Auf das berühmte Kaiser-Karls-Bad

Im August des 1749 Jahres.


Ihr aufgethürmten Berg' und Felsen!
Die ihr, mit aufgereckten Hälsen,
Oft höher, als die Wolken steht;
Dabey die Töpel, seicht an Fluthen,
Durch hundert schlanke Weidenruthen,
Auf fortgespülten Steinen geht.
Berühmte Thäler, deren Seiten,
Schon seit der großen Sündfluth Zeiten,
Der steilsten Berge Wand umgab!
Von Süd und Ost, und Nord und Westen
Blickt, zwischen dünnbelaubten Aesten,
Ein nackter Fels auf mich herab.
[211]
Der Himmel ist mir halb verstecket,
Ein dicht umzogner Vorhang decket
Mir fast der Sterne größte Zahl.
Bey Nacht, wenn ich mit Neutons Röhren
Den Ring Saturns, den Mars will ehren,
Verbergen sie sich auf einmal.
Auch Sonnenlicht und Mond erscheinen
Uns täglich später, als wir meynen,
Entweichen ehr, als anderswo.
Beglückte Bürger flacher Höhen!
Ihr könnt den Tag weit länger sehen,
Euch macht ein früher Morgen froh!
An beyden Ufern unsers Flusses
Stehn Wohnungen des Ueberdrusses,
Der Krankheit und der Traurigkeit.
Hier sieht man abgezehrte Wangen,
Gebeine, deren Kraft vergangen,
Und Herzen, voller Gram und Leid.
Galen! was deiner klügsten Jünger
Erfahrungsreicher Zauberfinger
In manchem Puls umsonst berührt;
Wofür du selbst in hundert Säften,
Und ausgekochter Kräuter Kräften,
Kein Stärkungsmittel ausgespürt;
Das kömmt mit ungezählten Schaaren,
Durch Berg und Thal hieher gefahren,
Wo die Natur sich weiser zeigt;
Als alle, die mit stumpfen Sinnen,
Ein allzuschweres Werk beginnen,
Das aller Aerzte Hochmuth beugt.
[212]
Das bleiche Fieber kömmt geschlichen,
Das Hauptweh, sammt den Lendenstichen,
Der Magenkrampf, der Gliederschmerz,
Das Podagra, die Nierensteine,
Die Gelbsucht, angelaufne Beine,
Und ein von Schwermuth krankes Herz.
Verdorbne Mägen, das Erbrechen,
Die Blähungen, das Seitenstechen,
Die Schlafsucht, und Unfruchtbarkeit;
Den Wahnwitz sieht man hieher eilen:
Und allen Hülfe zu ertheilen,
Ist dieß berühmte Thal bereit.
O wundervolle Wasserquelle!
Wer senkte dich auf dieser Stelle,
Bey Berg und Felsen, in den Grund?
Wer lehrte dich aus tiefen Schlünden
Den Weg in freye Lüfte finden!
Wer that uns deine Kräfte kund?
Die Vorsicht wars! die weis im Stillen
Den Abgrund mit der Glut zu füllen,
Die ein so heilsam Wasser kocht.
Sie treibt es durch verborgne Röhren,
Und läßt die Menschen rauschend hören,
Was in versteckten Adern pocht.
Der Boden raucht; es dampft vom weiten:
Es quillt und dringt auf allen Seiten
Ein siedend Naß durch Kieß und Sand.
Dort sprudelt gar bey lautem Sausen,
[213]
Ein stärkrer Stral, mit Schaum und Brausen,
Als man im größten Springbrunn fand.
Er spritzet mannshoch von der Erden,
Und will dem Menschen nutzbar werden,
Und beuth ihm seine Heilkraft an.
Kommt! ruft er, mir die Noth zu klagen;
Hier hat der Himmel euren Plagen
Ein neu Bethesda kund gethan!
Wer er wagts, das Wasser auszumessen,
Das täglich quillt, und ehedessen
Jahr aus Jahr ein geflossen ist?
