Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Episteln
Zweiter Theil

[5] An Augusta von **

In der Nacht vor der Abreise von **.


Indeß vielleicht dein Auge längst nach mir,
Die Straß' herab, durch Morgennebel dringt,
Und jeder Laut von ferne dir
Des Zaudrers Gange ähnlich klingt,
Der Kessel Stunden lang nach mir
Auf deinem Kohlenbecken singt,
Und du zu einem kleinen Zanke
Dich anschickst, daß ich früher nicht mein Wort
Dir halte, besser nicht für deine Sorgfalt danke,
Bin ich – o Gott! ich mußte! – bin ich fort!
Ach! als ich gestern das Versprechen,
Dich noch einmal zu sehn, mit einem Schwure that,
[5]
Da war ich schon, was auch mein Herz mich bat,
Entschlossen, diesen Schwur zu brechen.
Doch, daß ich nichts als diese Hoffnung dir,
Die letzte Hoffnung! noch gelassen:
O sicher dankst du einst dafür!
Denn, sage selbst, wie könnten wir
Vor Zeugen uns beim Abschied' fassen?
Die Liebe hat nicht gern, wenn sie sich trennen muß,
Daß jemand ihre Seufzer höre,
Will, daß ihr letzter Abschiedskuß
Sich, ungesehn, zu tausenden noch mehre.
Denn ach! es ist so süß, wenn jeder noch zuletzt
In Thränen, Mund an Mund, zerrinnet,
Zum Wiedersehn auf Möglichkeiten sinnet,
Und immer kürzre Fristen setzt.
O mildre denn, Augusta, deinen Zorn!
Bedenke! Wenn ich auch im Reisekleid' und Sporn,
Noch jetzt auf deiner Mutter Sopha ruhte,
Der Postknecht aber stieß' ins Horn,
[6]
Ich spräng' jetzt auf, und griffe nach dem Hute,
Und wischte mir verstohlen vom Gesicht'
Die Thränen weg: wie wäre dir zu Muthe?
Verstellung hilft dann selbst den Mädchen nicht.
Du ständest da, und wolltest gerne weinen,
Und dürftest nicht; mit Zittern hörtest du
Dem treuen Abschiedswunsch' der Deinen,
Der Reihe nach, halb weggewendet zu.
Itzt dreht' ich mich nach deiner Seite
Verworren hin, weiß wie ein Leichenstein,
Und suchte nach dem Scherz', der sonst mir das Geleite
So treulich gab, mir seinen Schleier heute,
Nur heute noch für meinen Schmerz zu leihn.
Ach aber er begleitet nicht die Liebe,
Die sich vielleicht auf immer trennt.
Ich müßte gehn, so gern ich auch noch bliebe,
Und ohne Kuß, so gern mir deine Liebe
Auch Tausende mit auf die Reise gönnt;
Selbst ohne Wunsch; denn ehe deinen Namen
[7]
Die Etikette soll verdrehn,
Und aus ihr Faß voll Komplimente kramen,
Ist's besser, stumm davon zu gehn.
Zwar bin ich fort; doch darfst du nicht entgelten,
Was ich verbrach, denn keines Vaters Schelten
Betäubt, verschüchtert Täubchen, dich,
Daß du beim Abschied', wie betrunken,
Gestammelt hast; kein Fluch verfolget mich,
Daß du in Ohnmacht bist gesunken.
Wenn Blässe dein Gesicht bedeckt,
Und wenn's in deines Bettes Kissen
Mit seinen Thränen sich versteckt,
Werd' ich allein, warum du weinest, wissen.
Wer eine Zung' im Munde trägt,
Wird freilich, was dir fehlt? dich fragen,
Und wem ein Herz im Busen schlägt,
Um dich, geliebte Kranke, klagen;
Ich aber werd' allein die Schuld,
Und deinen Zorn und deine Huld,
[8]
Mit mir herum im Herzen tragen.
Das ganze Haus wird dich am Körper krank,
Allein nicht siech an deiner Seele glauben;
O wisse drum den Muth mir Dank,
Daß ich die ganze Nacht an meinen Thränen trank,
Um deiner Küsse mich, mich selber zu berauben!
Als ich in deines Vaters Garten
Mit dir spatzieren ging, und dort zum erstenmal
Die Worte dir im Mund' erstarrten,
Dein Aug' auf mich nur einen halben Strahl
Noch werfen konnt', und deiner Hand
Der Strauß entfiel, den sie mir geben wollte:
O wehe mir, daß ich dich da verstand!
Ich, der dich nie verstehen sollte!
Zwar deine Lieb' ist Engelrein;
Dir ist's genug, bei mir dich zu verweilen,
Und wollt' ich dich von deiner Schwachheit heilen,
So dürft' ich nur zu kühn auf einmal seyn.
Doch ach! wie leicht glitscht man den Berg hinunter,
[9]
Wo auf der Wanderschaft uns Lieb' und Tugend traf!
Der erste Kuß macht das Gewissen munter,
Der tausendste bringt's wieder in den Schlaf.
Vielleicht wird dieß den edelstolzen Muth
Der Tugend, die dich führet, kränken;
Du liebst zum erstenmal: wie kannst du arges denken?
Du meinst es ja so herzlich gut!
Du glaubst, du kannst auf mich vertrauen:
Und ach! mir selber trau' ich nicht!
Und grade drum, weil du in mir den schlauen,
Am Hof' polirten Bösewicht
Nicht fürchten darfst, kannst auf den Sand du bauen.
Du zweifelst noch, Augusta? Wie?
So frage selbst dich, würdest du mir wehren,
Dich mit der Zauber-Melodie
Der Lieb', allmählig zu bethören?
Gesteh es nur: zu süß, zu süß ist sie!
Und dann – bist du schon halb verloren!
Und wenn sie mich am Ende mit betäubt,
[10]
Nicht eine Gottheit mir die Ohren
Verstopft, und mich von dannen treibt,
Wird der, der kaum dein Schutz zu seyn geschworen,
Dein Räuber, wenn er länger bleibt.
So gehen auf beschneiter Heide,
Zwei Wanderer; der Eine hat noch kaum
Den andern erst gewarnt – schon aber sitzen beide
Im süßen Schlaf' erstarrt an Einem Baum'.
Wer nie für Schmeichelei, und Geld
Und Gunst der Großen dieser Erden,
Zum Schurken ward: o! sicher hält
Der für unmöglich, es zu werden.
Und doch: wie leicht macht Lieb' ihn nicht dazu?
Denn glaub', Augusta, du, selbst du,
Kannst stärker nicht, als ich, das Laster hassen,
Und dennoch ruft mir oft die Weisheit zu:
Mich auf mich selbst nicht wieder zu verlassen.
Gewagt hab' ich's zwar einst; doch ach!
Wenn die mir nicht verlobt gewesen wäre,
[11]
An deren Busen ich, die Sinnen alle wach,
Im Mondschein' lag: für Tugend und für Ehre,
War damals schon mein Herz zu schwach.
So aber, schwebte meinen Blicken
Das Reis zum Myrtenkranze vor;
Und Schade war es, das zerknicken,
Denn grade schoß es itzt zur Blüth' empor.
Wohl brach ich's auch in seiner Blüthe!
Verdammt sey, wer ein zweites bricht,
Eh' dieses hier – was Gott verhüte! –
Zu Staub vermodert ist. Jetzt ist es zwiefach Pflicht,
Daß ich die Hand vor diesem Frevel hüte.
Noch rührt' ich dich mit keinem Finger an,
Du schönster Rosenstock in deines Königs Garten!
Doch laß mich nicht zu lange warten;
Die Flucht allein macht hier den braven Mann.
Hatt' ich nicht tausendmal geschworen:
»Das alles, Freunde! was ich mein
Nur nennen kann, soll alles auch verloren
[12]
An meinem Hochzeittage seyn?«
Ich kannte keinen größern Thoren,
Als der sich selbst in Fesseln schlug,
Und war, – dazu sind wir geboren! –
Der erste, der sie willig trug.
Itzt hab' ich nichts mehr wegzugeben,
Als einen matten Blick und einen leichten Scherz.
Sag', möchtest du bei beiden mit mir leben?
Nein, lieber nichts, wenn nicht das ganze Herz.
Denn ach! die Liebe, die mit Blicken
Befriedigen des Herzens Wünsche soll,
Wird endlich, quillt es erst zu voll,
Das Herz im Busen selbst ersticken.
Zwar gibt's der starken Seelen viel,
Die Jahre lang sich willig dran begnügen,
Die jeden Wunsch und jeden Schmerz besiegen,
Und ohne Hoffnung, je ans Ziel
Zu kommen, sich nicht müde fliegen.
Allein so stark, Augusta, bin ich nicht;
[13]
Es läßt sich leicht von Tugend und von Pflicht
In jedem andern Falle prahlen,
(Wiewohl der Weise prahlet nicht,)
In diesem nur, sind Worte leere Schalen.
So schwach ich war, dir zu gestehn,
(Was schon auf meinen Lippen zum Vergehn
Der Treue wird,) daß ich dich liebe!
So stark bin ich itzt wieder, und will gehn,
So gern ich auch bei dir noch bliebe.
Ach! Mädchen, kann ich anders? Sag'!
Muß ich nicht dir durch einen Thränentag,
Vielleicht den Schmerz von vielen Jahren,
Und mir, der sonst so sanft im Arm' der Treue lag,
Ein Lagerbett auf Dorn ersparen?
Ich darf nicht dein Geliebter seyn,
Und geh' ich oft bei dir noch aus und ein,
So kann ich selbst dein Freund nicht länger bleiben;
Denn fing die Pflicht nicht an, sich schon zu sträuben?
Zu groß ist hier der Reitz, Rebell zu seyn.
[14]
Doch, wenn uns erst drei Länder trennen,
Dann bin ich dir ein wahrer Freund;
Und lernten wir denn bloß für diese Welt uns kennen,
Auf der so kurz die Sonn' uns scheint?
Wir finden einst, wenn jeder ausgeweint,
Uns wieder, um uns nie zu trennen.

[15] An eine Dame an dem Hofe zu **

Nein! laß du mich in meiner Einsamkeit!
Hier plaudr' ich, ohne mich an Zeit
Und Ort zu kehren, in der Mütze,
Bis Mitternacht mit dir, und horche deinem Witze.
Hier schleudr' ich oft, ein ächter Sohn des Teut,
Auf das Tyrannenvolk, das barsch vom Thron' gebeut,
Und wähnt, der Rest der Menschen sey nichts nütze,
Als Sklav zu seyn von ihrer Herrlichkeit,
Der Wahrheit Donner und des Spottes Blitze.
Hier kann ich beim Johannisbeerenwein'
Aus meinem Garten, und der Grütze
Von meinem Felde, glücklich seyn.
[16]
Allein zu arm, mich immer neu zu kleiden,
Zu froh, den Hofmann zu beneiden,
Zu alt, um in die Lehre noch zu gehn,
Hat Euer Hof für mich zu wenig Freuden.
Sonst, offenherzig zu gestehn,
Wollt' ich für dich wohl zehnfach leiden,
Was Boileau für Ludwigs Gold
Am Hofe litt; an dir sein Auge weiden,
Wär' auch ein ungleich größrer Sold.
Laß immer meinen Eigensinn
Noch ferner nach Belieben mit mir schalten,
Denn dieser läßt es immerhin
Mit der Bequemlichkeit beim alten,
Und, wie du siehst, besteht mein Glück darin.
Ich, den in Stiefeln und in Spornen,
Die Haare schlicht zurückgekämmt,
Kein Bach, kein Sumpf und kein Gebüsch voll Dornen,
Auf seinen Wanderungen hemmt:
Ich soll mir Stunden lang die Haare
[17]
Zerraufen lassen, und die Zeh'n
Auf dünnen Sohlen wund mir gehn? –
Wer fahren kann, ei nun, der fahre!
Doch wer wie ich wohl gehen muß,
Sey wenigstens so klug und spare
Sich jeden Schritt zum Ekel und Verdruß.
Mich immer schüchtern umzusehn,
Ob mir das fromme Ding, mein Degen,
Auch richtig folg'? und meiner Locken wegen
Bei jedem Wind' in Furcht zu stehn?
Da wär' ich wohl ein braver Thor!
Was ist mir itzt an einem Schirm' gelegen,
Mir, der durch keinen Wind und keinen Regen
Das mindeste bisher verlor?
Und wozu soll mir gar ein Degen?
Auf einer Treppe Arm und Bein,
Aus Höflichkeit, im Umdrehn, zu zerbrechen?
Denn auch nur einen Frosch der Wiese zu erstechen,
Würd' ich gewiß zu billig seyn.
[18]
Doch dürft' ich, wie ich geh' und stehe,
Nach Hofe kommen: Weh, o wehe,
Dem Weisen, der sich da zum Schauspiel' macht!
Und hätt' er's auch zu Newton's Ruhm gebracht:
Ein Lai' in Eurer Sprach' und Sitten,
Ist dort ein fremdes Thier, und nur so lang gelitten,
Als man das Thier begaffet und belacht.
Der übersilberte Lackei
Besinnt sich, ob er einen Teller
Mir reichen will? Denn keinen Heller
Verschlägt ihm meine Reimerei.
Und sollt' auch – längst mein Glas geleert –
Der Brand auf meiner Zunge lodern,
So mag ich dreimal Wasser fodern,
Und immer wird er thun, als hätt' er's nicht gehört.
Doch, diese Grobheit läßt sich noch ertragen,
Allein die Höflichkeit der Herrn
Mit einem Schlüssel oder Stern',
Die jedes Wörtchen, das sie traun!
[19]
Nur um des Fürsten willen sagen,
Noch als Herablassung geruhen anzuschlagen,
Wie Kieselsteine zu verdaun:
Dazu gehört ein beßrer Magen.
Wenn selbst der Fürst für Gnad' es hält,
Daß ich ihm seine Zeit vertreibe,
Indeß die Langeweil' um meine Zeit mich prellt:
Ist's dann nicht klug und wohl gethan,
Daß ich auf meinem Stübchen bleibe?
Was geht denn Euer Fürst mich an?
So lang ich Brod und Wasser haben kann,
Bedarf ich keines stolzen Fürsten Gnade.
Und wenn er nicht zu mir herab sich lassen kann?
Gut! mein sey immerhin der Schade!
Ich krieche nicht zu ihm hinan.
Ein Freund ist lieber mir, als hundert solcher Fürsten.
Zu jenem geh' ich selbst, so oft nach seinem Kuß'
Und seinem Trost' so Herz als Lippen dürsten,
Zu diesen, trann! nicht eher, bis ich muß.
[20]
An seinem Hofe muß ich stehen,
Setzt' ich mich noch so gerne hin,
Und bleiben, wünscht' ich gleich zu gehen,
Und lachen, wenn ich traurig bin,
Und, was mein Lachen reitzt, beklagen,
Und trotz der vielen Gall' im Magen,
Für jeden Schurken immerhin
Nur Honig auf der Zunge tragen;
Muß leiden, wenn's dem Marschall' so gefällt,
Daß Schwätzer mich zum Spieltisch' führen,
Und meine Zeit, sogar mein Geld,
Nur niemals die Geduld verlieren.
Dieß Opfer ist fürwahr nicht klein;
Sollt' ich es Eurem Fürsten bringen,
So müßt' er, wenn die Figuranten gingen,
Und dann, mit Wenigen allein,
Die Herzen ihm sich an zu öffnen fingen,
Nicht Fürst, wie bei der Cour, mehr seyn.
Denn, wenn er die Despoten-Miene,
[21]
Die bald demüthigt, bald beschützt,
Auch hier noch nicht verliert, noch steif und ernsthaft sitzt,
Damit sich ja kein Mensch erkühne,
Nur mit dem Schnupftuch' sich zu wedeln, wenn ihn schwitzt,
So spielt er, Baron gleich 1, noch außerhalb der Bühne.
Und ich erduldete so was,
Um Kaviar und Ananas
Zu schmausen, und um Chierwein zu trinken? –
Denn, Freundin, würd' es weise seyn,
Geehrt schon dadurch ganz allein,
Weil jener Fürst ist, sich zu dünken?
Laß Tigellin mit diesem falschen Schein'
Sich an des Nero Tafel schminken!
[22]
O sähst du mich Johannisbeerenwein
Aus meinem Garten, einmal trinken,
Am Waldgesange meiner Finken,
Statt der Kapelle, mich erfreun,
Und in den ruhigen vier Pfählen,
Mein eigner Herr, mein eigner Marschall seyn:
Du würdest sicher dann nicht schmälen,
Und meinen Eigensinn, wenn's einer ist, verzeihn.
Und doch verließ ich meine Hütte
Noch heute gern, und führ', ohn' alle Bitte,
Auf Wochen lang mit dir nach Hofe hin;
Doch müßtest du nach Dessau fahren,
Denn Stunden werden mir zu Jahren,
Bevor ich um den Fürsten wieder bin,
Der – doch bei dem kann immerhin
Die Wahrheit selbst, ihr Lob ersparen.

Fußnoten

1 Er gab sich auch in Gesellschaft noch die Miene der Hoheit und Ueberlegenheit, womit er seine Rollen vorstellte; man sagte daher von ihm, er spielte noch außer dem Theater.

[23] An die Nachdrucker

O Schiffchen! führst du gleich kein schwer
Geschütz, an deinem Bord',
So setz' auf Räubervollem Meer'
Die Fahrt doch ruhig fort.
Wer oft, wie ich, schon Feinde schlug,
Dem wird's zuletzt ein Tanz;
Drum segl' ich fort im vollen Flug',
Mir selbst Assecuranz genug,
Ohn' all' Assecuranz.
Ich lag noch still im Hafen hier,
Da forschte schon die Raubbegier:
Wann? und wohin mein Lauf
Gerichtet sey? da paßten mir
[24]
Schon die Piraten auf.
Im Angesicht' des Hafens, macht
Das Raubgesindel auf mich Jagd,
Und folgt mir Strich vor Strich.
Heran, Gesindel, hast du Muth!
Heran und entre! Ohne Blut
Nimmt freilich keiner mich.
Was soll das, Schurken! Warum steckt
Ihr fremde Flaggen auf,
Und haltet Euch am Bord' versteckt?
Wer achtet wohl darauf?
Schwärzt das Gesicht Euch wie ein Mohr,
Nehmt noch so schöne Larven vor;
Man kennt Euch wohl, ihr Herrn!
Kauffahrer wäret ihr? O Brut
Von David 1! dein geraubtes Gut
Verräth dich schon von fern.
[25]
Herab denn mit der Flagg', herab!
Nehmt Eure plumpen Larven ab,
Die Heidesheim erfand!
Und raubt, wie Göbhard, der Corsar
Von Bamberg, lieber offenbar,
Denn wer thut Widerstand?
Des Eigners Schrein, wenn über Bord
Ihr nach der Beute springt,
Ist alles; doch ihr segelt fort
Mit Eurer Pris', und singt
Und lacht, daß ihr sie auf im Port',
Und schnell an Käufer bringt.
Ein Schiff, das Sachsens Flagge führt,
Bringt ihr zu Frankfurt auf;
Ist's umgekehrt: ei nun! was schiert
Euch das? Auf anderm Striche, führt
Nach Leipzig Euer Lauf.
Sperrt man Euch beide Hafen gleich,
Berlin noch oben drauf:
[26]
Mit Eurem Raube nehmen Euch
Noch zwanzig Hanaus auf.
Was ist es mehr? Ihr schiffet hier
Die Waaren aus, statt dort;
Wo nicht; so schickt von München ihr,
Sie einzeln, sicher, fort.
Die Mäkler, wenn sie gleich wie toll
Als Räuber Euch verschrein,
Ersparen dennoch gerne Zoll,
Und schleppen heimlich Frachten voll
Von Eurem Raub' sich ein,
Denn ohne Hehler würden wohl
Der Stehler wenig seyn 2.
Fahrt ihr – und was macht schneller reich? –
Ins hohe Meer hinaus,
So sucht ihr von den Schiffen Euch
[27]
Die reichsten klüglich aus.
Wer ohne Hortschiff fuhr, wie ich,
Was Wunder! wenn der gleich
Die Segel willig vor euch strich?
Denn wie entflöh' er euch?
Soll bei der Admiralität
Er euch belangen? Hum!
Der, dem ein Lamm verloren geht,
Verklagt kein Schaf darum.
Denn, sagt der Schäfer 3, einerlei
Am End' es freilich ist,
Ob Herkul, ob der Wolf es sey,
Der mir die Schafe frißt?
Allein ein Hortschiff widersteht
Euch Räubern, selbst nur schwach;
Am Hafen der Neutralität
Paßt ihr ihm auf, und sieh! es kräht
[28]
Nicht Hahn noch Huhn darnach.
So respectiret der Corsar
Algiers, der Schweden Flagge zwar,
Doch kaum ist seinem Netz'
Der Schwed', als Schwede, noch entflohn,
So kommt ein andrer Räuber schon,
Und schleppt ihn mit nach Fez.
Und wenn ein Hortschiff gleich einmal
Von eurer Schiffe großen Zahl,
Eins auf den Strand auch jug:
O! das, was einer von euch stahl,
Ist Lösegeld genug.
Hispanien und Frankreich griff
Algier vergebens an;
So nimmt euch Eine Macht ein Schiff,
Doch eure Werfte kann
Die Eine nicht, so groß sie sey,
Zerstören; ihr gewinnt
Indeß, so wie Algier, dabei,
[29]
Wenn von zehn Staaten, selten zwei
In Deutschland einig sind.
So ist's ein wahrer Markebrief,
Den Schramm und Franke führt;
Weg ist, was aus dem Hafen lief,
Wenn sie die Ladung rührt.
Mein kleines Schiff gehöret zwar
Zur Silberflotte nicht,
Und dennoch läßt es der Corsar
Nie ganz aus dem Gesicht'.
So kommt denn her und greift mich an!
Ich halte sicher Stand.
Mein Brander, wenn ich sonst nichts kann,
Steckt wenigstens von allen dann
Ein Raubschiff erst in Brand.
Wenn's einem Theil' an Muth gebricht,
Wird Sieg ein leichter Kauf;
Ich aber streiche sicher nicht,
Und flög' ich selbst mit auf.
[30]
Allein genug Allegorie!
Was nützt es, euch das Bild
Der Wahrheit zeigen? Braucht ihr sie
Doch selbst, – wie frech! – als Schild 4.
Der Schweden Banconote führt
Die Warnung für den Hang,
Der einen Strobel 5 selbst regiert:
»Wer dieses nachdruckt, der verliert
Das Leben durch den Strang!«
Zum Glück' für euch, geht's zwar nicht an,
Daß ich den Ersten gleich,
Der wieder zum Lips Tullian
An mir wird, hangen lassen kann,
Doch zwingen kann ich euch,
[31]
Daß, wie ein Goldstück ohne Rand,
Ihr, halb verstümmelt, diesen Band
Umher am Trödel treibt;
Wo nicht: daß ihr mit eigner Hand
Euch euer Urtheil schreibt;
Mit eigner Hand den Pranger setzt,
Woran der erste Dieb, zersetzt
Von Geißeln, sterben soll;
Denn eure Freiheitsbriefe sind
Gerechter Rache, Spreu im Wind',
Und euer Maß ist voll!

