen Unbequemlichkeiten,
(Denn ach! es war und bleibt ein schönes Steckenpferd!)
Würd' ich's gewiß noch heute reiten,
Nur hat ihm die Natur die Dauer nicht gewährt.
Doch hätt' es, wie Petrarch von seinem spricht,
Die Dauer auch, so hatt's doch etwas Tücke;
Kann seyn, daß ich mich nicht zu seinem Reiter schicke;
Wie dem auch sey, ich trau' ihm weiter nicht.
Man ist darauf wie angepicht,
Will immer ab, und trabt in einem Stücke
Nur weiter fort, als hört' und säh' man nicht;
Ja, macht den Zügel gar wohl selbst für sich zum Stricke,
Wie man so was vom jungen Werther spricht.«
Von Plato's frommem Steckenpferde
Springt man gewöhnlich auf ein Thier,
Das immer mit fliegender Mähn' und Wiehern und frecher Geberde
[98]
Mit seinem Reiter lauft, wohin es die Begier
Mit ihrer Peitsche treibt. Ovid hat's zugeritten,
Und jede List und jede Kunst gelehrt.
Er ist damit fast überall gelitten,
Auch zeigt er gern, wenn man's von ihm begehrt,
Wie Reiter dieses Steckenpferd
Schulmäßig zu regieren haben,
Wie man bald über Mauern, über Graben,
Und bald durch ein Verhack mit kühnen Sprüngen setzt,
Wie man zu rechter Zeit Schritt reiten oder traben,
Auch galoppiren muß, und wie man so zuletzt,
Die Tugend selbst im Fliehen müde hetzt.
Das Thier mag freilich mehr ergötzen,
Als jenes, Freund, wozu mir Plato rieth;
Nur, halten Sie zu Gnaden, Herr Ovid!
Wenn wir das ihrige nicht recht nach Würden schätzen.
Zwar will ich, nach Petrarchs Manier,
Nicht immer mich am Lob' des andern letzen,
[99]
Doch dünkt mich, paßt das Sprüchwort hier:
Vom Pferde sich auf einen Esel setzen.
Ich denke so: Wenn dir damit der Mann
In dein Gehege kommt, wer hat es auszubaden?
Herr Naso lacht dich aus, du aber hast den Schaden,
Da Plato nie dir schaden kann.
Suum cuique! Herr Ovid!
Laßt Andre mit dem Spruche scherzen,
Schön ist's doch, wenn in unserm Herzen
Ein Trieb, ihn zu erfüllen, glüht. –
Du kennst den Steckenpferde-Markt,
Wohin den König, der ein Land regieret,
So wie den Bettler, der zusammen harkt,
Was in der Stoppel sich verlieret,
Der Wunsch, bequem zu reiten, führet.
Ich schlenderte darauf umher,
Und wünscht' ein Steckenpferd zu haben,
Nicht völlig so, doch ohngefähr
Mit solchen sonderbaren Gaben,
[100]
Als das, was Heraclit geritten haben soll.
Nicht um des Sonderbaren willen;
Das wäre toller noch als toll!
Ach nein! Ich sah mit meinen Grillen
Den einen Theil für wilde Füllen,
Den andern Theil für steife Mähren an.
Ich hatte, wenn ich mich besann,
Die mehrsten schon vordem geritten,
Und wie bedauert' ich den Mann,
Der Eins davon bestieg; was ich darauf erlitten,
Dacht' ich betrübt, das ficht auf seinen Ritten
Ihn sicher auch, wohl noch was ärgers an.
Tagtäglich sucht' ich da sechs Stunden,
Doch keins gefiel mir recht. Vielleicht aus Ueberdruß,
Weil ich gerade keins gefunden,
Das mir nach Sinne ging, macht' ich den falschen Schluß:
Ein Steckenpferd, das selten zum Verdruß',
Oft zum Vergnügen trabt, sey mit Demokritus,
[101]
Aus diesem Jammerthal' verschwunden.
Ei nicht doch! riefen viele weise Männer,
Wir sind die rechten Steckenpferde-Kenner,
Wie unser Ruhm das schon bezeugen muß.
Allein ein Steckenpferd schickt sich für keinen Weisen,
Das ist nur Sache für den Troß!
Doch will der Herr ein stattlich Roß?
So können wir ihm schier das Beste weisen.
Der Dünkel, ein Paradepferd
Wie Herr Pythagoras zu reiten,
Den Mancher noch als Mann erfährt,
Der sollte mich als Jüngling nicht verleiten?
Mit einem ernsten Angesicht',
Bestieg ich dieses Roß, und ritt, (ich hielt's für Pflicht!)
Bei Tag und Nacht, und über Stock und Stein,
Den Weisheitstempel aufzufinden,
Ach aber, ach! ich fand ihn nicht.
[102]
Itzt seh' ich wohl die Ursach' ein:
Ich ritt, was leugn' ich's noch? im Blinden!
Sonst hätt' ich wohl den Fußsteg sehen müssen,
Der zwischen zwei beblümten Flüssen
Auf Rasen hin, zum Tempel lief.
Auf einmal hört' ich eine Stimme,
Die, von der Seite her, mir rief:
»Wo wollt Ihr hin? Ihr reitet in die Krümme!
Euch hat der Trübsinn ohne Streit
Auf diesen Knüppeldamm geleitet,
Doch wißt, zu kurz ist oft die Lebenszeit,
Und wenn Ihr noch so scharf auch reitet,
Den Tempel zu erreichen: denn so weit
Hält's Niemand aus; er wird, wie ein Courier,
Wund, lahm, und muß wohl gar am Ende liegen bleiben.
Doch, guter Freund! sollt' Euch die Ruhmbegier
Mehr, als der Durst nach wahrer Weisheit, treiben,
[103]
So reitet nur!«
Ich sah den Mann 3,
Der so entscheidend sprach, mit großen Augen an,
Und hätt' ihn gern gehaßt, und doch mußt' ich ihn lieben.
Ich wünscht' ihn weg, und folgt' ihm, als er ging.
O Sympathie! du bist ein seltsam Ding.
Zehn Meilen weit hast du das Herz getrieben,
Eh' die Vernunft zehn Schritte ging.
Dank aber sey der guten Sympathie!
Gefunden hätt' ich nie, gefunden
Den Freund und Retter ohne sie,
Der singend mich in wenig Stunden
Dem Tempel näher bracht', als ich im ganzen Jahr'
Ihm keuchend nachgekommen war.
Ihr Bücher-Weisen, nehmt denn ein Exempel!
An mir, und sehet in der Zeit
[104]
Nach solchem Freund' Euch um; denn wißt, der Tempel
War nicht der Weisheit, die Ihr sucht, geweiht:
Die Inschrift hieß: Der weisen Fröhlichkeit!
Itzt ziehen Freundschaft und Zufriedenheit
An meinem Phaeton der Freude;
Sitz' ich darin, ei dann beneide,
Wer mag, den Mann, der stolz mit Sechsen fährt.
Noch eher war Johann der Seifensieder 4
Auf seinem Klepper neideswerth;
Der ritt und sang nur zum Vergnügen, Lieder.
Itzt hab' ich selbst ein ähnlich Steckenpferd.
Auf diesem reit' ich oft spatzieren,
Um meine Grillen zu verlieren,
Zuweilen auch, um an des Teiches Rohr
Die halbe Sommernacht mit ihnen zu durchwachen,
Und oft, dem Zwergfell', wenn ein Thor
Gereitzt es hatte, Luft zu machen.
[105]
Frag' nur die Herrn Poeten allzumal,
Wie angenehm ein Ritt auf diesem Steckenpferde
Dem Reiter thut, wenn's über Berg und Thal
Dahinfliegt: Ha! wie klein wird da die Erde!
Mein zweites Steckenpferd, die Freundschaft, ist von Dauer;
Auch noch nicht Einmal ward es lahm.
Es hat zuweilen wohl ein Schauer
Von Trägheit, aber nie von Koller, oder Gram.
Das magst du einst als Trauerpferd,
Mein lieber Rink, vor meinem Sarge reiten;
Ein Kritiker, hält er's der Mühe werth,
Mag meinethalb das Freudenpferd beschreiten.

Fußnoten

1 Der Verfasser hielt sich hier einige Jahre auf.

2 Der Verfasser der Phantasien nach Petrarchs Manier.

3 Goldhagen.

4 In Hagedorns Erzählungen.

[106] An Benzler, in Lemgo

An seinem Hochzeitstage, den 1. Mai 1775.


Ein herrlich Ding ist's wahrlich doch,
Das Leben ledig zu genießen!
Der Sorgen hat man wenig noch,
Man bringt nur eigene Capricen
Und eigne Launen unters Joch.
Gesetzt, man muß auch dann und wann
Ein wenig Wermuth mit genießen;
Ei nun! Ein Tropfen Freiheit kann
Ein ganzes Maß voll Gram versüßen.
Man ist ein König seiner Zeit,
Und ein Gebieter der Vergnügen,
Kann, nach Belieben, lang und breit,
[107]
Und ungeneckt, im Bette liegen.
Und statt daß Hänschen: wiege! schreit,
Sich singend, nach Bequemlichkeit,
Auf seinem Sopha selber wiegen.
Wir sehen neue Hauben an,
Und seufzen nicht: »Du armer Mann!
Das wird dir wieder Thaler kosten!«
Und lassen Schwanzdukaten 1 nicht
Für künftige Studenten rosten,
Denn unser Einer hält's für Pflicht,
Die Weine selbst dafür zu kosten.
Wir säen, und wir erndten nicht,
Kein Faden Flachs wird uns gesponnen,
Aus unserm Garten kein Gericht
Von Bohnen, oder Kohl, gewonnen;
Auf seinen Veilchen uns zu sonnen,
[108]
Mehr wollen wir vom Garten nicht:
Sag', ob uns dennoch was gebricht?
Statt eines Knaben Steckenpferd
Auf einem Stocke zu begleiten,
Ist's wahrlich! doch nicht wenig werth,
Sein eigen Steckenpferd zu reiten.
Und du, o traute Einsamkeit!
Du gute Mutter vom Studiren,
Brauchst dich bei uns nicht zu geniren,
Wo dich kein Wiegenlied bedräut,
Kein Hänschen weint, kein Gretchen schreit.
Wir dürfen keinen Narren schmeicheln,
Und keinen Lotterbuben heucheln,
Berangt, betitelt, wie sie sind!
Wir segeln über Gold und Ahnen
Hinweg, mit immer frischem Wind',
Sind taub bei bellenden Chikanen,
Und, zeigt der Neid die Zähne? blind.
Frei von der Leber weg zu sprechen,
[109]
Zu dienen, wenn der Dienst behagt,
Wo nicht? die Fesseln, unverzagt,
In jeder Stunde zu zerbrechen,
Und: Mecum porto omnia!
Wie jener Philosoph zu sprechen;
(O! welcher Gatte spricht es da?)
Das heißt der Freiheit Nectar schlürfen,
Denn so viel Brod, als wir bedürfen,
Wächst hinter jedem Berge ja!
Die ganze weite Welt von Schönen,
Ist unser! Eine findet man
Doch immer, die es leiden kann,
Daß wir nach Gegenlieb' uns sehnen;
Und welchen Himmel hat man dann?
Habt Ihr der Liebe schönste Stunden,
Wie jeder von Euch Gatten spricht,
Vor Eurem Hochzeittag' empfunden:
Wie glücklich sind wir Andern nicht!
Die eine Lieb' hat sich empfohlen,
[110]
Die andre stellt sich wieder ein;
Dann schlüpfen auch mit ihr, verstohlen,
Der süßen Stunden mehr herein;
Denn ach! ich sag' es unverhohlen,
Die große Kunst, getreu zu seyn,
Will wenig Jünglingen gelingen,
Und Mädchen, selten oder nie!
Denn ihre rasche Phantasie
Hüpft, blindlings, unter tausend Schlingen
Herum, und eh' wir's uns versehn,
(Ich weiß ein Lied davon zu singen!)
Ist's um den Springinsfeld geschehn.
Die Eifersucht hat wenig Rechte,
Wenn nicht der Trau-Altar sie gibt.
Ein Mädchen, das mich heute liebt,
Und das ich ewig lieben möchte,
Wird morgen kalt, und ich betrübt.
Ob ich mit ihr mich drum entzweie?
Nein! fahre wohl, du Ungetreue!
[111]
Weil's auch für mich noch Mädchen gibt.
Doch, welcher Gatte hat das Ziel
Der Ruhe, je so schnell gefunden?
Entweder wird's zum Trauerspiel'
Von etwa vier und zwanzig Stunden,
Wo nicht; wenn sich die Jalousie,
Wie Gift der Schwindsucht, heimlich nähret,
Zu einer Tragi-Comödie,
Die oft durchs ganze Leben währet.
Doch laßt uns offenherzig seyn!
Auch selbst das Herz des besten Gatten
Ist doch nicht immer bloß von Stein.
Ein neues Mädchen nimmt ihn ein:
Gleich steht sein Weibchen dann im Schatten,
Und seine Schön' im Sonnenschein'.
Die Rosen, die entzückt ihn hatten,
Saugt nun sein Auge nicht mehr ein,
Denn diese Rosen sind ja sein!
Die Rosen, die ihn jetzt entzücken,
[112]
Verschönern sich zu seiner Pein,
Denn ach! er darf sie niemals pflücken;
Was kostet's da, getreu zu seyn!
Treibt das Gewicht von seinen Jahren
Noch nicht ein Trauring in die Höh',
Wie trotzt der Jüngling den Gefahren
Der Reisen, Schlachten und der See!
Wenn er durch Liederchen sich früh
Mit Finken munter pfeift und singt,
Ist seine ganze Frage die:
Was ihm der Tag für Freude bringt?
Indeß aus traumbeschwertem Schlummer
Nach einer halb verseufzten Nacht,
Der Ehmann oft zu neuem Kummer,
Nur nicht zu neuem Trost' erwacht.
Ein Wolkenzug von Nahrungssorgen
Macht ihm den hellsten Frühlingsmorgen
Schwarz, wie die dicke Mitternacht.
Was hilft's, wenn rund um ihn, in Hainen
[113]
Und Auen, Baum und Blume lacht?
Er wird nur seinen stillen Gram
In Hain und Auen, lauter weinen,
Wenn ihm der Tod den Liebling nahm,
Der sonst, mit Blumen in den Händen,
Und holder, unschuldsvoller Scham:
Ob sie des Vaters Beifall fänden?
Ihm, auf der Au', entgegen kam.
Gern stirbt der Jüngling freilich nie,
Doch das verzeiht man selbst dem Greise,
Nur jener wiegt doch, sanft und leise,
Sich in die letzte Lethargie.
Seht aber hin auf jenes Lager!
Beim kranken Gatten sitzt der Tod,
Und bei der Gattin, blaß und hager,
Der Hunger, welcher schon Verderben
Aus seinen nackten Zähnen droht.
Ist dieser Tod nicht schwer zu sterben,
So schwer, wie eines Königs Tod? – – –
[114]
Wenn ich, am ersten Ehetage,
Nicht in dem reitzendsten Prospect'
Die Ehe dir zu zeigen wage,
So weiß ich, daß er dich nicht schreckt.
Du aber, beste Fanny! schlage
Die Augen auf, denn sieh! da fliegt
Ein neuer Vorhang in die Höhe!
Siehst du? wie blaß, wie mürrisch liegt
Ein feiner Jüngling dort im Klee?
Ach hör'! Er seufzt! Was seufzt doch er,
Den noch die Sorgen nicht begleiten?
Was seufzt er? daß sich um ihn her,
Die Freuden, ihm zu dienen, streiten?
Ich wette Tausend gegen Eins,
Es geht ihm schier wie meinem Täubchen,
Dem fehlt zwar der Vergnügen keins,
Doch fehlt ihm alles, fehlt – sein Weibchen.
Für zwanzig seiner Thaler hat
Der Mann für keinen Groschen Freude.
[115]
Er ist, eh' er noch kostet, satt;
Denn wer nur seine Stubenfliegen
Beim Nectar zur Gesellschaft hat,
Wie kann selbst Nectar den vergnügen?
Daß Niemand: Prosit! zu ihm sagt,
Wenn er in seinem Zimmer nieset,
Erträgt er noch wohl unbeklagt,
Doch, daß er, wenn er schönes lieset,
Den Wänden: das ist schön! nur sagt,
Ich selbst erfahr's, wie sehr das nagt!
Wenn vollends ein verdammter Schwarm
Von Launen ihn verfolgt; und Grämen
Und Haß, zur Flucht die Füße lähmen:
Wo öffnet hurtig sich ein Arm,
Ihn wider sie in Schutz zu nehmen?
Der Arm des Freundes? Ja! vielleicht!
Doch was kann selbst der Busenfreund,
Als daß sein gutes Herz, erweicht,
Bei Klagen seufzt, bei Thränen weint?
[116]
Er ist, wie in die Welt geschneit.
Sein väterliches Haus ist leer,
Sein Vater, Mutter, sind nicht mehr,
Und Brüder, Schwestern, sind zerstreut.
So wie der Trinker in dem Schlauche,
Sucht er bei dir, o Lieb'! Ersatz;
Allein ein Mädchen ist ein Schatz
Zum Ansehn bloß, nicht zum Gebrauche.
Wie schwer, ihr Lieben, hält's, wie schwer,
Ein schönes Röschen zu erblicken,
Es anzusehn, und immer mehr
Es anzusehn, und – nicht zu pflücken.
Pflück' ich's? So bin ich ein Corsar;
Wer hatte mir das Recht gegeben?
Und pflück' ich's nicht? Ein braver Narr!
Was quäl' ich denn umsonst mein Leben?
Man sagt, es soll ein Mittelding,
Platon'sche Liebe, glaub' ich, geben;
Allein, so weit ich durch das Leben,
[117]
An deiner Hand, Erfahrung, ging,
Hab' ich's noch nie recht nah gesehen.
Glück zu, dem Jäger, der es fing!
Ich möchte selbst die Jagd verstehen.
Zwar gibt es noch ein Mittelding,
Allein als Jüngling das zu üben,
Dazu gehört ein Sonderling;
Denn wer kann leben, und nicht lieben?
Doch setzt, man schleppt die Jugend hin,
Und liebt, und liebt, bald die, bald jene:
Reitzt man auch noch mit greisem Kinn'
Und Beinen wie ein Storch, die Schöne?
Ich mahlt' Euch gern das ganze Bild
Des Hagestolzen, treulich aus,
Wär's nicht vielleicht dereinst ein Schild
Vor seines Mahlers eignes Haus.
Doch laßt den ersten Umriß noch
Mit diesem Seufzer mich beschließen:
[118]
Ein traurig Ding ist's wahrlich doch,
Das Leben ledig zu genießen.
Und, so beschaut, wird, wie ich meine,
Des Griechen Antwort richtig seyn.
Nimm eine Gattin, oder keine,
Es wird dich beides oft gereun!
So ist's! das Glück hat immer Mängel;
Die Freud' ist unstät auf der Erde;
Allein der Mensch ist Mensch, nicht Engel,
Damit er erst zum Engel werde.
Sprecht, sollten sich nicht unterm Mond'
Von Hundert, neun und neunzig schämen,
Die oft, wer weiß warum! sich grämen?
Sucht nur die Freude, wo sie wohnt,
Dann sagt, ob's nicht die Müh' belohnt,
Auch die Paar Jahre mit zu nehmen?
Zum Beispiel' wähl' ich nur die Ehe,
(Wovon ich, in Parenthesi,
Vom Zusehn doch so was verstehe,)
[119]
Wie viele Freuden hat auch die?
Es ist doch süß, ein freundlich Weib,
Nicht bloß die Lippen dran zu laben,
Nicht bloß bei Tisch als Zeitvertreib,
Nein, auch zum Busenfreunde haben.
Man sagt, die Küsse nähmen bald,
Zum wenigsten ihr Feuer ab;
Der Zeitvertreib werd' endlich alt:
Neu, bleibt der Geist nur, bis ins Grab,
Und da wird auch das Herz erst kalt.
Sie geht durchs Leben, Schritt vor Schritt,
Gelassen, auf den spitzen Steinen,
Und singend, auf dem Rasen, mit;
Und sollte sie einmal auch weinen:
Stark macht des Weibes Schmerz den Mann!
Schon unter seinen Küssen scheinen
Ihn ihre Sonnen wieder an.
Die hundert tausend kleinen Freuden,
Die er aus seinen Kindern küßt,
[120]
Muß jeder Hagestolz beneiden,
Wenn sein Gefühl so sein noch ist.
Der Tag, an dem zuerst der Knabe:
Papa! aus seinem Mündchen preßt,
Der Tag, an dem er auf dem Stabe
Zuerst sich reitend sehen läßt,
Und der, an dem er, halb berauscht,
Den Kapprock mit den Höschen tauscht,
Ist für das Haus ein hohes Fest!
Der Tag, an dem das kleine Mädchen
Auf ihrem ringelreichen Rädchen,
Den ersten dicken Faden spann,
Und der, wo sie den Glockenschlag
Schon auf französisch sagen kann,
Ist für das Haus ein Gallatag!
Und wird der Knabe nun zum Mann',
Das kleine Ding, zur schlanken Schöne,
So – – –
Nehm' ich, zum Exempel, an,
[121]
Daß ich dein Vater, Benzler, wäre:
Vor Wonne trunken, rief ich dann,
Viel lauter, als die Hochzeitchöre:
»O seht doch meinen Sohn dort an,
Und seine Braut! Bei meiner Ehre!
Ein solches Mädchen kann ihm noch
Das Leben, mir den Tod, versüßen!«
Ein herrlich Ding ist's wahrlich doch
Mit solcher Frau, es zu genießen!