Hier trinken oft viel hundert Gäste,
Viel andre baden auch aufs beste:
Doch wird im Prudel nichts vermißt.
Und käme Xerxes mit den Heeren,
Die, Ströme trinkend auszuleeren,
Der Durst in dürren Wüsten zwang:
Doch hätt es ihm in ganzen Wochen,
An vollen Bächern nicht gebrochen,
So viel auch jeder Kriegsknecht trank.
Viel hundert Zentner gehn verlohren,
Die der zu reiche Quell gebohren:
Sie eilen mit der Töpel fort.
Der Fisch entweicht den warmen Wellen;
Sucht anderwärts die kühlern Stellen,
Und meidet sorgsam diesen Ort.
[214]
Du vierter Karl! gepriesner Kaiser!
Zwar fehlen Dir nicht Lorberreiser,
Davon das Laub unsterblich grünt:
Doch hast Du uns Dir mehr verbunden,
Da Du den Wunderbrunn gefunden,
Der so viel tausend Kranken dient.
Hier steht Dein Bild in Stein gehauen,
Und läßt uns Hirsch und Hunde schauen,
Dadurch Du dieses Bad entdeckt:
Der Hirsch entflieht: der Hunde Bellen
Verräth, was in den heißen Quellen
Für ein natürlich Wunder steckt.
Wie eifrig ward nicht von den Alten,
Das Federvieh, so Rom erhalten,
Im hohen Capitol verehrt!
O Karl! ist Dein Geschlecht von Hunden,
Das diesen Wunderbrunn erfunden,
Nicht doppelt größrer Ehre werth?
Die ihr der Erden Innres kennet,
Der Berge Zahl und Lage nennet,
Worinnen Harz und Schwefel glimmt:
Sagt doch, sind nie entdeckte Grüfte
Und unerforschte Felsenklüfte,
Auch einer hellen Glut bestimmt?
Ists wahr? was nährt denn solche Flammen?
Was führt den Zunder hier zusammen,
[215]
Der so viel tausend Jahre brennt?
Ists nicht? Was kann den Quell erhitzen,
Den man bey ungeschwächtem Spritzen,
Drey hundert Jahre siedend kennt?
Glimmt noch ein Funken von dem Brande,
Der in des Erdballs erstem Stande,
Dieß ganze Rund in Glut gesetzt?
Nährt ihn ein Rest erloschner Kohlen,
Die in dem Schwefelkieß verholen
Ein unterirrdscher Bach benetzt?
Genug! es lodert in der Erden!
Ein Fels muß hier zum Kolben werden,
Der Panaceen von sich sprüht.
O Allmacht! deine Wunderwerke
Begreift kein Mensch in voller Stärke;
So klar er ihren Ausbruch sieht.
Noch mehr! wer schafft der Berge Ritzen,
Die Last von Salzen auszuschwitzen,
Die jährlich in dem Brunnen quillt?
Und die, durch unabläßigs Sieden
Vom heißen Wasser abgeschieden,
In jeder Woche Zentner gilt?
Giebts Felsen, die aus Salz bestehen,
Dadurch die heißen Bäche gehen,
Und deren Zoll sie heilsam macht?
Warum verzehrt sich in der Stille
Nicht ihres ganzen Vorraths Fülle,
Den längst der Quell ans Licht gebracht?
[216]
Ihr Spötter jener Rechnungskünste,
Die, hoher Meßkunst zum Gewinnste,
Mein großer Leibnitz längst erfand!
Hier zeigt sich das unendlich Kleine,
Die Stäubchen aufgelöster Steine,
Ein unsichtbar zermalmter Sand.
Zwar gleicht das Wasser den Crystallen:
Doch, läßt es ihn im Fließen fallen;
So überzieht er Holz und Laub.
Die Haselnuß, die Distelklette,
Umschränkt ein Stein von harter Glätte,
Ein dicht umher gegoßner Staub.