Fußnoten

1 Ein berüchtigter Seeräuber.

2 Wer hat nicht schon, selbst in berühmten Buchhandlungen, Nachdrücke aller Art, von unsern besten Schriften, zum Verkaufe ausliegen gefunden?

3 In der griechischen Anthologie.

4 Ich erinnere mich, eine Vignette mit der Wahrheit und Tugend, auf dem Titel eines Nachdrucks gesehen zu haben, kann mich aber auf das Buch selbst nicht mehr besinnen.

5 Ein bekannter Nachdrucker, und (welches wohl zu merken!) Professor der Moral in München.

[32] An Herrn M. Schrader, in Halle, Inspector des Königl. Pädagogiums 1

Hier ist mein Bildniß! – Wenig gleichen
Wird itzt der Mann dem Jüngling', Freund!
Den du gekannt hast; theure Leichen
Hab' ich seit jener Zeit beweint.
Denn beide sind sie nun begraben,
Die einst in deine Hand mich gaben;
Drum ist mein Auge noch so roth,
Mein Blick voll Ernst, mein Feuer todt.
Sechs Jahre saß auf meinem Zimmer
Mit meinen Büchern ich allein,
Und täglich schien die Welt mir schlimmer,
[33]
Denn jeder Schelm darin, sollt' immer
Gut, oder gleich gehangen seyn.
Drum ist die Stirn mir noch voll Falten,
Und als ein Denkmal, daß ich Thor,
Aus dem Gesichte, wie die Alten,
Den guten Theil der Welt verlor,
Muß ich zur Strafe sie behalten.
Nur ganz so grämlich, o mein Lehrer!
Seh' ich denn doch nicht aus, wie hier;
Sonst machte Lavater aus mir
Vielleicht wohl einen Freudenstörer.
So trüb auch meine Augen sind,
Entwölken sie sich doch geschwind,
Wenn meine Jungen, wie die Mücken,
Sich in der warmen Sonne freun;
Und meine Falten zu zerstreun,
Bedarf es keiner Flasche Wein,
Nur eines Freundes Händedrücken.
O Maler! hättest du mein Herz
[34]
Statt des Gesichtes malen können,
So würde man den Ernst nicht Schmerz,
Den Gleichmuth, Eigensinn nicht nennen.
Doch du, der besser noch vielleicht,
Als ich, mich kennt mit allen Schwächen,
Du kannst allein ein Urtheil sprechen,
Ob noch mein Herz dem Herzen gleicht,
Das du geformt hast? Ob dem Keime,
Deß Gärtner du gewesen bist,
Ein solcher Baum entwachsen ist,
Als du wohl hofftest, ich wohl träume?
Dieß weiß ich, daß dein Freund noch liebt,
Was damals er als Jüngling liebte,
Und über das sich noch betrübt,
Was ihn als Knabe schon betrübte.
Die wackern Helden des Homer
Lieb' ich, o Freund, noch itzt so sehr,
Als in dem siebenzehnten Jahre;
Doch, tritt ein Nero nur hervor,
[35]
So heben itzt noch meine Haare
Die Nachtmütz' auf dem Kopf' empor.
Wie damals ich dem schwarzen Brette
Und Carcer, (denn mein Ehrgefühl
Ging willig,) Trotz geboten hätte,
So acht' ich meinen Kopf so viel
Noch itzt, als einen Pappenstiel,
Gilt's für der Menschheit erste Rechte.
O Schande Roms! daß Nero kühl
Das Blut der Bürger zapft' und zechte,
O Schand'! und doch so spät erst fiel!
Allein, wann setzten je die Knechte
Der Wollust, ihren Kopf aufs Spiel?
Noch schallt der Spruch in meinen Ohren,
Den über mich dein Mund einst that:
»In keiner Republik geboren,
Wärst du in jedem andern Staat',
Als diesem, den dein Fuß betrat,
Nicht glücklich; wo nicht gar verloren!«
[36]
O laß mich denn bis an mein Grab
Die längst erkannte Wohlthat preisen,
Daß mich dem Zepter eines Weisen
Mein gutes Schicksal untergab.
Hier, auf der Grenze seiner Staaten 2,
Sitz' ich, und sehe froh mich um,
Denn noch sind immer unsre Saaten
Die Aehrenreichsten rund herum.
Und freue dich! du, der die Felder,
Die Wiesen, Berge, Seen und Wälder,
Von seltnen Kräutern nur entblößt;
Kein Land, von Memel an – bis Soest 3,
Steht enger mit der Kräuterkunde,
(Dank! daß du sie, die das der Stunde
Des Traurens, was dem wunden Munde
Der Honig ist, mir eingeflößt!)
[37]
Als mein Hercynien im Bunde.
Wie damals, lieber Freund, mit dir,
So irr' ich itzt auch noch bisweilen
Durch Wald und Wiese ganze Meilen;
Nie aber kostet's einem Thier',
Doch einem Blümchen oft das Leben,
Denn diesem kann ich's auf Papier 4,
Nur jenem niemals wieder geben.
Statt Pflanzen aber, sucht dein Freund,
Wie damals schon, im Winter, Reime.
Was soll ich machen? Wie es scheint,
Lag diese Frucht schon in dem Keime.
Denn eh' ich noch einmal erfuhr,
Was Dichtkunst sey? Wer die Homere
Der Vorzeit waren? Ob Natur,
Ob Kunst, des Dichters Lehrbuch wäre?
Ob Gold sein Lohn sey, oder Ehre?
[38]
Kam ich dem Reim' schon auf die Spur.
Ich, der beim Pflanzensuchen, wie
Ein Reh, mich matt, Berg auf Berg unter,
Gelaufen hatte, war doch früh
Schon mit der Sonne wieder munter.
Du lächeltest, wenn dann am Pult'
Die Stirn mir wie ein Schornstein dampfte,
Und ich den Kiel, voll Ungeduld
Ob einem Reim', zu Fasen stampfte.
Und doch gebotest du mir nie,
Die Hand der Muse loszulassen,
Denn durch Verbote lehrt man sie
Nur stärker lieben, nicht, sie hassen.
Auch war's zu spät bei mir. Homer
Lag Nachts schon unter meinem Kissen;
Leicht hätte man den Ball, so sehr
Ich ihn auch liebte, mir entrissen,
Doch diesen Alten nimmermehr.
So ging ich fort auf meiner Bahn',
[39]
Allein aus meinem süßen Wahn'
Riß unser Lichtwehr mich geschwinde.
Den Augen nahm er ihre Binde,
Daß sie das weite Ziel erst sahn,
Und o die Namenlose Menge
Bereits im Wettlauf' nach dem Kranz'!
Ich stutzte; wenig vor der Länge
Der Laufbahn'; mehr, vor dem Gedränge:
Doch, ich war halb, warum nicht ganz?
Gewinnt gleich einer nur von allen
Zwölf Tausenden, das große Loos;
Das zweit' und dritt' ist auch noch groß,
Und besser doch, als durchgefallen.
So drängt' ich auf dem vollen Wege
Mich durch, und riß ein Lorbeerblatt
Vom Kranz' noch ab, (denn Bürger 5 hat
[40]
Den ganzen Kranz,) das, für die Pflege
Des Herzens, auf den Dankaltar
Ich dir gerührt als Opfer lege.
O! wenn ein jeder von der Menge,
Die du erzogest, statt Gesänge,
Dir Thaten für der Menschen Heil
Aufweisen kann: gewiß, mein Bester!
So würde dir der Preise größter,
Der Lohne süßester zu Theil.

Fußnoten

1 Er hatte den Verfasser, seinen ehemaligen Schüler, um sein Bildniß ersucht.

2 Ellrich, des Verfassers damaliger Wohnort, machte in jener Zeit auf dieser Seite die Grenze der Preußischen Staaten.

3 Beinahe die größte Länge der Preußischen Lande.

4 Die Botaniker kleben die getrockneten Kräuter auf Papier; eine Menge auf botanische Art aufbewahrter Kräuter, heißt bekanntlich eine lebendige Sammlung.

5 Bürger studirte mit dem Verfasser zu gleicher Zeit auf dem königl. Pädagogium; sie errichteten da die erste Freundschaft.

[41] An Herrn ** in P*

Im Mai 1780.


Warum ziehst du junger Mann
Deine Stirne, wie die Alten,
So verdrießlich schon in Falten?
Siehst die Veilchen nicht mehr an?
Hast, wenn Nachtigallen singen,
Nicht, wie sonst, noch Freude dran?
Träumst, wer weiß von was für Dingen?
Wenn wir mit den Gläsern klingen,
Und ein Scherz, ein Einfall, kann
Uns dein Lächeln kaum erzwingen?
Ist ein Mädchen deinen Küssen
Gar zu spröde, trotz dem Mai?
Hat der Tod sie dir entrissen?
[42]
Oder ward sie ungetreu?
Hat man um dein kleines Gut,
Um dein Alles, dich betrogen?
Oder hat den alten Muth
Dir die Schwindsucht ausgesogen?
Nein, du liebst nicht, junger Mann!
Weil die Lieb' und eine Schlange
In dem Busen, keiner lange
Vor dem Freund' verbergen kann.
Nein, du bist noch nicht der Raub
Eines Fiebers; deine Wange
Bleicht noch nicht wie Herbstes Laub.
Und dein Gütchen, wie wir wissen,
Ward von Flammen nicht verzehrt,
Nicht durch Fluthen weggerissen,
Nicht durch Hagelschlag verheert.
Wie? so ist nur deine Rente,
Lieber Jüngling, dir zu klein?
Nicht aus Habsucht! denn wie könnte
[43]
Solch ein Mann mein Freund auch seyn?
Dir versagte die Natur
Bei dem herrlichsten Talente,
Das Talent: zu sparen, nur.
Aber, willst du mich nur hören,
Mich, der nicht mit Sechsen fährt,
Und wohl nie auf eignem Herd'
Wird die Heimchen zirpen hören;
(Sonst auch wären meine Lehren
Dieses Blatt Papier nicht werth!)
O gewiß! der Nachtigallen
Süße Frühlings-Melodein
Sollen wieder dir gefallen,
Und dein Mund bei Scherz und Wein
Wieder lächeln, und von allen
An Gesang der reichste seyn.
Ich, erzogen unter Grafen,
Hüllt' in weiche Seide mich,
Konnt' auf Pflaumenfedern schlafen,
[44]
Und mein Pferdchen, klein wie ich,
Ging bei meiner Schwester Schafen
Auf der Weide, brüderlich.
Wenn mein Lehrer einst für mich,
Mittags, einen Wunsch verrieth,
Fand ich Abends, unterm Teller,
Die Erfüllung schon; wer schied
Je von seinem letzten Heller,
Lieber für sein Kind, und schneller,
Als mein Vater? Dank' o Lied!
Dank' ihm noch in seinem Grabe,
Daß er mir die Weisheit prieß,
Und, was ich im Kopf' itzt habe,
Mir, statt meines Erbtheils, ließ.
Weihrauch soll noch in der Erde
Meinem großen Lehrer 1 glühn!
Was ich bin und was ich werde,
[45]
Ward und werd' ich halb durch ihn.
Daß ich mit gebundnem Flügel
Ruhig sitze hier im Thal',
Da ich sonst dem steilsten Hügel,
Wie der Aar 2 dem Sonnenstrahl',
Gerne zugeflogen wäre,
Zu entfliehen dem Geschmeiß',
Das ich haß': ist größre Ehre,
Als das alles, was ich weiß.
Und woher nun diese Ruhe?
O! mein Vater ließ mich schön,
Trotz der langen Reihe Schuhe,
Auch bisweilen barfuß gehn.
Aus dem weichen seidnen Kleide
Ward oft schnell der gröbste Frieß;
Trotz dem Pferdchen auf der Weide,
Mußt' ich, wenn der Nordwind bließ,
[46]
Hübsch zu Fuß gehn durch die Heide,
Und, statt meines Pfühls von Pflaum,
Einen harten Sack voll Kernen
Unterm Kopfe, ohne Traum,
Ohne Wälzen, schlafen lernen.
Alle Freuden dieses Lebens,
Die ein reicher Mann genießt,
Und um die ein Thor vergebens
So viel Thränen oft vergießt,
Lernt' ich, weil sie doch das Glück
Wenigen nur kann gewähren,
Nicht, verachten, nur entbehren:
Eines Lehrers Meisterstück!
Wär' ich nicht ein armer Wurm,
Wenn ich auf dem Harz nicht Sturm,
Schnee und Reif ertragen könnte?
Wär' ich nicht ein armer Tropf,
Wenn mein Auge mir im Kopf'
Ueber Kutsch' und Pferde brennte?
[47]
Ha! sieh her! den Gemsen gleich,
Kann ich unter Donnerwettern,
Ruhig auf den höchsten Zweig
Der gezackten Felsen klettern.
In dem Frack' von Bergopzoom
Lach' ich mehr in einem Jahre,
Ja vielleicht in einer Nacht,
Als der Vater Pabst zu Rom
In dem purpurnen Talare
Während seines Lebens lacht.
Keinen Heller bin ich schuldig:
Ist denn das nicht reich genug?
Sahst du je mich ungeduldig,
Wenn das Glück mir Knipchen schlug?
Besser ist's, die Menschen sagen:
Dreimal mehr verdientest du!
Als daß Weise spöttisch fragen:
Sagt, wie kam der Narr dazu?
Sieh! ich zwing' im schlichten Kleide
[48]
Selbst dem Wuchrer Achtung ab,
Denn gewiß, wir fühlen beide,
Daß mein Herz mir manche Freude,
Ihm sein Gold nur Sorge gab.
Sieh! vor meines Herzens Kälte
Und der Flamm' in meinem Blick',
Tritt, verlegen, er zurück,
Weil ich für sein Bubenstück,
Schweigend einen Schelm ihn schelte.
Niemals drängt' ich mich hinan
Zu den Großen dieser Erde;
Aber wenn ich einem Mann'
Etwa zugestoßen werde,
Der nicht Rang verläugnen kann:
O der bleib' ein Thor für sich!
Ich, ich komm' ihm niemals wieder.
Schätzest du, o Großer, mich?
Wohl! so laß dich auch hernieder,
Und so habe Muth genug,
[49]
Mich, wie ich da bin, zu nehmen,
Und dich meiner nicht zu schämen,
Weil auf seinem Kriegeszug'
Nicht auch meinen Urgroßvater
Kaiser Karl zum Ritter schlug,
Und, wie dich, mich in den Prater 3
Nie ein goldner Wagen trug.
Aber mehr als Stolz der Großen,
Haß' ich, Stolz der Reichen, noch.
Liebes Glück! du wollest doch
Nur so weit mich nicht verstoßen,
Wie so karg du sonst auch bist,
Daß mich der, nur der nicht rette,
Wenn die Sorg' am Herzen frißt,
Dem die Weisheit ein Gespötte
Und Talent ein Ekel ist.
[50]
O wie leicht ist's, wenn der Noth
Edelmuth, zu fliehn gebot,
Unsern Dank ihm aufzudringen;
Doch, der Eitelkeit ihn bringen,
Das ist schwerer als der Tod!
Sieh! wenn gleich von meiner Wiege
Bis zu meinem Traualtar',
Größtentheils mein Pfad zur Gnüge
Ueberstreut mit Rosen war,
Doch mit unter nun auf Schollen
Oder Stoppel sich verliert,
Dennoch hörst du nie mich schmollen,
Denn ich weiß, wer mich ihn führt.
Wenn ich auch auf jene Höhe,
(Ach! nach der ich Thor sonst hin
Gierig sah, doch nicht mehr sehe,)
Gleich nicht halb gekommen bin:
Dennoch sitz' ich hier am Hügel,
Lächelnd, wenn sich mißvergnügt
[51]
Unter eines Adlers Flügel,
Mancher Zäunert 4 schlau verkriecht.
Aber du? was willst du machen?
Willst du dich hier neben mich
Setzen, und mit Göckingk lachen?
Oder mit dem Zäunert dich
Auf zur Höhe tragen lassen? –
Um dem Reichen gleich zu prassen,
Ist dein Gütchen kaum das Spiel
Zweier Jahre; um dem Leben
Reitz durch frohen Muth zu geben,
Hast du wahrlich schon zu viel.
Lerne, so wie ich, entbehren,
Und genießen was du hast.
Fort vom Tische mit dem Gast',
Dem du ihn mit einer Last
Von Gerichten, sollst beschweren;
[52]
Fort von Leuten, die dich nicht
Länger auf der Zunge tragen,
Als so lang ein goldner Wagen
Und ein Sammtrock für dich spricht.
Wer dich dann noch immer schätzet,
Wenn dein Frack von Bergopzoom
Sich vertraulich zu ihm setzet,
Lieber sich am Napf' voll Rohm
In der Laube mit dir letzet,
Als, zur Statue versteint,
Wenn da gleich Champagner brauset,
An der Fürsten Tafel schmauset:
Der allein war nur dein Freund!
Wer, wie du, der Großen Gnade
Nicht bedarf, auf seinem Pfade
Aus dem Thoren beugen kann,
Und mit Freunden durch das Leben
Wie in einem Tanze schweben:
O wie glücklich ist der Mann!
[53]
Freilich muß an dem Vergnügen
Froher Weisheit, ihm genügen;
Denn was ist sonst wahres Glück?
Aber wirfst du deinen Blick
Von des Nachbars sammtnem Kleide
Schnell auf deinen Frack zurück:
Weg ist alle deine Freude!
Sammt ist freilich warm und weicher,
Und auch ich, macht mich das Glück
Ohn' ein großes Opfer reicher,
Trage, wenn mich friert, ihn wohl;
Aber, wenn ich sorgenvoll,
Um das Sammtkleid zu erwerben,
Nur ein Jahr mich plagen soll,
Will ich gern im Fracke sterben.
Für Bedürfniß hat ein jeder
Seinen eignen Maßstab, Freund.
Wahre Noth drückt ihn entweder,
Oder nur was nöthig scheint.
[54]
Aber, Freund! was ist dir nöthig?
Muß dein Silber vierzehnlöthig,
Muß aus Bacharach dein Wein,
Muß dein Porzelan aus Meißen,
Und ein Rebhuhn nur aus Preußen,
Um recht zart zu schmecken, seyn?
Alles das kannst du dir geben,
Wenn die Klugheit, ohne Rast,
Nur nach diesem Ziel' soll streben;
Doch wie lange wirst du leben,
Wenn du das erlaufen hast?
Wann zum erstenmale wir
Beid' in einem Schauspiel' wären,
Ohne Hoffnung, jemals hier
Noch ein zweites auzuhören:
Würdest du wohl Zeit und Witz,
Aemsig, nur damit versplittern,
Einen recht bequemen Sitz
In den Logen auszuwittern?
[55]
Denn, mein Freund, verlörest du
Deine Zeit mit diesen Possen,
Und der Vorhang fiele zu:
Sag', was hättest du genossen?
Spielt man etwa dir zu Liebe
Noch einmal? Nein! aus ist aus!
Und, kaum hingesetzt, so triebe
Dich der Pförtner schon hinaus.
Dieses Schauspiel ist das Leben,
Und der Sitz ist unser Glück.
Ein Billet ward uns gegeben,
Gültig für ein einzig Stück.
Laß das unsre uns, das binnen
Wenig Stunden schon, vielleicht,
Ein zu frühes End' erreicht,
Im Parterr' mit allen Sinnen
Froh genießen; nicht, vernarrt
In den Rang, die Loge suchen;
Denn was hilft es, ist er hart,
[56]
Noch so sehr den Sitz verfluchen?
Ist die Vorstellung vorüber,
Dann so ist es gleich, mein Lieber,
Ob wir sanft auf Eyderdaun,
Oder hart auf Holz gesessen.
Der auf Daunen, hatte traun!
Die fünf Akte durch, gegessen:
Doch wie wird er nun verdaun?
Gähnen wird er, Freund! indessen
Wir mit den Sokraten nun
In Elysium, an Bächen,
Sanft auf Moos und Veilchen ruhn,
Und vom Vorspiel' uns besprechen.
Würden wir noch itzt so alt,
Wie zu Adams goldnen Zeiten:
O von selber würde bald
Mich der Sammlungsgeist verleiten.
Fünfzig Jahr' schätzt' ich geringe,
Könnt' ich, bei gespartem Wein'
[57]
Noch fünf hundert, guter Dinge
Mit den Ururenkeln seyn.
Aber so, mein Lieber, gucken
In die Welt wir kaum hinein',
Und sind fröhlich: Ach! so schlucken
Uns die Gräber hurtig ein.
Wer von diesem Augenblick'
Viel um Gold verkaufen kann,
Ist ein Mann für großes Glück,
Aber, Freund, für mich kein Mann.
Froh beim Napf' voll Rohm zu singen,
Und zum Fuß' des Stolzes, Freund,
Nur das Rauchfaß nicht zu schwingen:
Das ist leichter, als es scheint.
Ein Vergnügen sich versagen,
Um die Hälfte von dem Joch'
Eines Freundes, mit zu tragen:
Das ist zehnmal leichter noch.
Doch auf Meißens weiße Teller,
[58]
Bacharacher in dem Keller,
Und ein weit gereis'tes Huhn,
Einem Weibe zu gefallen
Das uns liebt, Verzicht zu thun:
Ist das leichteste von allen.
Freund! so leb' ich itzt als Gatte,
Zwar nicht prächtig, doch bequem,
Mit vier Andern, fast von dem
Was ich ganz allein sonst hatte.
Dennoch hatt' ich nie genug.
Bücher hatt' ich zwar bei Haufen,
Doch sie machen, höchstens, klug;
Aber Freude mußt' ich kaufen.
Damals wollt' es nichts bedeuten,
Tag und Nacht Courier zu reiten,
Um zu sehn, wie Sara 5 weint;
Itzt kann ich so was entbehren,
[59]
Meine Kinderchen gewähren
Mir das beste Schauspiel, Freund!
Um die Mara nur zu hören,
Hätt' ich damals obenein
Für die Stadt bezahlt; allein
Ob mir itzt – die Stimm' in Ehren! –
Ihre Triller lieber wären,
Als das bloße Trarara!
Meines Weibes, das den Jungen
Eben itzt hat eingesungen:
Daran zweifl' ich doch beinah.
Ach! das freundliche Gesicht
Dieses Jungens, tauscht' ich nicht
Gegen Danzigs volle Speicher,
Oder Hamburgs Hafen um.
Dennoch wär' ich gerne reicher!
Aber, weißt du auch, warum?
Ich, der sehr das Geben liebt,
Gebe mehr, als ich wohl sollte,
[60]
Aber dennoch, wie betrübt!
Nie, was gern ich geben wollte.
O wie sollte der sonst lachen,
Der noch weinend von mir ging!
Denn, mein Lieber, glücklich machen,
Ist ein gar zu köstlich Ding.
Wohl mir, daß durch mich auf Erden
Wenigstens ein Weib es ist!
Willst du auch durch mich es werden?
Folge, wenn du weise bist!