Fußnoten

1 Diese Dukaten, unter König Friedrich Wilhelm I. von Preußen geprägt, haben ihre Benennung von dem langen Haarzopfe an dem Bildnisse des Königs.

[122] An Sophien 1

Wär' ich, o Holde!
So reich an Golde,
Als ich an Reimen,
An Morgenträumen
Und Possen bin:
Mich könnte Keiner
Nach meinem Sinn',
Als Grassi mahlen,
Den unser Einer
Nicht kann bezahlen.
[123]
Könnt' ich das Gold,
Das Ungarn zollt,
Im Berge, wie
Minervens Eule
Die Mäuse, sehn:
Ich ließe traun!
In kurzer Weile
So wunderschön,
Wie zum Exempel
In Sanssoucis,
Auch einen Tempel
Der Freundschaft baun.
Allein, Sophie!
Wenn deine Mühe
Gleich zwanzig Beutel
Für mich noch strickt:
Die Müh' ist eitel!
Fortuna spickt
Von allen keinen,
[124]
Wie an dem Einen
Man schon erblickt.
Das Herz nur drückt,
Zum Glück', den Stempel
Der Freundschaft auf.
Was kommt darauf
Am End' auch an,
Ob tausend Mann
An einem Tempel
Der Freundschaft, baun,
Und, ihn zu schmücken,
An Meisterstücken
Zehn Nahle haun?
Hat bei den Alten
Dieß vor Erkalten
Kein Herz geschützt:
Warum denn itzt? –
Vor dem Vergessen
Schützt kein Portrait
[125]
Den armen Gauch,
Drei Tag', und hätt'
Er Grassi auch
Dazu gesessen.
Mein Schattenriß
Mit meinem Herzen,
Läßt dich gewiß
Das Bild verschmerzen;
Und mehr, als dieß,
Vermag im Leben
Ich nichts zu geben.
Doch ganz gewiß
Reicht beides hin,
Dein Angedenken
Mir, Sängerin!
Dafür zu schenken.

Fußnoten

1 Die verstorbene Dichterin Sophie Schwarz. Der Verfasser übersendete ihr mit dieser Epistel eine Tasse mit seinem Schattenrisse auf der einen, und einem Tempel der Freundschaft auf der andern Seite.

[126] An Goldhagen

Im November 1775.


Wir sind abermals geborgen!
Freund! ich habe wieder Wein!
Fort mit Grillen und mit Sorgen!
Denn für heute und für morgen,
Laß uns guter Dinge seyn!
Als die erste unsrer Zähren
Auf der Mutter Busen rann,
Ließ ein längst begrabner Mann,
Dieses Fäßchen schon im Keller jähren.
Hab' er Dank, der gute Mann!
Denn auf dieser Welt, wo Keiner
Die Verdrießlichkeit in Bann,
Und die Freud' in Erbpacht nehmen kann,
[127]
Ach! was fing da unser Einer
Ohne Freund und Rheinwein an?
Wirklich hatt' ich kaum den Spund
Meines Fäßchens ausgezogen,
Kaum mit heißem, trocknem Mund',
Zwanzig Tropfen eingesogen,
War ich wieder, wie so bunt
Auch die Welt es macht, von Grund
Meines Herzens, ihr gewogen.
He da! rief ich, holt geschwind
Einen Boten, der nach Werther trabe!
Denn kein Auge, wie ein Kind
In der Christnacht, thät' ich zu,
Bis ich erst, daß ich und du
Wieder reich an Weine sind,
Sporenstreichs gemeldet habe.
Wenn das närrisch ist – – je nu'!
Schicken Fürsten doch Couriere
Ueber Land und Meer sich zu;
[128]
Wer den Inhalt stets erführe,
Fänd' oft sicher falsche Schwüre,
Oder doch ein X für U.
Kannst du meiner nun wohl lachen?
Sind ein alter Freund, wie du,
Und ein alter Wein, nicht Sachen,
Die den Gram in einem Nu
Wandeln um in Scherz und Lachen?
Läg' ich auch dem Glück' im Arm',
Aber, wie ein König, arm,
Ohne Freunde zu besitzen:
Was kann dann ein Stückfaß nützen?
Ach! aus allen seinen Ritzen
Tröpfelt nichts, als bittrer Harm.
Alles, alles kann man kaufen,
Freunde nur und Freude nicht.
Zwar es kommen ganze Haufen
Mit dem freundlichsten Gesicht'
[129]
Zu dem dummen Pull gelaufen,
Um aus wahrer Freundschaftspflicht
Auf sein Wohlseyn mit zu sausen;
Doch wir hören schon von fern,
Daß sich da die klugen Herrn
Mit dem Aberwitze raufen.
Geh', wohin du willst, der Wein
Wird dir nirgend süßer schmecken.
Theurer, älter kann er seyn;
Aber sind nicht zwei, von drei'n
Seiner Geber, Narrn und Gecken?
Welcher Große sucht darin,
Daß ein Weiser mit ihm trinke,
Dank verdienenden Gewinn?
Seine Höflichkeit ist Schminke,
Seine Schmäuse – – – Prahlerei.
Wenn du nicht mit Schmeichelei
Jeden Tropfen seiner Flaschen
Baar bezahlst: Bist du dabei?
[130]
Aber zieht er aus den Taschen,
Bündel platter Reim' hervor:
Dann so sey du lauter Ohr!
Ueberfällt ein Fieberschauer
Seinen Ahnenstolz: ei nun!
Ist sein Rheinwein nur nicht sauer,
Mag er spaßhaft, wie ein Bauer,
Oder grob zu seyn geruhn.
Ob aus einer Landesplage
Er den Wein ins Trockne zog,
Einer Wittwe Hülfe log,
Sich ihn listig mit der Wage
Der Justitz, zum Vortheil' wog?
Ob er aus dem Schweiß' der Bauren
Ihn gekeltert? Ob du einst,
Füllgräf 1! wirst die Trinker dauren,
Wenn du beim Concurse weinst:
[131]
Das muß den sehr wenig kümmern,
Der des Thoren Speichel leckt;
Laß die Wittw' und Waise wimmern,
Wenn's nur ihm indessen schmeckt!
O wie soll mein Fäßchen dir,
Der die Thoren haßt, behagen!
Denn kein Zweifel wird dich nagen,
Ob ein Narr vielleicht dafür
Meinen Lobgesang gedungen?
Eh' hätt' ich's, wie Aretin,
Mir durch Schweigen noch erzwungen.
Nicht dem thörichten Bemühn,
Einer alten Stirn' die Falten
Glatt zu küssen, und an kalten
Knochenhänden, jung zu glühn;
Nicht Partheien, die errathen,
Wo Champagner Eide bricht,
Auch beschnittenen Ducaten
Der Verleger, dank' ich's nicht.
[132]
Dir, mein väterliches Gut,
Dir, worauf noch keine Zähre,
Weder Seufzer, Fluch noch Haß,
Unterdrückter Armuth ruht,
Dir verdank' ich's! o gewähre
Alle Jahr' doch nur ein Faß!
Und so viel noch, daß ich dann
Willig den Erlaubnißschein,
Bei dem Fasse mich zu freun 2,
Von dem Staate lösen kann.
Sprich, wo fändest du im Lande,
Von dem Elb- bis Weser-Strande,
Einen Anker reinern Wein?
Denn daß sich der Wirth nicht fände,
Der sich kecklich unterstände,
Mehr, als ich, dein Freund zu seyn,
Das versteht sich schon am Rande.
[133]
Frage nur dein Herz, mein Trauter,
Ist nicht unsre Freundschaft lauter,
Stärkend auch, wie unser Wein?
Sie nur flüstert aus dem Herzen
Das Geheimniß stiller Schmerzen
In des Freundes Herz hinein,
Wie bei Trunkenen der Wein.
Enge Busen macht sie weiter,
Trübe Stirnen lacht sie heiter,
Scherz und Lieder gibt sie ein,
Wie dem Traurigen der Wein.
Sie nur flößt für große Werke,
Hektors Muth und Herkuls Stärke
Unsern offnen Herzen ein,
Wie dem Schläfrigen der Wein.
Sie nur lehrt, der Welt voll Narren,
Nicht so Swistisch gram zu seyn,
Wie den Doktor Swift der Wein.
Sie nur macht die Silberbarren
[134]
Unserm Auge leicht und klein,
Wie dem Geitzigen der Wein.
Sie nur nimmt dem Ordensbande
Und dem Sterne, seinen Schein,
Wie beim Höflinge der Wein.
Sie nur lehrt, dem Unbestande
Falscher Mädchen zu verzeihn,
Wie den Liebenden der Wein.
Alles das kann Freundschaft geben?
Ha! wenn sie das alles thut,
Ei! so laß uns immer leben,
So sind Welt und Menschen gut.
Glücklich bin ich! Wein und Gold
Hat mir keine Freund' erworben!
Die ich habe, sind mir hold,
Die mir fehlen, sind gestorben.
Wollte gleich mir das Geschick
Alle meine Habe plündern:
Würd' es ihre Zahl vermindern?
[135]
Nein! Sie liebten nicht mein Glück.
Trug' ich selbst am Bettlerstabe,
Das, was ihre Liebe mir
Schnell erwarb, vor ihre Thür:
O so wäre, bis zum Grabe,
Was mein Freund nur hätt', auch mir.
Möge nun das Glück mich führen,
Wie es immerhin begehrt;
Freunde kann ich nicht verlieren,
Und der Rest, ist wenig werth.
Nur den Wein, den Wein nimm aus;
Er, ein Freund von Witz und Freude,
Jagt den Ernst mit sammt dem Neide
Und Zurückhaltung, hinaus.
Ohne Wein und Witz und Freude,
Was ist da der höchste Schmaus?
Doch! wie manche frohe Stunde
Soll aus unsers Fäßchens Spunde
Quillen, wann du bei mir bist!
[136]
Scherze über Fürsten-Zwist,
Spöttereien über Thoren,
Haben darin ausgegohren;
Komm und fülle draus! Du bist
Träg etwa? Es macht dich munter!
Hast du Spleen? Es taucht ihn unter!
Bist du krank? Es macht gesund!
Lechzet dir nun nicht der Mund?
Flieg' zu einem Bachanale
Nach Sokratischer Manier.
Eine plank polirte Schale
Wartet heute deiner hier;
Und ein langer Zuckerhut,
Der auf einem ganzen Berge
Duftender Citronen ruht,
Und dem Trinker in dem Saale,
Wie ein Pharus auf der See,
Zu der Freude Hasen leuchtet;
Und ein Aster, weiß wie Schnee,
[137]
Der am funkelnden Pokale,
Sich so gut wie Rosen deuchtet;
Um den lustigen Kamin,
Trockne Wurzeln ganzer Buchen,
Augen, (auch das Herz hüpft nach!)
Die im höchsten Bodendach'
Durch ein Seherohr dich suchen.
Alle Könige der Erden,
Sammt der düstern Weisen Zunft,
Sollten wahrlich! allzumal,
Trotz dem Gold' und der Vernunft!
Traurig und verlegen werden,
Sähen sie dieß Freudenmahl.
Ihre Hand voll Banco-Noten,
Und ihr Kopf voll Schwärmerein,
Hat oft Sorgen Trotz geboten,
Aber auch wohl immer? Nein!
Zwar du Gold, und du o Wein!
Manche Schmerzen könnt ihr lindern,
[138]
Aber arm, wer sie zu mindern,
Euch, wie Moxa, nöthig hat!
Reicher ist, wer in der Hütte,
Von den Beeren in dem Hain'
Und des Baches Wasser satt,
Keinen Wunsch und keine Bitte
Je um euch verloren hat!
Was der König Salomo
Einst im Großen hier genossen,
Wahr' und Falsches, Ernst und Possen,
Bald als Quintessenz, bald roh;
Eben das sah ich im Kleinen
Auch ein Dutzend Jahr' mit an,
Und nun sollt' ich fast doch meinen,
Daß ich endlich Seyn von Scheinen,
Ziemlich unterscheiden kann.
Darum fühl' ich auch, (dieß fühlen,
Nicht, dieß sagen, macht mein Glück!)
[139]
Das, warum die Menschen spielen,
Labet, unsern Durst zu kühlen,
Nur auf einen Augenblick.
Lieferten mir alle Zonen,
Schönen, wie dem Großsultan',
Lebten hundert Millionen
Nur nach meinem Wink' und Wahn';
Wär' ich sinnreich im Verschwenden,
Wie Lukullus und Anton;
Spräche gleich in meinen Händen
Eine Flöte Quanzens Ton;
Wär' ich, Tugend zu verblenden,
Schön, wie Angelo's Adon;
Leuchtete aus meinen Tänzen
Des Noverre hoher Geist,
Könnt' ich bald durch Ernst, wie Kleist,
Bald durch Witz und Spötterei,
Scarron gleich, im Umgang' glänzen,
[140]
Immer reich, und immer neu;
Könnt' ich endlich meinen Scheitel
Mit Homerus Lorbeer kränzen,
Dennoch hieß es endlich: Nein!
Weisheit, Freundschaft nur und Wein,
Sonst ist alles, alles eitel!

Fußnoten

1 Ein Weinhändler.

2 Den Acciszettel.

[141] An Bürger

1776.


