An Seine Hochwohlgebohrne, Herrn Franz Christoph von Scheyb, auf Gaubickolheim, E. Löbl. Niederösterr. Landschaft Secretär

1750 im October.


Orestrio! mein Freund! Du Trost von meinem Leben,
Denn dazu hat Dich mir des Schicksals Huld gegeben;
Nachdem zwey Drittheil schon des Laufs vorüber sind,
Und meiner Scheitel Höh schon Reif und Schnee gewinnt.
Aus Costnitz! hätte mirs auch jemals träumen können?
Aus Schwaben sollte mir ein Freund sein Herze gönnen?
Wer hätte das geglaubt? seit dem ein böser Schwab,
Mir lebenslang von Stolz und Haß die Proben gab;
Der bittern Rachgier Gift für ungeschehne Sachen,
Durch höhern Arm geschützt, mir wußte schwer zu machen.
Nun liegt er in der Gruft; beglückt, wie er geglaubt,
Wenn ihm an Geist und Leib der Tod das Seyn geraubt.
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So lern ich denn an Dir, und wenig andern Proben
Kein Volk sey überhaupt zu schelten und zu loben.
Ein jedes Land erzeugt Gemüther edler Art;
Wohl dem! dem eins davon in Freundschaft günstig ward.
Dieß Glück ertheilest Du mir ferngebohrnem Preußen;
Den jener Bernsteinstrand kann seinen Zögling heißen,
Dem Albertinens Schooß die Musen lieb gemacht,
Bis ihn das Glück hieher in Deutschlands Kern gebracht.
Hier hab ich Geist und Witz noch feiner ausgeschliffen,
Was Pietsch mich nicht gelehrt, aus Menkens Huld begriffen,
Durch fremder Sprachen Licht das Deutsche mehr gestärkt,
Und aus der Alten Höh der Neuern Fall bemerkt.
Hier fand ich Bessern noch, den Schmuck von deutschen Landen.
So hab ich nach und nach die Wahrheit mehr verstanden:
Daß auch das beste Feld von selbst nur Unkraut trägt,
Wenn keines Gärtners Hand den Fleiß daran gelegt.
Wie thöricht ist es denn, von Sonn und Luft zu sprechen,
Da Griechenland und Rom der Regel Nachdruck schwächen?
Behaupte wie du willst, hochweiser Montesquiou!
Das Clima mache klug. Ein Kluger lacht dazu!
Und läßt zur Probe, dich die Menschen, gleich den Blüthen,
Wie Nollet Hühner heckt, nach Wettergläsern brüten.
Allein bestätigt nicht, Dein Beyspiel, edler Freund!
Was, überhaupt gesagt, so widersinnisch scheint?
Ein wärmer Land hat Dir Empfindung Geist und Leben;
Mir nur der kalte Belt ein Fünckchen Witz gegeben.
Mit nähern Blicken schoß die Sonne Dir zu gut,
Viel mildre Stralen ab, als sie am Pregel thut.
Kein Wunder! daß Dein Geist sich über mich geschwungen,
Als Du die Lust der Welt, Theresien besungen.
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So gern ich dieß gesteh, so falsch ist jens dabey.
Schuff denn der Sonnenstral in Costnitz einerley?
Wie kams, daß auf der Bank, wo Bickolo gesessen,
Sie allen Schülern nicht gleichviel Witz zugemessen?
Und hat sie das gethan; wo sind die andern nun?
Warum verräth sie nicht ihr Denken, Schreiben, Thun?
Wer kennet sie in Wien? O! wer kann das ergründen?
In soviel Ländern ist doch nur ein Scheyb zu finden:
So wie mein Vaterland nur einen Pietsch erzeugt;
Der durch erhabne Glut auch wälsche Geister beugt.
Wohlauf, erlesner Freund! versammle Deine Kräfte;
Komm, wage noch einmal Kalliopens Geschäffte.
Nimm ihr heroisch Rohr der Göttinn aus der Hand,
Und mach uns abermal die Kaiserinn bekannt,
Die so viel Thronen ziert; Die das Geschick erkohren,
Der Zeiten Schmuck zu seyn, die Sie zur Welt gebohren.
Dein Vorsatz ist so schön, als edel und gerecht:
Denn wo der Gegenstand des Dichters Kraft nicht schwächt,
Ja sie vielmehr erhöht; da muß es ihm gelingen,
Der Dichtkunst höchsten Preis sich spielend zu erringen.