Fußnoten

1 Niemeyer, ehemaliger Inspector des Königlichen Pädagogiums zu Halle.

2 Adler.

3 Die Leser werden sich erinnern, daß dieser öffentliche Spatziergang bei Wien nur dem Adel offen stand, bis der Kaiser Joseph jedermann den Zutritt erlaubte.

4 Zaunkönig.

5 In Lessings Trauerspiele.

[61] An Denselben

Wie? Freund, so hat die falsche Scham,
Und nicht des Freundes Rath, gesieget?
O glaube, wenn itzt schwer der Gram
Auf dir mit seiner Rüstung lieget,
So liegt er leichter nicht auf mir,
Der gern zu deiner Rettung dir
Mit offnem Arm' entgegen flieget,
Doch ungern deinen Leichtsinn rüget.
Zwar, hab' ich nicht vielleicht zu viel
Von dir verlangt, der im Gewühl'
Mit Reichen und mit Jugendfreuden,
Noch keinen Dürftigen sah leiden?
O sicher wärst auch du ans Ziel
[62]
So gut, mein Freund, als ich gekommen,
Wenn du vom wahren Ehrgefühl'
Erinnrung hättest angenommen.
Allein gesetzt: daß dein Vergehn
Dir deine Freunde übersähn:
Wirst du dich frei zu sprechen wagen?
Du warst gewarnt, nicht schnell zu gehn,
Und fällst so tief! Was kannst du sagen?
Wer sich mit Schielen und mit Greinen
Nach Gold, nicht reicher greint und schielt,
Will wenigstens doch reicher scheinen,
Als in der That er ist. Drum spielt
Graf Hoditz, rasch so lang im Kleinen
Den König, bis er endlich fühlt,
Schwer sey's, zu lachen, wenn zu weinen
Ein harter Gläubiger befiehlt.
Zwar hat die Armuth, wie mir's scheint,
Das üble noch, selbst für den Weisen,
Daß sie verächtlich macht; doch preisen
[63]
Laß uns die Vorsicht, lieber Freund!
Denn unterm größten Menschenschwarm'
Ist, seinem Stande nach, auf Erden
Kaum Einer, ohne Schuld, so arm,
Verächtlich seinem Stand' zu werden.
Doch, reich genug für unsern Stand
Nur seyn: Wem wird daran genügen?
Nein! Frisch die Segel aufgespannt,
Die vor uns sind, zu überfliegen!
Und segeln gleich wir auf den Sand.
Zu einer Zeit, wo selbst der Weise,
(Den Lehren, nicht den Thaten nach)
Dem Golde nachschleicht; wo das Ach!
Der Wittwe, das Geschrei der Waise,
Den Damen von Empfindsamkeit
Vapeurs macht; wo ein kahles Kleid,
Und steckt' auch Sokrates darinnen,
Ihm keine Gönner wird gewinnen:
O Freund! zu einer solchen Zeit
[64]
Muß dir mein Herz es wohl verzeihen,
Daß du ein Thor gewesen bist,
Und, (wenn es anders eine ist,)
Der Ehre, Freiherrn Geld zu leihen,
Und eines Fräuleins Hand geküßt
Zu haben, mit dem Generale
Piquet zu spielen, eine Schale
Voll Punsch, mit Grafen auf dem Ball'
Zu trinken; daß du solchem Schwall'
Von Eitelkeiten, Land und Wiesen
Verschwendet hast, itzt überall
Herum zu irren wie verwiesen.
Doch, wird dein Oheim dir verzeihn?
Wird nicht sein Ohr bei meinen Bitten
Taub, und sein Mund beredt nur seyn,
Verweis' auf dich herab zu schütten?
Wie nun, Leichtsinniger? Erschrick!
Ein Jud' ist Herr von deiner Ehre,
Ein harter Ohm von deinem Glück',
[65]
Und ich, wünsch' in dem Augenblick'
Umsonst mir, daß ich reicher wäre.
Vielleicht hast du wohl kaum das Herz,
Mich, deinen Freund, itzt anzusehen?
Ist dieß nun nicht der größre Schmerz,
Als der, nicht auf den Ball zu gehen?
Denn hätt' es falsche Scham zur Pflicht
Dir nie gemacht, mit vollen Händen
Dein Häuschen Thaler zu verschwenden,
So würde wahre Scham itzt nicht
Dich zwingen, glühend dein Gesicht,
Das Auge weinend wegzuwenden.
Du warst, was dir nicht nöthig war
Zu kaufen, ämsig sonst beflissen;
Drum wirst du das itzt, was sogar
Dir nöthig ist, verkaufen müssen.
Du hast mit Grafen Punsch getrunken,
Itzt, wenn's der Wechsler böse meint,
Kannst du mit deiner Wache, Freund!
[66]
Dein Brod in Brunnenwasser tunken.
Du hast Baronen Geld geliehn,
Um niemals wieder es zu schauen;
Wer leiht itzt dir, dich aus den Klauen
Der Gläubiger, herauszuziehn?
Allein das schmähligste von allen,
Ist noch zurück: Wie welkes Laub,
Herab vom höchsten Gipfel fallen,
Und von den Füßen in den Staub
Getreten werden, die zu Tänzen
Dir folgten, und in Reverenzen
Dein Ohr entzückt durch ihr Gescharr.
Werth schienst du sonst den feinen Leuten,
Um dich, den Klugen, sich zu streiten,
Itzt bist du ihnen – was? ein Narr!
Nicht, Freund, damit mein Spott dich kränke,
Auch nicht, von deiner Thorheit dich
Zu überzeugen, denn ich denke,
Sie läßt dich's fühlen, ohne mich;
[67]
Um dir den Rückfall schwer zu machen,
Färb' ich die Wange dir so roth,
Denn wisse! daß des Abgrunds Rachen,
Der schon dich zu verschlingen droht,
Durch meine Bitten, meine Thränen
Erweicht, (laß ihn es nie gereun!)
Dein Oheim dich entreißt. Allein,
Beim Himmel, Freund! du darfst nicht wähnen,
Daß ich für dich zum zweitenmal
Werd' eine Thräne nur verlieren,
Und deine Schand' und deine Qual
Je deinen Oheim wieder rühren.
Fällst du zurück, so trag' die Schande
Für dich! Aus deinem Vaterlande
Flücht' hin ins Land des Wilhelm Penn,
Und werd' ein Ziel der Rifflemen.

[68] An Rosenstiel, in Berlin

Den 4. Dezember 1778.


O wohl mir, daß mein Weib und Sohn
Mich nur lebendig wieder haben!
Vier Wochen später, war ich schon
In deiner Königsstadt begraben.
Zwar, säh' die Göttin Sparsamkeit,
Gleich mir, wie ihr so gastfrei seyd:
Sie müßte schier für sich erröthen!
Doch grade diese Gastfreiheit
Würd' einen Fremden endlich tödten.
Nie, nie vergißt der Königsstadt
Und ihrer Großen, ihrer Weisen,
Dein Freund. So lang er Athem hat,
[69]
Wird er, der nichts fast lobt, sie preisen.
Und dennoch: stände gleich die Wahl
In meiner Macht; zum zweitenmal
Würd' ich wohl nach Berlin nicht reisen.
Wer weiß, wer weiß! wann, eh' ich nur
Die erste Fahrt dahin, verwinde!
Denn, außer daß ich meine Flur,
Trotz eurem Park' 1, so schön noch finde,
Als eh' ich neulich sie verließ,
Erfriert dein Freund fast bei dem Winde,
Vor dem, so rauh er immer bließ,
Sonst kaum von seinem Blut' ein Tröpfchen
Erstarrt'; und ach! aus seinem Näpfchen
Schmeckt süßer Rohm ihm nicht mehr süß.
Nicht, weil mein Gaumen, den Poeten
Der Bouillon 2 gleich, nach Wildpasteten
Und euren Zandern lüstern ist;
[70]
Nein! doch mein Magen lebt, zur Strafe
Des spätern Schwärmens, mit dem Schlafe
Noch immerfort in argem Zwist'.
Gottlob! daß ich nicht mehr, wie dort,
Auf Federn von gewundnem Stahle,
In Kutschen sitze; mit dem Nord'
Die Zorga 3 rauschen hör' im Thale;
Wie sonst, vom Berg' ein Abendroth
Auf schwarzen Wald kann brennen sehen;
Wie sonst, sobald mein Butterbrod
Verdaut nur ist, zu Bette gehen,
Wenn eure Köche noch den Koth,
Am Feuer, aus der Schnepfe drehen.
Nun, hoff' ich, soll mein Magen wohl
Bald mit dem Schlafe sich versöhnen,
Der eine wieder sich an Kohl,
Der andr' an Glocke zehn gewöhnen.
[71]
Zwar haben eure Leckerbissen,
Und eure Weine weiß und roth,
Mir nicht den süßen Schlaf entrissen,
Weil dort kein Wirth so lange droht,
Daß wohl die Gäste trinken müssen;
Wer aber denkt noch an den Leib,
Da, wo er seltne Weisheit höret?
Und wer vergißt nicht gern den Becher,
Da, wo der Witz zum Zeitvertreib'
Mit leichter Hand den vollen Köcher,
Als wenn es Pfeile schneite, leeret?
Doch, Wochen lang, um Mitternacht
Gerad' ins Bett vom Schmause fahren:
Dafür mag mich das Glück bewahren!
Denn aller Weisen Weisheit macht
Doch nicht gesund im Krankenbette;
Entschläft man gar: Ach! wer erwacht
Von eines Lucians Gespötte?
Und wahrlich! Ich war nah daran,
[72]
Zu Tode mich bei Euch zu wachen,
Ja, Willens schon, dir, lieber Mann!
Mein Weib und Kinder zu vermachen.
Denn erst geschlafen hab' ich kaum
In dreißig Nächten, dreißig Stunden,
Doch oft den Rest der Nacht, im Traum',
Mich ängstlich wie ein Wurm gewunden.
Oft war's, als griff' ein Räuber mir
Mit: Steh du Hund! schon nach der Krause,
Doch fand sich's bald, daß vor der Thür'
Von eures Commandanten Hause,
Die Schildwach' und die Ronde, nur
Gerufen hatten. – Bald bedräuten
Im Traum', Erdbeben, der Natur
Den Untergang; hu! wie von weiten
Der Donner rollt! die Mauren beben,
Die Balken brechen, schrecklich schweben
Sie knackend über meinem Haupt'! –
Was ist's nun, das die Ruh' mir raubt?
[73]
Zehn Kutschen fahren spät vom Schmause,
Vor meinem Fenster durch, nach Hause.
O wohl mir! daß mit Weib und Kind
Ich Tisch und Bett kann wieder theilen!
Denn unsre Schildwach' sind die Eulen
Und unser Kutschgerassel – Wind!
Mit beiden bin ich schon vertraut;
Drum komm, o Schlaf! wie eine Braut
In künftger Nacht mich zu umfangen;
Denn glaube, Sapho konnte schier
Nicht mehr nach Phaon, als nach dir
Mein schweres Augenlied verlangen.
Und wahrlich! Sancho selbst hat dich
Nicht mehr geliebt, als ich dich liebe;
Und dennoch, Lieber, flohst du mich?
Sahst meine Stirn und Augen trübe,
Und meine Rosen so verblühn?
Und sahst mit an, wie in Berlin,
Mein Witz, Champagner gleich, verrauchte,
[74]
Und das zu einer Zeit, wo ihn
Dein Freund am nöthigsten gebrauchte?
Doch, alles das sey dir verziehn!
Nur stelle dich auf deinen Socken
Heut' Abend, mit dem Schlage Neun,
Ganz leis' in meiner Kammer ein,
Und laß dich nicht durch Morgenglocken,
Durch Uhrgepick und Reimerein
Von Bav und Mäv, erst lange locken.
Auch auf die Träume gib wohl Acht,
Daß sie nicht mit herein sich stehlen;
Und wollten sie mich diese Nacht
Zum Coadjutor Cöllns erwählen,
Ja wahrlich! kämen sie sogar
Auf Adlern vor mein Bett geritten,
Und sprächen: Steig auf einen Aar!
Es geht dem Monde zu! – Fürwahr!
Ich müßt' es dennoch itzt verbitten.
[75]
Wie? spielt da schon mein Glockenspiel?
So ist es Zehn! das ist mein Zeichen!
Schon hör' ich meinen Liebling schleichen:
Drum gute Nacht, Freund Rosenstiel!

Fußnoten

1 Der Thiergarten.

2 Die bekannte Herzogin dieses Namens.

3 Ein Fluß bei Ellrich.

[76] An Herrn von U***

(Damals in London.)


Ich soll nicht dichten,
Weil als Poet
Nichts auszurichten
Beim Glücke steht!
Du magst die Kunst,
Der wir uns weihen,
Mit Spöttereien
Als blauen Dunst
Nach Lust verschreien
Allein, mit Gunst!
Mein lieber Mann,
Wie fang' ich's an,
Um auch so reich
[77]
Wie du, zu werden?
Mit Kutsch und Pferden,
Fährt man nicht gleich,
Wenn man auch Uzen
Sein Scherzgedicht
Weiß aufzumutzen,
Und viel vom Nutzen
Des Geldes spricht.
Wer seinen Frack
Nicht darf erwerben,
Nur einen Sack
Voll Doppelbatzen,
Wie du, ererben,
Der hat Geschmack,
Und hat gut schwatzen!
Doch nimm, (ich wage
Drauf Wett' und Strauß!)
Den Kaufmann aus,
Dann geh und frage
[78]
Von Haus zu Haus,
In Hamburg, Danzig,
Kurz, Stadt für Stadt,
Ob unter zwanzig
Nur einer hat
Ein Rittergut
Durch sie erworben,
Wie dein Baruth?
Und hat er's? Gut!
So sind Gewissen
Und Edelmuth
Ihm erst gestorben;
Denn sterben müssen
Sie beid', o Mann!
Steckt sie die Hektik
Der Dialektik
Des Wuchers an.
Dein Engeland,
Mein Lieber, fand
[79]
Das Sprüchwort witzig,
Wohl oft auch wahr:
Uneigennützig
Zu handeln, sey
Ein Kleinod zwar,
Doch könne gar
Bequem, dabei
Der Herr Besitzer
Als Bettler sterben 1.
Wird's drum unnützer,
Sich's zu erwerben?
O welch Verderben
Der Welt! o Zeit!
O Sitten! schreit
Der Moralist,
Der eifernd, immer
So leicht vergißt,
[80]
Daß oft noch schlimmer
Das Menschenvieh
Gewesen ist,
Doch besser, nie!
Philosophie,
Was man sich plage,
Lehrt dennoch nicht
In Jahr und Tage,
Die schwere Pflicht
Den Narrn zu dulden,
Der einen Gulden
Weit höher schätzt,
Als alle Thaten,
Vom Dank' der Staaten
In Stein geätzt,
Als alle Säulen,
Die noch bisweilen
Erhabner Tugend
Ein Weiser setzt,
[81]
Und edle Jugend
Mit Thränen netzt.
Er hat Verstand,
Weil zum Verrathen
Er neue List
Und Trug erfand,
Weil er den Braten
Der Wittwe frißt,
Ja selbst die Ruben
Der Waise raubt;
Doch, solchen Buben
Verachten, ist
Zum Glück' erlaubt.
Und dir, mein Lieber,
Dir selbst ja, kocht
Die Gall' oft über,
Wenn auf sein Gold
Ein Wuchrer pocht.
Dem Golde hold,
[82]
Bist du denn doch
Weit holder noch
Dem braven Manne,
Der keine Spanne
Vom Weg' abweicht,
Den ihm die Ehre
Zu wandeln zeigt.
Wohlan denn! lehre
Du mich die Kunst,
Des Glückes Gunst
Mir zu erwerben,
Allein dabei,
Der Ehre treu,
Einst froh zu sterben.