Wo unsre Seel' im Körper sey?
Und wie sie denkt? das möcht' ich selbst wohl wissen.
Nur hat von tausend Hindernissen,
Ein Leibniz selbst und Newton, kaum die Spreu
Hinweg geblasen; fort denn mit den Grillen!
Ein Andrer mag den Schleier einst enthüllen;
Fürs erste sey mir beides einerlei.
Genug, der Geist hat seinen freien Willen,
Zu denken, was er will, zu thun, was ihm beliebt.
Ob er, – – Ihr Weisen, die Ihr Wahrheit liebt,
Wann wird doch Euren Zwist die Wahrheit endlich stillen? – – –
Ob er dem Vogel gleicht, der sich im Freien freut,
[142]
Zum mindsten frei sich glaubt, weil ihm des Käfichs Weite
Den Käfich selbst zu sehn verbeut:
Was liegt daran? Wer streiten will, der streite!
Was mich betrifft, ich glaube fest mich frei,
Und Seyn und Glauben ist fast immer, einerlei;
Denn, ob ich's auch für andre Leute,
Für Baylen oder Humen sey:
Was schadet das? Wer weiß, auf welcher Seite
Die Ruhe sich die schönsten Kränze flicht?
Wenn's übrigens auch wirklich anders wäre,
So ist das meine Sorge nicht.
Wenn ich mit leisem Ohr' auf mein Gewissen höre:
Was hab' ich sonst für eine Pflicht?
Und ist dereinst auch dieß nicht mein,
So kann auf mich, nach meiner Sittenlehre,
Kein Leben warten voller Pein;
Denn, war es meine Schuld, kein freier Mensch zu seyn?
[143]
Worüber ich von einem Hippokrat,
Noch lieber, Freund, als alle die Probleme,
Ein wenig mehr, als bloßen guten Rath,
Zu meinem Unterrichte nähme,
Das ist die Frage: Sagt, wie fang' ich's an,
Die üble Laune weg zu jagen? – – –
Zwar selten nur befällt dieß Mißbehagen,
Doch immer noch zu oft, zumal bei trüben Tagen,
Mich sorgenfreien Leiermann.
O Plato, sprich, ist mein Verstand, mein Wille,
Kurz, meine Seele Schuld daran?
Ich denke nicht. Ich guter Tropf, ich fülle
Gern frohe Laune, wenn ich kann.
Drum, Hippokrat, der du wohl Tausend Kinder
Der Mutter, Krankheit, kennst, was ist denn Schuld daran?
Mein Körper? Nein! Sonst machte Zimmermann,
Mich schon gesunden, noch gesünder.
Ich möchte wohl den Einen von Euch sehn,
[144]
Ihr großen Weisen und ihr Aerzte!
Mit dem, trotz allem Wissen und Verstehn!
Die üble Laune niemals scherzte.
Daß ich noch keinen, den sie schmerzte,
Durch Euch davon befreien sehn,
Das eben macht mich so betrübt.
Das Herz, der Kopf, das Blut – – – Eins von den Dreien
Ist's doch gewiß, das uns so nah es schiebt,
Bis wir uns mit uns selbst entzweien.
Allein, erforsche das, wer Grübeleien liebt!
Mir deucht, es sey dem Griechen zu verzeihen,
Der, kurz und gut, dem Leib' zwei Seelen gibt.
Wißt besser ihr, was sonst, oft selbst den Weisen äffet,
Und ob er noch in seiner Freiheit sey?
Gut! wenn ihr aber nicht das Gegenmittel treffet,
Bleibt, leider! nur der Schade einerlei.
Von dieser Laune offenherzig reden,
Und eingestehn, daß sie den Meister spielt,
[145]
Wann sie aus Schabernack ihr Müthchen an uns kühlt,
Deß schämen sich die Heuchler und die Blöden.
O Lavater! Sieh mir und ihnen ins Gesicht!
Das meine wird dir gleich gestehen,
Dahinter stecke so viel Weisheit nicht,
Ganz diesem Irrwisch' zu entgehen,
Der, wenn es plötzlich Nacht auf unsrer Reise wird,
Mit uns herum in Sümpfen irrt.
Befreiet mich von dieser üblen Laune,
Denn selbst die Zauberkraft des weisesten Gedichts,
Und gutes Blut, vermag dawider nichts;
Mein Haus, den Garten sammt dem Zaune,
Räumt' ich dem Arzt' mit Freuden ein,
Könnt' ich, Zufriedenheit, an deinen Honigwaben
Mich immer letzen, immer freun:
Die ganze Schöpfung wäre mein!
Gefährten seines Unglücks haben,
Mag Andern meinethalb ein schlechter Trostgrund seyn.
Ich kann zuweilen mich dran laben,
[146]
Und bilde, weil's die Herrn itzt an der Mode haben,
Mir auf mein Herz doch auch ein wenig ein.
So wie Ulyß allein auf einem Schiffe,
Der Stürm' und Räuber Preis zu seyn,
Das wäre nichts für mich. Doch, mit Gefährten, griffe
Der Kaper einen Tiger in mir an;
Ich bliebe, wenn der Nord in meinen Segeln pfiffe,
Am Steuer als der letzte Mann.
Und so ist auch das schwerste selbst, das Sterben,
(Versucht hab' ich's zum Glück' noch nie!)
Vielleicht so schwer nicht; aber wie?
Sollt's nicht noch leichter seyn, wenn, – ohne das Verderben
Der Welt zu wünschen! – – – alle, die
Hier just beisammen sind, zusammen müßten sterben?
Der Trost der Ninon war im letzten Augenblick':
»Ich lasse nichts als Sterbliche zurück!«
So ist es auch für mich kein schlechter Balsam schon:
[147]
Der Mensch sey Dummkopf oder Weiser,
Sey Freigeist, wie Mettrie, sey Heiliger, wie Anton,
Sey Bettler oder türkscher Kaiser,
Die üble Laune fährt, eh' wir es uns versehn,
Unangefragt in jeden Erdensohn.
Nur ihre Tücken sind, das muß man eingestehn,
Von andrer Art auf eines Königs Thron,
Als eines Bürgers Sorgenstuhle;
Doch für die beste gäb' ich schon
Nicht meine schlechtste Federspule.
Die Laun' ist einem Traume gleich;
Ihr träumtet ihn; wer aber weiß von Euch,
Woher er kam, wohin er fähret?
Gern hätt' ich vor zwei Stunden Euch gewähret,
Was Ihr gewollt; ich hatt' ein Königreich
In meiner Brust, und konnt' in Himmeln schweben;
In jeder Ader pochte Leben,
Als wär's für eine Ewigkeit.
[148]
Ha! die zwei Stunden sind vorüber,
Und alles, alles ist zerstreut!
Doch, fragt nicht, wie es zuging? Weder Fieber,
So viel ich weiß, noch selbst ein Seitensprung
Der unbesonn'nen Einbildung,
War Schuld daran. Was sonst? Ein Nasenstüber,
Den, Leib und Seel' in Eins, die böse Laune gibt,
Die wohl, als hätte sie ein hitzig Gallenfieber,
Zumal bei Königen, noch toll're Streiche liebt.
Da steht man denn mit einmal dumm und stumm,
Den Gänsen gleich, wenn's auf dem Anger blitzt,
Spatziert umher mit he! und hum!
Und sitzt auf Kohlen, wo man sitzt.
Musik, Musik! die wird den Teufel bannen,
Den David einst bei Saul damit gebannt!
Auch diese Müh' ist übel angewandt;
Die Laune wird den Bogen spannen:
Husch! fliegt die Harfe aus der Hand.
Da seht mir nur den Starrkopf an, die Laune!
[149]
Der Melodie der Hassen und der Graune,
Der nichts sonst widersteht, thut sie doch Widerstand,
Ja, setztet Ihr Euch selbst auf Euer Steckenpferd;
So wird auch dieß bei jedem Schritte fehlen;
Die Welt ist dann uns nicht die Prise Tobak werth,
Wovon wir itzt die Körner zählen,
Denn kurz, uns zwingt die Laune, Angesichts
Der Weisheit uns, (das schmerzet!) und um nichts,
Terenzens Thoren gleich, zu quälen.
Mit sich zu zanken, ginge noch wohl hin:
Doch welches Herz ist ihr zu bieder,
Der ungerechten Zänkerin?
Auch Andre foppt ihr dummer Eigensinn.
Denn, sprich, was ist ihr nicht zuwider?
Was ist ihr recht? Was zwingt ihr Beifall ab?
Was sie auch sey, sie ist ein Ungeheuer!
In einen gift'gen Wolkenschleier
Verhüllt, fährt sie auf uns herab,
Wie Kräusel, peitschend uns zur Lust herum zu treiben.
[150]
Da hilft kein Bitten und kein Sträuben,
Und kein Vernünfteln wehrt sie ab.
Wenn sie mit ihrem Zepter uns berührt,
(So red' ich als Poet, doch im Gesellschaftsstyle
Heißt's grade weg, wenn sie uns chikanirt,
Und im historischen – – – Thuan, dem sie zum Spiele
Den Kopf abhieb, nennt es tyrannisirt!)
Dann macht der Mann bei seidnen Schmeichelein
Der Gattin, ein Gesicht, als wollt' er Hülfe schrein.
Wer denkt daran, daß in dem Augenblicke
Die Laun' uns oft die Ruh' von einem Jahre raubt?
Versöhnlicher, als wir, ist Weiberherz zum Glücke,
Doch so versöhnlich nicht, als oft der Gatte glaubt.
Man sitzt bei seines Freundes Scherzen,
Und ist sehr billig noch, wenn man sie bloß nicht fühlt.
Oft wird wohl selbst in guten Herzen
Die Galle dadurch aufgewühlt.
[151]
Wer denkt daran, daß solch ein Augenblick
Uns den Erwerb von Jahren kann verlieren?
Wer Freunden trotzt, dem müßte nie das Glück
Noch einen Freund an seinen Busen führen.
Und ihr, ihr Söhne strenger Sklaverei,
Rasch werdet ihr vom Strom' der Laune weggeschwemmt;
Denn ob von zehn nur Einer, Yorik sey,
Wenn sein la Fleur just in den Wurf ihm kömmt,
Davon wißt ihr, beim Häufeln, ziemlich frei
Das Gegentheil mit Schimpfen zu erzählen,
Und sollt' es Hunden nur nicht an der Sprache fehlen,
Sie trügen auch noch Anekdoten bei.
O Jammer! daß so mancher Weiser
In dem Portrait' sein eignes schaut!
Gern sagt' ich dieß zu seiner Schonung leiser,
Allein zum Trost' der Thoren, sag' ich's laut.
Denn nehmt dem Geist' des Erstern, diese Fieber,
Wovor das Glück nicht Einen fast bewahrt,
[152]
So habt Ihr gleich ein Wesen andrer Art,
Nur Mensch dem Körper nach. Du weist ja selbst, mein Lieber!
Wie neidisch daß ein Thor auf bessre Menschen ist.
Doch setze, daß der Narr erfahre,
Wie ähnlich du fünf Tag' im Jahre
Durch Murren ihm gewesen bist;
Das legt er hier auf seine Wage,
Und sein Verdienst dazu, so wenig das auch ist,
Dort, die dreihundert sechszig Tage,
Worin du ihm zu weise bist;
Und christlich wird er's Dir verzeihen,
Denn wiegt er doch nunmehr so schwer, wie Du!
Und, lieber Bürger, Glück dazu!
Wer hier ein Engel wär', den sollt' es bald gereuen,
Denn, Freund, der Narr hätt' eher keine Ruh'.
Die Laune macht, (zwar auch nicht allemal!)
Nur blinden Lärm, wann sie im Kopfe
Des Weisen spukt. Doch Gnade Gott dem Tropfe!
[153]
In dem zerbricht sie Eisen, Stein und Stahl.
Im Deutschen säuft sie Anker Wein,
Bravirt dem Staat', dem Himmel oben drein,
Und überschreit die zehn versucht'sten Zänker,
Wird seines Freundes Herr und seiner Gattin Henker.
Im Britten macht sie insgemein,
Bei Dummen selbst, den tiefen Denker,
Und wirft, als wär's ein Kieselstein,
Das Leben in die Thems' hinein.
Im Franzmann' zuckt sie über alles
Die Achsel, denn das Ausland? Ha, ha, ha!
Was könnte der noch sehn, wer sein Paris nur sah?
Auf keinem Fleck' des Erdenballes
Wohnt ein so kluges Thier, als da.
Paris, Paris! das ist sein Steckenpferdchen!
Sitzt er auf dem, so ist der Bettler reich,
Blitzt mit dem Aug' und reibt das Bärtchen;
Doch, laßt ihn gehn, das rath' ich Euch,
Schnell zieht er sonst sein bunt bebändert Schwertchen,
[154]
Und schickt Euch par point d'honneur ins Schattenreich.
Denn überhaupt, das merkt Euch fein,
Ist mit der Laune nicht gut scherzen;
Gebt ihr ein Pfund von Eurer Klugheit ein,
Kein Gran kommt doch zu ihrem Kopf' und Herzen,
Verdunsten wird sie wie der Wein,
Und schneller noch. Drum geh' ich gern,
Belaunten, wie Betrunknen, aus dem Wege;
Und wahrlich! haben diese Herrn
Fast immer einerlei Gepräge.
Wenn ich durchaus sie nicht vermeiden kann,
So werd' ich doch ihr Murren und ihr Grämen,
Und was die Laune sonst zu unsrer Qual ersann,
Nicht leicht nur Fremden übel nehmen,
Und Freunden – – – Pfi! deß sollt' ein Biedermann
Vom Wirbel sich bis in die Zehen schämen.
Doch ist mir's lieb, daß ich die Toleranz
Nicht üben darf bei Königen und Fürsten;
[155]
Der Appetit der Laune, soll da ganz
Besonders seyn, ja gar nach Blute dürsten.
Ich würde schon so einen griech'schen Tanz,
Wie einst Naudäus 1 tanzte, sehr verbitten,
Und solch ein Tanz, wie Monaldeschi 2 gar
Mit Mördern tanzen mußte, war
Nun vollends nie bei mir gelitten.
Drum taugt' ich nicht für große Herrn,
Denn sich mit ihnen zu vertragen,
[156]
Ist allen schwer, die gern die Wahrheit sagen;
Ich sag' sie aber gar zu gern.
Ein Höfling, der die Phantasien
Von ihrer Laun' erforscht, und listig sie gewinnt,
Wird schnell durch sie empor zum Günstling' blühen,
Allein durch sie verwelkt er auch geschwind.
Wem das gefällt, laß immerhin,
Gekrönte Laun' ihr Wesen mit ihm treiben.
Ich fühl's, wie wenig ich nach Ehre lüstern bin,
Und würde, wär' ich einmal da,
Als Physikus zu Altona,
Wohl Physikus bis an mein Ende bleiben 3.
Wer fast auf nichts mehr in der Welt
Noch Anspruch macht, durch nichts sich mehr läßt blenden,
Wer zwischen eigenen vier Wänden,
Sich glücklich bei der Arbeit hält,
[157]
Und wem es besser nur bei seinem lieben Bürger,
(Beglückt, wer einen hat!) gefällt!
Nicht von Despot und Menschenwürger
Für Geld sich prellen läßt, wie man die Füchse prellt,
Kurz, wer es mit dem Grundsatz' hält,
Mehr glücklich seyn, als glücklich scheinen:
Der darf die Launen aller Welt,
(Ein scheußlicher und langer Zug!)
Fast nie befürchten, nie beweinen,
Und jeder hat ja, sollt' ich meinen,
An seinen eignen schon genug.
Die Laun' ist wie das Podagra;
Itzt ist es weg, itzt wieder da,
Die Mora kann es lindern, nicht vernichten.
Doch, wodurch schlägt das Launenfieber um?
Vergebens suchen Dichter in Gedichten,
Weltweis' im Buche von den Pflichten,
Und Aerzt' in Edinburgs Dispensatorium,
[158]
Dagegen ein Specificum.
Nun denke! Bei dem allen, Freund, erstand
Mein Ahnherr Paul vor hundert Jahren
Dieß Mittel; denn auch er hat schon die Gicht gekannt,
Die unsre Seelen oft erfahren,
Obgleich Gesundheit, Glück und Frau,
Ihm sehr getreu bis an sein Ende waren.
Wüßt' ich das Ding nicht ganz genau,
So wär's zu arg, als daß man's glauben könnte;
Denn, Freund, Gesundheit, Weib und Glück! – –
Eins ist beinahe schon Verschwendung vom Geschick';
Doch hinterließ Herr Paul uns sichre Documente.
Genug, der Mann war oft sehr mißvergnügt,
Und wußte nicht, warum? das wird doch glaubhaft scheinen?
Bei Damen wenigstens, die wohl ein Schauer weinen,
Wenn ihnen nichts am Herzen liegt.
Paul bracht' in seinem Büchersaale
Den größten seiner Spiegel an,
[159]
Den man noch itzt, wie die Originale
Der Document', in Ellrich sehen kann.
Empfand er was von einem Launenfieber,
Gleich setzt' er sich, steif wie ein todter Mann,
Im Sorgenstuhl' dem Spiegel gegenüber,
Sah immer sich mit starren Augen an,
Und küßte sich mit Liebreitz eines Drachen,
(Der Mann hatt' übrigens Verstand!)
Die eigne klapperdürre Hand,
Kurz, gab sich alle Müh', zum Narren sich zu machen,
Und zwang zu guter Letzt so lange sich zum Lachen,
Bis er sich in der That geneigt zum Lachen fand.
Vielleicht daß Pauls Arcanum Lob erhält;
Es mag auch leicht mehr Werth noch haben,
Als das, wodurch Herr Ailhaud 4 einen Theil der Welt,
[160]
In aller Stille läßt begraben.
Für Damen und für süße Herrn,
Die ob der eignen Schönheit staunend, wie die Affen,
Zu ganzen Vormittagen, gern
In großen Spiegeln sich begaffen,
Ist Pauls Arcanum eben recht.
Für Andre, die nichts schönes an sich sehen,
Zu ernsthaft sind, um Possen zu begehen,
Ist's, ich gesteh' es, freilich schlecht.
Halb toll im Kopfe müßte mich
Die Laune wenigstens erst machen,
Bevor ich hin, zu Pauls geerbtem Spiegel schlich',
Ein Probestück davor zu lachen.
Hausmittel gibt's indeß genug,
Die Launen-Schauer zu vertreiben,
Nur muß sie jeder selbst verschreiben,
Und dann verschreibt man selten klug.
Das, welches ich mir zu verschreiben pflege,
Ist dieses: Geh du deine Wege
[161]
Zum Thor' hinaus! Kaum athm' ich freie Luft,
So wird mir schon ums Herz ein wenig besser;
Auch hör' ich allgemach das Murmeln der Gewässer,
Und wittre schon des Birkenlaubes Duft.
Wär' aber ja für Aug' und Ohren
Die Gegend dennoch leer und still,
So ruf' ich nur: Spadille! such! verloren!
(Mein Hund ist dann ein Ding, das viel bedeuten will!)
Husch! springt bei seinen raschen Sprüngen
Der Dämon Laune hinterher,
Denn eine Kleinigkeit, ein glücklich Ohngefähr,
Kann oft von selbst ihn leicht zum Abmarsch' bringen,
Gewalt ihn aber nimmermehr
Nur einen Schritt zu weichen, zwingen.
Zwar lauf' ich oft durch Feld und Hain,
Und finde keine solche Schnurre,
Doch besser, daß die Laune mich allein,
Als gar durch mich auch Andre purre.
[162]
So zankt' ich heut im Felde wacker mich
Ganz in geheim mit meinem Schatten,
Und als wir uns genug herum getummelt hatten,
Ging ich nach Haus; sieh da! dein Brief! die Laun' entwich!
Nicht wahr, Ihr großen Herrn, wer auch nur Freunde hätte?
Allein Ihr habt auf dieser Welt
Den höchsten Rang, das mehrste Geld,
Das schnellste Pferd, das weichste Bette,
Den feinsten Wein, die größte Macht,
Und Wechsel in den Zeitvertreiben:
Wir nichts als einen Freund, der mit uns weint und lacht.
Doch – – laßt's nur immerhin bei dieser Theilung bleiben.