Aegypten mag mit Balsamschwämmen
Die Wirkung der Verwesung hemmen,
Und Leichen aus den Grüften ziehn:
Hier thut das Karlsbad dieß Geschäffte,
Schafft Mumien durch Felsenkräfte,
Und heißt der Körper Fäulniß fliehn.
Wie hart ist die versteinte Rinde!
Wie braunroth spielt sie! Wie geschwinde
Erzeugt sich solch ein Prudelstein!
Wie dauerhaft, wie schön zum Schleifen!
Wie fein zu sehn, zart anzugreifen,
Muß solch ein seltnes Kunststück seyn!
Was seh ich dort in dunkeln Schatten,
Sich für Gesellschaft zahlreich gatten,
[217]
Wo schlanker Linden Laub sie deckt?
Man sieht sich die Geschlechter mengen:
Sie gehn gepaart in langen Gängen,
So weit sich ihr Gebieth erstreckt.
Dieß Paar ist ernsthaft; jens will scherzen:
Doch herrscht die Lust in aller Herzen,
Und Gram und Schwachheit zeigt sich nicht.
Wo bin ich? Sinds Elyserfelder?
Der Unterwelt gepriesne Wälder,
Wovon der Dichter Lehre spricht?
Sind dieß die Geister der Beglückten,
Die sich der Oberwelt entrückten,
Hier ewig sonder Gram zu seyn?
O! schiffte mich doch Charons Nachen,
Mich alles Jammers frey zu machen,
In die so selgen Auen ein!
Was säumt er, mich dahin zu führen,
Wo Seligkeit und Lust regieren,
Und wo ein steter Frühling blüht?
Ich irr! ich bin am Töpelrande;
Allwo man auf dem flachen Sande,
Für Kähne, lauter Brücken sieht!
Wie trügt der Augenschein von ferne!
Je mehr ich alles kennen lerne,
Je mehr entdeck ich unsre Welt!
Hier ist kein Sitz der Tugendhaften;
Hier herrschen tausend Leidenschaften,
Die jeder Busen in sich hält.
[218]
Die Eifersucht, der Stolz, die Liebe,
Geiz, Rachgier, Neid und hundert Triebe,
Bestürmen die geputzte Schaar.
Die Eitelkeit auf Glück und Ahnen,
Und angeerbte Ritterfahnen,
Legt sich vor andern häufig dar.
O! wär ich nach gebrauchtem Brunnen,
Der Lüste Tummelplatz entrunnen,
Der hier, wie anderswo sich zeigt!
Kommt Musen! laßt uns wieder fliehen:
Denn eurem ruhigen Bemühen
Sind Böhmens Fluren nicht geneigt.
Doch nein: Theresia regieret!
Ihr ungemeiner Zepter zieret
Die Staaten auch mit Witz und Kunst.
Ihr Kaisersitz ist vorgegangen;
Hebt an mit Wissenschaft zu prangen,
Und bloß durch Ihre Gnad und Gunst.
Kommt! laßt uns ihm noch näher rücken,
Um alle Wunder zu erblicken,
Womit Sie diese Zeit verklärt,
Kommt! stimmt von neuem eure Seyten,
Die Kaiserinn, der Schmuck der Zeiten,
Ist eurer besten Lieder werth.
Besingt, wie Sie das Recht beschützet;
Singt, wie Ihr Heer im Felde blitzet;
Wie Sie Gewerb und Handel liebt;
Wie Sie des Misbrauchs Macht umdämmet.
[219]
Und aller Waaren Einbruch hemmet,
Der Deutschlands Feinden Kräfte giebt.
Besingt, zur Freude der Provinzen,
Wie Sie den ältsten Ihrer Prinzen
Dereinst zum Herrschen tüchtig macht.
O! kann ich dieß nach Werth besingen,
So mag mir weiter nichts gelingen:
Ich hab ein ewig Werk vollbracht!

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Auf das berühmte Kaiser-Karls-Bad. Auf das berühmte Kaiser-Karls-Bad. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E453-7