Fußnoten

1 Plain dealing is a jewel, but they that use it, die beggars.

[83] An Denselben. 1

Wie? hast du gar gemeint,
Ich würde nun verstummen?
Du sprichst von großen Summen,
Wie ich von Versen, Freund!
Nicht wahr, das ist es Alles?
Doch dieses leeren Schalles
Gewohnt, verschließet sich
Mein Ohr vor deinen Zahlen;
Denn wird zu Kapitalen,
Durch deine Klugheit, sich
Mein Häufchen zehnfach mehren?
Ist's nicht, als wenn ich dich
[84]
Die Dichtkunst wollte lehren?
Versagt hat die Natur
Zum Dichter, dir Talente,
Mir, alles, was mich nur
Zum Freisaß' machen könnte.
Schon immer war's mein Plan,
Auf ehrenvoller Bahn'
Nach Unabhängigkeit,
Dem großen Ziel'! zu laufen.
Fünf Jahre meiner Zeit
Wagt' ich noch itzt daran;
Denn sage selbst, wer kann
Zu theuer sie erkaufen?
Wie? was ich mit ihr machte?
Nun, außer daß ich dann
Noch lieber scherzt' und lachte,
Fing ich im Ernst' recht an –
Zu sammlen? Ei, mit nichten!
Mit nichten, lieber Mann!
[85]
Dann wollt' ich erst recht dichten.
Was ich itzt obenhin
Bei Arbeit und Beschwerden,
Für meine Freunde bin,
Wollt' ich für Deutschland werden:
Der Lehrer unsrer Jugend,
Der Herold stiller Tugend,
Ein Gift für Schmeichelei,
Ein Schrecken solcher Fürsten,
Die nach dem letzten Ey
Des Tagelöhners dürsten,
Ein süßer Labewein
Für unerhörte Liebe:
Was wollt' ich dann nicht seyn!
»Daß ich gut Kegel schiebe
Und Verse mache, sind
Gleich herrliche Talente!«
Sprach Boileau. Gewinnt
Sein Abgott, der ihm Rente
[86]
Und Ehre gab, dabei?
Und solchem Manne drehten
Hof, Stadt und Land – wie klein! –
Noch Kränz'? Ich würd' erröthen,
Nichts besseres zu seyn.
Wenn Popen, als Poeten,
Mit Dichten ihre Zeit
So gut, als Junker Veit
Mit Kegelschieben, tödten:
So geht auf die Galeeren
Und rudert für den Staat!
Ja! müßte diesen Rath
Nicht selbst Homerus ehren?
Zehn Jahre bin ich hier
In Ellrich, doch in allen
Sind, von Gedichten, mir
Zehn Worte kaum entfallen.
Wie? sollt' ich nun mit dir
Mich um den Nutzen zanken
[87]
Der Kunst, o Freund, wofür
Uns Andrer Zähren danken?
Wenn du ihr Freund nicht bist:
Sollt' ich dich minder lieben?
Du siehst, dein Dichter ist
Doch kein so böser Christ,
Als Götz 2 ihn hat beschrieben,
Und kann die Duldung üben,
Die Götz so oft vergißt.
Der ist so gut ein Thor,
Wer seine Kunst zur Laube
Des Himmels hebt empor,
Als wer herab zum Staube
Der Kegelbahn' sie stößt.
Nicht wahr, mein Lieber, flößt
Nur dir der Saft der Traube
Und deines Mädchens Kuß
Vergnügen ein, so preise
[88]
Sich ein Abstemius
Bei Wasser immer weise!
Mein Mädchen und mein Wein,
Das wirst du doch erlauben?
Soll, statt der Küß' und Trauben,
Ein Reim, ein Liedchen seyn.
Heißt das die Zeit verschwenden,
Wenn ich, in meinem Sinn',
Die Leyer in den Händen,
Der Reichst' auf Erden bin?
Heißt das die Zeit nicht nützen,
Wenn, Unschuld zu beschützen,
Und Frevler zu bedräun,
Ich meinen Stachel wetze? –
Und gut, mein Lieber, setze,
Daß nur mein Lied ergötze:
Gewinnst du Land? o nein!
Wirf einen Lilienstengel
Ins Meer von Albion,
[89]
So wird vielleicht ein Engel
Die Wirkung noch davon,
Trotz aller Winde Wehn,
An Frankreichs Küsten sehn.
Selbst er kann aber nicht
Der Wirkung Summe fassen,
Die bloß durch ein Gedicht
Homer zurück gelassen.
Zwar bin ich kein Homer,
Doch gibt von guten Leuten
Ein Häufchen, mir Gehör;
Mit diesen mußt du streiten,
Nicht aber, Freund, mit mir.
Denn wird durch meine Lieder,
Kein Herz voll Falschheit, bieder:
Was kann denn ich dafür?
Ja freilich will der Staat
Von mir ganz andre Pflichten,
Als Lieder für ihn dichten,
[90]
Um die er nie mich bat.
Wer aber sah mich schon
Auf meinem Posten schlafen?
War's nöthig, mir mit Strafen
Auch nur von fern zu drohn?
Sieh, Lieber, ob ich nicht
Im Augenblick der Weihe,
Den Sand auf ein Gedicht
Geschwind und willig streue,
Sobald zum Untertauchen
In einen Akten-See,
Der Staat mich will gebrauchen,
Um Perlen in die Höh'
Zu fischen, die versteckt
In tiefem Schlamme liegen?
Auch Arbeit wird Vergnügen,
Wenn Pflicht uns dazu weckt.
Und wenn ich, Freund, der Schwere
Der Bürde, die die Ehre
[91]
Vom Staate auf sich nahm,
Zu schwach, zu kraftlos wäre:
Dann würde mir die Scham
Wohl heißen, tief gebückt
Sie durch die öden Steppen
Stillschweigend fort zu schleppen,
Bis sie mich hätt' erdrückt.
Kann ich mit raschen Schritten
Auf einem Pfade gehn,
Worauf bald Andre glitten,
Bald still, ermüdet, stehn;
Und wenn ich eh' am Ziele,
Als man erwartet, bin:
Dann leid' es immerhin,
Daß ich die Leyer spiele.
Du Reicher nimmst mit Fug
Zur Tafelzeit drei Stunden,
Doch wenige Sekunden
Sind mir dazu genug.
[92]
Indeß ich ruhig dich
Champagner trinken lasse,
Verstatte, daß ich mich
Dem weisen Narrn im Fasse
So ähnlich, als es nur
Die Sitt' erlaubet, mache,
Mich freue der Natur,
Der Menschen aber lache.
Durch die Philosophie
Werd' ich nicht reicher werden,
Denn Schätze sammlet sie
Im Himmel, nicht auf Erden.
Gab mir das Glück Talente,
Daß glücklicher ein Land
Durch mich einst werden könnte?
Nein! bloß für meinen Stand!
Doch was sind Rang und Rente,
Wenn Glück nicht auf das Land
Durch sie herabfließt? Tand!
[93]
Wohl mir, daß nicht das Glück
Mich auf dem Schiff': die Welt,
Ans Steuer hat gestellt,
Wenn's sah, daß mir Geschick
Und Muth in Stürmen fehlen;
Genug! daß selten ich
Darf als Matrose mich
An meinem Ruder quälen;
Für meine Hand ein Spiel!
Um Winde, Bänk' und Klippen
Bekümmr' ich mich nicht viel.
So lang auf meinen Lippen
Sich Freud' und Weisheit paart,
Mag meinethalb die Fahrt
Nach Peru's goldnem Strande,
Nach Grönlands Felsen gehn;
Ich werd' in jedem Lande
Mein Abentheur bestehn.

Fußnoten

1 Diese Epistel ist eine Antwort auf die Einwürfe, die Hr. v.U. dem Verfasser auf die vorige gemacht hatte.

2 In Hamburg.

[94] An den König von Siam

Der Elephant ist glücklich angekommen.
Ich dank' Euch zwar dafür, doch in der That!
Ich war ein Thor, daß ich um einen bat,
Denn wozu soll der Knochenberg mir frommen?
Mir fraß ein Reitpferd schon zu viel,
Und ich sollt' itzt der Schöpfung Riesen füttern?
Ihm wäre – was ich ohne Zittern
Kaum denken kann – mein Hab' und Gut ein Spiel!
Allein er war nun einmal da,
Und stand vor meiner Thür', und sah
Das Haus verächtlich an, als wollt' er fragen:
Nun! ist denn hier kein Thor für mich?
[95]
Und machte Mien' als wollt' er sich
Mit seinen Zähnen Eins durch Wänd' und Säulen schlagen.
Ganz Ellrich stand um ihn herum,
Hob vor Erstaunen bis zur Stirne
Die Augenwimper auf, ja selbst der Mund der Dirne,
Die von dem Markte kam, ward stumm.
Sein Führer, der den Geist der Stadt nicht kannte,
Hatt' überall beim Einzug' gleich
Es ausposaunt: der Elephante
Sey ein Geschenk von Euch.
Ihr glaubt nicht, Sire! was dieß auf die Stadt
Für Eindruck machte. Jede Mütze,
Die sonst vor mir wohl fest gesessen hat,
Fuhr, als ich kam, schnell, wie vom Blitze
Getroffen, bis zur Erd' herab.
Für Verse – diese Lumpereien! –
Ein solch Geschenk! das schien nun jedem zwar
Unglaublich, oder sonderbar;
[96]
Ja, Eure Hoheit wird verzeihen!
Man hätt' Euch, traun! den Augenblick,
Wer weiß, wofür? gehalten, wenn zum Glück'
Für mich, Ihr nicht ein König wäret.
Allein das bloße Wort gleicht einem Zauberstück'
Auf Herrn Amphions Leyer; wer es höret,
Dem schwinden Sinnen und Verstand,
Als hätt' ihn süßer Wein bethöret,
Und wer itzt wie ein Stein da stand,
Der tanzt, als hätt' es ihn Noverre selbst gelehret.
So war auch ich im Auge aller Leute
Von Stund an gleich ein andrer Mann;
Denn ob ich, trotz dem Elephanten! heute
Gleich keinem Bettler, mehr als gestern, helfen kann,
So ist es doch genug, daß ich nur an
Dem Hof' von Siam was bedeute.
Vielleicht ging' ich den Weg durchs Leben bis ans Grab,
[97]
Und wenn ich auch ein zweiter Haller wäre,
Ganz unbemerkt mit Hans und Kunz hinab:
Allein ein Elephant von einem König'! – Ehre
Die Menge regnet's gleich herab!
Nun glauben zwar vielleicht die Leute,
Daß ich des Elephanten mich
In seiner Scheune inniglich,
Und ihrer Kompliment' auf meinem Sopha freute;
Doch, Sire! glaubt, das ist ein bloßer Wahn!
Denn der ist nicht den kleinsten Zahn
Von einem Elephanten werth,
Wer keinen edlern Stolz in seinem Herzen nährt.
Belohntet Ihr in mir den Dichter?
So wißt: der Elephant gibt, Ehre nicht, nur Neid,
Wenn Ihr ein König zwar, allein kein ächter Richter
Von Geist und Witz und Sprache seyd.
Und seyd Ihr das: so sieht sich zwar
Der Mann geehrt, – denn besser ist doch besser! –
[98]
Den Ihr beschenkt, doch um kein Haar
Wird er dadurch in meinen Augen größer,
Als er den Tag vorher schon war.
So dank' auch ich für Eure Gnade,
Im Fall' Euch, selbst am Hofe, das Gerade
In meiner Denkungsart gefiel,
Denn Eure Hoheit bloß im Bade
Zu unterhalten, war wahrhaftig nicht mein Ziel.
Wenn aber das Geschenk, – es sieht
Beinah so aus! – bloßfür die Ehre
Der Dedikation, ein Trankgeld wäre:
Nun, gnädger Herr, so sind wir quitt!
Allein auch dann bin ich Euch noch verbunden;
Denn, ist gleich mir der Elephant nichts nütz,
So hab' ich doch für ihn den rechten Mann gefunden,
Der nun auf einmal reich durch den Besitz
Des Thieres ist. Ein alter Jäger, Sire!
Der meinem Vater treu bis an sein Ende war,
In dem ich, wenn er stirbt, (was freilich sonderbar
[99]
Am Hofe klingen mag,) den ersten Freund verliere;
Denn ach! er macht' in meiner Kindheit mir
Gewiß noch zehnmal größre Freuden,
Als Euer Königliches Thier,
Um das mich Stadt und Land beneiden!
Ihm war es Kleinigkeit, stockstill auf starren Zeh'n,
Wenn gleich von Eis ihm Bart und Locken klangen,
Beim Grunzen wilder Säu'n, beim Zischen großer Schlangen,
Drei Nächte lang im Forst' zu stehn,
Um mir ein kleines Reh zu fangen!
Und dieser alte Jäger, itzt
Zu steif, um auf die Jagd zu gehen,
(Was anders mag er schwerlich wohl verstehen)
Ist's, der den Elephanten nun besitzt.
Verzeiht der guten Absicht, Sire!
Daß Grünewald, Germaniens Gebiet
Mit Eurem mir geschenkten Thiere
Die Kreuz und Quer durchzieht.
[100]
Wird er auf seinem Zuge reich,
(Er wird's gewiß, wenn sonst nicht Mann und Thier erkranken,)
So will er hin nach Siam, um bei Euch
Sich selbst persönlich zu bedanken.

[101] An seinen Fritz

An seinem Geburtstage, den 18. Juni 1780.


Vielleicht, daß schon die Hände dann verwesen,
Die dieß jetzt schreiben, liebes Kind!
Wann du dereinst dieß Blatt wirst lesen;
Vielleicht, daß schon der Abendwind
Mit den Vergißmeinnicht und Veilchen,
Auf meines Grabes Hügel spielt,
Wann erst dein Herz das volle Leben fühlt! –
Dann, guter Junge! setz' ein Weilchen
Dich auf den Rasenhügel hin,
Und denke, daß mein Leib in Millionen Theilchen
Allein zerflog, ich aber selbst noch bin.
[102]
Und ist's erlaubt dem unsichtbaren Wesen,
Das in mir denkt, – o so umschweb' ich dich,
Wann du dieß Blatt gerührt wirst lesen,
Und nicht erröthen darfst, daß heut dein Vater sich
Umsonst gefreut, umsonst für dich
Ein halber Eremit gewesen!
Du wirst es dann schon längst vergessen haben,
Wie mir das Herz vor Freuden schlug,
Als heut dein Händchen unsern Raben
Dein Morgenbrod halb nach dem Käfich' trug,
Und wahrlich war's kaum ganz für dich genug.
Du wirst es längst vergessen haben,
Wie deine Mutter liebevoll
Dich an sich drückt, daß sie den kleinen Schwaben 1
Zu deinem Kuchen bitten soll.
Du wirst es längst vergessen haben,
Daß fast dein Herz dir, trotz dem Kuchen! brach,
[103]
Als deine Tante scherzend sprach:
Du sollst mein Erbe seyn, wenn sie mich einst begraben.
Ich schrieb dieß auf; nicht, Kind! um dich zu preisen,
Denn dieses Herz ist Gabe der Natur,
Und deine Eltern durften nur
Am Scheideweg' zurecht dich weisen;
Doch, könntest du dereinst dieß Herz,
Und ach! mit ihm dein ganzes Glück verspielen:
Dann werd' ich zwar im Grabe keinen Schmerz,
Du aber sollst die Schande doppelt fühlen.
Denn wisse: daß dein Vater selten Wein
Nur trank, zum Reitpferd' seine Füße,
Und seine Hände zum Lackein
Gern für sich machte; selbst die süße
Begierde, seinen fernen Freund, nach Jahr
Und Tag zu küssen, unterdrückte;
Daß deine Mutter sich das Haar
[104]
Mit Veilchen, statt der Perlen, schmückte,
Sich oft dem Schlaf', so fest er hielt, entriß,
Zu halben Tagen zwischen ihren Knieen
Dich horchend stehen hatt': und alles dieß,
Zum braven Mann' dich zu erziehen.
Erfüllst du diese Hoffnung nicht,
So wird die Welt mit Fingern auf dich zeigen,
Denn, sollt' auch schon mein Mund im Grabe schweigen,
So schweiget doch vielleicht nicht mein Gedicht.
Sohn! werde was du willst im Staat'!
Sey seines Schutzes werth durch deines Geistes Rath,
Durch deine Barke, die der fernsten Insel
Gewächse holt, durch deiner Flöte Ton,
Durch deinen Griffel oder Pinsel:
Nur werd' ein Biedermann, o Sohn!
Und bist du dieß, so wirst du sicher finden,
Was du bedarfst; denn, Kind, ein Biedermann
[105]
Besetzt die Tafel nicht mit Sünden,
Und Ränke kleiden ihn nicht an.
Bist du nur dieß, so wirst du Freunde finden,
Wie überall sie noch dein Vater fand,
Und o vielleicht wird eines Mädchens Hand,
Das deiner Mutter gleicht, sich dann mit dir verbinden.
Erfülle dieß! denn sieh! zu deinem Richter
Macht' ich die Welt; o fröhlicher macht schon
Die Hoffnung mich, als dich die bunten Lichter
Auf deinem Kuchen, lieber Sohn.
Auch ich will heute mich zum Kinde wieder machen,
Will springen, wenn wir unsern Drachen
Hoch in den Lüften fliegen sehn;
Will mit den bleiernen Soldaten
Krieg führen, und mit Erbsen, statt Granaten,
Los auf des Feindes Schanze gehn.
Wird endlich dann der Schlaf dir Händ' und Füße lähmen,
[106]
So sollst du noch ein süßes Traumbild sehn,
Denn, Fritz, du sollst das Buch mit dir zu Bette nehmen,
Worin die schönen Pferde stehn.

Fußnoten

1 Karl, im Götz von Berlichingen.

[107] An Horaz

Ueber seine Epistel an den Scäva; die 17. im 2. Buch.