Fußnoten

1 Er hatte von den Tänzen der Griechen und Römer geschrieben. Bourdelot, der Hofspaßmacher an dem Hofe der Christina von Schweden, beredete die Königin, daß Naudäus von jenen Tänzen eine Probe geben sollte, und der sonst ehrwürdige Alte, mußte dieß mit plumpen und lahmen Schritten thun, indeß Maibaum, der über die Musik der Griechen geschrieben hatte, eine griechische Melodie mit seiner dumpfen und zitternden Stimme dazu sang.

2 Er war Stallmeister bei der Königin Christina, die ihn, (man weiß noch jetzt nicht gewiß, warum?) ohne allen Prozeß, in der Gallerie des Schlosses zu Fontainebleau, wo sie zum Besuche war, ermorden ließ.

3 Graf Struensee war bekanntlich zuerst Physikus an diesem Orte.

4 Dessen Pulver, die auch gegen die üble Laune gut seyn sollen, ihrer Schädlichkeit wegen, in den Königlich Preußischen Landen verboten worden.

[163] An Gleim

Ellrich, den 1. Mai 1776.


Du hast mich zwar
Seit einem Jahr'
Wohl zwanzigmal
Besuchen wollen;
Doch, Berg und Thal
Möcht' eher sich
Zusammen rollen,
Als du und ich,
Uns, wie es scheint,
Hier küssen sollen.
Wir aber, Freund,
Trotz unsrer Liebe!
Sind nicht gemeint,
Dem Aufgeschiebe
[164]
So nach zu sehn;
Versprechen halten,
Das steht bei Alten,
Und jungen, schön,
Entschuldigungen
Sind, wie du weist,
Dir oft gelungen;
Doch nun zerreißt
Der Frau Geduld
Am Spinnerädchen,
Das letzte Fädchen,
Ob deiner Schuld.
Zwar, wenn ich recht
Es überlege:
Die Felsenwege
Sind herzlich schlecht;
Man wird im Wagen
So braun und blau,
Wie manche Frau
[165]
Vom Mann', geschlagen.
Fürwahr! so was
Verlangt der Haß
Und nicht die Liebe;
Ja! wär' ich Gleim,
Ich selber bliebe
Wohl hübsch daheim.
Doch steht geschrieben:
Die böse Sieben
Hypochondrie,
Aus Kreuz und Magen
In einem Huy!
Heraus zu jagen,
Sey in der Welt,
Wem's sonst gefällt,
Kein besser Mittel,
Als solch Geschüttel.
Nun wollt' ich gern
Den lieben Herrn
[166]
Canonicus,
Der immer sitzen,
Bei Acten schwitzen
Und doctern muß,
Recht frisch und munter
Im Frühling' sehn:
Drum laß es gehn
Berg auf, Berg unter,
Dem Harz hinein!
Denn die Gewässer
Sind wieder klein,
Die Wege besser,
Die Luft so rein!
Der Nachtigallen
Gesänge schallen
In Lahra's 1 Hain;
Und Blumen düften
[167]
Auf jeder Höh',
Die Herr Linnee
In seinen Schriften,
So viel er kennt,
Nicht alle nennt;
Und Felsen schimmern
Hoch auf dem Harz
Besonnt, und flimmern
Von Spath und Quarz;
Und hohe Schlösser,
Die manchen Fresser
Und Dieb genährt,
Stehn da verheert,
Stehn und dociren
Den Spruch von fern,
Daß strenge Herrn
[168]
Nicht lang regieren!
Und froh und süß
Spielt auf bejahrten
Verfallnen Warten,
Wo die Trompete
Zur Schlacht sonst bließ,
Die Schäferflöte
Zum Tanz' der Lämmer;
Der dumpfe Schlag
Der Eisenhämmer,
Ist wieder wach 2;
Und in der Weite
Schläft nach und nach
Der Felsenbach
Und das Geläute
Der Herden ein 3;
[169]
Und in dem Hain',
Wo die Druiden 4
In gutem Frieden
Kramm'tsvögelein
Für sich gebraten,
Und fromm und fein,
Wie itzt Prälaten,
Nie Layen baten,
Ihr Gast zu seyn:
Da springt im Quelle
Die Lachsforelle
Für meinen Gleim;
Da zirpet nun,
Leis' und geheim,
Das Haselhuhn
[170]
Für meinen Gleim;
Da ätzt das Reh
Vom jungen Klee
Den ersten Keim
Für meinen Gleim;
Da holt nunmehr
Der Bienen Heer
Schon Honigseim,
Zur süßen Beute
Für meinen Gleim;
Da hasch' ich heute
Schnell Reim auf Reim
Für meinen Gleim!
Zu solchem Feste,
Für Dich nur klein,
Doch mir das größte,
Lad' ich Dich ein,
Und zapfe Wein
Vom Mutterfasse,
[171]
Und trink', und lasse
Mit Gleimen gern
Die großen Herrn
Mit langen Ohren,
Langöhrigt seyn;
Denn wer kann Thoren
Zu Weisen schrein?
Wohlan denn! Munter,
Berg auf, Berg unter,
Zum Harz hinein!

Fußnoten

1 Lahra, eine Göttin der alten Deutschen, die auf dem Berge, wo itzt noch das alte Schloß und jetzige Amthaus Lohra oder Lahra, zwei Meilen von Ellrich steht, einen Tempel hatte. Eine sehr waldige und romantische Gegend.

2 Das Triebwerk der Eisenhütten friert gewöhnlich im Winter zu.

3 Alle Rinderherden im Harz, tragen Glocken am Halse.

4 Bei Druidenstein oder Drudenstein, wie man es itzt nennt, einem Dorfe auf dem Wege von Blankenburg nach Ellrich, in dessen Walde die Druiden sonst wohnten.

[172] An Herrn **, einen jungen Dichter

Im August 1776.