Nur eins bekümmert mich von allem was Du schreibst;
Daß Du voll Eigensinn bey jenen Mustern bleibst,
Die Griechenland und Rom der Welt zuerst gewiesen,
Wenn sie der Helden Lob nach der Natur gepriesen.
Du liesest den Homer, wie auch Virgil gethan,
Eh er die Stifter Roms, Aeneas und Ascan,
Nach Latien geführt. Der hieß ja wohl vor Jahren,
Als Geist und Dichtkunst noch in ihrer Wiege waren,
Das Augenmerk der Kunst, der Vater von dem Witz,
Der alles aufgeklärt, als noch der Musen Sitz
Im Grajerlande lag. Jedoch zu unsern Zeiten
Hat alles sich verkehrt, bis auf der Dichter Seyten.
Ich glaubte sonst wie Du: bis ich nur jüngst gelernt,
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Daß man durchs Alterthum sich von dem Ruhm entfernt,
Ein Muster selbst zu seyn; daß man die Geister hindert,
Wenn die Vernunft den Flug der Phantasey vermindert,
Und klüglich schreiben lehrt. Drum gib ein wenig acht,
Was mich seit kurzer Zeit auf andern Sinn gebracht.
Wer zwanzig Jahre schon der Dichtkunst Regeln lehret,
Verdient vieleicht ein Ohr! das ihn geduldig höret.
Als Friedrich Augusts Wink in Leipzigs Lehrer Zahl
Drey Jahr, eh er erblich, mir dieses Amt befahl;
(Vieleicht weil ich sehr oft, des Helden Gnadenproben
An Musen und Parnaß, der Wahrheit nach, erhoben)
Beherrschte leider mich noch der verjährte Wahn:
(Wie Feller vor der Zeit, und Rappolt auch gethan)
Man müsse nach der Spur der alten Regeln gehen,
Die Dichtkunst auf den Grad der Griechen zu erhöhen.
Und den vermißte man. Ein dummes Quodlibet,
Wo weder Kopf noch Schweif am rechten Ende steht,
War damals Meißens Lust. Ein läppisch Zotenwesen
Voll Unvernunft und Schmutz ward überall gelesen.
Satiren nannte man, was doch Pasquille sind;
Ein Trauerspiel, ein Stück, wo Harlekin gewinnt;
Ein Lustspiel, wo Pandolf nebst zwanzig andern Thoren,
Des Lederhändlers Zweck zu hindern sich verschworen;
Wo sich ein Poltergeist auf hundert Arten zeigt,
Und Doctor Faust das Volk zu Zauberkünsten neigt.
Das epische Gedicht war vollends gar vergessen:
Warum? solch hohes Zeug bringt keinem was zu essen.
Brautsuppen kochte man für Braut und Bräutigam;
Ein Chronodistichon, ein künstlich Anagramm,
Ein Cabbalisticum, und, daß wir nichts versäumen,
Manch Räthsel voller Schmutz, nebst Bild- und Leberreimen.
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Hier brach mein Eifer los! der Weise von Stagir,
Und sein unsterblich Buch vom Dichten, winkten mir.
Ich las es öffentlich, und sucht es einzuschärfen,
Und lehrte den Geschmack des Pöbelvolks verwerfen.
Zum Muster wies ich an, die Schönheit der Natur;
Wie meine Dichtkunst schon auf der Lateiner Spur
Aus dem Horaz gezeigt. So ward der Wust verdrungen,
Der kurz vorher Vernunft und Tugend fast bezwungen.
Ganz Leipzig dankte mir; man that die Augen auf;
Der richtige Geschmack gewann nun freyern Lauf,
Halb Deutschland fiel uns bey, und eiferte mit Sachsen
Wo Geist, Vernunft und Witz am schönsten könnte wachsen.
Doch leider! nur umsonst! Ein ungleich heller Licht,
Das aus den Alpen quillt, und durch die Nebel bricht,
Die unsre Geister noch mit Wahn und Irrthum deckten,
Bestralt der Dichter Heer, die noch im Dunkeln steckten.
Man sucht den Milton auf, bey dem Homer ein Kind,
Virgil und Tasso nur verlachte Schüler sind.
Man lehrt ihn Schweizerdeutsch, man sucht ihn anzupreisen,
Und seine Schönheit recht der blinden Welt zu weisen.
Ein Auge blinzelt nur, das man aus dicker Nacht
In helle Zimmer führt, vor vieler Kerzen Pracht.
