[158] Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Elegien

[159] [161]Als sie sich auf einem Balle von ihm getrennt hatte

Ellrich, 1774.


Noch seh' ich sie im Tanze leicht sich drehen,
Und schweben, daß sie mit den Zehen
Den Boden kaum berührt.
Abkühlend seh' ich noch sie auf und nieder gehen,
Und, ohne daß sie selbst es spürt,
Durch sie sogar der Greise Herz gerührt.
Ich sehe noch sie reisefertig stehen,
Und, wenn mich nicht die Eigenliebe trügt,
So spricht ihr Auge: Freund! nicht mißvergnügt!
Kann ich, gerührt, kein Lebewohl dir sagen,
So ist es doch nicht meine Schuld,
[161]
Allein ein Weilchen nur Geduld,
So wird die rechte Stunde schlagen. –
O lebten wir noch in den Feenzeiten,
Und könnt' ich schnell durch einen Talismann
Ein Täubchen werden, könnte dann
Nach Hause sie auf ihrer Fahrt begleiten!
So aber seh' ich starr von weiten
Dem gar zu schnellen Wagen nach,
Blick' auf zum Himmel, seufzend: Ach!
Ihr Engel wollet sie geleiten!
Da steh' ich! Einsam, wie im Meer'
Ein Fels, um dessen Haupt ein Dohlenheer
Vom Morgen bis zum Abend flattert,
An dessen Fuß so manche Seegans schnattert,
Doch ist er um und um von Nachtigallen leer.
Von allen Freunden, die mich lieben,
Drei Jahre durch den Harz getrennt,
Bin ich nur hier, mich zu betrüben,
Hier, wo mein Herz fast Niemand kennt.
[162]
Das Städtchen dünkt mich eine Wüste,
Denn ach! aus Liebe schlug mein Herz noch nie darin,
Bis Nantchen, o die frohe Sängerin!
Mich Schwermuthsvollen freundlich grüßte,
Von ihr ein Tropfen Lob, von ihr, der Charitin!
Den Wermuthsbecher mir versüßte!
Doch ach! Nun ist auch meine Ruh' dahin!
Was sucht' ich? Schönheit bloß? Sucht' ich Verstand allein?
Sucht' ich nur Witz? Das alles ließ sich finden!
Doch will das Herz durch mehr befriedigt seyn.
O warum kann die Sympathie allein
Mich fest mit Rosenschnüren binden?
Warum verweigert Herzen sie,
Die, wie es scheint, für mich empfinden,
Mein schmachtend Herz? Umsonst! Ein Plato selbst wird nie
Den Eigensinn der Sympathie,
So viel er grübeln mag, ergründen.
[163]
Heut war sie bettelarm, ist morgen Crösus reich;
Sie weiß den Diamant zu finden,
Und läg' er neben Aetna's Feuerschlünden
Auch unter tausend Schlacken gleich.
Dem Schiffer ähnlich, der in schwarz bewölkter Nacht
Umher in Klippen irrt, ohn' einen Port zu finden,
Dem endlich schnell ein Stern am Himmel lacht,
Um plötzlich wieder zu verschwinden,
Starr' ich ins Dunkle hin, und glaube zu erblinden,
Und frage mich: Träumst, oder bist erwacht? –
Sie kam, sie ging die Treppe nieder.
Und ach! wann kehrt sie je zurück?
Sie fährt davon! Wann seh' ich je sie wieder?
Doch, selbst mit Schmerz sie lieben, ist schon Glück.
Ist doch mein Daseyn nie so lieb mir noch gewesen,
[164]
Als seit dieß Herz, der Schöpfung Meisterstück!
Dieß Herz ich fand, das mich so ganz versteht!
Wohl! – Mag das mein' auch nimmer gleich genesen,
Als bis mit mir es einst zu Grabe geht.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Elegien. Als sie sich auf einem Balle. Als sie sich auf einem Balle. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E1DB-F