O du, mein Freund, mein großer Lehrer,
Verzeih, daß ich, dein alter Hörer
Und dein Bewundrer, dennoch dir
Einmal zu widersprechen wage;
Allein, die Ruhe meiner Tage,
Nicht wahr, mein Lieber, gönnst du mir?
Und diese, nicht die Streitbegier,
Zwingt mich zu einer dreisten Frage.
Ich hörte dich zu Scäva sagen:
»Wenn du mit einem Haselhuhn'
Und Chier, dir willst gütlich thun,
So schleiche dich mit hohlem Magen
[108]
Zu reicher Leute Tafel!« – Ha!
Wie riß ich beide Augen da
Weit auf; kaum traut' ich meinen Ohren;
Denn sprich: ist Scäva nicht dein Freund?
So aber hätt' ich fast geschworen,
Er sey dein allerärgster Feind!
Und doch könnt' ich mich kaum entschließen,
Selbst einem Feinde diesen Rath
Zu geben, wenn auch in der That
Die Rache nichts kann mehr versüßen,
Als seine Feinde zu den Füßen
Der stolzen Reichen kriechen sehn.
Könnt' Aristipp, sagt Diogen,
Mit Kohle sich, wie ich, begnügen,
So würd' ihm bald die Lust vergehn,
Vor Königen im Staub' zu liegen.
»Und wüßte Diogen dagegen
Mit Königen nur umzugehn,
Er würde keinen Kohl mehr mögen.«
[109]
Wer hat von beiden Recht? Laß sehn!
Zwar, kurz besonnen, sprichst es du
Mit deinen honigsüßen Lippen,
Dem ersten ab, dem letzten zu.
So laß uns denn erst Aristippen
Um seine Gründe hören. »Ich,«
Spricht der, »ich bin ein Narr für mich,
Du für das Volk.« – Nein! halt ein wenig,
Mein lieber Freund, nicht bloß für dich,
Auch für den Hof und für den König.
Doch, seyd ihr Narren, alle beide,
So scheint es eher zu verzeihn,
Des Königs Narr, des Hofes Freude,
Als Narr und Spott des Volks zu seyn.
Denn jenen wird ein Reitpferd tragen,
Vielleicht in einem sanften Wagen
Wohl gar vier stolze Schimmel ziehn,
Und Leckerbissen sätt'gen ihn,
Und dieser muß für seinen Magen
[110]
Um einen Kohlkopf sich bemühn;
Denn mag er noch so viel sich stellen,
Als wenn er keines Menschen Kind
Bedürfte; alles das ist Wind,
So lang auch Weiser Magen bellen.
Daß Aristipp in jede Rolle
Sich schicken kann, daß er ein Kleid
So gut von Purpur als von Wolle
Zu tragen weiß, erhebt ihn weit,
In meinen Augen, über jenen,
Der eher fadennackend läuft,
Als, statt der Lumpen, nach dem schönen
Ihm hingelegten Mantel greift.
Gib ihm die Lumpen hin, und laß
Den Narren nach Gefallen leben!
Sag' ich mit dir; doch ohne Haß,
Denn ich gesteh's, dem Mann' im Faß'
Werd' ich am ersten noch vergeben.
Zwar wirft ihm Aristippus vor,
[111]
Sein Tadler sey der größte Thor,
Weil er nur Lumperein erbitte.
Doch wie? wenn er aus freier Wahl
Selbst auf das Obdach einer Hütte
Verzicht that? Steht nicht in der Mitte
Die Wahrheit dann auch dieses mal?
Denn sage: sollt' ein Diogen
Die Kunst, nach Art der Aristippen
Mit einem Fürsten umzugehn,
Wenn er nur will, nicht auch verstehn?
Ist's denn so schwer, sich um die Klippen
Des Hofs, mit List herum zu drehn?
Nicht wahr, du gibst mir zu, am Geist'
Konnt's wohl beim Cyniker nicht liegen?
Auch hatte niemals, wie du weißt,
Ihm eines Prinzen Mißvergnügen
Den Hof verleidet; ihm allein
Blieb ja die Wahl, gleich jenem Andern
Der Freund von Königen zu seyn,
[112]
Ja selbst ein Freund von Alexandern.
Hielt er's für Niederträchtigkeit,
Den Aristippen gleich, zu heucheln,
Den Aristippen gleich, zu schmeicheln:
Sag', ist er deßhalb nicht gescheidt?
Er war ein Narr, die Welt zu fliehn,
Und sich lebendig zu begraben,
Doch immer lieber möcht' ich ihn,
Als Aristipp zum Freunde haben.
Er war ein Narr, dem Wohlstand' kühn
Zu trotzen, denn allein von Gecken
Wird das bewundert und verziehn.
Doch Aristippen, wie es scheint,
Vergibst auch du, mein weiser Freund,
Sein Schmeicheln und sein Speichellecken?
Und stellst ihn gar zum Muster vor?
Wenn ich für jenen nicht entscheide,
Ist dieser drum nicht auch ein Thor?
In einem Punkte sind sie's beide.
[113]
Denn sollt' ein Freund, (wie Scäva dich,)
Für seinen Sohn um Rath mich fragen,
So würd' ich, (denn so dünkt mich's,) sagen:
Du siehst, wie beide Weise sich
Vom Mittelwege weit entfernen,
Und andrer Leute Narren sind;
Laß drum durchaus so viel dein Kind,
Um selbst sein Herr zu werden, lernen.
Nie ging die wahre Kunst nach Brod,
Wenn sie vorher dem Eigensinne,
Der Faulheit nicht die Hände bot.
Schmaust deßhalb Fliegen schon die Spinne,
Weil sie ein Netz zwar weben kann,
Allein nicht webt? Zerreißt das Eine?
Sie fängt ein andres wieder an!
Und so verhungerte noch keine.
Vielleicht, daß unser Diogen
Und Aristipp, nichts für Athen,
Ihr eigner Herr zu werden, lernten;
[114]
Vielleicht, daß jenen, Eigensinn
In seine Tonn', und diesen, hin
Nach Hofe, Gaum und Faulheit körnten.
Doch trägt im Kopf' so viel dein Sohn
Mit sich herum, um alle Tage
Sein eigner Herr zu werden: sage,
Wird er nicht dann so gut am Thron'
Der Fürsten, ohne Speichellecken,
Stehn, wie in einer Schlacht der Held?
Als, wenn's dem Schicksal' so gefällt,
In eine Hütte sich verstecken?
Er wär' ein dreimal größrer Thor
Als jene beid', und zu verachten,
Zög' er der Müh', Gold aus den Schachten
Des Fleißes ziehn, die Narrheit vor,
Den Dionysen kriechend schmeicheln,
Wie Aristipp; wie Diogen
Aus seinem Narrenfaß' nach Eicheln
Mit Bären in den Wald zu gehn.
[115]
Den Großen dieser Welt gefallen,
Ist freilich nicht das kleinste Lob;
Doch wird's zum kleinsten unter allen,
Wenn Ehr' uns nicht dahin erhob.
Nun sage selbst: war Dionys,
So, wie einst Plato ihn verließ,
Der Mann wohl, dessen Freundschaft Ehre
Für dich, mein Freund, gewesen wäre?
Und möchtest du sie um den Preis,
Wie Aristipp sie kaufte, kaufen?
Ich würde wenigstens, wer weiß,
Wie weit? vor seiner Freundschaft laufen.
Nicht jedermann kommt nach Corinth!
Doch angewandt auf Dionysen:
Hat der sich einen Mann bewiesen,
Der den Tyrannen zwar gewinnt;
Doch wie? weil er, darnach er weht,
Den Mantel nach dem Winde dreht?
Gesetzt, die Kunst sey noch so schwer:
[116]
Ist sie auch edel? Nimmermehr!
Laß Aristippen also wagen,
So viel er will: wie mir es scheint,
Gebührt ihm drum nicht Ehre, Freund!
Belohnung aber seinem Magen.
Die Ehre, laß für die Platonen
Uns sparen, die die Weisheit frei
Selbst dann noch sagen, an den Thronen
Der Fürsten, wenn die Schmeichelei
Mit ihrem Dolch' im Finstern schleicht,
Den edlen Weisen aufzupassen,
Die, billigt das der Fürst, so leicht
Den Hof, als Plato einst, verlassen.
Bewundern kann ich zwar den Mann,
Der, dreifach Erz um seinen Busen,
Des Hofes Circen und Medusen,
Ja Dionysen trotzen kann:
Beneiden aber, Freund, nur den,
Der nicht darf streiten mit Chikane,
[117]
Wie Plato nicht auf Laster schmähn,
Und nicht, gleich einer Wetterfahne,
Wie Aristippus, sich muß drehn;
Der bei dem Weisen kann ein Weiser,
Und, ist sein Rang auch noch so klein,
Sein Freund, wie du von deinem Kaiser,
Selbst darf an Gallatagen seyn.
Hat der sich einen Mann gezeigt,
Wer, Plato gleich, der Fürsten Gnade,
So wie die Gunst des Volkes, leicht
Entbehren kann, und von dem Pfade
Der Weisheit, keinen Schritt breit weicht?
Mir deucht, so ist's, mein lieber Lehrer!
Denn das erstreben, scheint mir schwerer,
Als Aristippus niedre Kunst,
Und seines Gegners blauer Dunst.
Was zwischen Schlangenglatter Sitte
Des Einen, und dem Charonsbart'
Des Andern, just steht in der Mitte:
[118]
Das nur ist wahre Lebensart.
Was zwischen jenem, der nur weise
Für seinen Magen schien zu seyn,
Und diesem, der zu seiner Speise
Wohl Eicheln nähm', um sich allein
Zu leben, in der Mitte steht:
Das, lieber Freund, muß Tugend seyn.
Sonst ist ihr Nam' ein Schall, verweht
Von jedem Hauche der Sophisten.
Denn, Freund! mit Selbstgenügsamkeit,
Wie unser Cyniker, sich brüsten,
Verdient' auf wüster Insel Neid;
Doch will er unter Menschen leben,
So leb' er ihnen und auch sich:
Nur immer nehmen, niemals geben,
Wie Aristippus, mag, für mich,
Klug heißen, nur nicht edel. Sprich,
Mißfallen dir selbst die Entwürfe
Der närrischstolzen Selbstsucht nicht?
[119]
Sie thut auf's Nehmen bloß Verzicht,
Damit sie nur nichts geben dürfe.
Ein Weiser nimmt nur das nicht an,
Was ihm das Laster beut; durch Bohnen
Wird ihn sein eigner Fleiß belohnen,
Und Ruh', des Fleißes Schwester, dann
Mit ihm in seiner Hütte wohnen;
Und das ist mehr, als ein Tyrann
Aus seinen Schätzen bieten kann.
Doch laß uns ohne Fleiß und Müh'
Falerner aus dem Becher schlürfen,
Und keines Menschen uns bedürfen:
Nun, so bedürfen unser sie!
Was dir zu viel die Ahnen gaben,
Um froh zu seyn, verschwende nie,
Das theile du mit allen, die,
Um froh zu seyn, zu wenig haben.
Des Menschen Schicksal ist entschieden,
Eh' selbst er weiß, was einst zum Frieden
[120]
Für seine Seele dienen wird;
Denn ehe wir noch weise werden,
Sind unsere Füße hier auf Erden
In tausend Netzen schon verwirrt.
Zerreißen wird sie nur der Weise,
Wenn er in seinem Wirkungskreise
Für seinen Geist zu eng sich dünkt;
Zerreißen wird er seine Bande,
Sobald darin mit ihm die Schande,
Wenn gleich aus goldnen Bechern, trinkt.
Sonst bleibt er stehn auf seinem Posten,
Sich immer gleich; regt keinen Fuß
Darnach, den Wein von Syrakus,
Das Wasser bei Athen, zu kosten.
Ist er mit Ehre was er ist,
So sey er was er will. Das Wählen
Steht selten erst bei uns. So bist
Auch du, um nichts dir zu verhehlen,
[121]
In meinem Aug' ein Biedermann,
Wenn deine Muse bei dem Kaiser
Auf Lob', um ihn zu bessern, sann.
Aus klugem Lob' wird leicht ein Weiser,
Aus Schmeichelei wird ein Tyrann.

[122] An den Herrn P.W.

Auf der Akademie zu –.


Auch du, mein Freund, klagst unsre Großen an,
Daß sie so kalt für Deutschlands Künste bleiben?
Nun, immerhin! denn was liegt mir daran?
Ich werde nie für unsre Großen schreiben.
Doch, daß für uns ihr Kaltsinn Unglück sey,
Davon wirst du mich schwerlich überzeugen.
Hier mach' ich wider dich Parthei,
Ich müßte sonst an meiner Zweifelei
Mit Hiob bersten, sollt' ich schweigen.
Du träumtest da gar einen schönen Traum!
Entschließen konnt' ich erst mich kaum,
Die rosenfarbnen Bilder zu zerstreuen;
[123]
Doch, bist du wach, und du befindest dich
Nur halb so wohl dabei, als ich,
So wirst du sicher mir verzeihen.
Laß alles das die Großen wirklich thun,
Was sie in deinem Traume thaten;
Dann hat ein jeder Weiser zwar ein Huhn
In seinem Topf', der itzt zu kochen und zu braten
Oft kaum ein Ey im Hause hat:
Doch ach! nun schrein in allen Staaten
Auch alle Schmierer: Macht uns satt!
Des Schreibens ist schon itzt kein Ende,
Und doch: wie wenig wächst den Lesern der Verstand!
Das macht, es schreiben, Freund! schon itzt drei tausend Hände
Zu viel, für unser Vaterland.
Erstaune nicht, und frag' mich nicht warum?
Fällt der Geschmack von unserm Publikum
Mitunter nicht auf Spinnen, Kröten, Aeser?
Wie fände sonst, es sey auch noch so dumm,
[124]
Ein jedes Werklein seine Leser?
Trotz allen Schreibern aller Erden,
Wird doch das Publikum nicht klug,
Bis alle Buchhändler zu edlen Weisen werden:
Nicht wahr, nun hast du schon genug?
Wir lesen alle mit einander,
Allein das wie? und was? bekümmert etwa drei
Von Tausenden. Was wagt nun Mops dabei,
Druckt er die Reime von Talander?
Verlieren kann er nichts, weil jeder Thor
Gewiß dreihundert Käufer findet,
Gewinnen aber leicht, da itzt noch, wie zuvor,
Aus allen Laden schnell die Felsenburg verschwindet.
Mag die Kritik sich heiser schrein,
Sie wird die Zahl der Schmierer nicht vermindern.
Das Publikum will unterhalten seyn,
Und dieß besteht fast bloß aus alten Kindern.
Ist's nun so leicht, durch Nürenberger Tand
Den Kindern ihre Zeit vertreiben,
[125]
Wie leicht läßt dann nicht der Verstand
Durch Klang der Louisdor in des Verlegers Hand,
Ja selbst die Furcht vor Schande, sich betäuben.
Aus neun und neunzigen das hundertste zu schreiben:
Das ist die wahre Büchermacher-Kunst!
Wo würden sonst von Hundert wohl – mit Gunst!
Ihr Büchermacher! – neun und neunzig bleiben?
Freund! wenn du kannst, so schließe du
Noch heute, allen Klugen, allen Dummen,
Die Büchersäl' auf deiner Alma zu;
Wie werden dann in einem Nu
Ein Schock Autoren schier verstummen;
Indessen, wie einst Salomo,
Ein W** sich, durch sich, noch Weisheit wird erwerben.
Studirte jener itzt noch so,
Für Lohn, so müßte Salomo
Nun freilich wohl für Hunger sterben.
Doch auch nur leben sollte man,
Um zu studiren; nicht studiren,
[126]
Um nur zu leben. Denn was kann
Der arme Wicht für Zeit verlieren,
Der mit dem Abend' kaum sein Tagelohn gewann?
Gerade deßhalb, sagst du zwar,
Müßt' ihm der Fürst ein Jahrgeld geben;
Doch, lieber Freund, wenn erst, wie offenbar,
Vier tausend Schmierer mehr nach einem Jahrgeld' streben:
Was wird am End' aus unserm Publikum?
Recht viel ist zwar daran nicht zu verderben,
Doch lies't sich itzt ein Theil davon nur dumm,
Dann würde gar ein Theil vom Lesen sterben.
Wer Anlag' hat zu einem weisen Mann',
Wird leicht es ganz durch die Sokraten dann,
Und fühlt er Hang zu einem Thoren,
So zerren die Sophisten dran,
Bis er den Wunsch nach Weisheit selbst verloren.
Wie wenig neigen, wenn der Bart
Beim Jüngling' keimt, sich auf der Weisen Seite;
[127]
Die übrigen, (wie ihr genug erfahrt,)
Sind ganz gewiß der Schmierer Beute.
Wenn alle nur, die so sich stumpf
Am Geist' und Herzen lasen, einen Strumpf
Indeß gestrickt, ein Paar Manschetten
Genähet, oder den Verstand
Von einer Fabel nur erklärt dem Sohne hätten:
Welch ein Gewinn fürs Vaterland!
Und hätten die vier tausend Schmierer nur
Vom Acker Steine aufgelesen,
Indeß ein böser Geist in ihre Finger fuhr,
So wär's doch etwas noch gewesen!
Nimm alle die vier tausend leere Köpfe,
Ein Jahrgeld macht nicht einen guten draus;
Denn Ewigkeit bekümmert die Geschöpfe
Nicht halb so sehr, als ein Verleger-Schmaus.
Der aber, Freund, in dem ein Funken glühet,
Löscht ihn, sey er auch arm, durch keine Thränen aus.
Er brennt, eh' sich's die karge Welt versiehet,
[128]
Einst lichterloh aus ihm heraus.
Wer eine Ilias vielleicht gesungen hätte,
Singt freilich kaum noch dann und wann ein Lied,
Wenn er an eine Sklavenkette
Sich Tag und Nacht gefesselt sieht.
Dann aber nehm' ein Bürger unsers Reiches
Die Kett' ihm ab, und sey sein Freund durch That,
Und thu' zuerst im deutschen Reich' ein gleiches,
Als oft Brittanien schon that.
Kein Großer löse sie; denn die Trompeten
Der Fama, sagen sonst ein wahres Unglück an.
Zur Klippe wird ein Jahrgehalt, woran
Das Glück von hundert ampelnden Poeten
Zerscheitert.
»Nun, so laß sie scheitern, Freund!
Soll wohl ein Staat, so nützlich ihm es scheint,
Schon darum keinen Preis aus seinen Schätzen
Auf eine neue Durchfahrt setzen,
Weil manches Schiff darüber sinken kann?
[129]
Von allen menschlichen Gesetzen
Steht ja das Wohl des Staates obenan!«
Du nimmst das Wort mir aus dem Munde;
Denn grade dieß hielt ich zur Antwort schon
Für dich bereit. Ich weiß es, denn die Kunde
Der Vorzeit lehrt es: daß für Thron
Und Hütte, Welt und Nachwelt, keiner,
Der auf dem Thron' nicht sitzt, so segnend werden kann,
Als der erhabnen Weisen Einer,
Der sich das Herz des Volks gewann.
Wenn für Germanien, in jedem Fach'
Die Leibnitze bloß dächten, aus den Händen
Der Fürsten und der Bürger, nach und nach
Der Dunse Schmiererein verschwänden:
Dann würde, Freund, das Glück des Publikum,
(Itzt kaum ein Baum mit Blättervollen Zweigen)
Mehr Frücht' in einem Jahre zeigen,
Als itzt in einem Sekulum.
Was itzt ein Denker baut, das reißt ein Schmierer ein;
[130]
Das letzte Wort wird auch dem Narrn das wahrste seyn,
Und dieses mag der Schmierer leicht behalten.
Das wahre Publikum, das Publikum der Alten,
Der unsichtbaren Kirche gleich,
Hat keine Macht; zerstreut durchs ganze Reich,
Triffst du vielleicht auf ganze Meilen
Kein Mitglied dieses Häufchens an,
Dein volles Herz mit ihm zu theilen.
Doch immer besser, Freund! als daß die Kircheneulen
Ein Ludewig zu Adlern stempeln kann;
Als daß ein Chapelain für Dummheit Schätze häufe,
Indeß es Klügern oft durchs Dach ins Stübchen schneit;
Als daß ein Richelieu voll Neid
Nach der Corneillen Lorbeer greife;
Ein Mazarin die Niederträchtigkeit
[131]
Der Benseraden 1, gut bezahle,
Ein Boileau mit Römersinne prahle,
Indeß er selbst, für Gold, der Eitelkeit
Mit vollen Händen Weihrauch streut.
In Frankreich suchte sonst der Schmeichler und der Duns
Nur Goldsand in der Hippokrene;
Wir hatten nie Auguste und Mäcene,
Das was wir sind, sind wir allein durch uns.
Ein wahres Glück! denn es ist mit der Kunst
Wie mit der Tugend; wer nicht beide
Um ihrer willen liebt, nur liebt um Fürstengunst,
Der fühlt ihr Aeußres nur, nicht ihre innre Freude.
Ein wahres Glück! Weil das, was tief vergraben
[132]
Im Schutte der Barbaren lag,
Der Menschheit ältesten Vertrag,
Wir dadurch bloß, hervorgezogen haben.
Wo, wie in Gallien, Verdienst nur Einen Richter,
Und diesen oft zum Feind' die Wahrheit hat,
Da schleppt man selbst den Lieblingsdichter
Um ein, gelesnes nur, nicht selbst geschriebnes Blatt
In die Bastille 2; da verstummen
Vor dem durch Titel, Orden oder Summen
Gedungnen Schreiber, Stadt und Land;
Da wag' es, Freund, und trag die Fahne
Der Wahrheit, wenn du sie verbrannt
Willst sehn, und gib, wie die Thuane,
Selbst deinen Kopf in Henkers Hand.
Nicht so bei uns! Denn wer in Franken
Nicht schwärmen darf, der mag's in Preußen thun.
Die Meinungen und die Gedanken
[133]
Läßt Friedrich gern auf ihrem Werth' beruhn;
Denn, wie sein Beispiel selbst beweist,
Des Denkers und des Forschers Geist
Kennt, gleich der Ewigkeit, nicht Stillstand und nicht Schranken.
Auf ferner denn zum allgemeinen Krieg'
Um Wahrheit! nicht um Gold, um Titel und um Bänder!
Wir haben keine Jahrgeldspender,
Doch unser war am öftersten der Sieg!

Fußnoten

1 Der Kardinal hatte sich in einem ziemlich gleichgültigen Umstande mit Benserade verglichen. Der letztere erfuhr es, stürmte dem Kardinal in der Nacht das Haus, und fiel vor ihm, der schon im Bette lag,auf die Knie, um für die Gnade zu danken, daß er sich mit ihm habe vergleichen wollen. Sechs Tage darauf erhielt B. ein Jahrgeld von zwei tausend Franken.

2 Es ist bekannt, daß Voltaire dieß erfuhr.

[134] An Joseph Freih. von Retzer, in Wien

Wülferode 1, den 22. October 1780.


Schon läßt die Sonne länger auf sich warten,
Hat mich der Hahn mit seinem Krähn geweckt;
Schon hat der Reif die Wiesen weiß bedeckt,
Und ach! den letzten Schmuck im Garten,
Die Kürbisse, die noch auf Wärme harrten,
Verschrumpft zur Erde hingestreckt.
Schon ziehen dunkelgrau am Felsen
Die Regenwolken hin; die rasche Zorga schwillt;
Am Ufer klappert schon das Haupt der nackten Elsen:
[135]
Ach! alles war so sanft, und alles wird so wild! –
So pack' denn ein, lieb Frauchen; laß noch heute
Zurück uns kehren nach der Stadt.
Du seufzest? Aber wie? wenn uns ein Wasserbad
Umringt', und hier der hohle Weg verschneite:
Wie machst du dann ein Haus voll Menschen satt?
Indeß das Corpus juris und zwei Wiegen,
Ein Globus und ein Kucheneisen sich,
Wie auf der Post ein Tory und ein Whig,
Auf einem Wagen, brüderlich,
Zum Umziehn in einander schmiegen,
Reis' ich auf diesem Blatt' Papier,
(Es kostet gar zu viel, im Wagen!)
Nach Wien, um für den Brief – vom Frühjahr' leider! – dir
Im Herbst' erröthend Dank zu sagen.
Denn seit dem Mai hatt' ich das Sitzen,
So wie das Schreiben, ganz verlernt;
Dein Lob, das von der Berge Spitzen
[136]
Mich sonst herab zum Schreibepult' gekörnt,
War, einen Reim aus mir heraus zu pressen,
Itzt selbst zu schwach. Ein Landhaus, Freund, ward mein!
Und kaum trat ich mit Weib und Kind hinein,
So war die Welt rund um mich her vergessen;
Und wer wird das der Liebe nicht verzeihn?
Ich aber liebe nicht viel minder
Dieß Haus, als meine Doris, Freund!
Es ward mein Arzt; denn hier ward ich gesünder;
Es ward der Lehrer meiner Kinder,
Die hier erst sahn, wie früh die Sonne scheint.
Kann Niemand der Versuchung widerstehen,
Das Mädchen, das sein Herz ihm stahl,
Von ihrer Stirn' bis zu den Zehen
Uns zu beschreiben: sag' einmal,
Wie könnt' auch ich mein Landhaus und mein Thal
Mit dir so still vorüber gehen?
Im schönsten Thal', durchschnitten von dem Lauf'
[137]
Der Zorga, liegt mein Landhaus wie verloren.
Doch säh' ich gern, trüg's Simson, gleich den Thoren
Von Gaba, einen Berg hinauf.
Zum Glück' indeß blieb mir von allen Seiten
Die Aussicht frei; denn, einer Insel gleich,
Trennt hier ein Busch, dort eine Wies', ein Teich,
Mein Landhaus zwar von guten Leuten,
Doch von den bösen auch zugleich.
Wenn rund umher gleich Thier und Menschen wühlen,
So ist's doch einsam hier und still.
Des Stromes Rauschen, das Gebrüll
Der Stiere, das Geklapper zweier Mühlen,
Des Wächters Schreien: Hört ihr Herrn!
Der Glocken Lauten oder Schlagen,
Wird deine Träume nicht verjagen,
Denn alles hörst du nur von fern.
Fängt ja der Wind im Norden an zu keifen:
Wohl! eine kluge Maus hat mehr als nur ein Loch;
In Süden ist ein Cabinettchen noch,
[138]
Was dort ein Heulen war, wird hier ein sanftes Pfeifen.
Macht's mir die Sonne hier zu arg auf ihrem Thron',
So leb' ich, Freund! in Mitternacht verborgen;
Doch bietet sie im Bette schon
Mir täglich einen guten Morgen,
Dann noch so mild, wie Venus holder Sohn.
Ich will dich nicht durch meine Zimmer führen;
Hier würde dich kein Rod' und Diet'rich rühren,
Kein Nahl dein forschend Aug' erfreun,
Sogar mein Bücherschatz ist Schakspear' 2 ganz allein.
Kurz, außer frohen Menschen, frohen Thieren,
(Denn Doris rechnet Hund' und Papagein
Mit zur Familie,) mag alles,
[139]
Auf jedem Landhaus' unsers Balles,
Leicht schmeichelnder fürs Auge seyn.
Doch hat vielleicht keins eine solche Hütte;
Wenn selbst Herr Goliath zu Pferd' in sie hinein
Mit seinem Weberbaume ritte:
Sie wär' ihm nicht zu niedrig und zu klein.
Sobald der Abendthau auf ihre Blätter fällt,
Wird sie durch Lampen von Kristalle,
So königlich, wie Fingals Bardenhalle,
Durch eines Fürsten Gunst, erhellt.
Die ganze Welt geht dann zu Bette,
Nur du, o Nachtigall! nur du
Schwärmst gern wie wir, singst mit uns in die Wette,
Und du, o Mond! gehst auf der Berge Kette
Langsam vorbei, und hörst uns zu.
Ihr Sperling' aber schlaft, (für euch und uns das Beste!)
Ganz ruhig, über unserm Haupt',
Bei unserm Nachtgesang' im Neste,
[140]
Weil ihr mit Recht an Dortchens Duldung glaubt.
Der Wanderer, gelockt durch Sang und Lampenschein,
Kommt, steht und horcht auf unsrer Lieder Weise,
Sieht zu den Sternen auf und seufzet leise:
O Gott! möcht' ich doch auch so glücklich seyn!
Verräth ihn uns das Bellen unsrer Hunde,
So zieh' ich stracks ihn in die Laub' herein,
Und locke durch Johannisbeerenwein
Aus seiner Brust den Neid, ein Lied aus seinem Munde.
Seht, guter Fremdling, sag' ich dann,
Wir sind vergnügt, wie wir es scheinen,
Doch ihr erblickt hier unter uns auch keinen,
Der nicht durch Fleiß sein Gläschen Wein gewann.
Selbst diese beide muntre Kleinen,
Die euch bedienen, karrten, dort
Den kleinen Berg von Quecken und von Steinen,
Aus unserm Küchengarten fort.
So oft ihr in der Hütte hier, Gesang
[141]
Und Lachen, und der Gläser Klang
Am Abend höret, ist's ein Zeichen,
Daß unser Tagewerk uns allen gut gelang;
So geht nun hin und thut deßgleichen.
Wie schläft es sich so süß auf solchen Tag
Und solchen Abend! Böser Regen!
Das unschuldsvolle Lustgelag
Störst du so früh? doch meinetwegen!
Denn, wenn es, Freund, noch zwanzig Jahr'
Beständig Lenz und Sommer bliebe:
Ich stünde wahrlich in Gefahr,
Daß ich kein Wort, so sehr ich dich auch liebe,
In allen zwanzig Jahren schriebe.
Den Grund sollst du ein andermal erfahren,
Denn jetzt ruft Fritz: die Kutsch' ist angespannt!
Zupft mir am Kleid' und zerrt mich bei der Hand.
Was die Penaten oder Laren
Den Römern einst bei solchem Umziehn waren,
Das, Retzer! bin ich für mein Haus.
[142]
Denn, harrt' ich noch so lange: nicht hinaus
Zum Thore, würden Weib und Kinder fahren,
Wär' ich nicht auch dabei. – Ich muß den Rest versparen,
Der Junge reißt mir sonst den Arm noch aus.