Wenn Spiegel ohne Zahl der Stralen Glanz verstärken;
So wird es anfangs blind und kann fast nichts bemerken.
So schien uns Miltons Buch ein unerträglichs Licht:
Wer es zuerst erblickt, empfand die Schönheit nicht,
Wo Satan wider Gott erst mit Karthaunen krieget,
Bis Gott und Mensch verspielt und Satan herrlich sieget.
Doch endlich fiengen wir, auch in der finstern Kluft
Wo Tod und Sünde haust, und von der heitern Luft
Sich durch ein neunfach Thor, und soviel Mauren trennet,
Das Feuer anzusehn, das schwarz an Flammen brennet.
Ein Kind scheut anfangs nichts von der Gespenster Macht,
Es sieht, es hört sie nicht: doch, giebt es fleißig acht,
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Was kluge Vetteln uns von Poltergeistern lehren:
So fängt es an zu sehn, so fängt es an zu hören.
Wie Eulen auch bey Nacht mehr als am Tage sehn,
So kann es itzt von uns im Milton auch geschehn:
Zumal seit dem man uns ästhetisch denken lehret,
Vernunft und Licht verwirft, die Dunkelheit verehret.
Jedoch ein größrer Geist, als Milton zeiget sich.
O Freund! es ist kein Scherz; nunmehr ermuntre Dich
Ein deutsches Meisterstück, die Frucht von Bodmers Lehren,
Die Zürch der Welt geschenkt, zu sehen und zu ehren.
Meßias wird erzeugt! Nicht, den der Juden Schaar
Schon seit so langer Zeit zu sehn begierig war;
Nein, den ein ander Chor von unbeschnittnen Ohren,
Sich in Gedanken längst zum Trost und Heil erkohren.
Meßias wird erzeugt, ein episches Gedicht,
Das aller Britten Stolz durch deutsche Kräfte bricht;
Voltairen schamroth macht, den Fenelon verdunkelt,
Weit mehr als St. Amant, und Ariosto funkelt;
Den Tasso übertrifft; vor dem auch du, Marin,
Wie Maro und Homer, noch mußt den Kürzern ziehn.
Der Lehrer selbst erstaunt vor dem zu großen Schüler,
Und bethet ihn fast an. Der heiße Wunsch so vieler,
Ein deutsches Heldenwerk von solchem Schrot zu sehn,
Dem Himmel sey gedankt! ist nicht umsonst geschehn.
Hier stralt ein dunkler Glanz. Hier stützet man den Glauben
Mit Fabeln neuer Art: wer will ihn uns nun rauben?
Was kein Prophet gesehn und kein Evangelist,
Was kein Apostel wußt, das lernst du hier, mein Christ!
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Der Schriftgelehrten Witz wird uns, mit tiefen Schlüssen,
Dieß neue Bibelbuch hinfort erklären müssen.
Auf nun, gelehrter Freund! ergreif Dein Heldenrohr,
Und stelle Dir dieß Werk zum Musterbilde vor.
Wer ihm nicht ähnlich schreibt, kann Deutschland nicht gefallen;
Homer ist abgesetzt, Virgil misfällt uns allen.
Ein Tasso schreibt zu matt, zu wässerigt, zu klar:
Dagegen Chapelain doch etwas dunkler war.
Ein wenig hat Lucan sich auch empor gehoben;
Noch mehr war Silius und Claudian zu loben;
Der Grieche Lykophron, den Dampf und Nacht umhüllt,
Wies noch am leidlichsten ein recht ästhetisch Bild.
Doch Miltons hoher Geist und unsers Landsmanns Gaben,
Sind der Vergöttrung werth, und müssen Tempel haben.
Wiewohl ich sehe schon: Du bleibst auf Deinem Sinn!
Homer hat Dich behext. Um aller Welt Gewinn
Gehst Du von dem nicht ab, dem seit dreytausend Jahren,
Die größten Geister auch zu folgen eifrig waren;
Dem Plato nachgeahmt, den Sokrates verehrt;
Dem Maro gleichen will, den Flaccus schätzen lehrt.
Gut! folge Deinem Kopf. Du liebst ein deutlich Wesen?
Vernimm das Donnerwort: Kein Zürcher wird Dich lesen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Poetische Sendschreiben. An Herrn Franz Christoph von Scheyb. An Herrn Franz Christoph von Scheyb. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3C8-9