Soll ich frohlocken? Soll ich klagen?
Wünsch' ich dir Glück? Bedaur' ich dich?
Wer spornt, wie du, zum Ziele sich,
Und wird so jung den Lorbeer tragen?
Doch, junger Freund, besinne dich!
Der Geist, der mächtig, wie das Feuer
Im Aetna, auf in dir sich rafft,
Bald eine Welt voll Ungeheuer,
Und bald ein Paradies erschafft;
Der, (wie dem Pico, – tausend Berge
Sind Hügel ihm! – ein gleicher fehlt,)
Neun hundert neun und neunzig Zwerge
[173]
In jedem Tausend Menschen zählt:
Der Geist, o Freund, verdient zwar immer
Bewunderung, doch selten Neid.
Liebt er Gesänge? desto schlimmer!
Ruh', singt er, und Zufriedenheit,
Oft andern Herzen, seinem – nimmer!
Hat dich in seinem Schooß' das Glück
So mild wie die Natur genährt?
Gab dir es einen eignen Herd?
Gebeutst du über dein Geschick?
Kannst du von Veilchen dir im Lenze,
Im Herbst', von Astern, späte Kränze
Auf einem eignen Gütchen drehn?
Und, wenn von Eis die Fluren glänzen,
Von deiner Hirtenmädchen Tänzen,
Zu Tänzen in der Oper gehn?
Kannst du dem Freund' aus eigner Schale,
(Dem Seneca schenk Wasser ein!)
Zutrinken von bezahltem Wein'?
[174]
Bei einem kleinen Abendmahle,
Das nicht die magre Sorge kocht,
Mit einer Brust, die aller Syrten
Der Goldgier lacht, nie lärmt und pocht,
Und einer Stirn', die dir mit Myrten
Der Freiheit sanfte Hand umflocht,
Anakreontisch ihn bewirthen?
Kannst du der Weisen Weisheit kaufen?
Umsonst vergibt sie Reiche 1 nicht!
Darfst du, wie Kleist, nicht vom Gedicht'
Um zehn auf die Parade laufen?
Um neun, wie Uz, ins Burggericht?
Nicht einem Narrn, von dem Gelichter,
Wie der im Werther, Weihrauch streun?
Kurz, kannst du unabhängig seyn?
So geh, und werd' und bleib ein Dichter.
[175]
Wer die Natur zum Freunde hat,
Wird schwer das Glück zum Freunde haben;
Wie billig! – An des Glückes Gaben
Frißt sich der Thor, wie Mastvieh, satt.
Nimm ihm sein Futter für die Sinne:
Was hat er mehr noch, als ein Schwein
Im Kamp erfrorner Eicheln hat?
O! glücklicher ist eine Spinne,
Die ihr zerrißnes Netz vergißt,
Ein neues webt, und ruhig ist.
So blickt, mit bloßem Geist', ein Mann
Sein unverschuldet Mißgeschicke
Betrübt, doch so betrübt nicht an,
Als wie der Thor mit bloßem Glücke.
Auch du, o Liebling der Natur!
Kennst von dem Glück' den Namen nur,
Hast nichts, als dich und deine Flöte;
Doch jung und sorglos, ist man reich.
Du bist der Rosenknospe gleich,
[176]
Die ruhig an der Morgenröthe,
Von ihrem Tröpfchen Thau sich tränkt,
Doch, ob einst Sirius sie tödte?
Ob ihre Blätter, auf die Beete
Der Sturm verwehen wird? nicht denkt.
Als sie noch Wohlgeruch verstreute,
Trat jeder lüstern zu ihr hin,
Und nannte sie die Königin
Der Blumen, küßte sie, und freute
Sich ihres Balsams spät und früh.
Die guten, o die hübschen Leute!
Doch auch nicht Einer – tränkte sie.
Dieß ist das Bild von einem Dichter,
Der früh, sich selbst der strengste Richter,
Der Kunst sein ganzes Leben schwor;
Der keine Katz' am Hofe streichelt,
Und hätte sie des Fürsten Ohr,
Und keinem reichen Thoren schmeichelt,
Und wär' er ein durchlauchter Thor.
[177]
Das Glück stellt kaum in hundert Jahren
In einem Land' ein solches Paar,
Wie Friedrich und sein Bernstorf waren,
Als König und Minister dar.
Wie willst du nun auf Große hoffen?
Des Ruhmes Tempel steht dir offen,
Allein des Glücks Chatoulle nicht!
Selbst Frankreich gab einst Pensionen,
Nicht, um den Dichter zu belohnen,
Bezahlt ward nur sein Lobgedicht.
Weit klüger sind die deutschen Fürsten,
Auch dieses Lob gilt ihnen gleich,
Und wenn sie ja nach Lobe dürsten:
Der Dümmst' am Hof', versichr' ich euch,
Ist für das Lob an Witz zu reich.
Ein Fürst, mein Freund, hat mehr zu thun,
Als einem Dichter zuzuhören,
Durch ihn von Sorgen auszuruhn,
Und für die Wohlthat ihn zu nähren.
[178]
So lange Mädchen, für das Geld
Des Landes, noch Maitresse werden,
Kein Mangel ist an Hund und Pferden,
Der Forst jagdbare Hirsche hält,
Die steifen Männer in der Karte,
Und die auf dem Paradeplatz',
Schön Spielwerk machen von dem Schatz',
Den die Rentei zusammen scharrte:
So lang, ihr Dichter, Philosophen,
Und Keplers, fodert kein Gehör!
Bewerbt Euch um die Gunst der Zofen,
Und fällt Euch dieß etwa zu schwer,
So darbt wie Kepler und Homer!
Denn sagt nur nicht: Ich muß doch leben!
Sonst möcht' Euch der Minister, frei
Zur Antwort, wie Fontainen 2 geben:
Ich seh' nicht, daß das nöthig sey!
[179]
Was ist dem Staat' der Dichter nütz?
So darf der Mann am Ruder fragen;
Doch darf des armen Dichters Witz,
Dreist, wie er fragt, die Wahrheit sagen?
Und sagt' er sie: Was wär' es nütz?
Wenn Plato diese Frage thut,
So thut sie der vielleicht mit Rechte;
Allein das Sprichwort, wie ich dächte,
Si duo idem etc. paßt hier gut.
O Freund! laß dich das Beispiel nicht
Von zwei belohnten Dichtern blenden!
Von vierzig deutschen Fürstenständen
Ist's noch nicht vieren süße Pflicht,
Für Geist Belohnung auszuspenden,
Denn nur für Körper geitzt man nicht.
Sey mittelmäßig als Minister,
Als General, als Arzt, als Priester,
So bist du – was die mehrsten sind.
Sey mittelmäßig als ein Dichter,
[180]
So ist, (die Nachwelt noch wird Richter!)
Dein Ruhm, dein Einzigs – Spreu im Wind'!
Und diesen Ruhm dir zu erstreben,
Mußt du von deinem kurzen Leben
Den schönsten Theil, Gesängen weihn.
Und bist du endlich durchgedrungen,
Hast deinen Namen groß gesungen,
Und deine Pfleg' im Alter, klein:
Was wird dir Ruhm und Nachruhm seyn?
Glaubst du, der Dichter wird geboren?
Nein, Freund, der erste Funke nur,
Und, o wie leicht geht der verloren!
Ja! hätte dir auch die Natur
Zu Iliaden Geist gegeben,
Du stirbst, ohn' Iliaden, hin,
Wenn du nicht durch das ganze Leben,
So wie Homer, mit offnem Sinn',
Die weite Welt und ihre Bürger,
Vom Grashalm' bis zum Zederbaum',
[181]
Vom Hirten bis zum Völkerwürger,
Erforscht im Wachen und im Traum'.
Wo nicht: singst du vielleicht dem Ohr'
Der Damen an den Toiletten,
Von Grazien und Amoretten,
Von Venus und von Cypripor,
In feinen, reinen, kleinen, netten
Gesängen, braven Schnickschnack vor.
Du kannst, gehüllt in blauen Dunst,
Dir freilich lauten Ruf erklimpern,
Denn, wie du siehst, ist manchen Stümpern
Dieß eine federleichte Kunst;
Doch, nach Jahrtausenden, noch allen,
Wie Flaccus und Homer, gefallen;
Das hängt nicht ab von Mädchen-Gunst.
Fleug hinter den Homerus her:
Willst du von deinem Geiste leben?
Ach! was gilt weniger, als der?
[182]
Wird Hemmerde 3 wohl dreimal mehr
Für eine Messiade geben,
Als er für Meyers Logik gab?
Der Mann fragt nicht, wie viele Jahre
Der Dichter sang? Er mißt die Waare
Bloß mit des Kaufmanns Messestab.
Was gab man dem Homer der Britten
Für sein unsterbliches Gedicht?
Ein Trankgeld! daß der Mann doch nicht
Die Federn ganz umsonst verschnitten.
Zwar wußt' als Wuchrer, Ferney's Greis,
Was er als Dichter sang, zu nützen;
Wer aber möcht' um diesen Preis
Ein Ferney, so wie er, besitzen?
Mein lieber Schwärmer! Die Natur
Ist zwar mit wenigem zufrieden,
Braucht, statt des Weines, Wasser nur,
[183]
Kann, statt Forellen, Wurzeln sieden.
Doch du, den nicht die Schäferflur,
Den die verfeinte Stadt geboren:
Hast du zum Stande der Natur
Nicht schon die halbe Kraft verloren?
Rousseau lobt mächtig diesen Stand,
Und was er lobt, muß wohl gefallen;
Ich wünschte selbst mich auf das Land,
Um dort, als Hirte, unbekannt,
Mein Leben friedlich hinzuwallen.
Doch, nach der Zeitung, geht der Mann
Spatzieren in den Thuillerien:
Was soll denn ich ins Holz voran,
Gleich einem halben Wilden, ziehen?
Denn, nach dem Stande der Natur,
Dicht vor dem Thore von Athen
Zu leben, wie einst Diogen,
Verzeiht man Diogenen nur.
Weil der so eigensinnig war,
[184]
Willst du es seyn? Den kleinen Bissen
Mit Kindern theilen? Oder gar
Das Glück, geliebt zu werden, missen?
Gern wird ein Mädchen dir die Hand,
Doch, Fluch für Gold, der Vater geben.
Wo fragt man denn: Hat er Verstand?
Die Frag' ist nur: Hat er zu leben?
Und, Freund, wer seine Freiheit liebt,
Muß keine reiche Gattin suchen;
Zu spät wird er das Geld verfluchen,
Vor dem die Ruh', wie Spreu zerstiebt.
Ein Dichter seyn, wird viel dir scheinen:
Doch, kennst du auch schon die Gefahr?
Er ist ein Aergerniß bei Neunen,
Dem Zehnten eine Thorheit gar.
Vom Sänger an der Iliade,
Ist, bis auf Butler, und herab,
Von dem, bis zu des Jünglings Grab,
[185]
Das ich noch itzt mit Thränen bade 4,
Kein Volk an guten Dichtern leer:
Unglücklicher kenn' ich noch mehr.
Man kauft' im Laden das Vergnügen,
Das aus dem Hudibras einst quoll,
Für wenig Geld. Mit vollen Zügen
Trank es der Lord, doch fragt' er wohl:
Wie ist's? Schmeckt Butler auch Vergnügen?
Und wenn nicht dieses: Hat er Brod?
Denkt er zu groß, sich klein zu schmiegen? –
Und ach! was kostete für Noth
Den Dichter, dieses Pairs Vergnügen!
O Freund! werd' ein berühmter Mann,
Dann darfst du nach N.N. nur reisen:
Drei Tage gafft dich jeder an,
Drei Tage wird dich jeder preisen;
Doch bist du weltberühmter Mann
[186]
Dem Löwen gleich, am vierten Tage,
Von dem die Stadt sich müde spricht.
Wie sah er aus? das ist die Frage;
Nicht, ob es ihm woran gebricht?
Was träumtest du von Halberstadt?
Daß hier Athen im Kleinen sey?
Geh hin, du Freund der Schwärmerei;
Ob Kleist dort fünfzehn Leser hat?
Der Hunger hätte da geheim
Michälis sicher aufgezehret,
Wenn nicht die Freundschaft seines Gleim,
Des Tigers Zahne noch gewehret.
Er starb. Ach! seines Todes Schuld
War nicht, daß ihn der Mangel drückte,
Denn dieß ertrug er mit Geduld;
Was dreißig Jahre vor der Zeit
Ihn nach und nach in Gram erstickte,
War seiner Eltern Dürftigkeit.
Er starb; beweint von drei bis vieren,
[187]
Die ihn allein gesucht, gekannt,
Und oft kann nicht ein ganzes Land
Solch einen Geist, wie den, verlieren.
Er starb; ein kleines Licht im Leben,
Dem, was im Glanz' des Goldes prahlt,
Kaum einen Seitenblick gegeben;
Nur erst im Tode überstrahlt
Sein Lorbeer, Stern' und Ordensbänder,
Sein Nam' allein, den ganzen Schwarm
Der Titel im Adreß-Kalender:
Und dieser Mann, war nichts, war arm.
Vielleicht schlägt deinem Muth', o Mann,
Dieß Beispiel eine leichte Wunde,
Die leider nur in einer Stunde,
Die Hoffnung wieder heilen kann.
Denn o! was half der Väter Sage
Beim Ariost und beim Ovid?
Sie folgten ihrem Herzens-Schlage,
Und sangen, trotz dem Zwang'! ihr Lied.
[188]
Freund! wenn auch dir dein Herz verbeut,
Vom Dienst' der Schönheit weg zu flüchten:
Nun wohl! so sey denn eingeweiht!
Sey nicht unsterblich in Geschichten,
Gib du dir selbst Unsterblichkeit!
Doch, um dieß Leben zu genießen,
(Vom Ruhm' genießt man wenig nur!)
Und weise, gleich dem Epikur,
Durch leichte Freuden zu versüßen,
Laß dich die Mühe nicht verdrießen,
Für das, was Flaccus süßes hat,
Bei des gelehrten Nettelblatt 5
Schlafkörnervollem Spaß' zu büßen.
Wie hat ein Mann, wie du, so leicht
Die Kunst, darob sich die Juristen
Auf Richterstühlen mächtig brüsten,
Sobald er will, im Spiel' erreicht.
[189]
Und alles wird er besser machen,
Als ein Pedant mit seinem Wahn',
Der, mög' er alle Nächte wachen,
Beim Leyser und Justinian,
Nichts weiß, nichts lernt, als – Schlendrian.
Sich gut in dieses Joch zu beugen,
(Nicht, Denker seyn,) das heißt Geschick!
Und, daß du Dichter bist, verschweigen:
Nur dieß allein führt dich zum Glück'.
Daß Gleim bei altem Rheinschen Weine,
Durch Scherz der Freunde Busen schwellt;
Daß sich der Sänger an der Leine,
Ein Reitpferd zum Vergnügen hält:
Das danken ihrem Acten-Schreine
Und Corpus juris, beide sie.
Daß an des Mangels harter Kruste
Michälis aber nagen mußte:
Wem dankt' er das? der Poesie.
Freund! kann dich nicht der Mangel drücken,
[190]
Dein Aemtchen sey auch noch so klein,
Dann magst du dich Gesängen weihn,
Denn welches Amt kann sie ersticken?
Der Mann von Geist braucht wenig Zeit,
Sein Tagewerk frisch umzupflügen,
Und damit Basta! Dem Vergnügen,
Der Weisheit, sey der Rest geweiht.
Doch, Freund, damit die Hand der Zeit
Am Denkmaal' der Unsterblichkeit,
Nicht deinen Namen früh verwische,
So sey nicht neu durch bunten Schein,
Durch Form und Wörterkram, so mische
Selbst deinen Scherzen Weisheit ein.
Ha! welche Namen hört' ich doch
Als Knab', auf allen Lippen schweben;
Auf welchen schweben itzt sie noch?
Und, seinen Ruhm zu überleben,
Dafür, – denn denke dir die Pein! –
Ist's besser, nie berühmt zu seyn.
[191]
Wohl mir! daß ich kein Dichter bin,
Und nicht, wie du, nach Ruhme strebe,
Daß ich mit sorgenfreiem Sinn',
Der Weisheit und der Freude lebe.
Mein Aemtchen fodert wenig Zeit,
Mehr Schlendrian, als tiefen Geist:
Was Wunder! wenn die Thätigkeit
Die engen Schranken niederreißt,
Mich auf die Harzgebirge führet,
Wo meine Freundin, die Natur,
So ganz mit mir sympathisiret,
Und dann, doch freilich selten nur,
Die Lippen zum Gesange rühret.
Doch, zeigt mir einen ebnen Pfad,
(Den krummen haß' ich,) das dem Staat'
Zu seyn, was Tausende nur scheinen:
Zur Dichtkunst spräch' ich gleich mit Weinen:
»Leb wohl! Von Worten nun zur That!«
[192]
Dieß ungeheure Schiff, die Welt,
Hat zehen Thoren, einen Weisen
Am Steuer. Wem es bloß gefällt,
Als Passagier darauf zu reisen,
Ob man ihm gleich das Ruder beut,
Hat wenig Menschenfreundlichkeit.
Gefiel es ihm, im untern Raum'
Verschloßnem Jammer nachzuspüren;
Sag, ging' er wohl, (ich dächte kaum!)
Sorglos auf dem Verdeck' spatzieren?
Bei stillem Meer' und Sonnenschein'
Die Mannschaft durch Gesang vergnügen,
Das Ungemach der Reise klein,
Die Anmuth aber groß zu lügen;
Wenn Räuber ihre Freiheit dräun,
Durch Kriegsgesang das Herz entzünden;
Bricht Sturm und Donnerwetter ein,
Daß Muth und Kraft und Hoffnung schwinden,
Trost für das ganze Schiff zu seyn;
[193]
Ihm dann das Ende aller Reisen,
Die neue Welt von fern zu weisen;
O! dieß Verdienst ist nicht so klein.
Doch, diesen liederreichen Geist
Für die Gefährten seiner Reisen
Zum Streit' verwenden, so wie Kleist,
Wie Addison zum Steuerführen,
Wie Gellert, für den Unterricht,
Wie Haller, Gruben nachzuspüren,
Wo Gegengift für Gifte bricht,
Wie Uz, der Unschuld Recht zu sprechen,
Wie Luther, das Tyrannenjoch
Des Aberglaubens zu zerbrechen:
Ist dieß Verdienst nicht größer noch?
Von dir, der du die ganze Flotte
Der Welten, in dem Ocean
Der Schöpfung führst, von dir, dem Gotte
Voll Güt', erwart' auch ich den Plan
Des Lebens. Soll ich auf der Reise
[194]
Dem Volke mich zum Sänger weihn,
So sey mein Lied so froh als weise,
Dann wird auch manches Herz es seyn.
Doch wenn die schwere Fahrt den Schwachen
Mein Arm vielleicht erleichtern kann:
Hier bin ich, guter Herr! Wohlan!
Laß mich sie ihnen leichter machen.

Fußnoten

1 Buchhändler.

2 Der Abt Fontaine, ein Kritikus.

3 Verleger der Messiade.

4 Michälis.

5 Vormals Professor der Rechte in Halle.

[195] An den Herrn K.R.H. in C.

Auf dieser komischen Redoute,
Man nennet sie mit einer Sylbe: Welt!
Hatt' ich mich unbemerkt im Winkel hingestellt,
Dem Tanze zugesehn, und hinter meinem Hute
Nach Wunsch mich satt geweint, nach Herzenslust gelacht.
Dieß steckte nun nicht bloß in meinem Blute,
Nein! jedem ist dieß Fieber zugedacht.
Ja! wenn ein Knabe, kaum der Ruthe
Entwachsen, fertig schon mit seiner Rolle wäre,
So hätt' er doch den Jean qui rit, et Jean qui pleure,
So gut, als ein Methusalem, gemacht.
[196]
Der wunderliche Weise Griechenlandes,
Der nie aus seinem Gransen kam,
War doch noch immer unsers Standes,
Und wenn er sonst sich je die Mühe nahm,
Betrachtungen auch über sich zu machen,
So mußt' er ja nothwendig – lachen.
Der andre Herr, der sich ins Grab gelacht,
War sicher doch mit Seufzern auch bekannt.
So oft, gepeitscht von eines Wüthrichs Macht,
Die Unschuld sich in Blut und Thränen wand,
So mocht' er gleich von außen fröhlich scheinen,
Er mußte doch im Innern weinen.
Die Schauer hat der Weise wie der Thor!
Nur mit dem großen Unterschiede,
Der eine weint, der andre heult uns vor;
Der über viel, und kurz; dann hat er wieder Friede,
Der andre, hängt sein Steckenpferd das Ohr,
Wird seines Schreiens nimmer müde.
[197]
So sah ich's auf dem Maskenball' auch immer;
Der eine nur verbarg mit künstlichem Gesicht'
Sein Lachen oder sein Gewimmer;
Der andre lacht' und weint' im großen Tanzsaal' nicht,
Wohl aber in dem Nebenzimmer.
Der eine lächelt nur, so oft der muntre Knabe,
Der Witz, im Schooß' der Mutter Weisheit spielt,
Und, daß des Weisen Herz sich labe,
Sein Müthlein an dem Thoren kühlt.
Dann ist dieß Lächeln ein Geflüster,
Süß, wie der Mara Silberton,
Doch wenn bei seinem Stiefgeschwister,
Dem Aberwitz', des Meister Unsinns Sohn,
Der grobe Bootsknecht aus Natur,
Der Kammerherr aus Eigennutzen lacht:
Wohl dir, wenn dann dieß Lachen nur
Dem Ohr', und nicht zugleich dem Herzen, Ekel macht!
[198]
Wohin ich sah, war alles Mummerei,
Voll Thoren war's, die hier nach äußern Trachten,
Ein jeder zwar nach seiner Phantasei,
Sonst aber sämmtlich einerlei,
Bald gut, bald schlecht – den Weisen machten.
Ja! Weise sah ich gar – wer hätte das gedacht? –
Vermummt in eines Thoren Tracht.
Da war's nun eine Kunst, den Mann heraus zu finden,
Der weise sey, nur nicht nach Schulsystem,
Und der durch Tugenden den kleinen Schwachheitssünden
Den Schatten selbst von Sünde nähm'.
War's aber schwer, dich Mann! heraus zu finden,
So war es erst ein Perlenstück,
Ein solches Mädchen zu ergründen,
Der Witz und Scherz in jedem Augenblick',
Wie Babet einst, zu Dienste stünden.
[199]
Doch frisch gewagt ist halb gewonnen!
So mischt' ich mich denn kecklich in den Reihn,
Mir schienen manche Schönen hier den Nonnen
Im Blick', entlehnet von Madonnen,
Auch dieser selbst an Tugend gleich zu seyn.
Du aber sahst, daß wunderfein
Verstellung diesen Schleier nur gesponnen;
Dieß, und mein Glück, daß ich dem Netz' entronnen:
Dank' ich, o Freund! dir ganz allein.
Dein scharfer Blick, der jeden Schleier,
Auch noch so dicht gewebt, durchschaut,
Hat unpartheiischer und freier
Geprüft des Freundes künft'ge Braut.
Großmüthig kannst du selbst verzeihen,
Daß sie die Hälfte dir von seinem Herzen raubt;
Doch sey es ihr dagegen auch erlaubt,
Vom ihrigen die Hälfte dir zu weihen.
[200]
Mit dir und diesem Genius der Tugend,
Mit dieser Beaumont meiner Jugend,
Hüpft meine Zeit davon gleich einem Schäferreihn;
Doch mischen wir bei feinerem Gefühle
Uns selten nur in das Gewühle
Des großen Contretanzes ein.
In ihm tanzt der Betrug mit der Verführung vor;
Die große Welt folgt unter Scherz und Lachen,
Die krummen Touren mit zu machen,
Worin sich selbst die Arglist wohl verlor.
Ja! auf des Bodens Spiegelglätte
Fällt oft der Weise, wie der Thor;
Doch warum flicht er sich auch mit in diese Kette?
Wir aber hüpfen, fern von aller großen Welt,
Zwar auch nach der Musik, nur bei gedämpfterm Schalle,
Und wenn uns nicht die Melodie gefällt,
So singen wir sie selbst zu unserm kleinen Balle.
[201]
Bald ist sie dann dem sanften Gange
Des Hillerschen Andante gleich,
Doch öfter seinem komischen Gesange,
An schneller und an leichter Wendung reich;
Bei jener, unser Herz nicht bange,
Bei diesem, noch für fremde Klagen weich.

[202] Einladung an einen Freund

Den 24. Januar 1777.


Freund! hast du keinen bessern Wirth,
So bitt' ich, komm bei mir zu Gaste.
Wo sonst kein Bratenwender schwirrt,
Wenn gleich ich nicht wie Harpax faste,
Da dreht sich heut ein Has' am Feuer,
Von keines Windhunds Grimm zerfetzt,
Und eben sind in meinen Weiher
Zwei Lachsforellen eingesetzt.
Borstorfer Aepfel sind zwar jetzt
Am besten, aber viel zu theuer,
Drum hat mein Weibchen zum Tokaier
[203]
Harzkäse nur zurecht gesetzt.
Doch, Freund, ich will dich nicht betrügen;
Mit dem Tokaier, war es Spaß;
Allein, zum Glück'! hab' ich zwei Maß
Burgunder noch im Keller liegen,
Die sollen heute beide dran!
Und leben soll der alte König 1,
Als seines Reiches bravster Mann!
Drum schick' zur Freude recht dich an,
Vermag gleich Küch' und Keller wenig.
Bring' ein Paar Freunde mit; denn viele,
Das, freilich, leidet nicht mein Wein,
Und denn, so werden meiner Stühle
Nur grad' ein halbes Dutzend seyn.
Statt eines horchenden Lackein,
Soll dir ein Mädchen, dem kein Harm,
[204]
Kein Liebesdurst die Wangen bleichen,
Mit aufgestreiftem rundem Arm'
Die spiegelblanken Teller reichen.
Sprich, was du willst, ja spotte schier
Selbst über Deutschlands Potentaten,
Das Mädchen, ich bin gut dafür,
Wird dem Fiskal dich nicht verrathen,
Und hinterm Stuhle, wie betäubt,
Nur lauern, ob vom Hasenbraten
Für sie ein Stückchen übrig bleibt?
So komm denn, und vergiß mir nicht,
Ein faltenleeres Angesicht,
Und deine Harfe mit zu bringen.
Wie sollen meine Jungen springen,
Und zu der rothen Gläser Klang,
Amalia so süß uns singen!
Wie wird mein Weibchen mich umschlingen,
Und froh verstummen im Gesang'!
[205]
Laß immerhin im Leuchter-Saal'
Die reichern Leute, heut ein Mahl
Von dreißig theuren Schüsseln halten,
Um dran acht Tage zu verdaun:
Vergehen des Verdrusses Falten
Nach einem Flügel vom Kapaun'?
Und wird, von einer Hummer-Scheere,
Ein Hofmann wohl dem andern traun?
Gibt Wein, und wenn's Tokaier wäre,
Dem Dummen Witz und gute Laun'?
Und füllet ein Concert von Graun
Des Kopfes und des Herzens Leere?
Doch wer, wie wir, beim Freundschaftsmahl'
Sich recht versteht mit seinem Herzen,
Dem brennt sein Talglicht unter Scherzen
Noch hell beim ersten Sonnenstrahl',
Wann längst die hundert weißen Kerzen
Im ränkevollen Marmorsaal',
[206]
Auf Kronen von Kristall erloschen,
Und seinen Hasen für acht Groschen,
Verdaut er, weiß es nicht einmal.
Drum laß uns schmausen, laß uns trinken,
Denn Wein und Wildpret schmeckt uns noch.
Dann, wenn wir an ein Mauseloch,
Um Zähne zu begraben, hinken:
Dann ist's zu spät! dann wird kein Wein
Den längst gestorbnen Witz erwecken,
Das Auge nicht beredt mehr seyn,
Geheime Wünsche zu entdecken,
Und ach! das Ohr der Harfe Klang,
So wie Amaliens Gesang,
Vergebens sich entgegen strecken.
Ja freilich! könnten mit der Zeit,
Wenn wir nicht schmausen, bis wir sterben,
Die Jungen eine Kleinigkeit
Mehr, als sie finden werden, erben;
[207]
Doch, weist du, sind sie sonst gescheidt,
Was sie natürlich sagen würden?
Mein Vater trug des Lebens Bürden
Jahr aus, Jahr ein, und starb zuletzt.
Er hat ein Grab damit erworben,
Das find' ich auch, bin ich gestorben:
Ist's drum nicht klüger, erst ergötzt?