Fußnoten

1 Ein isolirtes Landhaus, eine halbe Stunde von Ellrich, das der Verfasser den Sommer hindurch, bis zum Herbste 1786 bewohnte.

2 This mode of Spelling the name of Shakspeare is adopted out of respect to an autograph of the poet, affixed to his will, preserved in the court of Canterbury. The Monthly Review, for Jan. 1780.

[143] An den König von Siam

Der alte Grünewald mit sammt dem Elephanten
Ist wieder da. Halb Deutschland hat er kaum
Durchzogen; denn der guten Seele brannten
Die Sohlen, um bei mir, der Nacht für Nacht im Traum'
Ihm vorgekommen war, (trotz allem Widerrathen
Der Frau,) nur bald genug zu seyn,
Und seinen Beutel voll Dukaten
Auf meinen Schreibtisch auszustreun.
»Hier, Herr, ist alles, was der Elephant
Verdient mir hat. Vor allen Dingen
Möcht' ich nun gern, – mit Gott wird's ja gelingen! –
[144]
Das treue Thier auch in sein Vaterland –
Wie heißt's doch gleich? – zurück wohl bringen.« –
Ei, Grünewald! weißt du auch wohl, wie weit
Das Siam ist, woher wir ihn bekamen? –
»Thut nichts! Ich reis' in Gottes Namen,
Und was ich brauch', ist eine Kleinigkeit;
Der Elephant muß Heu im Schiffe fressen. –
Doch, Sapperlot! Herr, hätt' ich doch beinah
Mein Weib, das böse Thier, vergessen:
Für diese sorgen Sie doch ja.
Und – – ja – hab' ich das Thier an Ort und Stelle
Gebracht, so kehr' ich wieder um;
Doch, lieber Herr, auf alle Fälle
Gefaßt zu seyn« –
Auf einmal ward er stumm,
Und sah mich weinend an, als sollt' ich ihn errathen.
Nein! sagt' ich, lieber Grünewald,
Nimm deinen Beutel voll Dukaten,
[145]
Und kaufe Land; auf unsern fetten Saaten
Vergißt der Elephant sein Siam bald.
Allein das hieß nur tauben Ohren
Gepredigt. Er meint', an ihm sey ja
Sehr wenig oder nichts verloren;
Und dennoch kommt in ihm ein Mensch nach Asia,
Wie Eure Hoheit, unter allen, die geschoren
Das Haupt in Siam tragen 1, keinen sah.
Da er durchaus sich nicht will halten lassen,
So mag das Glück mit ihm und diesem Briefe gehn.
Die Sprache wird er schwerlich fassen,
Lernt aber ein Dollmetscher ihn verstehn,
(Denn sein Accent ist rauh, wie unsre Luft vom Brocken,)
So wird der Ton, der oft mit Thränen stahl,
So süß Euch klingen, als die Silberglocken
Am Thurm' von Eurem Schloßportal'.
[146]
Nur müßt Ihr das nicht übel nehmen,
Wenn er, und ließet Ihr den Elephanten ihn
Vorwerfen, nie sich wird bequemen,
Hin in den Staub vor Euch zu knien.
Befehlet Euren Mandarinen,
Daß sie durch Spott ihn nicht einmal in Mienen
Beleidigen; denn, eh' sie sich's versähn,
Würd' er mit seinen Fäusten ihnen
Die Nase auf den Rücken drehn.
Auch laßt ihn alles baar bezahlen;
Denn, Sire, außer mir allein,
Mag er selbst Euch, um aller Folter Qualen,
Für keinen Deut verbunden seyn.
Zwar drang er mir mit edler Hitze
Noch heute früh die halbe Pudelmütze
Voll Kremnitzer Dukaten auf;
Doch weiß man wohl: Von einem Fremden
Will jeder Geld! Drum schickt' ich gleich nachEmden
An Peter Nils, stillschweigend sie vorauf.
[147]
Der soll sie auf der See ihm geben,
Denn sonst erhielt' ich sie mit erster Post zurück.
Was? (sagt' er oft,) Ich sollte besser leben?
Für mich gehöret sich ein Stück
Hausbackenbrod, denn auf der Gottes Erde
Hab' ich ja weiter nichts gelernt,
Als wie man Dohnen stellt und wilde Schweine körnt;
Wenn ich noch lesen lernen werde,
Und dann mein Herr: »Iß, Alter!« zu mir spricht,
Dann eß' ich Braten; eher nicht.
Wie oft hat er auf Glück und Geld geschmälet,
Bloß, weil nicht ich mit Sechsen fahren kann,
Dem, wie er glaubt, kein Buch mehr fehlet!
Verzeiht darum dem guten alten Mann'
Die Schwachheit, daß er gern von mir erzählet.
Ich weiß, wie sehr ihn itzt der Umstand quälet,
Daß er mein Buch nicht lesen kann;
Denn, Sir', ich wollte wohl drauf schwören:
Ihr möchtet wollen, oder nicht,
[148]
Ihr müßtet von dem guten Wicht'
Ohn' alle Gnad' es dennoch hören.
Und fiel' ihm ein, daß Ihr kein Deutsch versteht,
So würd' er sicher mit Euch keifen,
Im Fall' nicht Eure Majestät
Gleich Anstalt macht', es zu begreifen.
Doch, nimmt er dort sich besser vor den Schlingen,
Die ihm die Hitze legt, in Acht,
So thut er das, um nur mit Freudensprüngen
Die Rarität zurück zu bringen,
Die meinem Weib' ist zugedacht.
Als er von seiner Wanderschaft verwichen
Zu Hause kam, da war ihr alter Freund,
Ihr lieber Papagey, verblichen,
Und ward, so oft sie sich zu seiner Gruft geschlichen,
Oft leise noch beklagt und still beweint.
Gib dich zufrieden, Ferdinande,
(Sagt' ich aus Scherz,) gib dich zufrieden, Kind!
Denn Grünewald reist bald nun nach dem Lande,
[149]
Wo Papageyn in Menge sind. –
Allein ich unbesonn'ner Thor!
Ich hätt' ihn besser kennen müssen;
Denn kaum war dieses Wort hervor,
So hätte Grünewald dem Teufel selbst ein Ohr
Um einen Psittich abgerissen.
Kurz, ohne daß mein Weib es wissen soll,
Verbrennen ihm seitdem vor Ungeduld die Sohlen,
Ihr einen ganzen Käfich voll
Der schönsten Papageyn zu holen.
Kommt er aus Eurem uns so fernen
Gebiet' zurück, (der Himmel gebe, bald!)
So soll kein Papagey ein Wort sonst sprechen lernen,
Als: Grünewald! Freund Grünewald!
Das wird, wann einst der Sturm vom Brocken
Daherrauscht über sein Gebein,
Die Thränen oft mir in die Augen locken,
Und mehr als das Geläut der Glocken,
Erweckung zum Gebete seyn.
[150]
Wie gern hätt' ich in einem Lobgedicht'
Den zweiten Theil ihm zugeschrieben!
Nur darf man wohl bei uns, im Angesicht'
Des Volkes, einen Schelm von Range lieben
Und ehren, einen Jäger aber nicht.
Indeß, wenn längst schon seinen Namen
Kein Papagey mehr ruft, mein Fritz ihn nicht mehr küßt,
Mein Günther, mit zu stricken an den Hamen 2,
Nicht mehr, wie itzt, geschäftig ist,
Und keiner mehr von Deutschlands Herrn und Damen
Aus Langerweil' in meinem Buche liest:
Dann wird ihn noch das Wesen kennen,
(Nicht wahr, ein solches glaubt Ihr auch?)
Das einst aus uns heraus das Gold wird brennen;
Und o wie wenig wird von Grünewald als Rauch
Verfliegen, oder sich vom Gold' als Schlacke trennen!
Und, Sire! wir sind gegen meinen Freund
Vielleicht so hohl dann wie Hollunder. –
[151]
Allein verzeiht! Ich werde, wie es scheint,
Zu ernsthaft; und das ist kein Wunder,
Denn Grünewald packt ein! Und ach! den ganzen Plunder
Des Glücks, gäb' ich um einen solchen Freund!
Ich hoff', auch Euch wird er willkommner seyn,
(Denn itzt schon ließ' er kurz und klein
Für Eure Hoheit sich in einem Mörser stoßen,)
Als der Gesandte Ludewigs des Großen,
(So hieß er sonst, der eitle heißt er nun!)
Einst Eurem Ahnherrn, wenn er gleich ein Huhn,
Das, durch ein Uhrwerk, Kurzweil machte,
Und für Siamischen Kattun,
Lyoner Goldstoff überbrachte.
So nehmt ihn denn mit seinem Thiere
Und mit dem Fäßchen gnädig an,
Das Euch mein Weibchen schickt. Sie schickt nicht bessres, Sire!
Weil sie nichts bessres schicken kann.
[152]
Es ist Johannisbeerenwein,
Wozu sie selbst die Beeren pflückte,
Woraus denn Grünewald mit manchem schweren Stein'
Den Saft für Eure Hoheit drückte.
Hat er sich satt an Eurer Pracht gesehen,
Und sich um seinen zweiten Freund,
Den Elephanten, satt geweint,
Und satt gekauft an Indianschen Krähen:
Dann, bitt' ich, laßt ihn wieder gehen.
Ein Ding sey noch so schwer und kühn:
Wenn er's versprach, so hält er auch sein Wort;
Drum lief' er sicher dennoch fort,
Und machtet Ihr ihn gleich zum ersten Mandarin.

Fußnoten

1 Die Missionarien.

2 Eine Art Fischnetze, wie sie jeder Jäger strickt.

[153] An Frau von B. die ihn um einen Fasanen gebeten hatte

Du hast vielleicht es längst vergessen,
Was ich seit Monden dir versprach;
Doch traue du dem Worte dessen,
Der nie sein Wort den Schönen brach.
Mir gab das Glück nicht eigne Jagden,
Ja nicht einmal Gelegenheit
Ein fremdes Wildrevier zu pachten,
Am wenigsten zum Jagen Zeit.
Was konnt' ich, Wort zu halten, wählen,
Ich, der am liebsten dir es hält?
Was blieb mir übrig, als: zu stehlen?
Für dich bestöhl' ich alle Welt!
Doch weil von zarterem Gewissen,
[154]
(Das wir beim Jäger oft vermissen,)
Du selbst in diesem Punkte bist,
Und weil dein Mund sonst keinen Bissen
Von dem gebratnen Vogel ißt,
So wiß': ein Liebling von Dianen
Hat willig ihn für dich gemißt.
Dieß, hoff' ich, wird ja dem Fasanen
Den Weg zu deinem Munde bahnen;
Wo fänd' er besser auch sein Grab?
Hätt' eine Fürstin ihn hinab
Mit manchem falschen Zahn' geschlungen:
Da hätten Gläser nicht geklungen,
Kein Nachbar einen Kuß getauscht,
Kein Mund das Rheinweinlied gesungen;
Statt daß der Gast mit Ohr und Herzen
Auf Töne deiner Kehl' itzt lauscht,
Ja selbst, bei deines Mundes Scherzen,
Beinah die Weisheit sich berauscht.

[155] An Bürger

1788.


Das Räthsel, Freund, erräth sich bald,
Warum ich nichts, dem Scheine nach, empfinde,
Und unter angenommener Gestalt,
Dem Proteus gleich, gerade dann verschwinde,
Wenn Lallagen, dem guten, sanften Kinde,
Von Hochgefühl das Herzchen überwallt.
Ja freilich wird man durch das Herz
Geselliger, zum Leben viel geschickter,
Als bloß durch Witz, Verstand und Scherz;
Denn jenes macht uns selbst und unsern Freund beglückter.
Doch müssen denn nicht zwei bei jedem Handel seyn?
Ihr Herz, ist Wachs; das meine, Eisenstein.
[156]
Kaum wird bei mir die Oberfläche ritzen,
Was schnell bei Lallagen tief in das Innre dringt;
Sie fühlet schon der Rosenblätter Spitzen,
Wenn selbst der Dorn des Stiels mich kaum zu Seufzern zwingt.
Zwei solche Herzen schmelzen nie zusammen;
Verzehrt ist längst das eine von den Flammen,
Wenn's andre warm zu werden kaum beginnt,
Und spät im hohen Ofen erst zerrinnt.
Doch keins von beiden soll das andre drum verdammen.
Da Herzen denn von Wachs und Eisen
Zusammen unverschmelzbar sind,
So solltest du vielmehr mich glücklich preisen,
Daß Lallage mich nicht gewinnt.

[157] An die Frau Gräfin von Bassegli, in Wien

Den 28. Juni. 1786.


Gerad ist's, Freundin, heut ein Jahr,
Daß ich in Wien an deiner Seite,
Frei vom gewöhnlichen Geleite
Des Grillenschwarms, so fröhlich war!
Er blieb, wie dem Geschmeiß' es ziemet,
Furchtsam an deiner Thür' zurück,
Von deren Schwelle Fama rühmet,
Daß eine gute Fee, zum Glück'
Für dich und deine Freund', am Morgen
Der dich gebahr, das Meisterstück
Von ihrer Kunst darin verborgen:
[158]
Den Talisman, der keine Sorgen,
Und hingen sie sich noch so fest
An ihren Mann, hinüber läßt.
Ach! könnt' ich diesen Talisman
Mir doch auf einen Monat borgen!
Dann fing' ich lieber heut als morgen
Die lang verschobne Kur noch an,
Und alle Launen, alle Sorgen,
Ertränkt' ich in Pyrmonter dann.
Du selbst, du könntest leicht ihn missen,
Denn zweifeln muß ich, ob du schon,
(So viel du sonst auch weißt,) magst wissen,
Daß Sorgen von dem Scorpion,
Und böse Laune von den Wanzen
Nur darin unterschieden sind,
Daß erstre, wenn der Tag beginnt,
Und letztre uns bei Nacht kuranzen,
Und man durch Wurzeln oder Pflanzen,
Den Sieg nicht über sie gewinnt.
[159]
Zwar wirst du sagen: Ich soll kommen,
Selbst suchen unter deinem Schwell',
Und Alles, auch das goldne Fell
Von Kolchis selbst nicht ausgenommen,
Soll ich, der Finder, zum Geschenk'
Für meinen weiten Weg empfangen.
Dank für den Vorschlag! Doch bedenk!
Wie schwer es mir schon eingegangen,
Als ich, so bald! das erstemal
Zur Trennung mich gezwungen sahe.
Ein Herz von Eisen und von Stahl
Muß schmelzen, kommt es dir zu nahe,
Und macht gleich dieses keine Qual,
So kam das Trennen doch noch allen,
Die je dich sahn, so leicht nicht an,
Als wie dein Vater 1 von Metallen
Das reine Silber scheiden kann.
[160]
Lieg' wo du liegst, o Talisman!
Kannst du nicht schützen vor dem Trennen,
Wie würdest du nachher mich dann
Vor neuen Grillen schützen können?

Fußnoten

1 Der berühmte Mineralog, Hofrath v. Born.

[161] An die Dichterin Karschin, in Berlin

Magdeburg, im December 1787.


Du glaubst, ich hätte dich vergessen?
Ein wahrer Freund vergißt uns nicht!
Gestehen muß ich es indessen
Mit hell erröthendem Gesicht':
Zu lange hab' ich schon geschwiegen,
Zu schlecht gehalten dir mein Wort!
Ach! drei von deinen Briefen liegen
Laut mahnend, leise zürnend, dort!
Weg sollte längst die Antwort fliegen,
Ist aber leider! noch nicht fort.
[162]
Doch hab ich Ursach' zu erröthen?
War denn das Schweigen meine Schuld?
Wie? Hatten mich so tief die Flöten
Der Liebesgötter eingelullt,
Daß ich im Sybaritenschlummer
Von meiner alten Freundin Kummer
Auch selbst in Träumen nichts empfand?
Lag ich, von ihrer zarten Hand
Gestreichelt, in Fortunens Schooß,
Und dachte: Hast das große Loos,
Was kümmern dich der Freunde Nieten?
Und konnt' ich, (wie die Henn' im Brüten
Nicht einen Augenblick ihr Nest,
Trotz allen Lockungen, verläßt,)
Mein Pult so lange nicht verlassen,
Um dich, die wartend vor mir stand,
Bei der von Sorgen welken Hand,
Die so viel Schönes schrieb, zu fassen?
Wenn ich der Karte Matador
[163]
Weit mehr als meine Leyer schätzte,
Und einen Hasen lieber hetzte,
Als durch ein Lied der Freundin Ohr,
Wie vor zwei Jahren noch, ergötzte;
Wenn nicht, wie sonst, ich inniglich,
Noch deine Sorgen jetzt empfände:
O dann vergiß, verachte mich!
Denn mit der Freundschaft wär's am Ende.
Mein waren freilich tausend Stunden,
Seitdem von meinem letzten Laut'
Der Nachhall deinem Ohr' entschwunden;
Doch war ich, wann der Abend graut',
An meinem Geiste so geschunden,
Wie Marsias an seiner Haut.
Streich' diese Zeit von meinem Leben,
Wie billig, auf der Rechnung aus,
Dann kommt vom ganzen Jahr' nur eben
Ein voller freier Tag heraus.
[164]
Nicht wahr: Nun wirst du mir vergeben?
Doch sag' ich nicht: Bedaure mich!
Nein, nein! denn diese Spanne Leben
Zu nehmen wie sie ist, wird Pflicht.
Dieß, dieß nur kann den Muth erheben,
Bedauren aber hebt ihn nicht.
Sprich lieber: »Drückt dich da der Schuh?
O laß den Blick umher nur wandern!
Schließt Unabhängigkeit nicht andern,
Die alle besser sind, als du,
Das Pförtchen vor der Nase zu?
Darf manches Lied, das ich gesungen,
Vergleich mit Sappho's Liedern scheun?
Und dennoch ließe sich's verzeihn,
Wär' ich, die Leyer fest umschlungen,
Vom Felsen in das Meer gesprungen.
Ich blieb, und bin doch nur ein Weib!
Trag du denn auch dein Joch durchs Leben!
[165]
Kannst du mir schreiben? Wohl! so schreib!
Wo nicht? Ei nun! In jenem Leben
Wird's keine Sorgen für den Leib
Und keine Kanzeleien geben.«
So, liebe Freundin, hör' ich's gern!
Mir wird ein solches Wort zum Stern',
Auf dunkelm Pfad' nicht zu verzagen;
Doch würdest du mich bloß beklagen:
Unglücklicher möcht' ich vielleicht
Als ich schon wirklich bin, mich halten;
Denn ach! die Eigenliebe schleicht
Sich in des Herzens engste Falten,
Und ist die letzte, die entweicht.
Der Freund, der uns nicht helfen kann,
Mag auch sein Mitleid an sich halten,
Und ruf' uns mit anscheinend kalten
Humor, statt dessen zu: Sey Mann!
Der Feige nur wird drum ihn hassen,
[166]
Ihn, der als Freund erprobet war,
Und für uns – könnt' er es – gelassen
Gern trotzen würde der Gefahr.
Soll das, was Weisheit von uns heischt,
Ein Freund von uns zu heischen, zagen?
Ein solches Mitleid, Freundin, täuscht
Das Herz, wie Schneemilchschaum den Magen.
Und ach! der letztere Betrug
Wird allemal der schlimmste werden.
Nur Muth! Nur Muth! So ist auf Erden
Der Mensch sich selbst noch Trost genug.
Darum bewahr' dich Gott, (dein Joch
Ist schwer genug!) vor Leutchen doch,
Die dich mit kaltem Troste kosen,
Und dir so leicht mit Myrth und Rosen,
Zum wenigsten mit Thimian,
Wenn andern sie, als sich, ihn gönnten,
Den kurzen Rest der Lebensbahn'
Bis an das Grab bestreuen könnten.
[167]
O! liebst du dich, und mich dazu,
So wirst du nichts von ihnen hoffen.
Gleim lebt noch; überlebst ihn du,
So steht mein Arm, mein Haus dir offen.
Leb' wohl! der Morgen kommt! Betroffen
Schließt er mein müdes Auge zu.