Fußnoten

1 Friedrich II., dessen Geburtstag der 24. Januar war.

[208] An Goldhagen

Bei Uebersendung eines Reitpferdes.


Im Juni 1777.


Hier bringet Heinrich dir, mein Lieber,
Den Rappen; füttre du ihn todt!
Zwar gingen mir die Augen über,
Als er das letzte Stückchen Brod
Mir heute Morgen aus den Händen
Im Stalle fraß; doch, da er mir
Nichts nutz mehr ist, mag er bei dir
Sein Leben nach Gefallen enden.
Soll ich das Roß, das gegen Wien
Die Preußen sonst ins Treffen führte 1,
[209]
Verdammen, nun den Pflug zu ziehn?
Das Roß, das kaum den Sand berührte,
Durch Treibeis wie ein Wallfisch schwamm,
Wenn mich's zu meinem Mädchen führte,
Und dennoch, fromm als wie ein Lamm,
Bei ihrem Streicheln sich nicht rührte;
Dieß alte, brave, treue Pferd,
Sollt' in der Karre künftig gehen?
Nein, Freund, eh' sollt' an meinem Herd'
Kein Topf am Feuer wieder stehen,
Bis ich das Thier, nach seinem Werth',
Auf Lebenszeit versorgt gesehen.
Zum Glück' für mich und für den Blessen,
Brauchst du ihn nöthiger, als ich.
Wir mögen beide nach dem Essen
Gern müßig seyn, allein, indessen
Dein Freund verdaut, erwartet dich
Dein Filial, ja ließe sich
Die Mitternacht von deinem Kleide
[210]
Nicht unterscheiden, läge schier
Der Schnee zwei Schuh' hoch auf der Heide,
Du gingest doch zu Fuß mit Freude,
Verlangt' ein Sterbender nach dir.
Ich aber habe nichts zu gehen,
Als etwa, mich vom Finkenherd'
Bei heiterm Wetter umzusehen:
Und wozu soll mir nun das Pferd?
Dich zu besuchen? Darum sey's!
So oft ich künftig vom Kalmäusern
Pausire, schick' du mir den Greis,
Der Weg und Steg im Harz itzt weiß,
Wie vormals auf den Katzenhäusern 2.

Fußnoten

1 Der verstorbene General Hülsen hatte es ehemals geritten.

2 Wo der General Hülsen eine Zeitlang mit seinem Corps stand.

[211] An Kästner, in Göttingen 1

Im Juli 1777.


Friedfertig, Kästner, wie ich bin,
Bin ich nur erst seit wenig Jahren.
Doch ist mein Muth noch nicht dahin,
Die See der Schlachten zu befahren.
Denn sieh! mein wackrer Brauder liegt
Noch segelfertig hier im Hafen,
[212]
Sein purpurfarbner Wimpel fliegt,
Und droht, den Kecken zu bestrafen,
Der bloß aus Ehrsuchts-Kitzel kriegt.
Der Kaper, der statt reicher Beute,
Nur Aufsehn zu erregen sucht,
Und laut von dem Verdecke, heute
Den lobt, auf den er morgen flucht;
Und jen' undeutsche Landesleute,
Die stracks auf ihrem plumpen Kahn',
Mit Schnörkeln, wie zu Otaheite,
Staffirt, nachrudern auf der Bahn',
Worauf sie Klopstoks Schiff zum Streite
Mit dem Homerus fliegen sahn;
Die Herrchen, welche neues Land
Entdeckt zu haben, uns verkünden,
Sobald auf einer Bank von Sand
Sie nur zwei neue Blümchen finden;
Die Männerchen von Zuckerguß,
Die gleich auf jedem Nautilus
[213]
Auch eine Venus schiffen sehen,
Für die der Gott der Liebe stehen
Und ewig Pfeile wetzen muß:
Kurz, diese Narrn und Närrchen alle,
Verdienen, daß man auf sie kreuzt;
Daß aber keiner meine Galle,
Wie sonst, zum Ankerlichten reitzt,
Das sey gedankt der guten Seele,
Die nun am Steuerruder wacht,
Und die Kajüt' aus einer Höhle
Zur Myrtenlaub' auf Paphos macht.
Mit ihr geh' ich am Strand' spatzieren,
Und schau' hinaus aufs hohe Meer,
Und sehe Furcht- und Hoffnungsleer
Den Krieg auf gut korsarisch führen.
Neutral zu seyn in jedem Streit',
Ist feine Politik bei allen,
Die beiden Theilen gern gefallen;
Bei mir ist's bloß Gemächlichkeit.
[214]
Gelehrt' und große Herrn vertreiben
Durch ihre Kriege sich die Zeit,
Und Ruhm, sogar Unsterblichkeit,
Läßt sich erfechten und erschreiben,
Doch nimmermehr Zufriedenheit.
Vielleicht könnt' ich auch, durch Satyren,
Noch späten Ruhm, wie Juvenal,
Gewinnen: doch bedenk einmal!
Was müßt' ich itzt dafür verlieren?
Dann könnt' ich nicht so süß, wie itzt,
Am Bach' auf harten Rasen schlafen;
Denn, wen ein Satyr erst besitzt,
Wird selbst im Traum' das Laster strafen.
Dann könnt' ich meine Limbach 2 nicht
So oft, wie diesen Sommer sehen,
Nicht mehr bei vollem Mondenlicht'
Noch Stunden lang am Fenster stehen,
[215]
Und durch ein süßes Traumgesicht
In andre Welten übergehen;
Und ach! nicht halbe Wochen lang
Mit unserm Freund' von Wöllmershausen 3
Bei unsrer Weiber Rundgesang,
Und unsrer Kinder Lärmen, schmausen.
Ich machte, seh' ich nun genau,
Zur halben Wittwe meine Frau,
Und meinen Fritz zur frühen Waise,
Mich selbst, mit vierzig Wintern grau,
Mit fünfzig schon zu einem Greise.
Es ist denn offenbar vergebens;
Aus mir wird nie ein Juvenal.
Genießen will ich meines Lebens,
Denn ach! man lebt ja nur einmal!
Wer gäbe zwanzig seiner Jahre
[216]
Für Cäsars Ruhm und Crösus Geld?
Ich nicht! so lange von dem Staare
Des Wahns, sich frei mein Aug' erhält.
Je weniger ich von der Welt
Und ihrer Hudelei erfahre,
Je besser! weil ich manche Nacht,
Die ich voll Unmuth sonst verwacht,
Und manche Thräne mir erspare.
Hätt' ich den Corsen helfen können:
Die Corsen wären itzt noch frei!
So aber, hör' ich itzt sie nennen,
Wünscht' ich der Armen Sklaverei
Bis diese Stunde nicht zu kennen.
Und ach! stand es in meiner Macht,
Belohnung dem Verdienst' zu geben:
Michälis, der itzt in der Nacht
Des Todes schläft, sollt' itzt noch leben!
So aber, kann ich itzt der Macht
Der Thränen noch nicht widerstreben,
[217]
Wenn sein Portrait, wie er im Leben,
So freundlich, trotz dem Kummer, lacht.
Die Welt gefällt mir täglich besser,
Seit, um den Lug und Trug darin,
Bewohn' er Hütten oder Schlösser,
Ich nicht wie sonst bekümmert bin;
Und, von der Seufzer Heer darin,
Wünscht' ich so viele nur zu hören,
Als ich in Lächeln umzukehren,
(Was hilft sonst Mitleid?) fähig bin.
Wer aber edler Thaten Eine
Mir aus der Welt erzählen kann:
O wohl! der ist so recht mein Mann!
Der trinke mit von meinem Weine,
So lang er trinken mag und kann.
Was ich da hör, erzähl' ich wieder
An Bürger, der den braven Mann
Und seine That, durch hohe Lieder
Zur Nachwelt übertragen kann.
[218]
Du aber, Kästner, sey das Schrecken
Der frechen Kaper, weit und breit!
Schleichhandel mit Gelehrsamkeit
Wird sich vor dir umsonst verstecken,
Und, wer dem Orlogschiff' gebeut,
Das Kästner führt, wie leicht zerstreut
Der eine Flotte von Schebecken!

Fußnoten

1 Folgendes Epigramm von Herrn Kästner, an den Verfasser, als Herausgeber des Göttingschen Musen-Almanachs:

Von unsern Dichter-Sekten allen,

Wünscht sich dein Almanach, ja keiner! mißzufallen.

Friedfertig, wie du Göckingk bist,

War noch kein Epigrammatist.

gab zu dieser Epistel Gelegenheit, die eigentlich eine Antwort auf das Sinngedicht ist.

2 Ein Waldbach bei Ellrich.

3 Bürger, der damals noch in Wöllmershausen wohnte.

[219] An seinen Bedienten

Im März 1778.


Endlich muß ich doch es einmal sagen,
Was ich länger nicht verschweigen kann.
Treuer Heinrich! Von den guten Tagen,
Die du hattest, naht der letzt' heran!
Täglich, siehst du, wachsen meine Jungen
Und die Zahl von ihren Foderungen,
Aber, Heinrich, meine Renten nicht.
Kahl gebürstet hast du meine Kleider,
Und mein Hut, du weist es selber, bricht.
Dennoch, wie so oft du auch den Schneider
Rufest, riefst du doch für mich ihn nicht.
Aber, wenn ich in dem alten Rocke,
[220]
So da steh' an dem Rainettenbaum',
Und die Jungen kommen auf dem Stocke,
Meinen Acten-Riemen statt dem Zaum',
Ihrer Mutter Strumpfband statt der Peitsche,
Angeritten – ha! das geht durchs Mark!
Alle reiche Kleider, die der Deutsche
Von Lyon holt, sind dagegen Quark!
Wie du weist, verschenkt' ich meinen Blessen,
Und doch war der Blesse mir so werth!
Für den Hafer, den er sonst gefressen,
Kauft' ich Fritzen manch gemahltes Pferd 1,
Ging zu Fuß im Feld' umher spatzieren,
War, es wenig achtend, Abends lahm,
Wenn juchheiend nur mit seinen Thieren
Fritz mir im Galopp' entgegen kam,
Aller Nationen Pferde kannte,
Aller Arten Hunde Namen nannte,
[221]
Und vom Tigerthier' in Afrika
Schreckliche Geschichten mir erzählte,
Und mich küssend, und mich streichelnd quälte:
Nun erzähl' du auch mir was, Papa!
Werde, guter Heinrich, drum nicht böse,
Daß ich auch von dir mich trennen muß.
Ich, der nie Fortunens Gürtel löse,
Dem sie selten einen lauen Kuß
Nur erlaubet, soll ich armen Bauren,
Guten Rath, nach Louisdor-Gewicht,
Künftig geben? Und sie kalt bedauren,
Wenn für sie kein fetter Truthahn spricht?
Soll ich um ein Höschen für die Jungen,
Mit dem Schneider lärmen, zanken, drohn,
Bis ich noch zwei Groschen abgedungen,
Ach! vielleicht des Mannes ganzen Lohn!
Willst du mich vor Sonnen-Aufgang wecken,
Noch ein Licht auf meinen Leuchter stecken,
Wann bei keinem Nachbar Licht mehr brennt,
[222]
Jede Meß' ein Büchlein auszuhecken,
Das man in der nächsten nicht mehr kennt?
Sieh! dieß alles, was ich ohne kalten
Schauer, kaum einmal recht denken kann,
Müßt' ich thun, dich länger zu behalten,
Darum fasse dich, und sey ein Mann!
Wolltest du nicht oft von mir sonst wissen,
Was man Weisheit nenne? Höre mich!
Wenn es seyn muß, selbst auch das zu missen,
Was man liebt und schätzet, wie ich dich!
Hast du nichts bei mir gelernt, so lerne
Wenigstens dieß Eine noch von mir;
O! Zufriedenheit folgt in die Ferne
Dann gewiß auf jedem Schritte dir.
Komm' nur morgen früh herauf, und siehe,
Ob ich mich nicht hurtiger, als du,
Ohne Murren ob der kleinen Mühe,
Kleiden will, vom Kopf' bis auf die Schuh'.
[223]
Der du dich für mich des Schlafes gerne,
Wie so süß der dein' auch ist, entschlugst,
Und im hohen Schnee die Blendlaterne
Vor mir her, so rasch und willig trugst,
Als ich die, die ich nun ganz besitze,
Nur zu sehen, keine Nacht mehr schlief,
Und durch Flüss' und Wald, in Frost und Hitze,
Oft mit dir in dunkeln Nächten lief:
O du müssest, wär' er noch so selten,
Doch den Herrn bald finden, der fortan
Freund, wie ich, dir sey, und das vergelten,
Was ich, leider! nur verdanken kann!

Fußnoten

1 Büffon's Naturgeschichte mit illuminirten Kupfern.

[224] An seinen Bruder

Den 26. April 1778.


Statt, daß dein Schäfer zu Carzin 1
Dir auf der Feldschalmey' verkündet,
Wie frisch die Veilchen wieder blühn,
Und wie dein Gärtner mit Jasmin
Der Laube Gatterwerk bebindet:
Jagt dein Trompeter durch die Stadt,
Und bläset Lärm an allen Ecken,
Dich, der zum letzenmal' so süß geschlummert hat,
Zur langen Arbeit aufzuwecken.
Wie stampfen schon vor deiner Thür',
Aus Ungeduld, die Rosse der Husaren,
[225]
Und wiehern, schüttelnd mit den Haaren
Der Mähne, laut herauf nach dir;
Indeß in deinen Knebelbart
Zum erstenmale Thränen rollen,
Und, für den Abschied aufgespart,
Dein Weib und Kind noch etwas sagen wollen,
Und blaß verstummen. –
Du, der allein von sieben Brüdern,
Trotz mancher Schlacht, mir übrig blieb,
Und darum itzt mir siebenfach so lieb,
Ich kann den Abschied kaum erwiedern,
Den deine Lippe von mir nimmt.
Mein Auge, das in Thränen schwimmt,
Sieht kaum die Harfe, und zu Liedern
Hat sie das Kriegsgeschrei verstimmt.
O glaub', ich würde heute weinen,
Wo ihr Geschoß die Zwietracht spannt,
Hätt' ich im ganzen Heer' auch keinen
Selbst nur dem Namen nach gekannt.
[226]
Denn, wer Euch ziehen sieht, Geweihte
Des Vaterlandes! seufzt in sich:
Zu schön, zu groß ist diese Beute,
Du Ungeheuer, Krieg! für dich!
Die Völker könnten – aber still!
Wer wird den armen Dichter hören?
Wenn alle Welt sich streiten will,
So wird, – die Weisheit sonst in Ehren! –
Montesquieu ein zweiter Till.
Und in der That, frommt die Philosophie
Nur immer uns, und selten Andern.
Die Welt bleibt, wie sie war, und besser wird sie nie.
Du kannst mit Cook den Erdenball umwandern,
Und, wo du hinkommst – morden sie.
Wohlan! so will ich denn gelassen
Von dir mich scheiden, und die Welt
Nicht darum gleich mit Timon hassen,
Weil mir das Toben ihrer Bassen,
[227]
Die Arglist der Weßire, nicht gefällt.
Ich träf's vielleicht in anderen Planeten
Friedfertiger und stiller an;
Nur daß man auf dem Schweife des Kometen
Nicht hin zu ihnen reiten kann.
Drum hab' ich hier noch gern vorlieb genommen:
Kommt's besser, als ich dachte? Gut!
Und schlimmer, als von Adams Brut
Sich's schon erwarten läßt, kann's doch wohl schwerlich kommen.
Wie viel von diesem Gleichmuth' dank' ich dir!
Du liegst so gern an Wiesenbächen,
Magst lieber in der Stille hier,
Mit Antonin, als Cäsarn, dich besprechen,
Am liebsten, selbst ein Antonin,
Für dich, dein Haus und dein Carzin
Zu werden, durch Verhacke brechen,
Wohinter sich die Launen ziehn.
Doch, muß es seyn, so spornest du dein Roß,
[228]
Und wenn auch Weib und Kind zurück dich schluchzend zögen,
Dem donnernden Geschoß'
Mit aufgehobnem Arm' entgegen.
Ich weiß, ein Held aus Ruhmsucht seyn,
Ist nicht dein Trieb; es wär' auch wenig,
Und Karl dem zwölften, mag ein Schmeichler Weihrauch streun.
Allein der Trieb, für seinen guten König,
Und für sein Vaterland Gefahren sich zu weihn:
Der Trieb ist edel, und ist dein.
Ob die Gerechtigkeit die Fahne,
Voran trägt? darnach sehn sich etwa Hundert um;
Zehn Tausend sind zufrieden mit dem Wahne;
Der ganze Rest – gibt kein Commißbrod drum.
Vor Cäsarn oder vor Anton sich neigen,
Das war dem Troß' der Römer einerlei:
Krieg sey es! die Gesetze schweigen
[229]
Beim Waffenklang'! das war ihr Feldgeschrei.
Hinweg mit solchen feilen Sklaven,
Die nur um Gold der größre Sklav besingt!
Doch der soll einst noch unter Lorbeern schlafen,
Wer Kleisten gleich die Fahne schwingt.
So wird, soll noch dereinst dein Blut
Den schwarzen Acker purpurn färben,
Und ach! mein letzter Bruder mit dem Muth',
Womit er oft gefochten, sterben,
Der Harfe Klang um Mitternacht
Dein Grabmal zu Carzin umwehen,
Indeß dein Geist, von friedereichen Höhen,
Des Zwistes unterm Monde lacht.
Ich aber muß gelassen jeden Feind
Erwarten, ihm, als einem Freund',
Was ich nur habe, willig geben,
Und, schleppt er mich als Geißel einer Stadt,
Die wenig Geld und offne Thore hat,
[230]
Zum Dank' mit fort: wie kann ich widerstreben?
Dann bringt mich wenigstens, ihr Feinde, nach Tokai!
Und wenn ich da mein Leid vertrunken habe,
Reit' ich von selbst in Einem Trabe
Nach Wien, zu Mimi Born 2, und dünke dann mich frei.

Fußnoten

1 Ein Landgut.

2 Nachherige Gräfin von Bassegli, Tochter des Hofraths von Born zu Wien.

[231] Stamford an Göckingk

Im Lager bei Welsdorf, den 16. Juli 1778.


Geliebter Sänger
An Lahra's Höhn!
Nun werd' ich länger,
Als je geschehn,
Von dir nichts hören
Und dir nichts sehn!
Denn sieh! wir stehn
Mit zweien Heeren
Dem Feinde nah,
Das Schwert in Händen,
Den Zwist zu enden,
Zum Kampfe da.
All mein Beginnen
[232]
Ist nun: zu sinnen,
Wie noch so sehr
Verwachsne Wege,
Für Friedrichs Heer,
Und Felsenstege
Gut und geschwind
Zu bahnen sind;
Und wie ich Flecken,
Nur eingefaßt
Von Zaun und Hecken,
In aller Hast
Durch Kunst soll decken;
Nach dem Clairac 1
Wall und Verhack
Darum erbaun,
Den Feind zu schrecken,
Dem nie zu traun.
[233]
Statt, Schattenwegen,
Wie Dichter pflegen,
Still nach zu gehn,
Und dann am Quelle
Die Rasenstelle,
Wo Zephyrs wehn,
Und Veilchen stehn,
Zum Grillensitze
Mir auszusehn,
Muß ich vor Hitze
Nun schier vergehn;
In schwülen Tagen,
Von Höhn auf Höhn
Mich müde jagen
Und müde gehn,
Des Feindes Lage
Früh auszuspähn,
Und, trotz der Plage,
Noch wohl dazu
[234]
Mich glücklich preisen,
Wenn mir die Reisen
Nur sonst in Ruh'
So so noch glücken!
Denn unverhofft
Trifft man in dicken
Gehölzen, oft
Tiroler 2 an,
Die aus den Hecken,
Worin sie stecken,
Auf ihren Mann
Mit wilden Blicken
Ihr Rohr in Eil'
Ans Auge drücken,
Des Todes Pfeil
Zum Ziele schicken,
Und, stürzt der Held,
[235]
In jene Welt
Unangemeldt
Ihn überschicken.
Doch, was ist Müh'?
Was sind Gefahren?
Die scheut' ich nie.
Wenn Engel nur
Dein Haus und Flur
Und dich bewahren!
Gottlob! noch blinkt
Durch deine Saaten,
Kein Heer Kroaten,
Das, statt der Thaten,
Die Gleim besingt,
Bei Nacht und Nebel
Mit blankem Säbel
In Dörfer dringt,
Wo Arm' es schrecket
Und elend macht,
[236]
Die's unbewacht,
Und unbedecket,
Und wehrlos sieht,
Doch scheu, wie Rehe,
Von Höh' zu Höhe
Gar bald entflieht,
Wenn's Feinde sieht.
Noch lärmt und sucht
Dich kein Husar
Im Haus', und flucht
Und droht Gefahr,
Leert deine Flaschen,
Und deine Taschen,
Und stellet sich
Schier so vermessen,
Als wollt' er dich
Lebendig fressen.
An Lahra's Höhn,
Entfernt vom Jammer,
[237]
Den wir hier sehn,
Weckt zwar der Hammer
Dich mannigmal
Vom süßen Schlummer
Zu Sorg' und Kummer,
Weil fern im Thal'
Die Harz-Vulkane
Nun Tag vor Tag
Des Kriegs Orkane
Mit schwerem Schlag'
Uns zubereiten.
Doch weil zu Zeiten
Auf dieser Welt
Den müß'gen Leuten
Der Krieg gefällt,
Und über alle
Der Kriegesheld
Seit Adams Falle
Sich wichtig hält,
[238]
Als ob die Ehre,
Ein Held zu seyn,
Die Ehr' allein,
Was größers wäre,
Als das zu seyn,
Was wir hienieden
In Ruh' und Frieden
All' könnten seyn:
So laß den walten,
Der uns erschuf,
Und dessen Ruf
Den Ocean
In Schranken halten,
Und dir erhalten
Den Bruder kann,
Der dir von sieben
Allein geblieben.
Ich aber, ich,
Um den seit Jahren
[239]
Kein Auge sich
Mehr trübe weint,
Will jedem Feind',
Und den Gefahren
Mit frohem Muth'
Entgegen sehen,
Und soll's geschehen,
Daß ich mein Blut
Auf dieser Scene
Verspenden muß:
So weih' die Thräne
Der Freundschaft mir,
Und nimm itzt hier
Den Abschiedskuß.

Fußnoten

1 Ein französischer Schriftsteller, der über die Feldfortification geschrieben.

2 Tiroler Scharfschützen.

[240] Göckingk an Stamford

Den 6. August 1778.


Was soll ich sagen?
O Freund! O Freund!
Seit dreien Tagen
Hab' ich geweint.
Die Augen gehn
Mir itzt noch über,
Denn dich, mein Lieber,
Nicht wiedersehn:
O! der Gedanke
Macht meinen Wein
Zum Schierlingstranke,
Mischt Wermuth ein
In meine Speise,
[241]
Macht meinen Schlaf
Verwirrt und leise,
Und mich zum Greise.
Denn ach! dich traf,
In meinem Traume,
Schon ein Kroat,
Der hinterm Baume
Hervor nun trat,
Dich, der voll Blut
Vom Hügel rollte,
Ausplündern wollte,
Und deinen Hut
Schon nahm, als Wuth
Mir Adlersflügel
Zur Rache gab.
Ich sprang den Hügel
Im Hui! herab,
Riß aus der Scheide
Den Degen dir;
[242]
Ins Eingeweide
Stieß ich mit Gier
Ihn dem Kroaten,
Daß selbst ihm aus
Dem Kopf' heraus
Die Augen traten.
Drauf legt' ich mir
Dich auf den Schooß,
Und machte dir
Den Busen bloß,
Stopft' in die Wunde
Mein Tuch hinein,
Bließ mit dem Munde
Dir Odem ein,
Und rief unzählig
Bei Namen dich.
Da regt' allmählig
Dein Auge sich;
Mit Danken blicktest
[243]
Noch einmal du
Mich an, und nicktest
Leb' wohl! mir zu.
Ich aber sprang
Nun auf, und ging
Umher, und rang
Die Händ' und fing
So laut, um deinen
Verlust, zu weinen
Im Schlafen an,
Daß Nantchen dann,
So fest sie schlief,
Mich hört' und rief:
Was fehlt dir, Mann?
»Ach! Stamford liegt, –
Sieh hier! – erschossen!«
Im Traum' doch? Possen!
Der Traum betrügt!
Ermuntre dich,
[244]
Und sey vergnügt!
Denn der hier liegt,
Mann! das bin ich! –
»O! Gott sey Dank!
So lebt er? – doch,
Ist er wohl noch
Gesund? Nicht krank?«
Wie können doch
Dir Träume, Kind,
Den Schlummer rauben,
Die, kannst mir glauben,
Nur Täuscher sind 1.
[245]
Um einen Traum
Sich so betrüben!
Er hat ja kaum
An dich geschrieben?
Wer wird gleich schier
Das schlimmste wähnen?
Komm'! laß die Thränen
Abtrocknen dir! –
Nun Herz! schlaf' ein!
Und Stamfords Wächter
Wirst du, Gerechter
Im Himmel, seyn! –
»Das wird er seyn!
Wohlan, ihr Zähren,
So haltet ein.
Wann Gott gewähren
Den Wunsch mir wird,
Daß nicht die Klinge
Des Kriegs mehr schwirrt,
[246]
Und ich den Freund
Wie sonst umschlinge:
Dann weinet beide
Ihr Augen, weint
Gott Dank, ihm Freude!«

Fußnoten

1 Diese Stelle ist aus einem Gedichte des Herrn vonStamford, Vergißmeinnicht, das damals schon in meinen Händen war, und nachher in dem Hamburger Musen-Almanach, S. 179. abgedruckt wurde. Dort heißt die Stelle eigentlich so:

Wie kann ein Traum dir Ruh' und Schlummer rauben,

Du gutes Kind,

Da Träume doch, – lieb Aennchen, kannst mir glauben! –

Nur Täuscher sind!

[247] An Madam Mumsen und Madam Voß

Im Oktober 1778.


Ihr wünschet, mich zu kennen?
Wär' Hamburg nur von hier
Drei Meilen, wollt' ich rennen,
Daß kaum, selbst ein Courier
Mir sollte folgen können.
Allein, weil Euch von mir
Sechs Herren Länder trennen,
So würden schon fürwahr
Die Sohlen wacker brennen,
Durchstreift' ich nur ein Paar.
Ich könnte freilich reiten;
[248]
Doch ach! mein einzig Pferd
Ist grade jetzt bei Leuten,
Die es so lieb und werth,
Als ihre Seele, halten.
Denn wißt, als ich damit
Vor kurzem nach Trialten,
Ein Dorf bei Eger, ritt;
Da fuhren zehn Husaren
Wie Teufel auf mich ein!
Ich, mit gesträubten Haaren,
Jagt' über Stock und Stein,
Allein die Herren waren
Noch schneller hinter drein.
Da ließ ich durch ihr Schrein:
»Halt Schurke!« mich erbitten,
Und stellte selbst mich dar,
Eh' ich nach wenig Schritten
Dazu gezwungen war.
Wer hat, sprach ein Husar,
[249]
Den Gaul Euch zugeritten?
Der Hundsfott wäre werth,
Daß er am Galgen hinge!
Mein Seel'! ein braves Pferd!
Wenn's unter mir – der Blitz! –
Nur ein acht Tage ginge.
Euch ist's den Teufel nütz!
Steigt drum nur immer ab!
Ich will's schon Mores lehren! –
Kaum war ich denn mit Ehren
Von meinem Pferd' herab,
Als er die Sporn ihm gab,
Und, ohne Abschied, husch!
War er damit im Busch'.
Bringt er es zugeritten
In meinen Stall zurück,
Will ich den Augenblick
Bei Euch zu Gast mich bitten.
Allein es lernt vielleicht
[250]
Wohl erst in vielen Jahren
Die Schule, vom Husaren:
Drum wäre, wie mich deucht,
Das sicherste: zu fahren,
Eh' noch die Zeit verstreicht.
Denn ach! ihr lieben Frauen!
Wenn's manchem gleich so glückt,
Wer kann dem Uhrwerk' trauen,
Das uns im Herzen pickt?
Ihr wißt ja, wie der Zeiger
An unsers Lebens Seiger
So hurtig weiter rückt!
Man flickt daran und flickt,
Bis daß die Zeit die Räder
Mit einmal stehen heißt,
Und, Knall und Fall! die Feder
Zerspringt, die Kette reißt!
Wohlan! da aufgeschoben
[251]
So gut als aufgehoben
Für einen Pilger ist,
Dem, über dem Besinnen,
Der Rost gemach von innen
Das Triebwerk mürbe frißt:
So muß ich wahrlich eilen,
Ein Herz mit Euch zu theilen,
Das bald in Staub zerfällt;
Und sechs und dreißig Meilen
Ist ja nicht aus der Welt!
Die fahr' ich und mein Kober
Voll schmaler Reisekost,
Im spätesten Oktober
Auf einer offnen Post,
Und leid' auf meinem Sitze
Dabei so ruhig Frost,
Als einst auf seinem Rost'
Der heil'ge Lorenz Hitze.
[252]
Durch einen Kuß wird Euch
Es leicht seyn, liebe Frauen,
Wär' ich auch Eis, sogleich
Mich wieder aufzuthauen.
Der Kuß ist mir genug,
Um Sporenstreichs zu kommen;
Allein, wird mein Besuch
Auch Euch, ihr Damen, frommen?
Erwartung macht uns größer,
Als wir am Ende sind.
Daß sie nicht viel gewinnt,
Wenn ihr die Schenken Schlösser,
Und auf der See zwei Fässer
Von fern zwei Schiffe sind,
Ist klar; drum thu' ich besser,
Ich schick' Euch selbst von Haus
Den Maßstab gleich voraus.
So fragt Euch denn nur immer:
[253]
»Je! sollt' er das wohl seyn?«
Tritt künftig in das Zimmer
Ein Mann im Frack' hinein.
Die Wahrheit Euch zu sagen:
Er hat nur einen Rock.
Müßt' ihn der Kuckuck plagen,
Auf Reisen den zu tragen,
Als hätt' er noch ein Schock.
Auch schiebt es auf das Reisen,
Wird man an seinem Haar'
Von einem Kräuseleisen
Kaum eine Spur gewahr;
Doch hatt' er es im Grunde
Schon immer an der Art,
Daß er die Viertelstunde
Gern für die Freude spart.
Man sagt, es sey zu lesen
Auf seiner Stirn' gewesen:
[254]
Fort mit der Narrenbrut!
Nur hat, das müßt ihr wissen,
Sein Weibchen nicht geruht,
Bis daß sie unter Küssen
Die Aufschrift abgerissen;
Was eine Frau nicht thut!
Doch würd' er auch, ihr Lieben,
Vom Kopfe bis zum Schuh',
Euch von Gestalt beschrieben,
Von Wesen noch dazu;
Ja! wenn er selbst da stünde:
Was wär' er? Nun! ein Ding
Gleich jedem Menschenkinde,
Das je im Fracke ging;
Denn, einen Sonderling
Haßt er wie seine Sünde.
Kann etwas, ihn genau
Zu schildern, ja noch taugen,
[255]
So sind es seine Augen,
(Wenn ich nicht irre, blau,
Doch meinethalb auch grau,)
Worin er, was ihn rühret,
Und mißfällt, sehr genau
Gleich selber registriret.
Doch sollte so ein Mann
Im Frack', mit solchem Auge,
Gleich von der Thürschwell' an,
Mit einer ganzen Lauge
Von Witz und Reimerei
Euch weidlich übergießen,
So könnt Ihr sicher schließen,
Daß das nicht Göckingk sey.
Denn der wird sicher warten,
Wovon Ihr lieber sprecht:
Von Liedern oder Karten?
In eines Freundes Garten
[256]
Ist jede Blum' ihm recht.
Doch, wenn nach einer Stunde
Mein Mann noch immer schweigt,
Wenn dann auf seinem Munde
Sich noch kein Lächeln zeigt:
So wird sich's nimmer zeigen,
Und er ist nicht für Euch!
Denn das ist ihm so eigen,
Gleichgültig still zu schweigen,
Wo Sympathie nicht gleich
Die Herzen paart mit Herzen.
An Freundlichkeit und Scherzen
Wird er nur dann erst reich,
Wenn sie der Etikette
Den Marschallsstab zerbricht,
Und ehe noch ein Licht
Verbrannt ist, um die Wette
Sich Rosenkränze flicht.
[257]
Sonst ist er es für Fürsten,
Und sollt' er ewig dürsten,
Selbst bei Tokaier nicht.
Sagt nur mit einem Blicke:
»Mann! du gefällst uns wohl!«
Wer ist, der dann im Glücke
Sich ihm vergleichen soll?
Denn was ist Glück? Als Freude,
Die einem Mann' im Frack'
Zuflüstert: diese Beide,
Könnt' in dem reichsten Kleide,
Kein Narr, mit seinem Sack'
Voll Gold, ihn hochzuschätzen,
Gewinnen; aber du,
Darfst dich geradezu
An ihre Seite setzen.
O seliges Gefühl,
Den Edlen zu gefallen!
Du bist das große Ziel,
[258]
Nach dem wir alle wallen!
Dich haben, ist schon viel!
Dich auch verdienen, ist
Das seligste von allen!
Wem du gegeben bist,
Der siehet von dem Baum' 1
Der Krämer Schiff' im Hafen,
Wird aber, ohne Traum
Von Schiffen, ruhig schlafen.
Wer dich hat, beugt dem Wagen
Mit Sechsen, willig aus,
Doch ist's umsonst, ihn fragen:
»Sah nicht der Fürst heraus?«
Wer dich hat, wahrlich dem
Sitzt sein Gewissen, – treibe
Das Glück sein Spiel! – bequem,
Wie mir mein Frack am Leibe.
[259]
Glück, ist der Klugheit Loos,
Der Weisheit Loos, ist Freude!
Ich sitze nicht im Schooß'
Des Glücks, doch weil ich Beide
Nicht gut vereinen kann,
So halt' ich's mit der Freude.
Bin ich nun Euer Mann?