[168] An die Frau Generalin von Ernest

(Bei des Verf. Versetzung von Magdeburg nach Wernigerode.)


Magdeburg, den 27. August 1788.


Du, die das Glück auf meinem Wege
Mich wie ein Goldstück finden ließ,
Von ächtem Korn' und reinestem Gepräge,
Das aber nur das Glück mir wieß;
Kaum lernt' ich deinen Werth recht kennen,
So muß ich mich von dir schon wieder trennen,
Weil mich zurück zum Harz mein Schicksal gehen hieß.
Wo find' ich wieder solch Vertrauen
Und solche Duldung, als bei dir?
Dort werden mich die Männer und die Frauen
Als fremde Münze erst beschauen,
Und denken: Hm! Was gibt man wohl dafür?
[169]
Zu lang im Cours, schliff sich die Inschrift ab,
Dem Zehnten jetzt unleserliche Chiffern,
Nur der, dem die Natur dein scharfes Auge gab,
Kann den Avers und Revers leicht entziffern.
Ich lasse hier dich in der Freundschaft Bank
Als Kapital zurück; zufrieden
Mit halben Zinsen, und, dem Glücke sey es Dank!
Verzehren wird mein Herz am Harze sie in Frieden.
Kaum wär' es zu verzeihn, – das hast du selbst gefühlt! –
Wenn ich es nicht als Glück empfände,
Daß meine Rolle hier zu Ende,
Nach zwei durchseufzten Jahren spielt;
Daß nicht das Heimweh mehr in meinem Herzen wühlt,
Und ich dem Schlaf' die Nächte wieder spende.
Hier konnt' ich nicht der Freundschaft Freuden leben,
Und was ist dann das Leben werth?
Hier konnte mir die Flur nicht neue Kräfte geben,
Wo Berg' und Wald mein sehnend Aug' entbehrt;
[170]
Zu nichts, als allenfalls um damit einzuheitzen,
War meine Harfe brauchbar hier,
Was half's, mit meinen Stunden geitzen?
Wie selten ward für dich nur Eine mir!
Bin ich zum Eremitenleben
Bestimmt, so mag's am Harze seyn!
Da wird der Genius der Ruhe mich umschweben,
Und noch einmal vielleicht mir seine Harfe leihn.
Da werd' ich oft am Bach' im Walde dein gedenken,
Vergißmeinnicht mit Sehnsuchtszähren tränken,
Sie in des Baches Kräusel streun,
Den trüben Blick hinab zu ihnen senken,
Und dann im Geiste bei dir seyn.

[171] An Frau von H–s, in Magdeburg

1789.


Darf der noch vor dein Antlitz kommen,
Der deine Liederchen, Mimi,
So lang behielt, als hätt' er sie
Mit sich hinab ins Grab genommen?
Zum wenigsten, als hätt' er schon,
Zu seinem wohlverdienten Lohn',
In einem Zitadellgewölbe,
Wie Schubert, längst nach Luft geschnappt,
Und für die Freundin an der Elbe
Nicht Feder und Papier gehabt?
Ich lebe, war auch nicht gefangen,
Gesund, trotz einem Tagedieb'!
Noch mehr: Kein Tag ist mir vergangen,
[172]
An dem ich nicht fünf Stunden schrieb.
Um desto minder, wirst du sagen,
Ist solch ein Aufschub zu verzeihn!
So scheint es freilich wohl; allein
Sey gütig, laß mein Leid dir klagen.
Die Lust und Fähigkeit, zu reimen,
Steht mir nicht zu Gebot wie Gleimen,
Der Verse, wie die Tauben, lockt.
Mag ich nach ihr mich zierend sehnen,
Die Muse, gegen mich verstockt,
Scheint mich noch obenein zu höhnen.
Sie öffnet meine Stubenthür,
Blickt spöttisch auf die Aktenfächer,
Spricht achselzuckend: »Armer Schächer!
Leb' wohl! da hast du viel Papier!
Was brauchst du mich und Amors Köcher? –«
Und husch! verschwindet sie vor mir.
Ich, der der Freundschaft und der Minne,
Nicht Fürsten, ihre Lieder sang,
[173]
Noch lieber jetzt ein Herz gewinne,
Als einer Hoheit reichsten Dank;
Womit verdient' ich wohl die Strafe,
Daß sie mir kalt den Rücken dreht,
Ja! nicht einmal, wie sonst, im Schlafe
Mir heitre Träum' aufs Lager weht?
Dem Winzer gibt sie unter Reben,
Der Harkerin, auf ihrem Grummt
Am Abend singend, neues Leben,
Ich, ich allein bin nur verstummt.
Vielleicht indeß zu meinem Glücke!
Sie mochte wohl zum voraus schaun,
Mir sey, bei meines Dämons Tücke,
Kein Saitenspiel mehr zu vertraun.
Und wahrlich! Wer gleich Juvenalen,
Die hohen Thoren seiner Zeit
In ihrer Häßlichkeit will mahlen,
Der gehe ja, eh' sie bezahlen,
Dahin, wo kein Zensuredikt
[174]
Die Wahrheit in der Wieg' erstickt,
Sonst wart' er, bis er dahin rückt,
Wo Lucian mit Juvenalen
Sejanen dreist ins Auge blickt.
Dank denn, o gute Muse! dir,
Daß du seit Jahren hast geschwiegen,
Noch nöthiger ist Ruhe mir,
Als Geist zu Liedern und Vergnügen.
Du, die Gelehrte streiten läßt,
Und unverblendet von dem Schimmer
Des Ruhmes, sich nicht Lob erpreßt,
Wohl aber oft ein frohes Fest
Den Musen gibt in ihrem Zimmer,
Indeß der Mann das Wespennest
Vom Aber- und vom Wunderglauben,
Und von geheimen Orden stört:
Sing' in versteckten Rebenlauben,
Von deinen Freunden nur gehört,
Das seltne Glück zufriedner Ehe,
[175]
(Ein Sohn, wie Amor, sey dein Lohn!)
Und weh' dem Kritikaster, wehe!
Der einen falschen Semiton
Dir aufzumutzen wagen könnte,
Wenn alle Freund' ihn gern verzeihn.
Das allerschönste der Talente
Ist doch: der Freunde Herz erfreun!

[176] An Herrn von Heß, in Hamburg 1

Berlin, den 1. October 1795.


Ei! Ei! Weil ich nicht bis ans Grab
Im Harzgebirge bin geblieben,
So brichst du über mich den Stab,
Und in dem Urtheil' steht geschrieben:
»Der Ehrgeitz hat ihn weggetrieben!« –
Vielleicht des Herzens edler Drang,
Je mehr, je besser auszusäen? –
[177]
Nein! du gibst deutlich zu verstehen:
»Die Sucht nach Titeln und nach Rang!«
Da haben wir's! Der einst, zum Schein',
Laut gegen Kriecherei gesprochen,
Hat selbst sich Titel nun erkrochen,
Hat schimpflich sich durch Schmeichelein
Zur Sylbe »von« die Bahn gebrochen.
Ja freilich! Wenn dem also wäre,
So wär' es schlimm genug für ihn;
Der Schatten selbst von wahrer Ehre,
Trotz seinem Ehrgeitz', müßt' ihn fliehn.
Doch ist's an sich uns kein Verbrechen,
Empor zu steigen: dann so laßt,
[178]
Wenn Ihr ein Endurtheil verfaßt,
Die Wahrheit auch ein Wörtchen sprechen.
Der Muse Thränen würden zwar
Mit vollem Recht' die Leyer netzen,
Vergäße bei Cujaz Gesetzen
Ein Wieland sie auch nur ein Jahr;
Wer will ihn missen? Wer ersetzen?
Doch ob ich tausend Reime mehr,
Ob tausend minder hinterlasse:
Wen kümmert das? Mich selbst nicht sehr,
Am wenigsten die große Masse
Der Nation.
»Nun gut! Allein
Es macht dem Philosophen Ehre
Mit seinem Glück' zufrieden seyn;
Denn Rang und Titel sind Chimäre!«
Das hab' ich immer selbst geglaubt;
Doch folgt daraus: Es sey erlaubt,
Bloß nach Bequemlichkeit zu leben,
[179]
Bevor um das gesenkte Haupt
Noch dünne Silberlocken schweben?
Soll, wer aus Neigung oder Noth,
Nach irgend einem Ziele strebte,
Der Auster gleich, nur da den Tod
Erwarten, wo er fest sich klebte?
Soll er vom erstern, nahen Ziel',
Wenn edler Muth und Kraftgefühl
Ihm des entferntern Preis verheißen,
Nicht wagen, kühn sich loszureißen?
Erkriecht dieß ferne Ziel der Thor
Um Titel, Rang und Friedrichsdor:
Gibt's darum keine beßre Preise?
Nur Zeit und Kraft bezahlt der Staat,
Durch Selbstbewußtseyn guter That
Bezahlt sich selbst die That der Weise.
Mich schämen sollt' ich billig wohl,
Nun in der Hauptstadt gar zu leben?
Und strenger Moralisten Groll
[180]
Darf, scheint es, mir es nie vergeben,
So hoch hinauf geklimmt zu seyn?
Was aber kann ich für den Schein?
Nie hatte meine Phantasie
Sich beides je zum Ziel' erkohren;
Noch mehr: Um beides hab' ich nie
Ein Wort, selbst keinen Wunsch verloren.
Daß ich dem ehrenhaften Winke
Des Königs folgt': Ist dieß ein Grund,
Daß ich in deiner Achtung sinke?
Und dieses machst der Welt du kund?
Doch sicher wird es dich gereuen,
Und Rang und Titel mir verzeihen,
Kommst du nur selber nach Berlin,
Und findest, daß ich hier geblieben,
Was ich zu seyn in Ellrich schien,
Und daß mich alle die noch lieben,
Die irgend mich geliebt zuvor.
[181]
Wer, vorwärts von dem Glück' getrieben,
Die Weisheit unterwegs verlor,
Hätt' er wie Salomo zuvor
Auch gleich geredet und geschrieben,
Ward drum nicht weniger ein Thor.

Fußnoten

1 Hr. v. Heß hatte in seinen Durchflügen durch Deutschland (1. Th. S. 113.) dem Verfasser vorgeworfen, daß er die Musen abgedankt, daß er sich in Ellrich ennuyrt habe, daß er sich durch seine Verse gern zu einer Ministerstelle hätte aufschwingen mögen, und daß er nun als Herr von Göckingk seinem Ehrgeitze in Wernigerode fröhne. – Diese Epistel, im Berliner Musen-Almanach für 1795. abgedruckt, ist die Antwort auf diese Vorwürfe. Der Verfasser war indessen zum Geheimen Oberfinanzrath in Berlin ernannt worden.

[182] Antwort des Herrn von Heß

Est Vlubris!

Horaz.


Seit vielen Jahren kannt' ich dich.
Nie hatt' ich dein Gesicht gesehen:
Nur deines Dichterruhms Trophäen
Ergötzten und belehrten mich.
Ich kannte dich, als hätt' ich lange
Des Lebens Ball mit dir gespielt;
Als hätt' ich oft die Jugendwange
Mit dir erhitzt, an dir gekühlt.
In manchem trefflichen Gesange
Gabst du dich einst geschildert hin.
Entsagen lehrtest du dem Range;
Die Musen waren dein Gewinn.
Das pflanzte sich in meinen Sinn.
[183]
Entsagung ward auf meinem Gange
Durchs Leben die Begleiterin.
Es will gelernt seyn, das Entbehren,
Und nicht zu spät. Was im Gehirn'
Des Jünglings für Entwürfe gähren,
Die einst sein Glück als Mann verzehren,
Zeigt oft die früh gefurchte Stirn.
Es will geübt seyn, das Entbehren!
Den reinen Himmel mir gewähren,
Wozu die Unabhängigkeit
Mir ihren freien Pinsel leiht,
Das kann kein Staat mit seinen Ehren.
Was sind sie anders, als ein Streit
Der Wünsche mit der Wirklichkeit?
Der steifen Praxis mit Chimären?
Der Staat gibt dir sein Söldnerkleid.
Ward es für dich denn zugeschnitten?
Gehst du darin mit sichern Tritten?
Ist's nicht zu enge, nicht zu weit?
[184]
Der Staat, (ja gäb' es beßre Staaten!)
Bezahlt dir deine Kraft und Zeit
Für anbefohlne Thätigkeit,
Wozu du selber nie gerathen.
Er winkt: du folgst. Er will: du mußt.
Und wär's mit eingeklemmter Brust,
Wär's mit zerrißnem, wunden Herzen:
Das Gold, worin man deine Pflicht
Gemünzt, ist taub zu deinen Schmerzen.
Du bist bezahlt; mehr giltst du nicht.
An Höfen ist das Recht nur Gnade:
Die Wahrheit hält die Maske vor;
Die Wissenschaft dient zur Parade;
Vergittert ist des Herrschers Ohr.
Der Unterthan liegt an den Stufen
Des Throns, und mag sich heiser rufen.
Der Schmeicheleien laut'res Chor,
Wie trunken von des Fürsten Preise,
Dringt über das Geächz empor.
[185]
Nicht selten sang in dieser Weise
Uns weiland Göckingk's Muse vor.
Ihr reiner Nachhall tönte leise
Durch meinen Sinn, als ich ins Thor
Von Ellrich trat, wo sie noch schwärmet,
Und um den Vielgeliebten sich,
Wie Sappho einst um Phaon, härmet.
Ihr Klagen war mir schauerlich.
Der Unmuth biß mich auf die Zunge;
Ein frommes Mitleid spannte mich,
Und Groll zerdehnte meine Lunge.
Da, Göckingk, schalt mein Eifer dich!
Kein Aktenbündel, Mann! vertheidigt
Die Unthat, die du ausgeübt,
Als du die Maid, die dich geliebt,
Hast durch Desertion beleidigt.
Ein Mann weiß, was er kann und soll.
Sey's Juno, Plutus, sey's Apoll;
Wem er zu dienen sich verpflichtet,
[186]
Dem dient er treu, und achtet nicht,
Was man von ihm im Durchflug' richtet.
Ob Geldgeitz, Rangsucht oder Pflicht
Die Ranzion auf dem Parnasse
Für dich bezahlen: Freilich, was
Bekümmert sich die große Masse
Des deutschen Volks darum? – Nicht das!
Doch Eins noch! – Ach! die Kraftgefühle!
Es brennt nicht immer, wo es blitzt.
Was uns, wie Feuer, in der Schwüle
Der Jugend, oft das Mark erhitzt,
Das dampft kaum in des Alters Kühle.
Wir mögen stehen, oder fliehn,
Wir mögen kriechen, oder schweben;
Will man in Ellrich nicht mehr kleben,
So wird man Auster in Berlin.

[187] Antwort an Herrn von Heß

Nicht, um das letzte Wort zu haben,
(Rechthaberei ist mir ein Greul!
Auch ist der Zwist ja längst begraben,
Und meine Wunde längstens heil!)
Bloß unsrer Freundin 1 zu gefallen,
Die sehnlich wünscht, ich möchte allen,
Vorzüglich einem Mann' wie dir,
So rein erscheinen, als wie ihr,
Muß ich noch ein Paar Verse wagen,
Wird in den kalten Wintertagen
Des Lebens, gleich es schwerer mir,
[188]
Nach Reimen, wie nach Wild, zu jagen.
Wer in der Denkart stimmt, wie wir,
Der wird sich leicht im Streit' vertragen.
Doch unser Beispiel, wie mich deucht,
Kann Jünglingen die nach uns kommen,
Wenn längst wir nicht mehr sind, vielleicht
Mehr noch als unsre Schriften, frommen.
Für dich, den Anwald keuscher Musen
Und weiser Unabhängigkeit,
Glüht ein Gefühl in meinem Busen,
Das sicher keinen Zwist erneut;
Und wer ist mehr als ich bereit,
Dir alles, alles einzuräumen?
Befolgt' ich selbst nicht, was du lehrst?
Nur daß du mich mit meinen Reimen
Zu hoch stellst, neben Uz und Gleimen,
Zu gütig meine Lieder ehrst:
Dieß ließ ich wahrlich mir nicht träumen!
Hätt' ich so stolz davon gedacht:
[189]
Kein Fürst in ganz Europa hätte,
Selbst mit des goldnen Vließes Kette,
Die Leyer aus der Hand gebracht.
Doch ohn' es nur im Traum' zu wähnen,
Tauscht' ich sie dennoch unter Thränen
Mit einem Aktenbündel aus.
Des Beifalls lockte zwar sie wenig
Von andern, glaubt' ich, nur heraus,
Doch war, ich selbst, durch sie zu Haus
Weit glücklicher, als selbst der König.
Was half's, sie noch mit Thränen netzen?
Es mußt' einmal geschieden seyn;
So folgt' ich denn des Zwangs Gesetzen.
Mit Ruh' und Leyer, meinen Schätzen,
Lief ach! das Glück nun querfeldein.
Umsonst ist's, dacht' ich, nachzusetzen,
Du holst es doch nicht wieder ein.
Ich sah ein Heer von Sorgen kommen,
Das schob sich zwischen mich und sie.
[190]
Nun! frommt die Zukunft mir auch nie,
Durch dich wird sie doch andern frommen. –
Ein tröstend Spiel der Phantasie!
Du selbst, o Heß, hast deinem Staate
Zuletzt geopfert Kraft und Zeit;
Doch rechn' ich dir es zum Verrathe
An deiner Unabhängigkeit?
Was du geduldet und gewagt,
Muß dir ein solches Denkmal stiften,
Das selbst noch über deine Schriften,
(Und das ist wahrlich viel gesagt!)
Empor in vollem Glanze ragt.
Wer seine Mus' und freien Stand
Nicht darf der Noth zum Opfer bringen,
Der laß' allein vom Vaterland'
Und vom Gefühl' der Pflicht sich zwingen.
Die Freundin will, ich soll auch nicht,
Daß ich dieß selbst befolgt, verschweigen.
Nun wohl! Hätt' ich nicht sie zum Zeugen,
[191]
Verdenken könnt' ich dir es nicht,
(Denn Wen'gen ist die Praxis eigen)
Hielt'st du es bloß für ein Gedicht.
Als mich der klügsten Fürsten Einer
Zum Staatsminister auserkohr,
Dacht' ich: Leihst du dem Ruf' dein Ohr,
So machst du deine Ruh' noch kleiner,
Die Sorgen größer als zuvor,
Und zwiefach wärest du ein Thor.
Nicht zwei Minuten nur besonnen,
Verbat ich seine Gnade mir.
Hätt' ich dadurch auch nichts gewonnen,
Als Dank der Freundin, Lob von dir:
Belohnt genug wär' ich dafür!

Fußnoten

1 Elisa, Freifr. von der Recke, geborne Reichsgräfin von Medem.

[192] An seine Tochter, als der Verfasser ihre Rückkehr von Pyrmont erwartete

Berlin, den 23. September 1797.


Noch heute wird die Stunde kommen,
Wo dich mein Vaterarm umschlingt,
Und, was der Frühling mir genommen,
Der Herbst vollkommner wieder bringt;
Die Mutter mit verjüngten Wangen,
Und dich, gewachsen an Verstand.
Könnt' ich vom Glücke mehr verlangen?
So manchen Kranz es mir auch wand,
Den schönsten werd' ich heut empfangen.
[193]
Sieh hier dein trauliches Closett!
Wie lächelt dich es an! Wie nett
Hat sich's geschmückt, dich zu empfangen!
Wie still und öde war es hier,
Seit deine Stimm' und dein Klavier
Nicht mehr in diesen Wänden klangen!
Jetzt hat sich's wieder neu belebt;
Hoch über deinem Kopfe schwebt
Der Dohmpfaff, freundlich dich zu necken;
Das Hündchen zupft an deinen Röcken,
Zu melden, daß es auch noch lebt.
Zwar welch ein Abstand: dieser Raum,
(Er fasset ja uns drei nur kaum,)
Und jener Prachtsal in Pyrmont,
Von Sternen ersten Rangs besonnt! –
Nicht wahr, noch dünkt es dich ein Traum?
Dein König selbst in diesem Kreise,
Der bis zu dir herab sich läßt,
[194]
Musik und Tanz, und Fest auf Fest! –
Wie leicht bringt das nicht aus dem Gleise!
Doch nun zurück ins stille Nest!
Hier bilde dich, o Wilhelmine!
Sey mit dir selber hier zu Haus!
Hier zieh den Büchern, wie die Biene
Den Blumen, ihren Honig aus.
Hier gib der Stimme Flötentöne,
Den Messingsaiten Silberklang;
Hier schöpfe aus der Hippokrene
Des Herzens, rührenden Gesang.
Laß Flora's Garten, Circens Insel,
Bald durch den Bleistift oder Pinsel,
Bald durch der Nadel Kunst entstehn;
Doch laß dieselbe Hand auch willig,
Auf einem Küchentuch' von Zwillich
Die Mörserkeul' im Nothfall' drehn.
Dem Gatten schmecken diese Mandeln
[195]
Dann zehnmal süßer, liebes Kind!
Kurz, lerne nur die Kunst: Geschwind,
Gleich einem Proteus, dich verwandeln,
Und, statt zu sprechen bloß, auch handeln,
Weil That die Herzen nur gewinnt.
Im Lärm' und Drang' der großen Welt
Läßt sich das Handeln schwer erlernen.
Wen Lust, wen Zwang zurück nicht hält,
Wird sich von da gar bald entfernen,
Wo man um Nichts sein Alles wagt,
Im Herzen leere Wünsche sieden,
Und alle Sinnen, schnell gejagt,
Um desto schneller nur ermüden.
Wer Gnügsamkeit gefunden hat,
Fand sie in seinem Cabinette;
Der Tag wird dann zur Blumenkette,
Die Nacht zu einem Stärkungsbad'.
Bist du in deinem unzufrieden,
[196]
So liegt die Schuld allein an dir.
O wünschte nie dein Herz sich hier,
Was dir das Schicksal nicht beschieden!
Entbehren lernen, ist hienieden
Der saure Weg zum innern Frieden;
Dem Himmel Dank! leicht ward er dir.

[197] An die Frau Pr. S–.

Bei Uebersendung eines Canarienvogels.


Berlin, den 9. April 1798.


Ein Sänger, der dich herzlich liebt,
Schickt mich, dir etwas vorzusingen;
Was könnt' er dir auch beßres bringen,
Als wenn er dir sein Liebstes gibt?
Er streute mir mit eigner Hand
Die Körner auf des Käfichs Boden,
Und für die Lieder und die Oden,
Die ich in meiner Zell' erfand,
Gab er mir Zucker, den das Land
Erzeugt, aus dem mein Ahnherr stammte,
[198]
Statt daß des Gebers Vaterland
Oft Sänger, die es göttlich fand,
Zu Wasser und zu Brod verdammte,
Wohl aber mit freigeb'ger Hand
Um ihre Stirne Lorbeern wand.
Die Sänger wohnen gern in Lauben,
Die hat mein Herr auch mir gebaut,
Um aus dem frischen Vogelkraut,
Wie er die Beeren aus den Trauben,
Die Blütenfäden auszuklauben,
Wobei er freundlich zugeschaut.
Er, der die Freiheit selber liebt,
Von einem Sklaven nichts mag hoffen,
Ließ Tage lang mein Pförtchen offen.
Wenn mich hinaus die Neugier trieb,
Pickt' ich an Gläsern und an Tassen,
Allein ich hatt' ihn viel zu lieb,
Um undankbar ihn zu verlassen.
[199]
Schwer, liebe Frau, kommt mir es an,
Von meinem guten Herrn zu scheiden,
Doch wenn ich deines Alters Freuden
Durch meinen Sang vermehren kann:
Wohl! so vermehr' ich sie Euch beiden.

[200] An Elisa, Freifrau von der Recke, geborne Reichsgräfin von Medem

Bei Uebersendung seiner Büste von Gyps.


1800.


Erschrick nicht etwa vor den Falten
In diesem ernsten Angesicht'.
Wohl muß die Zeit ihr Recht behalten,
Zum Glück' behielt's die Sorge nicht.
Nicht diese hat mit grauen Haaren
Den Kopf bestreut; die dank' ich bloß den Jahren
Und der Erfüllung meiner Pflicht.
Jetzt bin ich in der Lebenszeit,
Wo seltner sich beim Scherz' der Schönen
Noch meine ernstre Seele freut;
[201]
Man muß an alles sich gewöhnen.
Ich gäbe keinen Pappenstiel
Darum, ein griechisches Profil
Für mein Gesicht mir zu erkaufen;
Zu dem jetzt vorgesteckten Ziel'
Würd' ich damit nicht schneller laufen.
So wie ich bin, so will ich seyn,
Und so mich meinen Freunden geben.
Wahr drückte dieß dem Gyps sich ein.
Was fehlt dem Brustbild' noch, als Leben?
O! laß es, trotz den tiefen Falten,
(Blieb's mit dem Herzen doch beim alten!)
Dir jetzt auch noch willkommen seyn.
Es hat vor dem Originale
Den großen Vorzug noch sogar:
Es bleibet ein für allemale
So freundlich, als es gestern war.
So nimm das Bild denn gütig auf,
Wirf dann und wann den Blick darauf,
[202]
Und bin ich einst dahin gegangen,
Von wannen Niemand wiederkehrt,
So gib den kalten, bleichen Wangen
Noch einen letzten Abschiedskuß,
Der meinen Schatten höher ehrt,
Als, (nie erwähnt in Flaccus Liede!)
Zu Rom die stolze Pyramide
Den unbekannten Cestius.

[203] An seine Tochter; damals in Carlsbad

Im Namen ihrer beiden Canarienvögel.


1801.


Kannst du, Mädchen! so schnell, die, die du liebtest, vergessen?
Unser Leben und Tod kümmert dich weiter nicht mehr!
So? das hätten wir nicht aus deinem Auge gelesen!
Aber wir sehen, es trügt wie ein Kalenderprophet.
Warum reichtest du sonst mit jedem Morgen uns Rübsen?
Spültest mit eigener Hand unsere Gläser so rein?
[204]
Warum achtetest du des nassen Grases im Garten
Und der Marokinschuh', uns zu gefallen, nicht dann,
Fiel es am Morgen dir ein, mit Hühnerschwalbe den Strickkorb
Anzufüllen für uns, wenn auch die Mutter dich schalt,
Und das Taschengeld kaum zu ein Paar Schuhen von Quingang
Hoffnung übrig ließ? Redet das Sprichwort nicht wahr:
Wohl aus dem Auge, wohl aus dem Sinne! denn hast du nur Einmal
Unsrer in Briefen erwähnt? Einmal uns Arme gegrüßt?
Aber wie zärtlich erkundigst du dich nach Bello 1, dem Schmeichler?
[205]
Weil er die Hände dir küßt, weil er dich immer umtanzt;
Weil er, das Köpfchen gesenkt, den Rücken zur Sichel gekrümmet,
Furchtsam näher sich schleicht, wenn er Verweise bekommt;
Duldend, wenn du dich stellst, als könntest du gar ihn bestrafen,
Sich zu Füßen dir legt, und, wie ein Todter, nicht rührt;
Weil er necken sich läßt, mit immer höheren Sprüngen
Zucker zu haschen, den du hurtig dem Springer entrückst.
Darum bringen ihm nun die Posten Grüße auf Grüße,
Darum empfiehlest du ihn wie ein verzogenes Kind.
[206]
Aber so seyd ihr Mädchen! Ihr achtet den Sänger nicht länger
Als er euch singt, und nur Schmeichler vergesset ihr nicht.
Warte! Wir rächen uns einst, und singen willkommenen Freiern
Eine Warnung ins Ohr, welche sie alle verscheucht.

Fußnoten

1 Ein Bologneserhündchen.

[207] An Fräulein von der Lühe

1802.


Liebe, die an Schönheit sich entzündet,
Gleicht Konfect, der im Genusse schwindet,
Und zu bald nur Ueberdruß erweckt;
Freundschaft, die auf innerm Werth' sich gründet
Und zwei Herzen voll Gefühl verbindet,
Ist gesundes Brod, das täglich schmeckt.
Jene Lieb' ist ein geschmückter Nachen,
Eine Lustfahrt auf der Spree zu machen,
Wenn im Lenz' sich kaum ein Lüftchen regt;
Jene Freundschaft ist ein Schiff mit Masten,
Hält die offne See, und träget Lasten,
Wird in Donnerwettern zwar bewegt,
Doch nicht sinken, und im Kampf' nicht fliehen,
[208]
Sondern muthig Feuer um sich sprühen,
Bis herab der Tod die Flagge schlägt.
Wage du mit meinem Schiff' die Reise,
Denn es machten seinen Steuermann
Jahre, Schicksal und Erfahrung weise,
Daß er sicherer dich führen kann
Auf dem Meer' voll Klippen und voll Bänke,
Wenn auch selbst kein Stern am Himmel glimmt.
Daß ich gern für dich das Steuer lenke,
Bis der Tod mir aus der Hand es nimmt,
Und nach so viel Stürmen und Gefahren
Dämmern wird Kozytus finstrer Strand:
Dieses weißt du. Dort, nach wenig Jahren,
Tret' ich sicherlich zuerst ans Land; 1
Lerne selbst denn früh das Meer befahren,
Dieses Meer voll Raub und Unbestand.

Fußnoten

1 Die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Dieses vortreffliche Frauenzimmer starb in der Blüthe ihrer Jahre, allgemein bedauert.

[209] An Herrn Karl Fasch, Königl. Kammermusikus, und Stifter der Sing-Akademie zu Berlin

Gehen die Künste nach Brod, dann muß es sie weiter nicht kümmern,
Wen am Ziele der Ruhm mit Amaranten bekränzt.
Weinend müssen sie dann die Flügel des Genius binden,
Der, überlassen sich selbst, sonst Ideale verfolgt,
Die, von keinem erreicht, nur dem im dünneren Aether
Sichtbar werden, der hoch über den Pöbel sich schwingt.
[210]
Aber wenn er im Volk', gebunden, hier unten verweilet,
Bringt er zur Erde uns nichts neues vom Himmel herab.
Was der reiche Dünkel ersinnt, sich selber zu schmeicheln,
Führt, verwünschend sich selbst, sträubend der Genius aus.
Gehen die Künste nach Ruf, dann muß es sie weiter nicht kümmern,
Was erheischt die Natur, oder der Kritiker wünscht.
Dann so wird die Stadt zur Welt, die Zeitung zur Nachwelt;
Gaffender Menge Geklatsch: Genius, Regel, Modell!
Ach! sie würdigen sich herab zu Putzmacherinnen;
[211]
Einer Bertin 1 Ruf ist nur ihr äußerstes Ziel.
Bildete nicht selbst Nahl aus theurem Marmor Carara's,
Für der Familie Gold, Hindelbanks gnädigen Herrn,
Und behängte den Schultheiß von Bern – so wollten's die Erben –
Bunt mit Fahnen und Helm, Wapen und Orden und Speer?
Aber der Fremde, schüttelt den Kopf, blickt lächelnd und kalt hin,
Während der Küster ihm stolz Ahnen und Kosten summirt.
Doch der Genius hat in einem bescheidenen Sandstein'
Kunst und Künstler dafür gleich auf der Stelle gerächt.
[212]
Schneller, erleichternd die Müh', die wieder erwachende Langhans
Aus dem Grabe zu ziehn, strecket des Reisenden Arm
Unwillkührlich sich ihr entgegen; aber sein Mitleid
Wandelt, erkennend den Stein, schnell in Erstaunen sich um.
Hätt' auch Mozart nicht die Schikanedersche Plattheit,
Unsinn mit unter sogar, schon in der Prosa gefühlt,
Nun so mußte doch wohl bei so genannten Gesängen
Sein melodisches Ohr minder nicht leiden, als der,
Den im Trabe die Post auf einem Damme von Knüppeln,
Packen und Fässer im Tanz', rasselnd mit Ketten, erreicht.
[213]
Du, der weder um Gold, noch um das Bravo der Menge,
Je dich kümmerst, o Fasch! der du die Tugend und Kunst,
(Beide reichen bei dir sich wie Verlobte die Hände,)
Nur um ihrer selbst willen zu lieben, beschwurst,
Und zwölf Lustern lang den Schwur hast treulich gehalten:
Beide flechten sie einst deinen nicht welkenden Kranz!
Wer Zerstreuung sucht, ist immer begierig nach Neuem,
Das dem inneren Sinn' tieferes Prüfen erspart;
Mehr der Blumen Zahl, als ihre vollendete Färbung,
Mehr ihr buntes Gemisch, als ihr harmonischer Kranz,
[214]
Mehr der betäubende Hauch des fremden Gewächses im Treibhaus',
Als der Rose Duft, ziehet den Flüchtigen an.
Zehenmal hörest du drum die neuesten Stoppen undSchöneich,
Als ein einzigesmal Hagedorn nennen und Uz.
Eher umschwirret darum in hundert Koncerten ein krauses
Mengsel von Tönen dein Ohr, ohne zu finden dein Herz,
Als dich ein einziges mal der alte Zauberer Händel
Oder Graun ins Chor seliger Geister versetzt.
Aber zum Glücke belohnt die Kunst sich selbst, wie die Tugend.
Nichts ist am Ende doch schön, nichts überlebet uns selbst,
[215]
Nichts befriediget uns schon hier, als einzig das Wahre.
Was ist wahrer als du, einfache, schöne Natur!
Du verschuldest ja nicht die italienischen Blumen,
Aefft der Fabrikant sklavisch, dich Schöpferin! nach,
Daß vor der Farben Gemisch, grell, wie auf ostindischem Zitze,
Und vor der Ranken Gewirr, Flora die Augen verschließt.
Du, ihr Priester, o Fasch! du kleidest die Göttin als Göttin,
Nicht mit Flitterstaat, wie sich die Buhlerin schmückt;
Durch Charakter und Geist kann die nicht Herzen gewinnen;
[216]
Wenn sie das Auge denn nur listig zu täuschen versteht.
Werde nicht müde, o Fasch! der Göttin länger zu dienen,
Und an ihrem Altar' Jüngling' und Mädchen zu weihn.
Jedes Opfer verschönert ihr Herz. Sie lernen durch Töne,
Sonst der Zerstreuung geweiht, stärken der Tugend Entschluß;
Fühlen, wie lieblich es ist, dem danken, der die Natur schuf,
Denn des Trostes bedarf selten ihr Blüthenmond noch.
Aber des Sommers Gewitter und kalte Stürme des Herbstes
Sind auch ihnen nicht fern. Werden, der Nachtigall gleich,
[217]
Sie verstummen alsdann? Nein! deiner Weisen gedenkend,
(Wer mit dem Herzen sie hört, nimmer vergisset sie der,)
Hören sie minder das Rollen des Donners, das Rauschen des Sturmwinds,
Dein erhabner Psalm fürchtet vor beiden sich nicht.
Wandle noch lange, mein Fasch! die Bahn des stillen Verdienstes.
Auch die längeste selbst dünket den Freunden zu kurz.
Haben mit Trauergesang sie einst zur Ruhe geleitet,
Der durch sanften Ton Herzen beruhiget hat,
O so wird doch nicht ihr Dank wie die Töne verhallen,
[218]
Nicht verdorren der Baum, den du zum Blühen gebracht.
Früchte reifen auf ihm, trotz unserm rauheren Clima,
Groß und süß, wie kaum Rom und Neapel sie zeugt.

Fußnoten

1 Eine sonst berühmte Putzmacherin in Paris.

[219] An Fräulein von der Lühe

Heydau 1, den 15. Mai 1810.


Sendet die jüdische Braut dem nie gesehenen Freier
Ihr verschönertes Bild: büßen einst wird sie dafür!
Häßlicher als sie ist, wird seine Verlobte ihm scheinen,
Wenn er das Original nun mit dem Bilde vergleicht.
Dann beneidet er selbst die Sitte des Orientalen,
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Der auf gutes Glück zitternd entschleiert die Braut.
Doch was kümmert es viel den Maler, ob der Getäuschte
Das betrügende Bild und die Gemalte verwünscht?
Haben doch ihren Zweck sie beid' erreichet; vertrage
Mit der Wirklichkeit sich jener, so gut er nur kann.
Nein, Dorette! so soll dich kein Gemälde der Landschaft,
Die mich jetzt umgibt, täuschen, damit du nur kommst.
Die Natur gab hier dem Menschen gerade so viel nur,
Daß er aus Hunger nicht stirbt, oder im Winter erfriert.
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Warum sollte sie denn noch mehr ihm spenden? Ein Felsen
Träget kein Korn; Ein See bringet sehr wenig nur ein;
Zwei Jahrhunderte braucht der Wald von Eichen zum Wachsthum';
Berge? Ja die ersteigt ohne Beschwerde man nicht. –
Von dem herrschenden Edelmann' an, bis dienenden Bauer,
Wünschet jeder sich nur Boden, um Weitzen zu baun.
Wer die Reitze von dir, Natur! verachtet, den strafst du!
Mag er auf sandiger Flur pflügen mit magerem Stier',
Seine Rinderherd' er weiden auf gelblichem Grase,
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Kaum mit Löwenzahn höhnisch von Floren bestreut.
Siehe! wie schleichet der Bach so stumm am nackenden Ufer!
Keine Forelle, kein Schmerl springet und scherzet in ihm.
Kein Vergißmeinnicht verlanget sich in ihm zu spiegeln,
Die geborstene Weid' ist seine Freundin allein.
Wald genug siehst du umher, doch ach! von traurigen Kiefern,
Nur von Raupen besucht, oder noch höchstens vom Specht'.
Hier bringt Zephyr nicht die Zweige zu süßem Geflüster,
Und der Nachtigall Lied wurde hier nimmer gehört.
Fluchend der drückenden Luft und brennenden Nadeln des Bodens,
Eilt mit verdoppeltem Schritt' lechzend der Pilger hindurch.
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Kann dein Auge nur sonst das Blenden des Saudes ertragen,
Nun, so siehe dort links Hügel mit Reben bepflanzt.
Aber merkest du wohl: sie lesen die kleinlichen Trauben
Ohne Gesang und Klang. Schämt man sich ihrer vielleicht?
Nur der Krämer schämet sich nicht, den gewachsenen Essig
Umzuwandeln in Gift, das er dann Medoc benennt.
Hat ein vertriebenes Volk, umher ohne Vaterland irrend,
Zwischen diesem Gau und dem Verhungern die Wahl:
Nun! so bauet es freilich sich an! Doch sterben die Enkel,
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Ohne die schöne Natur jemals im Schmucke zu sehn.
Wie viel Freuden, die nichts am Weserufer und Rheine
Kosten, entbehret nicht der, welcher die Oder nur sieht!
Glücklich kann er nur seyn, hat er sie nimmer verlassen.
Wer das Bessre nicht kennt, sehnt nach dem Bessern sich nicht.
Aber wenn das Geschick ins Riesengebirge ihn führet,
O so kehr' er doch ja nimmer zur Oder zurück!
Wer, wie ich, am Fuße des Brockens, am Ufer der Saale,
Wo sie vom Giebichenstein buschigte Felsen bespült,
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In des hügelumkränzten Brunnzell's 2 beblümeten Thale,
Und auf Emma's 3 Flur unter Schalmeyengetön,
Hat ein halbes Jahrhundert gescherzt, der wendet von Kiefern,
Und vom Sande, der kaum Hirse und Heidekorn trägt,
Weg das Auge, gefüllt mit Thränen vergeblicher Sehnsucht.
Hier zu leben, ist schwer, schwerer ist sterben hier noch.
Dennoch, geliebte Natur! so lang ich noch Tannen von Kiefern
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Unterscheid', und noch duftende Veilchen vom Moos,
Streu' ich den Saamen, den du in fetterem Boden erzeugest,
Auf mein Blumenbeet in den veredelten Sand,
Pflanz' im Wäldchen die duftende Birke, die stolze Platane,
Und zum mindesten dankt mir Philomele dafür.
Hast du, Freundin, genug an diesem Garten und Wäldchen,
Dann so säume du nicht! Binde die Augen dir zu!
Rolle, (wo möglich, im Schlaf',) auf grob zerschlagenen Steinen,
Sonst Chaussee genannt, bis an die Oder hinab.
Hat sich Frankfurt dann aus deinem Blicke verloren,
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Und die sandige Heid' endet zehn Meilen lang nicht:
O so bedenke, daß du durch dieses Opfer den Abend
Meines Lebens erhellst, der itzt so dunkel mir scheint.

Fußnoten

1 Ein Landgut bei Freistadt in Schlesien, auf dem der Verfasser sich einige Jahre aufhielt.

2 Ein Dorf nahe bei Fulda, wo der Verfasser zwei Sommer hindurch ein Landhaus bewohnte.

3 Bei Halberstadt.


Notizen
Vgl. Episteln. Erster Teil.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Episteln. Zweiter Teil. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E156-C