Fußnoten

1 Das bekannte Baumhaus in Hamburg.

[260] An Boie, in Hannover 1

Im Mai 1779.


Wie nun? Gefällt
Die kleine Welt
Um Ellrich her,
So gut von fern,
Als nah, dem Herrn
Stabs-Sekretär?
Noch zwanzig Länder
Mag er besehn,
Und nirgend fänd' er
Die Welt so schön.
[261]
Allein verschwend' er
Sein Lob nur nicht;
Selbst ein Gedicht
Voll Rühmens, wäre
So lieb mir nicht,
Als jene Zähre,
Die vom Gesicht'
Ihm auf der Spitze
Des Berges rann,
Wo ich, vom Sitze
Auf Timian,
Mein Paradies
Ihm schweigend wieß.
Dein Auge sah
Sich brennend um;
Wie sprühten da
Nicht seine Funken
Um mich herum!
Du saßest trunken,
[262]
Und starr und stumm,
In dich versunken,
Hier einen Park,
Wie der von Vater
Adam, zu schaun;
Denn sind nicht traun!
Vauxhall und Prater
Dagegen Quark?
Seit der Minute
Wird sicherlich
Von meinem Blute
Der letzte Tropfen,
O Freund, für dich
Im Herzen klopfen.
Denn ist es schon
Ein schlimmes Zeichen,
Wenn Harfenton
Uns nicht erweichen,
Der Talismann
[263]
In deiner Kehle,
O Philomele!
Nicht fesseln kann:
So ist der Mann
Wohl ohne Zweifel
Ein halber Teufel,
Der gähnen kann,
Wenn er den Park
Mit Eins erblickt,
Der bis aufs Mark
Uns beid' entzückt.
Doch, sey der Mann
Kein Bösewicht,
Mag, wenn er spricht,
Sich selbst daran
Die Wißgier laben:
Mit allen Gaben,
Mag ich ihn nicht
Zum Freunde haben!
[264]
Denn wär' er gleich
Auch an Verstand
Noch Eins so reich,
Als jene Sieben
In Griechenland,
So mag ihn lieben,
Wer im Gewühl'
Der Autorschaft,
Sich um Gefühl
Und Lebenskraft
Herum geschrieben.
Was fing' ich an
Mit einem Mann',
Der keine Ohren
Am Kopfe hat,
Wenn vor den Thoren
Der düstern Stadt,
Die Nachtigall
Im Busche singt,
[265]
Der Wasserfall
Nach ihren Tönen
In Wirbeln springt,
Und süßes Sehnen
Ins Herz der Schönen
Allmächtig dringt?
Und wozu kann
Ein Mann wohl taugen,
Der grade dann
Nur keine Augen
Im Kopfe hat,
Wenn ich auf Höhen
Ihn führe, satt
Sich hier zu sehen?
Was fing' ich an
Mit einem Mann',
Der keine Nase
Für Veilchen hat?
Der Lagerstatt
[266]
Im weichen Grase
Zu sehr entwöhnt,
Sich rückt und dehnt,
Und sich nach Hause
Aufs Sopha sehnt?
Zu einem Schmause,
Den die Natur
Auftischet nur
Für unser Einen,
Lad' ich so keinen.
Doch, wer, wie du,
Noch Aug' und Ohren
Nicht hat verloren,
Der komm' herzu!
Der soll dann schmecken
Die Süßigkeit,
Die keinen Gecken
Das Herz erfreut,
Auch keinen Weisen,
[267]
Die gleich den Schnecken
Nach Weisheit reisen,
Gelehrsamkeit
Zwar nach Vermögen
Der Welt anpreisen,
Doch ach! dagegen
Zufriedenheit
Kalt von sich weisen.
Hat darum dir
Im Tannenhain'
Mein junger Wein
So süß geschmeckt,
Weil Wißbegier
Dich frühe weckt,
Und sich vor dir
Kein Herz versteckt?
Und sind denn wohl
Des Harzes Beeren
In deinem Munde
[268]
Schon aus dem Grunde
So Honigvoll,
Weil du die Lehren
Der Salze kennst,
Und manche Stunde
Der Kräuterkunde
Auf Fluren gönnst?
O Freund, fürwahr!
Du hätt'st das Jahr,
Worin mein Wein
Am Niederrhein'
Gekeltert war,
Gewiß errathen,
Wenn dir kein Feld
Mit Büsch' und Saaten
Sich dargestellt.
Hannovers Beeren,
Mein Trauter, wären
Gerade wohl
[269]
So Honigsüß,
Als unsre Beeren,
Wenn ich dich ließ'
Ein Körbchen voll
Im Paradies'
Von Ellrich, leeren.
Längst wär' ich schon
Von Haus und Hof
Und Amt entflohn;
Doch, wenn's am Stoff'
Zu Thränen mir
Im Herbst' nicht fehlte,
Im Winter schier
Der größte Mangel
Mich Armen quälte,
Der dann, bald hier
Bald da, den Angel
Nach Freundschaft, ach!
Umsonst warf aus:
[270]
Ging ich zum Bach'
Der Wies' hinaus,
Und kam im Schimmer
Des Mondes, immer
Vergnügt nach Haus.
O! vollends nun
Mit einem Freund'
Am Bache ruhn,
Der dankbar weint,
Daß Gott auf Erden
Solch Paradies
Uns Menschen ließ
Zur Freude werden:
Die Lieb' allein
Nur ausgenommen,
Kann nichts so frommen!
Und Lieb' und Wein
Verrauchen bald;
Doch wenn ich alt
[271]
Wie Nestor werde,
Die Sympathie
Mit Gottes Erde,
Wird darum nie
In mir erkalten,
Und die Natur
Mir neu erhalten.
Gewinn denn nur
Das große Loos
Der Lotterie!
Dann flieh, dann flieh,
Und ruh' im Schooß'
Der Freundschaft aus,
Und, wo du, Freund,
Entzückt geweint,
Da bau' ein Haus!
Ist das gebaut,
So führe du
Uns deine Braut
[272]
Als Freundin zu;
Dein Hochzeitschmaus
Weiht dann das Haus
Mit Becherklange,
Mit Rundgesange,
Mit Küssen ein;
Das ganze Leben
Soll eine lange
Hochzeit nur seyn! –
Glück! kannst du geben?

Fußnoten

1 Nach einem Besuche, den er dem Verfasser, im Mai 1779. zu Ellrich gegeben hatte.

[273] An Zimmermann, in Hannover

Im September 1779.


Ist das dein Ernst, o Zimmermann,
Mit mir in Ellrich wohl zu wohnen?
Ich könnte, wenn's das Herz nicht kann,
Den Tausch dir wahrlich nicht belohnen.
Wie mancher kam hieher, versäumte
Schier einen Posttag, mich zu schaun,
Und schaute mich, fand aber, traun!
Nicht halb, was er zu finden träumte!
Und dennoch; aus des Herzens Fülle
Gestand beim Abschied' jeder ein,
Er würde, wär's des Schicksals Wille,
Den Rest des Lebens Ellrich weihn.
[274]
Denn, Freund, ich bat kein Dutzend Gäste,
Brav Lärm zu machen, ihm ins Haus,
Und keine Tarockkarte preßte
Ihm reuevolle Seufzer aus;
Mein Weibchen machte nicht viel Wesen,
Sie stopft' ihn nicht bis an das Kinn,
Doch schmeckt' ihr brauner Kohl, von Zinn
So gut, als Karpfen aus dem Inn,
Vom feinsten Porzellan' aus Dresden;
Ich aber, setzte mich nicht hin,
Ihm meine Verse vorzulesen,
Denn das verdirbt den besten Schmaus;
Aus meinen rauchrigen vier Pfählen
Führt' ich ins Freie ihn hinaus,
Und – Boie mag den Rest erzählen.
Gefiel's schon ihm am Zorgestrande,
Was würd' es nicht erst seyn mit dir?
O Freund, dir träumte wachend hier:
Du seyst in deinem Vaterlande.
[275]
Der Berge Haupt im weißen Schleier,
Und Ströme, die vom Sitz' der Geier
Herab sich stürzen in das Thal,
Das, seit der Schöpfung, noch kein Strahl
Der Sonn' erleuchtet hat; ein Häuschen
Darin versteckt, wo beim Gesang'
Der Turteltauben und der Zeischen,
Und traurigsüßem Glockenklang',
Bis an den Bauch in Farrenkraut,
Die fette Rinderherde weidet,
Der Hirsch den Hirten nicht vermeidet,
Und, edlen Zutrauns, um sich schaut:
O großer, wunderbarer Reitz,
Bei dem die Sinnen alle schwinden,
Wo bist du in der Welt zu finden,
Als auf dem Harz und in der Schweitz?
Wo sind, in unserm Theil' der Welt,
Die Menschen noch so gut, so bieder,
So hülfreich, und so unverstellt,
[276]
So fröhlich beim Gesang' der Lieder,
So arm und doch so frei von Geitz,
Als auf dem Harz und in der Schweitz?
Man kann an jedem Ort' der Welt
Ein Weiser seyn, wohl gar zufrieden;
Ja! wem das Feuerland gefällt,
Reitzt den das Paradies in Süden 1?
Wer aber sich nach Menschen sehnt,
Und leben muß mit rauhen Wilden;
Wer an die Reitze von Gefilden
Mit Berg und Fluß und Wald, gewöhnt,
Itzt nichts als eine schwarze Fläche,
So weit das Auge sieht, erblickt:
Ist's dann, beim Weisen selbst, noch Schwäche,
Wenn ihn der Fläche Himmel drückt?
Wer, ausgesetzt ans Feuerland,
[277]
Sich nicht am ersten Baum' erhinge,
Auch hier noch mit gelähmter Hand
Den Bienenschwarm von Grillen finge,
Von dessen Weisheit und Verstand
Dächt' ich wohl freilich, nicht geringe.
Doch, macht' ein Cook ihn wieder frei,
Und prahlt' er dann, daß Langeweile
Ihn nie gequält! dächt' ich dabei,
Daß er so dumm wie eine Eule,
Wo nicht; daß er ein Lügner sey.
Ich lasse Welschland seine Haine
Voll Myrth- und Pomeranzen-Duft,
Sicilien den Preis der Weine
Und seine laue Winterlust,
Peru sein Gold und Edelsteine;
Denn, wenn ich gleich dein Sohn nicht bin,
O Harz! so gäb' ich doch für deine
Natur, den Rest der Erde hin.
[278]
Wie lieb' ich deinen Forst von Eichen,
Die Luthern noch gekannt, worin
Nicht Vipern und Taranteln schleichen,
Und kleine Mädchen, ohne Scheu,
Sich singend Schlüsselblumen pflücken,
Und höchstens einen Schwarm von Mücken
Verfolgen unter Kriegsgeschrei.
Mir speit kein Aetna, brüllend, Schrecken
Aus seinem Schlund' entgegen; ich
Darf nicht vor dem Sirocco mich
Ins innerste Gemach verstecken.
Des Westwinds kühlen Hauch, gewähren
Mir unsre Berge selbst noch dann,
Wenn Sirius den Weitzen-Aehren
Die Milch aussaugt, der Wandersmann
Auf heißen Kieseln, durch das Bette
Sonst rascher Ströme, mit Gespötte
Ob ihrer Ohnmacht, gehen kann.
Dem Weichling' nur ist's hier zu kalt;
[279]
Doch, ließ uns die Natur wohl leiden?
Sie gab uns Oefen 2, gab uns Wald,
Und Füchse, uns darin zu kleiden,
Und Hirsch', im Schlitten uns zu ziehn,
Und Tannenhain', an ihrem Grün
Das Auge, satt des Schnees, zu weiden.
Wer war der Braveste, von allen
Germaniern? des Harzes Sohn!
Rom zeug' es! Seines Adlers Krallen,
Gewohnt des Raubes, trugen schon
Ein Stück des Vaterlands davon:
Doch Hermann kam, da ließ er's fallen!
Noch sind wir fest wie unser Eisen,
Wie unsers Forstes Eber kühn;
Ein Rembrandt sollte zu uns ziehn;
[280]
Wie sollte der in unsern Greisen
Die Kraft, die Munterkeit nicht preisen,
Die ihm im Jüngling' kaum erschien.
Wer auf dem Harz, o Zimmermann,
Gesund nicht ist, nicht Kindeskinder
Noch auf dem Arme tragen kann,
Den macht Hiéres nicht gesünder,
Und Nizza nicht zum alten Mann'.
Wem nicht der Harz, ein Lied zu singen,
Erwärmen kann die Phantasie,
Um dessen Stirne wird sich nie
Der Lorbeerkranz des Ruhmes schlingen.
Daß nicht der Ueberrock zerrissen
Schon ist, den meine Seele trägt,
Und daß er, trotz den Regengüssen!
So leicht nicht einzulaufen pflegt,
Wiewohl ihn die Natur, ein wenig
Zu dünn mir webte und zu fein:
Dafür gehört mein Dank, du König
[281]
Der deutschen Wälder! dir allein.
Daß mich die Freude singen lehret,
Und Deutschland meine Lieder höret,
(Wenn es sie hört,) auch das ist dein!
Nie wird uns zwar, o Freund, das Glück
An einen Ort zusammen führen;
Doch möcht' ich keinen Augenblick
Die süße Hoffnung gern verlieren.
Denn, sollt' auch solche Träumerein
Uns die Vernunft weg raisonniren,
So wär' es schlimm, ein Mensch zu seyn.
Sich Schlösser in die Luft zu bauen,
Ist Thorheit bei dem Thoren zwar,
Allein der Weise wird, fürwahr!
Auf ihre Festigkeit nicht trauen;
Was sollt' ihm denn für Folgen grauen?
Sein Riß ist wenigstens doch werth,
Daß Architecten ihn beschauen,
Statt daß den Thoren, wenn sie bauen,
[282]
Kein Kluger zuzusehn begehrt.
Besuche mich, o Zimmermann!
Wenn ich die Zeit gleich nicht ersetzen,
Nur ihren Werth mit Schweigen schätzen,
Mit Küssen nur verdanken kann.
Komm'! und ich führ', als Cicerone
Des Harzes, zu dem Wolkenthrone
Des Donner-Gottes, dich hinan,
Und lasse dich an langen Seilen
Ins finstre, grauenvolle Grab
Des Silbers, trotz des Kobolds Heulen!
Halb nach Amerika hinab.
O! wenn mein zweites Vaterland
Dir dann gefiel', und deinem Herzen
Der Ciceron' an deiner Hand:
Was fragt' ich dann nach allen Erzen,
Die man im Bauch' der Grube fand?
Denn, einen Tag voll weiser Freude,
Dem schaffen, dem ich jeden Stein
[283]
Wegräumen möcht', und jede Heide
Mit Rosenblättern überstreun:
Nicht wahr, o Harz! wir könnten beide,
Du, nicht geehrter, ich, zum Neide
Der Weisen selbst, nicht froher seyn?

Fußnoten

1 Taheiti.

2 Auf dem Hüttenwerke zu Zorge, eine Stunde vonEllrich, werden allein viele tausend Zentner eiserne Oefen jährlich gegossen.

[284] Die Glücks-Göttin

An den Herrn K.R.H. in C.


Am Neujahrstage, 1780.


Die Glücksgöttin, wenn sie auch Ohren hätte,
Kehrt sich an unsre Wünsche nicht,
Sonst schleppte niemand das Gewicht
Der Zentnerschweren Sklavenkette,
Die selten, selbst des Starken Arm, zerbricht.
Wer mit sich Eins ist, wer den Werth des Lebens kennt,
Wird seine Zeit mit Wünschen nicht verlieren.
Nur wenig Tage sind uns hier vergönnt,
Und wozu sonst, als uns zu rühren?
Die kluge Thätigkeit vergißt
[285]
Am ersten, was ihr etwa fehlet;
Nicht so die Thorheit! diese zählet,
Nicht, was sie hat, nein! was sie noch vermißt.
So wünsch' ich dir denn nichts! Was hieß' es weiter,
Als Wasser schöpfen durch ein Sieb?
Genieß des guten Tages heiter,
Den bösen Tag nimm auch vorlieb.

Notizen
Goeckingks poetische Episteln erschienen seit 1773 in Einzeldrucken, Musenalmanachen u. Zeitschriften. Gesammelt erschienen sie erstmals in der ersten Gesamtausgabe: Gedichte. Auf Kosten des Verfassers gedruckt, Leipzig (Joh. Gottl. Imman. Breitkopf) 1780-1782.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Episteln. Erster Teil. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DE85-3